VISUALISIERUNG

Eröffnung
VELab

Ulrich Lang / Dirk Rantzau

Das im April offiziell eröffnete, neue Virtual Environments-Labor stellt eine systematische Erweiterung der Aktivitäten beim Einsatz virtueller Realitätstechniken zur Analyse von komplexen Berechnungsergebnissen sowie zur visuellen Steuerung laufender Simulationen auf Höchstleistungsrechnern dar.

Am Rechenzentrum der Universität Stuttgart wurde das erste Virtual Environments- Labor (VELab) als Dienstleistungseinrichtung an einer deutschen Universität eingerichtet. Sie war dringend notwendig geworden, da die Einrichtung des Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) vor zwei Jahren mit seinen Parallel- und Vektorrechnern zu umfangreicheren und komplexeren Simulationsergebnissen führte, die nicht mehr adäquat handhabbar waren. Zur effizienten Auswertung von Berechnungsergebnissen wurden einerseits die Leistungsdaten der Visualisierungsmaschine erhöht, anderseits wurde durch den Ausbau der Virtual Environments Hardware die bessere Unterstützung neuer Darstellungs- und Interaktionskonzepte erreicht.

Die neue Ausstattung besteht aus einer Silicon Graphics Onyx2 mit 14 R10000 Prozessoren, 4 GB Hauptspeicher, sowie drei Infinite Reality Pipes. Ein 10fach gestriptes Dateisystem erreicht mehr als 100 MB/s Übertragungsrate von den lokalen Platten. Die drei Graphik-Pipes versorgen eine VR-basierte Rückprojektionsumgebung, die nachfolgend näher beschrieben wird.

1991 wurde als bisherige Visualisierungsausstattung eine 4 Prozessor Silicon Graphics Workstation sowie Komponenten eines CRAY Y-MP-Fileservers beschafft. Das damals erzielte Leistungsverhältnis zum Supercomputer konnte mit der neuen Ausstattung leider nicht wieder erreicht werden, wie den beiden nachfolgenden Tabellen entnommen werden kann.

Ausstattung 1991CRAY-2SGI 4D 340/VGXVerhältnis
Anzahl CPUs441
CPU-Leistung (GFlops) 20,0825
Hauptspeicher (GB) 20,258

Ausstattung 1998CRAYT3ESGI Onyx2Verhältnis
Anzahl CPUs5121436
CPU-Leistung (GFlops) 450764
Hauptspeicher (GB) 64416

Dieses Zurückfallen in den Leistungsdaten wird durch die besseren Darstellungstechniken und Interaktionskonzepte in einer virtuellen Umgebung, sowie verbessere Algorithmen in der Visualisierungs-Pipeline (z.B. Datenreduktion und dynamische Darstellung) ausgeglichen.

Die im BI.-Artikel 1/2 97 beschriebene rückprojektionsbasierte Hardware-Umgebung wurde in einen Raum bestehend aus drei Rückprojektionswänden und Bodenprojektion erweitert. Der quadratische Raum hat eine Seitenlänge von 2,8 m und eine Wandhöhe von 2,5 m. Die vier Projektoren werden von zwei Graphik-Pipes versorgt. Die dritte Pipe kann zur Bedienung genutzt oder unabhängig davon eingesetzt werden. Zur Verdoppelung der Darstellungsleistung lassen sich die drei Graphik-Pipes alternativ zwei Wänden und dem Boden zuordnen. Unsere Realisierung dieser CAVE-ähnlichen Umgebung wird CUBE genannt.

Abb. 1: Modell des VELabs des RUS

Durch das Tragen von leichten Stereobrillen wird für den Betrachter ein räumlicher Eindruck der dargestellten Szene erzeugt. Über ein magnetfeldbasiertes Positionserfassungssystem werden Kopf- und Handposition sowie -orientierung einer Person für den Rechner erfaßbar. Eine entsprechende softwareseitige Programmierung setzt diese Information in eine angepaßte Darstellung der Szene um bzw. ermöglicht die direkte Inter- aktion mit den Szeneninhalten.

Im Vergleich zur bisherigen einseitigen Projektionsumgebung, bei der der Nutzer wie durch ein Fenster eine dreidimensionale Welt betrachtet, ist der Nutzer des CUBEs von einer dreidimensionalen Szene umgeben. Bei der Orientierung des Menschen im Raum spielt das periphere Sehen eine wesentliche Rolle. Dies wird im CUBE ausgenutzt. Benutzer fühlen sich in die dargestellte Szene (Immersion) einbezogen und haben damit einen besseren Zugang zu den Inhalten. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Immersion ist, daß die Szene auf Aktionen des Nutzers reagiert. Bei Bewegung im Raum wird die Szene vom Computer perspektivisch so angepaßt, als ob der Nutzer sich relativ zu den Objekten bewegt. COVISE, eine von uns am Rechenzentrum entwikkelte Software, wurde so erweitert, daß der Nutzer mit den Szeneninhalten intuitiv interagieren kann, z.B. Objekte im Raum versetzen, neue Objekte erzeugen oder durch die Szene fliegen. Mittels einer visuellen Programmierumgebung kann der Benutzer die Art der Darstellung sowie die damit verbundenen Interaktionsmethoden konfigurieren.

Der Einsatz des CUBEs ist dann angebracht, wenn komplexe dreidimensionale Sachverhalte vorliegen. Bei zweidimensionalen Simulationsmodellen sollte sinnvollerweise weiterhin mit bildschirm- oder papierorientierten Darstellungen gearbeitet werden. Typische besonders geeignete Beispiele sind komplexe Strömungsverläufe durch dreidimensional strukturierte Rohrleitungen sowie durch Turbinen oder Pumpen. Ein weiteres Beispiel ist die Bewegung durch eine Stadtlandschaft, beispielsweise um festzustellen wie harmonisch sich geplante Gebäude in vorhandene Stadtteile eingliedern. Durch Skalierung auf den Maßstab 1:1 sowie Verwendung der richtigen Perspektive wird ein möglichst realistischer Eindruck erreicht. Hierbei wird die Szenenwelt mit geeigneten Modellierungswerkzeugen erstellt und nicht direkt on-the-fly aus Simulationsdaten generiert.

Eine wesentliche Ergänzung ergibt sich durch die Darstellung zeitabhängiger Abläufe. Die Vorberechnung und Speicherung der dreidimensionalen Szenengeometrien für alle Zeitpunkte ermöglicht eine dynamische Darstellung, die in der Ablaufgeschwindigkeit noch variiert werden kann.

Ein schnelle Netzkopplung zu den Höchstleistungsrechnern des hww erlaubt die direkte Anbindung an laufende Simulationen. Bei geeigneter Anpassung der Simulationsprogramme wird es möglich, aus der virtuellen Umgebung heraus direkten Einfluß auf Parameter der Simulation zu nehmen und somit in Zukunft Produkteigenschaften an virtuellen Prototypen zu optimieren.

Liegen Berechnungsergebnisse von Simulationsprogrammen vor, so werden die Daten typischerweise von einem Lesebaustein in COVISE eingelesen. Für viele gängigen Simulationsprogramme bzw. Dateiformate gibt es bereits fertige Lesebausteine. Falls nicht, können von uns geeignete neue Bausteine für Dateiformate von Simulationsprogrammen in Zusammenarbeit mit den Nutzern des CUBE geschrieben werden. Durch Kombination verschiedener COVISE-Module mittels einer visuellen Programmierumgebung wird die gewünschte Anwendung zusammengestellt und somit letztlich die gewünschte Darstellung realisiert. Dieser Vorverarbeitungsschritt kann auch direkt durch Einsatz von COVISE am jeweiligen Institut erfolgen. Anstelle der VR-Umgebung wird dazu lediglich ein bildschirmorientierter Darstellungsbaustein verwendet, der ebenso eine Kontrolle der Darstellung ermöglicht. Anschließend kann die generierte Anwendung als Datenflußnetzwerk im CUBE durch Ergänzung des VR-Bausteins ohne weitere Modifikation eingesetzt werden.

Der CUBE wird derzeit vor allem für die Analyse von Strömungsmechaniksimulationen eingesetzt. Der vom Institut für Hydraulische Strömungsmaschinen (IHS) der Universität Stuttgart entwickelte Solver FENFLOSS wurde in COVISE integriert und direkt an die VR-Umgebung gekoppelt. Ebenso wurde ein Lesemodul für die FENFLOSS-Ergebnisdateien erstellt. Ein typisches Beispiel, das analysiert wurde, ist die Simulation eines Wasserkraftwerks mit einer Verteilung auf drei Turbinen. Dabei wurde versucht, ein ge-naues Verständnis für Strömungsverläufe und Wirbelstrukturen zu erhalten. In der virtuellen Umgebung waren die komplexen Strömungsverläufe wesentlich anschaulicher zugänglich. Das Einstreuen von Teilchen in die Strömung sowie die Darstellung der Bewegung entspricht der Vorgehensweise eines Strömungsmechanikers beim Experiment im Wasserkanal und benötigt somit keine langen Einarbeitungszeiten zur Bedienung.

Abb. 2: Strömungsverhältnisse in einem Wasserkraftwerk

Die Visualisierungsmaschine steht natürlich auch für eine nicht VR-orientierte Arbeitsweise zur Verfügung. Nach Umkonfiguration können die drei Graphik-Pipes mittels einer Tripple Keyboard Option als drei getrennte Arbeitsplätze eingesetzt werden. Dabei teilen sich die Benutzer die CPUs und den Hauptspeicher. Auf der Maschine sind verschiedene bildschirmorientierte Visualisierungspakete installiert, wie z.B. Iris Explorer, IBM Data Explorer als parallelisierte Version, AVS sowie Alias/Wavefront Advanced Visualizer. Über ein Videoboard lassen sich die Bildschirmdarstellungen auch direkt auf Video aufzeichnen.

Wenn Sie Interesse an der Nutzung der Visualisierungsmöglichkeiten sowohl im CUBE als auch bildschirmorientiert haben, wenden Sie sich bitte an:

Dr. Ulrich Lang, NA-5995
E-Mail: lang@hlrs.de

oder

Dirk Rantzau, NA-5789
E-Mail: rantzau@hlrs.de