Im Heubachtal bei Schiltach im
Schwarzwald, in einem alten Silberbergwerk 150 Meter unter Tage, stehen einige der
empfindlichsten Seismographen Deutschlands. Wer allerdings meint, er könne dort
feinmechanische Wunderwerke mit Dutzenden von Hebeln, Zahnrädern, Walzen und Federn
besichtigen, wird enttäuscht. Erstens nämlich gibt es keine Besichtigungen - selbst die
vier vor Ort arbeitenden Wissenschaftler und Techniker betreten die Seismometerkammer nur
dann, wenn es unbedingt nötig ist, und das ist glücklicherweise selten. Zweitens würde
der Besucher, selbst wenn er die Kammer betreten darf, nichts sehen als einige
Styroporkisten und silbern glänzende Isolierfolien, die die Geräte vor den im Bergwerk
ohnehin minimalen Temperaturschwankungen schützen. Drittens schließlich - nehmen wir an,
ein Seismograph würde gerade neu aufgestellt und wäre daher unverhüllt zu sehen -
stände dort auf einem kleinen Zementsockel lediglich ein geschlossener Metallzylinder,
etwa so groß wie eine kleine Propangasflasche. In seinem Inneren, noch durch mehrfache
weitere Abschirmungen geschützt, verbirgt sich der eigentliche Sensor: ein in einer
Richtung frei beweglicher Messingklotz von einigen hundert Gramm Gewicht, die sogenannte
seismische Masse. Ihre einzige Aufgabe ist es, ruhig zu bleiben, wenn um sie herum die
Erde zittert. Ihre Lage wird elektronisch gemessen, auch hierfür braucht es keine
Mechanik. Ganz ohne Feinmechanik kommt aber auch ein moderner Seismograph nicht aus: es
ist gar nicht so einfach, eine Masse "frei beweglich" im Schwerefeld der Erde
aufzuhängen!
Bevor wir uns nun einzelne historische und moderne
Seismographen näher ansehen, wollen wir versuchen, die grundsätzliche Funktionsweise zu
verstehen und die technischen Anforderungen an die wesentlichen Konstruktionselemente zu
umreißen. Wir denken dabei vor allem an die hochempfindlichen Seismographen, die in der
Erdbebenforschung und auch zur Überwachung von Kernwaffentests eingesetzt werden.
Natürlich gibt es eine große Zahl einfacherer seismischer Aufnehmer für praktische
Anwendungen, für deren Konstruktion andere Gesichtspunkte maßgeblich sind.
Ein Wort zum Sprachgebrauch: die Aufnehmereinheit,
die die Bodenbewegung in ein elektrisches Signal umsetzt, bezeichnet man als Seismometer.
Das Signal zeichnet man, um das Seismometer nicht zu stören, gewöhnlich in einem anderen
Raum auf Papier oder einen digitalen Datenträger auf. Seismometer und Registriereinheit
zusammen bilden einen Seismographen. Bei älteren Seismographen ist die Unterscheidung
aber nicht so klar möglich, weil beide Geräte oft eine untrennbare Einheit bilden.
Was leistet ein Seismograph?
Seismographen gelten seit ihrer Erfindung als extrem
empfindliche Meßgeräte. Dasselbe kann man zwar heutzutage in irgendeinem Sinn von fast
jedem wissenschaftlichen Gerät sagen. Die Faszination, die von einem Seismographen
ausgeht, liegt aber woanders begündet: er zeichnet nicht irgendeine abstrakte
physikalische Größe auf, unter der sich der Laie nichts vorstellen kann, sondern ein
sehr elementares, fühlbares, beunruhigendes Ereignis - eine Erschütterung des Bodens,
auf dessen Festigkeit wir bei jedem Schritt vertrauen müssen.
An einem ruhigen Standort, etwa in einer Höhle oder einem
Bergwerk abseits der großen Verkehrsadern, spricht ein Seismograph nicht nur auf Erdbeben
aus seiner näheren Umgebung an, sondern meldet alle Beben aus der ganzen Welt, die stark
genug sind, um ernsthafte Schäden zu verursachen. Daneben registriert er die ständig
vorhandene Bodenbewegung, die von den Wellen der Weltmeere herrührt, Gezeitenkräfte, die
in halbtägigem Rhythmus die feste Erde deformieren, und die verschiedensten
zivilisationsbedingten Signale: etwa Schwingungen großer Maschinen in einigen 100
Kilometern Umkreis, Steinbruchsprengungen und gelegentlich auch die Explosionswellen eines
Kernwaffentests.
Für die globale Seismologie interessant sind Bodenbewegungen
mit Frequenzen, die sich an das untere Ende des menschlichen Hörbereichs anschließen:
von etwa 10 Hertz bis herab zu 0.3 Millihertz, also etwa einer Schwingung pro Stunde. Noch
langsamere Schwingungen haben nichts mit Erdbeben zu tun; schnellere werden zwar von
Erdbeben angeregt, aber vom Gestein absorbiert, bevor sie den Erdkörper durchquert haben.
Näher am Herd, bis zu einigen zehn Kilometern Abstand, können die Schwingungen des
Bodens auch hörbar sein und unmittelbar am Herd bis in den Ultraschallbereich gehen. Als
obere Grenzfrequenz einer seismographischen Registrierung sind heute 30 bis 50 Hertz
üblich. Allein unterhalb des Hörbereichs ist das Spektrum der seismischen Signale schon
wesentlich breiter als der Tonumfang unseres Gehörs (15 gegenüber 10 Oktaven).
Technisch gesehen liegt ziemlich genau fest, wie empfindlich
ein Seismograph sein kann. Der Erdboden ist nämlich nie ganz ruhig, er führt immer eine
schwache Zitterbewegung aus. Signale, die schwächer als dieses seismische
Hintergrundrauschen sind, kann auch ein noch so guter Seismograph nicht nachweisen. Die
Verhältnisse sind allerdings etwas komplizierter, als wir hier darstellen können: das
seismische Rauschen hat bei verschiedenen Frequenzen eine sehr unterschiedliche Stärke,
und es stören immer nur die Anteile, die gleich schnell schwingen wie das Nutzsignal.
Jedenfalls genügt es, wenn ein Seismograph bei allen interessierenden Frequenzen das
seismische Rauschen "auflöst", das heißt mit einer gewissen minimalen
Genauigkeit registriert. Es gibt allerdings noch keinen Seismographen, der dieser
Forderung vollständig gerecht wird.
Im wesentlichen sind es drei Konstruktionsmerkmale, die über
die Empfindlichkeit eines Seismographen entscheiden. Zunächst einmal muß er überhaupt
in der Lage sein, kleine Verschiebungen der seismischen Masse zu messen, er muß eine
ausreichende "Wegauflösung" haben. Das genügt aber noch nicht. Er muß auch
zulassen, daß sich beim Eintreffen eines seismischen Signals die Masse merkbar
verschiebt. Sie darf nur lose an ihre Ruhelage gebunden sein, sonst folgt sie der
Bodenbewegung und das Meßsignal verschwindet. Ganz ohne Bindung geht es allerdings auch
nicht, sonst macht sich die seismische Masse selbständig. Drittens muß die Masse
äußerst sorgfältig vor Störeinflüssen geschützt werden. Dem dienen unter anderem die
Abschirmungen, die wir oben erwähnt haben.
Die seismische Bodenunruhe
Die seismische Bodenunruhe setzt sich aus vielen teils
natürlichen, teils zivilisationsbedingten Signalen zusammen. Von den natürlichen das
auffälligste ist die sogenannte Meeres-Mikroseismik, die von den Meereswellen verursacht
wird (Abb.1) und sich über alle Kontinente ausbreitet. Sie liegt mit einer
Schwingungsperiode von typischerweise sechs Sekunden mitten im seismischen Frequenzband
und kann je nach Wetterlage Amplituden (Schwingungsweiten) bis zu einem hundertstel
Millimeter haben. Man könnte sie auch in Stuttgart mit einem Mikroskop sehen, wenn sich
dieses nicht mitbewegen würde. Die Meeresmikroseismik ist so stark und allgegenwärtig,
daß sie dem Seismologen als kostenloses Testsignal dient: ein Seismograph, der sie nicht
zeigt, ist vermutlich defekt.
Bei kürzeren und längeren Schwingungsperioden ist die
natürliche Bodenunruhe sehr viel kleiner und nicht so leicht nachweisbar. An den meisten
Standorten in Mitteleuropa ist sie außerdem von technischen Erschütterungen überdeckt
(Industrie, Verkehr, Baustellen). Aber da man sich für Seismographen die ruhigsten
Standorte aussucht, muß man sich bei ihrer Konstruktion an der minimalen Bodenunruhe
orientieren. Erstaunlicherweise findet man an günstigen Standorten weltweit annähernd
den gleichen Unruhepegel (Abb. 2). Bei 30 Hertz liegt er, als Verschiebung gemessen, bei
einem Milliardstel Millimeter, also etwa einem hundertstel Atomdurchmesser! So empfindlich
muß dann auch der Verschiebungsmesser im Seismometer sein. (Die Angaben gelten jeweils
für eine Frequenzbandbreite von einer Oktave.) Am anderen Ende des seismischen Spektrums,
bei Schwingungsdauern von einigen hundert Sekunden, bewegt sich der Boden um den
zehntausendsten Teil eines Millimeters. Das scheint vergleichsweise viel zu sein, ist aber
in Wirklichkeit noch schwieriger zu messen. Denn die Messung beruht ja auf den
Trägheitskräften der seismischen Masse, und die betragen bei den langsamen Schwingungen,
von denen hier die Rede ist, nur einige Billionstel der normalen Schwerkraft. Es ist nicht
leicht, alle Störkräfte so weit zu unterdrücken.
Zwei Meßprinzipien
Das Gerät, das wir anfangs erwähnt haben, ist ein
Inertialseismograph (Trägheitsseismograph). Nur über die Massenträgheit läßt sich
definieren, was die Begriffe "Ruhe" und "Bewegung" während eines
Erdbebens bedeuten. Stellen wir uns einen Eisenbahnwagen vor, der auf einer horizontalen
Schiene reibungslos rollen kann, aber zunächst ruhig steht. Plötzlich beginnt sich der
Boden in der Richtung der Schiene hin und her zu bewegen. Der Wagen wird die Bodenbewegung
nicht mitmachen, also in Ruhe bleiben; seine Räder werden sich aber drehen und einem auf
dem Boden stehenden Zuschauer käme es so vor, als ob der Wagen rollt. Beim Seismometer
gelten dieselben Überlegungen: wir messen eine Bewegung der seismischen Masse gegen das
bodenfeste Gestell, wissen aber, daß sich in Wirklichkeit der Boden in entgegengesetzter
Richtung bewegt haben muß.
Es gibt noch eine grundsätzlich andere Möglichkeit,
Erdbebenwellen zu beobachten, und zwar über die von ihnen erzeugten Deformationen. Eine
Erdbebebenwelle erschüttert den Untergrund nicht wie einen starren Körper, sondern sie
deformiert ihn. Zwar bewegen sich beim Durchgang der Welle benachbarte Teile des Bodens in
annähernd gleicher Weise, aber nicht gleichzeitig (bei Wasserwellen ist dies jedermann
geläufig). Dadurch ändert sich der Abstand zwischen zwei zum Beispiel fest im Fels
verankerten Bolzen, und indem man deren Abstand fortlaufend mißt, kann man ebenfalls
Erdbebenwellen nachweisen. Im Tiefbau werden ähnliche Geräte unter der Bezeichnung
Extensometer ingenieurmäßig eingesetzt, um Kriechvorgänge zu erfassen. In der
Seismologie heißen sie Strainseismographen, nach dem englischen Wort für Dehnung. Nur
bei ganz speziellen Meßaufgaben erreichen sie eine mit Inertialseismographen
vergleichbare Empfindlichkeit. Im folgenden soll nur noch von Inertialseismographen die
Rede sein.
Zeitmarken
Fast das Wichtigste an einem Seismogramm ist die genaue Zeit.
Die einzigen Ablesungen, die sich auch ohne Computerhilfe auswerten lassen, sind die
Ankunftszeiten und die Maximalausschläge der verschiedenen Wellenarten. Zum Beispiel
läßt sich die Lage eines Erdbebenherdes aus den unterschiedlichen Einsatzzeiten des
Signals an drei oder vier Stationen bestimmen; aus dem Maximalausschlag und der vorher
bestimmten Entfernung berechnet man die nach dem Seismologen Richter benannte
Nahbeben-Magnitude. Um die Zeit genau ablesen zu können, blendet man in
Sichtregistrierungen zu jeder vollen Minute einen kurzen Nadelausschlag ein; die Sekunden
und Zehntelsekunden müssen dann mit einem Maßstab interpoliert werden.
Die genaue Zeit ist heute überall auf der Welt per
Langwellensender auf die Hundertstelsekunde oder per Satellit auf die Mikrosekunde genau
zu empfangen. Früher gehörte zu jedem Observatorium eine Pendeluhr, die einmal am Tag
mit dem Telefon- oder Radiozeitzeichen verglichen wurde (in der ehemaligen Erdbebenwarte
Stuttgart-Hohenheim konnte man schon seit 1912 Zeitzeichen vom Eiffelturm oder
Norddeich-Radio empfangen). Im jetzigen Institut für Geophysik haben wir eine
Riefler-Pendeluhr aus dem Jahr 1938 mit einem Pendel aus Invar (einer
temperaturunempfindlichen Nickel-Eisen-Legierung) und einer Kompensation für den
luftdruckabhängigen Auftrieb der Pendelmasse. Sie geht noch heute auf eine Zehntelsekunde
am Tag genau. Die Seismographen sind allerdings schon seit dreißig Jahren an
funkgesteuerte Quarzuhren angeschlossen.
Die Aufhängung der seismischen Masse
Die Bewegungsmöglichkeiten der seismischen Masse werden, wie
im Beispiel des Eisenbahnwagens, meist von vorneherein auf eine einzige Bewegungslinie
eingeschränkt. Die reibungsfreie Führung einer Masse auf einer geraden Linie ist jedoch
vergleichsweise schwierig. Einfacher ist es, die Masse auf einem Kreisbogen zu führen,
dessen Achse durch zwei Kreuzbandgelenke festlegt ist. Es gibt aber auch Seismometer, in
denen sich die Masse in allen Richtungen bewegen kann.
In der Meßrichtung sollte die Masse möglichst leicht, im
Idealfall ohne mechanische Rückstellkraft, beweglich sein, damit man genügend große
Ausschläge bekommt. Andererseits darf man aber die Rückstellkraft nicht beliebig
verkleinern: sie muß jedem seismischen Signal und jeder möglichen Störung die Waage
halten können, sonst wandert die seismische Masse aus dem Meßbereich heraus. Die Kraft
muß außerdem genau bekannt und zeitlich stabil sein, sonst hat man allenfalls einen
Detektor, aber kein Meßinstrument. Hier liegt eine ernste Schwierigkeit: je kleiner man
die Kraft macht, also je empfindlicher das Seismometer, desto weniger gut beherrscht man
dessen Übertragungseigenschaften. Beide Ziele zu vereinen, schien lange Zeit unmöglich.
Moderne Seismometer entziehen sich diesem Dilemma dadurch, daß die Rückstellkraft
elektronisch anstatt mechanisch erzeugt wird. Wir werden das später in einem besonderen
Abschnitt besprechen.
Bei Horizontalseismometern ist es relativ einfach, die
mechanische Rückstellkraft klein zu halten: man muß die Masse nur exzentrisch an einer
fast senkrechten Drehachse befestigen, so daß sie sich in einer horizontalen Ebene bewegt
(Abb. 3). Für Vertikalseismometer muß man sich etwas mehr einfallen lassen, weil man bei
ihnen die Schwerkraft ausgleichen muß. Die eleganteste Lösung fand der amerikanische
Physiker LaCoste im Jahr 1934. Er konstruierte ein Federpendel, dessen Masse von einer auf
die Ruhelänge Null vorgespannten Feder in jeder Lage theoretisch exakt im Gleichgewicht
gehalten wird (Abb. 4). Zahlreiche Seismometer und Gravimeter (Meßgeräte für die
Schwerkraft) sind nach diesem Prinzip gebaut worden. Übrigens haben Garagen-Kipptore
einen vergleichbaren Mechanismus: in jeder Stellung trägt eine Feder den größten Teil
des Gewichts. In modernen Seismometern verwendet man oft eine einfachere Aufhängung nach
Abbildung 5 mit einer gebogenen Blattfeder, die sich in einem beschränkten Winkelbereich
ähnlich verhält wie LaCostes Konstruktion.
Je nach der Größe der Rückstellkraft (und damit der
mechanischen Schwingungsperiode der Masse) unterscheidet man zwischen
"kurzperiodischen" und "langperiodischen" Seismometern. Die längsten
Schwingungsperioden, die sich rein mechanisch realisieren ließen, lagen bei einer halben
Minute. Ein einfaches Federpendel oder Fadenpendel mit dieser Periode müßte 225 Meter
lang sein. Mit elektronisch gesteuerter Rückstellkraft erreicht man heute
Schwingungsperioden bis zu sechs Minuten, entsprechend einem Pendel von 32 Kilometern
Länge. Die Meßempfindlichkeit wird aber nach wie vor durch die mechanische Aufhängung
bestimmt; ein empfindliches Seismometer zu bauen ist immer noch in erster Linie ein
feinmechanisches Problem.
Der Verschiebungsmesser
Verschiebungen der seismischen Masse um hundertstel
Atomdurchmesser zu messen erscheint phantastisch (besonders wenn man sich die Rauheit
ihrer Oberfläche in diesem Maßstab vergegenwärtigt). Doch gibt es kein Naturgesetz, das
einen daran hindern würde, an einem genügend massiven Körper so kleine Verschiebungen
zu messen. Zum Beispiel kann man mit Laser-Interferometern noch um einige Zehnerpotenzen
genauer messen, als es hier nötig ist. Für Seismometer kommt dies aber wegen des
technischen Aufwands normalerweise nicht in Frage.
Am bequemsten weist man die Bewegung der seismischen Masse
mit einem elektrodynamischen Wandler nach, wie er auch in Mikrofonen und Lautsprechern
verwendet wird. An der Masse wird eine Kupferdrahtspule befestigt, die sich zwischen den
Polen eines ortsfesten Magneten befindet; oft besteht die Masse auch nur aus der Spule.
Sobald sich diese bewegt, wird im Draht eine elektrische Spannung induziert. Sie kann dann
elektronisch verstärkt und registriert werden. Nach diesem Prinzip arbeiten heute nur
noch kurzperiodische Seismometer und die sogenannten Geophone (Abb. 6), die in der
Explorationsseismik zu Hunderten gleichzeitig eingesetzt werden. Im langperiodischen
Bereich wird das Ausgangssignal der elektrodynamischen Wandler so schwach, daß man die
gewünschte Meßempfindlichkeit nicht ganz erreicht.
Will man auch langsame Bodenbewegungen messen, so ist es
günstiger, anstelle eines Geschwindigkeitsmessers einen Wegmesser zu verwenden. Von den
verschiedenen möglichen Methoden hat sich die differentielle kapazitive Abstandsmessung
am meisten bewährt. Im Prinzip vergleicht man dabei durch eine elektrische Messung die
Größe der beiden Luftspalte zwischen drei kleinen Metallplatten, von denen die mittlere
beweglich ist. Verschiebungen der mittleren Platte um ein Milliardstel des Abstands kann
man noch nachweisen (das entspricht etwa der Breite eines Haares im Vergleich zum
Ärmelkanal). Bei einem Plattenabstand von einigen zehntel Millimetern reicht das gerade
aus, um an sehr ruhigen Stationen die kurzperiodische Bodenunruhe aufzulösen.
Störkräfte
Temperatur, Luftdruck, Magnetfelder, Luftbewegungen im
Gehäuse, jede Art von Strahlung - sie alle können auf die seismische Masse und ihre
Aufhängung einwirken und Störsignale erzeugen. Einige Zahlenbeispiele: Die Federkraft
einer normalen Feder ändert sich um 0.03 Prozent pro Grad Temperaturänderung, spezielle
Legierungen sind konstant auf 0.001 Prozent; in einem Vertikalseismometer sollte sich aber
die Federkraft, wenn wir etwa eine periodische Änderung alle fünf Minuten annehmen,
höchstens um 0.000 000 001 Prozent ändern, also um sechs Größenordnungen weniger. Es
wäre hoffnungslos, eine absolute Temperaturkonstanz von einem Millionstel Grad
anzustreben, aber hier zählen nur periodische Änderungen, und die kann man durch
Isolation tatsächlich so klein halten.
Beispiel Luftdruck: Er ändert sich ständig innerhalb von
Minuten um einige Pascal. Das ändert den Auftrieb der seismischen Masse um 0.000 001
Prozent ihres Gewichts, drei Größenordnungen zuviel für ein empfindliches
Vertikalseismometer. Ein druckdichtes und womöglich noch evakuiertes Gehäuse schafft
Abhilfe, wenn es jedoch nicht gut konstruiert ist, reagiert es auf Luftdruckänderungen
mit Deformationen und erzeugt mehr Störsignale als vorher der Auftrieb.
Schließlich sei noch ein zwar winziges, aber unvermeidbares
Störsignal erwähnt: Die Brownsche Wärmebewegung der seismischen Masse. Sie wird
hauptsächlich vom Aufprall der Luftmoleküle verursacht. Im thermischen Gleichgewicht,
bei Abwesenheit jedes seismischen Signals, hat die seismische Masse im Mittel dieselbe
kinetische Energie wie ein Luftmolekül, nämlich E = kT/2 (k = Boltzmann-Konstante, T =
absolute Temperatur) in jeder Bewegungsrichtung. Die Bewegungsamplituden sind bei großen
Massen unmerkbar klein, aber schon bei Massen um 100 Gramm meßbar. Wenn ein kleines
Seismometer höchste Empfindlichkeit erreichen soll, muß man es evakuieren. Dadurch
verschwindet zwar die Wärmebewegung nicht, aber sie konzentriert sich auf die mechanische
Resonanzfrequenz der Aufhängung, wo sie nicht stört.
Registriertechnik
Wie die seismischen Signale schließlich zu Papier gebracht
werden, scheint auf den ersten Blick Nebensache zu sein. Tatsächlich war aber seit der
Erfindung des Seismographen vor 120 Jahren die Aufzeichnung der Signale das technische
Problem, das den Fortschritt am meisten behindert hat und immer wieder zu unangenehmen
Kompromissen zwang. Die seismischen Signale sind so, wie die Erde sie uns anbietet, für
eine Darstellung auf Papier einfach nicht geeignet.
Wir haben schon erwähnt, daß in verschiedenen Bereichen des
seismischen Frequenzbands Signale mit sehr unterschiedlicher Stärke auftreten können.
Die Meeresmikroseismik kann zum Beispiel tausendmal stärker sein als ein Erdbebensignal,
das man auswerten möchte. Im Prinzip ist das kein Hindernis, wenn sich die Signale in
ihrem Frequenzgehalt genügend unterscheiden; man kann sie dann mit Frequenzfiltern
trennen (Abb. 7). Sind die Signale aber erst einmal in sichtbarer Form registriert, ist es
zu spät. Das Auge kann die verschiedenen Beiträge nicht im nötigen Maß
auseinanderhalten.
Für die klassischen Seismographen mit direkter
Sichtregistrierung bedeutete das ein fast unlösbares Problem. Sie mußten, um eine
einigermaßen lesbare Aufzeichnung zu liefern, so abgestimmt werden, daß sie nur einen in
Frequenz und Amplitude eng begrenzten Bereich von Signalen verarbeiten konnten. Der genaue
zeitliche Verlauf der Bodenbewegung, wie man ihn etwa für eine Untersuchung des
Bruchvorgangs in einem Erdbebenherd kennen muß, war aus den Seismogrammen nur mühsam und
ungenau zu rekonstruieren. Verständlicherweise wurden die meisten Seismographen auf hohe
Empfindlichkeit getrimmt; auf stärkere Beben im Nahbereich waren die wenigsten
Observatorien gut vorbereitet. Die ehemals im Staatsministerium untergebrachte
Erdbebenwarte des Württembergischen Erdbebendienstes gehörte zu den löblichen
Ausnahmen. Es erfordert einiges Durchhaltevermögen, einen Seismographen auf Dauer mit so
geringer Vergrößerung zu betreiben, daß in seinen Registrierungen vielleicht einmal in
zehn oder zwanzig Jahren etwas zu sehen ist.
Auch die schon seit den sechziger Jahren mögliche
Magnetbandaufzeichnung, sei es in analoger oder digitaler Form, war lange Zeit nicht viel
besser als eine Papierregistrierung. In Deutschland gelang 1976 mit dem Aufbau des
Seismologischen Zentralobservatoriums in Erlangen unter Ausnutzung der damals
fortschrittlichsten Digitaltechnik ein Durchbruch. Erstmals konnten Signale über einen
relativ großen Ausschnitt des seismischen Frequenzbands gemeinsam aufgezeichnet und
nachträglich wieder problemlos getrennt werden. Zu jener Zeit mußte die junge
Digitaltechnik noch beweisen, daß sie ebensogute Seismogramme lieferte wie die besten
Papierregistrierungen. Heute werden Papierregistrierungen kaum noch ausgewertet; man
läßt sie nebenher mitlaufen, um Störungen zu erkennen und damit man Besuchern etwas
zeigen kann.
Ganz befriedigend gelöst wurde das Problem der seismischen
Registrierung erst vor zehn Jahren. Damals wurden speziell für die Bedürfnisse der
Seismologie Analog-Digital-Wandler mit 24 bit Auflösung entwickelt. Sie können noch
Signale auflösen, die von millionenfach stärkeren (bei einer anderen Frequenz)
überdeckt sind. Damit kann man nun ganz unproblematisch ohne Vorfilterung und ohne
automatische Verstärkungsanpassung die seismischen Signale so registrieren, wie sie aus
der Erde kommen. Natürlich muß auch das Seismometer dieser Aufgabe gewachsen sein; wir
werden die Funktionsweise moderner Breitbandseismometer noch erklären.
Ein einziger solcher Breitbandseismograph genügt, um nahezu
alle seismischen Signale zu erfassen, die überhaupt verwertbar sind, auch stark fühlbare
Erschütterungen. Nur für Signale in einer Stärke, die Schäden verursacht, braucht man
noch spezielle Seismographen. Bei der Auswertung holt jetzt der Computer nach, was früher
der Seismograph leisten mußte: er extrahiert aus dem Signalgemisch die interessierenden
Anteile und stellt sie in einem günstigen Maßstab graphisch dar. Das ist so, als könnte
sich jeder Seismologe noch nachträglich nach Belieben aussuchen, wie er den Seismographen
vor jedem einzelnen Erdbeben gerne eingestellt hätte. Erdbebenregistrierung ist dadurch
nicht nur einfacher und genauer, sondern auch sehr viel wirtschaftlicher geworden.
Geschichtliches
Das erste bekannte Instrument zum Nachweis von Erdbeben
ist der in eine große Vase eingebaute Erdbebenanzeiger des Chinesen Chang Heng aus dem
Jahr 132 n. Chr. (Abb. 8). Bei einem Beben sollte eine der acht in Drachenmäulern
gehaltenen Kugeln herabfallen und dem Erfinder die Richtung des Stoßes anzeigen. In
Europa waren Erdbebenanzeiger oder Seismoskope seit dem frühen 18. Jahrhundert in
Gebrauch. Sie trugen allerdings wenig zur Aufklärung des Phänomens Erdbeben bei. Als
Ursache von Beben vermutete man damals zumeist unterirdische Explosionen; die
Bodenbewegung müßte dann stoßartig und vom Herd weg gerichtet sein. Die Anzeige der
ohnehin viel zu wenigen und zu verschiedenartigen Seismoskope ergab jedoch nie ein klares
Bild. Nach 1880 zeigten dann die ersten Seismogramme, daß die Bodenbewegung einen sehr
komplizierten zeitlichen Verlauf hatte, mehrmals ihre Richtung wechselte und ihren
größten Ausschlag auch quer zur Ausbreitungsrichtung haben konnte.
Auch die nach 1856 weit verbreiteten
"elektromagnetischen Seismographen" des italienischen Erdbeben- und
Vulkanforschers Luigi Palmieri waren Stoßanzeiger. Sie enthielten verschiedene
metallische Pendel, die bei der geringsten Erschütterung einen elektrischen Stromkreis
schlossen. Dadurch wurde über Elektromagnete eine Uhr angehalten, die dann die Zeit des
Bebens anzeigte, und eine Art Morseschreiber wurde gestartet, der weitere Kontaktschlüsse
aufzeichnete (Abb. 9 und 10). Die Geräte waren offenbar recht empfindlich und dienten
noch nach der Jahrhundertwende dazu, die Registriereinrichtung von moderneren
Seismographen zu starten. Palmieris Originalgeräte sind in der Sammlung des
Vesuvobservatoriums erhalten.
Als Konstrukteur des ersten Seismographen im modernen
Wortsinn (also eines Geräts, das getreu den zeitlichen Verlauf der Bodenbewegung
aufzeichnet) gilt der Italiener Cecchi. Sein Gerät wurde 1875 in Betrieb genommen, war
aber so unempfindlich, daß es erst zwölf Jahre später sein erstes Erdbeben
registrierte. So fiel die Ehre, das erste Seismogramm aufgezeichnet zu haben, 1880 an eine
Gruppe englischer Gastwissenschaftler um John Milne in Japan. Da die Empfindlichkeit der
Seismographen durch mechanische Reibung begrenzt war, konnten Beben damals nur in
Herdnähe beobachtet werden. Registriert wurde auf berußte, rotierende Glasscheiben,
später auch auf berußtes Papier und photographisch.
Die erste Registrierung eines Fernbebens war ein glücklicher
Zufall. Ernst von Rebeur-Paschwitz hatte 1889 photographisch registrierende
Horizontalpendel an Fernrohrsockeln in Potsdam und Wilhelmshaven angebracht, um deren
Neigung zu überwachen. Eine an beiden Stationen gleichzeitig aufgetretene
"Störung" fand ihre überraschende Erklärung, als er in der Zeitschrift
"Nature" einen Bericht über ein schweres Erdbeben in Japan las. Diese
Entdeckung wird heute als die Geburtsstunde der globalen Seismologie betrachtet. Abbildung
11 zeigt das wohl berühmteste Seismogramm der Welt.
In den folgenden zwanzig Jahren nahm die Seismologie sowohl
im theoretischen Verständnis wie auch in der instrumentellen Ausstattung einen
dramatischen Aufschwung. Um 1910 waren im wesentlichen alle Seismographen entwickelt, die
dann mit graduellen Verbesserungen bis in die zweite Jahrhunderthälfte hinein ihren
Dienst versehen sollten. Erst die Halbleiterelektronik löste wieder eine Erneuerungswelle
in der Instrumentierung aus, deren Ausklingen wir jetzt zu erleben scheinen.
Mechanische Seismographen
Als früher Vertreter des mechanischen Seismographentyps sei
hier in Abbildung 12 der Horizontalseismograph nach Omori-Bosch vorgestellt, der 1905 in
der Erdbebenstation Stuttgart-Hohenheim aufgestellt wurde. Er war vom japanischen
Seismologen Omori entwickelt, vom Straßburger Feinmechaniker Bosch vervollkommnet und in
Stuttgart von der Firma Tesdorpf nachgebaut worden. Man erkennt dicht vor dem dunklen
gemauerten Sockel die seismische Masse von 50 Kilogramm in Form eines schlanken vertikalen
Zylinders, an dem nachträglich noch Zusatzmassen angebracht wurden. Die senkrechte
Drehachse ist durch Spanndrähte festgelegt (im Bild nicht sichtbar) und fällt etwa mit
der wandseitigen Mantellinie des Zylinders zusammen. Die Bodenbewegung wird ohne
Hebelübersetzung, allein durch den langen Schaft der Schreibnadel, dreißig- bis
fünfzigfach vergrößert. Links vorne sieht man die von einem Uhrwerk angetriebene
Registriertrommel, auf die ein berußtes Papier aufgespannt ist.
Die helle, rechts neben der Masse hängende Trommel enthält
einen Kolben, dessen Luftwiderstand die Eigenschwingungen des Pendels dämpft. Von diesem
Seismographen gibt es noch einige Originalseismogramme im Archiv des Instituts für
Geophysik (Abb. 13).
Aus der gleichen Zeit (1902) stammt das guterhaltene
Vertikalpendel von Cancani im Vesuvobservatorium (Abb. 14). Man erkennt die Hebel, mit
denen die Bewegung der Masse vergrößert auf die Schreibnadel übertragen wird, und ganz
rechts unten Reste eines Öldämpfers. Die Rußregistrierung (Abb. 15) zeigt ein Erdbeben
und eine große Zahl vulkanischer Schocks, deren Entstehungsweise bis heute nicht geklärt
ist, obwohl man sie an vielen aktiven Vulkanen beobachtet.
Das größte Problem aller mechanischen Seismographen war die
Reibung der Schreibnadel auf dem Papier. Um sie zu überwinden, mußte man bei steigender
Vergrößerung immer größere Massen verwenden. Der Nachfolger des
Omori-Bosch-Seismographen, das 1913 aufgestellte Kegelpendel nach Mainka, hatte bei
200facher Vergrößerung bereits eine Masse von 450 Kilogramm. Dessen 1937 installierter
Nachfolger vom Wiechertschen Typ brachte es dann mit einer Masse von 17 Tonnen auf eine
Vergrößerung von 1200. Danach starb diese Entwicklungslinie aus - auch unter den
Seismographen gab es Dinosaurier.
Bei Vertikalseismographen, deren Masse ja an einer Feder
aufgehängt werden muß, hatte man damals ständig mit der Temperaturempfindlichkeit des
Federstahls zu kämpfen. Schon bei geringen Temperaturerhöhungen ließ die Federkraft
nach, die Masse senkte sich, die Schreibnadel wanderte aus ihrer Mittellage aus und die
Registrierspuren liefen durcheinander. Der Göttinger Seismologe Emil Wiechert
konstruierte um 1910 den ersten einigermaßen temperaturstabilen Vertikalseismographen,
bei dem sich die Feder auf Zinkstäbe abstützte, durch deren Wärmeausdehnung sie
nachgespannt wurde. Seine Seismographen wurden weltweiter Standard. Abbildung 16 zeigt
einen kurzperiodischen Dreikomponenten-Seismographen von Wiechert und Mintrop (dem
Begründer der seismischen Lagerstättenerkundung), der durch Hebelübersetzungen und
Lichtzeiger die Bodenbewegung bis zu 16000fach vergrößern konnte.
Jedes moderne Seismometer besitzt eine solche Lageregelung,
natürlich nicht mit Wasseranschluß, sondern mit einem elektronisch gesteuerten
Kraftgeber.
Der wohl raffinierteste und leistungsfähigste mechanische
Seismograph, der je gebaut wurde, war der "Universalseismograph", den A. de
Quervain und Auguste Piccard (der bekannte Stratosphärenforscher) 1922 in der eigens
dafür gebauten Zürcher Erdbebenwarte aufstellten (Abb. 17). Eine Masse von 21 Tonnen war
in allen drei Raumrichtungen beweglich an Schraubenfedern aufgehängt. Ihre Ausschläge
wurden im Schwerpunkt abgegriffen und für jede Bewegungsrichtung (Nord-Süd, Ost-West und
vertikal) über eine dreifache Hebelübersetzung zweitausendmal vergrößert. Die Mechanik
war so präzise und spielfrei gearbeitet, daß noch Bodenbewegungen von einem
zehntausendstel Millimeter erkennbar waren. Schon damals machte den Erbauern die ständig
zunehmende Bodenunruhe zu schaffen.
Besonders elegant und zukunftsweisend war das Problem der
Temperaturempfindlichkeit gelöst, nämlich mit einer automatischen Regeleinrichtung. Je
nach der Lage der vertikalen Schreibnadel wurde mit einer elektrischen Steuerung jede
Minute eine kleine Menge Wasser vorsichtig in einen auf der Masse stehenden Behälter
eingeleitet oder aus ihm entnommen. Insgesamt konnten über 80 Kilogramm Wasser
eingebracht werden; so viel war nötig, um die Änderung der Federkraft zwischen Sommer
und Winter auszugleichen.
Ein skurriles Detail soll noch erwähnt werden: die Herkunft
der seismischen Masse. Sie bestand aus rund 800 Stahlklötzen, die das Schweizer Militär
ursprünglich zur Herstellung von Granaten beschafft hatte. Das Material wurde den
Wissenschaftlern leihweise überlassen mit der Auflage, es im Kriegsfall binnen 48 Stunden
zurückzuerstatten - im Jahr 1922 doch eine bemerkenswerte Vorsichtsmaßnahme. Mit der
lateinischen Inschrift "Et conflabunt gladios in vomeres" (Und sie werden
Schwerter zu Pflugscharen schmieden), die in der Abbildung zu sehen ist, weihten De
Quervain und Piccard die Eisenmasse der Wissenschaft. Sie wurde nie zurückverlangt.
Der elektrodynamische Seismograph
Einer der prominentesten Seismologen zu Beginn dieses
Jahrhunderts war der russische Fürst Galitzin, dessen ausgezeichnete "Vorlesungen
über Seismometrie" 1912 in russischer und deutscher Sprache gedruckt wurden. Er
erfand 1904 den elektrodynamischen Seismographen (Abb. 18), der sich zunächst nicht gegen
die mechanischen Seismographen durchsetzen konnte, dann aber nach einigen Verbesserungen
zum vorherrschenden Seismographentyp wurde und diese Stellung bis etwa 1970 behauptete.
In Galitzins Seismograph ist die seismische Masse mit einem
elektrodynamischen Wandler verbunden, wie wir ihn oben beschrieben haben. Bei einer
Bewegung gibt der Wandler ein elektrisches Signal ab, das mit einem Spiegelgalvanometer
(einem empfindlichen Strommeßgerät mit Lichtzeiger) photographisch registriert wird. Die
Nadelreibung, der größte Feind des mechanischen Seismographen, wird dadurch eliminiert.
Der Wandler ist nur für die Bewegung der Masse empfindlich, nicht für deren Lage; daher
spielt die Temperatur eine viel geringere Rolle als beim mechanischen Seismographen.
Allerdings hing aufgrund der Federgeometrie die Meßempfindlichkeit noch von der Lage der
Masse und somit von der Temperatur ab, ein Problem, das erst nach 1930 durch LaCostes
Erfindung und die Entwicklung temperaturunempfindlicher Federlegierungen gelöst wurde.
Obwohl das elektrische Ausgangssignal des Seismometers zu
Galitzins Zeit nicht verstärkt werden konnte, eröffnete das elektrodynamische
Meßprinzip erstmals die Möglichkeit, mit einer relativ kleinen seismischen Masse (10 bis
20 Kilogramm) eine hohe Vergrößerung zu erzielen. Später konnte man anstelle des
Lichtzeigergalvanometers auch andere Registriereinrichtungen an ein elektrodynamisches
Seismometer anschließen und die Seismometer noch kleiner machen. Wenn es aber auf
höchste Empfindlichkeit ankam, blieb das Galvanometer bis weit ins elektronische
Zeitalter hinein unersetzlich. Galvanometer sind im physikalischen Sinn fast ideale
(rauschfreie und lineare) Meßgeräte für kleinste elektrische Signale. Mit ihnen konnten
elektronische Verstärker wegen ihres Funkelrauschens und ihrer nichtlinearen Verzerrungen
lange Zeit nicht konkurrieren.
Moderne Seismographen
Was wir bisher als Wirkungsweise eines Seismometers
geschildert haben, läuft darauf hinaus, daß die Bodenbewegung zunächst in eine
Relativbewegung zwischen der seismischen Masse und dem Gestell des Seismographen umgesetzt
und diese Bewegung dann gemessen wird. Ein genaues Abbild der Bodenbewegung werden wir nur
dann erhalten, wenn beide Schritte entsprechend genau sind. Nun haben wir oben schon
erwähnt, daß sich die beiden Forderungen widersprechen: es ist außerordentlich
schwierig, die Rückstellkraft gleichzeitig sehr klein und ausreichend stabil zu machen.
Daß man das Dilemma durch die Einführung einer starken,
elektromagnetisch erzeugten Rückstellkraft vollkommen auflösen kann, ist zunächst
überraschend. Der Grundgedanke dabei ist, anstatt der Verschiebung die Trägheitskraft
der seismischen Masse zu messen, die dann entsteht, wenn die Masse mit der Bodenbewegung
mitgeführt wird. Zwar kann man keine Kraft messen, ohne auch eine Verschiebung
zuzulassen; aber die Verschiebung kann im Prinzip beliebig klein gehalten werden. Genau zu
verstehen ist das neue Meßprinzip nur anhand einiger Formeln, die wir aber dem Leser
nicht zumuten wollen. Für eine anschauliche Erklärung erlauben wir uns ein
Gedankenexperiment mit dem großen Zürcher Seismographen:
Wir stellen uns vor, wir könnten die automatische
Lageregelung so einrichten, daß sie nicht jede Minute einmal, sondern kontinuierlich die
Lage der Schreibnadel prüft und die seismische Masse durch eine passende Wasserzugabe
wieder in ihre Mittellage bringt. Die Nadel würde dann überhaupt nicht mehr nennenswert
ausschlagen und die Masse müßte sich exakt mit dem Boden mitbewegen. Dazu muß die
Regelung eine Antriebskraft liefern, die genau der Bodenbeschleunigung entspricht; das
Gewicht der Wassermenge im Ausgleichsbehälter wird sich also ständig der
Bodenbeschleunigung anpassen. Um das seismische Signal zu sehen, müßten wir anstelle des
Nadelausschlags den Wasserstand im Ausgleichsbehälter registrieren.
Überlegen wir uns nun, welche Eigenschaften der so
modifizierte Seismograph hat. Er ist in einigen Punkten wesentlich verbessert:
1. Er kann theoretisch beliebig starke Signale messen, wenn
nur genug Wasser da ist. Jedenfalls ist er nicht mehr durch den mechanischen
Bewegungsspielraum der Nadel begrenzt, die ja jetzt nur noch so weit ausschlägt, wie
nötig ist, um den Regelmechanismus zu aktivieren.
2. Auf Feinheiten der mechanischen Konstruktion kommt es
überhaupt nicht mehr an. Die Wassermenge im Ausgleichsbehälter entspricht, wie schon
gesagt, immer der momentanen Bodenbeschleunigung. Ob die Hebelübersetzung 1000mal oder
2000mal vergrößert oder vielleicht gar keine konstante Vergrößerung hat, ist für das
Meßresultat ziemlich belanglos.
3. Die Nachweisempfindlichkeit für kleine Bodenbewegungen
ist trotz des größeren Meßbereichs noch dieselbe wie vorher. Eine Bodenbewegung, die
vor der Modifikation einen meßbaren Nadelausschlag erzeugt hätte, wird jetzt durch eine
Änderung der Wassermenge ausgeregelt. Wir werden also jedes Signal, das vorher auf dem
Papier sichtbar war, im Wasserstand wiederfinden. Da wir diesen elektrisch steuern,
können wir anstelle des Wasserstandes auch einfach das Steuersignal aufzeichnen.
Natürlich haben wir bei diesem Gedankenexperiment einige
technische Schwierigkeiten ignoriert, und es ist viel einfacher, das ganze Regelsystem
elektrisch statt hydraulisch aufzubauen. Wir reduzieren also zunächst die seismische
Masse auf einige zehn oder hundert Gramm, ersetzen den Schreibzeiger samt
Hebelübersetzung durch einen berührungsfreien elektronischen Wegmesser und den
Wasserbehälter durch einen elektrodynamischen Wandler, mit dem man ja auch (wie beim
Lautsprecher) einen elektrischen Strom in eine Kraft umsetzen kann. Der Regelkreis stellt
den Spulenstrom so ein, daß er der Beschleunigung des ganzen Geräts proportional ist.
Solche Systeme (mit einer seismischen Masse von wenigen Gramm) heißen Akzelerometer und
werden zum Beispiel zur Trägheitsnavigation und als technische Erschütterungsmesser
verwendet.
Für eine empfindliche seismische Registrierung sind
Akzelerometer weniger geeignet, man müßte dazu ihre Empfindlichkeit noch um fünf
Größenordnungen erhöhen. Allerdings würden sie dann zu leicht durch starke Erdbeben
oder technische Erschütterungen übersteuert. Abhilfe ist jedoch schnell zur Hand:
anstatt den Strom, der den Kraftgeber steuert, direkt aufzuzeichnen, lassen wir ihn
zunächst einen elektrischen Kondensator aufladen. Die entstehende Spannung ist dann der
Geschwindigkeit der Bodenbewegung proportional (also bei hohen Frequenzen relativ kleiner)
und läßt sich sehr viel leichter weiterverarbeiten als der Strom. Auf diese Weise
erhalten wir einen Breitbandseismographen, der weitgehend immun gegen Übersteuerung ist.
Obwohl weltweit viele hundert Seismographen dieser Art in Betrieb sind, kommt es äußerst
selten vor, daß eines der Geräte ein starkes Erdbeben nicht - im eigentlichen Wortsinn -
"verkraftet".
Abbildung 19 zeigt den mechanischen Teil eines vom Verfasser
zusammen mit G. Streckeisen 1976 an der ETH Zürich entwickelten
Breitband-Vertikalseismometers. Im Vergleich zu einem mechanischen Seismographen (etwa aus
Abb. 16) mutet das Pendel geradezu primitiv an, und man hätte es, abgesehen vom
Federmaterial, wohl auch schon vor hundert Jahren herstellen können. Tatsächlich werden
heute an die Mechanik geringere Anforderungen gestellt als früher; gerade darin drückt
sich die technische Überlegenheit des elektronischen Regelsystems aus. Wesentlich
aufwendiger geworden ist dagegen die Abschirmung des Sensors gegen Temperaturschwankungen,
Luftdruck und Magnetfelder. Dafür kann das moderne Gerät dann auch zehntausendmal
kleinere Signale wahrnehmen als der Zürcher 21-Tonnen-Seismograph.
Ein Seismogrammbeispiel
Das Resultat aller Bemühungen um die
Seismographenkonstruktion, das Seismogramm, ist bisher etwas zu kurz gekommen. Abbildung
20 zeigt das in Zürich mit dem Prototyp des Blattfederseismometers aufgenommene
Seismogramm eines kalifornischen Erdbebens. Es ist ein langperiodisch gefiltertes
Seismogramm, enthält nur langsame Schwingungen von mindestens 30 Sekunden Dauer und ist
dadurch einigermaßen übersichtlich. Die Marke H am linken Rand bezeichnet die Herdzeit,
also den zeitlichen Ursprung der Erdbebenwellen. Der Seismograph in Zürich reagiert erst
13 Minuten später mit einem kleinen Auschlag (P); so lange brauchen die schnellsten,
longitudinalen Erdbebenwellen für ihren Weg durch den Erdmantel, in den sie etwa 2500
Kilometer tief eindringen. Etwas später (PP) kommen Wellen, die nicht so steil abgetaucht
und auf halbem Weg an der Erdoberfläche wieder nach unten reflektiert worden sind (Abb.
20, Ausschnitt aus Originalabbildung). Dann wird es etwas ruhiger, bis die transversalen
S-Wellen eintreffen, deren Geschwindigkeit im Erdmantel etwa 58 Prozent von derjenigen der
P-Wellen beträgt. Auch von dieser Wellenart gibt es Nachzügler, die an der
Erdoberfläche reflektiert worden sind. Alle bisher besprochenen Wellenarten erreichen das
Seismometer von unten aus dem Erdmantel, es sind Raumwellen.
Im folgenden Teil des Seismogramms dominieren die
Oberflächenwellen, die sich ähnlich wie Wellen auf dem Wasser entlang der Erdoberfläche
ausbreiten. R1 bezeichnet die nach Lord Rayleigh benannte Oberflächenwelle, die sichtbar
dispergiert ist (die längeren Wellen kommen früher an als die kürzeren). An die
Rayleighwelle schließt sich die sogenannte Coda an, die aus gestreuten Oberflächenwellen
besteht. Selbstverständlich setzen die Oberflächenwellen, nachdem der Seismograph sie
registriert hat, ihre Reise um die Erde fort. Nach drei Stunden kommt der Wellenzug R1,
der nun R3 heißt, stark gedämpft ein zweites Mal am Seismographen vorbei; in der
Originalregistrierung ist noch ein weiterer Durchgang R5 sichtbar. Dazwischen erkennt man
die Wellenzüge R2 und R4 und andeutungsweise R6, die die Erde in entgegengesetzter
Richtung umrundet haben. Das alles ist aber nur ein kleiner Teil der Signale, die von
einem Erdbeben angeregt werden. Nach starken Beben schwingt die Erde etwa eine Woche lang
wie eine angeschlagene Glocke, bis die Ausschläge unter die Nachweisgrenze abgeklungen
sind.
In jedem Seismogramm steckt vielfältige Information sowohl
über den Bebenherd als auch über die Struktur des ganzen Erdkörpers. Nur ein ganz
kleiner Teil davon ist in dieser stark geglätteten Abspielung zu sehen. Es ist aber
derjenige Teil, den wir mit unseren gegenwärtigen Kenntnissen vom Aufbau des Erdkörpers
einigermaßen verstehen können. Seismogramme wie das hier gezeigte können wir, bis auf
die Coda, mit einem Computermodell des Erdkörpers Schwingung für Schwingung nachrechnen.
Die Übereinstimmung ist nicht perfekt, aber doch so gut, daß man sicher sein kann, nicht
mehr allzuweit vom "richtigen" Erdmodell entfernt zu sein. In einem
kurzperiodischen Seismogramm sind dagegen normalerweise nur die kurzen Zeitabschnitte, in
denen der Einsatz einer Raumwelle sichtbar ist, quantitativ modellierbar; die übrige im
Seismogramm enthaltene Information verstehen wir noch nicht zu lesen.
Das Konzept der offenen Seismographenstation
Der Versand von Originalseismogrammen an auswärtige Kollegen
war früher eine lästige Ehrenpflicht (noch lästiger war es, die ausgeliehenen
Registrierbögen von vergeßlichen Kollegen zurückzufordern). Der Trockenkopierer hat
zwar dieses Problem entschärft, aber erst die Digitaltechnik ermöglicht es, Daten ohne
Qualitätsverlust zu kopieren und fast ohne Arbeitsaufwand auszutauschen. Seismologen
haben schon lange vor dem Internet die sich entwickelnden Kommunikationsmöglichkeiten
genutzt. Weltweit können viele der neueren Seismographenstationen von jedem fachkundigen
Benutzer direkt über ein Datennetz angewählt und abgefragt werden. Auch die Computer der
seismologischen Datenzentren übermitteln archivierte Daten auf eine standardisierte
Anfrage hin ohne Mitwirkung eines Operateurs. Nur wenn es sich um sehr große Datenmengen
handelt, muß noch ein Band oder eine Compact-Disc bespielt und per Post verschickt
werden. Der automatisierte, schnelle Zugriff auf aktuelle Daten wird auch bei der
seismologischen Überwachung eines Atomwaffen-Teststoppabkommens eine wichtige Rolle
spielen, da er kaum die Möglichkeit zu Manipulationen läßt.
Ein Schulseismograph
Immer wieder taucht der Wunsch auf, Schulen oder
interessierten Laien den Betrieb eines Seismographen zu ermöglichen. Angesichts der
geringen Erdbebentätigkeit in unserem eigenen Land ist vor allem die Aufzeichnung von
Fernbeben interessant. Das größte Hindernis ist dabei nicht etwa der Bau eines genügend
empfindlichen Seismometers, sondern die Aufzeichnung. Wenn man nicht über einen
speziellen Erdbebenschreiber verfügt, der die Signale auf ein umlaufendes Band aus
gewöhnlichem Papier schreibt, dann wird die Dauerregistrierung schnell zu kostspielig.
Als Alternative bietet sich jetzt die digitale Datenerfassung
mit einem Tischrechner (PC) an. Die nötigen Analog-Digital-Wandlerzusätze sind preiswert
zu haben, allerdings kommt auf den zukünftigen Hobbyseismologen vorerst noch einige
Programmierarbeit zu, bevor er sein erstes Seismogramm auf dem Bildschirm sieht. Aber auch
an einer geeigneten Public-Domain-Software wird zumindest in den USA gearbeitet. Dort
besteht der Plan, eine große Anzahl von Schulen mit einfachen Seismographen auszustatten,
die einerseits dem Unterricht dienen, andererseits auch das Netz der bestehenden
Seismographenstationen wesentlich verdichten sollen.
Daß der Selbstbau eines richtigen Seismographen kein
Hexenwerk ist, haben kürzlich Schüler eines Physik-Leistungskurses am St.
Michaels-Gymnasium in Monschau gezeigt. Für den Bau einer kompletten digitalen
Seismographenstation mit Fernabfrage erhielten sie 1996 im Bundeswettbewerb "Jugend
forscht" den zweiten Preis (Abb. 21). Die Konstruktionszeichnung ihres
langperiodischen Horizontalseismometers ist in Abbildung 22 wiedergegeben. Das
Ausgangssignal wird elektronisch verstärkt, tiefpaßgefiltert, mit einer käuflichen
AD-Wandlereinheit digitalisiert und in einem älteren PC gespeichert, alles mit preiswert
erhältlichen oder schon vorhanden gewesenen Bauteilen. Der selbstgebaute Seismograph ist
in seiner Leistung mit den bis vor 20 Jahren weltweit eingesetzten Standardseismographen
vergleichbar, also durchaus für wissenschaftliche Untersuchungen geeignet. Solche
Schulseismographen könnten, wenn sie in größerer Zahl und in einheitlicher technischer
Ausstattung vorhanden wären, auch das in Deutschland bestehende Seismographennetz in sehr
nützlicher Weise ergänzen.
Der Autor
Prof. Dr. rer. nat. Erhard Wielandt, Jahrgang 1940, studierte
Physik in Tübingen und Berlin und erhielt 1964 sein Diplom. Anschließend war er vier
Jahre in einer Elektronikfirma in Tübingen tätig, die geophysikalische Meßgeräte
herstellte. 1968 ging er an das Geophysikalische Institut der Universität Karlsruhe, wo
er 1972 promovierte. Nach der Promotion war Erhard Wielandt wissenschaftlicher
Angestellter am Institut für Geophysik der ETH Zürich und erhielt 1988 einen Ruf auf den
Lehrstuhl für Geophysik an der Universität Stuttgart. Seine Arbeitsgebiete:
Seismometerkonstruktion, Probleme der Wellenausbreitung und der Signalverarbeitung.
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