kbj.gif (904 Byte) Wechselwirkungen
Jahrbuch 1996
Universität Stuttgart
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Alfred Voß:
Energie und Klima - Wirtschaftsverträglicher Klimaschutz, die Quadratur des Kreises?
 

1. Klimaschutz - Die Problemdimension

Die Vermeidung nicht tolerierbarer Klimaveränderungen und die Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland sowie die Schaffung ausreichender Arbeit stellen zentrale Herausforderungen dar, denen wir an der Schwelle zum dritten Jahrtausend gegenüberstehen. Diese Herausforderungen haben einen direkten Bezug zur Energieversorgung,

-    da der überwiegende Teil der anthropogenen Treibhausgasemissionen aus der Energieversorgung stammt und

-    da die Sicherung des Wirtschaftsstandortes und die Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze in einem stärker werdenden internationalen Wettbewerb ohne eine leistungsfähige Energieinfrastruktur und wettbewerbsfähige Energiepreise nicht gelingen wird.

Der Intergovernmental Panel on Climate Change hat in seinem Anfang 1996 erschienenen zweiten Bericht über den gegenwärtigen Wissensstand zur Klimabeeinflussung festgestellt, daß sich das Klima in den letzten hundert Jahren verändert hat [1]. Die globale mittlere Temperatur ist um 0,3 bis 0,6 °C und der Meeresspiegel zwischen 10 und 25 cm angestiegen. Die letzten zehn Jahre waren die wärmsten seit 1860. Er kommt zu der Schlußfolgerung, daß es bei Bewertung aller Kenntnisse einen erkennbaren menschlichen Einfluß auf das Klima gibt. Es sei unwahrscheinlich, daß die signifikanten Änderungen wichtiger Klimaparameter ausschließlich natürlichen Ursprungs sind.

Diese Feststellungen sollen hier nicht hinterfragt werden, sondern es wird davon ausgegangen, daß ein Handlungsbedarf besteht, um nicht tolerierbare Klimaveränderungen mit ihren weitreichenden Konsequenzen zu vermeiden.

In der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, die im März 1994 in Kraft trat, sind, außer der Verpflichtung der Industrieländer, ihre Treibhausgasemissionen bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf das Niveau von 1990 zurückzufahren, zwar keine weiteren Reduktionsziele und -pflichten genannt, dennoch enthält die Klimarahmenkonvention durchaus klar formulierte quantitative Ziele. Erreicht werden soll eine Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf einem Niveau, das eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems ausschließt. Ein solches Niveau soll dabei innerhalb eines Zeitraumes erreicht werden, der ausreicht, damit sich die Ökosysteme auf natürliche Weise den Klimaänderungen anpassen können, die Nahrungsmittelerzeugung nicht bedroht wird und die wirtschaftliche Entwicklung auf nachhaltige Weise fortgeführt werden kann.

Nach Aussagen von Klimatologen verlangt die Forderung nach Stabilisierung des Konzentrationsniveaus der Treibhausgase, die gegenwärtigen Emissionen zum Beispiel von CO2 weltweit um über 50 Prozent zu verringern. Eine derartige Reduktion der globalen CO2Emissionen beziehungsweise die damit verbundenen Einschränkungen des Verbrauchs fossiler Energieträger sind dabei vor dem Hintergrund zu sehen, daß nahezu alle Energieprognosen von einem weiteren Anstieg des weltweiten Verbrauchs an fossilen Energieträgern ausgehen.

Was aber bedeuten diese globalen Minderungsziele für die einzelnen Staaten? Welche Treibhausgasemissionsminderungen resultieren daraus für die Bundesrepublik, damit sie ihren Beitrag zur Erreichung der globalen Ziele leistet?

Einen allgemein akzeptierten Schlüssel zur Ableitung nationaler Treibhausgasminderungsziele gibt es bisher nicht. Angesichts des Faktums, daß die energiebedingte Freisetzung von Treibhausgasen in der Vergangenheit nahezu ausschließlich durch die Industrieländer erfolgt ist, die auch heute noch für rund 75 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sind, werden sie den Hauptbeitrag zur Minderung der Treibhausgasemissionen leisten müssen.

Eine erste Orientierung über die Größenordnung der CO2-Reduktion in unserem Land zur Erreichung der zuvor genannten globalen Minderungsziele mag die folgende einfache Überlegung geben. Um die Ziele der Klimarahmenkonvention zu erreichen, müßten die weltweiten energiebedingten CO2-Emissionen von rund 22 Milliarden Tonnen pro Jahr auf rund zehn Milliarden Tonnen pro Jahr bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts reduziert werden. Bei rund zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050 würden diese Minderungsziele bedeuten, daß im Weltdurchschnitt jeder Erdenbürger dann eine Tonne CO2 pro Jahr durch die Nutzung fossiler Energieträger freisetzen dürfte.

In der Bundesrepublik Deutschland betragen die CO2-Emissionen je Einwohner derzeit rund elf Tonnen pro Jahr. Gleiches Emissionsrecht vorausgesetzt, müßten wir also unsere CO2-Emissionen bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts um mehr als 90 Prozent reduzieren. Diese Zahlen mögen zum einen die Dimension der notwendigen Umstrukturierung unserer vornehmlich auf fossilen Energieträgern beruhenden Energieversorgung zur Erreichung eines klimaverträglichen Energiesystems umreißen und zum anderen andeuten, mit welchen Reduktionsforderungen an die Industrieländer, zum Beispiel von seiten der Entwicklungsländer, im Rahmen der internationalen Verhandlungen zur Festlegung von verbindlichen Reduktionspflichten für die einzelnen Länder zu rechnen ist.

Die Zielvorgaben der Bundesregierung und der Enquete-Kommission "Schutz der Erdatmosphäre" des Deutschen Bundestages einer Reduktion der CO2-Emission um 25 Prozent bis zum Jahr 2005 beziehungsweise um 50 Prozent bis zum Jahr 2020 sind vor diesem Hintergrund wohl nicht ausreichend, um die globalen Minderungsziele zu erreichen.

Alle Anstrengungen, die Freisetzung von klimarelevanten Spurengasen auf ein klimaverträgliches Maß zurückzuführen, sind, wegen der globalen Natur des Problems, auf ein gleichgerichtetes Handeln aller Staaten angewiesen. Dieses wird wohl nur zu erreichen sein, wenn die Lasten gerecht verteilt und so gering wie möglich sind, damit nicht nur die Industriegesellschaften, sondern insbesondere auch die Länder der Dritten Welt auch ihre anderen, ihnen derzeit viel wichtigeren Ziele, wie die Überwindung von Hunger und Armut beziehungsweise die Schaffung von ausreichender Arbeit, erreichen können.

Aus diesem Grund gewinnen kosteneffiziente CO2-Reduktionsmaßnahmen ihre große Bedeutung. Eine weltweite klimaverträgliche Rückführung der energiebedingten Treibhausgasemissionen wird wohl nur erreicht werden können, wenn kosteneffiziente Alternativen zu den fossilen Energieträgern verfügbar sind und wenn die begrenzten Aufwendungen für Klimaschutzmaßnahmen streng nach dem ökonomischen Prinzip verwendet werden, mit jeder aufgewendeten Mark eine möglichst hohe Treibhausgasminderung zu erreichen.

Dies gilt natürlich auch für unsere nationale Klimaschutzpolitik, soll sie im vermeintlichen Zielkonflikt mit der Sicherung von Arbeit und Wirtschaft nicht den kürzeren ziehen und in den Hintergrund gedrängt werden.

Die Energieversorgung ist ein wichtiger infrastruktureller Faktor, dessen Entwicklung für den Produktionsstandort Deutschland mit entscheidend ist. Angesichts eines durchschnittlichen Anteils der direkten Energiekosten von rund drei Prozent an den Gesamtkosten der Wirtschaft, der allerdings bei wichtigen Branchen der Grundstoffindustrie mehr als 20 Prozent ausmacht, mag man über die Bedeutung der Energiekosten als Wettbewerbs- und Standortfaktor zwar streiten, aber es gibt wohl keinen vernünftigen Grund, Standortnachteile durch nationale Sonderlasten oder durch nicht effiziente Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen mit ihren negativen Auswirkungen auf Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze auf Dauer in Kauf zu nehmen.

Eine nationale Klimaschutzpolitik muß deshalb ökonomie- und arbeitsplatzverträglich angelegt sein. Auch in diesem Kontext kommt kosteneffizienten CO2-Reduktionsmaßnahmen, die mit jeder aufgewendeten Mark eine möglichst hohe CO2-Reduktion erreichen, eine zentrale Bedeutung zu. Klimaschutz, Sicherung des Wirtschaftsstandorts und des Lebensraumes sind also als Einheit zu begreifen. Politisches und wirtschaftliches Handeln muß sich an dieser Einheit ausrichten.

Wenden wir uns nun der Situation in unserem Land zu. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, die energiebedingten CO2-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent zu reduzieren und die Enquete-Kommission "Schutz der Erdatmosphäre" des Deutschen Bundestages hat für das Jahr 2020 das Ziel einer 50prozentigen Minderung formuliert. Sind diese Reduktionsziele aber überhaupt ökonomieverträglich im Sinne der Sicherung des Wirtschaftsstandortes erreichbar?

Rein technisch gesehen, stehen uns zumindest auf längere Sicht sehr weitgehende Treibhausgasminderungsmöglichkeiten zur Verfügung. Aber nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch wirtschaftlich verträglich und schon gar nicht effizient im Sinne der Nutzung knapper verfügbarer Ressourcen zur Vermeidung von Klimaänderungen.

Eine tragfähige Klimaschutzpolitik läßt sich dabei nur aus einer umfassenden Analyse der Möglichkeiten und Konsequenzen, das heißt der Minderungspotentiale und Minderungskosten der verschiedenen uns im Prinzip verfügbaren Optionen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen ableiten. Derartige Untersuchungen, die alle nachfrage- und angebotsseitigen Treibhausgasminderungsmaßnahmen umfassen, wurden am Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung durchgeführt [2]. Die wichtigsten Ergebnisse, die einen quantitativen und qualitativen Orientierungsrahmen für die Ausgestaltung eines schlüssigen und ökonomieverträglichen Handlungskonzeptes für die Minderung von Treibhausgasen in unserem Land bilden, werden im folgenden erläutert.

Zunächst aber ein Blick auf die Ausgangssituation. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der energiebedingten CO2-Emissionen in Deutschland von 1987 bis 1993 sowie getrennt für die alten und neuen Bundesländer.

Die energiebedingten CO2-Emissionen in Deutschland beliefen sich im Jahr 1993 auf rund 900 Millionen Tonnen. Der Rückgang der Emissionen seit 1987 ist auf die Entwicklung in den neuen Bundesländern zurückzuführen, wo es aufgrund des wirtschaftlichen Umbruchs zu drastischen Reduktionen des Energieverbrauchs und damit auch der CO2-Emissionen gekommen ist. In den alten Bundesländern sind die CO2-Emissionen nahezu konstant geblieben. Von den energiebedingten CO2-Emissionen in Deutschland entfielen im Jahr 1993 23,7 Prozent auf die Verbrennung von Braunkohle, 20,9 Prozent auf die Steinkohle, 40,9 Prozent auf Mineralöle sowie 14,6 Prozent auf das Erdgas. Nach den Kraft- und Fernheizwerken (39 Prozent) war der Verkehrssektor mit einem Anteil von 21 Prozent der zweitgrößte Emittent. Die Industrie war mit 18 Prozent, die privaten Haushalte mit 14 Prozent und der Kleinverbrauchssektor mit acht Prozent an den CO2-Gesamtemissionen beteiligt.


2.    Optionen zur Minderung von Kohlendioxidemissionen

Grundsätzlich lassen sich die energiebedingten CO2-Freisetzungen in die Atmosphäre reduzieren durch

  • eine Minderung des Verbrauchs fossiler Energieträger durch rationelle Energieanwendung oder Energieeinsparung,
  • eine Substitution kohlenstoffreicher (zum Beispiel Kohle) durch kohlenstoffärmere (beispielsweise Erdgas) fossile Energieträger,
  • den Ersatz fossiler Energieträger durch CO2-freie Energiequellen, wie die erneuerbaren Energiequellen oder die Kernenergie, sowie
  • eine Vermeidung der Freisetzung des bei der Verbrennung fossiler Energieträger entstehenden Kohlendioxides in die Atmosphäre (CO2-Entsorgung).

Auf allen Stufen der Prozeßkette, von der Energiegewinnung über die Umwandlung bis zur Nutzung beim Verbraucher, konnten in den letzten Jahren deutliche Fortschritte in bezug auf eine Steigerung der Energieeffizienz erzielt werden. Gleichwohl gilt, daß mit den in der Vergangenheit erreichten Nutzungsgradverbesserungen und Effizienzsteigerungen die technischen Möglichkeiten zur Energieeinsparung bei gleicher Energiedienstleistung, das heißt ohne Konsumverzicht, noch keineswegs ausgeschöpft sind. Abschätzungen der aus heutiger Sicht technisch möglichen Energieeinsparungen belaufen sich auf 35 bis 45 Prozent des derzeitigen Energieverbrauchs. Die Bezeichnung "technisch möglich" charakterisiert dabei die bloße technische Machbarkeit und läßt die Kosten, die Hemmnisse sowie die notwendigen Zeiträume zur Ausschöpfung der CO2-Minderungspotentiale durch Energieeinsparung außer Betracht.

Erdgas ist der kohlenstoffärmste fossile Energieträger. Bezogen auf die gleiche Energiemenge entstehen bei der Verbrennung von Erdgas rund 25 beziehungsweise 40-50 Prozent weniger CO2-Emissionen als bei der Verbrennung von Öl beziehungsweise von Stein- und Braunkohle. Eine Substitution der kohlenstoffreicheren fossilen Energieträger durch Erdgas führt also zu einer Reduktion der CO2-Emissionen. Die Techniken für einen Ersatz fester und flüssiger fossiler Energieträger durch Erdgas sind, wenn man den Verkehrssektor ausklammert, vorhanden. Auch die Ressourcensituation und die Produktionsmöglichkeiten von Erdgas würden es nach dem heutigen Kenntnisstand erlauben, die Erdgasnutzung mittelfristig auszuweiten, um damit zur CO2-Minderung beizutragen. Das gesamte durch einen verstärkten Erdgaseinsatz in Deutschland technisch erschließbare CO2-Minderungspotential liegt bei rund 170 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Nennenswerte Minderungsmöglichkeiten bestehen dabei in den Bereichen Strom- und Fernwärmeversorgung, Raumwärmeerzeugung sowie im Industriebereich. Erdgas hat also ein durchaus beachtliches technisches Minderungspotential, das aber durch den Kohlenstoffgehalt von Erdgas selbst begrenzt wird.

Als Beispiel für die durch Effizienzsteigerung und Brennstoffsubstitution erreichbaren CO2-Minderungen sind in Abbildung 2 die spezifischen CO2-Emissionen heutiger und zukünftiger Kraftwerkskonzepte zusammengestellt.

Als CO2-freie Energieoptionen weisen die Kernenergie und die erneuerbaren Energiequellen sehr große technische CO2-Minderungspotentiale auf, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden kann. Im Falle der Kernenergie sind es primär die Akzeptanzprobleme und im Falle der Nutzung von Wind, Sonne und Biomasse die Wirtschaftlichkeitsaspekte, die einer Nutzung ihrer CO2-Minderungspotentiale derzeit entgegenstehen.
Grundsätzlich ist auch eine klimaneutrale Nutzung fossiler Energieträger denkbar, wenn das bei der Verbrennung entstehende CO2 zurückgehalten und so endgelagert werden kann, daß es dauerhaft von der Atmosphäre ferngehalten wird. Technische Verfahren zur Rückhaltung des CO2 sind verfügbar [3]. Als Endlager für das anfallende CO2 kommt wegen der großen Mengen praktisch nur die Tiefsee in Betracht. Die Ozeane stellen zwar ein großes Reservoir für die Deposition von CO2 dar, ungeklärt sind aber noch die ökologischen Auswirkungen einer CO2-Tiefseelagerung und das Rückhaltevermögen der Tiefsee. Diese Fragen bedürfen einer Klärung, bevor diese Option weiterverfolgt werden kann.

Die Aussagen zu den Potentialen der verstärkten Nutzung von Erdgas, von Kernenergie und der erneuerbaren Energiequellen sowie zu den CO2-Minderungspotentialen durch Energieeinsparung und rationelle Energieanwendung zeigen, daß aus technischer Sicht in Deutschland nennenswerte Minderungen der CO2-Emissionen erreichbar sind. Die technischen Minderungspotentiale der einzelnen Optionen bei der Energieanwendung und in der Energieumwandlung können dabei jedoch nicht aufsummiert werden, da sie sich teilweise auf denselben fossilen Brennstoffeinsatz beziehen.

Für die Beurteilung von CO2-Minderungsmaßnahmen ist neben dem Minderungspotential noch der ökonomische Aufwand, der mit der Minderung verbunden ist, von besonderer Bedeutung. Eine erste Orientierung bezüglich der Effizienz von CO2-Minderungsmaßnahmen läßt sich mittels der bezogenen CO2-Minderungskosten gewinnen. Sie geben den Aufwand in Mark an, um durch die Maßnahme die Emission einer Tonne CO2 zu vermeiden. Die bezogenen CO2-Minderungskosten hängen dabei von einer Reihe von Faktoren, wie zum Beispiel dem substituierten fossilen Brennstoff, der Entwicklung der Brennstoffpreise und der Anlagenauslastung, ab. Sie lassen sich folglich nur bei der Festlegung dieser Randbedingungen genau quantifizieren. In Abbildung 3 sind für die heutige Preis- und Kostensituation die bezogenen CO2-Minderungskosten für verschiedene Maßnahmenkategorien dargestellt. Es wird deutlich, daß die CO2-Minderungskosten eine große Bandbreite aufweisen. Relativ günstige Minderungskosten weisen vor allem Maßnahmen der rationellen Energieanwendung, wie die verbesserte Wärmedämmung von Wohn- und Nichtwohngebäuden, die Stromerzeugung aus Kernenergie sowie die Nutzung von Erdgas sowohl in der Fernwärmeversorgung als auch in der Energieanwendung auf. Die technischen Maßnahmen im Straßenverkehr gehören neben der Nutzung erneuerbarer Energiequellen zu den Minderungsmaßnahmen mit den höchsten CO2-Minderungskosten.

Diese große Bandbreite der CO2-Minderungskosten macht deutlich, daß die Kostenimplikationen und damit die gesamtwirtschaftlichen Rückwirkungen von unterschiedlichen Maßnahmenbündeln zur Minderung energiebedingter CO2-Emissionen erheblich divergieren können, was insbesondere im Hinblick auf die Ökonomie- und Arbeitsplatzverträglichkeit einer Klimaschutzpolitik von Bedeutung ist.


3.    Effiziente CO2-Reduktionsstrategien

Im Rahmen einer systematischen Zukunftsanalyse lassen sich alternative Wege, das heißt unterschiedliche Maßnahmen und Strategien, zur Reduktion der energiebedingten CO2-Emissionen untersuchen. Mit Hilfe des Szenarioansatzes werden dabei unterschiedliche Vorstellungen über einzuleitende Treibhausgasreduktionsmaß-nahmen bezüglich ihrer emissionsseitigen Wirkungen, aber auch in bezug auf ihre Kostenkonsequenzen quantifiziert. Eine konsistente Erfassung der emissions- und kostenseitigen Effekte verschiedener Minderungsstrategien ist mittels Energiesystemmodellen möglich.

Das hier verwendete Modell E3Net [4;5] bildet das gesamte Energiesystem von der Förderung beziehungsweise dem Import der Primärenergieträger bis hin zur Nutzenergie oder den Energiedienstleistungen in den Sektoren Haushalte, Industrie, Kleinverbraucher und Verkehr ab. Mit Hilfe des methodischen Ansatzes der Linearen Optimierung wird unter den jeweils vorgegebenen Restriktionen (wie zum Beispiel einem CO2-Reduktionsziel) der kostenminimale Pfad von Niveau und Struktur der Energieversorgung zur Deckung eines vorgegebenen Bedarfs an Energiedienstleistungen oder an Nutzenergie ermittelt. Insofern sind die jeweiligen Kosten, in Zusammenhang mit den exogenen Vorgaben und verfügbaren technologischen Optionen, das zentrale Steuerungsprinzip. Dieses dem Modell zugrundeliegende ökonomisch rationale Entscheidungskalkül muß nicht dem tatsächlichen Verhalten der Wirtschaftssubjekte entsprechen. Es ist hier primär als eine konsistente Entscheidungs- und Allokationsregel im Rahmen der Szenariorechnungen zu verstehen. Des weiteren ist für die Einordnung der im folgenden aufgeführten Kostengrößen zu berücksichtigen, daß die exogen vorgegebene Nachfrage nach Energiedienstleistungen in allen Szenarien unverändert bleibt. Gegebenenfalls auftretende Rückwirkungen der hohen Kostenaufwendungen für den Klimaschutz auf das Wirtschaftswachstum sowie andere energie-nachfragebestimmende Größen und damit auf die Entwicklung der Nachfrage nach Energiedienstleistungen werden daher nicht erfaßt.

Für die zu untersuchenden Szenarien wird von einem gemeinsamen Satz von demographischen und ökonomischen Rahmendaten [6] sowie einer detaillierten Beschreibung von derzeitigen und zukünftigen Energietechniken und Energieeinsparmöglichkeiten [7] ausgegangen. Zu ersteren gehören vor allem Annahmen über die Entwicklung der Bevölkerung, der Haushalte und Wohnungen, der Gesamtwirtschaft und der sektoralen Produktion sowie zusätzlich der Energieträgerpreise auf den internationalen Energiemärkten.

Für das Rohöl wird ein realer Weltmarktpreis (Preise von 1989) von 25 Dollar/Barrel im Jahr 2005 und von 34 Dollar/Barrel im Jahr 2020 unterstellt. Gegenüber 1991 bedeutet dies über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg eine jahresdurchschnittliche Steigerung von 2,2 Prozent. Der Anstieg des Preises für Importerdgas fällt in dieser Periode mit 1,5 Prozent pro Jahr zwar etwas niedriger aus, doch ist dabei zu berücksichtigen, daß der Erdgaspreis im Jahr 1991 im Vergleich zum Vorjahr aufgrund der hier geltenden Preisbildungsprinzipien kräftig angezogen hatte (um rund zehn Prozent), während der Preis für Rohölimporte 1991 gegenüber 1990 beinahe um 13 Prozent gesunken war. Für die Importkohle wird ein nur sehr mäßiger Preisanstieg angenommen, der von 1991 bis 2020 lediglich 0,6 Prozent pro Jahr beträgt. Bezüglich der demographischen Entwicklung wird innerhalb des Zeitraums von 1990 bis 2020 in Deutschland mit einer im wesentlichen unveränderten Zahl von rund 80 Millionen Einwohnern gerechnet. Dahinter steht in den neuen Bundesländern ein kontinuierlicher Rückgang der Bevölkerung von 16 Millionen im Jahr 1990 auf 13,4 Millionen im Jahr 2020, während für die alten Bundesländer bis 2005 mit einem kräftigen Bevölkerungszuwachs auf reichlich 67 Millionen und einer anschließenden leichten Abnahme auf 65,7 Millionen im Jahr 2020 gerechnet wird. Wesentlich für den künftigen Energieverbrauch sind neben den demographischen Veränderungen vor allem die gesamtwirtschaftliche und sektorale Produktionsentwicklung. Für Deutschland insgesamt wird für die Jahre von 1990 bis 2020 mit einer jahresdurchschnittlichen Steigerung des realen Bruttoinlandsprodukts (in Preisen von 1991) von 2,3 Prozent gerechnet; dabei wird ein gesamtwirtschaftliches Wachstum in den neuen Bundesländern von 3,8 Prozent pro Jahr sowie in den alten Bundesländern von 2,1 Prozent pro Jahr unterstellt.

Zur Analyse der Konsequenzen unterschiedlicher Wege der CO2-Minderung werden drei Klimaschutzszenarien analysiert:

  • Klimaschutz und Kohleschutzpolitik (K1),
  • Klimaschutz unter energiepolitischen Barrieren (K2) und
  • Klimaschutz bei Hemmnisabbau (K3).

Die untersuchten Klimaschutzszenarien sollen das CO2-Reduktionsziel der Bundesregierung für das Jahr 2005 (-25 Prozent) und eine Fortschreibung bis zum Jahr 2020 (-50 Prozent) erfüllen. Die Klimaschutzszenarien unterscheiden sich vor allem im Hinblick auf die künftige Rolle der heimischen Stein- und Braunkohle sowie der Nutzung der Kernenergie. Das Szenario Klimaschutz und Kohleschutzpolitik (K1) geht davon aus, daß es in der Bundesrepublik Deutschland aus regional- und strukturpolitischen Überlegungen heraus weiterhin notwendig sein wird, gewisse Mindestmengen an heimischer Stein- und Braunkohle (in Ost- und Westdeutschland) zu fördern und auch im heimischen Energiesystem zu nutzen. Des weiteren wird im Szenario Klimaschutz und Kohleschutzpolitik (K1) unterstellt, daß es auf der energiepolitischen Ebene nicht zu einem Konsens bezüglich der weiteren Rolle der Kernenergie kommt. Die heute vorhandenen Kapazitäten der Kernkraftwerke werden deshalb im Szenario Klimaschutz und Kohleschutzpolitik (K1) auf dem derzeitigen Niveau festgeschrieben. Das Szenario Klimaschutz unter energiepolitischen Barrieren (K2) ist dadurch charakterisiert, daß bei Fortführung der politisch gestützten Nutzung heimischer Stein- und Braunkohle auch noch die weitere Nutzung der Kernenergie auslaufen soll. Es wird deshalb für das Szenario Klimaschutz unter energiepolitischen Barrieren (K2) unterstellt, daß es zu einem Ausstieg aus der Kernenergienutzung bis zum Jahr 2005 kommt. Demgegenüber wird für das Szenario Klimaschutz bei Hemmnisabbau (K3) angenommen, daß auf energiepolitische Vorgaben, die der Erreichung einer CO2-Minderung entgegenstehen oder diese erschweren, verzichtet wird. Somit entfällt die Vorgabe einer Mindestabnahme für die heimischen Braun- und Steinkohlen. Die Rolle der Kernenergie ist an keine energiepolitische Vorgabe gebunden, so daß ein Ausbau möglich ist. In allen Klimaschutzszenarien ist ein Abbau der Hemmnisse bei der Umsetzung wirtschaftlicher Maßnahmen zur Energieeinsparung unterstellt.

Um die Auswirkungen der Klimaschutzszenarien quantifizieren und vergleichen zu können, ist es hilfreich, sich als Vergleichsmaßstab eine Referenzentwicklung vorzugeben und daran die Wirkungen und quantitativen Veränderungen in den verschiedenen Szenarien aufzuzeigen. Das diesem Zweck dienende Referenzszenario, das von einem Fortbestehen der bisherigen Energiepolitik und der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausgeht, und für das unterstellt wird, daß keine gezielte Klimaschutzpolitik betrieben wird, ist also nichts weiter als eine Meßlatte für die anderen Szenarien.

Der Endenergieverbrauch in Deutschland bleibt in der Referenzentwicklung bis zum Jahr 2020 nahezu konstant auf dem Niveau von 1990, während die Klimaschutzszenarien aufgrund von Effizienzsteigerungen und der Brennstoffsubstitutionen eine deutliche Reduktion der Endenergienachfrage im Betrachtungszeitraum aufweisen (siehe Abb. 4). Bis zum Jahr 2020 wird der Endenergieverbrauch in Deutschland im Szenario Klimaschutz und Kohleschutzpolitik (K1) um rund 20 Prozent und im Szenario Klimaschutz unter energiepolitischen Barrieren (K2) um etwa 25 Prozent gegenüber der Referenzentwicklung gesenkt. Im Szenario Klimaschutz bei Hemmnisabbau (K3) ist die Verbrauchsminderung mit einer Größenordnung von 12 Prozent bis zum Jahr 2020 etwas geringer, da im Umwandlungssektor durch den Wegfall der Mindestabnahmeverpflichtungen für die heimischen Kohlen sowie der Option eines erhöhten Kernenergieeinsatzes in der Stromerzeugung ein vergleichsweise größeres kostengünstiges CO2-Minderungspotential besteht. Die Endenergieverbrauchsreduktionen sind im Haushaltsbereich am größten und in der Industrie sowie im Verkehr in den Szenarien Klimaschutz und Kohleschutzpolitik (K1) und Klimaschutz bei Hemmnisabbau (K3) relativ gering. In allen Klimaschutzszenarien ist auch der Primärenergieverbrauch deutlich geringer als in der Referenzentwicklung, wobei der Primärenergieverbrauch trotz konstanter Endenergienachfrage in der Referenzentwicklung gegenüber 1990 leicht rückläufig ist (vgl. Abb. 5). Die Differenz in der Höhe des Primärenergieverbrauchs in den Klimaschutzszenarien erklärt sich einerseits aus der unterschiedlichen Ausschöpfungstiefe der Maßnahmen zur Energieeinsparung in den Nachfragesektoren und andererseits aus den möglichen CO2-Minderungsoptionen, die dem Umwandlungssektor im jeweiligen Szenario zur Verfügung stehen. Hier sind vor allem die energiepolitischen Vorgaben zum Einsatz der Kernenergie sowie die Mindestfördermengen heimischer Braun- und Steinkohlen zu nennen, die sowohl die Energieträgerstruktur als auch die Höhe des Gesamtverbrauches zur Erreichung der Minderungsziele maßgeblich bestimmen.

Die Kohlen verlieren aufgrund ihrer hohen bezogenen CO2-Emissionen große Marktanteile. Da in der Referenzentwicklung sowie den Szenarien Klimaschutz und Kohleschutzpolitik (K1) und Klimaschutz unter energiepolitischen Barrieren (K2) eine Mindestabnahmeverpflichtung heimischer Kohlen vorgegeben wird, bleibt ein Grundsockel am Primärenergieverbrauch bestehen, wobei die Kohlen im wesentlichen in der öffentlichen Strom- und Fernwärmeversorgung und der Industrie eingesetzt werden. Entfallen diese Mindestabnahmeverpflichtungen für die heimischen Kohlen wie im Szenario Klimaschutz bei Hemmnisabbau (K3), werden die heimischen Kohlen praktisch vollständig aus dem Energiemarkt verdrängt und teilweise durch die Importsteinkohlen ersetzt. Durch die Möglichkeit, Kernenergie als kohlenstofffreie Option in der Stromerzeugung zu nutzen, gewinnt im Szenario Klimaschutz bei Hemmnisabbau (K3) die Kernenergie zur Erreichung des CO2-Reduktionsziels eine wachsende Bedeutung. Aufgrund des angenommenen Ausstiegs aus der Kernenergie bis zum Jahr 2005 wird im Szenario Klimaschutz unter energiepolitischen Barrieren (K2) in der Strom- und Fernwärmeerzeugung vermehrt Erdgas eingesetzt.

In allen Klimaschutzszenarien findet eine Verlagerung zu Brennstoffen mit geringerer Kohlenstoffintensität beziehungsweise kohlenstofffreien Energieträgern statt. So substituiert das Erdgas wegen seiner niedrigeren bezogenen CO2-Emissionen die Kohlen im Umwandlungsbereich sowie die Mineralölprodukte im Wärmemarkt. Die erneuerbaren Energiequellen, insbesondere die Wasserkraft, die Abfallbiomasse, Deponie- und Klärgas sowie die solarthermische Warmwassererzeugung, gewinnen als kohlenstofffreie Energieträger zunehmend an Bedeutung und erhöhen im Betrachtungszeitraum ihren Anteil am Primärenergieverbrauch von etwa fünf Prozent in der Referenzentwicklung auf rund 14 Prozent im Szenario Klimaschutz und Kohleschutzpolitik (K1) beziehungsweise 16 Prozent im Szenario Klimaschutz unter energiepolitischen Barrieren (K2). Der Import von kohlenstofffrei erzeugtem Solarstrom aus Spanien beziehungsweise Afrika erlangt als Option zur Minderung der CO2-Emissionen in den Szenarien Klimaschutz und Kohleschutzpolitik (K1) und Klimaschutz unter energiepolitischen Barrieren (K2) an Bedeutung und beträgt etwa 925 Petajoule im Jahr 2020.

Die diskutierten Entwicklungen für die Primärenergienachfrage und die Veränderungen der Energieträgerstruktur im Referenzszenario führen zu einem Rückgang der energiebedingten CO2-Emissionen bis zum Jahr 2005 in Deutschland von rund 16 Prozent gegenüber 1990 (vgl. Abb. 5). In den darauffolgenden Jahren steigen die Emissionen wieder auf 865 Millionen Tonnen pro Jahr und erreichen damit im Referenzszenario ein um etwa 14 Prozent niedrigeres Niveau gegenüber 1990, ohne daß gezielte Maßnahmen zum Klimaschutz ergriffen werden. In den Klimaschutzszenarien ist die Erreichung der CO2-Reduktionsziele eine exogene Vorgabe.

Der unterschiedliche Grad, mit dem die einzelnen CO2-Minderungsoptionen in den jeweiligen Szenarien ausgeschöpft werden müssen, um das Reduktionsziel zu erreichen, schlägt sich auch in den dafür aufzuwendenden Kosten nieder. Zur Charakterisierung der Minderungskosten werden die kumulierten Zusatzkosten und die marginalen CO2-Minderungskosten herangezogen. Die Zusatzkosten der CO2-Minderung ergeben sich aus der Differenz der abdiskontierten, kumulierten Gesamtkosten des Energiesystems in den Klimaschutzszenarien und den kumulierten Gesamtkosten einer sogenannten No-Regret-Entwicklung, die den Bezugspunkt für den Kostenvergleich darstellt. In der No-Regret-Entwicklung werden gegenüber der Referenzentwicklung alle diejenigen Maßnahmen auf der Energieangebots- und Energienachfrageseite durchgeführt, die ohne ein CO2-Reduktionsziel zu minimalen Kosten der Bereitstellung der Energiedienstleistungen über den gesamten Betrachtungszeitraum führen. Die No-Regret-Entwicklung unterstellt daher keine Hemmnisse bei der Ausschöpfung kosteneffizienter Einsparpotentiale und die energiepolitischen Vorgaben zum Mindesteinsatz heimischer Braun- und Steinkohlen sowie Vorgaben zur Rolle der Kernenergie entfallen. Die No-Regret-Entwicklung stellt somit die Least-Cost-Entwicklung des Energiesystems ohne ein CO2-Reduktionsziel dar.

Unter diesen Annahmen ergibt sich für die No-Regret-Entwicklung eine Reduktion der energiebedingten CO2-Emissionen gegenüber 1990 von gut 21 Prozent bis zum Jahr 2020 (siehe Abb. 6). Die kumulierten Zusatzkosten der Referenzentwicklung liegen um etwa 210 Milliarden DM90 höher als in der No-Regret-Entwicklung. Diese Mehrbelastung resultiert aus den energiepolitischen Vorgaben für den Einsatz der heimischen Kohlen sowie den unterstellten Hemmnissen bei der Ausschöpfung der kosteneffizienten CO2-Minderungspotentiale, einschließlich der nicht möglichen Ausweitung der Kernenergienutzung. Mittels einer Variation der CO2-Reduktionsziele in den Klimaschutzszenarien läßt sich der Kurvenverlauf der kumulierten CO2-Minderungskosten in Abhängigkeit vom Reduktionsziel ermitteln (vgl. Abb. 6). Wie zu erwarten, steigen die Kosten der CO2-Minderung mit wachsendem Reduktionsziel. Der Verlauf des Anstiegs und die Höhe der Minderungskosten hängen dabei von den jeweiligen energiepolitischen Vorgaben der Klimaschutzszenarien ab. Im Szenario Klimaschutz bei Hemmnisabbau (K3) fällt der Anstieg der Zusatzkosten am geringsten aus und die kumulierten Zusatzkosten der CO2-Minderung betragen gegenüber der No-Regret-Entwicklung bei einer 50prozentigen Reduktion bezogen auf 1990 etwa 13,5 Milliarden DM90 bis zum Jahr 2020. Demgegenüber weist das Szenario Klimaschutz und Kohleschutzpolitik (K1) mit 260 Milliarden DM90 deutlich höhere Zusatzkosten als das Szenario Klimaschutz bei Hemmnisabbau (K3) auf. Dies entspricht jährlichen Mehrbelastungen gegenüber der No-Regret-Entwicklung von 15 Milliarden DM90. Im Falle des Kernenergieausstiegs bis zum Jahr 2005 im Szenario Klimaschutz unter energiepolitischen Barrieren (K2) wachsen die kumulierten Zusatzkosten bis zum Jahr 2020 auf etwa 550 Milliarden DM90 (Milliarden DM90 pro Jahr) an.

Die unterschiedlichen Kosten der Klimaschutzstrategien spiegeln sich auch in den marginalen CO2-Minderungskosten wider. Dabei bezeichnen die marginalen CO2-Minderungskosten diejenigen Kosten, die zur Minderung der letzten Tonne CO2 aufgewendet werden müssen, um das Reduktionsziel zu erreichen. Ökonomisch interpretiert spiegeln die marginalen Kosten den dualen Wert der CO2-Emissionen wider und können als die Höhe einer CO2-Steuer interpretiert werden, die eingeführt werden müßte, um das jeweilige Reduktionsziel zu erreichen. Um die Anschaulichkeit zu erhöhen, sind die marginalen CO2-Minderungskosten der Klimaschutzszenarien in Abbildung 7 auch in Pfennig je Liter Heizöl (EL) angegeben. Für das Erdgas beziehungsweise für die Kohlen sind entsprechende Angaben über die Umrechnung mit dem jeweiligen CO2-Emissionsfaktor zu erhalten.

Für das Szenario Klimaschutz und Kohleschutzpolitik (K1) betragen die marginalen CO2-Minderungskosten im Jahr 2020 etwa 1110 DM90 je Tonne CO2 (298 Dpf90/lHel) und 54 DM90/Tonne CO2 (14 Dpf90/lHel) im Jahr 2005. Im Szenario Klimaschutz unter energiepolitischen Barrieren (K2) sind dagegen die marginalen CO2-Minderungskosten im Jahr 2020 mit etwa 2280 DM/Tonne CO2 beziehungsweise mit etwa 390 DM/Tonne CO2 im Jahr 2005 deutlich höher als im Szenario K1. Im Szenario Klimaschutz bei Hemmnisabbau (K3) sind die marginalen CO2-Minderungskosten mit etwa 140 DM/Tonne CO2 im Jahr 2020 und 5 DM/Tonne CO2 im Jahr 2005 wesentlich niedriger als in den anderen Klimaschutzszenarien.

Diese Zahlen machen eindrucksvoll deutlich, wie der Weg einer wirtschaftsverträglichen Minderung der CO2-Emissionen auszugestalten ist. Daß marginale CO2-Minderungskosten von 140 beziehungsweise 2300 DM/Tonne CO2 sehr unterschiedliche gesamtwirtschaftliche beziehungsweise beschäftigungsseitige Effekte haben, muß nicht besonders betont werden.

Die Ergebnisse der Kostenanalysen zeigen aber auch, daß eine Erreichung der Klimaschutzziele über eine CO2-Steuer nur dann Sinn macht, wenn die Hemmnisse, die den Lenkungsspielraum einer Steuer beschränken, abgebaut werden. Anderenfalls müßte die Höhe der Steuer so hoch ausfallen, daß nicht akzeptable gesamtwirtschaftliche Konsequenzen zu erwarten wären.


4.    Schlußbetrachtung

Die zuvor erläuterten Ergebnisse modellgestützter Analysen zur Minderung energiebedingter CO2-Emissionen in Deutschland geben selbst bei einer Berücksichtigung der methodischen Begrenzungen und einer qualitativen Interpretation der quantitativen Ergebnisse wesentliche Hilfen und Orientierungen für die Konzipierung einer ökonomieverträglichen Gesamtstrategie zum Schutz des Klimas. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen:

-    Bei im wesentlichen unveränderten energiepolitischen Rahmenbedingungen, das heißt ohne neue Weichenstellungen für den Klimaschutz, werden im Zusammenhang mit der angestrebten gesamtwirtschaft-lichen Entwicklung die energiebedingten Kohlendioxidemissionen mittel- und langfristig nur leicht zurückgehen. Die für Deutschland angestrebten Ziele zur Reduktion der Kohlendioxidemissionen werden nicht erreicht.

-    Die angestrebten und aus klimatologischer Sicht notwendigen Minderungen der energiebedingten Kohlendioxidemissionen ließen sich bei Ausnutzung der kosteneffizienten Minderungsmaßnahmen erreichen, ohne die Wirtschaft und die Verbraucher mit steigenden Energiekosten zu belasten.

-    Wesentliche Beiträge für eine derartige Least-Cost-Reduktionsstrategie, die gleichermaßen dem Klimaschutz und der Sicherung des Wirtschaftsstandortes durch wettbewerbsfähige Energiepreise dient, leisten die Ausschöpfung wirtschaftlicher Energieeinsparpotentiale, insbesondere im Gebäudebereich, die Ausweitung der Nutzung von Erdgas und der Kernenergie sowie der Wasserkraft und der Biomasse.

-    Die derzeit diskutierten CO2-Minderungsziele sind ohne eine deutliche Rückführung der Nutzung von Stein- und Braunkohle nicht zu erreichen.

Die Halbierung der Kohlenstoffintensität unserer Energieversorgung und die Verdopplung der Energieeffizienz unserer Volkswirtschaft ist eine energiepolitische Zielsetzung, die den Erfordernissen des Klimaschutzes und den Belangen der Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland, soweit es die Energieseite betrifft, gleichermaßen gerecht wird.

Die Analyseergebnisse zeigen, daß der Schutz des Klimas, als eine wesentliche Komponente einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung, und wettbewerbsfähige Energiepreise, als wichtiger Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes und zur Sicherung der Beschäftigung in unserem Land, nicht einer Quadratur des Kreises gleichkommen, sondern daß beides durchaus erreichbar ist.

Auch für die Bewältigung der großen Herausforderung, die der Schutz des Klimas darstellt, gilt das, was Carl Friedrich von Weizsäcker einmal in einem anderen Zusammenhang gesagt hat, daß "alle Gefahren, die wir vor uns sehen, keine technischen Ausweglosigkeiten sind, sondern eher umgekehrt, die Unfähigkeit unserer Kultur, mit den Geschenken ihrer eigenen Erfindungskraft vernünftig umzugehen".


Literatur

[1] Intergovernmental Panel on Climate Change: IPPC Second Assessment - Climate Change 1995. Genf 1996
[2] Fahl, U., Läge, E., Rüffler, W., Schaumann, P., Böhringer, C., Krüger, R., Voß, A.: Emissionsminderung von energiebedingten klimarelevanten Spurengasen in der Bundesrepublik Deutschland und in Baden-Württemberg, Forschungsbericht des Instituts für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung, Band 21, Stuttgart, 1995
[3] Enquete-Kommission "Schutz der Erdatmosphäre" des 12. Deutschen Bundestages: Mehr Zukunft für die Erde - Nachhaltige Energiepolitik für dauerhaften Klimaschutz. Economica Verlag, Bonn, 1995
[4] Voß, A., Schlenzig, C., Reuter, A.: MESAP III: A Tool for Energy Planning and Environmental Management - History and new Developments. In: Hake, J. Fr., Kleemann, M., Kuckshinrichs, W., Martinsen, D., Walbeck, M. (Hrsg.): Advances in System Analysis: Modelling Energy-Related Emissions on a National and Global Level. Konferenzen des Forschungszentrums Jülich, Band 15, Jülich, 1995
[5] Schaumann, P., Schweicke, O.: Entwicklung eines Computermodells mit linearer Optimierung zur Abbildung eines regionalisierten Energiesystems am Beispiel Gesamtdeutschlands, Wissenschaftliche Berichte der HTWS Zittau/Görlitz, Nr. 1481, Heft 39, Zittau, 1995
[6] Prognos: Die Bundesrepublik Deutschland 2000-2005-2010, Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft.Prognos Deutschland Report Nr. 1, Basel, 1993
[7] Programmgruppe Technologiefolgenforschung: IKARUS, Instrumente für Klimagasreduktionsstrategien. Forschungszentrum Jülich GmbH, Jülich, 1995


Der Autor

Prof. Dr.-Ing. Alfred Voß, geboren am 1. Februar 1940 in Ebbinghof, studierte an der RWTH Aachen Maschinenbau und promovierte 1973 bei Prof. R. Schulten mit einem Thema zur computergestützten Analyse komplexer Energiesysteme. Von 1976-1977 arbeitete er am International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg bei Wien über Methoden zur Modellierung von Energiesystemen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland übernahm er die Leitung der Programmgruppe Systemforschung und Technologische Entwicklung (STE) im Forschungszentrum Jülich. 1983 wurde er als ordentlicher Professor für Energiewirtschaft und Energiesysteme an die Universität Stuttgart berufen. Hier wirkte er zunächst in der Leitung des Instituts für Kernenergetik und Energiesysteme mit, bevor er Anfang 1990 die Leitung und den Aufbau des neu gegründeten Instituts für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) übernahm. Alfred Voß lehrt und arbeitet auf den Gebieten der Energiesysteme, der Energiemodellbildung, der rationellen Energieanwendung und der Umweltprobleme der Energienutzung. Er war Mitglied der Enquete-Kommission "Schutz der Erdatmosphäre" des 12. Deutschen Bundestages.

 


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