I. Das Plädoyer für eine
Währungsunion: Wohlstand und Fortentwicklung der politischen Einheit
II. Kritische Gegenstimmen
III. Ein Fazit: Beharrliche Harmonisierung
der Wirtschaftspolitiken statt überhasteter Einführung des Euro
Literatur
Der Autor
Wer am Ende seines Berufslebens steht, macht sich
natürlich Gedanken um die Sicherung seines Alters. Die Alterssicherung aber, das
verkünden die Politiker seit geraumer Zeit mehr oder weniger deutlich, müsse künftig
auch aus eigenen Ersparnissen finanziert werden. Insofern ist es verständlich, daß man
sich fragt, was denn mit den angelegten Geldern wird, wenn der Euro kommt. Und ich habe
festgestellt, daß dies nicht nur eine Frage ist, die die älteren Menschen bewegt,
sondern - wir sind im Schwabenland, wo man frühzeitig anfängt zu sparen, um spätestens
mit vierzig sein Haus zu haben - auch Jüngere fragen mit bangem Unterton: »Was wird,
wenn der Euro kommt?« In dieser Hinsicht hegen sogar Fachleute ihre Zweifel - Theoretiker
der Nationalökonomie ebenso wie Praktiker des Kapitalmarktgeschäftes. So hatte ich
kürzlich den Staranalysten einer Investmentgesellschaft zu Gast. Seine Antwort zum Euro
lautete recht sybillinisch: "Politische Leitlinie unseres Hauses ist: »Wir sind ohne
Wenn und Aber dafür.« Aber eigentlich wissen wir alle nicht, was da auf uns zu
kommt."
Was wirklich auf die Bürger der Union zukommt,
vermag ehrlicherweise niemand zu sagen. Es gilt daher, die Pro- und Kontraargumente
sorgfältig einander gegenüberzustellen, um in der Gewichtung der einzelnen Gründe zu
einer Aussage zu kommen, ob das Risiko einer gemeinsamen europäischen Währung
eingegangen werden sollte oder nicht. Ich werde daher im folgenden die wesentlichen
Gründe für die Errichtung einer Währungsunion vortragen, denen ich einige Kritikpunkte
gegenüberstelle. Die Schlußfolgerung, die ich nach der Würdigung der einzelnen Punkte
ziehe, muß freilich nicht von jedem geteilt werden.
I. Das Plädoyer für eine
Währungsunion: Wohlstand und Fortentwicklung der politischen Einheit
Ohne Zweifel kann eine Einheitswährung für
ein Gebiet wie die Europäische Union, die als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft schon
seit 1958 - also seit fast vierzig Jahren - existiert1, von
großem Vorteil sein. Die Gemeinschaft hat enorme wirtschaftliche und politische
Fortschritte gemacht, die sich in der fortschreitenden Verzahnung der Mitgliedsländer und
dem daraus resultierenden immer umfangreicher werdenden Gemeinschaftsrecht zeigen. Nicht
zuletzt ist zu erwähnen, daß der dadurch erreichte Wohlstand in (West-) Europa erheblich
zur Entwicklung und Stabilisierung des Friedens beigetragen hat.
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat sich von Anfang
an nicht mit bloßem Freihandel und der Errichtung einer Zollunion begnügt, sie hat
vielmehr stets die politische Einigung betont: Dazu gehört die Verwirklichung eines
»Gemeinsamen Marktes« mit der vollständigen Freizügigkeit nicht nur für Güter,
sondern auch für Dienstleistungen, Kapital und vor allem für Personen. Konsequenterweise
hat sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) über die Europäische
Gemeinschaft (EG) zur Europäischen Union (EU) fortentwickelt. Eine unionsweite Währung
wäre nicht nur von wirtschaftlichem Vorteil, sondern sie könnte zugleich den politischen
Zusammenhalt in Europa fördern und die politische Einheit voranbringen.
1. Kostensenkungen, Planungssicherheit und
Preistransparenz
Der seit 1991 verwirklichte Binnenmarkt in der EG entfaltet
seine vollen Vorteile erst, wenn sich möglichst viele Länder zu einer Währungsunion
zusammenschließen. Ökonomisch gesehen senkt eine Einheitswährung die Transaktionskosten.
Ein Beispiel zum Begriff der Transaktionskosten:
Wenn jemand für seine Ehegattin oder für den
Lebens(abschnitts)partner einen Blumenstrauß erwerben möchte, der, sagen wir, DM 30
kosten soll, so kommen für gewöhnlich zusätzliche Kosten hinzu: Man muß beispielsweise
mit dem Auto zum Blumengeschäft fahren. Hinzuzurechnen sind mithin anteilige
Betriebskosten für den Pkw, aufteilbar in fixe und variable Kosten. Möglicherweise ist
kein öffentlich ausgewiesener Parkplatz zu finden. Der in der Eile gewählte Stellplatz
mag zwar niemanden behindern, dennoch ist es denkbar - und in Stuttgart auch sehr
wahrscheinlich -, daß man schon nach zehn Minuten eine Aufforderung zur Entrichtung
»erhöhter Parkgebühren« am Fahrzeug vorfindet. Bei genauer Betrachtung stellt sich
heraus, daß der für DM 30 erworbene Blumenstrauß weitere DM 60 oder gar DM 80
verursacht hat. Und genau diese zusätzlichen Kosten belegt der Ökonom mit dem Begriff
der Transaktionskosten. Manchmal verkehrt die Höhe der Transaktionskosten eigentlich
gewinn- oder nutzenbringende Geschäfte ins Negative, so daß sie unterlassen oder
vielleicht im Verborgenen abgewickelt werden (Franke, 1988; Franke, 1989). Weil ihre
Berücksichtigung Schwierigkeiten bereitet, findet man oft vereinfachte Modelle, in denen
die Transaktionskosten mit Null angesetzt werden.
In der Realität freilich gibt es selten Geschäfte ohne
Transaktionskosten. Das merkt jeder Auslandsurlauber: Schon die Reisebuchung ist mit
Umtauschgebühren verbunden, weil der Hotelier im Zielland in der Währung seines Landes
bezahlt werden muß. Dem einzelnen mag dies verborgen bleiben, weil das Reisebüro dafür
zuständig ist. Offenkundig wird es jedoch beim selbst vorgenommen Kauf eines für den
Urlaub vorgesehenen Betrages der jeweiligen Landeswährung (meistens mehr, als man vorher
eingeplant hatte). Für den Umtausch von DM in Franc, Kronen, Lira, Peseten, Pfund usw.
kassieren die Banken, die Post oder sonstige Wechselstuben Umtauschgebühren.
Umtauschbedingte Transaktionskosten fallen ebenfalls bei Unternehmen an, wenn sie ihre
Warenlieferungen in Fremdwährungen fakturieren müssen und den Rechnungsbetrag auch in
Fremdwährungen erhalten. Da sie zudem nicht wissen, ob der Kurs am Tage des Erhalts
beziehungsweise Umtausches noch ihrer Kalkulationsgrundlage entspricht, schließen viele
parallel zum Warengeschäft sogenannte Wechselkurssicherungsgeschäfte ab. Im Binnenmarkt
mit einer Einheitswährung würden solche Transaktionskosten entfallen. Mithin könnten
die Kosten der Produkte sinken und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen steigen.
Schließlich könnten Ressourcen, die bisher für Umtausch und Währungssicherung gebunden
waren, wohlstandsmehrend eingesetzt werden.
Den Unternehmen käme zudem der Fortfall der
Wechselkursschwankungen zugute: Sie könnten auf einer sicheren Grundlage planen und
kalkulieren. Für die Verbraucher wäre die zu erwartende Preistransparenz von Vorteil:
Von Finnland bis nach Sizilien und von Holland bis vielleicht demnächst nach Polen (zur
Osterweiterung der Europäischen Union vgl. Franke, 1997) wären die Produkte in einer
Währung ausgezeichnet, so daß für die Kunden sofort erkennbar ist, ob das Produkt
teurer oder billiger ist als im heimischen Umfeld.
2. Unabhängige Geldpolitik gewährleistet
Geldversorgung und Währungsstabilität
Eine ausreichende Geldmengenversorgung der
Wirtschaft und die Sicherung der Geldwertstabilität gehören zu den zentralen Zielen der
künftigen Europäischen Zentralbank (EZB). Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß
damit etliche der jetzt noch mehr oder weniger politisch abhängigen Zentralbanken ihren
Einfluß verlieren. Was nun die viel gerühmte Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank betrifft2, so ist zu unterstreichen, daß sich die EZB nicht nur
an der Unabhängigkeit der Bundesbank orientiert, sondern in organisatorischer und
satzungsmäßiger Weise zum Teil darüber hinausgeht.
Zur organisatorischen Struktur ist folgendes zu sagen: Der
EZB-Rat besteht aus den Mitgliedern des Direktoriums der EZB und den Präsidenten der
nationalen Zentralbanken. Das Direktorium selbst umfaßt sechs Mitglieder, und zwar den
Präsidenten, einen Vizepräsidenten und vier Mitglieder. Sie sind für acht Jahre
gewählt und brauchen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegenüber kein
Wohlverhalten zu zeigen oder eine etwa stillschweigend erwartete willfährige Politik zu
betreiben, weil eine Wiederernennung nach der Amtszeit von acht Jahren ausgeschlossen ist
(Art. 109 Abs. 2 EGV). Es wäre also sinnlos für sie, durch die Art ihrer Politik um eine
Verlängerung zu buhlen. Nach Art. 107 EGV darf weder die EZB noch eine einzelne
Zentralbank, noch ein Mitglied ihrer Beschlußorgane Weisungen von Organen oder
Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen
einholen oder entgegennehmen. Der EZB-Rat legt die Geldpolitik der Gemeinschaft fest, wozu
geldpolitische Zwischenziele, Leitzinssätze und die Bereitstellung von Zentralbankgeld
gehören (Art. 12 Protokoll über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken
und der Europäischen Zentralbank).
Von den Voraussetzungen her ist die künftige Europäische
Zentralbank also in der Lage, eine unabhängige Geldpolitik zu betreiben, während dies
bei einer Vielzahl von einzelnen Zentralbanken, die in der Vergangenheit einem rechtlich
oder faktisch begründeten politischen Einfluß unterlagen, nicht immer gegeben war. Die
unterschiedliche Entwicklung der Inflationsraten in den europäischen Ländern belegt dies
nachdrücklich.
Die Europäische Zentralbank kann demzufolge besser auf
Spekulationswellen reagieren, als dies mehreren Zentralbanken möglich ist, die sich zuvor
koordinieren müssen. Darüber hinaus ist anzunehmen, daß es zu manchen
Spekulationswellen erst gar nicht kommt, weil man nicht mehr den Franc gegen die DM, die
DM nicht mehr gegen das englische Pfund usw. ausspielen kann. Entfallen aber solche
Spekulationen, dann werden zugleich turbulente Rückwirkungen auf die (reale) Wirtschaft
vermieden.
Die Voraussetzungen ermöglichen es mithin der Europäischen
Zentralbank, die Wirtschaft derjenigen Länder, die die Währungsunion bilden, mit
ausreichendem Geld zu versorgen und gleichzeitig die Stabilität des Euro zu
gewährleisten. Gelingt dies, so ist mit stabilen Zinsstrukturen und bei wachsender
Wirtschaft - jedenfalls tendenziell - mit einem sinkenden Realzins zu rechnen. Der vor
diesem Hintergrund zu erwartende Anstieg der Investitionen bildet die entscheidende
Voraussetzung, um die hohe Arbeitslosigkeit in Europa (etwa 11 Prozent im Durchschnitt) zu
bekämpfen. Die daraus resultieren-den wohlstandsfördernden Wirkungen sind um so höher,
je weiter der Kreis der an der Währungsunion teilnehmenden Länder ist.
3. Verläßliche Partner als Voraussetzung des
skizzierten Szenarios
Das skizzierte Szenario verheißt eine rundum ersprießliche
Entwicklung. Diese ist freilich daran gebunden, daß nicht nur die Europäische
Zentralbank in der beschriebenen Weise eine wohlstandsfördende und währungssichernde
Geldpolitik betreiben kann, sondern daß zugleich die einzelnen Regierungen der
Mitgliedsländer in ihrem Politikverhalten, dazu gehört ganz wesentlich ihre Steuer- und
Abgabenpolitik und vor allem ihr Ausgabegebahren (Fiskalpolitik), so verfahren, daß keine
störenden Effekte auf die Geldpolitik ausgehen. Mit anderen Worten: Bei aller
Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, erfolgreich kann sie letztlich nur sein,
wenn ihr die (Regierungs-) Politiken der einzelnen Mitgliedstaaten jenen Grad an
Glaubwürdigkeit erlauben, der am internationalen Geld- und Kapitalmarkt nötig ist, um
den Euro als stabile Währung zu etablieren.
Die vielzitierten Konvergenzkriterien sind in diesen
Zusammenhang zu stellen. Die Verabredung von Maastricht, nur solche Länder in die
Währungsunion aufzunehmen, die diese Kriterien erfüllen, basiert auf der Annahme, daß
sie bewiesen haben, eine solide (Wirtschafts-)Politik treiben zu können, ohne ihre
Zentralbank in Bedrängnis zu bringen und daß sie diese Politik auch in einer
Währungsunion beibehalten werden. Auf diese Weise soll den Märkten vermittelt werden,
daß von den Ländern der Währungsunion eine insgesamt glaubwürdige, wachstums- und
stabilitätsfördernde Geld- und Fiskalpolitik zu erwarten ist.
4. Die Meßlatte: Fünf zu erfüllende
Konvergenzkriterien
Unter den Konvergenzkriterien versteht man jene
Kriterien, die ein Land erfüllen muß, um Mitglied der Währungsunion zu werden. Wie
begründet, soll ihre Einhaltung die Gewähr für eine verläßliche Wirtschaftspolitik
signalisieren. Sie umgreifen die Preisniveaustabilität, die Staatsverschuldung, den
Wechselkurs und die Zinsentwicklung. Referenzzeitraum der Prüfung ist das Jahr 1997
beziehungsweise die Jahre 1996/1997 und die endgültige Entscheidung über die
Teilnehmerländer wird im Jahre 1998 fallen.
- Hohe Preisniveaustabilität
Im letzten Jahr vor der Entscheidung, also im Jahr 1997, darf die
Preisniveausteigerungsrate des jeweiligen Landes, das der Währungsunion angehören
möchte, nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über der durchschnittlichen Steigerungsrate der
drei stabilsten Länder liegen.
- Geringe Nettoneuverschuldung
Die Nettoneuverschuldung stellt die Differenz zwischen der neu aufgenommenen Staatsschuld
und der Tilgung für die bisher aufgelaufene Verschuldung dar. Sie darf im Jahre 1997 drei
Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht überschreiten3.
- Überschaubare Gesamtverschuldung
Die jährlichen Nettoneuverschuldungen eines Landes summieren sich, selbst wenn sie
periodisch gesehen gering sind, zu einer mitunter beachtlichen Gesamtverschuldung. Daher
sind als Obergrenze für die Gesamtverschuldung 60 Prozent des BIP vorgesehen.
- Langfristige Entwicklung der Zinsen
Die langfristigen Zinsen dürfen im Jahre 1996 und 1997 nicht mehr als zwei Prozentpunkte
über dem Durchschnitt jener drei Länder gelegen haben, die bei der
Preisniveaustabilität das beste Ergebnis erzielt haben. Als Bezugsbasis dienen nach Art.
109 j Abs. 1 EGV und Art. 4 des Protokolls über die Konvergenzkriterien die Zinssätze
der langfristigen Staatsschuldverschreibungen oder vergleichbarer Wertpapiere.
- Spannungsfreie Wechselkurse
Das fünfte Kriterium schließlich bezieht sich auf den Wechselkurs eines Landes. Er muß
spannungsfrei im EWS-Band gelegen haben. Nach der Neuordnung vom August 1993 dürfen die
einzelnen Währungen der im Europäischen Währungssystem zusammengeschlossenen Währungen
um 15 Prozent nach oben und unten von der wechselseitig fixierten Relation abweichen.
»Spannungsfrei« heißt, daß ein Land in den letzten beiden Jahren vor der Entscheidung,
also 1996 und 1997, seine Währung nicht abgewertet haben darf.
5. Zur Begründung der Konvergenzkriterien
Hohe Preissteigerungsraten haben einerseits zur Folge, daß
die Wirtschaftssubjekte nach Anlagemöglichkeiten suchen, die sie vor Wertverlusten
möglichst schützen, während andererseits die Neigung, den Gegenwartskonsum zu Lasten
zukunftssichernder Investitionen auszudehnen, zunimmt. Auf längere Sicht führt dies zur
sogenannten Stagflation, der gefürchteten Kombination von wirtschaftlich unzureichenden
Wachstumsraten bei gleichzeitiger Inflation. Der Versuch, aus diesem Teufelskreis
herauszukommen, um die erforderliche Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen, führt -
bevor die längerfristige Gesundung eintreten kann - kurzfristig zu höherer
Arbeitslosigkeit. Nicht selten sind die dadurch hervorgerufenen Anpassungskosten sozial
und politisch nicht zu verkraften, so daß durch fiskal- oder geldpolitische Mittel der
begonnene Stabilisierungsversuch konterkariert wird. Länder mit allzu unterschiedlichen
Inflationsraten lassen sich also schwer in einer Währungsunion unterbringen, weil die
unabhängige Geldpolitik der EZB in Konflikt mit der nationalen Fiskalpolitik geraten
kann, was nicht ohne Rückwirkungen auf die anderen Länder bleibt.
Hinsichtlich der Verschuldungskriterien mag man einwenden, daß die erlaubte
Nettoneuverschuldung von drei Prozent und die Gesamtverschuldung von 60 Prozent (jeweils
gemessen am BIP) sehr gering sind, wenn man dies mit der Verschuldung eines Haushaltes
vergleicht, der ein Haus gebaut hat. Der Regelfall ist der, daß die Verschuldung das
Jahreseinkommen des Haushaltes deutlich übersteigt. Zu bedenken ist aber, daß diese
Verschuldung des Privathaushaltes der Vermögensbildung dient, während der Staat
zunehmend zum Mittel der Verschuldung greift, um laufende Ausgaben, also Konsumausgaben,
aus denen später keine Früchte zu erwarten sind, zu finanzieren. Bedenkt man die hohe
Zins- und Tilgungslast, so wird erkennbar, daß schon eine Verschuldung von 60 Prozent
wesentliche Mittel bindet, die die Möglichkeiten einer zukunftsgerichteten Politik
beschneidet. Die Bildungspolitik in Bund und Ländern legt dafür ein beredtes Zeugnis ab.
Hinzu kommt, daß eine hohe Staatsschuld zum Anstieg des Zinsniveaus führen kann mit der
Folge, daß die kreditfinanzierte Investitionsnachfrage des Privatsektors zurückgeht.
Das Kriterium der Entwicklung der langfristigen Zinssätze
knüpft unmittelbar an die Staatsverschuldung und die daraus resultierende Zinshöhe an.
Wenn nämlich die langfristigen (Nominal-)Zinssätze höher liegen als die mit
Realinvestitionen zu erzielenden Renditen, fällt das Wachstum tendenziell zurück,
während der Druck auf die Regierung wächst, Subventionen und Trans-fers zu Lasten eines
weiter steigenden Haushaltsdefizits zu finanzieren. Länder, die sich in einer solchen
Lage befinden, geraten daher in Konflikt mit der unabhängig und zentral zu steuernden
Geldpolitik.
Die Vorschriften zum Wechselkurs wollen verhindern, daß sich
ein Land den Anforderungen an eine Politik zur Stärkung seiner Wettbewerbsfähigkeit
durch eine vorgenommene Abwertung entzieht. Das Kriterium knüpft am Europäischen
Währungssystem an, das dadurch gekennzeichnet ist, daß die Währungen der beteiligten
Länder nur innerhalb enger Bandbreiten voneinander abweichen dürfen. Bis zum Jahre 1993
betrug der erlaubte Grad der Abweichung 2,25 Prozent nach oben beziehungsweise unten von
der vereinbarten Fixierung. Kam es zu Abweichungen, so mußten die Zentralbanken
intervenieren. Beliebt ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, daß »Spekulanten« hier
ihr Unwesen trieben. Tatsächlich aber wird der Anreiz zur »Spekulation« durch die
Wirtschaftspolitik einzelner Länder erzeugt, die es auf Dauer unmöglich macht, den Kurs,
der sich bei freiem Spiel der Kräfte einstellen würde, durch reine
Zentralbankinterventionen aufrechtzuerhalten. Turbulenzen und Spekulationen kann man in
diesem System nur vermeiden, wenn notwendige Wechselkursanpassungen rechtzeitig und in
kleinen Schritten vorgenommen werden (Ohr, 1995, 59). Eine vorzunehmende Abwertung
impliziert für die davon betroffenen Regierungen zugleich ein negatives Urteil
über ihre Wirtschaftspolitik. Von daher ist es verständlich, daß pures Prestigedenken
notwendige Anpassungen (sogenannte realignments [of exchange rates]) regelmäßig
verzögert hat (Bonus, 1995, 20). Aus diesem Grunde kam es 1992 und 1993 zu großen
Turbulenzen. Als Konsequenz daraus schieden Großbritannien und Italien aus dem EWS aus
und die Bandbreiten wurden von 2,25 Prozent auf 15 Prozent in jede Richtung erhöht4.
Diese Bandbreiten haben bislang ausgereicht, um weitere Krisen zu vermeiden. Italien hat
in der Zwischenzeit spürbare Fortschritte gemacht und ist seit dem November 1996 wieder
EWS-Mitglied geworden. Da die Ausweitung des Bandes als temporärer Schluß gedacht war,
wird darüber entschieden werden müssen, ob die ursprünglich engere Bindung, was der
Intention des Maastricht-Vertrages entspräche, oder die weitere Bandbreite als Grundlage
der Prüfung dienen soll (Aspetsberger u.a., 1996, 410).
6. Harte oder weiche Interpretation der
Konvergenzkriterien?
Bis auf Luxemburg erfüllt zur Zeit kein Land jedes der
vorgetragenen Kriterien. Namentlich in der deutschen Öffentlichkeit sind diese Kriterien
immer als strikte Ausschlußkriterien dargestellt und interpretiert worden, das heißt,
nur wenn diese Kriterien ohne Wenn und Aber eingehalten werden, könne ein Land der
Währungsunion beitreten. Was Deutschland anlangt, so bereiten weder die Entwicklung der
Preisniveaustabilität noch die Zinsentwicklung Sorgen, und auch das Kriterium
»spannungsfreier Wechselkurse« ist erfüllt. Angesichts der hohen und vielleicht noch
weiter steigenden Arbeitslosigkeit erweisen sich jedoch die für 1997 zu erwartende
Nettoneuverschuldung und die Gesamtverschuldung als echte Hürden, und die
»Kriterienrhetorik« (Bundesfinanzminister Waigel: »3,0 ist 3,0«) entpuppt sich
inzwischen als verhängnisvoll. Zwar erlaubt der EG-Vertrag aus guten Gründen eine
»weiche« oder angemessene Interpretation, auf sie zurückzugreifen dürfte jedoch ein
echtes Glaubwürdigkeitsproblem in Deutschland hervorrufen, weil Regierung, Opposition,
Bundesbank und auch das Bundesverfassungsgericht stets eine genaue Einhaltung der
Konvergenzkriterien gefordert haben.
Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß weder Verfassungen
noch (einfach) gesetzliche Normen oder (völkerrechtliche) Verträge so präzise gefaßt
werden können, wie das bei mathematischen Formeln der Fall ist. Wirtschaft und Politik
sind Prozesse, die nur in Grenzen überschaubar und steuerbar sind. Während der
Formulierung der Normen nicht bedachte oder nicht vorhersehbare Umstände und
Entwicklungen führen zu neuen Sachverhalten. Deshalb kommt die Gesetzes- und
Vertragsformulierung nicht umhin, sogenannte unbestimmte Rechtsbegriffe zu gebrauchen,
während die Rechtsanwendung das Verhältnismäßigkeitsprinzip strapaziert.
Angenommen sei ein Land, das seine Nettoneuverschuldung
beachtlich einschränkt, seine Gesamtverschuldung innerhalb weniger Jahre von weit über
100 Prozent, gemessen am BIP, auf deutlich unter 100 Prozent gedrückt hat und das dabei
sowohl zukunftsweisende Industrien hat ansiedeln und die Arbeitslosigkeit hat abbauen
können. Das Stabilitätskriterium sei voll erfüllt und die Erfüllung der Kriterien der
langfristigen Zinsentwicklung und des spannungsfreien Wechselkurses sei hinreichend. Die
Gesamtverschuldung sei zwar immer noch klar über der geforderten 60 Prozent-Marke, aber
die eingeleitete Entwicklung ist beachtlich und erfolgversprechend. Daher wäre es kaum zu
begründen, ein solches Land von der Währungsunion fernzuhalten, während andere Länder
- wie beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland - auf dem Wege sind, die früher klar
erfüllten Kriterien deutlich zu überschreiten, ohne daß eine Trendwende erkennbar
würde.
Konsequenterweise sieht Art. 104 c Abs. 2 Buchst. b EGV vor,
daß die haushaltsbezogenen Konvergenzkriterien nicht als strikte Meßlatten, sondern als
Beurteilungsrahmen gedacht sind, vor deren Hintergrund die Gesamtpräsentation des
jeweiligen Landes im Stichjahr beurteilt werden soll. Man soll sich in der Beurteilung der
Frage, ob ein Land Mitglied der Währungsunion werden kann oder nicht, unter
Berücksichtigung der speziellen Situation des betreffenden Landes auf sie beziehen
(Referenzkriterien), man soll sie aber nicht im Sinne strikter Ausschlußkriterien
betrachten. Sind ferner die nach Art. 109 j Abs. 1 EGV zu berücksichtigenden Merkmale
(unter anderem Integration der Märkte, Stand und Entwicklung der Leistungsbilanz,
Entwicklung der Lohnstückkosten) zufriedenstellend zu beurteilen, so ist sicher, daß
sowohl die Kommission als auch das Europäische Währungsinstitut (EWI) zu positiven
Gesamtbeurteilungen kommen, daß sich das Europäische Parlament zustimmend äußern wird
und daß schließlich der Rat mit qualifizierter Mehrheit die Aufnahme dieses Landes in
die Währungsunion beschließen wird (vgl. Art. 104 c Abs. 3, Art. 109 j Abs. 3 und 4
EGV).
Das skizzierte Beispiel und der Weg zur Entscheidung über
die Aufnahme in die Währungsunion lassen sich auf eine Reihe von möglichen
Beitrittskandidaten anwenden (darunter Belgien, die Niederlande und Irland, aber eventuell
auch Italien und die iberischen Staaten). Das Beispiel illustriert mit anderen Worten,
daß in den Verträgen selbst die Konvergenzkriterien nur als Meßlatten vorgesehen sind,
die es erlauben, ein Land auch dann aufzunehmen, wenn die eine oder andere Latte verfehlt
wird, sofern die Abweichungen begründet sind und ein vertretbares Maß nicht
überschreiten, und wenn ernsthafte Anstrengungen erkennbar sind, die gesetzten Kriterien
bald zu erreichen. So hat selbst Bundesfinanzminister Waigel inzwischen in Brüssel zu
erkennen gegeben, daß die vereinigungsbedingte Sondersituation Deutschlands sowie die
Hilfen, die den mittel- und osteuropäischen Ländern im Rahmen ihres
Transformationsprozesses gewährt werden, berücksichtigt werden müßten.
Im inflationsempfindlichen Deutschland haben
sich die Konvergenzkriterien im Laufe der Diskussion fast verselbständigt: Man hält
daran fest, daß ein Land nur dann Mitglied der Währungsunion werden kann, wenn die
Kriterien - wie man neudeutsch zu sagen pflegt - »punktgenau« erfüllt werden. Diesen
Anspruch und die daraus resultierende Erwartung der Bevölkerung haben - wie schon
erwähnt - die Politiker und die Bundesbank durch ihre Äußerungen selbst erzeugt5,
aber auch das Bundesverfassungsgericht hat dazu beigetragen. Angesichts der prekärer
werdenden Lage versucht man, Auswege zu finden, wie man mit einer nach dem Vertrag
erlaubten Interpretation das eine oder andere Land, zum Beispiel Belgien, von Anfang an in
die Währungsunion aufnehmen kann. In der Tat wäre es für die Weltöffentlichkeit schon
reichlich merkwürdig, wenn ausgerechnet ein Gründungsmitglied der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft, ein Land zudem, in dem die zentralen Institutionen der Willens-
und Entscheidungsbildung der Europäischen Union angesiedelt und in dem Botschaften der
anderen Länder bei der EU eingerichtet sind, noch längere Zeit mit dem belgischen Franc
rechnen müßte, während der Euro bereits eingeführt ist.
II. Kritische Gegenstimmen
Dem Plädoyer für die Währungsunion sind einige kritische
Bemerkungen entgegenzustellen. Kritik ist das Wesenselement freier, offener und
demokratischer Gesellschaften, und sie ist elementar für Lehre und Forschung an einer
Universität. Universitäten sind nicht dazu da, um vorgegebene Meinungen und politisches
Wollen unkritisch zu stützen. Der Abteilung entsprechend, die ich leite, nämlich
Wirtschaftspolitik und Öffentliches Recht, sind die vorgetragenen Argumente nach
ökonomischen als auch nach verfassungsrechtlichen Bedenken unterteilt.
1. Demokratisch begründete Einwände
a) Zu große Hast und zu wenig Transparenz und
Experteneinfluß bei den Vertragsverhandlungen zur Europäischen Union
Am 3. Oktober 1990 wurde die deutsche
Einheit vollzogen. Das ist jetzt etwas mehr als sechs Jahre her. Bereits am 7. Februar
1992, also nur ein Jahr und vier Monate nach der Einheit, hat man den sogenannten
Maastricht-Vertrag zur Gründung einer Europäischen Union mit dem wesentlichen Kernstück
einer beabsichtigten Währungsunion unterzeichnet6. Das ist -
berücksichtigt man die schwierige Materie und die divergierenden Interessen - eine
erstaunlich kurze Verhandlungsdauer. Nur zum Vergleich: Wie lange ist in der
Bundesrepublik Deutschland palavert worden, bevor die Ladenöffnungszeiten bescheiden
ausgedehnt werden konnten! Zweifel, ob die ökonomischen und politischen Argumente
hinreichend gewürdigt werden konnten, können durchaus aufkommen, zumal bei den
Beratungen auf ökonomischen Sachverstand durchweg verzichtet worden ist (Straubhaar,
1993, 112).
Der Vertrag zur Gründung einer
Europäischen Union konnte allerdings erst vor drei Jahren, nämlich im November 1993, in
Kraft treten. Erst nachdem den Briten wie auch den Dänen - nach ihrer ersten ablehnenden
Volksabstimmung - weitreichende Zugeständnisse gemacht wurden7,
stimmte das britische Parlament endlich zu und die zweite Volksabstimmung in Dänemark
erbrachte das erwünschte positive Ergebnis. In Deutschland verzögerten
Verfassungsklagen, die mit dem Urteil vom 12. Oktober 1993 abschlägig beschieden wurden
(BVerfGE, 89 [155]), die Ratifizierung.
b) Verfassungsrechtliche Einwände
Die Klagen vor dem Verfassungsgericht konzentrierten sich im
wesentlichen auf drei Bereiche (zum Folgenden BVerfGE, 89, 165 ff.).
- Zum einen wurde die Verletzung zahlreicher Grundrechte
aufgrund des Vertrages zur Gründung einer Europäischen Union und des in Bundestag und
Bundesrat dazu ergangenen Zustimmungsgesetzes beklagt.
- Das zweite Argument wies auf das Demokratiedefizit in der
Europäischen Gemeinschaft hin. Weder sei dem einzelnen Bürger ein hinreichendes Recht
auf Teilhabe an der Ausübung der Staatsgewalt gewährt noch werde dem Prinzip der
Gewaltenteilung Genüge getan. Auf der Gemeinschaftsebene nämlich sei der eigentliche
Gesetzgeber der Rat, also die Regierungen, während dem Europäischen Parlament im
wesentlichen nur beratende Funktionen zukommen.
- Der dritte Klagebereich stellte schließlich auf die vermutete
Verletzung des bundesstaatlichen Prinzips nach Art. 20 Abs. 1 GG ab. Die Art der
Gesetzgebung hebele faktisch die verfassungsrechtlich garantierte Mitwirkung der Länder
aus (vgl. auch Ehring, 1992).
Das erste Bündel von Einwänden wurde vom
Bundesverfassungsgericht als unzulässig verworfen, weil eine unmittelbare und
gegenwär-tige Verletzung der Beschwerdeführer nicht zu erkennen sei (BVerfGE, 89, 171).
Hingegen nahm das Gericht das Argument des Demokratiedefizits
und die mögliche Verletzung des bundesstaatlichen Prinzips ernst und setzte sich damit
auseinander. Es kam jedoch nach seiner Analyse zum Ergebnis, daß das Demokratiegebot des
Grundgesetzes durch den Unionsvertrag nicht nachteilig tangiert sei. Zur Begründung
führt es an, daß das Grundgesetz mit den Artikeln 23 und 24 Abs. 1 GG die
Europabezogenheit in klarer und verfassungsgebundener Weise artikuliere (BVerfGE, 89, 179;
vgl. auch Kirchhof, 1995, 37). Art. 23 GG garantiere zugleich, daß die
einzelnen Bundesländer an der europapolitischen Willens- und Entscheidungsbildung
mitwirken dürften. Zugleich stelle er insbesondere in Abs. 1 Satz 3 sicher, daß die
Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten an die Union an die Grenzen des Art. 79
Abs. 3 GG gebunden sei8. Ferner führt das Gericht an, daß
mit dem in den EG-Vertrag aufgenommenen Subsidiaritätsprinzip (Art. 3 b EGV) ein weiterer
Schutz gegen die Aushöhlung der Länderkompetenzen gegeben sei (BVerfGE, 89, 200 f.,
212). Außerdem sei ein neuer Absatz 1 a in Art. 24 GG aufgenommen worden, der
sicherstellen solle, daß die Bundesstaatlichkeit in Deutschland nicht im Zuge der weiter
voranschreitenden europäischen Integration untergehe.
Was den Vorwurf des Demokratiedefizits in der Europäischen
Union anlangt, so ist offenkundig, daß sich das Bundesverfassungsgericht gewunden hat.
Nach seiner Auffassung dürfen die bekannten, historisch gewachsenen Formen der Demokratie
nicht der alleinige Maßstab für das komplizierte, anspruchsvolle und friedenssichernde
Vorhaben der europäischen Einigung sein. Man könne sich andere Arten der Demokratie
denken, die über das bekannte parlamentarisch-repräsentative System hinausgingen. Ein
solcher Ansatz sei mit dem miteinander kooperierenden, sich auch wechselseitig
kontrollierenden System von Kommission und Rat und - in Grenzen - dem Europäischen
Parlament gefunden. Der Vertrag über die Gründung einer Europäischen Union enthalte
daher keinen Verstoß gegen das Demokratieprinzip, solange ein hinreichend effektiver
Gehalt an demokratischer Legitimation, ein bestimmtes Legitimationsniveau, erreicht werde
(BVerfGE, 89, 182; 83, 72). Diese Legitimation sei über die nationalen Parlamente
vermittelt, allerdings müsse mit dem Ausbau der Aufgaben und Befugnisse der Gemeinschaft
eine Repräsentation der Staatsvölker durch ein europäisches Parlament hinzutreten
(BVerfGE, 89, 184). Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht gefolgert, daß dem
Deutschen Bundestag Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben müßten
(BVerfGE, 89, 186 f.).
Hinsichtlich der Währungsunion ist zunächst festzuhalten,
daß das Währungs-, Geld- und Münzwesen wegen seiner gesamtstaatlichen Bedeutung der
ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes (Art. 73 Nr. 4 GG) unterliegt. Um eine
Übertragung der Kompetenzen auf die EZB zu ermöglichen, ist dem Art. 88 GG ein neuer
Satz 2 angefügt worden: "Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der
Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist
und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet." Diese
Änderung hat das Verfassungsgericht nicht beanstandet (BVerfGE, 89, 174).
Schließlich arbeitet das Verfassungsgericht heraus, daß
sich die Bundesrepublik Deutschland mit der Ratifikation des Unionsvertrags keineswegs
einem unüberschaubaren, in seinem Selbstlauf nicht mehr steuerbaren »Automatismus« zu
einer Währungsunion unterwerfe, weil sichergestellt sei, daß ohne deutsche Mitwirkung -
und damit ohne maßgebliche Mitwirkung des Deutschen Bundestages - die Konvergenzkriterien
nicht aufgeweicht werden könnten (BVerfGE, 89, 203 f.). Schließlich habe der Bundestag
in seiner Entschließung vom Dezember 1992 nicht nur eine enge und strikte Einhaltung der
Konvergenzkriterien gefordert, sondern auch dargelegt, daß die Beschlüsse des Rates nach
Art. 109 j Abs. 3 und 4 EGV des zustimmenden Votums des Deutschen Bundestages bedürften.
Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, dieses Votum zu respektieren (BT-Drucksache
12/3906; Stenogr. Bericht 12/126, 10879 ff.). Eine weitgehend gleichlautende
Entschließung faßte der Bundesrat am 18. Dezember 1992 (BR-Drucksache 810/92, 6 f.).
Vor diesem Hintergrund kommt das Verfassungsgericht zu dem
Schluß, daß die bloße Befürchtung, die Stabilitätsbemühungen könnten fehlschlagen
und dann finanzpolitische Zugeständnisse der Mitgliedstaaten zur Folge haben, zu wenig
greifbar sei, um auf die rechtliche Unbestimmtheit des Vertrags zur Währungsunion zu
schließen. Würde freilich ein Scheitern der Währungsunion offenbar, dann könnte die
Bundesrepublik Deutschland auch aus diesem Teil des Maastrichter Vertrages aussteigen:
"Der Vertrag setzt langfristige Vorgaben, die das
Stabilitätsziel zum Maßstab der Währungsunion machen, die durch institutionelle
Vorkehrungen die Verwirklichung dieses Ziels sicherzustellen suchen und letztlich - als
ultima ratio - beim Scheitern der Stabilitätsgemeinschaft (Hervorhebung vom Verf.) auch
einer Lösung aus der Gemeinschaft nicht entgegenstehen"
(BVerfGE, 89, 204; vgl. auch 190).
Aus alledem folgert das Bundesverfassungsgericht, daß der
Vertrag zur Gründung einer Europäischen Union, einschließlich der die Währungsunion
betreffenden Teile, verfassungskonform sei. Nach diesem Votum unterzeichnete der
Bundespräsident das bereits vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat verabschiedete
Zustimmungsgesetz, und die Ratifikationsurkunde konnte bei der italienischen Regierung
hinterlegt werden.
Wahrscheinlich hat das Verfassungsgericht aus rechtlichen und
staatsräsonalen Gründen nicht anders entscheiden können. Dennoch ist hervorzuheben,
daß es die verfassungspolitische Realität unterschätzt. Immerhin darf man fragen, ob es
um die faktisch ablaufenden Entscheidungsprozesse nicht weiß (vgl. zum Folgenden
Berg/Schmidt, 1993, 86 ff.). Der Rat als Teil der Regierungen ist das tatsächlich
rechtsetzende Organ in Europa. Er tagt nicht öffentlich und die Protokolle seiner
Sitzungen werden nicht publiziert. Die jeweils im Rat zusammentretenden Minister können
sich mithin der Kontrolle der nationalen Parlamente weitgehend entziehen. Etwaiger Kritik
kann man entgegnen, man sei überstimmt worden oder habe zustimmen müssen, um eine noch
schlechtere Lösung zu verhindern oder um eine Krise zu vermeiden. Einstimmig zu fassende
Beschlüsse enthalten zudem vielfach vage gehaltene Kompromißformeln, die der Kommission,
die ohnehin über eine enorme und kaum kontrollierte Kompetenzfülle verfügt, weite
Handlungsspielräume eröffnen.
Auch das Subsidiaritätsprinzip wird nicht die begrenzende
Wirkung entfalten, wie das Gericht vielleicht meint (Möschel, 1993, 34 f.; Vaubel, 1993).
Der Europäische Gerichtshof hat jedenfalls in seiner Entscheidung zur
Arbeitszeitrichtlinie deutlich gemacht, daß es Begrenzungen für die Kompetenzen von
Kommission (und Rat) nicht zu eng ziehen will (Starbatty, 1996).
Rein rechtlich ist natürlich der Ausstieg aus einer
Währungsunion, die das Stabilitätsziel deutlich verfehlt, möglich. Indessen haben wir
es nicht mit südamerikanischen Verhältnissen, das heißt mit Inflationsraten von zwei-
oder gar dreistelligem Ausmaß, zu tun. Die wirkliche Gefahr geht von schleichenden
Prozessen der Instabilität aus, die zu einem längerfristig verfehlten Faktoreinsatz und
zu unbefriedigenden Politikergebnissen in vielen Bereichen führen. Eine wirkliche Chance
zum Aussteigen sehe ich daher nicht. Dazu muß man sich auch die immensen
Umstellungsvorbereitungen und -kosten vor Augen führen, die für den Staat, aber auch
für alle Unternehmen im Lande mit dem Übergang von der DM zum Euro verbunden sind. Hinzu
kommt die politische Wirkung eines möglichen Austritts aus der Währungsunion. Deshalb
ist es schlechterdings nicht vorstellbar, daß Deutschland nach zwei, drei oder vielleicht
fünf Jahren wieder aussteigt, etwa nach dem Motto: »Das Experiment war es wert, es ist
leider nicht gelungen, kehren wir zur DM zurück.«
2. Ökonomische Bedenken
a) Zur Funktion von Wechselkursen
Die Notierungen der einzelnen Währungen resultieren aus
ihrer je unterschiedlichen Wirtschaftskraft. Uneingeschränkt gilt diese Feststellung
freilich nur, wenn die Währungen an den Devisenbörsen völlig unbeeinflußt von
Eingriffen der Zentralbanken gehandelt würden (sogenanntes floating). Ebensowenig wie es
völlig festgezurrte Wechselkursparitäten gibt (feste Wechselkurse), gibt es ein völlig
freies Spiel von Angebot und Nachfrage nach einer Währung. Neben den verdeckten
Eingriffen, um einen bestimmten Kurs zu stützen (sogenanntes schmutziges floating), sind
die Verabredungen hervorzuheben, die darauf abstellen, daß sich der Kurs zweier oder
mehrerer Währungen innerhalb einer gewissen Bandbreite bewegen soll. So gilt - wie oben
erwähnt -, daß die festgelegten Relationen derjenigen Währungen, die im EWS miteinander
verbunden sind, nicht mehr als 15 Prozent nach oben oder unten abweichen sollen.
Überschreiten sie diese Markierungen, so sind die Zentralbanken zum Eingreifen
verpflichtet. Hilft dies nicht, so ist ein sogenanntes realignment, also eine
Neufestsetzung der Paritäten erforderlich, die sich an der Wirtschaftskraft der Staaten
orientieren muß.
Bildlich gesprochen ähnelt die Funktion der Wechselkurse
jener Aufgabe, die Schleusen in der Schiffahrt zukommt. Wird ein Fluß als Verkehrsweg
benötigt und vielleicht als Kanal ausgebaut, der ein höher gelegenes Plateau durchquert,
um dann viele Meter weiter unten seinen Weg fortzusetzen, so sind Schleusen nötig. Sie
ermöglichen es, das Schiff allmählich abzusenken oder anzuheben, damit es gefahrlos
seine Fahrt fortsetzen kann. Die Wechselkurse nehmen gewissermaßen eine Schleusenfunktion
wahr, wenn die Kurse - wegen der unterschiedlichen hohen Wirtschaftskraft der betreffenden
Länder - auseinanderliegen. Nun kann es natürlich - um weiter im Bild zu bleiben - sein,
daß dem Schleusenwärter eine monopolähnliche Stellung zukommt und daß er zudem
raffgierig veranlagt ist: Er verlangt unverschämt hohe Gebühren von den Kapitänen der
Schiffe und Lastkähne. Und - Hand auf's Herz - wer hat sich nicht schon
im Urlaub beim Umtausch von Währungen über die Umtauschgebühren geärgert? Dem
Schleusenwärter, so er denn tatsächlich überhöhte Gebühren kassiert, könnte man
durch Aufsicht, befristete Konzessionsvergabe oder mit anderen Instrumenten des
Wettbewerbsrechts beikommen9. Offensichtlich untauglich wäre
es hingegen, die Schleusentore abzureißen und deren Betrieb einzustellen. Dann wäre
nämlich keine Schifffahrt mehr möglich und den herannahenden Schiffen, die von der
Entfernung der Schleusentore noch nichts gehört haben, würde es recht schlecht ergehen.
b) Bedingungen und Probleme der Geldmengensteuerung
Die Aufgabe der Geldpolitik und insbesondere die der
Geldmengensteuerung erschließt sich leichter, wenn man zuvor in Erinnerung ruft, wofür
eigentlich »Geld« benötigt wird.
Wir erhalten für unsere Tätigkeit oder für den Verkauf
unserer Produkte oder Dienstleistungen vereinfacht gesprochen schlicht nur Bargeld (in
Form »bedruckter Zettel«) oder gar nur Buchgeld (in Form von »Ziffern« auf einem
Konto). Die Entwicklung zum über »Geld« vermittelten Tausch war für die
arbeitsteilige, moderne und anonyme Massengesellschaft mit industrieller Fertigung
notwendig, weil ihr die Fesseln des Naturaltausches zu eng geworden waren. »Geld« dient
also vorrangig dem leichteren Austausch von Produkten auf den verschiedenen Märkten
(sogenannte Tauschmittelfunktion des Geldes). Die »bedruckten Zettel« oder »Ziffern«
sind nichts anderes als Anweisungstitel, die der Empfänger wann und wo auch immer gegen
beliebige Güter und Dienstleistungen eintauschen kann. Damit ist die zweite Aufgabe des
Geldes angesprochen, nämlich die der Wertaufbewahrung. Empfangenes
Geld, das nicht sofort ausgegeben wird, soll im Zeitablauf seinen Wert behalten. Es soll
also garantiert sein, daß man sich später zumindest das dafür kaufen kann, was man
unmittelbar beim Empfang hätte erwerben können (sogenannte Wertaufbewahrungsfunktion des
Geldes)10. Sowohl die Tauschmittelfunktion wie auch die
Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes erfordern eine sorgfältige Geldpolitik, die
gleichermaßen der Versorgung der Wirtschaft mit Geld und der Erhaltung der
Währungsstabilität gewidmet ist. In der Regel wird diese Aufgabe einer besonderen
staatlichen Einrichtung, nämlich der (unabhängigen) Zentralbank, übertragen.
Der real erzeugten Menge an Gütern und
Dienstleistungen, also Fernsehapparate, Toaster, Brote, Serviceleistungen usw., entspricht
eine bestimmte Geldmenge. Diese Geldmenge muß ausreichend bemessen sein, um
Tauschprozesse zum wechselseitigen Nutzen vornehmen zu können. Steigt die erzeugte Menge
an Gütern und die abrufbare Menge an Dienstleistungen im Zeitablauf, dann muß - wenn das
Preisniveau stabil gehalten werden soll - auch die Geldmenge in entsprechender Weise steigen11.
Die Geldmengensteuerung muß behutsam
aufgrund der laufenden genauen Beobachtung und sorgfältigen Prognostik des
wirtschaftlichen Geschehens erfolgen. Die Steuerung der (nationalen) Geldmenge erfolgt in
der Regel über die einzelnen Zentralbanken. Sie verfügen über verschiedene Instrumente,
um je nach der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung die erforderliche Geldmenge
bereitzustellen. Das funktioniert - wenn man als Kriterium die Preisniveaustabilität
nimmt - in den einzelnen Ländern, je nachdem, welchen Grad an Unabhängigkeit die
einzelnen Zentralbanken haben, mehr oder weniger gut. Im großen und ganzen ist die
Geldmengenpolitik der Deutschen Bundesbank als gelungen zu bezeichnen12.
Auswahl und Einsatz der Instrumente der Geldmengensteuerung
setzen freilich Kenntnisse über das Ausgabe- und Sparverhalten der einzelnen Haushalte
und über das Investitions- und Finanzierungsverhalten der Unternehmen voraus: Werden
Aktien oder Aktienfonds gekauft oder beteiligt man sich in anderer Weise an Unternehmen?
Erwirbt man Staatstitel (Bundesschatzbriefe, Kommunalobligationen), legt man sein Geld bei
der Bank an, kurzfristig oder langfristig, oder ist man gar mit einem Sparbuch zufrieden?
In welchem Umfange werden Immobilien erworben, und wie werden sie finanziert? Welche
Finanzierungsformen wählen die Unternehmen? Hinzutreten muß eine hinreichende Kenntnis
über die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, über Geldsurrogate und über die Neigung und
Möglichkeit, bei restriktiver Geldpolitik, Kredite im Ausland aufnehmen zu können.
Erst wenn die jeweilige Zentralbank, also zum Beispiel die
Deutsche Bundesbank, eine hinreichend gesicherte Kenntnis von der Vermögensstruktur hat
und wenn sie über Umfang der Investitionen und die bevorzugten Finanzierungsinstrumente
in etwa Bescheid weiß, kann sie die jeweils wirksamsten Instrumente der
Geldmengensteuerung auswählen und zielgerichtet einsetzen.
Nun ist es kein Geheimnis, daß - um einige Länder zu
berühren - die Belgier, die Briten, die Deutschen, die Dänen, die Holländer, die
Italiener und die Spanier historisch gewachsene und unterscheidbare Spar- und
Anlagegewohnheiten haben. Darüber hinaus unterscheiden sich auch das
Investitionsverhalten und die bevorzugten Finanzierungsinstrumente recht beträchtlich.
Daraus ist der Schluß zu ziehen, daß die Europäische Zentralbank einige Mühe haben
wird, um eine gemeinsame Geldpolitik zu treiben, weil sie damit rechnen muß, daß das
jeweils ausgewählte Instrument in den einzelnen Ländern recht verschieden wirkt.
Was in jedem Lande für sich genommen möglich ist, eine
zielgerichtete Geldmengenpolitik, läßt sich in der Zusammenfassung einer europäischen
Währungsunion erst erreichen, wenn sich die Gewohnheiten der einzelnen
Wirtschaftssubjekte angeglichen haben. Das aber muß sich erst entwickeln, und ich denke,
daß dafür noch eine längere Zeit ins Auge zu fassen ist. Insofern ist zu erwarten, daß
es beträchtliche monetäre Steuerungsprobleme bei der Geldmengenversorgung der Wirtschaft
geben wird (Ohr, 1996).
Ein weiteres Problem tritt hinzu. Bei aller Unabhängigkeit
der Zentralbank: Ihre Geldpolitik kann durch die Fiskalpolitik der Regierung und durch die
Einkommenspolitik der Tarifpartner konterkariert werden (Siebert, 1997, 7 f.). Ein
gewisses Maß an Koordination zwischen diesen Gruppen ist daher unerläßlich. Darin lag
im übrigen die Absicht, der von Karl Schiller eingeführten und im Stabilitäts- und
Wachstumsgesetz immer noch vorgesehenen »Konzertierten Aktion«. Es ist zu bezweifeln,
daß diese Koordination, die schon in einem Land, so auch in der stabilitätsbewußten
Bundesrepublik Deutschland, Schwierigkeiten bereitet, ausgerechnet in einem größeren
Währungsverbund leichter sein sollte. Als wahrscheinlicher ist anzunehmen, daß sich das
eine oder andere Land nicht im Rahmen der von der EZB vorgesehenen Geldpolitik bewegt,
weil es weiß, daß sich die davon ausgehenden Effekte auf alle Teilnehmerländer
verteilen.
c) Mißlungener Stabilitätspakt
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß den Bemühungen
um einen dauerhaften Stabilitätspakt auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs in
Dublin im Dezember 1996 kein großer Erfolg beschieden war. Im Kern ging es dabei darum,
sicherzustellen, daß sich die teilnehmenden Länder an der Währungsunion dauerhaft
stabilitätskonform verhalten und nicht nur versuchen, die Konvergenzkriterien für den
begrenzten Zeitraum der Prüfung und Entscheidung einzuhalten. Eine Sanktions-Automatik
bei späterer Überschreitung der relevanten Haushaltsdaten wurde nicht vereinbart:
"Sanktionen können nur verhängt werden, wenn sich dafür im Ministerrat eine
qualifizierte Mehrheit findet. Die meisten Regierungen sind aber an einer großzügigen
Auslegung der Bestimmungen interessiert" (Vaubel, 1997, 10). Hinzu kommt, daß der
Rat Ausnahmen beschließen kann, ja, er hat sogar das Recht, sich über die Regeln
hinwegzusetzen. Im übrigen ist zu fragen, welchen Sinn Geldbußen für ein Land haben,
das zum Mittel hoher Nettoneuverschuldungen hat greifen müssen; offenkundig reichten doch
die planmäßigen Einnahmen schon nicht aus, um die laufenden Ausgaben zu finanzieren.
d) Kein optimales Währungsgebiet
Selbst der Binnenmarkt der Europäischen Gemeinschaft bildet
noch kein halbwegs einheitliches Währungsgebiet (die Theorie hat hier den Fachausdruck
vom »optimalen Währungsgebiet« geprägt) (Aschinger, 1996; Bofinger, 1994; Straubhaar,
1993). Aus historischen Gründen, wegen der unterschiedlichen Wirtschaftskraft und nicht
zuletzt aufgrund des erwähnten unterschiedlichen Verhaltens der Wirtschaftssubjekte und
unterschiedlicher Vermögensstruktur, erfolgt die Verarbeitung externer Schocks (zum
Beispiel plötzlicher und drastischer Rohstoffverknappungen oder des plötzlichen
Zusammenbruchs bisheriger Absatzmärkte) in recht verschiedener Weise. Hinzu kommt, daß
die Wirtschaftsstrukturen der einzelnen Länder sehr verschieden sind, so daß es
gebietsweise auch zu unterschiedlich zu beurteilenden und unterschiedlich zu
therapierenden Störungen kommt.
In Europa können eigentlich nur wenige Länder, Deutschland,
Österreich und Luxemburg, eventuell auch Holland, als ein solches einheitliches Gebiet
begriffen werden. Nun macht es freilich wenig Sinn, eine Währungsunion nur mit zwei oder
drei Ländern zu bilden. Der zu erwartende Vorteil, vor allem, wenn es sich um kleinere
Partner handelt, lohnt kaum die hohen Umstellungskosten. Faktisch ist dies auch gar nicht
nötig, wenn zwischen den Zentralbanken der beteiligten Länder eine offene oder
stillschweigende Abmachung besteht, den geldpolitischen Entscheidungen eines Partners zu
folgen, so wie dies beispielsweise zwischen Österreich und Deutschland und auch zwischen
den Niederlanden und Deutschland der Fall ist.
Allerdings mehren sich die Stimmen - auch aus der Wirtschaft
-, die die Konvergenzkriterien nicht verabsolutiert sehen wollen. Damit ist wohl weniger
eine - wie oben ausgeführt - nach dem Vertrag ohnehin mögliche sachadäquate, also vor
dem spezifischen Hintergrund der jeweiligen Länder erfolgende Beurteilung gemeint,
sondern eine großzügig darüber hinausgehende, also buchstäblich »weiche«
Interpretation, weil befürchtet wird, der Teilnehmerkreis an der Währungsunion werde
sonst allzu klein oder das Projekt werde sogar auf unbestimmte Zeit verschoben.
e) Ausweitung der Transferleistungen
Wenn man wegen einer allzu großzügigen, »weichen«
Interpretation der Konvergenzkriterien die Währungsunion mit einer Anzahl von Ländern
startet, die eine unterdurchschnittliche Wirtschaftskraft haben, dann ist zu erwarten,
daß die Mobilitätsbereitschaft des Faktors »Arbeit« steigt; es ist also damit zu
rechnen, daß eine zunehmende Menge von Arbeitskräften in den wirtschaftsschwächeren
Ländern vom Recht auf Freizügigkeit nach Art. 48 EGV Gebrauch machen wird und in den
wirtschaftsstärkeren Ländern nach Arbeit sucht. Zwar läßt sich theoretisch zeigen,
daß eine erhöhte transnationale Mobilität langfristig und makroökonomisch von Vorteil
ist (Straubhaar, 1997), kurzfristig und auf mikroökonomischer Ebene ist hingegen mit
erheblichen Problemen zu rechnen (Sprach-, Schul-, Eingliederungs-, Wohnraumprobleme usw.)
(Franke, 1993; Franke, 1996). Als Beispiel für auftretende Spannungen sei nur auf die
relativ geringe Zahl von portugiesischen Bauarbeitern und die paar Tausend polnischen
Kontingentarbeiter hingewiesen. Falls die damit verbundenen Probleme in der gebotenen
Kürze nicht lösbar erscheinen, müßten Mobilitätshemmnisse errichtet werden. Die
verbürgte Personenfreiheit wieder einzuschränken, ist indessen keine brauchbare
politische Alternative, und es dürfte nach der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs auch kaum möglich sein (Kuschel, 1995, 47 ff.).
Nach diesem Befund bleibt mithin gar nichts anderes übrig,
als die zunehmende Mobilität mit Transferleistungen von den reichen zu den ärmeren
Ländern einzudämmen. Es wird also ein Finanzausgleich in Europa erforderlich sein, der
die bisherigen Ausgleichssummen erheblich übertrifft.
Aus ähnlichen Gründen wurden erhebliche Transfersummen
nötig, die von Westdeutschland nach Ostdeutschland fließen. Ihre grundsätzliche
Berechtigung finden sie im Ausgleich der Nachteile, die die Bevölkerung in der langen
Nachkriegszeit unter einer diktatorischen Zentralverwaltungswirtschaft hat erdulden
müssen. Der beträchtliche Umfang der Transferleistungen geht freilich auf den politisch
für notwendig gehaltenen Umtauschkurs der Ostmark in die DM zurück, der dem Verhältnis
der Wirtschaftskraft grob widersprach. So angenehm dies den privaten Haushalten erschienen
sein mag, die Kehrseite war, daß die Schulden der Betriebe plötzlich in harter DM zu
begleichen waren. Dem dramatischen Rückgang der ostdeutschen Industrie entsprach eine
zunehmende Wanderung von Ost nach West - von ehemals gut über 16 Millionen Bürgern der
ehemaligen DDR haben ihr mehr als zwei Millionen in der Wendezeit und danach den Rücken
gekehrt. Der aktuelle Stand ist nun weniger als 14 Millionen. Um diese Wanderungsbewegung,
die unter allen erdenklichen Gesichtspunkten nachteilig ist, zu stoppen, sind auch die
Transferleistungen nötig. Glücklicherweise, und ich begrüße dies ausdrücklich, trägt
trotz aller Probleme die nationale Verbundenheit diese Transfersummen.
Ich wage jedenfalls zu bezweifeln, daß ein weiterer Anstieg
der Belastungen für die bisherigen Nettozahlerländer und der Fortfall von Leistungen
für das eine oder andere bislang begünstigte Land ohne Spannungen zu bewältigen sind.
Natürlich entfiele der Löwenanteil wieder auf Deutschland. Von der Bevölkerung würden
zusätzliche Leistungen wohl kaum akzeptiert, auch wenn es sich nicht um solche Beträge
handeln wird, wie sie im westostdeutschen Verhältnis anfallen. Um die Zahlungswege zu
verschleiern, wird es daher vermutlich wie bisher bei der vertikalen Struktur der
Ausgleichszahlungen bleiben, das heißt, die (erhöhten) EU/EG-Beiträge fließen nach
Brüssel und von dort über bestehende oder neu einzurichtende Fonds in die ausgleichs-
oder förderungsberechtigten Länder. Die Frage ist, wie lange man auf diese Weise die
Öffentlichkeit über den tatsächlich horizontalen Ausgleich täuschen kann.
Es wäre fast tragisch zu nennen, wenn das europäische
Einigungswerk wegen der so entstehenden Spannungen am Ende Schaden leiden würde.
f) Zu den Grenzen derUnabhängigkeit
Die Europäische Zentralbank ist als unabhängige Institution
im Unionsvertrag rechtlich abgesichert. Im konkreten täglichen Tun muß sie mit
stabilitätsorientiertem Geist von jenen gefüllt werden, die als
Zentralbankratsmitglieder die Geldpolitik betreiben. Die Mitglieder des Zentralbankrats
haben aufgrund ihrer Herkunft und aufgrund der Situation in ihren Ländern eine ganz
bestimmte »politische Sozialisation« durchlaufen. Und es ist kein Geheimnis, daß es
europäische Länder gibt, die gegenüber inflationären Entwicklungen viel weniger
empfindlich sind als dies beispielsweise dem historisch begründeten deutschem Empfinden
entspricht (Siebert, 1997, 7 f.). Von daher ist zu schließen, daß die einheitliche
europäische Geldpolitik - trotz der Unabhängigkeit der EZB - weniger strikt sein wird
als die der Deutschen Bundesbank.
Die Nichtwiederwählbarkeit ins Direktorium der EZB als
Argument der Unabhängigkeit der EZB ist ebenfalls zu relativieren, denn mit persönlichen
Motiven muß nach wie vor gerechnet werden. Dazu ein konstruiertes, aber sicher nicht
realitätsfernes Beispiel:
Ein fähiger, etwa 50jähriger Politiker, aus einem
europäischen Land, der sich zugleich im internationalen Bankwesen auskennt, wird Mitglied
der Europäischen Zentralbank. Seine Amtszeit endet im Alter von 58 Jahren. Bekanntlich
halten sich Politiker in dem Alter noch für außerordentlich jung und für neue Aufgaben
gerüstet. Natürlich denken sie an eine Karriere im Anschluß an die Zeit im
Zentralbankrat. Wo wird diese Karriere stattfinden? Entweder in seinem Heimatland oder in
einer internationalen Organisation. Dort muß durch die Fürsprache seiner Regierung ein
entsprechender Posten für ihn gefunden werden. Direkter Druck ist mithin gar nicht
nötig. Jeder, der sich in einer solchen Situation befindet, weiß, daß er auch danach
beurteilt wird, in welcher Weise er die Position seines Landes in die Zentralbankpolitik
eingebracht hat.
Selbstverständlich wäre es keine Lösung, nur
"Tattergreise" zu ernennen, um das Element des Denkens an eine nachfolgende
Karriere auszuschließen. Naiv wäre es jedenfalls zu glauben, "daß die Europäische
Zentralbank wie ein geldpolitischer Automat in einem politischen Vakuum operieren
wird" (Siebert, 1997, 7), zumal die Präsidenten der nationalen Zentralbanken, die
Mitglieder des EZB-Rates sind, von ihren Regierungen ernannt werden.
III. Ein Fazit: Beharrliche
Harmonisierung der Wirtschaftspolitiken statt überhasteter Einführung des Euro
Die Aufklärung über die Vorteile eines einheitlichen
Währungsgebietes ist bislang ebenso knapp geraten wie die über die institutionellen
Vorkehrungen zur Einführung des Euros und die damit verbundenen Kosten. Ein
umstellungsbedingter Preisschub ist nicht zu vermeiden (Schneider, 1997, 9), wobei
anzunehmen ist, daß die Einführung der neuen Währung zu weiteren verdeckten
Preisanhebungen genutzt wird. Vor allem aber ist bislang eine Diskussion der Risiken
systematisch vermieden worden.
Die Wirtschaftskraft der einzelnen Länder oder Regionen ist
einfach noch viel zu unterschiedlich, um eine europäische Währungsunion zu wagen. Der
Schaden, der wirtschaftlich und politisch angerichtet werden könnte, ist nicht zu
kalkulieren. Die Neigung, die Konvergenzkriterien »weich« zu interpretieren, um
möglichst vielen Ländern die Teilnahme an der Währungsunion zu gestatten, wird die
europäische Geldpolitik nachteilig beeinflussen und mas-sive Transfernotwendigkeiten
hervorrufen.
Da es jedoch keinen Sinn hat, die Währungsunion nur mit zwei
oder drei Ländern zu starten, wäre es das Vernünftigste, zunächst alle Anstrengungen
darauf zu konzentrieren, um die Wirtschaftspolitiken der einzelnen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union stabilitätsorientiert zu koordinieren und die Wirtschaftskraft der
Länder durch eine geeignete Wettbewerbs- und Regionalpolitik auszugleichen. Die dadurch
gewonnene Zeit könnte zugleich genutzt werden, um das oft beklagte Demokratiedefizit in
Europa abzubauen und für mehr Transparenz der politischen Willens- und
Entscheidungsbildungsprozesse zu sorgen.
Hat sich nach geraumer Zeit aufgrund der umrissenen
Annäherung der Wirtschaftskraft und aufgrund politisch durchschaubarerer und
effizienterer Strukturen der Europäischen Union eine andere Situation ergeben, kann den
Vorbehalten der Bürger gegen eine Währungsunion sachgerechter und überzeugender
begegnet werden.
Die damit ausgesprochene Empfehlung für eine Verschiebung
der Währungsunion ist sicher der platten Argumentation vom »Zug zum Euro, der da
abgefahren und nicht mehr aufzuhalten sei«, vorzuziehen. Wie die Lebenserfahrung zeigt,
sollte man auch aus »abgefahrenen Zügen« so bald wie möglich aussteigen, wenn sie in
die falsche Richtung fahren.
Ich denke, daß ich mich mit meiner Argumentation - »Nicht
gegen den Euro, aber zur Zeit zu früh und mit unkalkulierbaren Risiken behaftet« - in
guter Gesellschaft bewege: Plädieren doch nicht zuletzt die »Fünf Weisen« gegen eine
überhastete Einführung des Euro und für mehr Zeitgewinn (SVR, 1996; HB, 1997). Auch
namhafte Politiker wie der Hamburger Erste Bürgermeister Voscherau, dem man kaum
Populismus unterstellen kann, besinnt sich darauf, daß es bei der Frage der Währung auch
um den wichtigen Bereich identitätsstiftender Symbole geht (Bonus, 1995, 11 ff., insbes.
19 ff.), so daß eine Volksbefragung angemessen sei; sie könnte mit der nächsten
Bundestagswahl verknüpft werden (dpa, 1997). Eine solche Lösung würde die politischen
Entscheidungen zum Euro in der Tat vom Odium der Willkür befreien. In diesem Zusammenhang
sei abschließend erwähnt, daß in Niedersachsen ein Volksbegehren zur Frage der
Einführung des Euros begonnen hat (Stuttgarter Nachrichten, 1997).
Anmerkungen
*) Überarbeitete Fassung eines Vortrags aus Anlaß der
Verabschiedung des Leiters »Technik«, Herrn Diplom-Ingenieur Otto Häusser, am 21.
November 1996. Der Verfasser hat sich bemüht, den Redestil weitgehend beizubehalten und
die Anmerkungen auf das Notwendigste zu beschränken. ^Zurück zum Text
1. Nimmt man die 1952 in
Kraft getretene Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl [EGKS; Montanunion] hinzu,
so sind schon fast 46 Jahre gemeinsamer Europapolitik zu verzeichnen. Die Montanunion
bildet zusammen mit der Europäischen Atomgemeinschaft [EAG; Euratom] und der jetzigen
Europäischen Gemeinschaft [EG, als EWG gegründet] die drei Europäischen Gemeinschaften,
die einen ganz wesentlichen Pfeiler der im November 1993 in Kraft getretenen Europäischen
Union darstellen. Den zweiten und dritten Pfeiler der Union bilden die angestrebte
»Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik« sowie die beabsichtigte »Zusammenarbeit in
den Bereichen Justiz und Inneres«. ^Zurück zum Text
2. In diesem Zusammenhang
sei erwähnt, daß die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank - mit einer Ausnahme -
tatsächlich unübertroffen ist. Weder die amerikanische Zentralbank noch die
europäischen Zentralbanken, geschweige denn die zahlreicher Entwicklungsländer, kommen
ihr gleich. Als Ausnahme ist Neuseeland zu erwähnen, das - nachdem es wirtschaftlich
schwierige Zeiten durchgemacht hat - grundlegende gesellschaftliche Reformen hat umsetzen
können. Es ist indessen zu bezweifeln, daß die dortige Festlegung auf ein striktes
Stabilitätsziel (wird die Inflationsrate geringfügig überschritten, so muß der
Zentralbankpräsident mit Gehaltskürzungen rechnen, geht es deutlicher darüber hinaus,
wird er entlassen) auf europäische Verhältnisse übertragen werden kann. Dies vor allen
Dingen deshalb, weil Faktoren auf die Geldmengenentwicklung einwirken können, die
außerhalb des Kontrollbereichs der Zentralbank liegen. Hier ist in erster Linie an das
Verhalten der Regierung und an das der Tarifpartner zu denken. ^Zurück zum
Text
3. Unter dem BIP versteht
man, verkürzt ausgedrückt, die in DM, Dollar oder einer anderen Währungseinheit, ECU
zum Beispiel, ausgedrückte Summe der in einer Periode (beispielsweise ein Jahr) in einem
Lande (etwa Deutschland) produzierten Menge an Gütern und Dienstleistungen. ^Zurück
zum Text
4. Zwischen den Niederlanden
und Deutschland kam es zu einer bilateralen Vereinbarung, das Band von plus/minus 2,25
Prozent im Verhältnis ihrer Währungen zueinander aufrechtzuerhalten. ^Zurück
zum Text
5. Vgl. Entschließung des
Deutschen Bundestages vom 2. Dezember 1992 (BT-Drucksache 12/3906; Stenogr. Bericht
12/126, 10879 ff): "Dabei werden
die Stabilitätskriterien eng und strikt
auszulegen sein
Der Deutsche Bundestag wird sich jedem Versuch widersetzen, die
Stabilitätskriterien
aufzuweichen
" ^Zurück zum Text
6. Allerdings ist
einzuräumen, daß der am 17. April 1989 vorgelegte Bericht des Delors-Ausschusses
Grundlagen zur europapolitischen Debatte über die Währungsunion legte; vgl. Weidenfeld
(1995, 57). Einen Vorläufer fand die Absicht zudem im sogenannten Werner-Plan von 1970.
Dieser Plan scheiterte freilich, weil das auf dem US-Dollar basierende Weltwährungssystem
(»Bretton Woods-System«) zusammenbrach und weil deshalb mehrere Mitgliedstaaten,
darunter die Bundesrepublik Deutschland, ihre Wechselkurse freigaben (sogenanntes
floating). ^Zurück zum Text
7. Sogenannte opting
out-Klauseln. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland hat das Recht,
aber nicht die Verpflichtung, der Währungsunion beizutreten. Dänemark behält sich vor,
vor einem etwaigen Beitritt eine Volksabstimmung durchzuführen. Großbritannien ist auch
nicht dem Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft über die
Sozialpolitik beigetreten. ^Zurück zum Text
8. Der sogenannte
Europaartikel (Art. 23 GG) ist an die Stelle des alten Art. 23 GG getreten; dieser konnte
nach Vollendung der Einheit fortfallen, weil das vereinte Deutschland keinerlei
Gebietsansprüche mehr erhebt. Das sogenannte Ewigkeitsgebot nach Art. 79 Abs. 3 GG
bezeichnet eine Änderung des Grundgesetzes, die sich auf die Gliederung des Bundes in
Länder, auf die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und auf die
in Artikel 1 [Menschenwürde] und Artikel 20 [Bundesstaatsprinzip, Republik, Demokratie,
Sozialstaatsprinzip und Rechtsstaatsprinzip] garantierten Schutzgüter beziehungsweise
Staatsmerkmale bezieht, für unzulässig. ^Zurück zum Text
9. Beim Umtausch von
Währungen kommen den Banken solche »Schleusenwärterfunktionen« zu. Gerade die
Großbanken zählen jedoch zu den vehementesten Befürwortern des Euro. Offensichtlich
sehen sie bei einem einheitlichen Währungsgebiet Ausdehnungsmöglichkeiten ihrer
Geschäftsbereiche, die die Einnahmenverluste aus den jetzt noch anfallenden
Umtauschgebühren bei weitem wettmachen. Im übrigen kann man ihnen mangelnde Kreativität
beim Finden neuer Gebühren gewiß nicht nachsagen. ^Zurück zum Text
10. Der Vollständigkeit
halber sei erwähnt, daß das Geld eine dritte Funktion übernimmt, nämlich die des
Rechenmittels. Indem nämlich der Wert für die vielen verschiedenen Produkte angegeben
beziehungsweise ermittelt wird, sind sie auch vergleichbar. Nur so gelingt es, produzierte
Fernsehapparate und angebotene Fußballspiele zu erfassen und zu vergleichen. Nur weil das
Geld zugleich als Rechenmittel fungiert, kann das Produktionsergebnis eines Staates pro
Jahr als Bruttosozialprodukt (oder in Form davon abgeleiteter Größen:
Bruttoinlandsprodukt, Volkseinkommen) in Dollar, DM oder einer sonstigen Einheit angegeben
werden. ^Zurück zum Text
11. Vordergründig
betrachtet, müßte - um das Preisniveau stabil zu halten - die Geldmenge ebenfalls
reduziert werden, wenn das Sozialprodukt zurückgeht. Faktisch jedoch erhöht die
Bundesbank selbst in der Rezession die Geldmenge, wenn auch nur behutsam. Es würde in
diesem Rahmen zu weit führen, die Gründe im einzelnen zu erläutern. Entscheidend für
die Ausweitung der Geldmenge beim Rückgang des Sozialproduktes ist, daß es sich
eigentlich um einen von der Bevölkerung ungewollten Rückgang handelt. Senkt man die
Geldmenge, nur um das Preisniveau stabil zu halten, so stabilisiert man die Wirtschaft auf
einem niedrigen Niveau, beschneidet notwendige Investitions- und Reinvestitionsmaßnahmen
und beschränkt damit zugleich die Basis für eine mögliche Erholung. Aus Gründen der
Vertrauensbildung schneidert die Bundesbank daher einen etwas größeren »Geldmantel«
und hofft, daß die Wirtschaft allmählich diesen »Mantel« ausfüllt, das heißt, daß
in dem Augenblick, in dem die Nachfrage wieder steigt, die Unternehmen die vorhandenen
Kapazitäten aktivieren, um die Nachfrage real zu befriedigen, statt einfach die Preise zu
erhöhen. ^Zurück zum Text
12. Am Rande sei jedoch
nicht verhehlt, daß es relevante Gruppen gibt, beispielsweise die Gewerkschaften, die
Kritik an der Geldmengenpolitik der Deutschen Bundesbank üben, weil sie der Meinung sind,
daß ein etwas lockerer geldpolitischer Zügel Investitionen erleichtere und damit
Arbeitsplätze sichere. Man kann freilich auch die These vertreten, daß sie an einer
Politik des »leichten Geldes« interessiert sind, weil dann die arbeitsmarktpolitischen
Folgen einer Lohnpolitik, die zu wenig Rücksicht auf die Produktivitätsentwicklung
nimmt, leichter zu kaschieren sind. ^Zurück zum Text
Literatur
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Der Autor
Prof. Dr. Siegfried F. Franke, geboren 1942 in Münsterberg
(Schlesien), leitet seit April 1991 die interdisziplinär angelegte Abteilung für
Wirtschaftspolitik und Öffentliches Recht der Universität Stuttgart. Er ist
ausgebildeter Groß- und Außenhandelskaufmann und hat nach einem Auslandsaufenthalt in
Dublin (1968) in Freiburg i. Br. und Hagen Volkswirtschaftslehre, Slavistik und
Rechtswissenschaften studiert. 1978 promovierte er zum Dr. rer. pol. an der Universität
Dortmund. Von 1982 bis 1991 war er Professor an der Fachhochschule für Öffentliche
Verwaltung in Hamburg. 1990 externe Habilitation für Volkswirtschaftslehre an der
Universität Dortmund. Hauptansatz seiner wissenschaftlichen Arbeit ist die
"Ökonomische Theorie der Politik". Seine Forschungsschwerpunkte konzentrieren
sich auf die politische Willens- und Entscheidungsbildung in der konkreten Ausprägung als
Steuerpolitik, Umweltpolitik, Bildungspolitik und Drogenpolitik sowie auf das wahlbezogene
Verhalten von Verbänden, Parteien und Regierung. Dazu hat Siegfried Franke zahlreiche
Publikationen vorgelegt. Sein Hauptanliegen in der Lehre ist eine ordnungspolitisch
fundierte Vermittlung wirtschaftspolitischer Zusammenhänge. Hier steht die Erklärung und
Ansätze zur Fortentwicklung der "Sozialen Marktwirtschaft" im Mittelpunkt. Auch
hierzu hat er sich schriftlich und in Vorträgen geäußert. Professor Franke ist Mitglied
zahlreicher Organisationen und hat im letzten Jahr an einem vielbeachteten öffentlichen
Aufruf zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland mitgewirkt. Er ist
Schirmherr für den 44. Internationalen Sprachkurs der Universität Stuttgart 1997.
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