Abschätzung des theoretisch installierten und verfügbaren Potentials von Netzersatzanlagen in Baden-Württemberg

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2025

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Stuttgart : TGZ InEnergy, TTI GmbH an der Universität Stuttgart

Abstract

Zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit verfolgen Übertragungsnetzbetreiber u. a. zwei operative Aufgaben: Die Stabilisierung der Systembilanz und das Netzengpassmanagement. Der gesetzliche Maßnahmenkatalog für die Stabilisierung der Systembilanz umfasst neben netz- und marktbezogene Maßnahmen auch Lastabschaltungen und Abschaltkaskaden. Falls die Versorgungsstörungen so nicht gelöst werden können, entscheidet die Regulierungsbehörde über eine Notfalllage. Dieser Kurzstudie liegt die Überlegung zugrunde, Netzersatzanlagen in den beschriebenen Prozess zu integrieren, um Versorgungsstörungen bzw. deren Auswirkungen zu begrenzen. Netzersatzanlagen werden neben Einrichtungen der kritischen Infrastruktur auch von kleinen und mittleren Unternehmen sowie großen Industrieunternehmen zur Absicherung von (sicherheits-)kritischen Prozessen bei einer möglichen Versorgungsunterbrechung vorgehalten. Abhängig von den technischen Voraussetzungen hätten Anlagenbetreiber bei einer Versorgungsstörung dann zwei Handlungsoptionen zur Reduktion der netzwirksamen Last: Eine Netztrennung und Versorgung der bislang am Netz wirksamen Last durch die aktivierte Netzersatzanlage oder netzgekoppelte Aktivierung einer Netzersatzanlagen und Einspeisung deren Leistung ins Netz. In der Kurzstudie werden zwei übergeordnete Ziele verfolgt: Erstens soll das theoretisch installierte und das verfügbare Potential von Netzersatzanlagen bei kleinen und mittleren Unternehmen sowie bei großen Industrieunternehmen in Baden-Württemberg ermittelt werden. Netzersatzanlagen im Bereich der kritischen Infrastruktur sind nicht im Fokus der Kurzstudie. Zweitens sollen Barrieren identifiziert werden, die aktuell eine Energiesystemintegration von Netzersatzanlagen hemmen oder verhindern. Die Kurzstudie liefert dabei Antworten auf folgende drei Fragestellungen:

Fragestellung 1: Wie gestaltet sich die betriebscharakteristische und informationstechnische Ausgangslage für die Integration von Netzersatzanlagen in das Energiesystem? Fragestellung 2: Welche Barrieren existieren, die die Integration von Netzersatzanlagen in das Energiesystem sowie deren Nutzung durch Netzbetreiber hemmen? Fragestellung 3: Wie groß ist das theoretisch installierte und verfügbare Potential von Netzersatzanlagen bei KMU und Industrie in Baden-Württemberg?

Die Untersuchung zur Integrationsfähigkeit von Netzersatzanlagen mit Fokus auf die Betriebscharakteristik und auf die Informations- und Kommunikationstechnik, umfasst die Technologien Verbrennungsmotoren, Batteriespeicher und Brennstoffzellen. Verbrennungsmotoren sind wegen ihrer Betriebscharakteristik und Reaktionsfähigkeit gut für die Netzintegration geeignet, jedoch können Emissionen von Treibhausgasäquivalenten, Lärm und Schadstoffen regulatorische Einschränkungen darstellen. Bei kleinskaligen Bestandsanlagen ist meist eine Nachrüstung für die Integration erforderlich. Batteriespeicher zeigen ebenfalls eine hohe prinzipielle Eignung. Allerdings sind Batteriespeicher mit hohen Kapazitäten, die eine längere Einspeisung ermöglichen, bislang noch kaum vorhanden. Im Bereich von Anlagen der unterbrechungsfreien Stromversorgung sind Batteriespeicher zwar verbreitet, wegen der kurzen Einsatzdauer aber eher ungeeignet für einen Einsatz zur Systemstabilisierung. Brennstoffzellen sind bei Nutzung von Wasserstoff als Brennstoff ohne Treibhausgasemissionen und bieten eine gute Integrationsfähigkeit, gelten bisher jedoch noch als Zukunftstechnologie. Insgesamt ist festzustellen, dass für die meisten der untersuchten Netzersatzanlagentechnologien weder die Betriebscharakteristik noch die informations- und kommunikationstechnische Einbindung eine entscheidende Hürde für die Integrationsfähigkeit darstellt.

Die Integrationsmöglichkeiten von Netzersatzanlagen hängen stark von branchenspezifischen Faktoren ab. Laut der befragten Experten (n = 13) existieren gegenwärtig technische Lösungen für die Systemintegration, eine aktive Vermarktung von Netzersatzanlagen wird als wirtschaftlich rentabel eingeschätzt. Doch selbst bei der Erfüllung aller technischen und ökonomischen Voraussetzungen existieren Vorbehalte gegenüber einem freiwilligen Einsatz von Netzersatzanlagen. Aus spieltheoretischen Überlegungen stehen mögliche Wettbewerbsnachteile einem fehlenden (monetären) Nutzen gegenüber und beeinflussen die Einsatzentscheidung. Allerdings kann im Rahmen der Experten-Interviews eine grundsätzliche Teilnahmebereitschaft bei den befragten Personen festgestellt werden. Die Vielzahl an regulatorischen Anforderungen und der hohe Detailgrad der Vorgaben schränkt die Freiheitsgrade einer unternehmensspezifischen Umsetzung ein. Für den Planungsprozess sind energiewirtschaftlich qualifizierte Personalressourcen (bspw. Energiejuristen) notwendig. Die Komplexität des Regulierungsrahmens wirkt sich zudem prozessverlängernd aus.

Die Abschätzung für das theoretisch installierte Potential von Netzersatzanlagen in Baden-Württemberg für die fünf ausgewählten Wirtschaftszweige des verarbeitenden Gewerbes beträgt zwischen 354 und 2.092 MW. Auf Deutschland skaliert, beläuft sich die theoretisch installierte Leistung auf 620 bis 3.840 MW. Davon wären in einer kritischen Netzsituation in Baden-Württemberg zwischen 108 und 639 MW verfügbar. Dabei ist das verfügbare Potential zeitabhängig. Aufgrund der Unvollständigkeit der Vergleichsdaten (Marktstammdatenregisters, Daten der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg), ist eine abschließende Ergebnisplausibilisierung nicht möglich. Mit dem Spektrum für das installierte Netzersatzanlagenpotential bei kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie großen Industrieunternehmen liefert die vorliegende Kurzstudie erstmals eine Indikation. Da die Ergebnisse einer methodischen Unsicherheit (bspw. Stichprobengröße) unterliegen, bedürfen diese einer weiterführenden Untersuchung sowie Plausibilisierung.

Um den Integrationsgrad von Netzersatzanlagen zu fördern und für kritische Netzsituationen verfügbar zu machen, empfehlen die Autoren folgende fünf Maßnahmen: Die Durchführung einer großskaligen Befragung von Netzersatzanlagenbetreibern, eine Plausibilisierung durch eine Analyse des zukünftig vollständigen LUBW-Datensatzes, eine Prüfung der Machbarkeit eines monetären Anreizes für die Vorhaltung bzw. den Einsatz einer Netzersatzanlage, ein Produktkonzept für die Integration von Netzersatzanlagen in den gesetzlichen Maßnahmenkatalog und die Schaffung von Transparenz für den freiwilligen Einsatz von Netzersatzanlagen. Alles im allem wird resümiert, dass dezentrale kleinteilige Netzersatzanlagen im Falle einer Systembilanzunterdeckung in letzter Instanz einen Beitrag zur Absicherung der volkswirtschaftlichen Wohlfahrt erbringen kann. Für Unternehmungen (außerhalb der kritischen Infrastruktur) stellen Netzersatzanlagen im abstrakten Sinne eine „Risikoversicherung“ gegenüber Versorgungsunterbrechungen dar. Im Idealfall wird diese zwar einmalig angeschafft, allerdings bestenfalls über die gesamte Lebenszeit nie für den beabsichtigten Bedarfsfall (Sicherheitsmaßnahmen, Prozessabsicherung) eingesetzt. Dies führt in den Unternehmen zu einer anderen Betrachtung der Wirtschaftlichkeit und somit Bereitschaft diese Anlagen für weitere Zwecke einzusetzen. Das abgeschätzte, vergleichsweise gering ausgeprägte installierte Netzersatzanlagenpotential bei Industrieunternehmen kann als Indikator für eine hohe Versorgungsqualität verstanden werden. Zudem wird damit die Bedeutung einer sicheren und zuverlässigen Energieversorgung für den Produktionsstandort Deutschland unterstrichen.

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