Technische Unterstützungssysteme für das Bauwesen: Vorstellungen über die Nutzung von AR-Brillen und Exoskeletten in der Bauausführung
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Der Einsatz von tragbaren Assistenzsystemen wie Exoskeletten und Augmented Reality (AR)-Brillen eröffnet im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung der Bauausführung Möglichkeiten zur Stärkung und Verbesserung der physischen und kognitiven Fähigkeiten von Fachkräften. Exoskelette als am Körper getragene robotische Unterstützungssysteme sollen durch mechanische oder motorisierte Einwirkungen auf den menschlichen Körper ergonomische Verbesserungen während physischer Tätigkeiten bewirken. AR-Datenbrillen ermöglichen hingegen die kontextbezogene Echtzeit-Visualisierung von Informationen mittels externer Bildschirme von Smartphones, Tablets oder AR-Brillen. Der Arbeit liegt eine relationale Perspektive zugrunde, die in der Arbeits- und Industriesoziologie (AIS) sowie Techniksoziologie in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Relationale Ansätze, auch bekannt als neumaterialistische Ansätze, legen den Fokus auf Materialität, Netzwerke und die Konfiguration von menschlichen und nicht-menschlichen Elementen. Diese relationale Perspektive auf soziale Realitäten zielt darauf ab, Komplexität zu erfassen und zu vermitteln, anstatt sie zu reduzieren. Die tragbaren Technologien gehen auf neuartige Weise eine Symbiose/Verbindung mit dem arbeitenden Menschen ein, indem eine unmittelbare Nähe von Mensch und Technik geschaffen und eine Verschränkung ihrer Leistungsfähigkeit versprochen wird. Meine Arbeit untersucht die Vorstellungen der erhofften Symbiose zwischen tragbaren Technologien und Bauarbeiterinnen in der Bauausführung sowie die Wahrnehmung der damit verbundenen Potenziale und neuen Risiken. Die besonders enge Verbindung eröffnet Potenziale zur Verbesserung der physischen und kognitiven Fähigkeiten von Fachkräften. Gleichzeitig begrenzen diese Technologien auch die Handlungsmöglichkeiten und Kontrolle der Fachkräfte über Arbeitssituationen, indem spezifische Vorstellungen über zukünftige Anwenderinnen und ihre Nutzungsszenarien in den Prozess der Technologieentwicklung einfließen, in die technologischen Designs eingebettet sind und deren spätere Nutzung mehr oder weniger förderlich beeinflussen. Die in Beziehung gesetzten Annahmen über die Nutzerinnen, ihre Beziehung zu Technologien sowie ihre Nutzungssituationen bilden zusammen das theoretische Konstrukt der user configurations (fortan Vorstellungen/Konfigurationen über Nutzerinnen), das in dieser Arbeit herangezogen wird. Die vorliegende Forschungsarbeit analysiert Vorstellungen von Technikentwicklerinnen und Vertreterinnen der Bauindustrie über die Nutzerinnen von Exoskeletten und AR-Brillen und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsrealität in der Bauausführung. Durch den Einsatz des qualitativen Forschungsansatzes der Situationsanalyse sowie theoretischer Perspektiven auf Mensch-Technik-Verhältnisse aus der Arbeits- und Industriesoziologie, Techniksoziologie sowie den Science and Technology Studies (STS), wird dieses Dissertationsprojekt bearbeitet. Die Dissertation umfasst fünf Studien zur Untersuchung der Vorstellungen über Nutzerinnen, ihre Einbettung in technologische Designs sowie ihre Wirkungen in den späteren Arbeitsumgebungen der Bauausführung. Die erste Publikation dient der theoretischen und konzeptionellen Auseinandersetzung mit den Merkmalen von Mensch-Technik-Beziehungen als hybride Netzwerke. Die zweite Studie umfasst die konkrete Entwicklung von Untersuchungskriterien zur Analyse von Vorstellungen über Nutzerinnen von Exoskeletten und AR-Technologien. Die dritte Studie öffnet empirisch den bisherigen Forschungsrahmen hin zu einer stärkeren Fokussierung auf die Konfigurationen von Nutzerinnen von AR-Technologien. Die vierte Veröffentlichung untersucht die vielfältigen Vorstellungen über die physische Unterstützung mittels Exoskeletten in der Bauausführung. Dabei liegt der Fokus auf verändernde Vorstellungen über Nutzerinnen abhängig von Annahmen über Geschlechtsidentitäten und biologisch kodierte Merkmale. Die fünfte Studie präsentiert einen interdisziplinären Aktionsplan für zukünftige Forschung zu industriellen Exoskeletten für die Bauausführung und beinhaltet eine Darstellung der zu erwartenden technischen und nicht-technischen Herausforderungen ihrer Entwicklung und Implementierung. Die Ergebnisse der Studien verdeutlichen, dass implizite und meist nicht intendierte Konfigurationen über Anwenderinnen durch die Analyse von Handlungsvoraussetzungen wie Kompetenzen, Handlungsträgerschaft, Kontrolle, Entlastung und Nutzercharakteristiken erfasst und typisiert werden können. Die Studien präsentieren vielfältige Vorstellungen über Nutzer*innen, die von einer möglichen Überschätzung der menschlichen Handlungsfähigkeit und Situationskontrolle in komplexen Arbeitsumgebungen bis hin zur möglichen Überschätzung der technischen Assistenz und Kontrollübernahme reichen. In Bezug auf Exoskelette und AR-Brillen wird die Variabilität und Veränderlichkeit der Vorstellungen zusätzlich dadurch begünstigt, dass diese bislang nur begrenzt in praktischen Anwendungen verbreitet sind und entsprechende Erfahrungen fehlen. Basierend auf diesen Erkenntnissen werden die Gestaltungskriterien für tragbare Technologien (mit einem Fokus auf den Baubereich) abgeleitet und erörtert.
As part of the advancing digitalization and automation of construction, the use of wearable assistance systems such as exoskeletons and Augmented Reality (AR) glasses opens up opportunities to strengthen and improve the physical and cognitive skills of skilled workers. Exoskeletons as body-worn robotic support systems are intended to bring about ergonomic improvements during physical activities through mechanical or motorized influences on the human body. AR glasses, on the other hand, enable context-related, real-time visualization of information using external screens on smartphones, tablets or AR glasses. The thesis is based on a relational perspective, an approach that has gained considerable significance within the sociology of work and industry and the sociology of technology in recent years. Relational approaches, also known as new materialism, emphasize materiality, networks, and the configurations of human and non-human elements. This relational perspective on social realities aims to capture and convey complexity rather than to reduce it. Wearable technologies foster unique symbiotic relationships between humans and technology; they create an immediate proximity between humans and technology while also promising an entanglement of their capabilities. My research investigates the envisioned symbioses between wearable technologies and construction workers, exploring the perceptions of associated potentials and new risks. These special connections open up potential for improving the physical and cognitive abilities of skilled workers. At the same time, these technologies also limit professionals' options for action and control over work situations, as specific ideas about users and their usage scenarios flow into the process of technology development and are embedded in the technological designs. Interrelated assumptions about users, their relationships to technologies and their usage constitute the concept of user configurations, which forms the theoretical core of this work. This thesis analyses the ideas of technology developers and representatives of the construction industry about the users of exoskeletons and AR glasses and the effects these imaginaries have on lived work realities. This dissertation project is addressed by using the qualitative research approach of Situational Analysis as well as theoretical perspectives on human-technology relations from the sociology of work and industry, sociology of technology, and Science and Technology Studies (STS). This dissertation includes five studies investigating user configurations, their embeddedness in technological designs and their effects on future construction work environments. The first publication serves the theoretical and conceptual examination of the characteristics of human-technology relations as hybrid networks. The second study aims to develop and empirically test research criteria for analysing ideas about users of exoskeletons and AR technologies. Building on this framework, the third study focuses on the configurations of users of AR technologies. The fourth publication examines the diverse ideas about physical support provided by exoskeletons in construction, with a focus on assumptions about gender identities and biologically encoded characteristics. The fifth study presents an interdisciplinary action plan for future research on industrial exoskeletons for construction, including a presentation of the expected technical and non-technical challenges in their development and implementation. The results of the studies demonstrate that implicit and often unintended user configurations can be identified and classified by analysing prerequisites for action such as skills, agency, control, relief and user characteristics. The studies present a variety of user configurations, ranging from a possible overestimation of human ability to act in and control complex work environments to a possible overestimation of technical assistance and control. The facts that exoskeletons and AR glasses are only used to a limited extent in practical applications and that corresponding experiences are lacking, further foster the variability and dynamic nature of user configurations. Based on these findings, the design criteria for wearable technologies (with a focus on the construction industry) are derived and finally discussed in this work.