Systematische Entwicklung und Prototypenrealisierung von neuartigen zukünftigen Generationen fahrerloser Transportfahrzeuge und deren Komponenten für den innerbetrieblichen Transport Markus Schröppel Juni 2023 Berichte aus dem INSTITUT FÜR FÖRDERTECHNIK UND LOGISTIK Institutsleiter: Prof. Dr.-Ing. Robert Schulz UNIVERSITÄT STUTTGART Systematische Entwicklung und Prototypenrealisierung von neuartigen zukünftigen Generationen fahrerloser Transportfahrzeuge und deren Komponenten für den innerbetrieblichen Transport Systematic development and prototype realization of novel future generations of automated guided vehicles and their components for in-plant transportation Von der Fakultät Konstruktions-, Produktions- und Fahrzeugtechnik der Universität Stuttgart zur Erlangung der Würde eines Doktor-Ingenieurs (Dr.-Ing.) genehmigte Abhandlung Vorgelegt von Dipl.-Ing. Markus Schröppel aus Stuttgart-Bad Cannstatt Hauptberichter: Univ.-Prof. (i.R.) Dr.-Ing. Dr. h.c. Karl-Heinz Wehking Mitberichter: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Robert Schulz Mitberichte: Univ.-Prof. (i.R.) Dr.-Ing. Willibald Günthner Tag der mündlichen Prüfung: 13.06.2023 Institut für Fördertechnik und Logistik der Universität Stuttgart 2023 Vorwort des Autors Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als akademischer Mitarbeiter am Institut für Fördertechnik und Logistik IFT der Universität Stuttgart. Besonders danken möchte ich meinem Doktorvater, dem ehemaligen Institutsleiter des IFT, Herrn Univ.-Prof. (i.R.) Dr.-Ing. Dr. h.c. Karl-Heinz Wehking für die fachliche Betretung der Arbeit. Durch sein großes Engagement und das Einwerben entsprechender Fördermittel war es erst möglich, die in der Arbeit beschriebenen Idee weiter zu entwickeln und entsprechende Prototypen umzusetzen. Mein Dank gilt ebenso Herrn Univ.-Prof. Robert Schulz, dem Institutsleiter des IFT und Herrn Univ.-Prof. (i.R.) Dr.-Ing. Willibald Günthner, ehemaliger Leiter des Lehrstuhls für Fördertechnik Materialfluss Logistik der technischen Universität München für die Übernahme des Mitberichts sowie Herrn Univ.-Prof. Hans-Christian Reuss, Inhaber des Lehrstuhls Kraftfahrzeugmechatronik am Institut für Fahrzeugtechnik der Universität Stuttgart, für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes. Darüber hinaus danke ich allen Kolleginnen und Kollegen am Institut, die mich bei der Durchführung der verschiedenen Projekte und dem Aufbau der Prototypen tatkräftig unterstützt haben und immer mit gutem Rat zur Seite standen. Stuttgart, 2023 Markus Schröppel Kurzfassung Die vorliegende Arbeit berichtet über Forschungen und Entwicklung im Bereich der Fahrerlosen Transportsysteme. Diese sind flurgebundene Fördersysteme mit automatisch gesteuerten Fahrzeugen, deren primäre Aufgabe der Materialtransport in innerbetrieblichen Logistik- und Produktionssystemen ist. Zu Beginn der Arbeit schildert der Verfasser die historische Entwicklung der Fahrerlosen Transportsysteme und beschreibt deren Marktdurchdringung. Heute haben Fahrerlose Transportfahrzeuge in der Logistik einen besonderen Stellenwert, da sie wesentlich zur Automatisierung in allen Gebieten der innerbetrieblichen Logistik im Bereich der Transport und Handhabungsfunktionen beitragen. Um weitere Entwicklungen anzustoßen und damit die Marktdurchdringung weiter zu erhöhen beschäftigt sich die Arbeit im Kern mit verschiedenen systematischen Neuentwicklungen und der dafür notwendigen Forschung im Bereich der Fahrzeuge, Komponenten und Systeme von Fahrerlosen Transportfahrzeugen, vor allem um die Kosten der Systeme deutlich zu senken (z.B. Reduzierung der Fahrzeugkosten von 100.000 bis 150.000€ auf 30.000€ für ein Fahrerloses Transportsystem für den Palettentransport und deren Handhabung). Dies wird an einer Reihe von Beispielen, wie dem automatischen Transport von Kleinladungsträgern (Projekt KaTe), dem sogenannten Doppelkufensystem zum Transport und der Handhabung von Paletten, dem Riegel-FTF zum Transport von Regal- und Warenkorbgestellen, dem Groß-FTF der mobilen Montageinsel für zukünftige nicht getaktete Automobilproduktionen und dem FTF-Scooty als modulare Transportplattform dargestellt. Im Rahmen der Arbeit hat sich gezeigt, dass eine neue Kategorisierung der Fahrzeuge in zukünftig drei Funktionsklassen sinnvoll wäre. Diese drei Funktionsklassen sind:  Monofunktionale FTF Konzipiert um eine konkrete einzelne Aufgabe zu erfüllen, verfügen nicht über komplexe variable Lastaufnahmeeinrichtungen, Sensorik und Navigationstechnik ist auf ein Minimum reduziert  Multifunktionale FTF Können sich z.B. durch variable Lastaufnahmemittel an verschiedene Aufgaben anpassen, verfügen über komplexe Sensorik, Sicherheitstechnik, Navigationstechnik etc.  Modulare FTF Lassen sich in Form eines Baukastensystems individuell gestalten und so an verschiedene Aufgaben anpassen Mit dieser neuen Kategorisierung könnte die alte Definition von Fahrerlosen Transportsystemen der VDI Richtlinie 2510 ersetzt werden. Durch diese Umstrukturierung können zukünftige Entwicklungen Fahrerloser Transportfahrzeuge und damit Transportsysteme zielgerichteter auf verschiedene Anwendungsbereiche funktional angepasst und somit, wie an Beispielen in dieser Arbeit gezeigt, Kosten gesenkt werden. Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick auf zukünftige Forschungsschwerpunkte zur Weiterentwicklung der Fahrerlosen Transportsysteme. Short Summary This paper reports on research and development in the field of automated guided vehicles. These are floor-based conveyor systems with automatically controlled vehicles whose primary task is the transport of materials in internal logistics and production systems. At the beginning of the paper, the author describes the historical development of automated guided vehicles and their market penetration. Today, automated guided vehicles have a special significance in logistics, as they contribute significantly to automation in all areas of in-plant logistics in the field of transport and handling functions. In order to initiate further developments and thus to further increase the market penetration, the work is mainly concerned with various systematic new developments and the necessary research in the area of vehicles, components and systems of automated guided vehicles, especially in order to significantly reduce the costs of the systems (e.g. reduction of the vehicle costs from 100,000 to 150,000€ towards 30,000€ for an automated guided vehicle system for pallet transport and handling). This is illustrated by a number of examples, such as the automatic transport of small load carriers (KaTe project), the so-called Independent Fork System (LogiMover) for the transport and handling of pallets, the “Riegel” AGV concept for the transport of shelf and shopping basket racks, the large-scale AGV of the mobile assembly island for future non-cyclical automobile production and the FTF-Scooty as a modular transport platform. In the course of the work, it became apparent that a new categorisation of the vehicles into three functional classes would make sense in the future. These three functional classes are:  Monofunctional FTF Designed to fulfil a specific individual task, do not have complex variable load handling devices, sensor and navigation technology is reduced to a minimum.  Multifunctional AGVs Can adapt to different tasks, e.g. through variable load handling devices, have complex sensor technology, safety features and equipment, navigation technology, etc.  Modular AGVs Can be individually configured in the form of a modular construction system and thus adapted to different tasks. This new categorisation could replace the old definition of automated guided vehicles in VDI guideline 2510. Through this restructuring, future developments of automated guided vehicles and thus transport systems can be functionally adapted to different areas of application in a more targeted manner and thus, as shown in examples in this paper, costs can be reduced. The thesis ends with a summary and an outlook on future research priorities for the further development of automated guided vehicles. 7 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis .............................................................................................................. 7 Abbildungsverzeichnis ...................................................................................................... 9 Tabellenverzeichnis ......................................................................................................... 13 Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................... 14 1 Einleitung ............................................................................................................... 16 Definition Fahrerloses Transportsystem (FTS) und Fahrerloses Transportfahrzeug (FTF) ....................................................................................... 16 Die FTF und deren Entwicklung im Laufe der Zeit ............................................. 17 Ziel der Arbeit ........................................................................................................ 21 2 Stand der Technik und Forschung ...................................................................... 23 3 Systematische Weiterentwicklung der Systeme ................................................ 35 4 Vorgehensweise .................................................................................................... 37 5 Monofunktionale FTF ............................................................................................ 40 Monofunktionale Transporteinheiten .................................................................. 40 Kleine autonome Transporteinheiten .................................................................. 42 Doppelkufensystem .............................................................................................. 45 5.3.1 Mechanischer Aufbau des Doppelkufensystems ..................................................... 51 5.3.2 Steuerung der beiden Kufen ................................................................................... 54 5.3.3 Koordination der Bewegungsabläufe....................................................................... 58 5.3.4 Optischer Spurführungssensor ................................................................................ 62 5.3.5 Weiterentwicklung der Spurführungssensoren ........................................................ 63 5.3.6 Auswertung der Sensordaten .................................................................................. 72 5.3.7 Kinematischer Aufbau des Fahrwerks ..................................................................... 74 5.3.8 Regelstruktur der einzelnen Kufe ............................................................................ 76 5.3.9 Bahn- bzw. Pfadplanung ......................................................................................... 78 Sensorverfahren für das Doppelkufensystem .................................................... 87 5.4.1 Sensorik zur Ermittlung der Ausrichtung der Kufen zueinander .............................. 88 Inhaltsverzeichnis 8 5.4.2 Sensorik zur Ermittlung der Lage und Ausrichtung der Palette ............................... 90 6 Multifunktionale Fahrzeuge .................................................................................. 98 Riegel FTF .............................................................................................................. 99 Mobile Montageinsel für die Automobilproduktion .......................................... 107 Indoor-Navigationssysteme ............................................................................... 113 7 Modulare Fahrzeuge / Baukastenfahrzeuge ..................................................... 116 Komponenten modularer FTF ............................................................................ 118 Konzeptentwicklung modulares FTF ................................................................. 130 Modulare Fahrzeuge verschiedener Hersteller ................................................. 138 7.3.1 Beispiel FTF Agile1500 des Herstellers Comau .................................................... 138 7.3.2 Beispiel FTF VARIO MOVE von ek robotics ......................................................... 140 7.3.3 Beispiel FTF CALL THE DONKEY der Firma imetron ........................................... 141 8 Zusammenfassen der Ergebnisse über die Forschung und Entwicklung im Bereich Mono- und Multifunktionale sowie Modulare FTF .............................. 144 9 Ausblick ............................................................................................................... 148 10 Literaturverzeichnis ............................................................................................ 149 9 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1-1: Distributionszentrum mit den Funktionsbereichen der Logistik und einer Produktionsanlage (Quelle [WEH20]) ............................................ 18 Abbildung 2-1: Prototyp des Multishuttle [IML10-1] ........................................................ 24 Abbildung 2-2: Frei verfahrbare Variante, das Multishuttle Move [IML10-1] ................... 26 Abbildung 2-3: Mögliche Variante eines kompletten Multishuttle Move Systems mit Lagerbereich im Hintergrund und Kommissionierplätzen im vorderen Bereich [IML10-1] ................................................................................... 28 Abbildung 2-4: Prototyp des KARIS Systems [INT18] .................................................... 30 Abbildung 2-5: Darstellung der verschiedenen Konfigurationsmöglichkeiten [INT18] .... 30 Abbildung 2-6: KARIS-Fahrzeuge eingesetzt für Einzeltransporte [INT18] .................... 32 Abbildung 2-7: Drive Unit des Kiva Systems [AMA22] ................................................... 33 Abbildung 3-1: Beispielhafte Darstellung einiger Fahrerloser Transportfahrzeuge [WEH20] ................................................................................................. 36 Abbildung 5-1: erster Prototyp „Kleine automatische Transporteinheit“ (KaTe) .............. 43 Abbildung 5-2: optisch Spurgeführte KaTe [GÖT18] ...................................................... 43 Abbildung 5-3: Technischer Aufbau von KaTe (Ansicht von unten) ............................... 44 Abbildung 5-4: EUR-Palette [DIN13] (links Ansicht von unten, rechts Seitenansicht) .... 45 Abbildung 5-5: Freie Einfahröffnung an einer Europalette .............................................. 46 Abbildung 5-6: Doppelkufensystem mit Europalette ....................................................... 47 Abbildung 5-7: Drehgestell einer Kufe ............................................................................ 48 Abbildung 5-8: Ein Antrieb für Fahren (links) und Heben (rechts) .................................. 49 Abbildung 5-9: Möglichkeiten der Bewegung im Kufenpaar mit Palette ......................... 49 Abbildung 5-10: Farbige Richtungsmarkierungen an der Kufe ......................................... 50 Abbildung 5-11: Mechanische Komponenten eines Doppelkufen-Fahrzeugs [IFT11] ...... 51 Abbildung 5-12: Detailansicht eines Drehschemels [IFT11] ............................................. 52 Abbildung 5-13: Kufenpaar mit Hauptmaßen [COL11] ..................................................... 53 Abbildung 5-14: Steuerungshardware des Doppelkufensystems bei einem Testaufbau .. 55 Abbildungsverzeichnis 10 Abbildung 5-17: Signalfluss in der Fahrzeugsteuerung einer einzelnen Kufe [COL11] .... 56 Abbildung 5-18: Systemübersicht der Lenkungsregelung [COL12] .................................. 57 Abbildung 5-19: Ausrichtung der Fahrzeuge im Kufenpaar [COL12] ................................ 60 Abbildung 5-20: Aufbau eines Datenpakets zur Kommunikation [COL13] ....................... 61 Abbildung 5-21: Bildschirmfoto der Leitsteuerungs-Software ........................................... 61 Abbildung 5-22: Optischer Spurführungssensor ............................................................... 62 Abbildung 5-23: Funktionsweise Spurerkennung [COL11] ............................................... 63 Abbildung 5-24: Variable Sensoraufhängung ................................................................... 64 Abbildung 5-25: Versuchsaufbau für Spursensoren ......................................................... 65 Abbildung 5-26: Ausleuchtung der Spur mit Infrarotlicht .................................................. 66 Abbildung 5-27: Theoretische Beleuchtungs- und Detektionsbereiche [COL11] .............. 67 Abbildung 5-28: Beispielhaftes Helligkeitsprofil eines Spursensors [COL11] ................... 68 Abbildung 5-29: Detektierter Helligkeitsverlauf bei Verschiebung über die Spur [COL11] ......................................................................................... 69 Abbildung 5-30: Normierte Abdunklungskurven [COL11] ................................................. 71 Abbildung 5-31: Übertragungsformat für die Sensordiagnose [COL11] ........................... 73 Abbildung 5-32: Auswertung der empfangenen Sensordaten [COL11] ............................ 74 Abbildung 5-33: Kinematisches Ersatzmodell eines Fahrzeugs [COL12] ......................... 75 Abbildung 5-34: Regelstruktur eines Einzelfahrzeugs mit Spurführung [COL12] ............. 77 Abbildung 5-35: Funktionsprinzip des Lasertriangulationssensors [LÖF12] ..................... 89 Abbildung 5-36: Leuze Lasertriangulationssensor [LEU13] .............................................. 89 Abbildung 5-37: Anordnung der drei Lasertriangulationssensoren am Doppelkufensystem ................................................................................ 90 Abbildung 5-38: Lage der Palette zum Doppelkufensystem [GRO13] .............................. 91 Abbildung 5-39: PMD CamBoard nano (links), Versuchsaufbau (rechts) [GRO13] .......... 92 Abbildung 5-40: Schematische Darstellung Versuchsaufbau Versuch 1 [PES13] ............ 92 Abbildung 5-41: Messbilder aus Versuch 1 [PES13] ........................................................ 93 Abbildung 5-42: Versuchsaufbau 2 [PES13] .................................................................... 94 Abbildungsverzeichnis 11 Abbildung 5-43: CamBoard nano mit Haltevorrichtung [PES13] ...................................... 94 Abbildung 5-44: Bilder Versuchsreihe 2 [PES13] ............................................................. 94 Abbildung 5-45: Zusammengefügte Ansicht [PES13] ....................................................... 95 Abbildung 5-46: Versuchsaufbau zur Durchfahrt einer Palette [GRO13] .......................... 95 Abbildung 6-1: Riegelkonzept des IFT [POP18] ........................................................... 100 Abbildung 6-2: Beispielansicht Montagestation mit Regalmodulen und Regalbediengerät [HOF22] ................................................................... 101 Abbildung 6-3: FTF Shelfie beim Transport eines Regalmoduls .................................. 103 Abbildung 6-4: FTF Shelfie beim Transport eines Warenkorbgestells .......................... 104 Abbildung 6-5: Prinzipieller Aufbau des Riegel FTF (Gehäuse transparent dargestellt) ............................................................................................ 104 Abbildung 6-6: Schnittbild selbstentwickeltes Lenk- und Fahrmodul ............................ 105 Abbildung 6-7: Riegel-FTF dockt das Regalmodul an das Mini-Regalbediengerät an . 106 Abbildung 6-8: erster Entwurf der mobilen Montageinsel ............................................. 108 Abbildung 6-9: Schematische Darstellung des Absetzen des Fahrzeuges [HOF22] .... 110 Abbildung 6-10: Prototyp der mobilen Montageinsel in der Arena2036 .......................... 111 Abbildung 6-11: Durch Vermessung eines Fahrzeuges mit SLAM-Algorithmen erstellte Karte [LEJ22] .......................................................................... 113 Abbildung 6-12: Prinzip der UWB-Ortung ....................................................................... 115 Abbildung 7-1: FTF Baukasten der Firma FlexQube [FLE21] ....................................... 118 Abbildung 7-2: FTF Antriebssystem von Gefeg-Neckar in verschiedenen Größen [GEF22] ................................................................................................ 119 Abbildung 7-3: Antriebsbaukasten ArgoDrive von ebm-papst für verschiedene Radlasten [EBM22] .............................................................................. 120 Abbildung 7-4: FTF mit einfachem LAM (KaTe Firma Götting) [GÖT18] links und FTF mit automatisierter Übergabe [MKT22] rechts .............................. 120 Abbildung 7-5: Kontaktbehaftete (links) [VAL20] und berührungslose (rechts) [CON22] Energieübertragung zum Laden der Systeme ...................... 121 Abbildung 7-6: Optische Spurführung [GÖT16] ............................................................ 122 Abbildungsverzeichnis 12 Abbildung 7-7: Durch SLAM Verfahren erzeugte Karte [LEJ22] ................................... 123 Abbildung 7-8: Personensicherer Laserscanner [SIC22] .............................................. 124 Abbildung 7-9: Sicherer Ultraschallsensor [PEP22] ..................................................... 125 Abbildung 7-10: ToF-Kamera zur Hinderniserkennung [IFM22] ..................................... 126 Abbildung 7-11: Regalgang aus Sicht eines Lidar Sensors [TOY22] ............................. 127 Abbildung 7-12: Spurführungs- und Positionierungssensorik des FTF Shelfie ............... 128 Abbildung 7-13: Vom IFT entwickeltes FTF Scooty ........................................................ 131 Abbildung 7-14: Fahr-Lenk Antrieb mit Lenkmotor FTF Scooty ...................................... 132 Abbildung 7-15: Demonstrator Intelligenter Boden der Firma Bosch Rexroth, aufgebaut aus einzelnen Elementen mit integrierter LED-Lichtleiste und Gewichtssensorik in der Arena2036 Versuchshalle ...................... 133 Abbildung 7-16: Sekundärspule des Fahrzeugs mit 4 Sensespulen .............................. 134 Abbildung 7-17: Akku von Elektrowerkzeugen als Energiespeicher im Fahrzeug .......... 135 Abbildung 7-18: einer der Fahrlenkantriebe des FTF Scooty ......................................... 136 Abbildung 7-19: FTF Agile 1500 des Herstellers Comau [COM21] ................................. 139 Abbildung 7-20: Varianten verschiedener LAM [COM21] ................................................ 140 Abbildung 7-21: Variationsmöglichkeiten des FTF Systems VARIO MOVE [EKR21-1] . 141 Abbildung 7-22: Grundmodul des FTF CALL THE DONKEY [DON21] .......................... 142 Abbildung 7-23: Lastmodul für KLT-Trolleys (links) und Paletten (rechts) [DON21] ....... 142 13 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Vergleich der FTS (monofunktional links vs. Multifunktional Mitte und rechts) .. 41 Tabelle 2: Hauptmaße der Doppelkufen-Fahrzeuge [COL11] ............................................ 53 Tabelle 3: Programme im Doppelkufensystem [COL12] .................................................... 59 Tabelle 4: Freiheitsgrade im Ebenen [COL12] ................................................................... 76 Tabelle 5: Messergebnisse bei Versuch 3 mit Aufnahmeabstand 30 cm [PES13] ............. 96 14 Abkürzungsverzeichnis AGV Automatic Guided Vehicles Akku Akkumulator BLDC Brushless DC Motor Bzw. Beziehungsweise CAD Computer Aided Design CNC Computerized Numerical Control EDV Elektronische Datenverarbeitung EE Einzelelement EHB Elektrohängebahn FTF Fahrerloses Transortfahrzeug FTS Fahrerloses Transportsystem ggf. gegebenenfalls GPS Global Positioning System ID Identifikator oder Kennung IEH Institut für Energieübertragung und Hochspannungstechnik IFL Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme IFT Institut für Fördertechnik und Logistik IML Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IT Informationstechnik KARIS Kleinskaliges Autonomes Redundantes Intralogistik-System KaTe Kleine automatische Transporteinheit KLT Kleinladungsträger Abkürzungsverzeichnis 15 LAM Lastaufnahmemittel LAN Local Area Network LED light-emitting diode Lidar light detection and ranging m Meter MFS Materialflusssystem mm Millimeter NFC Near Field Communication PC Personal Computer prim. primär RBG Regalbediengerät RFID Radio Frequency Identification sog. So genannten SPS speicherprogrammierbare Steuerungen ToF time-of-flight UWB Ultra-Wideband VDA Verband der Automobilindustrie e. V. VDI Verein Deutscher Ingenieure Vgl. Vergleiche WAN Wide Area Networks WLAN Wireless LAN z. B. zum Beispiel ZIM Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand ZTS Zellularen Transportsysteme 16 1 Einleitung Die hier vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Automatisierung der Intralogistik mittels Fahrerloser Transportfahrzeuge (FTF) und dem Einsatz in Fahrerlosen Transportsystemen (FTS) für die innerbetriebliche Logistik von Industrie, Handel, Produktion etc. Die Fahrerlosen Transportfahrzeuge sind erstmals in den 1950er Jahren in den USA zur Automatisierung des Materialflusses für Transport- und Handhabungsaufgaben eingesetzt worden. Sie wurden stetig sowohl im Bereich der Hardware der Fahrzeuge, der Steuerungs- und Regelungstechnik und der Navigation als auch im Bereich der verwendeten Software weiterentwickelt. Diese Entwicklungsstufen werden in Kapitel 1.2 beschrieben. Die Arbeit befasst sich mit der Neuentwicklung bzw. Weiterentwicklung, der Konstruktion und Prototypenrealisierung sowie dem Test der Prototypen und der methodischen neuen Systematisierung der Fahrerlosen Transportsysteme. Die vom Autor geschilderten Entwicklungen, Ideen und Realisierungen erstrecken sich auf einen Zeitraum von 2007 bis 2022. Definition Fahrerloses Transportsystem (FTS) und Fahrerloses Transportfahrzeug (FTF) Die beiden Begriffe der Fahrerlosen Transportsysteme und der Fahrerlosen Transportfahrzeuge sind bisher mit der VDI Richtlinie 2510 definiert und festgelegt, vgl. [VDI05]: Fahrerloses Transportsystem (FTS) (Englisch: Automated Guided Vehicle Systems (AGVS)) Fahrerlose Transportsysteme (FTS) sind innerbetriebliche, flurgebundene Fördersysteme mit automatisch gesteuerten Fahrzeugen, deren primäre Aufgabe der Materialtransport, nicht aber der Personentransport ist. Sie werden innerhalb und außerhalb von Gebäuden eingesetzt und bestehen im Wesentlichen aus: • einem oder mehreren Fahrerlosen Transportfahrzeugen • einer Leitsteuerung Einleitung 17 • Einrichtungen zur Standortbestimmung und Lageerfassung • Einrichtungen zur Datenübertragung • Infrastruktur und peripheren Einrichtungen Fahrerloses Transportfahrzeug (FTF): (Englisch: Automated Guided Vehicle (AGV)) Fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) sind flurgebundene Fördermittel mit eigenem Fahrantrieb, die automatisch gesteuert und berührungslos geführt werden. Sie dienen dem Materialtransport, und zwar zum Ziehen und/oder Tragen von Fördergut mit aktiven oder passiven Lastaufnahmemitteln. Typische Einsatzgebiete sind die Intralogistik bei Stückgut-Herstellern, die Montagelinien in der Serienmontage, die Krankenhauslogistik und die Hafenlogistik. Quelle: VDI-Richtlinie 2510 [VDI05] Die verschiedenen FTF werden in der Richtlinie in verschiedene Bauformen unterteilt. Unterschieden wird dabei grundsätzlich zwischen lastziehenden und lastragenden FTF. Eine weitere Unterteilung erfolgt dann lediglich nach der konstruktiven Gestaltung der Lastaufnahme. Die FTF und deren Entwicklung im Laufe der Zeit Unter der geschichtlichen und auch heute gültigen Definition der Fördertechnik versteht man die Technik des Fortbewegens von Gütern und Personen in beliebiger Richtung und über begrenzte Entfernungen (vgl. [WEH20]). Die Fördermittel stellen innerhalb der Materialfluss und Logistiksysteme die Arbeitsmittel für den innerbetrieblichen Materialfluss mit den Aufgaben:  Fördern  Verteilen  Sammeln  Lagern Einleitung 18 dar. Die zentrale Bedeutung der Fördertechnik in heutigen Materialfluss- und Logistiksystemen erkennt man aus der folgenden Abbildung 1-1: Abbildung 1-1: Distributionszentrum mit den Funktionsbereichen der Logistik und einer Produktionsanlage (Quelle [WEH20]) Die Funktion „Fördern“ unterteilt man in Stetigförderer und Unstetigförderer. Viele der sogenannten Unstetigförderer sind Flurförderfahrzeuge wie Gabelstapler, Fahrerlose Transportsysteme etc. Aus dieser kurzen Beschreibung erkennt man welche herausragende Bedeutung im Sinne der Realisierung von Materialfluss und Logistiksystemen Fahrerlose Transportsysteme schon seit langer Zeit haben. Im nachfolgenden soll die Erfindung und Entwicklung von FTS zusammenfassend geschildert werden. Es können unterschiedliche Entwicklungsstufen aufgezeigt werden. Fahrerlose Transportsysteme, oder wie im englischen AGV, sind in den Jahren 1954 durch eine amerikanische Firma erstmals in Form eines Fahrerlosen Transportsystems als Schleppzug für mehrere Anhänger über große Strecken realisiert worden. Sie wurden für wiederkehrende Sammeltransporte über Strecken installiert. Die Fahrzeuge folgten einem stromdurchflossenen Leiter, welcher im Boden verlegt war. In England ist im Jahre 1956 Einleitung 19 ebenfalls ein FTF realisiert worden, welches auf einem Farbstreifen auf dem Boden fuhr, also mit einem optischen Sensor arbeitete (vgl. [ULL14]). In Deutschland starteten die Firmen Jungheinrich aus Hamburg und Wagner aus Reutlingen in den frühen sechziger Jahren mit der FTF Entwicklung. Sie automatisierten die bisher von ihnen entwickelten und verkauften manuellen Gabelhub- und Plattform-Fahrzeuge. Seit Mitte der 1960er Jahre fanden die ersten Einzeltransportanwendungen im Rahmen der Verkettung von Arbeitsplätzen statt(vgl. [ULL14]). Die nächste Entwicklungsstufe begann etwa in den 1970er Jahren und endete Anfang der 1990Jahre. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass einfache Bordrechner und relativ große Schaltschränke für die Blockstreckensteuerung in den Anlagen realisiert wurden. Die Technologie der Fahrzeuge verbesserte sich wesentlich in dieser Entwicklungsstufe. Es wurde erkannt, dass die extrem rasante Entwicklung in der Elektronik und Sensorik in zukünftigen FTS wesentlich neue Märkte erschließen wird. In dieser Entwicklungsstufe war vor allen Dingen die Automobilindustrie ein wesentlicher Anwender von FTS. Hier wurden sehr große Anlagen mit oft mehreren 100 Fahrzeugen realisiert. Ende der achtziger Jahre kündigte sich eine Veränderung an und zwar im Zusammenhang mit den entstehenden Wirtschaftsrestriktionen. Das Geld für Investitionen wurde knapper und die FTS bekamen darüber hinaus das Image zu teuer zu sein und ihre Flexibilität sei nicht ausreichend. Die Verkaufszahlen und die Anzahl der Anbieter von FTS sanken drastisch ab (vgl. [ULL14]). Die letzte historische Stufe begann Mitte der Neunzigerjahre und ging etwa bis ins Jahr 2010. Hier wurden neue technologische Standards geschaffen und Märkte gefestigt. Als Leitsteuerung fungierten handelsübliche PC. In den Fahrerlosen Transportfahrzeugen waren SPS oder Mikrocontroller installiert. In dieser Phase wurde die Vorherrschaft der Automobilindustrie für FTS Anwender durch eine Fülle von unterschiedlichen, neuen Anwendern aus den Bereichen der Produktion und Intralogistik abgelöst. Die wesentlichen Fortschritte in der Fahrzeug- und Steuerungstechnik lassen sich mit den nachfolgenden Schlagworten definieren:  Fahrzeuge mit erhöhter Geschwindigkeit beim Fahren  Automatisiertes Lasthandling  alternative Energiekonzepte  neue Navigationsverfahren  etc. Einleitung 20 Die jetzt letzte und wichtigste Entwicklungsstufe wird im Nachfolgenden mit dieser Dissertation geschildert und dargestellt, wobei nicht nur die Entwicklungen des IFT in Stuttgart, sondern auch ausgewählte parallele Entwicklungen an anderen Instituten und der Industrie beschrieben werden. Einleitung 21 Ziel der Arbeit Diese Arbeit berichtet über Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkte, die vom Verfasser in seiner Zeit erst als Mitarbeiter und dann als Leiter der Abteilung Maschinenentwicklung und Materialflussautomatisierung am Institut für Fördertechnik und Logistik an der Universität Stuttgart durchgeführt wurden. Die Arbeit hat zwei Schwerpunkte und Ziele: 1. Es wird umfassend und systematisch über mehrere Technologien, vor allem im wissenschaftlichen Grundlagenbereich, für den Einsatz von Fahrerlosen Transportfahrzeugen in entsprechenden Fahrerlosen Transportsystemen und deren zielgerichteter und systematischen Entwicklung berichtet. Wesentliches Ziel dabei ist, die Kosten für FTF deutlich zu senken. Wie im Kapitel 3 dargestellt wird, lagen die Kosten für ein FTF für die Aufnahme einer Palette inklusive Software, Sicherheitstechnik etc. im Bereich von 100.000 bis 150.000 Euro. 2. Während dem Zeitraum der 15 Jahre der Neuentwicklungen ergab sich die Notwendigkeit, die große Vielfalt der Fahrzeuge, die bisher alle unter die Bezeichnung FTF fallen, neu zu systematisieren um damit die verschiedenen Systeme und unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten zu kategorisieren und für die Zukunft eindeutig, im Vergleich zur heutigen Definition, festzulegen. Eine der bisher üblichen Definitionen (vgl. VDI-Richtlinie 2510 [VDI05]) siehe Kapitel 1.1 lautet: Durch ein FTF wird ein flurgebundenes Fördermittel mit eigenem Fahrantrieb beschrieben, das automatisch gesteuert und berührungslos geführt wird. Im Gegensatz zu dieser Definition werden zukünftig die Summe aller Fahrerlosen Transportfahrzeuge in drei unterschiedliche Funktionsklassen:  Monofunktionale FTF  Multifunktionale FTF  Modulare FTF eingeteilt. Aus diesen beiden Schwerpunkten, die im Rahmen der Arbeit betrachtet werden, lassen sich zwei Forschungsfragen ableiten, die durch diese Arbeit beantwortet werden können: 1. Ist es im Rahmen der durchgeführten Neuentwicklungen, unter Einbeziehung modernster Technologie, möglich die Kosten für maschinenbauliche Konstruktion, Navigation, Sicherheitstechnik, Steuerungstechnik sowie für die Softwareanteile wie Einleitung 22 oben gefordert deutlich zu senken? 2. Können die verschiedenen FTF durch die Unterteilung in Monofunktionale-, Multifunktionale- und Modulare Fahrzeuge heute, aber auch für die zukünftige Entwicklung, neu gegliedert werden? 23 2 Stand der Technik und Forschung Der Stand der Technik im Bereich der Fahrerlosen Transportsysteme ist sehr Umfangreich, wenn man auch die am Markt kaufbaren/erhältlichen unterschiedlichen Fahrzeuge verschiedenen Hersteller berücksichtigen möchte. Dies würde den Umfang der Arbeit bei weitem überschreiten. Aus diesem Grund werden für den Stand der Technik dieser Arbeit Entwicklungen von deutschen Forschungsinstituten und ein Beispiel aus der Industrie exemplarisch herangezogen. Nachdem im Rahmen dieser Arbeit der Begriff FTF neu systematisiert wurde (siehe dazu Kapitel 4), wird in den Kapiteln 5, 6 und 7 zusätzlich auch auf am Markt bestehende Systeme eingegangen. Als am IFT mit der Entwicklung erster Fahrerloser Transportsysteme begonnen wurde gab es auch an anderen Instituten parallele Entwicklungen verschiedener System. Dabei wurden allerdings andere Ansätze wie am IFT verfolgt. Meist sollten durch diese neuen Entwicklungen komplexe Systeme entstehen, die in der Lage sind möglichst viele verschiedene Funktionen abzubilden. Am IFT dagegen wurde der im Kapitel 1.3 beschriebene Ansatz für monofunktionale, multifunktionale und modulare FTF verfolgt, möglichst auf ihre Aufgabe spezialisierte und dadurch einfache und kostengünstige Systeme zu entwickeln. Im Folgenden werden drei verschiedene Entwicklungen aus anderen Hochschulinstituten und der Industrie dargestellt, welche die oben beschriebenen Ansätze wiederspiegeln. Multishuttle Move Am Fraunhoferinstitut für Materialfluss und Logistik IML an der Universität Dortmund wurde, in Zusammenarbeit mit der Firma Dematic, das Multishuttle Move System entwickelt als Weiterentwicklung des Multishuttle Systems [IML10-2]. Hinter der Entwicklung des Vorgängersystems Multishuttle steckt die Idee ein Behältertransportsystem zu entwickeln, welches sich sowohl auf Schienen innerhalb des Lagers bewegen kann, aber auch auf Schienen das Lagersystem verlassen kann, um damit die Ware direkt in die Produktion zu transportieren. Diese schienengebundenen Fahrzeuge sollten dabei so kostengünstig sein, dass sie mit konventioneller Behälter-Fördertechnik (wie z.B. Gurt- oder Rollenförderer) verglichen werden können. Durch ein entsprechendes Lastaufnahmemittel (LAM) sind die Stand der Technik und Forschung 24 Fahrzeuge selbstständig in der Lage im Lager Ein- und Auslagerungsvorgänge durchzuführen. Durch diese Vorgehensweise sollten zeitaufwendige Umlagerungsvorgänge und Übergabesituationen entfallen (vergleiche [IML10-2]). Diese erste Entwicklung des Multishuttles stellte ein System dar, welches für den Transport innerhalb eines Schienensystems optimiert war. Dieses System wurde durch den Entwicklungspartner Dematic unter dem Produktnamen Multishuttle® vertrieben. Das System war in zwei verschiedenen Varianten verfügbar. In der Variante „Captive“ wurde jede Regalebene von einem eigenen Fahrzeug bedient. Damit sind Ein-/ Auslager- Leistungen von bis zu 600 Behälter/h möglich. In der anderen Variante „Roaming“ konnten die Fahrzeuge sich in unterschiedlichen Ebenen bewegen, indem ein Vertikalumsetzer eingesetzt wurde. Die Leistung dieses Systems konnte durch die Anzahl der eingesetzten Fahrzeuge skaliert werden. Die Idee war durch diesen Ansatz ein integrales kostengünstiges Lager- und Transportsystem zu realisieren, welches gegenüber üblicher Rollen-Fördertechnik höhere Fördergeschwindigkeiten erreicht. Die Leistung des Systems kann im Vergleich zu starrer Fördertechnik allerdings durch den Einsatz verschieden vieler Fahrzeuge variiert und angepasst werden (vergleiche [IML10-1]). Zudem war ein flurfreier Einsatz durch Überkopfmontage des Schienensystems möglich. Abbildung 2-1: Prototyp des Multishuttle [IML10-1] Stand der Technik und Forschung 25 Sind in der Anwendung allerdings größere Distanzen zwischen dem Lager und dem Bedarfsort (Kommissionierzone mit manuellen Arbeitsplätzen, Montagestation etc.) zu überwinden, wird der Aufwand für das System durch die benötigten Schienen sehr groß. In der Praxis wurden deshalb die KLT vom Multishuttle auf bisherige Stetigfördertechnik übergeben, die den Transport zwischen Lager und Bedarfsort übernimmt. Dadurch geht allerdings der Vorteil der direkten Anbindung verloren und es entsteht ein komplexes Fördersystem mit vielen unterschiedlichen Komponenten. Um dies Problem zu lösen, entstand die Idee der Weiterentwicklung des Systems unter dem Namen Multishuttle Move. Dabei handelt es sich um ein System, welches kompatibel zum schienengeführten Standard-Multishuttle ist, aber durch ein zusätzliches Flur-Fahrwerk direkt auf dem Hallenboden fahren kann. Dadurch konnte das aufwendige Schienensystem zwischen Lager und Bedarfsort entfallen. Das Flurfahrwerk bestand aus zwei angetriebenen Rädern und einer passiven Lenkrolle. Die Lenkung im Flur-Betrieb erfolgte durch Drehzahl- Differenz der beiden Fahrantriebe. Dieses weiterentwickelte Multishuttle-Move-System stellt somit außerhalb des Lagers ein FTF dar, welches frei verfahren kann. Durch das Fahren des Multishuttle Move Systems auf dem Boden ist es möglich, von allen Quellen aus alle Senken auf dem direkten Weg (ohne Umsetzen oder Lastübergabe) zu erreichen. Durch dieses freie Verfahren ist somit auch eine Pufferung oder Sequenzierung der Ladungsträger möglich. Das IML bezeichnet die Multishuttle Move Systeme auch als Zellulare Transportsysteme (ZTS) (vgl. [IML10-2]). Bei diesen Zellularen Transportsystemen transportiert eine große Anzahl kleiner und baugleicher autonomer Transportfahrzeuge die Kleinladungsträger. Dies soll klassische Stetigfördertechnik dort ersetzen, wo ein hohes Maß an Flexibilität und Wandelbarkeit gefragt ist. Vorteile bei Anwendung dieser Technologie ergeben sich, wenn die Verknüpfung von Transportquellen und -senken flexibel gestaltet werden soll, die Transportleistung an stark schwankende Bedarfe angepasst werden muss oder wenn die Fläche zwischen Lager und Bedarfsort nicht dauerhaft durch Stetigfördertechnik verbaut werden soll. Typische Anwendungsgebiete sollen kleine und mittlere Distributionszentren oder Produktionsbetriebe sein (vgl. [IML10-1]). Stand der Technik und Forschung 26 Abbildung 2-2: Frei verfahrbare Variante, das Multishuttle Move [IML10-1] Die Abbildung 2-2 zeigt das Multishuttle Move. An der Fahrzeugseite sind die Antriebsräder und Führungsrollen für den Schienenbetrieb im Lager erkennbar. Das Flur-Fahrwerk befindet sich im Boden des Fahrzeugs und ist in der Abbildung nicht zu sehen. Zur Absicherung des Fahrzeuges im freien Betrieb z.B. in einer Halle sind vorne und hinten je ein personensicherer Laserscanner verbaut. Über die Messdaten dieser Laserscanner wird im Flurbetrieb auch die Navigation der Fahrzeuge realisiert. Die Energieversorgung erfolgt im Flurbetrieb durch mitgeführten Akkus, im Schienenbetrieb mittels Schleifleitungen, über die die Akkus auch geladen werden. Das Lastaufnahmemittel kann zu beiden Seiten des Fahrzeuges Behälter aufnehmen und abgeben und wurde aus dem Vorgängersystem Multishuttle übernommen. Da in der Anwendung sehr viele Fahrzeuge eingesetzt werden sollen eignet sich für die Steuerung dieser Zellularen Transportsysteme kein zentrales Steuerungskonzept (Leitsteuerung) aufgrund seiner fehlenden Flexibilität. Daher wurde die Steuerung der Fahrzeuge dezentral nach dem Prinzip des „Internet der Dinge“ durch den Einsatz von Multi- Stand der Technik und Forschung 27 Agenten-Software umgesetzt. Diese Selbststeuerung soll die Zellularen Transportsysteme wandelbar machen, da die Gesamtleistung des Systems durch einfaches Hinzufügen oder Weglassen von autonom agierenden Fahrzeugen frei skalierbar ist (vgl. [IML10-1]). Durch diesen dezentralen Ansatz entsteht eine Schwarmintelligenz, bei der das Wissen aller Fahrzeuge genutzt wird. Dadurch ist eine Optimierung der Fahrwege und somit des Gesamt-Transportdurchsatzes möglich. Zur Navigation der Fahrzeuge wurde ein hybrides Sensorkonzept entwickelten, bestehend aus Koppelnavigation, Funkortung, Abstands- und Inertialsensoren. Durch diese Navigationstechnik können sich die Fahrzeuge ohne Leitlinien frei auf der Fläche bewegen. Das Fahrzeug kann auftauchende Hindernisse (Paletten, Schachteln, aber auch andere Fahrzeuge etc.) erkennen und diese umfahren. Durch die leitlinienlose Navigation (und somit flexiblen Fahrwege) können die Fahrzeuge sich jeweils die optimalste Route zum Ziel suchen (optimaler Durchsatz). Die Kommunikation der Fahrzeuge miteinander wird durch eine WLAN- Funkverbindung realisiert. Darüber stimmen sich die Fahrzeuge zur Routenfindung untereinander ab und vergeben die jeweiligen Transportaufträge (vgl. [KIR12]; [IML10-2] und [IML10-1]). Mit dem Multishuttle Move System können Lager gebaut werden, die ohne stationäre Fördertechnik in der Lagervorzone auskommen und somit deutlich flexibler sind. Die Fahrzeuge können in die Lagerbereiche direkt in der untersten Regalebene ein- und ausfahren (siehe Abbildung 2-3). Bei mehrgassigen Lagern kann auf der untersten Regalebene die Querverteilung durch Öffnungen in den jeweiligen Regalen erfolgen. Übergabestationen an Kommissionierplätzen oder Montagestationen können beliebig angeordnet werden. Es müssen allerdings ausreichend Fahrwegbereiche vorgesehen werden, in denen sich die Fahrzeuge auch überholen können. Stand der Technik und Forschung 28 Abbildung 2-3: Mögliche Variante eines kompletten Multishuttle Move Systems mit Lagerbereich im Hintergrund und Kommissionierplätzen im vorderen Bereich [IML10-1] Das Multishuttle Move stellt aufgrund der flexiblen Fahrzeuge (Fahrt im Regal und Flur- Fahrwerk, freie Navigationstechnik, dezentrale Steuerung etc.) ein sehr komplexes System dar und ist damit mit hohen Kosten verbunden. Stand der Technik und Forschung 29 KARIS Am Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme der Universität Karlsruhe wurde das System KARIS entwickelt (vgl. [KAR18]). Dahinter steckt die Idee eines FTF, welches sowohl als einfaches Transportfahrzeug eingesetzt werden kann, als auch sich gruppieren kann, um eine Stetigfördertechnik zu realisieren (siehe Abbildung 2-5). Um dies zu ermöglichen sind die Fahrzeuge an der Oberseite mit Stetigfördertechnik ausgestattet, welche einen Transport von Behältern in zwei Richtungen ermöglicht. Zur Absicherung sind an den Fahrzeugen jeweils an diagonal gegenüberliegenden Ecken zwei personensichere Laserscanner angebracht. Diese werden auch zur Navigation (freie Navigation) verwendet. Durch die dafür notwendige Technik ergibt sich ein sehr aufwendiges und teures Fahrzeug für den Transport von KLT 600 x 400mm mit 30kg Gewicht. Damit die Fahrzeuge aneinander andocken können wird zur entsprechenden Positionierung ein flächenbewegliches Fahrwerk benötigt, was durch den Einsatz von Mecanum-Räder realisiert wurde. Im Rahmen der Entwicklung wurden verschiedene Prototypen realisiert. In der Praxis wurde bisher die Kombination aus Stetig- und Unstetigförderer nicht umgesetzt, da zu komplex und zu teuer. Das Konzept für diese Fahrzeuge entstammt, wie beim Multishuttle Move, aus der Überlegung flexible und wandlungsfähige Systeme zu realisieren. Stetigförderer, wie Rollenbahnen oder Gurtförderer, sind starr und unflexibel und erfordern einen erheblichen Aufwand für die Integration in die bestehende Infrastruktur. Spätere Anpassungen sind nur mit großem Aufwand möglich. Fahrerlose Transportsysteme hingegen erreichen meist nicht die erforderliche Durchsatzleistung. Die Idee des KARIS Systems liegt darin, diese beiden Varianten zu kombinieren und die jeweiligen Vorteile zu nutzen. Das KARIS-System besteht aus Fahrzeugen mit einer Abmessung von 500mm × 500mm × 400mm, welche an der Oberseite mit einem Förderantrieb in zwei Richtungen und an der Unterseite mit einem flächenbeweglichen Fahrantrieb ausgestattet sind. Die Fahrzeuge sind dezentral gesteuert, es gibt keine zentrale Leitsteuerung. Stand der Technik und Forschung 30 Abbildung 2-4: Prototyp des KARIS Systems [INT18] Im Fahrzeug (siehe Abbildung 2-4) sind die Funktionen Fortbewegung, Navigation, Energieversorgung, Auftragsverwaltung und Kommunikation untergebracht. Dabei sind alle Fahrzeuge identisch aufgebaut und können alle Funktionen übernehmen. Somit können Aufgaben redundant von anderen Fahrzeugen übernommen werden. Dadurch ist stets eine hohe Systemverfügbarkeit gewährleisten. Die Fahrzeuge sind dabei so kombinierbar, dass ein einzelnes Fahrzeug (Einzelelement EE) einen Kleinladungsträger aufnehmen, transportieren und abgeben kann. Es können sich aber auch mehrere Einzelelemente zu einem Cluster zusammenfinden und die Transportaufgaben auf alternative Art realisieren. Abbildung 2-5: Darstellung der verschiedenen Konfigurationsmöglichkeiten [INT18] Stand der Technik und Forschung 31 Dabei gibt es zwei Möglichkeiten Cluster zu bilden: - Unstetig-Cluster - Stetig-Cluster Beim Unstetig-Cluster schließen sich mehrere EE zusammen und bilden ein zusammengesetztes Fahrzeug, um somit gemeinsam größere Ladeeinheiten aufnehmen und transportieren zu können. Der dynamisch aufgebaute Unstetig-Cluster kann somit eine (oder ggf. auch mehrere Fördereinheiten) analog einem FTS transportieren. Beim Stetig- Cluster schließen sich ebenfalls mehrere EE zusammen. Dabei ordnen sich die EE so an, dass sie eine Transportlinie bilden und über die an der Oberseite angebrachte Fördertechnik Ladeeinheiten befördern können. Sie bilden somit einen Stetigförderer, der einen hohen Durchsatz an Ladeeinheiten ermöglicht. Der Stetigförderer kann, durch Anordnung der einzelnen EE, mit Verzweigungen und Zusammenführungen aufgebaut werden. Nach Abschluss eines Auftrags kann sich der Funktionscluster wieder auflösen und die EE stehen wieder für weitere Aufgaben zur Verfügung. Der komplette Materialfluss eines Intralogistik- Systems kann somit durch EE oder Funktionscluster abgebildet werden (vgl. [HIP09]). Im Rahmen des Projektes wurden kleine omnidirektionale Fahrantriebe entwickelt, die in den Fahrzeugen zum Einsatz kommen. Dadurch wird ein flächenbewegliches Fahren des Fahrzeuges ermöglicht. Für den Zusammenschluss mehrerer EE zu einem Cluster ist eine Kopplung notwendig, die neben der mechanischen Verbindung die Übertragung von Daten und ggf. Energie ermöglicht. Aufgrund des eingesetzten Mecanum-Fahrwerks und dessen unpräzisen Fahrverhaltens konnte die Kopplung jedoch im Projekt nicht umgesetzt werden. Die Clusterbildung konnte somit nicht untersucht und getestet werden. Zur Bildung der Cluster, vor allem des Stetig-Clusters, muss das Fahrzeug auch über eine ausreichend große Energieversorgung (Akku) verfügen. Einen weiteren wichtigen Punkt stellt die dezentrale Steuerung des Systems dar. Besonders anspruchsvoll ist hierbei die Entwicklung von Algorithmen zur Objektunterscheidung oder zur dezentralen Aufgabenverwaltung (vgl. [KAR18] und [COL16]). Stand der Technik und Forschung 32 Abbildung 2-6: KARIS-Fahrzeuge eingesetzt für Einzeltransporte [INT18] Das Karis System hat durch seinen Ansatz Cluster und damit auch ein Stetigfördersystem abbilden zu können, einen sehr komplexen Aufbau. Dadurch ergeben sich für ein System zum Transport von KLT sehr hohe Fahrzeugkosten. Kiva System Bei diesem System eines amerikanischen Herstellers handelt es sich um ein FTF, welches quadratische Regalgestelle unterfährt und diese anheben und transportieren kann. Die Fahrzeuge bewegen sich in einem quadratischen Muster (immer rechtwinklig zueinander), orientiert über Bodenmarken. Mit dem System wird das Prinzip der Ware-zum-Mann Kommissionierung umgesetzt. Das Fahrzeug verfügt über einen Drehschemel mit jeweils zwei unabhängig angetriebenen Rädern. Dadurch wird das Fahrzeug gelenkt und es bewegt sich in einem rechteckigen Bewegungsmuster. Beim Lenkvorgang des Fahrzeuges wird das Lastaufnahmemittel, auf welchem das Regal sitzt, aktiv dagegen gedreht. Somit bleibt bei Stand der Technik und Forschung 33 einer Lenkbewegung des Fahrzeuges das Regal immer in der gleichen Orientierung (vgl. [AMA22]). Das System wird in Distributionszentren des Händlers Amazon zur Kommissionierung eingesetzt. Große Schwärme (bis zu mehreren tausend) dieser Fahrzeuge transportieren bewegliche Regale aus Blocklagerbereichen zu den Kommissionierplätzen. Zum Transport der Regale fährt das Fahrzeug unter das Regal, aus welchem ein Artikel kommissioniert werden soll und hebt dieses an. Das Fahrzeug fährt dann mit dem Regal aus dem Lagerbereich in den Kommissionierbereich. Dort angekommen reihen sich alle Fahrzeuge mit den Regalen in eine Schlange ein und führen die Regale richtig ausgerichtet (das Regal hat auf allen vier Seiten Lagerfächer) dem Kommissionierer vor. Er greift den entsprechenden Artikel aus dem Regal und scannt das Regalfach sowie den Artikel. Anschließend stellt das Fahrzeug das Regal an einem freien Platz ab und wartet auf den nächsten Auftrag (vgl. [MEM18]). Durch dieses System entfallen die Wege der Mitarbeiter durch die Regalgänge während des Kommissioniervorgangs. Es wird dem Kommissionierer im Schnitt alle sechs Sekunden ein neues Regal vorgeführt. Abbildung 2-7: Drive Unit des Kiva Systems [AMA22] Die Fahrzeuge oder auch mobile Robotereinheiten (Drive Units) genannt (siehe Abbildung 2-7) transportieren die Regale mit einer Geschwindigkeit von bis zu 1,3m/s. Die beiden Stand der Technik und Forschung 34 Antriebsräder des Drehschemels des Fahrzeuges werden über zwei Brushless-DC Motoren mit Encodern angetrieben. Das Fahrzeug verfügt über einen durch einen Spindeltrieb realisierten Hubmechanismus, mit dem die Regale um 50mm angehoben werden. Die Regale können dabei bis zu 600kg wiegen. Zur Navigation ist im Fahrzeug eine Kamera auf den Boden gerichtet. Diese Liest Barcodes, die in einem Raster auf dem Boden angebracht sind. Eine weitere Kamera schaut nach oben und liest Barcodes an der Unterseite der Regale. Dadurch richtet sich das Fahrzeug unter den Regalen aus und identifiziert das jeweilige Regal. Das Fahrzeug verfügt über keine personensichere Hindernissensorik und kann somit nur in einem abgesperrten Bereich fahren. Mechanische Drucksensoren und Infrarotsensoren können Hindernisse erkennen und das Fahrzeug stoppen. In größeren Warenhäusern kommen derzeit bis zu 3000 solcher Fahrzeuge zum Einsatz. Die Fahrzeuge sind mit einem Akku ausgestattet, welcher automatisch an Ladestationen geladen werden kann. Durch intelligente Regelungsalgorithmen werden etwaige Hardwarefehler (z.B. Abrollumfang des Rades durch Verschleiß) und daraus resultierende Positionsfehler ausgeglichen. Messungen der Roboter werden untereinander abgeglichen, um so z.B. Kamerafehlstellungen im laufenden Betrieb heraus zu rechnen (vgl. [AMA22] und [MEM18]). Es wurden eine Vielzahl verschiedener FTF an verschiedenen Forschungsinstituten und im industriellen Umfeld entwickelt. Wie jedoch bereits eingangs beschrieben unterscheiden sich alle diese Lösungen erheblich vom hier beschriebenen Ansatz. Es handelt sich meist um sehr komplexe Systeme, die viele Funktionen/Aufgaben übernehmen können, was jedoch die Kosten für die Fahrzeuge erheblich in die Höhe treibt. Die hier dargestellten Überlegungen hingegen sollen zu möglichst einfachen Fahrzeugen führen, die genau eine Aufgabe erfüllen. Dadurch wird die benötigte Technik auf ein Minimum reduziert und die Kosten der Fahrzeuge erheblich gesenkt. Systematische Weiterentwicklung der Systeme 35 3 Systematische Weiterentwicklung der Systeme Durch die in Kapitel 2 beschriebenen Grundlagen des Standes der Technik und den darin beschriebenen Systemen zeigt sich, dass sich viele neuartige Lösungsansätze ergeben, die in die bestehenden FTS-Strukturen nicht eingeordnet werden können. Daraus lässt sich die Notwendigkeit einer neuen systematischen Einteilung der Systeme, wie sie in dieser Arbeit (beschrieben im Kapitel 4) vorgenommen wird, ableiten. Durch die neue Einteilung sollen die Systeme klar kategorisiert werden und somit eine Einordnung hinsichtlich verschiedener Aufgaben und eine Vergleichbarkeit der Systeme ermöglicht werden. Die Vorgehensweise wird im folgenden Kapitel 4 beschrieben. Betrachtet man die historische Entwicklung der FTF, die dafür nötigen Voraussetzungen, die hohen Investitionen und die im Stand der Technik beschriebene Weiterentwicklung, lässt sich klar ableiten, dass um die Systeme weiter am Markt zu etablieren spezielle Forschungen zur Weiterentwicklung der Systeme notwendig sind. Bei der Weiterentwicklung der Systeme geht es im Wesentlichen darum zwei Ziele zu erreichen: 1. Technologische Weiterentwicklung mit den Kernzielen: a) Hohe Flexibilität und Wandelbarkeit an Produktionssystemen (durch den Einsatz von FTS) von heute und der Zukunft zu erzielen und b) erhebliche preisliche Kostensenkungen der Systeme (Systeme wie in Abbildung 3-1 schematisch dargestellt) von bisher 100.000-150.000€1 auf ein Niveau von 30.000€ für ein System für den Pallettentransport (konkretisiert in Kapitel 5.3) mit einer Tonne Last und 3.000 bis 5.000€ für FTF zum Transport für Kleinladungsträger KLT (konkretisiert in Kapitel 5.2) zu erreichen. 2. Modernste Technologien zu verwenden z.B. für Navigation/Spurführung, Sensorik, Sicherheitstechnik, Antriebe, etc., um die FTF flexibel und einfach einsetzen zu können und die unter dem ersten Punkt angesprochenen Ziele der erheblichen Kostensenkung zu erreichen. 1 Kosten für ein FTF für Pallettentransport mit 1,5 Tonnen Last und automatischer Aufnahme und Abgabe der Last Systematische Weiterentwicklung der Systeme 36 Abbildung 3-1: Beispielhafte Darstellung einiger Fahrerloser Transportfahrzeuge [WEH20] In der Abbildung 3-1 werden in der Vergangenheit entwickelte und verwendete FTF für den Transport von Paletten oder vergleichbaren Lasten dargestellt. Solche Fahrzeuge kosteten in der Regel zwischen 100.000 und 150.000€ und mehr. Vorgehensweise 37 4 Vorgehensweise Eine umfangreiche Literaturrecherche zeigt, dass es bei heutigen am Markt angebotenen FTF eine große Anzahl an verschiedenen Typen, Ausführungen und Herstellern gibt. Aus der vom Verfasser vergebenen und betreuten Studienarbeit von Herrn Mickey Hoffman [HOF21] kann entnommen werden, dass eine systematische Marktanalyse eine Anzahl mehrerer hundert unterschiedlicher FTF Fahrzeuge ergeben hat. In der Studienarbeit wird auf die Webseite www.lotsofbots.com der Firma Waku-Robotics verwiesen, auf der über 200 Fahrzeuge (Stand 03.07.2021) aufgelistet sind, und die somit einen guten und vielseitigen Überblick über einen Großteil der verfügbaren FTF bietet. Sowohl für die Einteilung der FTF als auch vor allen Dingen für die zielgerichtete Weiterentwicklung und Optimierung erscheint es daher erforderlich, eine neuartige, zuverlässige (auch zukunftssichere) Klassifizierung und Einordnung von Fahrerlosen Transportsystemen vorzunehmen. Aufgrund der vielfältigen Aktivitäten des Verfassers im Bereich der FTF und seiner Forschungsergebnisse wird im Rahmen dieser Arbeit eine Dreifacheinteilung entwickelt und im Weiteren als neue Einteilung der verschiedenen Fahrzeugsysteme vorgeschlagen: Monofunktionale FTF Sie sind so konzipiert und aufgebaut konkrete einzelne Aufgaben zu erfüllen. Solche monofunktionalen Systeme verfügen nicht über komplexe variable Lastaufnahmeeinrichtungen. Die Sensorik und Navigationstechnik etc. ist auf ein Minimum reduziert. Multifunktionale FTF Diese können sich an verschiedene Aufgaben anpassen, zum Beispiel durch variable Lastaufnahmemittel. Sie verfügen in der Regel über komplexe Sensorik, Sicherheitstechnik, Navigationstechnik etc. http://www.lotsofbots.com/ Vorgehensweise 38 Modulare FTF Diese lassen sich in Form eines Baukastensystems individuell gestalten und können somit schwer in eine der beiden vorherigen Kategorien eingeordnet werden, da beispielsweise ein Lastmodul entweder in Form von einem passiven oder aktiven Lastaufnahmemittel angebracht werden kann. Somit können sich ebenso mono als auch multifunktionale FTF, je nach Lösungskombination, ergeben. Daher werden solche FTF in eine dritte Kategorie eingeteilt. Die Einführung von zukünftigen Modularen-/Baukasten- FTS dient der Individualisierung, die bereits heute von verschiedenen Herstellern angeboten wird. Die Individualisierung bezieht sich auf einzelne Komponenten, wie etwa Energieübertragung und -speicherung, den Antrieb, die Navigationstechnik oder die Lastaufnahmemittel. Bei der zukünftigen Klassifizierung und Einteilung von FTF ist es notwendig alle Komponenten zu Berücksichtigen. Diese kann man in zwei Hauptgruppen einteilen: 1. Maschinenbaulicher Teil der FTF Hier sind zu nennen:  Chassis  Fahrwerk  Antrieb  Lastaufnahmemittel aktiv bzw. passiv  Ladungssicherung  Akku und Ladetechnik 2. Sensorik, Aktorik, Steuerungs-/Regelungstechnik Hier sind zu nennen:  Navigation/Spurführung  Hinderniserkennung  Sicherheitstechnik  Sensorik Vorgehensweise 39  Steuerung und Regelung der Fahrzeuge  Leitsteuerung  Layouterfassung und Bahnplanung In den nachfolgenden Kapiteln werden unter Kapitel 5 die monofunktionalen FTF, unter Kapitel 6 die multifunktionalen FTF und unter Kapitel 7 die modularen FTF im Detail vorgestellt. In diesen Kapiteln werden nochmals die jeweiligen ausführlichen Definitionen von Mono-, Multifunktionalen und Modularen FTF erläutert. Danach folgen die Arbeiten und Forschungsaktivitäten (Grundlagen) des Verfassers zu den jeweiligen Gruppen und eine kurze Übersicht von Fahrzeugen dieser Gruppen aus dem Industriebereich. Monofunktionale FTF 40 5 Monofunktionale FTF Der Einsatz von monofunktionalen FTF stellt die einfachste Form der Automatisierung von Transportprozessen durch FTF in der Logistik dar. Im Vergleich zu anderen FTS kann durch den Einsatz der monofunktionalen Systeme eine erhebliche Kostenreduzierung bei verschiedenen Transortprozessen innerhalb der Logistik erzielt werden. Solche monofunktionalen FTF sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass durch ihr passives LAM einfache Transportaufgaben ohne automatische Übergabe der Waren realisiert werden können. Sie eignen sich daher beispielsweise für den einfachen Transport von einer automatisierten Übergabestelle zu einer anderen, wobei es keiner eigenständigen Aufnahme oder Abgabe der Ware durch das FTF bedarf. Lösungen für solche Systeme können in ebenfalls passiven Übergabestationen liegen, welche durch unkomplizierte Umsetzungen eine Auf- oder Abnahme der Ladung ermöglichen. Solche Fahrzeuge sind Bestandteile dieses Kapitels und werden durch im Folgenden dargestellten Beispiele vorgestellt. Monofunktionale Transporteinheiten Das vom Verfasser als Doppelkufensystem bezeichnete FTF dient dem Transport von Europaletten von A nach B. Es kann Paletten mit einer Tonne Last direkt vom Boden aufnehmen und diese omnidirektional verfahren. Dazu fahren zwei mechanisch nicht verbundene Kufen in die Öffnungen der Palette ein, heben diese an und verfahren die Palette. Das Doppelkufensystem ersetzt somit andere FTF für den Palettentransport. Die Grundidee und die daraus resultierende Erfindungsmeldung stammt vom damaligen Assistentenkollegen Manuel Weber [WEB09]. Das System wurde weiterentwickelt und erste Prototypen aufgebaut, mit denen Tests durchgeführt wurden. Ein weiteres monofunktionales FTF stellt das KaTe-System dar, welches im folgenden Kapitel 5.2 detailliert beschrieben wird. Dieses System hat nur die Aufgabe einen KLT von A nach B zu befördern. Die Lastaufnahme muss an externen Lastübergabestationen oder von Hand erfolgen. Durch den Verzicht auf eine aktive Lastaufnahmevorrichtung kann das Fahrzeug technisch einfacher und somit kostengünstiger gebaut werden. Andere Institute haben sehr komplexe Systeme entwickelt, die jedoch unter anderem durch Monofunktionale FTF 41 die notwendige Sensorik und Rechenpower extrem teuer werden (siehe Tabelle 1 Vergleich KaTe, KARIS und Multishuttle Move). Das im Stand der Technik beschriebene FTF KARIS kann sich mit Hilfe zweier 3D-Laserscanner und einem Mecanum-Antrieb in der Fläche bewegen und selbst Lasten beispielsweise von einer Förderanlage übernehmen (vergleiche [COL16]). Ein weiteres Beispiel ist das ebenfalls im Stand der Technik beschrieben Multishuttle Move System. Es ist die Weiterentwicklung eines Shuttlefahrzeuges, wie es in automatischen Kleinteilelagern zum Einsatz kommt. Das Multishuttle Move kann jedoch eigenständig das Lager verlassen und mittels eines zusätzlichen Flurantriebs einen Behälter an einen externen Übergabepunkt bringen (Vergleiche Kapitel 2). Im Gegensatz zu anderen Forschungsinstituten verfolgt der Verfasser mit dem Doppelkufensystems und dem System „kleine automatische Transporteinheiten“ (KaTe) den Ansatz kostengünstige FTF zu entwickeln, die auf einen bestimmten Anwendungszweck zugeschnitten sind. In der folgenden Tabelle werden die drei beschriebenen Systeme gegenübergestellt: monofunktional multifunktional multifunktinal KaTe KARIS [INT18] Multishuttle Move [IML10-1] Kosten:2 2000€ - 5000€ Geschätzt >40000€ Geschätzt >60000€ Funktionen: Transport KLT Spurgeführte Navigation Transport KLT Freie Navigation Lastaufnahme Transport KLT Ein-/Auslagerung KLT Freie Navigation Lastaufnahme Tabelle 1: Vergleich der FTS (monofunktional links vs. multifunktional Mitte und rechts) 2 Die Kosten für ein KARIS-Fahrzeug und ein Multishuttle Move konnten nur geschätzt werden, da dem Autor keine öffentlich zugänglichen Informationen zu den Kosten vorlagen Monofunktionale FTF 42 Das Konzept der monofunktionalen Transporteinheiten ist durch seine kostengünstigen Fahrzeuge insbesondere dann im Vorteil, wenn es um einfache Transportaufgaben ohne Spezialfunktionen, wie Einlagern in ein automatisiertes Kleinteilelager etc., geht. Auch das später vorgestellte Doppelkufensystem wird zu den monofunktionalen Transporteinheiten gezählt, da es gezielt für den Transport von Paletten gebaut ist und beispielsweise keine Paletten stapeln kann. Kleine autonome Transporteinheiten Die vom Autor entwickelten kleinen automatischen Transporteinheiten (KaTe) sollen einen kostengünstigen Transport von Kleinladungsträgern, sogenannte KLTs, in der innerbetrieblichen Logistik ermöglichen. Dies kann z.B. die Strecke zwischen einem Lager und einem manuellen Kommissionierplatz (Ware zum Mann) sein oder auch die Nachschubversorgung von Produktionsanlagen. Die Entwicklung der KaTe entstand gemeinsam mit der Firma Götting, zunächst in einem geförderten Projekt im Programm Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) des Bundeswirtschaftsministeriums und anschließender direkt durch von Götting beauftragte Entwicklungsprojekte. Gemäß der VDA4500 [VDA18] müssen alle KLT-Systeme „auf dem Flächenmodul 600mm x 400mm aufgebaut“ und mit Euro- und ISO-Paletten kompatibel sein. Das Füllgewicht darf 20kg beim Säulenstapelsystem und 50kg beim Verbundstapelsystem nicht überschreiten. Der Prototyp der KaTe (siehe Abbildung 5-1) nimmt daher einen KLT mit 600mm x 400mm oder mehrere kleinere auf. Die momentane ausgelegte Belastbarkeit der umgesetzten Prototypen liegt bei 30kg. Eine Erhöhung der Belastbarkeit ist bei einer entsprechenden konstruktiven Anpassung durch eine stärkere Motorisierung jedoch möglich. Monofunktionale FTF 43 Abbildung 5-1: erster Prototyp „Kleine automatische Transporteinheit“ (KaTe) Eine KaTe orientiert sich anhand einer auf den Boden aufgeklebten, etwa 2cm breiten schwarzen Spur, auf der Barcodes aufgebracht sein können, um die Position des Fahrzeuges entlang der Spur zu ermitteln. Alternativ wäre durch eine Anpassung der Sensorik und der Software auch eine Navigation mittels Leitdraht oder in den Boden eingebrachter RFID-Marken möglich. Abbildung 5-2 zeigt einen späteren Prototypen der KaTe mit optischer Spurführung. Abbildung 5-2: optisch Spurgeführte KaTe [GÖT18] Das Fahrzeug besitzt vorne einen Drehschemel mit Differentialantrieb. Zur Realisierung des Differentialantriebs sind beide Räder des Drehschemels über je einen Elektromotor Monofunktionale FTF 44 angetrieben, der individuell angesteuert wird. Die hinteren Räder sind als Bockrollen feststehend gelagert und nicht angetrieben. Die Energieversorgung erfolgt beim Prototyp durch Bleiakkus. Zur Veranschaulichung ist in Abbildung 5-3 der Aufbau von KaTe zu sehen. Zur Steuerung des Fahrzeuges wurde einen eigene auf Mikrocontroller basierte Steuerung entwickelt. Dies war zum einen der Tatsache geschuldet, dass damalige SPS-Steuerungen einen für das Fahrzeug viel zu großen Bauraum benötigten und zum anderen diese SPS- Steuerungen für den Einsatz im Fahrzeug viel zu teuer waren. Die Eigenentwicklung wurde von der parallel gestarteten Entwicklung der Steuerung des Doppelkufensystems (siehe Kapitel 5.3 mit Darstellung von Aufbau und Funktion einer Mikrocontroller-Steuerung) abgeleitet und auf die Anforderung im Einsatz des KaTe Fahrzeugs angepasst. Abbildung 5-3: Technischer Aufbau von KaTe (Ansicht von unten) Um das Fahrzeug selbst so kostengünstig wie möglich auszulegen, wurde auf eine aktive Lastaufnahmevorrichtung verzichtet. Stattdessen fahren die Fahrzeuge an spezielle Übergabeterminals, beispielsweise am Ende eines Förderbands, und werden dort beladen. Halterung für Spurführungs- sensor EC- Getriebemotor Vulkolanrad Drehschemel Bockrolle Zahnriemenuntersetzung Bleiakku Steuerungs- gehäuse (Elektronik- träger) Monofunktionale FTF 45 Doppelkufensystem Das Doppelkufensystem ist dafür konzipiert Europaletten mit einem Gewicht von bis zu einer Tonne vom Boden aufzunehmen und dann omnidirektional verfahrbar zu transportieren. Es kann in der innerbetrieblichen Logistik eingesetzt werden und soll dort Handgabelhubwagen und in Teilbereichen Gabelstapler sowie andere FTF ersetzen. Der Aufbau und die Größe der Doppelkufen wird im Wesentlichen durch die Dimensionen der Europalette vorgegeben. Die Europalette ist in der Norm DIN EN ISO 445 [DIN13] genau definiert. Sie kommt europaweit in allen Bereichen der Logistik und der Produktionsversorgung zum Einsatz. Der Aufbau einer solchen Palette ist in Abbildung 5-4 dargestellt. Betrachtet man die Systematik der Fördermittel nach DIN30781-2 [DIN89] gehört das Doppelkufensystem in die Kategorie nicht stapelnder Hubwagen und ist charakterisiert als Fahrerloses Elektroflurförderzeug. Neu ist jedoch, dass es sich hierbei nicht um ein Fahrzeug, sondern um zwei Fahrzeuge handelt, die im Verbund agieren müssen um gemeinsam eine Palette zu transportieren. Die Fahrzeuge sind nicht mit einem Last- aufnahmemittel ausgestattet, sondern benutzen die flache Oberseite als Auflagefläche. Die Auslegung des Systems sieht eine maximale Nutzlast von 1.000 kg je Kufenpaar bei einer Höchstgeschwindigkeit von etwa 1 m / s vor. Die Entwicklung des Doppelkufensystems am IFT fand im Zeitraum von 2008 bis 2013 im Rahmen durch das Institut eigenfinanzierter Projekte statt. Dann wurden die Entwicklungen Abbildung 5-4: EUR-Palette [DIN13] (links Ansicht von unten, rechts Seitenansicht) Monofunktionale FTF 46 und Lizenzen für die Patente an die Firma Eisenmann in Böblingen verkauft. Die weitere Entwicklung wurde, finanziert durch Eisenmann, gemeinsam fortgeführt. Das Doppelkufensystem ist so konzipiert, dass es vollständig unter einer Palette verschwinden kann. Da in der Palette (siehe Abbildung 5-5) zwei Einfahröffnungen bestehen, sind zwei einzelne Fahrzeuge, die sogenannten Kufen, nötig, welche im Verbund agieren müssen. Die Kufen müssen entsprechend so kompakt konstruiert ein, dass sie in die Einfahröffnungen unter die Palette fahren, dort die Palette eigenständig aufnehmen können und sie anschließend omnidirektional (in jede Richtung) im Raum verfahren. Abbildung 5-5: Freie Einfahröffnung an einer Europalette [DIN13] Dadurch, dass die Doppelkufen nicht mechanisch verbunden sind, können sie vollständig die Palette unterfahren, siehe Abbildung 5-6. Darüber hinaus können sie die Paletten komplett durchfahren und diese auf der anderen Seite wieder verlassen. Dies bietet die Möglichkeit, dass z.B. in einem Blocklager mehrere in Reihe stehende Paletten unterfahren werden können, bis die Doppelkufen an der richtigen Palette angekommen sind. Daraufhin kann diese angehoben und seitlich wegtransportiert werden (vergleichbar einem Schiebepuzzle). Damit lassen sich z.B. sehr kompakte Blocklager realisieren. Monofunktionale FTF 47 Abbildung 5-6: Doppelkufensystem mit Europalette Die Kufen des Doppelkufensystems sind mechanisch so aufgebaut, dass an beiden Enden einer Kufe jeweils ein Drehschemel angeordnet ist. Die Drehschemel sind jeweils mit zwei unabhängig angetriebenen Rädern versehen und drehen sich in der Drehschemelmitte um jeweils eine der beiden Spindeln. Dadurch, dass sich die Drehschemel über mehrere Umdrehungen verdrehen und dort die Motoren angebracht sind, muss die Leistungs- und Datenverbindung über einen Drehübertrager erfolgen. Der erste Prototyp war zur Energiespeicherung mit zwei großen Bleibatterien bestückt, welche zur Spannungsversorgung in Reihe geschaltet wurden. Später wurden die Bleibatterien durch eine moderne Lithium-Ionen Batterie ersetzt. Doppelkufensystem Europalette Kleinladungsträger (KLT) Monofunktionale FTF 48 Die Abbildung 5-7 zeigt einen Drehschemel der Kufe mit den beiden durch separate BLDC- Motoren angetriebenen Räder. Durch diesen differenziellen Antrieb kann der Drehschemel bei gleichzeitigem Antrieb beider Räder mit gleicher Drehzahl geradeaus fahren. Bei differierenden Drehzahlen oder entgegengesetzten Drehrichtungen rotiert der Drehschemel und es kann so eine Lenkbewegung realisiert werden. Drehübertrager Vulkolanrad Bleiakku Edelstahlgehäuse Winkelsensor EC-Getriebemotor Spindel Abbildung 5-7: Drehgestell einer Kufe Monofunktionale FTF 49 Das Doppelkufensystem kombiniert somit Fahr- und Lenkantrieb durch eine Allrad- Differenziallenkung. Die beiden Achsen eines Fahrzeugs können beliebige voneinander unabhängige Lenkwinkel einschlagen. Dadurch ergeben sich unter anderem die in Abbildung 5-9 skizzierten Bewegungsmöglichkeiten des Doppelkufensystems mit einer Palette. Abbildung 5-9: Möglichkeiten der Bewegung im Kufenpaar mit Palette Bei gleicher Stellung der Lenkwinkel aller Achsen kann das Kufenpaar omnidirektional (in beliebige Richtung von längs bis quer) verfahren. Das parallel versetzte Fahren der vorderen und hinteren Achse wird auch als Hundegang bezeichnet. Zusätzlich ermöglicht eine aufeinander abgestimmte Einstellung der Lenkwinkel eine Drehbewegung mit beliebigem Mittelpunkt. Der einfachste und nützlichste Anwendungsfall hierfür ist das Drehen der Palette auf der Stelle ohne gleichzeitige Änderung der Position, wie in Abbildung 5-9 unter b) skizziert [COL11]. Der mechanische Aufbau des Systems ergibt ein geringes Eigengewicht einer einzelnen Kufe von ca. 60kg, inklusive Batterien. Somit kann ein Doppelkufensystem mit einem Eigengewicht von 120kg eine Palette mit 1000kg transportieren. Dies stellt ein sehr gutes a) Querfahrt b) Drehen auf der Stelle c) Hundegang Palette Fahrzeug Achse Räder Abbildung 5-8: Ein Antrieb für Fahren (links) und Heben (rechts) Monofunktionale FTF 50 Eigengewicht-zu-Nutzlast-Verhältnis dar, was sehr energieeffiziente Transporte ermöglicht. Abgesehen von den jeweils paarweise betriebenen Fahrzeugen umfasst das Doppelkufen- system die zentrale Leitsteuerung sowie gegebenenfalls eine oder mehrere Hand- steuerungen zum manuellen Verfahren eines Kufenpaars. Die Abbildung 5-10 zeigt die erste Prototypengeneration des Doppelkufensystems. Diese Fahrzeuge hatten keine Sicherheits- und Warneinrichtungen und auch keine Bedienelemente. Die Kufen sind absolut symmetrisch aufgebaut. Dadurch lässt sich keine Orientierung erkennen. Somit ist keine Bedienung der Kufen per Handsteuerung möglich, da der Bediener die Orientierung nicht erkennen kann. Um dieses Problem zu lösen wurden analog zur Markierung eines Hallenkrans farbige Markierungen wie in Abbildung 5-10 angebracht. Abbildung 5-10: Farbige Richtungsmarkierungen an der Kufe In der zweiten Prototypen Generation wurden diese farbigen Markierungen durch Farbige LEDs ersetzt. Dadurch war eine Markierung der einzelnen Kufen durch entsprechende Softwareansteuerung möglich. Dadurch wiederum konnten zum Beispiel die beiden Kufen eines Paares beliebig vertauscht und durch die Leuchtmarkierung wieder richtig zugeordnet werden [COL11]. In der späteren gemeinsamen Weiterentwicklung mit der Firma Eisenmann wurde eine Handsteuerung entwickelt, mit der das Doppelkufensystem bedient werden konnte. In diesem Anwendungsfall benötigt der Bediener zwingend eine Definition der Richtung relativ zum Fahrzeug, um die Steuerkommandos auf die aktuelle Lage der Fahrzeuge abzustimmen. vorn (grün) rechts (gelb) links (blau) hinten (rot) Monofunktionale FTF 51 5.3.1 Mechanischer Aufbau des Doppelkufensystems Durch den stark eingeschränkten Bauraum, welcher aufgrund der Geometrie der Paletten vorgegeben wird, musste für den mechanischen Aufbau eine möglichst kompakte Lösung gefunden werden. In diesen beschränkten Bauraum mussten alle Antriebe, das Fahrwerk, die Hubfunktion, der Akku sowie die Steuerung untergebracht werden. Dies gelang erst durch die Idee der Drehschemelantriebe in Kombination mit der Hubspindel. Durch diese Anordnung war es möglich alle Fahrfunktionen, das Fahren, das Lenken und den Hub, durch die selben Antriebe umzusetzen, siehe Abbildung 5-11. Abbildung 5-11: Mechanische Komponenten eines Doppelkufen-Fahrzeugs [IFT11] Der Drehschemel ( dargestellt in Abbildung 5-12) besteht aus dem Achskörper in den die Spindelmutter integriert ist. Am Achskörper sind parallel die Antriebsmotoren mit Getriebe angeordnet. Die Kraftübertragung auf die Räder wird mit einem Zahnriemen realisiert. Die eigentliche Spindel ist fest am Kufengehäuse montiert. In Abbildung 5-12 wurde die vordere Antriebseinheit zur besseren Übersicht ausgeblendet. Kufe mit Auflagefläche Hubspindel Räder Drehschemel Monofunktionale FTF 52 Abbildung 5-12: Detailansicht eines Drehschemels [IFT11] Ein Drehübertrager ist koaxial um die Spindelstange angeordnet. Dieser überträgt die Energie und Steuersignale von der zentralen Steuerung an die Motoren. Außerhalb dreht sich ein Magnetbandring als Winkelgeber mit dem Drehübertrager. Durch diesen Magnetbandring wird der Lenkwinkel des Drehschemels erfasst. Werden die beiden Räder einer Achse gegensinnig angetrieben beginnt der gesamte Dreh- schemel um die Hubspindel zu rotieren. Dabei erzeugt die Hubspindel eine gleichzeitige axiale Hubbewegung mit einer Steigung von vier Millimeter je Umdrehung. Dabei ist zu beachten, dass bei jeder Drehbewegung des Drehschemels eine Hubbewegung erfolgt. Bei Lenkbewegungen in einem Lenkwinkelbereich von ±90° beträgt die Höhenänderung etwa ±1 mm. Die Hauptmaße des Prototyps sind in Tabelle 2 zusammengefasst und in Abbildung 5-13 dargestellt. Winkelgeber Achskörper Spindelmutter Getriebe Motor Kufe Drehübertrager Zahnriemen Spindelstange Monofunktionale FTF 53 Länge 1.150 mm Breite 200 mm Fahrzeughöhe 97 mm Hubhöhe < 40 mm Radstand 750 mm Spurweite 155 mm Sensorabstand 135 mm Paarabstand 372,5 mm Tabelle 2: Hauptmaße der Doppelkufen-Fahrzeuge [COL11] Abbildung 5-13: Kufenpaar mit Hauptmaßen [COL11] Die in die Abbildung 5-13 eingezeichneten „Sichtebenen des Spursensors“ zeigen die Position der beiden eingebauten Spurführungssensoren am vorderen und hinteren Ende des Fahrzeugs. Sichtebene des Spursensors 1 5 5 m m 135mm 1150mm 750mm 2 0 0 m m 9 7 m m H u b 3 7 2 ,5 m m Monofunktionale FTF 54 5.3.2 Steuerung der beiden Kufen Basierend auf den geforderten Grundfunktionen mussten die beiden voneinander unabhängigen Kufen (keine mechanische und elektrische Verbindung) die Anforderungen Aufnahme einer Palette, orthogonale Fahrfunktion, Abgabe einer Palette (inklusive Hubfunktion von 40mm bei einer Last von 1000kg) als Fahrzeug (bestehend aus zwei Komponenten) realisieren. Die Platzverhältnisse der beiden Kufen sind, durch die Notwendigkeit eine Europalette zu unter und –durchfahren, extrem begrenzt. Die Unterbringung der Hub-/Senkfunktion, sowie des Fahrzeugantriebes, seiner Steuerung und Regelung, der Sicherheitstechnik, Navigation etc. benötigt viel Bauraum innerhalb der Kufen. Somit stand für die Steuerung nur ein minimaler Bauraum zur Verfügung. Die zu diesem Zeitpunkt bisher am FTF häufig eingesetzten SPS oder PC basierten Steuerungen waren demzufolge aus Platzgründen nicht realisierungsfähig. Es war zwingend notwendig eine eigene mikroprozessorbasierte Steuerung, basierend auf dem Mikroprozessortyp ATXMEGA der Firma Microchip als Hardware, zu realisieren und mit entsprechender Software umzusetzen. Die Steuerungshardware wurde dabei modular aufgebaut und auf insgesamt 12 Platinen verteilt. Durch diesen Modularen Aufbau war eine einfache Anpassung der Steuerungshardware auf neue oder ergänzende Anforderungen möglich. In der Abbildung 5-14 ist die Steuerungshardware bei einem Testaufbau dargestellt. Beim späteren Einsatz im Doppelkufensystem wurden die Platinen noch stärker ineinander verschachtelt, um den Bauraum weiter zu minimieren. In der eingebauten Version sind die Platinen durch den Fahrzeugrahmen verdeckt und können nicht mehr dargestellt werden. Monofunktionale FTF 55 Abbildung 5-14: Steuerungshardware des Doppelkufensystems bei einem Testaufbau Die komplette Steuerungshardware, also alle Platinen, wurden entwickelt und in entsprechende Routings3 umgesetzt. Anschließend wurden die Platinen aus Platinen- Rohmaterial durch einen photochemischen Ätzprozess hergestellt, gebohrt und anschließend mit den Elektronikbauteilen bestückt und verlötet. Diese Arbeitsschritte wurden vollständig am IFT durchgeführt. Die Herstellungskosten der Prototypen der Mikrokontroller Steuerung liegen bei etwa 500€. Eine entsprechende SPS, die aber nicht in den Bauraum integrierbar gewesen wäre, liegt bei etwa 2000- 3000€. Die Erstellung der Software erfolgte in C Programmcode. Die Programmierung der Software wurde von einer internen Arbeitsgruppe in der Abteilung Maschinenentwicklung und Materialflussautomatisierung unter Leitung des Verfassers und Mitarbeit von Herrn André 3 Unter Routings versteht man die Umsetzung des Schaltplanes als Leiterbahnen und Anordnung der Bauteile auf der Platine Monofunktionale FTF 56 Colomb und 2 wissenschaftlichen Hilfskräften vollständig am IFT umgesetzt. Wie oben beschrieben war diese Entwicklung absolut notwendig, da es zum damaligen Zeitpunkt keine kaufbare alternative gegeben hat, welche in den Bauraum integriert hätte werden können. Die oben beschriebene mikrocontrollerbasierte Steuerungselektronik generiert basierend auf den Sensorsignalen die entsprechenden Motordrehzahlen der jeweils 4 Antriebsmotoren je Kufe. Über die eingebaute Funkschnittstelle Können kommandos übertragen und somit die Kufen gesteuert werden, wie in Abbildung 5-17 gezeigt. Abbildung 5-17: Signalfluss in der Fahrzeugsteuerung einer einzelnen Kufe [COL11] Durch die inkrementellen Winkelsensoren an den beiden Drehschemeln in Verbindung mit einem zusätzlichen Referenzpunkt werden durch die Steuerung die beiden aktuellen Lenkwinkel der beiden Drehschemel erfasst. Um den aktuellen Lenkwinkel ermitteln zu können wird bei jedem Neustart der Kufe eine Initialisierungsroutine ausgeführt. Dazu senkt sich die Kufe zunächst vollständig bis zum mechanischen Anschlag ab. Anschließend wird beim langsamen Anheben durch den Referenzpunkt die Nulllage der Winkelmessung ermittelt. Somit sind die aktuelle Höhe und der Lenkwinkel absolut bestimmt. Beide Lenkwinkel zeigen in der Grundstellung 0°. In dieser Grundstellung sind die Drehschemel rechtwinklig zur Fahrzeug-Längsachse ausgerichtet. Beide Drehschemel können bis zum unteren Lenkanschlag eine Lenkbewegung von mindestens ±90° durchführen. Die Steuerung regelt durch eine Rückkopplung auf die gewünschten Soll-Lenkwinkel und legt in einer vorbestimmten Zeit die vorgegebene Strecke zurück. Durch das Messen der Lenkwinkel kann somit per Odometrie das Doppelkufensystem navigiert werden. Die Genauigkeit der Navigation hängt allerdings von den folgenden Fehlern ab: Motor Steuerung Lenkwinkel Geschwindig- keiten Spurabweichung Kommandos Abbildung 5-16 Eingabe Winkelgeber Spursensoren Funkmodul Motor Motor Motor Verarbeitung Ausgabe Monofunktionale FTF 57  Abweichung der Motordrehzahl vom Vorgabewert  Abweichung des Lenkwinkels, bis die Regelung diesen korrigiert hat  Schlupf der Räder auf dem Boden, von der Steuerung nicht messbar Diese Fehler summieren sich insbesondere über längere Fahrstrecken auf. Um dennoch mit dem Doppelkufensystem präzise navigieren zu können wird eine Orientierung der Kufen über eine externe absolute Referenz benötigt. In diesem Fall wird eine optische Spurführung genutzt. Dazu sind die Kufen an ihren Enden mit jeweils einem Spurführungssensor ausgestattet. Diese ermitteln die relative Position zu einer Führungslinie. Dazu liegt die Sichtebene der Spursensoren quer zur Fahrzeuglängsrichtung. Wie bereits in Abbildung 5-13 dargestellt sind sie zwischen dem Drehschemel und dem jeweiligen Fahrzeugende angeordnet. Der Sensorabstand in Abbildung 5-13 gibt die Entfernung des Spursensors vom Mittelpunkt der zugehörigen Achse an. Die durch die Spurführungssensoren messbare Spurabweichung ermöglicht eine weitere Rückkopplung, durch die das Fahrzeug beim Erkennen einer Spur die Soll-Lenkwinkel regeln und die Spurabweichung minimieren kann. Diese beiden Regelkreise, also die Lenkwinkelregelung und die Spurfolgeregelung, bilden zusammen eine Kaskadenregelung. Dies wird in der Abbildung 5-18 schematisch dargestellt. Abbildung 5-18: Systemübersicht der Lenkungsregelung [COL12] Die geregelte Kufe erhält entsprechend dem Schema die Vorgabe-Motorgeschwindigkeiten als Stellgröße vom Lenkregler und liefert als Regelgröße die Lenkwinkel zurück. Dieser gesamte Regelkreis für die Lenkung erhält als Führungsgrößen die Sollwinkel, welche Fahrzeug Lenkregler Folgeregler Lenkwinkel Motorgeschwindig- keiten Lenkung Spurabweichung Sollwinkel Spurführung Monofunktionale FTF 58 entweder konstant bleiben oder vom Folgeregler4 stammen. Die Spursensoren messen dessen Regelgröße, die Spurabweichung (entsprechend [COL11]). Damit solch eine Kaskadenregelung stabil funktioniert muss der innere Regelkreis deutlich schneller arbeiten als der Äußere. Um dies zu realisieren erfolgt die Spurerkennung getaktet. Die beiden Spursensoren geben abwechselnd in festen Zeitintervallen vorn und hinten einen neuen Sollwinkel vor. Der Lenkregler berechnet dazwischen in einer Endlos- schleife neue Motorsollwerte aus den aktuellen Mess- und Stellgrößen. An dieser Stelle begrenzt somit nur die Rechenleistung des Prozessors die Regelgeschwindigkeit. Im ersten umgesetzten Prototyp erfolgt die Regelung unabhängig zwischen vorderem und hinterem Drehschemel / Spursensor und auch unabhängig zwischen den beiden Kufen in einem Doppelkufensystem. Dadurch wird für jede der beiden Kufen eine eigene parallel im richtigen Abstand angebrachte Leitlinie benötigt. In der Theorie kann so das Doppelkufensystem beliebig geführten Spuren folgen. Allerdings lassen sich die Parallelen Spuren in Kurven nur sehr schwer markieren und die jeweils kurvenäußere Kufe müsste die Geschwindigkeit erhöhen (oder die kurveninnere Kufe die Geschwindigkeit verringern) um die unterschiedlichen Kurvenradien auszugleichen. Diese Koordinierung wäre nur durch weitere Sensorik (Messung des Längsversatzes) zwischen den beiden Kufen möglich. Im ersten Prototyp wurden daher nur gerade Fahrspuren und Drehungen auf der Stelle verwendet. Durch entsprechende Kombination lassen sich allerdings auch so alle Zielpunkte erreichen. 5.3.3 Koordination der Bewegungsabläufe Im Prototypen kann eine einzelne Kufe als eigenständiges Fahrzeug auf einer Einzelspur betrieben werden. Zwei Kufen zusammen können auf parallel angebrachten Spuren zusammenfahren. Um gemeinsame Paletten-Transporte zu realisieren wird in beiden Kufen ein fester Programmablauf hinterlegt, der möglichst synchron abgearbeitet wird. Dieser Programmablauf besteht aus einer Folge nacheinander ausgeführter, parametrierter Programme. Jedes Programm zeichnet sich durch einen Programmtyp und maximal zwei Parameter aus, wie in Tabelle 3 aufgelistet (vgl. [COL11]). 4 Der Folgeregler generiert bei Spurabweichungen neue Sollwerte für den Lenkregler Monofunktionale FTF 59 Programmtyp Parameter 1 Parameter 2 000 Warten Unterbrechung erlauben Dauer 001 Vorwärts fahren Lenkwinkel vorn bzw. Spurführung Dauer 002 Rückwärts fahren Lenkwinkel hinten bzw. Spurführung Dauer 003 Heben - - 004 Senken - - 005 Palette drehen Geschwindigkeit und Richtung Dauer 006 Hundegang vorwärts Lenkwinkel vorn und hinten Dauer 007 Hundegang rückwärts Lenkwinkel vorn und hinten Dauer 253 Sprung - Index 254 Ende - - 255 Schleife - - Tabelle 3: Programme im Doppelkufensystem [COL12] Der jeweilige Programmablauf wird durch die Leitsteuerung an die beiden Kufensteuerungen gesendet. Nach dem Einschalten der beiden Kufen führen diese den Programmablauf aus dem Speicher direkt aus, bis eine "Ende"-Anweisung vorliegt. Die Anweisung "Schleife" springt im Programmablauf zurück zum Anfang, "Sprung" zu einem beliebigen Schritt, durch eine fortlaufende Indexnummer spezifiziert (entsprechend [COL11]). Innerhalb eines Doppelkufensystems wird eine Kufe als Master, die andere Kufe als Slave konfiguriert, siehe Abbildung 5-19 .Also Master und Slave bilden gemeinsam ein Kufenpaar und sollen sich nur möglichst synchron bewegen. Um diese Synchronisierung zu realisieren sendet die Master-Kufe das jeweils aktuelle Programm über die Funkschnittstelle an die Slave-Kufe, welche nach der Initialisierung auf Anweisungen der Masterkufe wartet. Wird der Startbefehl gesendet von der Master-Kufe durch die Slave-Kufe empfangen, sendet diese eine Empfangsbestätigung an die Master-Kufe zurück. Anschließend beginnen beide Kufen mit der Ausführung des Programms. Aufgrund der identischen Programmierung und Regelung bewegen sie sich dabei parallel. Der Fahrzeugtyp "Single" bezeichnet den Einzelbetrieb und entspricht im Wesentlichen dem "Master", jedoch ohne Funkkommunikation (vgl. [COL11]). Alle Kufen sind völlig identisch aufgebaut. Sie unterscheiden sich in Master- und Slave-Kufe nur durch eine entsprechende Softwarekonfiguration. Soll in späteren Prototypen Sensorik zwischen den beiden einzelnen Kufen eingesetzt werden, muss eine der beiden Kufen (die Slave-Kufe) um 180° gedreht parallel im richtigen Abstand zur Masterkufe aufgestellt Monofunktionale FTF 60 werden. Dadurch bleibt der Aufbau der beiden einzelnen Kufen nach wie vor identisch und die Sensorik ist dennoch zwischen den beiden Kufen orientiert (siehe Abbildung 5-19). Abbildung 5-19: Ausrichtung der Fahrzeuge im Kufenpaar [COL12] Diese um 180° gedrehte Anordnung bietet weiterhin den Vorteil, dass beim Programm "Palette drehen" der Mittelpunkt der Drehung relativ zu beiden Fahrzeugen identisch liegt. Für andere Fahrbewegungen hingegen muss die Slave-Kufe seine Fahrtrichtung umkehren damit sich beide Kufen in die gleiche Fahrtrichtung bewegen. Wie bereits oben beschrieben wird bei der Anordnung der beiden Kufen im Master und Slave Betrieb auch die Farbmarkierung der einzelnen Kufen so angepasst, dass das Doppelkufensystem durch die Farben eine einheitliche Richtungsangabe für den Benutzer ermöglicht. Zur Funkkommunikation zwischen der Leitsteuerung und den einzelnen Kufen, sowie zwischen den beiden Kufen, wird der ZigBee-Standard verwendet. Dabei wird zwischen allen Teilnehmern ausschließlich im transparenten Broadcast-Modus gefunkt, bei dem jeder Teilnehmer die Nachrichten aller anderen Module empfängt. Zur Übertragung der Inhalte wurde ein eigenes Datenprotokoll definiert, welches Empfänger- und Absenderadresse sowie den Funkvorgang samt Parameter, wie in Abbildung 5-20 gezeigt, kodiert. Jedes Datenpaket besteht darin aus fest definierten Bytes als Start- und Endmarkierung und den dazwischen eingebetteten Nutzdaten. Fahrzeug- adressen werden im Vorfeld aus einem Bereich von 1 - 254 vergeben, wobei der Empfänger 0 alle Fahrzeuge bedeutet und 255 als Adresse der Leitsteuerung dient (entsprechend [COL11]). 180° v o rn links h in te n rechts Master-Fahrzeug v o rn links h in te n rechts Slave-Fahrzeug Sensorik P a a ra b s ta n d Monofunktionale FTF 61 Abbildung 5-20: Aufbau eines Datenpakets zur Kommunikation [COL13] Innerhalb des Datenprotokolls definiert das Feld "Vorgang" die Bedeutung des Datenpakets sowie die notwendige Anzahl an optionalen Parametern. Mögliche Vorgänge kontrollieren beispielsweise die Fahrfreigabe bzw. Notstopp, die Konfigurationsparameter sowie Diagnose- und Kalibrierfunktionen und können den laufenden Programmablauf beeinflussen oder einen neuen zur Speicherung übermitteln ([COL11]). Die Abbildung 5-21 zeigt eine Ansicht der Bedienoberfläche der zentralen Leitsteuerung. Durch diese Bedienoberfläche können die einzelnen Kufen manuell gesteuert werden oder es wird ein definierter Programmablauf über entsprechende Knöpfe an das Doppelkufensystem gesendet und gestartet. Abbildung 5-21: Bildschirmfoto der Leitsteuerungs-Software Monofunktionale FTF 62 5.3.4 Optischer Spurführungssensor Der Spurführungssensor dient zur Detektion einer schwarzen Spur auf weißem Grund zur Fahrtrichtungsbestimmung. Ebenso erkennt er Markierungen, schwarze Querstriche, die von der Software gesondert verarbeitet werden können. Dadurch können zum Beispiel Stoppsignale generiert werden, um das Dopelkufensystem gezielt an einer Stelle anhalten lassen zu können. Der optische Spurführungssensor ist eine vollständige Eigenentwicklung. Die Entscheidung einer Neuentwicklung wurde damals aus dem Grund getroffen, dass kaufbare Syteme einen deutlich größeren Bauraumbedarf aufwiesen und auch im Verhältnis zum eigenentwickelten System deutlich teurer waren (Bis zu Faktor 10)[COL11]. Der entwickelte Spurführungssensor besteht aus acht Fotodioden, die in einer Reihe auf einer Platine aufgebracht sind und zwei mittig gelegenen IR-Sendedioden. Die Platine ist in Abbildung 5-22 abgebildet. Abbildung 5-22: Optischer Spurführungssensor Der Sensor wird gepulst betrieben, um eine Fremdlichteinstrahlung, beispielsweise durch Sonnenlicht, zu vermeiden. Durch die Reflexion des Lichts durch den Boden und der teilweisen Absorption an der schwarzen Spur ergibt sich eine Helligkeitsänderung an den Fotodioden. Diese Änderung wird anschließend vom Mikrocontroller ausgewertet und zu einer Spurposition und einer Markierungserkennung verarbeitet. Aus Abbildung 5-23 wird die Funktionsweise noch genauer ersichtlich. Die Sendedioden mit ihrem Strahlenverlauf sind rot dargestellt. Die Fotodioden, welche das reflektierte IR-Licht empfangen, sind mit ihrem Erfassungsbereich blau dargestellt5. 5 Die 2 Sendedioden senden IR-Licht auf den Boden, das reflektiert wird. Im Bereich der Spur (dunkel) ist die Reflexion deutlich schwächer  Erkennung der optischen Spur Fotodioden IR-Sendedioden Monofunktionale FTF 63 1 2 3 4 5 6 7 8 Spur SendediodenFotodioden 1-4 Fotodioden 5-8 Abbildung 5-23: Funktionsweise Spurerkennung [COL11] Die Sendepulsfrequenz von 10 KHz wird durch eine Oszillatorschaltung auf dem Basisboard erzeugt. Empfangsseitig läuft das Signal durch einen analogen Bandpassfilter, der nur den gewünschten Frequenzbereich des Senders durchlässt. Zuletzt wird das Signal an den Messbereich des analogen Eingangs des Mikrocontrollers angepasst und dort ausgewertet [COL11]. Da für die Funktionalität der Doppelkufen die Genauigkeit der Spurführung extrem wichtig war(siehe Kapitel 5.3.5), ist der bisherige Spurführungssensor (siehe Abbildung 5-23) durch eine andere Anordnung der Sende- und Fotodioden überarbeitet worden. 5.3.5 Weiterentwicklung der Spurführungssensoren Wie bereits beschrieben waren die sich um 2012 auf dem Markt befindlichen optischen Spurführungssysteme sehr groß und sehr teuer und somit für das System nicht geeignet. Dementsprechend wurde unter dem Gesichtspunkt „high Tech und low price“ die beschriebenen neuen Entwicklungen angestoßen. Zuerst wurde wie oben beschrieben die Entwicklung eines eigenen Spurführungssensors auf Basis von Phototransistoren vorangetrieben. In weiteren Schritten wurden dann Systeme auf Basis von preisgünstigen Zeilenkameras entwickelt. Bei späteren multifunktionalen Systemen (wie zum Beispiel das FTF Shelfie, siehe Kapitel Monofunktionale FTF 64 6.1) wurden alternative Navigationslösungen hin bis zum UWB System betrachtet und integriert. Für eine stabil spurgeführte Fahrt des Doppelkufensystems wird unbedingt eine stabile und genaue Spurführung benötigt. Dabei ist für ein stabiles Fahrverhalten ein möglichst breiter Spurführungssensor von Vorteil. Zur Optimierung wurde zunächst der vorherige Sensor in einem Testaufbau auf dem Labortisch genau vermessen. Der Laboraufbau besteht aus denselben Komponenten wie im Fahrzeug, allerdings können etwaige Störeinflüsse, wie sie im Fahrzeug ggf. auftreten, im Laboraufbau eliminiert werden. Die Abbildung 5-24 zeigt den Versuchsaufbau. Dabei wurde der Spurführungssensor in einer Kunststoffkiste montiert, um so eine Abschirmung gegen Umgebungslicht zu erhalten. Die Sensorplatine kann flexibel höhenverstellt oder ausgetauscht werden. Die Beleuchtungsleuchtdioden können variabel montiert werden, um so verschiedene Beleuchtungsarten zu testen. Abbildung 5-24: Variable Sensoraufhängung [COL11] Die Steuerungselektronik besteht aus den in Abbildung 5-25 dargestellten Platinen auf einem Versuchsträger. Es können verschiedene Bodenbeläge im Versuchsaufbau getestet werden. Zum Einstellen der Leuchtdioden wurde zudem eine Messskala montiert. Das Gehäuse mit dem Spursensor grenzt an eine Längenskala, welche ebenso wie der zu Sensorträger variable Be- leuchtung Sensorplatine Monofunktionale FTF 65 Abbildung 5-25: Versuchsaufbau für Spursensoren [COL11] Die an den Fotod