Die Entwicklung der württembergischen evangelischen Landeskirche im Spiegel der Pfarrberichte bis zum Anfang des 20.Jahrhunderts, von der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Stuttgart zur Erlangung der Würde eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) genehmigte Abhandlung, vorgelegt von Günther Widmer aus Stuttgart. Hauptberichter: Professor Dr. Franz Quarthal. Mitberichter: Professor Dr. Andreas Gestrich. Tag der mündlichen Prüfung: 22. 12. 2003. Historisches Institut der Universität Stuttgart, Abteilung Landesgeschichte 2004 Uxori et parentibus 1 1.0. Inhaltsverzeichnis. Die Entwicklung der württembergischen evangelischen Landeskirche im Spiegel der Pfarrberichte bis zum Beginn des 20.Jahrhunderts. 1.0. Inhaltsverzeichnis, 1 1.1. Vorwort 6 2.0. Einleitung. 9 Der politische, geistes- und kirchengeschichtliche Hintergrund. 3.0. Der Pfarrbericht. 3.1. Katholische Pfründberichte. 29 Leutkirch, Rottenburg, Tigerfeld, Gmünd, Ravensburg. 3.2. Die Geschichte des Pfarrberichts und seine Gliederung. 37 3.3. Die Schilderung der Gemeinde. 42 Aldingen, Altensteig, Böblingen, Eßlingen, Freudenstadt, Geislingen, Hohenhaslach, Langenburg. 3.4. Die ersten Abschnitte des Pfarrberichtes. 47 Die Parochie im allgemeinen. Statistisch-topographische Angaben, Kuchen, Heidenheim, Nagold, Schorndorf, Weikersheim, Großheppach, Kuchen, Nagold, Schorndorf, Simmersfeld, Weikersheim, Statistik der Landeskirche. 3.5. Die Heiligen- und Stiftungspflege. 55 Böblingen, Geislingen, Nagold, Schorndorf, Tuttlingen, Weikersheim, 3.6. Die Lage des Pfarrortes. 56 Freudenstadt, Hall, Kuchen, Langenburg, Simmersfeld. 3.7 Von den gottesdienstlichen Einrichtungen. 58 Biberach, Blaubeuren, Böblingen, Heidenheim, Langenburg, Ludwigsburg, Ravensburg. 2 3.8. Von den Kirchen, Gottesäckern und dem Kirchenvermögen. 62 Affalterbach, Altensteig, Böblingen, Freudenstadt, Geislingen, Isny, Musberg-Rohr, Ravensburg. 3.9. Vom Schulwesen. 68 Das Volksschulgesetz von 1836, Lehrerseminare, Sonntags- und Industrieschulen, Biberach, Böblingen, Leutkirch, Ravensburg, Schorndorf. 4.0. Die Christlichkeit in der Gemeinde. 75 Herzog Christoph, Storr, Steinkopf, Barth, G. Werner, Lennacker, J. F. Mayer, Steeb, Wurster, Höslin, K. F. Hofacker, Schenk, Kohler, Klemm, Zimmermann, Bahnmaier, Dann, Ludwig Hofacker. 4.1. Christlichkeit und Gottesdienstbesuch. 85 Altensteig, Balingen, Biberach, Blaubeuren, Böblingen, Eßlingen, Geislingen, Gmünd, Großheppach, Hall, Heidenheim, Herrenberg, Kuchen, Langenburg, Leonberg, Leonbronn, Leutkirch, Ludwigsburg, Nagold, Öhringen, Ravensburg, Rottenburg, Tübingen, Tuttlingen. 4.2. Die Kirche und die Unehelichengeburten. 133 4.3. Die politische Entwicklung. 144 4.4. Die wirtschaftliche Entwicklung. 153 4.5. Die Württembergische Metallwarenfabrik 167 5.0. Die Sonntagsheiligung. 171 Altensteig, Balingen, Blaubeuren, Böblingen, Boll, Eßlingen, Freudenstadt, Geislingen, Gmünd, Großheppach, Hall, Heidenheim, Herrenberg, Isny, Leonberg, Rottenburg, Schorndorf, Simmersfeld, Stuttgart, Vaihingen/F., Waiblingen, Weinsberg, Stuttgart. 5.1. Die Kirchenbauten. 200 Johanneskirche, Friedenskirche, Gedächtniskirche, Heilandskirche, St. Eberhard, St. Maria, St. Nikolaus, St. Elisabeth. 3 5.2. Die Vereine. 202 Altensteig, Biberach, Böblingen, Eßlingen, Geislingen, Hall, Leonberg, Ludwigsburg, Schorndorf, Tübingen, Ludwigsburg. 6.0. Der Abendmahlsbesuch. 209 Altensteig, Balingen, Biberach, Eßlingen, Hall, Langenburg, Leonberg, Schorndorf, Simmersfeld. 7.0. Vom Kirchenkonvent zum Kirchengemeinderat. 229 Generalreskript vom 2.1.1806, Religionsedikt von 1806, Neue Liturgie von 1809, Neues Gesangbuch von 1842. 7.1. Die Kirchenkonvente. 236 Johann Valentin Andreä, Pfullingen, Hohenhaslach, Leonberg, Tuttlingen, Zuffenhausen, Großheppach, Neuregelung 1824, Zuffenhausen, Kirchentellinsfurt. 7.2. Der Pfarrgemeinderat. 255 Geislingen, Hall, Langenburg, Leonberg, Leutkirch, Ludwigsburg, Öhringen, Zuffenhausen, 7.3. Diözesan- und Landessynode. 263 Konkordatsverhandlungen, Landessynode 1869. 7.4. Der Kirchengemeinderat. 268 Eßlingen, Gmünd, Isny, Leonberg, Leutkirch, Rottenburg, Zuffenhausen, Waiblingen. 8.0. Das Verhältnis zu den anderen Konfessionen und Gemeinschaften. 8.1. Die katholische Kirche. 282 Geistlicher Rat, Katholischer Kirchenrat, Johann Baptist Keller, Mischehenfrage, Josef Lipp, Konkordat, Rottenburger Wirren, Carl Josef Hefele, Reformkatholizismus, Paul Wilhelm Keppler, Biberach, Böblingen, Gmünd, Isny, Langenburg, Leonberg, Leutkirch, Öhringen, Ravensburg, Rottenburg. 4 8.2. Die Reformierten. 312 8.3. Die Abgrenzung gegen Separatismus und Pietismus. 315 Leutkirch, Michael Hahn, Altpietismus, Pregizer, Korntal, Altensteig, Balingen, Biberach, Böblingen, Eßlingen, Freudenstadt, Großheppach, Hall, Heidenheim, Herrenberg, Holzgerlingen, Kuchen, Langenburg, Leonberg, Nagold, Öhringen, Ravensburg, Schorndorf, Simmersfeld, Stuttgart, Tuttlingen, Winterbach, Weizsäcker, Ritschl, Kapff. 8.4. Das Verhältnis zu den Sekten. 350 Mennoniten, Täufer, Baptisten, Nazarener, Templer, Methodisten, Irvingianer, Neuapostolische Kirche, Mormonen, Altensteig, Balingen, Böblingen, Eßlingen, Freudenstadt, Hall, Leonberg, Leutkirch, Nagold, Öhringen, Schorndorf, Tübingen, Tuttlingen. 9.0. Die persönlichen Verhältnisse des Pfarrers. 369 Altersaufbau, Aldingen, Altensteig, Böblingen, Freudenstadt, Langenburg, Metterzimmern, Bronnweiler, Döttingen, Neubesetzungen, Gehälter. 10.0. Vom Schulwesen. 398 10.1. Die Volksschule. 398 10.2. Die Realschule. 413 10.3. Die Industrieschule 420 Altensteig, Biberach, Böblingen, Brackenheim, Eßlingen, 425 Freudenstadt, Geislingen, Gmünd, Hall, Heidenheim, Isny, Langenburg, Leonberg, Ludwigsburg, Nagold, Aldingen. 10.4. Die Fabrikschule in der Baumwollspinnerei Kuchen. 489 10.5. Zusammenfassung Schule. 495 5 11.0. Die weltliche Obrigkeit. 497 Aldingen, Altensteig, Biberach, Eßlingen, Freudenstadt, Großheppach, Leutkirch, Öhringen, Rottenburg, Tuttlingen, Weil im Dorf. 12.0. Schlußbetrachtung. 511 13.0. Anhang. 13.1. Ungedruckte Quellen: 530 Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bestand A 29, Ortsakten: Pfarrberichte und Pfarrbeschreibungen. 13.2. Nachschlagewerke. 534 13.3. Gedruckte Quellen und Handbücher. 535 13.4. Literaturverzeichnis. 539 13.5. Abkürzungen. 573 13.6. Der Pfarrbericht von 1855. 575 13.7. Pfarrbericht Langenburg 1828. 582 13.8. Pfarrbericht Weikersheim 1849. 597 14.0. Bezüge des Pfarrers von Böblingen 611 14.1. Bezüge des Pfarrers von Langenburg 619 14.2. Bezüge des Pfarrers von Metterzimmern 624 14.3. Bezüge des Pfarrers von Bronnweiler 631 14.4. Lehrerbezüge 639 15.0. Die evangelische Geistlichkeit in Württemberg 1853. 644 15.1. Summary 679 16.0. Erklärung. 691 6 1.1. Vorwort. Die Evangelische Kirche des Königreichs Württemberg war in der Mitte des 19. Jahrhunderts in 49 Dekanate eingeteilt, die ihrerseits wieder ungefähr 1 200 Pfarreien zu verwalten und zu betreuen hatten. Das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart hat die Pfarrbeschreibungen und Pfarrberichte dieser Parochien in seinem Bestand A 29 erfaßt. Es handelt sich um ungefähr 1 000 Büschel aus der Zeit von 1827 bis vereinzelt in die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts, also die Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Die neue landeskirchliche Verfassung, die nach dem Württembergischen Gesetz über die Kirchen vom 3. März 1924 am 1. April 1924 in Kraft getreten war, in der der Staat nunmehr auf eine Aufsicht über die kirchlichen Organe verzichtete, wobei die Aufgaben des Konsistoriums auf den Evangelischen Oberkirchenrat übergingen, verlangte in der Folgezeit solche Berichte nicht mehr. Diese Pfarrberichte bilden die Grundlage zu dieser Arbeit, deren Aufgabe es war, an Hand der im Durchschnitt alle drei Jahre zu erstellenden Berichte die Entwicklung der württembergischen Landeskirche im 19. Jahrhundert in relevan- ten Aspekten sichtbar zu machen. Bearbeitet wurde der Zeitraum von den ersten Berichten des Jahres 1827 bis nach der Jahrhundertwende, als im Jahre 1909 die Aufsicht über die Schule von der Kirche an den Staat abgegeben wurde. Vereinzelt sind auch noch Berichte bis in die Zeit nach dem 1. Weltkrieg herangezogen worden. Angesichts der Fülle des Quellenmaterials mußten aus der Gesamtzahl der ungefähr 1 200 Kirchengemeinden exemplarisch einzelne ausgewählt werden. Eines der Kriterien war es, möglichst alle Landesteile unter den herangezogenen Beispielen zu berücksichtigen. Die Entscheidung fiel beispielsweise auf Heidenheim, um einen Ort aus dem Osten Württembergs, auf Freudenstadt oder Altensteig, um eine Schwarzwaldgemeinde im Westen des Landes zu erfassen. Weinsberg liegt an der nördlichen Landesgrenze, Tuttlingen entgegen im Süden. Ravensburg oder Leutkirch sollten das katholische Oberschwaben abdecken. Hall wurde als ehemalige Freie Reichsstadt gewählt, Langenburg als Fürstliche Residenz. Auch der Gegensatz zwischen Stadt und Land, Dekanat und Teilgemeinde sollte berücksichtigt werden: etwa Böblingen und Holzgerlingen, Leonberg und Weil im Dorf, Schorndorf und Winterbach. Stuttgart, als Hauptstadt des Königreichs, stand im Mittelpunkt. Die Pfarrberichte waren dabei immer nur Momentaufnahmen; trotz der generellen Vorgaben spiegelten sie immer die subjektive Sichtweise des einzelnen Pfarrers wieder. Um sie in einen Gesamtzusammenhang einzuordnen, wurden auch ergänzende Quellen herangezogen. Es war beispielsweise erforderlich, die Berichte mit Auszügen aus der einschlägigen Literatur abzurunden, um die Hintergründe zu erhellen und manche Vorgehensweise verständlich zu machen. 7 Weitere Ergänzungsmöglichkeiten boten die Kirchenkonventsprotokolle, in denen ebenfalls Aussagen über die Arbeit dieser Gremien und die anfallenden Probleme zu finden waren. Auch das "Evangelische Kirchenblatt" sprach die jeweiligen Fragen an und brachte Beiträge, die dazu beitrugen, manche Gegebenheiten zu erklären. So war es möglich, eine Einsicht in die Entwicklung des genannten Zeitraumes zu bekommen, die den Vorgängen im gesamten Land entsprach und schließlich auch eine Aussage über deren Ablauf erlaubte. 8 Diese Arbeit war nur möglich durch die freundliche Unterstützung, die ich von allen Seiten erfahren habe. So möchte ich zu allererst Dank sagen meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Franz Quarthal, dem ich auch die Entscheidung für dieses Thema verdanke, für die Förderung und stete Unterstützung, die wissenschaftliche Anregung, auch die hilfreiche, korrektive Kritik, die konstruktiven Gespräche und nicht zuletzt die immer wieder nötige Ermunterung. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Dr. Hermann Ehmer vom Landeskirchlichen Archiv für die verständnisvolle Betreuung, sowie die wohlwollende und kritische Begleitung dieser Arbeit. Herrn Professor Dr. Andreas Gestrich von der Universität Trier, der die Mühe der Durchsicht der Arbeit auf sich genommen hat, sei hierfür Dank gesagt. Zu Dank verpflichtet bin ich all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landeskirchlichen Archivs und der Landesbibliothek Stuttgart, die immer bereit waren, hilfreich und geduldig meine Wünsche zu erfüllen. Für die computertechnische Beratung möchte ich meinem Schwiegersohn Wolfgang Maurer, der diese Arbeit mit seinem Fachwissen bei allen diesbezüglichen Fragen begleitet hat, herzlich danken. Nicht zuletzt gebührt großer Dank meiner lieben Frau, die mit viel Verständnis durch all die Jahre mein Studium begleitet und immer wieder unterstützend und helfend, auch korrekturlesend, diese Arbeit ermöglicht und zu ihrem Erfolg beigetragen hat. Stuttgart, 19. Juli 2003. 9 2.0. Einleitung. Der politische, geistes- und kirchengeschichtliche Hintergrund. Wenn hier versucht werden soll, die Entwicklung der württembergischen evangelischen Landeskirche über einen Zeitraum von rund hundert Jahren an Hand der erstellten Pfarrberichte und Pfarrbeschreibungen darzustellen, so wird es zunächst erforderlich und notwendig sein, den Hintergrund, die Spannungsfelder und Probleme der politischen, aber auch der geistes- und kirchengeschichtlichen Gegebenheiten zu erhellen, um vor diesem Hintergrund den Ablauf und Wandel darzustellen, wobei die Neuerungen auf diesen Gebieten nur insoweit Beachtung finden sollen, als sie für dieses Thema von Bedeutung sind. Das 19. Jahrhundert war ein Zeitalter, das gekennzeichnet war durch verschiedene grundlegende Umbrüche. Das Herzogtum Württemberg war am Ende der Regierungszeit Herzog Karl Eugens, zur Zeit der Französischen Revolution, auch noch am Anfang der Regierungszeit Herzog Friedrichs II., mit der Beschränkung des Hofes etwa durch das Steuerbewilligungsrecht der Stände, politisch etwas völlig anderes, als hundert Jahre später das in sich gefestigte Königreich Württemberg unter der Regierung König Wilhelms II.. Die Landeskirche, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts um ihre Gläubigen bemühte, hatte andere Vorstellungen von ihrem Auftrag, als hundert Jahre vorher, am Ende des Alten Reiches, zu einer Zeit, da sie noch in die Kirchenverfassung Herzog Christophs eingebunden und gesichert war. Auch im Bereich der Geistesgeschichte hatte sich ein völliger, gravierender Umbruch vollzogen: Leibniz, Kant und die Aufklärung, später Schelling und Hegel, Fichte und Schleiermacher auf der einen, dann, nach David Friedrich Strauß, ein Feuerbach, Büchner, Marx und Nietzsche, auch Max Weber als Repräsentant einer universalgeschichtlich vergleichenden Sozialwissenschaft1 zum Jahrhundertende auf der anderen Seite, machen dies deutlich. Egon Friedell hat in seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ hervorgehoben, daß diese Zeit eine revolutionäre Bewegung hervorgebracht hat, die sich grundsätzlich gegen alles Bisherige auf dem Gebiet der Politik, der Kunst und Weltanschauung gerichtet hat.2 Auch Otto Borst hat den "Aufbruch des modernen Bewußtseins" angesprochen, die Aufspaltung in selbständig werdende Spezialwissenschaften, in geistes- und naturwissenschaftliche Bereiche, den Kampf zwischen Humanismus und Realismus in der Zeit der Spätaufklärung, die Forderung nach Schulen "zur Vermittlung praktischer Kenntnisse".3 1 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 59. 2 Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit, S. 653. 3 Otto Borst: Schule des Schwabenlands, S. 43. 10 In diese Umbruchzeit hinein war im Jahre 1797 nach dem Tode des letzten Bruders Herzog Karl Eugens, Friedrich Eugen, dessen Sohn Herzog Friedrich II. in Württemberg zur Regierung gekommen. Es war die Zeit der Koalitionskriege, in deren Verlauf Friedrich gezwungen wurde, sich nach dem Treffen mit Napoleon am 3. Oktober 1805 in Ludwigsburg völlig an Frankreich anzu- schließen. Friedrich wurde 1803 Kurfürst, und, nach der Dreikaiserschlacht von Austerlitz am 2. Dezember 1805 und dem Frieden von Preßburg vom 26. Dezember 1805 mit einem weiteren erheblichen Gebietszuwachs und der Königswürde entschädigt. Die Proklamation erfolgte am 1. Januar 1806.4 Friedrich war ein Mann, beherrscht vom Geiste der Aufklärung, hochintelligent und selbstbewußt, tatkräftig und willensstark, der keine Einschränkung seiner Herrschaftsgewalt duldete, der auch dem Kaiser der Franzosen mit politischen Geschick gegenübertrat. Unermüdliche Schaffenskraft, aber auch unerbittliche Härte im Umgang mit anderen Menschen zeichneten ihn aus. Überhaupt trat bei ihm das Menschliche sehr stark zurück. Weltverbesserer und Menschenverächter zugleich hat Volker Press ihn einmal genannt.5 Für seinen Machtanspruch über Land und Leute war ihm die, wenn schon nicht eindeutig ausgeprägte Idee des Gottesgnadentums, in die sich letzte Reste patrimonialer Anschauung, eine privatrechtliche Auffassung des Herrscherseins mischten, tragendes Fundament.6 Da Kurfürst Friedrich keinen ständischen Einfluß auf die neuerworbenen Gebiete wollte, war er gezwungen, diese getrennt von Alt-Württemberg zu verwalten. Er organisierte diese neuen Territorien in einem absolutistisch verwalteten "Neu- Württemberg".7 Erst nachdem die Landstände mit Billigung Napoleons am 30. Dezember 1805 aufgelöst worden waren, was ein Ende des Erbvergleichs und der landständischen Verfassung bedeutete8, war eine Reorganisation und einheitliche Verwaltung des gesamten Gebietes möglich.9 Die unter dem Grafen Philipp Christian Friedrich von Normann in Ellwangen organisierte „Oberlandes- regierung“ für die neuwürttembergischen Gebiete10 konnte aufgelöst werden. Schon am 2. Januar 1806, also einen Tag nach der Annahme der Königswürde, erließ Friedrich ein Generalreskript, in dem er seinen Untertanen ihre persönliche Freiheit und die Sicherheit ihres Eigentums garantierte, gleichzeitig aber auch die Eingliederung des Kirchenrats in das neugeschaffene Finanz-Departement bestimmte, als „eine in jeder Hinsicht für den Zweck des allgemeinen Besten durchaus erforderliche Verfügung“.11 4 Sauer: König Friedrich I.. In: 900 Jahre Haus Württemberg, S. 295; Mann: Württemberg 1800 - 1866. In: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3, S. 251; Bull-Reichenmüller: Dokumente Württembergischer Geschichte, S. 104. 5 Sauer: Der Schwäbische Zar, S. 224; Press: König Friedrich I., S. 28. 6 Max Miller: Neu-Württemberg unter Herzog und Kurfürst Friedrich, S. 73. 7 Press: König Friedrich I.. In: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons. Bd. 2, S. 29. 8 Mann: Württemberg 1800 - 1866. In: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3, S. 241. 9 Bernd Wunder: Die Entstehung des modernen Staates in Baden und Württemberg. In: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, Bd. II., S. 108. 10 Mann: Württemberg 1800 - 1866: Fürstpropstei Ellwangen, Ritterstift Comburg, Stabsamt Adelmanns- felden, Abtei Schöntal, Stift Oberstenfeld, Heiligkreuztal, Mariaberg, Rottenmünster, Zwiefalten, die Reichsstädte Aalen, Eßlingen, Giengen, Gmünd, Hall, Heilbronn, Reutlingen, Rottweil mit Margrethausen und Dürrenmettstetten, Weil der Stadt. 11 Reyscher, Staatsgrundgesetze, 1806 - 1828, Bd. III., S. 244; Lang: Geschichte der württembergischen Klosterschulen, S. 277. 11 Religion und Religionsdiener hatten sich dem Staat unterzuordnen. Das Konsistorium wurde zu einer untergeordneten Ministerialabteilung. Eine vom Staat gelenkte Kirche konnte auch ihr zentrales Aufsichtsinstitut der Fürsorge des Staates überlassen.12 Die bisherige getrennte Verwaltung des altwürttembergischen Kirchenguts war damit aufgehoben, alle von Herzog Christoph in der Großen Kirchenordnung festgelegten Bestimmungen außer Kraft gesetzt.13 Herzog Christoph hatte in der Großen Kirchenordnung vom Mai 1559 in 19 Abschnitten das Bekenntnis auf die Confessio Wirtembergica, die 1552 von Johannes Brenz (1499 - 1570) als geistige Glaubenslehre formuliert und auf dem Konzil von Trient vorgelegt worden war, festgelegt, außerdem Bestimmungen über den Bau und Unterhalt von Kirchen und Schulen, die Besetzung von Kirchenstellen, eine Ehegerichtsordnung, die Einrichtung von Superintendenzen und des Kirchenrats erlassen. Es war ihm gelungen, "der Kirche das bleibend zu sichern, was sie zur umfassenden Erfüllung ihres Auftrages brauchte".14 Während aber Alt-Württemberg in seiner landständischen Verfassung ein Mitspracherecht der Vertreter von Städten und Ämtern kannte, ein Gegengewicht gegen fürstliche Allmacht, blieb die von Brenz geschaffene Kirchenorganisation ohne irgendeine Repräsentation der Gemeinden und ihrer Glieder. Die Kirchen- gemeinden hatten keine eigene Verwaltung, kein Mitspracherecht bei der Besetzung der Pfarrstellen, auch kein Disziplinarrecht. Das obrigkeitliche zentra- listische Kirchenverständnis von Brenz siegte über die Bedenken von Jakob Andreä ( 1528 - 1590) und Kaspar Lyser (1526 - 1555).15 In den Bestimmungen Herzog Christophs waren auch Verfügungen über die Verwaltung des kirchlichen Vermögens, der Stiftungen, den baulichen Unterhalt von Kirchen und Schulen, über die Besoldung von Pfarrern und Lehrern, sowie die Unterstützung der Armen, enthalten.16 Aus dem Kirchengut sollte den Pfarrern und Lehrern ihr Auskommen so weit in Geld und Naturalien gesichert werden, daß sie damit unabhängig allein ihrem Studium und dem Kirchendienst gerecht werden konnten.17 Alle diese seit zweihundertfünfzig Jahren gültigen Bestimmungen waren nun mit dem neuen Dekret Friedrichs außer Kraft gesetzt worden. Der Staat war nicht mehr in die Kirche integriert, die Kirche war ein Organ des Staates.18. Pfarrer und Lehrer sollten künftig aus der Staatskasse besoldet, Kirchen, Pfarrhäuser und Schulen vom Staat unterhalten werden. 12 Hahn-Mayer: Das evangelische Stift, S. 59. 13 Reyscher: General-Rescipt über die Einziehung des Kirchenguts, Bd. XVI, S.1. 52 000 ha Grundbesitz und 3 600 Gebäude: Ehmer: Die Säkularisation des württembergischen Kirchenguts, S. 706. 14 Brecht-Ehmer: Confessio Virtembergica, S. 16; Deetjen: Studien zur württembergischen Kirchenordnung, S. 236; Bitzer: Confessio Wirtembergica, S. 25. 15 Maurer: Johannes Brenz, S. 156; Peters: Brenz und das reformatorische Bekenntnis. BWKG 100 (2000), S. 9 - 28. 16 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. VIII., S. 243; Gottschick: Neue Gestalt für das bleibende Wort, S. 288. 17 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. VIII., S. 238. 18 Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 20, 120. 12 Die enge Bindung der Landeskirche an den Staat, die führende Rolle dieser Kirche bei der Gestaltung des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens, wurden abgelöst von einem Staat, der unter Toleranz in erster Linie die Wahrung seiner Interessen verstand und die Mitarbeit der Kirche nur insofern brauchte, als sie für ihn von Nutzen war, und, im Geiste der Aufklärung, den Anordnungen des Königs Folge leistete und dessen Anordnungen unterstützte.19 Mit dem Organisationsmanifest vom 18. März 1806 wurde ein Staatsministerium mit sechs Ministerien (Departements) errichtet, das die Verwaltung für das ganze Königreich Württemberg übernahm. Das Land wurde in 12 Kreise eingeteilt, die Zahl der Oberämter bis 1810 auf 65 reduziert.20 Die kommunale Autonomie wurde beseitigt, die Kommunen wurden den Oberämtern unterstellt.21 Auch die evangelische Landeskirche wurde neu gegliedert. Die Dekanate wurden den neugeschaffenen Generalsuperintendenzen ohne Rücksicht auf bisherige Grenzen und Einteilungen zugeordnet. In der Regel wurden die Sprengel der Generalsuperintendenten mit den Kreisverwaltungen, die Dekanate mit den Oberämtern zusammengelegt, so daß neben dem Oberamtmann als weltlicher der Dekan als geistlicher Aufsichtsbeamter stand.22 Mit dem Manifest vom März 1806 waren auch die Klosterschulen von Blaubeuren und Bebenhausen aufgehoben und mit den neuen evangelisch-theologischen Seminaren von Maulbronn und Denkendorf vereinigt worden. Denkendorf wurde im Oktober 1810 nach Schöntal verlegt. Am 1. Mai 1806 ging schließlich die Oberleitung der höheren Schulen vom Oberkonsistorium auf die Oberstudien- direktion über, die ihrerseits wieder dem Ministerium für das Kirchen- und Schulwesen verantwortlich war.23 In den neuerworbenen Gebieten war ein Drittel der Einwohner katholischen Glaubens, die auf die Bistümer Konstanz, Würzburg, Speyer, Worms und Augsburg aufgeteilt waren. Eine Neuordnung war deshalb dringend erforderlich24. Mit dem Religionsedikt vom 14. Februar 1803 für Neu-Württemberg wurden die drei im Westfälischen Frieden anerkannten Glaubensbekenntnisse, das evangelisch-lutherische, das reformierte und das römisch-katholische, gleichberechtigt nebeneinander anerkannt, erhielten den gleichen Schutz und die gleichen Rechte. Mit dem Religionsedikt vom 15. Oktober 1806 verlor die evangelische Kirche für das neue Königreich ihre bisherige Stellung als Staatskirche. Sie war künftig nicht mehr alleinbestimmende Landeskirche.25 19 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten das rechte Heil der Kirche, S. 317. 20 Mann: Württemberg 1800 - 1866, S. 254; Lang: Geschichte der württembergischen Klosterschulen, S. 277. 21 Mann: Württemberg 1800 - 1866, S. 255. 22 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten das rechte Heil der Kirche, S. 201; Schäfer: Die evangelische Landeskirche in Württemberg. In: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons. Bd. 2., S. 318. 23 Reyscher, Staatsgrundgesetze, Bd.II., S. 341; Verordnung über die Aufsicht über die Seminarien und Gymnasien vom 22.6.1806; Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 17; Lang: Geschichte der württembergischen Klosterschulen, S. 280. 24 Miller: Neu-Württemberg unter Herzog und Kurfürst Friedrich, S. 213; Im Jahre 1803 standen in Alt-Württemberg 5 125 Katholiken 660 177 Protestanten gegenüber. 25 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 252. 13 Der König ernannte als Summus Episcopus die Geistlichen. Der einzelne Pfarrer wurde zu einem vom Staat bezahlten Beamten. Er war nicht mehr nur der Repräsentant der geistlichen Obrigkeit, der Verwalter von Wort und Sakrament, der Seelsorger, der für jedes einzelne Glied seiner Gemeinde verantwortlich war, sondern er predigte und unterrichtete als Staatsbeamter im staatlichen Auftrag und Interesse und war außerdem auch noch für rein weltliche Aufgaben verant- wortlich.26 Zusammen mit dem Schultheißen war er auch für Armen- und Schulsachen zuständig. Der Dekan wiederum prüfte im Rahmen von Visitationen den Lebenswandel und die Amtsführung jedes einzelnen Pfarrers. Am 1. Januar 1809 wurde auf Befehl des Königs eine durch den Konsistorialrat und Hofprediger Friedrich Gottlob Süskind (1767 - 1829)27 vorbereitete neue Liturgie eingeführt. Die Sprache sollte modernisiert, die Form des Gottesdienstes im ganzen Land vereinheitlicht werden. Die altvertrauten Texte zur Taufe und Eheschließung wurden neu geformt und modernen Gegebenheiten angepaßt.28 Daß auf ausdrückliche Anordnung des Königs im Taufformular die „Absage an den Teufel“ durch ein „Entsagen dem Bösen“ ersetzt worden war, rief den ausgesprochenen Widerstand besonders pietistischer Kreise hervor.29 Ottilie Wildermuth schildert in ihrem „Freundlichen Pfarrhaus“, wie ein Dorf bei jeder Taufe sich neu ans Konsistorium wandte mit der Bitte, die Taufe nach der alten Formel vollziehen zu dürfen. Das Konsistorium, der ewigen Eingaben müde, erteilte dem Dekan die Genehmigung: „Einem verehrlichen Pfarramt wird kund gemacht, daß es von nun an den Teufel beim hiesigen Dekanatamt für 36 Kr. Sportel haben kann“.30 Solche Gesuche hat auch der Bürgermeister von Leonberg, der spätere Gründer von Korntal, Gottlieb Wilhelm Hoffmann, für eine große Zahl seiner Pietisten selbst verfaßt und beim Konsistorium eingereicht, damit diese bei der Taufe ihrer Kinder die alte Formel mit der Absage an den Teufel benutzen durften. Für Benningen erreichte er auf diese Weise, daß in den Jahren 1810 - 1822 auch die alte Konfirmationsliturgie zur Anwendung kommen konnte.31 Zwar fand man an manchen Orten Kompromisse: man widersagte dem Bösen, fügte aber hinzu: „und dem Teufel auch“, aber das war dann schon wieder ein Verstoß gegen die königliche Vorschrift, und es sind Fälle bekannt, wo Friedrich solch ein Nichtbefolgen seiner Anordnungen strengstens ahndete.32 26 Drews: Der evangelische Geistliche, S. 128. 27 Friedrich Gottlieb Süskind (1767 - 1829), Diakon in Urach 1795, Professor der Theologie in Tübingen 1798, Oberhofprediger und Konsistorialrat in Stuttgart 1805; RGG 4, Sp. 911. 28 Schäfer: Das Haus Württemberg und die evangelische Kirche. In: Uhland: 900 Jahre Haus Württemberg, S. 489; Schäfer: Evangelische Landeskirche in Württemberg. In: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, Bd. II., S. 320. 29 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 132. 30 Wildermuth: Schwäbische Pfarrhäuser, S. 13. 31 Lehmann: Pietismus und weltliche Ordnung in Württemberg, S. 163; Kolb: Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche, S. 160. 32 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 294, 14 So wurde der Dekan Karl Friedrich Harttmann, in jungen Jahren ein beliebter Prediger und Professor an der Karlsschule, 1812 zum Austritt aus der Landeskirche gezwungen, weil er sich der neuen Liturgie und einer neuen Kleiderordnung widersetzte, auch wegen der neuen Pestalozzischen Methode, die einzelne Pfarrer in seinem Sprengel an den Schulen einführen wollten. König Friedrich hatte ihr anfangs zugestimmt, sie dann aber wieder verworfen.33 Der Pfarrer Johann Jakob Friedrich (1759 - 1827) von Winzerhausen, der dem König schon vorher unangenehm aufgefallen war, weil er das Heilige Land als die den Gläubigen von Gott zugewiesene Zufluchtsstätte pries, was Friedrich als Aufforderung zur Auswanderung und als revolutionären Zug auffaßte, weigerte sich, die neue Liturgie einzuführen. Das Konsistorium war bereit, Milde walten zu lassen, und zog sich deshalb vom König einen strengen Verweis zu. Ein auf allerhöchsten Befehl publizierte Liturgie sei keine Gewissenssache, sondern Gesetz, welchem jeder königliche Untertan sich zu unterwerfen habe. Wer sich einem solchen Gesetz widersetze, sei als Verbrecher anzusehen. Dem Ober- konsistorium wurde vorgeworfen, es habe sich in die Gesetzgebung eingemischt, was ihm durchaus nicht zustehe. Es habe nur über die Beobachtung der Kirchengesetze zu wachen und Abweichungen ungesäumt zu melden.34 Friedrich wurde fristlos entlassen, erhielt nur ein sogenanntes „kleines Pfarrviktalitium“ von 78 fl., und wurde in Leonberg, das ihm als Aufenthaltsort zugewiesen wurde, unter Aufsicht gestellt. Er wurde später der erste Pfarrer von Korntal.35 Auch Christian Adam Dann (1758 - 1837) wurde nach Öschingen bei Tübingen strafversetzt. Er hatte sich den Unwillen des Königs wegen einer sehr freien Leichenpredigt über den Hofschauspieler Weberling zugezogen. Er kam später nach Mössingen, wurde aber 1824 wieder nach Stuttgart zurückgeholt.36 Anscheinend hat sich erstaunlicherweise die Aufklärung37 in der evangelischen Landeskirche in Württemberg, wohl auch unter dem starken Einfluß des Pietismus, mit ihren negativen Auswirkungen auf kirchlichem Gebiet nicht so stark durchsetzen können, wie sonst überall in Europa. Zwar sollte auch hier die Vernunft in den Dienst des Glaubens gestellt werden, doch sollte die Religion in ihren Aussagen nach den Vorstellungen der Tübinger Schule möglichst unange- tastet bleiben38. Die Unterstützung staatlicher Maßnahmen durch die Kirche wurde andererseits durchaus begrüßt, und hier wieder ganz besonders, wenn es sich um Verbesserungen auf dem Gebiet des Schulwesens handelte.39 Auch unter der Regierung König Wilhelms I. hatte die evangelische Kirche Württembergs keine Möglichkeit zu einer Entfaltung in eigener Verantwortung. 33 Lehmann: Pietismus und weltliche Ordnung in Württemberg, S. 163. 34 Kolb: Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche, S. 165. 35 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 294. 36 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 295. 37 Gericke: Theologie und Kirche im Zeitalter der Aufklärung; Kolb: Die Aufklärung in der Württembergi- schen Kirche; Müller, Winfried: Die Aufklärung, S. 15; Müller, Wolfgang: Die Kirche im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung. 38 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 132. 39 Haug: Reich Gottes im Schwabenland, S. 90. 15 Der König war nicht gewillt, sich in seiner Oberaufsicht über seine Kirche in irgendeiner Weise beschränken zu lassen. Er hat allerdings in gewissen Dingen, wie zum Beispiel in der Frage des Tauftextes, mehr Freiheit zugestanden. Das Konsistorium aber blieb eine reine Verwaltungsbehörde, und alle Bemühungen um eine Weiterentwicklung wurden von staatlicher Seite streng zurückgewiesen.40 Gegen Auswüchse auf dem Gebiet der Aufklärung, vor allem gegen den Versuch, Vernunft und Glaube miteinander zu verbinden, setzte sich besonders der Pietismus in Württemberg energisch zur Wehr.41 In der jüngsten Phase der Pietismusforschung hat man sich von der Festlegung der Anfänge des Pietismus in der Schrift Philipp Jacob Speners42 (1635 - 1705) „Pia Desideria oder Hertzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirche“ von 1675 gelöst und bezieht die früheren "Vier Bücher vom wahren Christentum" (von 1605) des Johann Arndt (1555 - 1621) in die frühe Geschichte des Pietismus mit ein. Diese Schrift ist im ganzen 17. Jahrhundert in Württemberg nicht zum Druck gekommen43, obwohl gerade sie für Andreä sehr wichtig war.44 Wahres Christentum sollte im tätigen Glauben bestehen, und die Begegnung mit Gottes Wort sollte für den Christen die Grundlage all seines Handelns und Tuns sein.45 In Württemberg war schon vor dieser Zeit solches Gedankengut der praxis vitae Christianae verbreitet worden. Johann Valentin Andreä (1586 - 1654)46 muß hier genannt werden, der in der Notzeit des 30-jährigen Krieges und in der Wiederaufbauphase danach sich bemüht hat, wieder mehr Verständnis für die Nöte des Nächsten und mehr Liebe in die Kirche zu bringen, mehr gegenseitige Hilfe hin auf ein praktisches, gelebtes Christentum. Solche Ideen sind später wesentliche Grundlagen des Pietismus geworden.47 Entscheidend für den Pietismus in Württemberg waren Johann Andreas Hochstetter (1637 - 1720), ein Freund Speners und Franckes, seit 1689 General- superintendent von Bebenhausen, der Reformen wie die Förderung des Kathechismusunterrichts und die Einführung der Konfirmation einleitete.48 40 Schäfer: Das Haus Württemberg und die evangelische Kirche, S. 490. 41 Deppermann, Andreas: Johann Jakob Schütz und die Anfänge des Pietismus; Lehmann: Pietismus und weltliche Obrigkeit in Württemberg; Schicketanz, Peter: Der Pietismus von 1675 - 1800; Sorg, Theo: Er das Haupt, wir seine Glieder, S. 42. 42 Spener: "ecclesiola in ecclesia"; Köhle-Hezinger: Irenik und Interkonfessionalismus, S. 1015; Sorg: ER das Haupt, wir seine Glieder, S, 44. 43 Wallmann: Der Pietismus, S. 10, S. 124. 44 Johann Valentin Andreä, Austellungskatalog, S. 82. 45 Lehmann: Pietismus und weltliche Ordnung, S. 28. 46 Schäufele: Johann Valentin Andreä. In: Kirchengeschichte Württembergs in Porträts, S. 13. 47 Decker-Hauff: Johann Valentin Andreä, S. 18. 48 Synodalerlaß vom 11.Dezember 1722: "Evangelischer Unterricht von der Confirmation derjenigen Kinder, welche das erstemal zum Heiligen Abendmahl gehen, samt dem hiebei vorgeschriebenen Formular und anderem Anhang zu einem fürohin beständigen und Gott gegebenen heilsamen Gebrauch der gesamten Evangelisch-Württembergischen Kirche". Kolb: Geschichte des Gottesdienstes, S. 285. Als Konfirmations- sonntag wurde Quasimodogeniti bestimmt. 16 Weiter sind in diesem Zusammenhang zu nennen: Johann Heinrich Hedinger (1664 - 1704), seit 1699 Oberhofprediger in Stuttgart, der ein Gesangbuch und eine revidierte Lutherbibel herausgab, auch Andreas Adam Hochstetter (1668 - 1717), von 1711 bis 1715 ebenfalls Hofprediger, und sein Nachfolger Samuel Urlsperger (1685 - 1772), Hofprediger von 1715 bis 1718. Kennzeichnend für diese Männer war die vermittelnde Haltung zum damals noch separatistischen Pietismus, aber auch die kritische Haltung zu Wilhelmine von Grävenitz, der Mätresse des Herzogs Eberhard Ludwig.49 Seit dem frühen 19. Jahrhundert gab es im Verhältnis des Pietismus zur Landeskirche immer wieder Phasen der Annäherung und der Distanzierung. In den Jahrzehnten nach der Französischen Revolution dominierte in vielen Landes- kirchen die Theologie der Aufklärung, und der Rationalismus war die logische, populär-religiöse Folge dieser Richtung. In dem Maße, in dem die Kirchen Maßnahmen ergriffen, die dem theologischen Programm dieser Richtung verpflichtet waren, sahen die Pietisten die Kirche ins Lager des Rationalismus abgleiten und hielten eine Distanz zu dieser Kirche unbedingt für nötig.50 In der Aufklärungszeit51 sah der Pietismus seine Hauptaufgabe in der Bekämpfung der Vorrangstellung der Vernunft auf allen Gebieten. Kennzeichnend war für ihn immer die Besinnung auf die Schrift und das Bemühen, in einem kleinen Kreis von entschiedenen Gläubigen, in Erbauungsstunden, den Überlieferungen der Väter treu zu bleiben. Es war eine innerkirchliche Reformbewegung, die eine Bestätigung der vorgetragenen Lehre im praktischen Leben verlangte.52 Die Verbindung zur Landeskirche wurde zeitweise sehr lose, obwohl man sich von dieser Seite immer um eine ausgeglichene Haltung bemüht hat. Die weltlichen Tendenzen der Amtskirche führten innerhalb des Pietismus schließlich zu einer Gegenbewegung, die unter dem Namen "Erweckungs- bewegung"53 bekannt geworden ist. Der Begriff fand vor allem durch Lavater weite Verbreitung. Es war eine Neubelebung des biblisch-heilsgeschichtlichen und spekulativen Pietismus54. Er war auch ein fundamentalistischer Protest gegen das "Aufklärungschristentum" des theologischen Rationalismus, dessen emotio- naler Dürre und Verstandesgläubigkeit die Erweckungsbewegung ihre "Gemüts- frömmigkeit" entgegensetzte. 49 Schicketanz: Der Pietismus von 1765 bis 1800, S. 142; Wallmann: Der Pietismus, S. 123. 50 Lehmann: Die neue Lage. In: Brecht: Geschichte des Pietismus, Bd.III., S. 22. 51 Friedell: Aufklärung und Revolution; Kolb: Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche; Marten: Literatur und Frömmigkeit in der Zeit der frühen Aufklärung; W. Müller: Die Kirche im Zeitalter des Absolutismus. 52 Lehmann: Pietismus und weltliche Ordnung, S. 15. 53 Beyreuther, Erich: Die Erweckungsbewegung; Benrath: Erweckung und Erweckungsbewegung. In: TRE 10 (1982), S. 205 - 220; Jung, Martin: Autobiographien frommer Frauen aus Pietismus und Erweckungsbewegung; Kantzenbach, Friedrich Wilhelm: Die Erweckungsbewegung; Meyer, Dietrich: Pietismus, Herrnhutertum, Erweckungsbewegung. 54 Theologische Realenzyklopädie 10 (1982), S. 207. 17 Zu dieser Richtung gehörten in der Nachfolge von Bengel (1689 - 1752)55, Oetinger (1702 - 1782)56 und Philipp Matthäus Hahn (1739 - 1824)57, auch Christian Adam Dann (1758 - 1837), der an der St. Leonhardskirche in Stuttgart aufrüttelnde Predigten hielt.58 Es bestand eine enge Verbindung zur Basler Christentumsgesellschaft, der wieder Karl Friedrich Adolf Steinkopf (1773 - 1859), Christian Gottlob Barth (1799 - 1862) und Johann Christoph Blumhardt (1805 - 1880) nahestanden. 59 Ihr bedeutendster Vertreter in Württemberg war Ludwig Hofacker60 (15.4.1798 - 18.11.1828), der im Januar 1823 als Vikar an der Leonhardskirche durch eine Bußpredigt auf sich aufmerksam machte.61 Sein Aufruf zu einem christlich geführten Leben fand großen Widerhall. Der Mensch sollte aus seinem "Sündenschlaf" zu einem geheiligten geistlichen Leben erweckt werden. Diese Bewegung wollte neue Kräfte freimachen. Sie wollte erreichen, daß sich der Mensch ganz der Gnade Gottes übergab. Hofacker forderte die Menschen zur Bekehrung auf, weil ihnen hierzu nur noch eine kurze Zeit gegeben sei, angesichts der nahen Wiederkunft des Herrn. Er wollte weg von der Erbauung, hin zur Erweckung, zu einem vollkommen christlich geführten Leben und hat in diesem Sinne gepredigt.62 Das Reich Gottes, seine Nähe und seine Verwirklichung wurden zur zentralen Vorstellung. Der Glaube wurde als persönlicher Glaube verstanden. In einem Schreiben an die Predigerkonferenz in Herrnhut (28. März 1828) beurteilte er die geistige Lage in Württemberg: "Hier ist ein Boden, der schon von alten Zeiten her durch treue und geschickte Arbeiter bebaut wurde. Es findet sich daher unter dem Volke viel Empfänglichkeit für die Wahrheit. Die geistige Aufregung ist groß, aber zu einem Wandel im Licht will es bei Wenigen kommen, das ist der athenische Charakter der Zeit".63 Die Erweckungsbewegung hat nun aber den Menschen nicht nur auf seinen Glauben hin angesprochen, sondern auch auf seine tätige Liebe zur "Ehre Gottes und zum Bau seines Reiches". Diese neu erwachte Liebestätigkeit kann als eine Vorform der späteren evangelisch-sozialen Bewegung gesehen werden.64 Zwar betrachtete der protestantische Konservatismus die bestehenden Ordnungsformen der Gesellschaft als unantastbar, aber die besitzenden Stände wurden auf ihre Verpflichtung gegenüber den Besitzlosen hingewiesen. 65 55 Jung: Johann Albrecht Bengel. In: Kichengeschichte Württembergs in Portäts, S. 53; Schicketanz: Der Pietismus, S. 143. 56 Weyer-Menkhoff: Friedrich Christioph Oetinger, in: Kirchengeschichte Württembergs in Portäts, S. 159. 57 Stäbler: Philipp Matthäus Hahn. In: Kirchengeschichte Württembergs in Porträts, S. 199; Schicketanz: Der Pietismus, S.154. 58 Brecht: Geschichte des Pietismus, Bd.III. S. 230; Gäbler: Der Pietismus im 19. und 20.Jahrhundert, S. 232. 59 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 463. 60 Kirn, Hansmartin: Ludwig Hofacker. In: Kirchengeschichte Württembergs in Portäts, S. 267. Kirn, Hansmartin: Ludwig Hofacker; Raupp, Werner: Ludwig Hofacker und die schwäbische Erweckungsbewegung. 61 Sorg: ER das Haupt, wir seine Glieder, S. 89. 62 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 134. 63 Gäbler: Der Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert, S. 233. 64 Fritz: Die Liebestätigkeit des altwürttembergischen Pfarrhauses. BWKG 25 (1921), S. 213 - 245. 65 Brakelmann: Die soziale Frage des 19. Jahrhunderts, S. 115, 117. 18 Es wurden nun aber auch Feindbilder aufgebaut, die einen Kontakt zu der neu aufkommenden Schicht der Industriearbeiter schwer oder sogar unmöglich machten: Rationalismus, Liberalismus und Sozialismus standen auf einer Stufe. Einem allgemeinen Mißtrauen gegen "die neue Zeit" auf der einen Seite stand ein großer Eifer gegenüber, die Welt für Christus zu gewinnen.66 Albert Knapp (1798 - 1864)67, der sich mit seiner "Christoterpe" an gebildete fromme Leser wandte und das ältere Liedgut neu belebte, und Christian Gottlob Barth (1799 - 1862)68 waren weitere wichtige Träger pietistischen Gedankenguts in dieser Zeit, natürlich auch Sixt Carl Kapff (1805 - 1879) und Karl Gerok (1815 - 1890). Interessanterweise gab es in Oberschwaben eine ähnliche, gegen die Gedanken des Absolutismus und die rationalen Reformversuche Wessenbergs und Werkmeisters gerichtete Bewegung, die eine größtmögliche Unabhängigkeit und Loslösung vom Papst anstrebte, die in den Pastoralkonferenzen immer wieder als "Eigensinn der ländlichen Bevölkerung" angesprochen und hervorgehoben wurde.69 In ihnen wurde auch darauf hingewiesen, daß oft die Polizeiordnung als Teil der seelsorgerlichen Arbeit instrumentalisiert würde, oder sogar als Ersatz für pastorale Überzeugungsarbeit diene, um das Volk "von seinen Irrtümern und Vorurteilen abzubringen"70. Die Spannungen zwischen der neuen Gottesdienstordnung von 1838, die eigentlich der Vereinheitlichung der liturgischen Gepflogenheiten des aus fünf Diözesangebieten zusammengesetzten neuen Bistums Rottenburg dienen sollte,71 und der ländlichen Volksreligiosität verstärkten sich, der Relegalisierungsdruck von unten stieß auf den verschärften Reformdruck von oben. Die Konflikte zwischen aufgeklärten Pfarrern und ländlicher Gemeinde konnten eskalieren. Benediktionen in Häusern und Ställen sollten abgestellt werden, ebenso Bittgänge, Bruderschaftsfeste, Öschprozessionen und Wallfahrten, die Votivtafeln in Kirchen, selbst "das Rosenkranzbeten während der öffentlichen heiligen Messe".72 Eine breite Protestbewegung war die Folge, die dann im Zusammenhang mit ultramontanen Bestrebungen des politischen Katholizismus einen fundamentalen Wandel hervorrief und neue Allianzen entstehen ließ. Staat und Katholischer Kirchenrat waren letztlich gezwungen, sich zurück- zuziehen. Der Blutritt in Weingarten wurde 1848 wieder erlaubt, Vereine, Bruderschaften, Kongregationen und Prozessionen ebenfalls. Eine neue Generation von Geistlichen "mit ultramontaner Gesinnung" hatte eine veränderte Einstellung zur ländlichen Frömmigkeit und auch zur Zusammenarbeit mit dem Staat. Darauf wird in dem Kapitel über die Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche noch näher eingegangen. 66 Evangelisches Lexikon für Kirche und Gemeinde, S. 531 ff. 67 Gäbler: Der Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert, S. 234; Lächele: Albert Knapp. In: Kirchenge- schichte Württembergs in Porträts, S. 299. 68 Hartmut Lehmann: Christian Gottlob Barths württembergische Geschichte, S. 271. 69 Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bistums Konstanz, Meersburg, Freiburg, 52 Halbjahresbände, 1804 - 1827. 70 Hagen: Geschichte der Diözese Rottenburg, Bd.1, S. 124; Oswalt: Staat und ländliche Lebenswelt, S. 173. 71 Hagen: Geschichte der Diözese Rottenburg, Bd.1, S. 125. 72 Oswalt: Staat und ländliche Lebenswelt, S. 176, 182; W. Müller: Katholische Kirche, S. 514; Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, I,2, S. 1192. 19 Im Zusammenhang mit der Erweckungsbewegung steht auch die Gründung von Korntal, wo eine von staatlichen Zwängen freie Religionsausübung möglich war73. Die vielen Auswanderer bereiteten den Behörden im Land vermehrt Sorge, da sehr oft fleißige und arbeitsame Untertanen das Land verließen. Um wenigstens die Bürger im Land zu halten, die allein wegen ihrer Religionsausübung weggingen, regte der Bürgermeister von Leonberg, Gottlieb Wilhelm Hoffmann (1771 - 1846) den Bau einer Siedlung an, die von der kirchlichen Oberaufsicht frei sein sollte. Er fand einen Kompromiß zwischen dem, was wünschenswert, und dem, was durchsetzbar war, und erhielt vom König am 8. September 1819 die Erlaubnis, das Rittergut Korntal zu kaufen.74 Der König zeigte sich bei Überlegungen, in Württemberg eine Heimstätte für Menschen zu schaffen, die Schwierigkeiten mit der evangelischen Kirchenleitung hatten, entgegenkommend und war bereit, hier Zugeständnisse zu machen, weil seine Rechte als Summus Episcopus nicht tangiert wurden. Die Privilegien von 1819 befreiten die neue Siedlung von der Aufsicht des Konsistoriums und gestatteten der Gemeinde die freie Pfarrer- und Lehrerwahl. Hier war es den Pietisten möglich, ein Gemeindeleben zu führen, das ihren Vorstellungen entsprach und wie es vor allem Michael Hahn in seinen Forderungen nach einer Heiligung des Lebens ein Anliegen gewesen war.75 Diese Gruppe blieb aber, trotz ihrer Sonderstellung, immer Teil der Landeskirche.76 Nach der Gründung von Korntal, das zu einem Zentrum christlichen Lebens in Württemberg werden sollte, gewann der Pietismus in diesem Lande bis zur Mitte des Jahrhunderts vor allem durch Sixt Carl (von) Kapff eine Bedeutung, die ihn später zur dominanten Gruppierung innerhalb der evangelischen Landeskirche machte. Eine weitere Siedlung wurde 1824 in einem Moorgebiet bei Ravensburg angelegt, die den Namen des Königs erhielt. Auch in Wilhelmsdorf77 galten die Privilegien von Korntal. Auch dort leitete ein Brüderrat die geistliche und bürgerliche Gemeinde nach religiösen Gesichtspunkten, in Erwartung der baldigen Wiederkunft des Herrn.78 Es mußte auch Aufgabe des Stiftes in Tübingen sein, das Christentum vor dem Hintergrund dieser innerkirchlichen Spannungen gegen alle möglichen Angriffe zu verteidigen. Die „Ältere Tübinger Schule“ lehnte jede historische Kritik am Christentum ab und versuchte, mit Hilfe der Philosophie die Autorität der Schrift zu stützen und ihre Lehre zu untermauern. Es ist deshalb nötig, einen Blick auf die verschiedenen Richtungen und Lehrmeinungen dieser Zeit zu werfen.79 73 Grünzweig: Die evangelische Brüdergemeinde Korntal. 74 Benrath: Die Erweckung innerhalb der deutschen Landeskirchen. In: Brecht: Geschichte des Pietismus, Bd. III., S. 232. 75 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 137. 76 Württembergische Kirchengeschichte, S. 626. 77 Bühler: 175 Jahre Wilhelmsdorf; Gestrich: Wilhelmsdorf - ein Königskind; Köhle-Hezinger: Reich Gottes im Oberland (Wilhelmsdorf). BWKG 19 (1999), S. 128 - 135; Sauer: Die Anfänge der Brüder- gemeinde Korntal und Wilhelmsdorf; Steimle: Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der württem- bergischen Brüdergemeinde Korntal und Wilhelmsdorf. 78 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 138. 79 Köpf: Die theologischen Tübinger Schulen. 20 Dem biblischen Realismus wurde der „Supranaturalismus“ gegenübergestellt, der jede theosophische oder heilsökonomische Spekulation ausschloß, grundsätzlich jede Glaubenswissenschaft ablehnte, nur Exegese sein wolle, die Auslegung dessen, was durch Christus und die Apostel geoffenbart war. Die biblischen Texte wurden ganz als übernatürliche, göttliche Offenbarung verstanden.80 Der bekannteste Vertreter dieser Richtung und Begründer der Schule war Christian Gottlob Storr (1746 - 1805)81. Gott stand für ihn über seiner Schöpfung, über der Natur, deshalb „Supra-Naturalismus“.82 Weitergeführt wurden diese Gedanken in Verbindung mit der Philosophie Kants von Johann Friedrich Flatt (1759 - 1821) und Friedrich Gottlob Süskind (1767 - 1829). Schelling (1775 - 1854) hatte sich in seiner Naturphilosophie bemüht, das Materielle und das Geistige, das Reale und das Ideale, in Gott zusammenzufassen, in dem alle Dinge vereint waren. Friedrich Schleiermacher (1768 - 1834) wiederum, der besonders für die religiöse Entwicklung des 19. Jahrhunderts in Württemberg von so großer Bedeutung war, versuchte ebenfalls eine Über- windung dieser Gegensätze. Für ihn war die Welt in Gott beschlossen, der sie aber überragte.83 Gerade in Tübingen hatte Schleiermacher viele Verehrer, und Ferdinand Christian Baur (1792 - 1860), Professor für Theologie und Vertreter der "Zweiten, Historisch-kritischen Tübinger Schule", der 1826 im Rahmen der Neuordnung der Fakultät als Professor für Kirchen- und Dogmengeschichte nach Tübingen gekommen war, sah in dieser Richtung eine Periode neu aufblühender Theologie.84 Eine ganz neue Sicht der Dinge kam mit der Philosophie Hegels (1778 - 1831). Für Karl Barth ist mit ihm ein Höhepunkt des Geisteslebens im 19. Jahrhundert erreicht, und er sieht in ihm einen nicht mehr zu überbietenden Abschluß. Für ihn war Hegel der große Systematiker und Apologet des Anliegens der Romantik, der Entdecker der Unmittelbarkeit des schöpferischen Individuums und der Dialektik seiner Lebensbewegung, der Erfüller aller Verheißungen, und mit ihm war die erste Vollendung und Überwindung der Aufklärung gegeben.85 Nach Ansicht Hegels erhebt sich über der Natur, die an Raum und Zeit gebunden ist, die Welt des Geistes, die Raum und Zeit überspannt, und Gott äußert sich in der Geschichte. In ihr lebt und wirkt er.86 Hegels Philosophie ist eine großartige inhaltlich erfüllte Weltgeschichte.87 Für Karl Barth war Hegel der Letzte, bei dem Philosophie und Christentum noch eine Einheit bildeten.88 80 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 132. 81 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 194. 82 Doctrinae christianae pars theoretica e sacris literis repetita, 1793; Württembergische Kirchengeschichte, S. 567; Hermelink. Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 302; Kolb: Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche, S. 61. 83 Aster: Geschichte der Philosophie, S. 319. 84 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 331; Ulrich Köpf,: Ferdinand Christian Baur, Haupt der Jüngeren Tübinger Schule. RGG 1 (1957), Sp. 1183; Schäfer: Württem- bergische Evangelische Landeskirche. In: Das Land Baden-Württemberg, S. 533; Köpf: Historisch- kritische Geschichtsbetrachtung, Ferdinand Christian Baur und seine Schüler, S. 13. 85 Barth, Karl: Die protestantische Theologie, S. 343, 344. 86 Aster: Geschichte der Philosophie, S. 583. 87 Jaspers: Die großen Philosophen, S. 583. 88 Löwith: Von Hegel zu Nietzsche, S. 62. 21 Auf dieser Basis baute in Tübingen seit 1826 Ferdinand Christian Baur ( 1792 - 1860) weiter. Er markiert den Übergang der Älteren, Supranaturalistischen, zur Jüngeren, Historisch-kritischen Tübinger Schule.89 Baur bearbeitete die biblischen Texte, wie ein Historiker seine Quellen90. Er sah die Weltgeschichte als eine Offenbarung Gottes. Religion und Philosophie hatten für ihn dieselbe Basis, doch war die Religion von geschichtlich gegebenen Tatsachen abhängig, und die geschichtliche Wahrheit mußte immer begründet werden. Er wollte ein "so viel wie möglich vollständiges und umfassendes, klares und anschauliches Gesamtbild entwerfen" und die historische Entwicklung in ihren verschiedenen Abschnitten kritisch abwägend untersuchen.91 Ihm genügte als Historiker nicht die bloß empirische, programmatische Geschichtsbetrachtung und -darstellung, sein Interesse galt der objektiven theologischen Wahrheit. Er hat sich von der schriftlichen Überlieferung als einem allgemein verpflichtenden Dokument gelöst. Er verlangte die Freiheit und Konsequenz des Denkens, das damit über den Geboten der biblischen Tradition steht. 92 Theologie war immer die Auseinandersetzung der kirchlichen Gegenwart mit der kirchlichen Vergangenheit. Da die biblischen Texte in ihren Aussagen sehr unterschiedlich waren, galt es, die unterschiedlichen Situationen, in denen sie entstanden sein mußten, zu untersuchen, gleichzeitig aber auch ihren dogmatisch- theologischen Kern zu erkennen.93 Baur war der Begründer der modernen Dogmengeschichte, hatte aber seine Wurzeln wohl in Storr und dem jüngeren Bengel. Über ihn äußerte er sich, unter Bezugnahme auf dessen Schrift „Über den Zweck der evangelischen Geschichte und die Briefe des Johannes“ (1786) lobend, dieser sei der Erste gewesen, der die Evangeliumskritik „in dem umfassenden Sinne, in dem sie die Hauptaufgabe der neutestamentlichen Kritik ist, zu bearbeiten anfing“.94 David Friedrich Strauß (1808 - 1874) war ein Schüler von ihm, allerdings auch Sixt Carl Kapff (1805 - 1879). Wenn dieser Zweiten, historisch kritischen Schule in Tübingen, mit ihrer radikalen Kritik an überlieferten Auffassungen,95 kein größerer Erfolg beschieden war, obwohl ihr Bemühen Allgemeingut der ganzen neueren Theologie geworden und bis heute geblieben ist,96 so hängt dies unter anderem auch damit zusammen, daß im Jahre 1835 David Friedrich Strauß (1808 - 1874), der Ia-Kandidat der Blaubeurer Geniepromotion von 1821 97, in Tübingen in den Jahren 1835/36 sein „Leben Jesu“ veröffentlicht hat. 89 Geißer: Kritische Theologie in Grenzen, S. 325; Köpf: Die theologische Tübinger Schule, S. 9; Köpf: Ferdinand Christian Baur, S. 447. 90 Borst: Die Kehrseite: Baurs Schwäbische Historische Schule, S. 336. 91 Borst: Schule des Schwabenlands, S. 228. 92 Barth, K.: Die protestantische Theologie, S. 452. 93 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 133. 94 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 304. 95 Borst: Aufruhr und Entsagung, S. 324. 96 Barth, K.: Die protestantische Theologie, S. 481; Borst: Aufruhr und Entsagung, S. 337. 97 Friedrich Theodor Vischer, David Friedrich Strauß, Friedrich Wilhelm Zimmermann, Gustav Binder, Christian Märklin, Gustav Pfitzer. 22 Der Verfasser wollte gegen Rationalismus und Supranaturalismus im Geiste Hegelscher Spekulation und historisch-kritischer Exegese das Mystische in der Jesus-Darstellung der Evangelien entlarven.98 Dies wurde von der einsetzenden Kritik als „Aufhebung des göttlichen Gesetzes“, als "Mystischer Unglaube", als "das Ende aller Religion und aller Sittlichkeit" gesehen.99 Strauß wurde zusammen mit der ganzen als unchristlich angeprangerten Philosophie dieser Zeit, zu der erstaunlicherweise auch Kant und Fichte, vor allem aber auch Schelling und Hegel gezählt wurden, in einen Topf geworfen, und die Gegner bemerkten sehr fein, daß viele dieser großen Geister wohl aus Württemberg stammten, in diesem frommen Land aber natürlich keine Bleibe hatten finden können.100 Um die Mitte des Jahrhunderts wurde der Pietismus in Württemberg tonangebend.101 Gegen den Supranaturalismus mit seinen Anklängen an rationalistisches Gedankengut hatten sich zunächst Kreise gewandt, die eine verstärkte Pflege des inneren Lebens gegen die ihrer Ansicht nach völlig verweltlichte Kirche forderten.102 Die anfängliche Abwendung des Pietismus in der Erweckungsbewegung von aller wissenschaftlichen Theologie wurde nach Baurs Tod überwunden. Der 1861 als Nachfolger von Ferdinand Christian Baur nach Tübingen berufene Karl von Weizsäcker aus Öhringen (1822 - 1899) hat der theologischen Wissenschaft wieder zu Ansehen und glaubwürdiger Anerkennung in der Öffentlichkeit verholfen.103 Durch den Prälaten Kapff wurde vor allem die Hahnsche Gemeinschaft ganz besonders gefördert. Er hatte in den kritischen Tagen des Jahres 1848 durch einen „Aufruf der evangelischen Geistlichen an das Volk“ der Revolution ihre Schärfe genommen und so ermöglicht, daß sich die Verhältnisse in Württemberg wieder stabilisieren konnten.104 Er trat dem „Freiheitsschwindel“ entgegen und vertrat die Ansicht, daß nur ernste Frömmigkeit die Grundlage für eine wahre Wohlfahrt sein könne. Der Widerstand gegen alle politische revolutionäre Gesinnung auf der einen, der Einsatz für ein ruhiges, stilles Arbeiten, für Fleiß und Leistung, auf der anderen Seite, waren für ihn die Garantie für eine zu erwartende Verbesserung der Lebensverhältnisse. Auf dieser Linie konnte sich auch der König mit seiner Kirche treffen. Kapff war es gelungen, den Pietismus in der Ausprägung des Michael Hahn mit der Kirchenbehörde zu versöhnen. Sein Hauptanliegen war ein christlicher Staat, seine ganz besondere Aufgabe, einen solchen vorzubereiten. 98 Hahn-Mayer; Das Tübinger Stift, S. 68. 99 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 381; Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 242. 100 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 381. 101 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 251; Fritz: Die evangelische Kirche Württembergs im Zeitalter des Pietismus. BWKG 56 (1956), S. 99 - 167. 102 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 381. 103 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 279. 104 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten. S. 254. 23 Durch die Heiligung des Sonntags, durch zusätzliche Bußtage, durch Predigt und Seelsorge sollte streng auf eine Umkehr in Richtung auf ein christliches Leben hingearbeitet werden, wobei ein christliches Familienleben die Grundlage für diesen Aufbau sein sollte.105 Daß die Kirche aber gerade in der nun folgenden Zeit den Anliegen und Problemen des beginnenden Industriezeitalters völlig hilflos gegenüberstand, soll in diesem Zusammenhang auch nicht unerwähnt bleiben. Nun war die Zeit nach den Napoleonischen Kriegen mit der gehäuften Not auch eine Zeit der christlichen Vereine und Anstalten. Die Armut wurde als gesamtgesellschaftliches Problem erkannt. Reagiert wurde mit konservativen Abhilfe- und Vorbeugungsmaßnahmen.106 Vor allem durch pietistische Kreise wurden in der Folgezeit für die Jugend die ersten Rettungshäuser gegründet, 1820 in Stuttgart die Paulinenpflege, im August 1823 in Winnenden und im November in Korntal, 1825 in Tuttlingen, 1826 in Kirchheim u.T. und 1827 in Stammheim bei Calw. Hier sollten junge Menschen zu einem christlichen Leben angehalten, und die Not armer, kranker und behinderter Menschen gelindert werden.107 Königin Katharina veranlaßte am 29. Dezember 1816 im Schloß in Stuttgart zusammen mit zehn Männern und sieben Frauen die Gründung der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins108, der "aus freiwilliger Liebe zu Gott und den Menschen die Kräfte des einzelnen vereinigen sollte, um dem menschlichen Elend zu allen Zeiten, insbesondere aber in der jetzigen großen Not, zu steuern".109 Es ging nicht nur um die Linderung der Not, sondern um Arbeitsbeschaffung, "Erziehung zur Industrie",110 um die Unterstützung von Handel und Gewerbe. Der Verein hatte seine Leitstelle in Stuttgart, die Bezirks- und Lokalvereine waren aber über das ganze Land verstreut. Dekane und Pfarrer spielten in ihnen eine wichtige und entscheidende Rolle. Von ihnen aus wiederum wurden Anstalten für Arme, Kranke und Behinderte gegründet, 1841 das erste deutsche Kinder- krankenhaus in Ludwigsburg, das 1876 zur Evangelischen Kinder- und Brüderanstalt Karlshöhe umgeformt wurde. 1848 entstand die Heil- und Pflege- anstalt für Schwachsinnige in Vaihingen/Enz, die später nach Stetten verlegt wurde. Ein erster Frauenverein für Württemberg wurde 1834 in Stuttgart gegründet, der sich die Versorgung hilfsbedürftiger Kinder zum Ziel setzte, und 1856 entstand in Großheppach eine Ausbildungsstätte für Kinderschwestern, die weit in die heutige Zeit hinein Württemberg prägte. 105 Württembergische Kirchengeschichte, S. 611. 106 Hippel: Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 609. 107 Buck: Bilder aus dem christlichen Leben Württembergs, S. 7; Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 138, 149. 108 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 148; Schmierer: Das Haus Württemberg, S. 501; Bruns: Württemberg unter der Regierung König Wilhelms II., S. 295. 109 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 148; Mann: Württemberg 1800 bis 1866, S. 276; Schmierer: Akten zur Wohltätigkeits- und Sozialpolitik Württembergs. 110 Marquard: Geschichte und Strukturanalyse der Industrieschule, S. 21. 24 1848 kam es auf einem Kirchentag in Wittenberg auch zur Gründung der „Inneren Mission“ in Deutschland, unter dem Vorsitz von Johann Heinrich Wichern111, (1808 - 1881), die in allen Pfarrberichten wegen der Spenden und Spenden- freudigkeit eine große Rolle spielte.112 In Württemberg trat besonders Sixt Carl von Kapff (1805 - 1879) engagiert für dieses Anliegen ein. Daß Frauen hier zugezogen wurden ist beachtenswert, standen sie doch bis 1828 unter Geschlechtsvormundschaft, galten als geschäftsunfähig und unmündig, konnten vor Gericht ihre eigenen Angelegenheiten nicht vertreten.113 Über die Wohltätigkeitsvereine und Bürgergesellschaften hatten sie nun auch die Möglichkeit, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben zu partizipieren. Auch die Schulen für höhere Töchter sorgten für die Herausbildung eines neuen, gemeinsamen bürgerlichen Weltbildes. Aus dem Katharinenstift kamen die ersten Frauen, die politisch aktiv waren.114 Meuß hat darauf hingewiesen, daß sich in dieser Zeit zu den bisher im Vordergrund stehenden religiösen, christlichen Motiven nun die humanistischen gesellten, und daß so der Frau "eine erhöhte Aufmerksamkeit und gerechtere Würdigung zuteil wurde".115 Die 1842 in Ludwigsburg gegründeten Kinderheilanstalten waren die ersten in Deutschland, und auch das von Klett und Werner 1836 in Ludwigsburg gegründete Privatkrankenhaus, in dem männliche und weibliche Krankenpfleger ausgebildet wurden, sowie das von der Frau des Fabrikanten Reihlen mit Unterstützung des Prälaten Kapff ins Leben gerufene Diakonissenhaus muß hier erwähnt werden. Mit vier Schwestern 1855 begonnen, zählte es 1892 bereits 460 Schwestern auf 96 Stationen.116 Der Gustav-Adolf-Verein117 war 1832 in Leipzig und 1843 in Stuttgart gegründet worden. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, vor allem in den neu zum Königreich gekommenen katholischen Gebieten das evangelische Anliegen zu unterstützen. Nach einem Aufruf von 1841 sollte er für evangelische Christen, die in der Zerstreuung wohnten, Schutz und Hilfe sein. Nach der Satzung vom 9. September 1844 sollten ganz allgemein Gemeinden innerhalb und außerhalb Deutschlands, "welche im eigenen Vaterland keine ausreichende Hilfe finden können, bei der Erbauung ihrer Kirchen, Pfarr- und Schulhäuser, bei der Dotierung ihrer Pfarreien und dergleichen Hilfe erhalten". Finanziert wurde der Verein durch jährliche Beiträge der Vereinsmitglieder, aber auch durch Kirchenkollekten (im Advent) und Spenden. Kirchen und Kapellen wurden gebaut, die erste 1881 in Altshausen.118 Das Martini-Haus wurde um die Jahrhundertwende zu einer Schule umgebaut.119 111 Lehmann: Die neue Lage. In: Brecht: Geschichte des Pietismus, Bd. 3, S. 9. 112 Johann Heinrich Wichern (1808 - 1881), "Raues Haus" in Hamburg, seit 1833. 113 Lipp: Ein Hoch auf Schwabens Frauen, S. 190. 114 Schmierer: Das Haus Württemberg und sein Einfluß auf die sozialpolitische Entwicklung, S. 509; Gottschick: Große Hoffnungen - kleine Schritte, S. 112. 115 Meuß: Das evangelische Pfarrhaus, S. 69. 116 Württembergische Kirchengeschichte, S. 637. 117 Bruns: Württemberg unter der Regierung König Wilhelms II., S. 371; Peter Schellenberg: Gustav-Adolf-Verein. TRE VIII., S. 719. 118 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 253; Württembergische Kirchengeschichte, S. 639. 119 Pfarrbericht Leutkirch, 1906. 25 Zu der Liebestätigkeit der Kirche in dieser Zeit darf auch das Wirken Gustav Werners120 gerechnet werden. Sein Bemühen galt einer neuen Belebung der Kirche, die bei allem Festhalten an der reinen Lehre die Gerechtigkeit zu verwirklichen sich bemühen müsse, um den Aufgaben der Gegenwart zu genügen. Er wollte eine gelebte, nicht nur verständlich begriffene Religion. Er hatte von den zwei Möglichkeiten "den schmalen, steilen, steinigen Weg" erwählt, der auf dem von Charlotte Reihlen, der Gründerin der Diakonissenanstalt, um 1860 entworfenen Bild so deutlich dargestellt ist und der das Paradies verheißt.121 "Ihr, die ihr den Herrn mahnet, lasset Euch keine Ruhe und lasset ihm keine Last, bis daß er Jerusalem herstelle in einem Stand der Herrlichkeit auf Erden".122 1850 hat er in einem Flugblatt geschrieben: "Es ist seit 16 Jahren mein unablässiges Streben, der Kirche zu ihrer Vollendung, dem Reich Gottes zu seiner Verwirklichung, der seufzenden Kreatur zu ihrer Erlösung zu helfen".123 Schon in seiner Vikarszeit in Walddorf bei Tübingen gründete er im Oktober 1837 eine Kleinkinderschule und wenig später eine Industrieschule, in der für Mädchen Unterricht im Stricken und Häkeln erteilt wurde. Als eine arme Taglöhnersfrau starb und sechs unmündige Kinder zurückließ, nahm er das jüngste mit 2 Jahren zu sich und vermittelte die andern in Familien.124 Bereits damals wurde er wegen seiner Predigttätigkeit angefeindet. Im Februar 1840 ging er mit 10 Kindern und 2 Helferinnen nach Reutlingen, wo er ein "Rettungshaus" eröffnete. Dort gründete er 1849 auch seine erste Fabrik, mit der er eine "Hausgenossenschaft" verband. Es ging ihm immer darum, den Menschen zu helfen. "Er war kein ökonomischer Denker, sondern ein christlicher Täter".125 Als er am 8. November 1841 die Tochter des Kaufmanns Zwißler, Albertine, heiratete, wurde ihm unterstellt, er nehme seinen Beruf nicht mehr ernst und er beabsichtige, die Lederhandlung seines Schwiegervaters zu übernehmen. Dies ging so weit, daß der Fall im Württembergischen Kirchenblatt zur Sprache kam und die Bedenken dort offen ausgesprochen wurden.126 1848 hatte er 80 Kinder unter seiner Obhut. Er hielt weiter seine Vorträge, 1847 in über 100 Gemeinden, mit teilweise über 1 000 Zuhörern. Es kam zu Spannungen mit seiner Kirche, die ihn am 31. März 1851 aus ihrer Kandidatenliste strich. Die Kirchen blieben ihm in der Folgezeit für seine Predigten verschlossen, was der Stuttgarter Konsistorialrat Kapff mit sichtlicher Genugtuung registrierte. Er vertrat die Ansicht, daß Werners theologisch-soziale Begründung der Reutlinger Anstaltsgründungen eine Rebellion gegen die gottgewollte Ordnung war.127 120 Heuss, Theodor: Gustav Werner. In: Hans Schumann: Baden-Württembergische Portaits, S. 184; Paul Kraus: Gustav Werner und seine Hausgenossen, S. 18; Wurster: Gustav Werners Leben und Wirken, S. 53; 121 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 138. 122 Paul Krauß: Gustav Werner. In: Lebensbilder aus Schwaben und Franken, Bd. XIV, S. 257 123 Haug: Reich Gottes im Schwabenland, S. 248. 124 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 152; Wurster: Die protestantische Ethik, S. 53. 125 Heuss, Theodor: Gustav Werner, S. 184. 126 Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg, Nr. 2, 11.1.1842, S. 26. 127 Schröder: Sixt Carl Kapff. In: Hermle: Württembergische Kirchengeschichte in Porträts, S. 326. 26 Ohne Unterstützung durch seine Landeskirche, allein auf die Hilfe seiner Freunde angewiesen, ließ sich Werner auf allerlei landwirtschaftliche, gewerbliche, sogar industrielle Unternehmungen ein.128 1863 wurden die finanziellen Schwierig- keiten so groß, daß es nur mit staatlicher Unterstützung möglich war, das Werk weiterzuführen. Gustav Werner erfuhr in dieser Zeit vielfältige Hilfe, an der sich selbst der König beteiligte. Aber zu einer Versöhnung mit der Landeskirche kam es nicht. Auch in dieser späten Zeit gab es dort noch sehr kritische Stimmen, die sich gegen jede Hilfe für den Bedrängten wehrten. So schrieb das Evangelische Kirchen- und Schulblatt in seiner Ausgabe vom Januar 1864: "Ist nicht, wenn der Staat und die Gemeinden denselben wieder auf die Beine helfen, zu befürchten, daß dieselben fortan weit energischer als bisher ihre Tendenz verfolgen, ein Herd sektiererischen Treibens und Lebens, wahre Quelle der kirchlichen Spaltung und Entfremdung bisheriger Mitglieder unserer Kirche von demselben werden".129 1866 wurde ein Aktienverein, 1881 die Gustav-Werner-Stiftung gegründet. Als Gustav Werner am 2. August 1887 starb, hinterließ er neben den verschiedenen Fabriken, dem großen Kinderhaus und dem Krankenasyl, ein Reinvermögen von insgesamt 1 040 470 Gulden. 864 Kinder und Jugendliche erhielten in der Anstalt eine Ausbildung, Behinderte eine angemessene Beschäftigung und Betreuung.130 Die Stadt Reutlingen hatte ihm das Ehrenbürgerrecht verliehen.131 Die Landeskirche würdigte ihn erst sehr spät: "Die württembergische Kirche darf doch den Mann, dem an Glauben, Tatkraft und Liebe nicht viele gleichkommen, zu ihren edelsten Söhnen rechnen".132 Eine weitere sehr prägende Gestalt dieser Zeit war Johann Christoph Blumhardt133 (16.7.1805 - 25.2.1880), der in dem von der Erweckungsbewegung geprägten Pietismus seiner Zeit den familiären Rahmen für seine spätere Tätigkeit fand. Nach dem bestandenen theologischen Examen kam Blumhardt 1829 in sein erstes Vikariat in Dürrmenz. Nach einer Zeit als Lehrer am Missionshaus in Basel, wo er zum erstenmal die Heilung von Kranken durch Gebet erlebt hatte, wurde er 1837 Pfarrverweser in Iptingen, wo er sich mit dem Separatismus des nach Amerika ausgewanderten Johann Georg Rapp (1757 - 1847) auseinandersetzen mußte. Es gelang ihm, die Zuneigung der Gemeindeglieder zu finden und sie wieder mit der Landeskirche zu versöhnen.134 128 Gäbler: Der Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert, S. 236. 129 Evangelisches Kirchen- und Schulblatt, Nr. 2., 17.1.1864, 25.Jahrgang. 130 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 154. 131 Paul Krauß: Gustav Werner. In: Lebensbilder aus Schwaben und Franken, XIV., S. 268. 132 Württembergische Kirchengeschichte, S. 640. 133 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 144; Ising: Johann Christoph Blumhardt. In: Hermle: Kirchengeschichte Wüttembergs in Portäts, S. 331; Werner Raupp: Johann Christoph Blumhardt. RGG 1 (1957), Sp. 1646/47; Gerhard Schäfer: Johann Christoph Blumhardt, S. 344; Joachim Scharfenberg: Johann Christoph Blumhardt. TRE VI., S. 721 - 722; Sorg: Er das Haupt, S. 99. 134 Benrath: Die Erweckung innerhalb der deutschen Landeskirchen, S. 235. 27 Im Juli 1838 erhielt er seine erste ständige Pfarrstelle in Möttlingen, "als Nachfolger des in allerlei Reichsgotteswerken unheimlich betriebsamen Christian Gottlob Barth".135 Dort feierte er im September seine Hochzeit mit Doris Köllner, und dort focht er in den Jahren 1841 bis 1843 "den Sieg Jesu über die dunklen Gewalten", die von der Gottliebin Dittus (1815 - 1872) Besitz ergriffen hatten, aus.136 Die Erweckung der Gemeinde, die geistliche Erneuerung, aber auch praktische Hilfe durch die Gründung einer Strick- und Nähschule, der seine Frau vorstand, waren sein Anliegen. 1852 konnte er das königliche Bad Boll erwerben. Die Seelsorge an kranken und notleidenden Menschen trat in den folgenden Jahren in den Vordergrund seiner Tätigkeit. Ungefähr 900 Hausgäste aus allen gesellschaft- lichen Schichten ganz Europass suchten ihn jährlich auf.137 Viele Jugend- und Missionsschriften, die "Blätter aus Bad Boll", gingen von Boll aus in die Welt. Blumhardt predigte auf Missionsfesten und Kirchentagen. Seine Theologie der Hoffnung wirkte weit in die Zukunft. Die Erwartung der baldigen Wiederkunft Christi war bei Blumhardt so ausgeprägt, daß er im Zwiespalt zwischen der Größe der göttlichen Verheißung und der Größe der menschlichen Not mit der Aufhebung dieses Widerspruches rechnete und überzeugt war, nicht sterben zu müssen, ohne den Anbruch der Gnadenzeit noch persönlich erleben zu dürfen.138 "Seinem Geist stand die schöne Zeit, auf die er hoffte, so nahe, er sah sie so sehr schon im Kommen begriffen, daß er sie zu erleben hoffte, zumal in den letzten Jahren die Sehnsucht danach sein Herz fast zersprengte" schreibt sein Biograph Friedrich Zündel noch im Sterbejahr Blumhardts, 1880.139 Er hat aber auch "dieses fremde, verwunderliche Geschehen" am Ende seines Lebens Gott anheimgestellt. 140 Es ist hervorzuheben, daß die diakonischen Impulse des 19. Jahrhunderts zumeist von einzelnen Personen ausgingen, die oft vom Pietismus geprägt waren. Sie gründeten Vereine oder Anstalten, um ihr Anliegen umsetzen zu können. Daß die Kirche sich hier sehr passiv verhielt, hängt auch damit zusammen, daß sie während der ersten Jahrhunderthälfte keine eigenständige Stellung im Staate hatte und durch das dem Innenministerium unterstellte Konsistorium vertreten wurde.141 Die Versuche der Kirche, in Anlehnung an Gedanken Schleiermachers eine eigene Vertretung und Verwaltung für ihre Anliegen zu bekommen, waren im Jahre 1848 gescheitert. Die damals für Reformen eingesetzte Organisations-Kommission hatte ihr Ziel nicht erreicht und wurde aufgelöst.142 135 Karl Barth: Die protestantische Theologie im 19.Jahrhundert, S. 589. 136 Karl Barth: Die protestantische Theologie im 19.Jahrhundert, S. 588 ; Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 144. Letzter Anfall der Dittus am 28. Dezember 1843. 137 Gottschick: Große Hoffnungen - kleine Schritte, S. 165; Schäfer: Johann Christoph Blumhardt, S. 345. 138 Karl Barth: Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, S. 592. 139 Zündel: Johann Christoph Blumhardt, S. 469. 140 Karl Barth: Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, S. 591. 141 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 163. 142 Mann: Die württembergische Organisations-Kommission, S. 530 28 Lediglich die Errichtung einer Vertretung der Gemeinden in einem Pfarrgemeinderat, der aber noch kein kirchliches Repräsentationsorgan war, und einer Diözesansynode, die sich aus sämtlichen Geistlichen und gewählten Vertretern der Pfarrgemeinderäte eines Dekanats zusammensetzte, konnte 1851 bzw. 1854 durchgesetzt werden.143 Erst 1867 stimmte König Karl der Bitte des Stuttgarter Diözesanausschusses zu und führte mit einer Verordnung vom 20. Dezember 1867 eine Landessynode ein. Hier gewannen die Diözesansynoden an Bedeutung, denn aus ihnen ging durch indirekte Wahlen die Landessynode hervor. Je 25 gewählte Pfarrer und Laien, die sechs Generalsuperintendenten, ein Mitglied der Tübinger Theologischen Fakultät und fünf vom König berufene Mitglieder bildeten das neue Gremium.144 Das Konsistorium blieb weiter staatliche Behörde und war dem Kultministerium unterstellt, aber in der Folgezeit sollte die Synode die Vorlagen des Konsistoriums wenigstens begutachten.145 Erst im Jahre 1888 erhielt schließlich die Synode auch das Recht, eigene Gesetzentwürfe einzubringen. Die ersten drei Landessynoden hatten noch einen ausgesprochen konservativen Charakter. Der Einfluß von Sixt Carl von Kapff war noch deutlich spürbar. Moralisch-erzieherische Aufgaben standen im Vordergrund. Förderung der Gottesfurcht und der kirchlichen Sitte, Fürsorge für Arme, Kranke und Verwahrloste, wurden damals noch als vordringlich angesehen.146 Dies hat sich unter der Regierung von König Wilhelm II. grundlegend geändert. Der König selbst hat während seiner Regierungszeit nie in innerkirchliche Angelegenheiten eingegriffen. Die anstehenden Reformen wurden sehr tolerant und in einem Geist gegenseitiger Achtung von den Repräsentanten der verschiedenen Richtungen in Angriff genommen. Auf dem Programm stand 1898 ein Gesetz über das Kirchenregiment, 1901 die Neuordnung der Diözesansynoden, 1906 ein neues Kirchengemeindegesetz, 1909 das neue Volksschulgesetz, 1912 ein neues Gesangbuch und auch noch eine neue Liturgie. Der letzte König hat sein Bischofsamt nicht so aufgefaßt, daß er meinte, alle Entscheidungen allein treffen zu müssen. Er hat seine Rolle vielmehr mit großer Zurückhaltung, eher als ein Kirchenpräsident fungierend, gesehen und so erreicht, daß eine ruhige Entwicklung seiner Landeskirche ermöglicht und gefördert wurde.147 143 Schäfer: Württembergische Evangelische Landeskirche. In: Das Land Baden-Württemberg, S. 533. 144 Mann: Württemberg 1800 bis 1866, S. 372. 145 Schäfer: Das Haus Württemberg und die evangelische Kirche, S. 496. 146 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 420. 147 Schäfer: Das Haus Württemberg und die evangelische Kirche, S. 499. 29 3.0. Der Pfarrbericht. 3.1. Katholische Pfründberichte. Pfarrberichte und Pfarrbeschreibungen sind in der württembergischen Landes- kirche mit einem Konsistorialerlaß vom 15. Juni 1827 eingeführt worden.148 Sie lösten die 1822 abgeschafften Synodalberichte ab, die „Visitations- und Synodal- Geschäfte“149, wie es in einem Erlaß des Ministeriums an das Konsistorium heißt, und müssen immer im Zusammenhang mit den Visitationen gesehen werden. Solche Berichte gab es in der katholischen Kirche in der Form von Pfründberichten schon viel früher. Die Ausführungen hierzu waren vom Königlich katholischen Kirchenrat bereits in einem Erlaß vom 23. Juli 1823 neu gefaßt und gegliedert worden.150 Auch hier sollte „jeder Pfarrer und Kaplan bis zum letzten Dezember des Jahres die Beschreibung seiner Kirchenstelle nach dem beiliegenden Formular mit pflichtschuldiger Gewissenhaftigkeit in dem Inhalt und der Form pünktlich bearbeiten, und mit den Beilagen im Kanzleipapierformat, gut geschrieben, paginiert und geheftet, dem Dekan übergeben“. Die jüngeren Kapläne und Vikare sollten dabei "den alten Pfarrern Dienste leisten“. Die Entstehung der Pfarrei, die Kirche und ihr Alter, die Einflüsse der Reformation, der Gottesacker, auch die Gottesdienste und liturgischen Hand- lungen, und schließlich die Schulen sollten ausführlich dargestellt werden. Es sollte nicht nur die Seelenzahl im Ort, sondern außerdem auch die Zahl der Wohnhäuser aufgeführt werden. Dabei wurde noch besonders erwähnt, daß dazu auch die Häuser von Protestanten und Juden gehörten. Bei den Protestanten war zusätzlich noch anzugeben, „wohin sie pfarren“. „Zu beschreiben ist die Lage des Pfarrortes und seiner nächsten Umgebung, hoch oder tief, eben oder bergig, angenehm oder unangenehm, gesund oder ungesund; das Klima, die Luft, die Fruchtbarkeit, die Beschaffenheit des Wassers, auch der etwaige Mangel daran; die ökonomischen Verhältnisse, auch besondere Nahrungs- quellen und Erwerbsarten der Gemeinde und ihrer Familien“. Die Pfarrkirche samt ihrem Schutzheiligen war zu beschreiben, ihre Bauart, alt oder neu, das wenigstens mutmaßliche Jahr ihrer Erbauung; die Lage, ihre Beschaffenheit, Helle oder Dunkelheit, der bauliche Zustand, die Länge und Breite nach Schuhen. 148 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 797, S. 744. 149 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 664, S. 546. 150 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. X, Nr. 607, S. 745; Erlaß des Königlichen Katholischen Kirchenrats vom 8.Juli 1823. 30 Es war anzugeben, wieviel Personen, vorzüglich zum Knien, aber auch zum Stehen, Platz fanden, ob besondere Stühle für die Schulkinder und für die erwachsene männliche Jugend vorhanden waren; ob sie eine oder mehrere Emporkirchen, abgesonderte Oratorien, unterirdische Gewölbe, eine Orgel, einen Musikchor oder dergleichen hatte; ob die Predigten oder Christenlehren eine besonders starke Brust und Stimme erforderten, oder ganz leicht fielen. Die Lage und Umgebung, sowohl das Innere, die Türen und Fenster; der Turm, die Sakristei, die Emporkirchen samt der Orgel, die Altäre, die Kommunikantenbank, der Taufstein, die Kanzel, die Beichtstühle, die Betstühle, die Gänge usw. waren außerdem durch einen Okularriß anschaulich darzustellen. Anzuführen waren auch „die auf der ganzen Pfründe oder einem Teil derselben, oder mit besonderen Gebühren gestifteten Jahrtage“. Die in den Filialen oder die in diesem Jahr neu gestifteten Jahrtage sollten gesondert aufgelistet werden, und zwar möglichst „tabellarisch“. Ein beizufügender Plan sollte Aufschluß geben über die genaue Lage des Ortes und seine Markung, die Straßen und Plätze, „den durch- oder vorbeifließenden Bach oder Fluß, den Hof, in dem die Pfarrgebäude stehen, das Wohnhaus samt allem Zubehör, Scheuer samt Ställen, Schweineställen, Geflügelställen, Schopfen, Holzlege, Wasch- und Backküche, der eigene oder Gemeindebrunnen, der oder die Hausgärten, die unmittelbaren Umgebungen, die Pfarrkirche, die Nebenkirchen und Kapellen, der Gottesacker, das oder die Kaplaneihäuser, das Schulhaus". Die Entfernung von jedem dieser Gebäude war nach Schritten zu bezeichnen. Ferner waren auf dem Okularriß die weiteren der Pfarrstelle eigenen Gärten anzuzeigen, die Wiesen, Äcker, Weinberge, Waldungen und Fischweiher, auch die dem Pfarrer zehntpflichtigen Bezirke der Ortsmarkung. „Über das Wohnhaus ist ein weiterer Okularriß beizulegen, welcher zeigt die äußere Form und Ansicht, Länge, Breite und Höhe, sodann alle inneren Bestandteile, vom gewölbten oder ungewölbten Keller an, stockweise bis zum Dach, mit den Stiegen, Gängen, Türen, Öfen und Kreuzstöcken. Von jedem Gebäude ist anzugeben, wann und von wem es erbaut oder zum letzten Mal wesentlich ausgebessert wurde. Bei jedem der Brandversicherung einverleibten Gebäude ist die Zahl des Katasters und der Anschlag anzuzeigen. Zu beschreiben ist, vorzüglich beim Wohnhaus, die Himmelsgegend, die Lage, hoch oder tief, eben oder am Berge, trocken oder feucht, gesund oder ungesund; die Aussicht, weit oder beschränkt, hell oder dunkel, angenehm oder unangenehm; die Bauart; der dermalige Zustand; die Beschaffenheit der Zimmer; die Höhe; ob sie getäfert, gegipst, angestrichen oder tapeziert seien; ferner die Beschaffenheit der Wege zur Pfarrkirche, zu jeder Nebenkirche und Kapelle, zum Gottesacker, zu jedem Kaplaneihaus, zum Schulhaus, und im Pfarrorte überhaupt“. Die Entfernungen zu den nächstgelegenen Orten waren in „Reisestunden zu 5 400 Mannsschritten“ anzugeben.151 151 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. X, Nr. 507, S. 759. 31 Dem Einkommen des Pfarrers war ein besonderer Abschnitt gewidmet. Es wurden folgende feste Einnahmen unterschieden: 1. Von eigenen Gütern, 2. Zehnten, 3. Grundgefälle, 4. Kapitalzinse, 5. Besoldungen, Zunächst war der Wert der Amtswohnung „nach dem Ortstypus und nach dem Besoldungssteuerzuschlag innerhalb Falzes zu bemerken“. Sodann war der Gartenertrag anzugeben. Jeder Garten mußte einzeln beschrieben und im Ertrag berechnet werden. Außer den Gärten waren die Wiesen, die Äcker, die Waldungen und die Weinberge aufzuführen. Die Zehnten waren zu unterscheiden nach Groß-Zehnten und Klein-Zehnten, Heuzehnten, Obstzehnten, Blutzehnten, Weinzehnten. Die Besoldung war nach dem Herkommen verschieden und entsprechend anzugeben: Kameralverwaltung, Grundherrschaft, Kirchenpflege, Gemeinde, Interkalarfonds, mit Angabe des Verwaltungssitzes. Es folgten die unbeständigen Einkommen: Hier wurden zunächst die „Accidentien“ aufgelistet, die Stolhandlungen: Taufen, Trauungen, Aussegnungen und Leichengottesdienste. Hierher gehörten auch die Gebühren für Prozessionen, für Flurgänge, für Bittgänge, für Bevölkerungstabellen, Schulvisitationen und Prüfungen. Als Maße waren ausdrücklich die württembergischen vorgeschrieben, und für den Geldwert veränderlicher Teile der Durchschnitt der letzten neun Jahre.152 Diese Bestimmungen sind deshalb so ausführlich dargelegt worden, weil in den von mir eingesehenen Berichten die meisten der hier angeführten Punkte nicht erwähnt und aufgeführt wurden. Die Christlichkeit oder das Verhalten der Gemeinde, die kirchlichen Gegebenheiten am Pfarrort, die geforderten Angaben über die Beschaffenheit der Gebäude oder die Angelegenheiten der Schule - alle diese eigentlich vorgeschriebenen Themen wurden nur sehr selten und nur zum Teil erwähnt. In Leutkirch beispielsweise wurde das für die Martinskirche geltende, 1352 dem Kloster Stams durch Karl IV., der damals noch deutscher König, noch nicht zum Kaiser gekrönt war, verliehene Patronatsrecht erwähnt, das später auf Weingarten übertragen wurde. Auf die Gegebenheiten im Pfarrort wurde nicht eingegangen.153 Der Pfarrbericht von Rottenburg beschränkte sich auf die gestifteten Jahrtage und Vigilien, die in aller Ausführlichkeit aufgelistet wurden.154 Auf einen Bericht über Vorkommnisse in der Gemeinde wurde auch hier offensichtlich kein Wert gelegt; er fehlt völlig. 152 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. X, Nr. 507, S. 769. 153 Pfarr- und Pfründbeschreibung Leutkirch 1820; In und um Leutkirch, S. 177. 154 Pfarrbeschreibung Rottenburg, 1825. 32 Im Pfarrbericht von Tigerfeld aus dem Jahre 1825 wurde der Übergang des Ortes an das Kloster Zwiefalten im Jahre 1338, und die Weihe der 1608 neuerbauten Kirche 1709 auf den Heiligen Stephanus,155 von dem das Kloster wichtige Reliquien besaß156, erwähnt. Die Kirche ist "nach selbem Zeitalter gebauet, auf einer mäßigen Anhöhe, dauerhaft, hell, 70 Schuh lang und 34 breit". Der Pfarrer nahm in seinem Bericht aber auch Bezug auf die Lasten des "Französischen Krieges" mit Durchmärschen von kaiserlichen, russischen und französischen Truppen und den daraus entstandenen Belastungen, und auf die Hungersnot von 1817, als die Kosten für einen Scheffel Korn auf 30 Gulden gestiegen waren und man "mit Grundbirnen, Gras und Rinden das Leben zu retten suchte". Tigerfeld hatte damals 236 Einwohner, das Filial Pfronstetten 227 und Aichstetten 139 Einwohner, alles Katholiken. Auch "die traurigen Verhältnisse des Kirchen- fonds" von Tigerfeld kamen zur Sprache, und zur Wirtschaft des Ortes, daß die Leute vom Feldbau und der Viehzucht lebten und im Ort keine Quelle zur Wasserversorgung vorhanden war. Der Filialort Pfronstetten hatte eine schöne Kirche zu Ehren des Heiligen Nikolaus, Aichstetten eine Kapelle mit einem Sebastian-Patrozinium. Tigerfeld hatte 1825 eine Schule und einen Lehrer. Das Schulhaus, 30 Schritte von der Kirche entfernt, hatte eine ebene und angenehme Lage und eine ordentliche Wohnung., die Schulstube 22 Schuh lang, 7 Schuh hoch, 18 Schuh breit, "durchaus hell und gesund". Schul-, Meßner- und Orgeldienst waren vereinigt. Die Werktagsschule hatte 20 Knaben und 15 Mädchen, die Sonntagsschule 26 Jünglinge und 19 Jungfrauen. Auch Pfronstetten und Aichstetten hatten einen Lehrer. In Aichstetten war die Wohnstube auch Schulstube. Der Pfarrer stellte auch seine Einnahmen zusammen und kam auf einen Betrag von 528 f 36 xr an beständigem Einkommen, dazu an Stolgebühren 14 f 40 xr, mit dem Vermerk, das Einkommen sei hinlänglich geeignet, einen Priester zu nähren.157 1848 wurde Pfronstetten eine eigene Pfarrei. 1891 hatte Tigerfeld 324 Katholiken und 9 Protestanten, das Filial Aichstetten 204 Katholiken und 1 Protestanten. Seit 1819 war der Ort mit einer Wasserleitung an die Quellen von Zwiefalten angeschlossen. Es gab im Ort 4 Großbauern, 16 Kleinbauern, 1 Wundarzt, 3 Wirte, 1 Bäcker, 1 Sattler, 1 Küfer, 1 Krämer, 2 Schneider, 3 Schuhmacher. "Die Pfarrangehörigen sind im allgemeinen arbeitsam, gut gesittet und religiös, an Leichtsinnigen fehlt es allerdings auch nicht. Doch scheint der Aberglaube, verglichen mit der Pfründbeschreibung vom Jahre 1810, jetzt nur in sehr seltenen Fällen und in schüchternen Formen sich zu zeigen". 155 Hoffmann, Kirchenheilige in Württemberg, S. 201. 156 Die Zwiefalter Chroniken Ortliebs und Bertholds, (Schwäbische Chroniken der Stauferzeit), S. 125. 157 Beschreibung der katholischen Pfarrstelle Tigerfeld, 1825. 33 Das Pfarreinkommen von Tigerfeld wurde 1891 auf 20 Seiten aufgelistet. Es setzte sich zusammen aus Einkünften aus eigenen Gütern, Besoldungen, Jahrtags- gebühren und Gehaltsaufbesserungen. Der Pfarrer kam auf einen Betrag von 2 005 Mark und 19 Pfennige. Dazu kamen die Akzidentien und Nebeneinnahmen für die Kirchenpflegerechnung und die Schulprüfungen, aber auch noch Allmandanteile und Weiderechte.158 Ausführlich sind auch die Berichte von Gmünd und Ravensburg. In Gmünd wurde 1892 ebenfalls ein ausführliches Jahrtagsverzeichnis vorgelegt, daneben aber im Rahmen einer historischen Beschreibung von 169 Seiten ein historischer Abriß der Geschichte der Gemeinde gegeben. Der Ort hatte zur Zeit Herzog Friedrichs von Schwaben und seiner Gemahlin, der Kaisertochter Agnes, schon längere Zeit bestanden. Konrad III. hatte 1170 das Augustinerkloster gestiftet, eine Urkunde von 1188 nennt die „burgus Gemunde“, sowie den Besuch Heinrichs VI. im Jahre 1188. 1284 wurde zum erstenmal ein Bürgermeister erwähnt. Die Belagerung von 1546 im Schmalkaldischen Krieg und die Beschießung durch den Kurfürsten von Sachsen am 26. November dieses Jahres fanden Erwähnung, und daß deshalb alljährlich am Katharinentag, am 25. November, zum Dank für die Verschonung der Stadt gegen eine Geldstrafe von 7 000 fl. eine Dankes- prozession veranstaltet wurde. Seit dem 15. Jahrhundert wurden hier gefertigte Rosenkränze aus Augstein in alle Länder Europas ausgeführt, besonders nach Italien, Frankreich, Spanien und Portugal, auch Gold- und Perlstickereien. Im Jahre 1739 gab es in Gmünd 250 Goldschmiedemeister. 1570 wurden in Gmünd die Protestanten ausgewiesen, 1807 gab es wieder 4 evangelische Bürger in der Stadt, 1880 schon wieder 4 266 und schließlich 1892, neben 11 369 Katholiken 5 330 Protestanten.159 Der Pfarrer erhielt 1822 - 750 fl in Geld, dazu 38 Scheffel Dinkel, 4 Malter Haber, 7 württembergische Klafter Buchen- und 1 Klafter Tannenholz. Hier wurde 1892 auch auf die kirchlichen Verhältnisse Bezug genommen und erwähnt: „Gmünd hat den ausgeprägten Charakter einer Fabrikbevölkerung, und so kann es nicht an leidigen Auswüchsen fehlen. Dessenungeachtet wird man sagen können, daß Gmünd einen gesunden, frommen, kirchlichen Fonds in sich birgt“. Es flossen reichlich Spenden für kirchliche Zwecke, insbesondere zur Wiederherstellung und Verschönerung des Gotteshauses und des katholischen Vereinshauses. Die Freizügigkeit und die Unterstützungswohnungsgesetzgebung begünstigte "den reichen Zufluß von unzuverlässigen Elementen von außen, welche einen ergiebigen Boden für die Sozialdemokratie abgeben, während die eigentlichen Gemeinden im allgemeinen mehr Kraft gegenüber dem "Sozialismus“ zeigen. Im Ganzen läßt sich sagen: die Gmünder leben gern, aber sie arbeiten auch gern“.160 158 Beschreibung der katholischen Pfarrstelle Tigerfeld, 1891. 159 Pfründbericht Gmünd, Hl. Kreuz, 1892. Diözesanarchiv Rottenburg, Bestand G II a, B.375. 160 Pfarrbericht Gmünd, 1892. 34 Es gab in Gmünd bis 1803 außer dem Augustinerkloster ein Dominikanerkloster, ein Franziskaner- und ein Kapuzinerkloster, dazu in Gotteszell ein Frauenkloster, die „Cella Dei“ mit Dominikanerinnen, und außerdem das Franziskanerinnen- kloster „St. Ludwig“. Nach dem Übergang an Württemberg wurde 1803 das Augustinerkloster Königliches Oberamt, das Franziskanerkloster nahm die Schulanstalt auf, das Dominikanerkloster wurde Kaserne und das Kapuzinerkloster abgerissen. Das Frauenkloster St. Ludwig wurde Realanstalt, in der bis 1824 die Schwestern Unterricht im Stricken, Spinnen und Nähen gaben, sowie in Garn-, Seiden- und Goldstickerei. Es wurde im Pfarrbericht vermerkt: „Seit 1824 sind die Klosterfrauen nicht mehr Industrielehrerinnen“. Seit 1826 war die Martinskaplanei mit der Stelle des Rektors am Schullehrerseminar verbunden. Auffallend ist, daß der Beschreibung hier ausführliche Planzeichnungen beigefügt waren: einmal eine Stadtplanzeichnung mit den eingepfarrten Orten, ein Seiten- und Grundriß von Heilig Kreuz, dann von St. Johann, der Kloster- und Spital- kirche, der Sebald- und Georgi-Kapelle, der Kirche St. Leonhard, der Kapelle Domini Christi, St. Joseph und St. Katharina, der Kirche in Gotteszell, sowie ein Plan des Dekanatshauses. In der Pfarrbeschreibung von Ravensburg aus dem Jahre 1879 standen am Anfang der Beschreibung üblicherweise die Jahrtage. Allein in diesem Jahr waren es 66 neue Stiftungen. Es wurde kurz auf die Geschichte der über Ravensburg in der Nähe der Veitsburg gelegenen, von den Welfen gegründeten Pfarrkirche St. Christina hingewiesen,161 die von Philipp von Schwaben und seiner Frau Irene von Byzanz im Sommer 1197 als „uralte Pfarrei oberhalb Ravensburg“ dem Prämonstratenserkloster Weissenau geschenkt wurde.162 Der Überschuß der Pfarrstelle sollte den Nonnen des Klosters Mariental bei Weissenau zugute kommen.163 Weiterhin wurde das Einkommen der Pfarrstelle aufgegliedert dargestellt und am Ende zusammengefaßt. I. Von eigenen Gütern 88.00 II. Capitalzinse 26.26 III.Besoldungen 1 028.57 IV.Gebühren 40.73 V. Staatsaufbesserungen 874.28 _______ 2 057,84 161 Spahr: Oberschwäbische Barockstraße I, S. 192. 162 Csendes: Philipp von Schwaben, S. 35. Zeugen: Graf Gottfried von Vaihingen, Heinrich von Waldburg, Eberhard von Tanne, Heinrich von Schmaleck. 163 Pfründbericht Ravensburg, St. Christina, 1879. Stälin: Württembergische Geschichte I, S. 135. 35 Von 4 zur Pfarrstelle gestifteten Jahrtagen waren zu bezahlen a. aus der Kirchenpflege 1.83 b. dem Mesmer 0.91 c. den Armen 5.14 _______ Ausgaben 7.88 _______ Reines Einkommen 2 049,96 ====== Es gab 1879 in Ravensburg 819 Katholiken, 26 Protestanten und keine Juden. Die Zahl der Kommunikanten wurde mit 400 angegeben, ebenso die Zahl der Kinder. Während die Ausführungen über die Schule in den evangelischen Pfarrberichten meist die Hälfte des gesamten Berichtes einnehmen, beschränkte sich der Pfarrer hier auf den Vermerk: „Seit 1810 gibt es hier eine Schule mit einem Lehrer“.164 Die heutige Stadtkirche war in den vorliegenden Berichten nicht zu finden. Dagegen liegt ein weiterer Pfründbericht für die Kirche St. Jodok vor. Sie wurde in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erbaut. Zu den Stiftern gehörte der Abt von Weissenau, der Pfarrer von St. Christina und die Stadt Ravensburg.165 Zu der Jahrtags-Tabelle von St. Jodok wurde in dem einzigen vorliegenden Pfarrbericht von 1897 vermerkt, daß durch einen Erlaß des bischöflichen Ordinariats vom 19. Januar 1897 die angeführten 130 Messen auf 104 reduziert wurden, daß außerdem 69 Vigilien und Placebos166 für immer erlassen wurden. „Bei den weiteren im Jahrtagsverzeichnis von 1888 aufgeführten Messen der Corporus-Christi-Bruderschaft, der Humpis´schen verst. Bruderschaftsmitglieder, der Spital- und Pfeffertagsmessen ist weder in der Zahl noch in den Gebühren im Betrag von 187 M 95 Pf. eine Veränderung vorgekommen, nur sind auch die Nebengebete bei den Humpis-Messen gemäß dem obigen Erlaß erlassen worden.“167 Was hier gegenüber den evangelischen Pfarrberichten auch noch auffällt, ist die Tatsache, daß katholische Pfründberichte nicht regelmäßig, sondern anscheinend immer nur sehr sporadisch abgefaßt und vorgelegt wurden. In Gmünd liegen Berichte nur aus dem Jahre 1824 vor, dann wieder von 1840, 1876 und 1892; in Ravensburg von St. Christina nur von 1879, von St. Jodok nur von 1888. Bei allen eingereichten Pfründberichten sollte der Dekan zusammen mit einem Kämmerer, der die angegebenen Preise prüfen mußte, die eingesandten Berichte begutachten und gegebenenfalls auch zur Vervollständigung zurückgeben. Bis zum 1. April des folgenden Jahres hatte er die Duplikate dann weiterzureichen. 164 Pfründbericht Ravensburg, St. Christina, 1879. 165 Spahr: Oberschwäbische Barocksraße Bd. I, S. 192. 166 Angst: Das ehemalige Frauenkloster Leutkirch, S. 53: Totenmessen und Psalmen. 167 Pfründbericht Ravensburg, St. Jodok, 23.August 1897. 36 Im Gegensatz zu den zwei Fertigungen der evangelischen Pfarrberichte sollten die katholischen an mindestens fünf Stellen geschickt werden: an das General- Vikariat, das Dekanat, das Kamerariat, außerdem die Kirchenregistratur und schließlich auch noch an die Schulinspektion.168 168 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. X, S. 746. 37 3.2. Die Geschichte des Pfarrberichts und seine Gliederung. Visitationen wurden erst durch die Reformation ein Instrument einer territorialen Kirchenpolitik, als das Visitationsrecht den protestantischen Fürsten als ein Bestandteil der Landeshoheit zufiel. Sie waren von Beginn an ihrem Charakter nach Aufsichtsmaßnahmen der Kirchenleitung. Sie dienten der Erziehung, Belehrung und der Kontrolle des Klerus, der Amtsführung der Geistlichen samt Kirchendienern und Schulmeistern, der Gestaltung des Gottesdienstes, der Prüfung des Glaubenslebens der Laien, der Inspektion der kirchlichen Gebäude, auch der Prüfung der finanziellen Verhältnisse. Der seelsorgerliche Aspekt stand zunächst im Hintergrund.169 Nachdem Luther nach der Beseitigung des alten Episkopalsystems die Ausübung des Visitationsrechtes den protestantischen Landesherren übertragen hatte, konnten diese nicht umhin, Gesetzgebung und Verwaltung ihrer Territorien zu erneuern.170 Juristische wie theologische Grundlage war der "Unterricht der Visitatoren" Melanchtons aus dem Jahre 1528.171 Erste Instruktionen zur Durchführung von Visitationen gab es nach der ersten "Württembergischen Kirchenordnung" von 1536172 im Jahre 1544, die in die Visitationsordnung vom 4. Mai 1547 und die Synodalordnung vom 1. August 1547 übernommen wurden. In der Synodalordnung wurde das Gremium geschaffen, das nun regelmäßig die Visitationen durchzuführen hatte. Die Dekane wurden durch die Pfarrer des Bezirks gewählt und waren als solche deren Vorgesetzte, andererseits aber Vertreter der Kirchenleitung.173 Die administrative Neuordnung der Kirche begann unter Herzog Christoph mit der Superintendentenordnung von 1551 und der Kleinen Kirchenordnung, der Gottesdienstordnung von 1553. Hier wurde der Kirchenrat als zentrale Behörde neben dem Oberrat und der Rentkammer installiert. Die Pfarrer wurden hier nicht nur auf die Augsburgische, sondern auch auf die württembergische Konfession verpflichtet.174 Die ersten Visitationsumritte erfolgten durch Erhard Schnepf, dem das Gebiet "unter der Steig", und Ambrosius Blarer, dem der Bereich "ob der Steig" als Visitationsgebiet zugewiesen worden war. Mit der Großen Kirchenordnung Herzog Christophs vom Mai 1559175, maßgeblich durch Johannes Brenz geprägt, war ein System der kirchlichen Verwaltung entwickelt worden, das über Jahrhunderte Bestand hatte und immer auch die Visitationen einschloß. 169 Zeeden: Visitationsforschung, Sp. 355; Pill-Rademacher: zu nutz und gutem der loblichen universitet, S.31; Häcker: Die Entwicklung des Aufsichtsrechts in der evangelischen Kirche. 170 Schnabel-Schüle: Kirchenleitung und Kirchenvisitation, S. 19. 171 Archivnachrichten der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg, Nr. 26, Mai 2003. 172 "Gemein Kirchenordnung, wie es dieser Zeit allenthalben im Fürstentum Württemberg gehalten werden soll"; Kolb: Geschichte des Gottesdienstes, S. 2.. 173 Gottschick: Neue Gestalt für das bleibende Wort, S. 265; Reyscher: Kirchengesetze, Bd. XV, S. 80 - 92. 174 Kolb. Geschichte des Gottesdienstes, S. 5. 175 Reyscher: Kirchengesetze, Bd. VIII., S. 245 - 250. 38 Die auf Gemeindeebene amtierenden Pfarrer, denen in den Amtsstädten Diakone als Helfer beigegeben waren, unterstanden einem Superintendenten, dem Dekan, der sie regelmäßig im Frühjahr zu visitieren und darüber einen Visitationsbericht zu erstellen hatte. Über diesen standen die vier Generalsuperintendenten, die ihren Sitz in Adelberg, Bebenhausen, Denkendorf und Maulbronn hatten. Diese wiederum hatten ihre Zusammenfassungen der Visitationsergebnisse an den Synodus zur weiteren Beratung zu geben.176 Der Synodus setzte sich zusammen aus dem Propst von Stuttgart, dem Landhofmeister, drei Theologen des Kirchenrats, vier General- superintendenten und verordneten Kirchenräten. Sie kamen seit 1609 zu jährlichen Sitzungen zusammen. Der Landtagsabschied vom 19. Juni 1565 bestätigte die evangelische Lehre des augsburgischen und württembergischen Bekenntnisses als eine von Herzog und Ständen gleichermaßen garantiertes Landesgrundgesetz.177 Ein neuer Entwurf zur Verfertigung der Pfarr- und Visitationsrelationen in einem Synodalerlaß vom 4. April 1811 hielt an der bisherigen Form fest.178 Lediglich die Gestaltung des Formulars wurde neu geregelt. Festgehalten wurde auch an der im 18. Jahrhundert eingeführten Praxis, wonach nunmehr der Ortsgeistliche den Bericht auf Michaelis zu erstellen hatte, und der Prüfer lediglich seine Bemerkungen anfügte. Es ist nun interessant, daß bereits in einem Erlaß vom 17. Dezember 1822 an die Dekanats-Ämter die Einführung von kürzeren Pfarrberichten, welche die 1822 abgeschafften Synodalberichte, die "Visitations- und Synodalgeschäfte"179, ablösen sollten, angekündigt und ihre Form festgelegt, das eigentliche Gesetz aber erst mit einem Konistorialerlaß vom 15. Juni 1827 erlassen wurde. Die Vorschriften sollten von den Dekanaten aber bereits zu diesem frühen Zeitpunkt den Pfarrämtern zur Kenntnisnahme zugesandt werden.180 „Die Pfarrberichte sollen in gewöhnlicher Kanzleiform deutlich geschrieben, halb gebrochen, paginiert und haltbar eingestochen werden. Keine Nummer darf ausgelassen oder ersetzt werden. Nummern, deren Gegenstände sich in dem Ort nicht finden, bekommen den Beisatz: fällt hinweg, oder einen ähnlichen Ausdruck“.181 Auf die deutliche Schrift war auch schon früher in einem Generalreskript vom November 1809 hingewiesen worden, in dem gefordert wurde, daß die Pfarrer „ihre Relationen deutlich und gut geschrieben übergeben, oder durch einen Dritten abschreiben lassen sollen“. Es wurde angedroht, daß „widrigenfalls dergleichen undeutlich geschriebene Relationen von den Dekanen zurückgegeben und sie zur Übergabe einer besser geschriebenen Relation werden angewiesen werden“.182 Dies sollte auch hier in Bezug auf das Schreiben der Pfarrberichte gelten. 176 Pfarrbeschreibungen und Pfarrberichte, LKA, Bestand A 29. 177 Schnabel-Schüle: Kirchenleitung und Kirchenvisitation, S. 37; Grube: Der Stuttgarter Landtag, S. 224. 178 Reyscher: Kirchengesetze, Bd. IX, S. 215 - 243. 179 Reyscher: Kirchengesetze, Bd. IX, S. 546. 180 Konsistorialerlaß an die Dekanatsämter vom 17. Dezember 1822; Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 685, S. 585. 181 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 685,.S. 676. 182 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 438, S. 192. 39 Alle wichtigen Nachrichten über die Kirchen- und Schulangelegenheiten sollten für jede Parochie zusammengestellt werden. Daneben waren aber auch statistisch- topographische Angaben zu machen. Es sollte auf Grund solcher Berichte eine allgemeine Beurteilung der Pfarrei ermöglicht werden. Der Aufbau und die Gliederung des Berichts waren von der vorgesetzten Behörde festgelegt, haben allerdings im Laufe des Jahrhunderts immer wieder Veränderungen erfahren. Der Abgabetermin für den ersten Pfarrbericht war Georgii 1827, also der 23. April. Dieser Zeitpunkt war Grundlage für den ganzen Bericht. Ausgenommen waren die Angaben über die Seelenzahl der Ortsangehörigen, die Zahl der Geborenen, Gestorbenen und Getrauten, also die statistischen Angaben, für die in Übereinstimmung mit den Bevölkerungslisten immer der 1 .November des vergangenen Jahres maßgebend war und zugrunde gelegt wurde. Bei den Geborenen war die Zahl der Unehelichengeburten besonders zu vermerken, bei den Trauungen die gemischten Ehen. Bereits 1847 wurden im „Evangelischen Kirchenblatt zunächst für Württemberg“ Vorschläge für eine Verlegung dieses Termins gemacht, da die Pfarrer in der Zeit um Georgi mit den Osterfeiertagen und der Konfirmationsvorbereitung ander- weitig voll in Anspruch genommen seien.183 Es wurde vorgeschlagen, den Termin auf Mitte Mai zu verlegen, gleichzeitig aber auch zu bedenken gegeben, daß in diesem Falle die Dekane mit den Visitationen erst Ende dieses Monats beginnen könnten. Mit einem Konsistorialerlaß vom 29. Januar 1855, veröffentlicht im „Amtsblatt des württembergischen Evangelischen Konsistoriums und der Synode in Kirchen- und Schulsachen“, wurde ein neues Formular vorgestellt, das gewisse Erleichterungen bringen, aber auch weiterhin dazu dienen sollte, „der Oberkirchenbehörde einen Einblick in die Zustände der Gemeinde zu geben“.184 "Die Pfarrberichte sollen, wie dies schon in den ältesten Formularien angedeutet ist, mehrfachen Zwecken dienen. Sie geben erstlich dem Verfasser Anlaß zum Aufmerken auf sein Amt und dessen Führung, zur Rechenschaft vor dem eigenen Gewissen, wie zu einer aufrichtigen Darlegung seines Sinnes und Wirkens gegenüber dem Visitator und der kirchlichen Obrigkeit. Fürs andere bezeichnen sie dem Visitator die Punkte seines Auf- und Nachsehens, und dienen damit zur Erleichterung und Beschleunigung des Visitationsgeschäftes. Sie tragen ferner dazu bei, die Einsicht der Oberkirchenbehörde in die Zustände der Gemeinden zu befördern, und endlich sind immer die jüngsten Pfarrberichte nebst ihren Visitationsmarginalien diejenige Urkunde, auf welche bei Beratungen und Entscheidungen über Kirchen- und Schulangelegenheiten einer Gemeinde, über die Personen der Bediensteten, über Stellenbesetzung und dergleichen zurückgegangen wird".185 183 Evangelisches Kirchenblatt zunächst für Württemberg, Nr. 12, 8. Jahrgang, 1847. 184 Reyscher Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 15147, S. 31 ff. Sh. Anhang, S. 575. 185 Konsistorialerlaß vom 29. Januar 1855; Amtsblatt des württembergischen Evangelischen Konsistoriums, Bd. 1, 1855, S. 31. 40 Zusätzlich zu den allgemeinen Angaben über die Pfarrei sollte auch berichtet werden, welche Maßnahmen der einzelne Pfarrer in der Berichtszeit unternommen hatte, um die in seiner Gemeinde festgestellten Mängel zu beseitigen, ob er dazu allein imstande gewesen war, oder ob dazu eventuell die Hilfe der weltlichen Ämter in Anspruch genommen werden mußte. Wenn es sich um einen besonders schweren Mißstand handelte, war darüber ein gesonderter Bericht an das Königliche Konsistorium erforderlich und einzureichen. Im allgemeinen wurde der umfangreichere erste Bericht über eine Gemeinde von 1827, der zusätzlich zu den allgemein verlangten Angaben auch noch die bekannten geschichtlichen Ereignisse einer Pfarrei erfassen sollte, also etwaige Kenntnisse über die Gründung der Pfarrei, das Alter der Kirche, die früheren Herrschaftsverhältnisse, schließlich auch noch über die geschichtlichen Ereignisse im Zusammenhang mit der Reformation, als „Pfarrbeschreibung“ bezeichnet. Als Termin wurde, wie erwähnt, Georgii, der 23. April, festgelegt und es sollte der Geschäftsgang der beiden verflossenen Jahre festgehalten werden. Solch eine ausführlicher gehaltene Beschreibung wurde nach 1827 erst wieder 1905 verlangt und angefordert. In dem Repertorium Pfarrbeschreibungen und Pfarrberichte“ des Landeskirch- lichen Archivs wird zum Quellenwert der Pfarrbeschreibungen angemerkt, daß dieser insgesamt als außerordentlich hoch einzuschätzen sei, weil die Berichte, die in knapper Form über die Geschichte der Pfarrei informieren, relativ zuverlässig waren. Dabei war vor allem die Pfarrbeschreibung von 1905 "in hohem Maße von den im 19. Jahrhundert entstandenen Beschreibungen der württembergischen Oberämter abhängig“.186 Von besonderer Relevanz waren dabei die Angaben zur örtlichen Kirchen- und Religionsgeschichte, zum Einkommen der Pfarrei, den kirchlichen Vermögens- verhältnissen und dem Zustand der Liegenschaften.187 Jeder Pfarrbericht hatte „einen repetetiven Charakter“. Einen entsprechenden Einfluß auf den Umfang und Gehalt seines Berichtes hatte naturgemäß der Pfarrer als Verfasser, ebenso wie der Dekan als Prüfer und Kommentator, und deshalb ist jedem Pfarrbericht eine individuelle Note nicht abzusprechen.188 Im Gegensatz zu diesen ausführlichen „Pfarrbeschreibungen“ gab es die später im allgemeinen alle drei Jahre anzufertigenden „Pfarrberichte“, die jeweils bei der Prüfung einer Pfarrei durch den vorgesetzten Dekan, oder, wenn es sich um ein Dekanat handelte, durch den Prälaten, in der vorgegebenen Form anzufertigen waren und die verlangten Angaben enthalten mußten. Es sollte mit diesen Berichten den geistlichen und weltlichen Behörden ermöglicht werden, sich einen Überblick über die "örtlichen Verhältnisse" der jeweiligen Gemeinde zu verschaffen, wie es in §1 des Konsistorialerlasses hieß.189 186 Landeskirchliches Archiv, A29, Pfarrbeschreibungen, Pfarrberichte. Stuttgart, 1999, S. 19; Statistisches Landesamt, Abt.Landesbeschreibungen, Burkhardt (Bearb.). 187 Zum Quellenwert von Pfarrbeschreibung und Pfarrberichten, Bd. A 29. 188 Landeskirchliches Archiv, A 29, Pfarrbeschreibungen, Pfarrberichte, S. 19. 189 Reyscher: Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 797. S. 744. 41 Die Pfarrbeschreibung war in zwei Ausfertigungen zu erstellen, und bis zum 1. Oktober an die Dekane, oder an die Prälaten abzuliefern. Diese hatten ihrerseits den Bericht auf Form und Inhalt zu prüfen und möglicherweise Verbesserungen einzufordern. Die zweite Ausfertigung verblieb in der Pfarr-Registratur der jeweiligen Gemeinde. Das Dekanat oder die Prälatur hatten dann wieder, unabhängig von den Visitationsberichten, eine weitere Zusammenfassung anzufertigen und diese an das Konsistorium weiterzuleiten, seit 1744 jeweils auf Michaelis. Die einzelnen Bestimmungen über die „Pfarrberichte und Visitationsrelationen“ waren, wie erwähnt, bereits in einem Konsistorialerlaß vom 20. März 1822 festgelegt worden.190 Der von der evangelischen Kirche vorgeschriebene Pfarrbericht war in seiner äußeren Form in verschiedene Abschnitte gegliedert. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn sich die Berichte der verschiedensten Orte häufig gleichen und sich Formulierungen finden, die man für abgesprochen halten könnte. Sehr oft wurde von einem Pfarrer im Laufe seiner Amtszeit auch für eine neue Prüfung der letzte Pfarrbericht einfach abgeschrieben, und das konnte sich mehrmals wiederholen, obwohl eigentlich immer die neuesten Gegebenheiten im neuesten Bericht erfaßt werden sollten. Im Synodalerlaß von 1855 war ausdrücklich an das Amtsethos des Geistlichen appelliert worden, in der Erwartung, daß „dessen eigenes inneres wie äußeres Leben in beständiger Beziehung zu dem der Gemeinde steht, wenn nach Ablauf von je zwei Jahren die Zeit zur Abfassung eines neuen Pfarrberichtes wiederkehrt, er an Erfahrung und Verständnis der Menschen und Dinge immer wieder reicher geworden sein, und also umso weniger zum bloßen Abschreiben des Früher-gesagten sich versucht fühlen sollte“. Aus den Pfarrberichten selbst ist allerdings nicht ersichtlich, ob solch eine Beanstandung jemals erfolgt ist, und ob sodann ein Bericht vervollständigt oder völlig neu erstellt werden mußte. 190 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 665, S. 548. 42 3.3. Die Schilderung der Gemeinde. In diesem Abschnitt enthielten die Pfarrberichte persönliche und topographische Angaben, die für das frühe 19. Jahrhundert von Bedeutung waren. In der Gemeinde Aldingen im Dekanat Ludwigsburg wurde beispielsweise angeführt, daß dort 1827 1 095 evangelische Christen und 87 Juden wohnten, deren Zahl im nächsten Jahre sogar auf 92 zugenommen hatte. Die einstige Ortsherrschaft, die Herren von Kaltental, hatten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts einigen jüdischen Familien die Ansiedlung erlaubt. In der Oberamtsbeschreibung des Königlichen statistisch-topographischen Büros von 1856 wurden 112 Juden gezählt, die aber, besonders durch laufende Abwanderung nach Ludwigsburg, rasch abnahmen. Bereits 1882 gab es in Aldingen keine jüdischen Einwohner mehr.191 In der Gemeinde gab es immer wieder Überschwemmungen, die den unteren Teil des Ortes in Mitleidenschaft gezogen haben, die letzte größere 1824. Um auf die andere Neckarseite zu gelangen mußte man nach Neckargröningen. Erst dort war eine Brücke. Dafür war der Ort mit einer ausreichenden Zahl von Ziehbrunnen versehen. In Altensteig berichtete der Pfarrer 1828, daß Altensteig-Dorf die Mutterpfarrei eines Kirchspiel-Verbandes war, zu dem auch Simmersfeld, Ettmannsweiler, Beuren, Hesselbronn, Mittelweiler, Sachsenweiler und Fünfbronn gehörten, daß Wilhelm von Urbach hier, also im Ort Altensteig, schon 1456 eine Kaplanei- pfründe gestiftet hatte, daß der Ort bereits 1473 eine eigene Kirche und seit 1591 einen Diakon gehabt habe, daß aber bis 1715 in Altensteigdorf, der Mutterpfarrei, getauft, getraut und beerdigt wurde. Altensteig war bis 1400 hohenbergisch, kam dann an Baden und 1603 an Württemberg. Nach der Auflösung des Oberamts im Jahre 1810 war es "noch Sitz des Oberforstamtes, eines Revierforstamtes, eines Amtsnotariats, eines Unteramts- Physikats, welches letztere durch eine hier befindliche gute Apotheke noch mehr Bedeutung erhielt, und außerdem Sitz eines Kameralamtes".192 Der Pfarrer fuhr in seiner Beschreibung fort: "Altensteig ist sehr bergig, und bietet namentlich im Winter der Passage große Schwierigkeiten dar, die jedoch von den Einwohnern mit bewundernswürdiger Leichtigkeit überwunden werden. Wasser- mangel tritt in seltenen Fällen in der oberen Stadt ein, welche nur durch eine Quelle versehen wird. Die Luft ist, jene Waldnebel abgerechnet, die dem Neuling anfangs beschwerlich fallen, gesund. 191 Hie gut Württemberg, Beilage der Ludwigsburger Kreiszeitung, Nr. 2, 2.6.2001. 192 Pfarrbeschreibung Altensteig, 1828. 43 Der Boden ist sehr sandig, deshalb für Erzeugung des Getreides, das weit nicht in hinreichenden Mengen gebaut wird, und auf der kleinen Ortsmarkung nicht gebaut werden kann, nur wenig tauglich. Obst kommt selten vor. Nur Flachs, Hanf, Haber, auch Roggen gehören unter die vorzüglichen Produkte". Der in den Wäldern sich findende Sauerklee wurde in einigen Mühlen zu Salz verarbeitet. Der Altensteiger wurde als in der Regel klug, aber auch stolz und "nicht ohne alle Neigung zum Wohlleben" geschildert.193 In Böblingen wurde 1828, also ebenfalls in der ersten Pfarrbeschreibung, erwähnt, daß der Ort Sitz eines Oberamtes, einer Schultheißerei und außerdem eines Revierforstamtes war, daß 2 865 Evangelische und ein Katholik hier wohnten, aber keine Dissentierenden und keine Israeliten. Der historische Teil begann mit der ersten urkundlichen Nennung 1149 im Zusammenhang mit dem Pfalzgrafen Hugo von Tübingen und einem Walther von Bebilingen. Der Hirsauer Codex allerdings kennt einen „Trasemunt de Bebelingen“ bereits um 1100194 Erwähnt wurde außerdem das Stadtrecht von 1278, der Übergang von Burg und Stadt von den Pfalzgrafen von Tübingen an Württemberg 1357, schließlich auch noch die Zugehörigkeit „ad ecclesiam St.Martin in wile propre Holzgerlingen“.195 In den Angaben zur Kirchengeschichte hieß es, die kirchliche Bedeutung der Orte Weil im Schönbuch und Holzgerlingen sei auch schon aus den dortigen Urpatrozinien Martin und Mauritius zu ersehen.196 Böblingen hatte ursprünglich seit 1261 eine Marienkirche. 1419 wurde die Schloßkapelle mit dem Patronat Dionysius zur Pfarrkirche erhoben und von der Gräfin Henriette neu erbaut.197 Der erste lutherische Prediger war hier bereits 1519 tätig gewesen. 1529 wurden hier noch sieben Männer und Frauen, verurteilt als Täufer, hingerichtet.198 Eßlingen war 1828 "eine Gemeinde 1. Klasse, Sitz des Königlichen Gerichtshofes für den Neckarkreis, des Oberamtsgerichts, des Oberamts, des Dekanat-Amts und des Kameralamts. Es gehörte zum Forstamt Kirchheim und zum Forstrevier Plochingen. Seit November 1802 gehörte die Freie Reichsstadt zu Württemberg. Die Einwohner von Eßlingen zeigten nach Meinung ihres Pfarrers Gutmütigkeit, Religions- und Ordnungsliebe, Rechtlichkeit, Arbeitsamkeit, Sparsamkeit, aber auch Schlaffheit der Sitten, Liebe zur Bequemlichkeit, Arbeitscheu und einen Hang zu übertriebenem Aufwand. 193 Pfarrbeschreibung Altensteig, 1828, 194 Bührlen-Grabinger: Vaihingen, Rohr, Büsnau, S. 18: „Trasemunt de Bebelingen ad Fügingen tres hubas dedeit, quarum due date sunt in concambium pro quodam predio in Westheim“. 195 Pfarrbeschreibung Böblingen, 1827. 196 G. Hoffmann: Kirchenheilige in Württemberg, S. 163, 164. 197 Das Land Baden-Württemberg, Band II, S. 248. 198 Pfarrbeschreibung Böblingen, 1905; Hasselhorn: Das Württembergische Glaubensbekenntnis von 1552: "An Weihnachten 1530 waren 20 Evangelische auf dem Mantelhof bei Aalen um ihres Glaubens willen, verurteilt als Täufer, bestialisch ermordet worden; in Böblingen waren es ein Jahr vorher sieben Männer und Frauen, in Tübingen 1530 zwei Jünglinge und Jungfrauen gewesen". 44 Demgegenüber bewiesen die Bewohner der Esslinger Filialorte nüchternen, gesunden Verstand, Biederherzigkeit, menschenfreundliches Wohlwollen gegen Nachbarn und Freunde, und einen tätigen und sorgfältigen Betrieb der Landwirtschaft. Der Wohlstand war im Wachsen begriffen dank der Tuch- manufakturen, der Baumwolle- und Wollspinnerei-Manufakturen, einer Fabrik für lackierte Blechwaren, dem Königlichen Reiterregiment, das hier stationiert war, und dem Haupt-Schullehrer-Seminar.199 In Freudenstadt bemerkte der Pfarrer in seinem Bericht von 1872, daß das Familienleben einfach nicht auf christlichem Boden gegründet sei. Er beanstandete, daß beide Gatten so viel wie möglich ihrem Vergnügen nachgingen. "Der Mann vergeudet im Wirtshaus, was er die Woche über verdient, das Weib versteht von der Haushaltung blutwenig und rühmt sich ihres Fleißes im Holzholen aus dem Wald. Wenn eine Krankheit oder ein Unglück nur von unbedeutender Art eintritt, so fehlt es an allen Mitteln, und die Stiftung muß in Anspruch genommen werden. Für die Zukunft, für das höhere Alter, wird nichts erspart".200 Die Pfarrbeschreibung von Geislingen von 1828 berichtete, Rudolf von Habsburg habe hier 1284 einen Reichstag abgehalten. 1382 wurde die Stadt von Graf Ulrich von Helfenstein an Ulm verpfändet, 1396 mit mehreren Ortschaften an Ulm verkauft. 1424 wurde der Grund zur Pfarrkirche gelegt, 1531 im ganzen Gebiet von Ulm die Reformation eingeführt. Geislingen war Sitz einer Stadtschultheißerei, eines Oberamts, eines Oberamts- gerichts, eines Kameralamtes, eines Oberamtsarztes, eines Oberamtschirurgen, sowie einer Stadt- und Amtspflege. Es gehörte zum Forstamt Kirchheim, zum Forstrevier Altenstadt, zum Dekanat Altenstadt, ¾ Stunden entfernt. Es wurde 1802 bairisch und kam 1810 schließlich zusammen mit Ulm an Württemberg. Noch 1856 wurde erwähnt, daß Bettage unter der bairischen Regierung nicht üblich waren. In der kleinen Gemeinde Hohenhaslach schrieb 1827 Pfarrer Klöpfer201: „Der Mutterort Hohen- und Niederhaslach ist ein Marktflecken, war vor alten Zeiten eine Stadt mit 3 Toren, Stadtmauer und Graben. Ist Sitz einer Schultheißerei, gehört in das Oberamtsgericht und Oberamt Vaihingen, zum Kameralamt Freudental und Bietigheim, zum Forstamt Stromberg und Forstrevier Ensingen und Freudental. Die Entfernung vom Sitz des Dekanats und Oberamts beträgt 2 gute Stunden, und die vom Kameralamt Bietigheim auch 2, die vom Kameralamt Freudental aber 3 Viertelstunden. 199 Pfarrbeschreibung Eßlingen, 1828. 200 Pfarrbericht Freudenstadt, 1872. 201 Eberhard Friedrich Klöpfer (12.2.1767 - 22.8.1834), in Hohenhaslach 1820 - 1834, Sigel Nr. 55,20. 45 Der Ort Hohenhaslach, der von Osten nach Westen und so hoch ungefähr liegt, als der Asperg, ist hofkammerlich und steht unter dem Hofkameralamt Freudental“.202 Nach den statistisch-topographischen Angaben folgten solche zum sittlich- religösen Zustand der Gemeinde Hohenhaslach: „Was das Hervorstechende der geistigen und sittlichen Eigenschaften der Einwohner betrifft, so haben sie größtenteils ihren gesunden Menschenverstand, excellierende Köpfe sind selten, desto häufiger gibts stumpf- und blödsinnige, übrigens sind sie religiös, fleißig, häuslich, friedlich und gegen Arme guttätig, und hats wenige uneinige Ehen und Trunkenbolde und Flucher. Der Nahrungsstand der Einwohner im Ganzen ist nicht der Beste, meist müssen sie sich säuerlich ernähren, vornehmlich vom Weinbau“. 1842 war der Bericht des nun nach Hohenhaslach gekommenen Pfarrers Johann Gottlob Hauff203 schon viel kritischer. Der Pfarrer schrieb, daß der sittlich- religiöse Zustand der Gemeinde viel zu wünschen übrig lasse. Eine Hauptursache der tiefen moralischen und ökonomischen Gesunkenheit der Gemeinde schien nach Ansicht des Pfarrers darin zu liegen, daß die Gemeinde seit mehr als einem halben Jahrhundert in der Wahl ihrer Schultheißen ganz unglücklich war, und besonders in den letzten 2 Jahrzehnten einen Ortsvorsteher hatte, "der, wie er selbst moralisch und ökonomisch zu Grunde ging, seine teuflische Lust daran hatte, auch die Gemeinde moralisch und ökonomisch zu Grunde zu richten, und anstatt gute Bürger Trunkenbolde, mutwillige Schuldenmacher, Betrüger und Müßiggänger zu erziehen". Der gleichzeitige Ortsgeistliche204 konnte in den 15 Jahren seiner Dienstzeit wegen Alters und sehr leidenden Zustandes diesen Übeln nicht mit der erforderlichen Energie entgegenwirken. Doch fand sich in der Gemeinde immer auch ein Kern von Besseren, auch war zu ihrem Lobe zu erwähnen, daß die Bürger nicht störrig und unlenksam waren, "weswegen äußerliche Gesetz- mäßigkeit, Zucht und Ordnung mit nicht sehr vieler Mühe hergestellt werden konnte. Das Laster der Unzucht ist nicht herrschender als in anderen Gemeinden, da die Unehelichen sich verhaltenen zu den Ehelichen im Jahre a)(1840) wie 1 4/7 zu 7 (22,43%), im Jahre b)(1841) wie 1 1/8 zu 8 (14,06%)“.205 Der Pfarrbericht von 1888206 beschrieb die Gemeinde sehr pathetisch: „Pfarrer ist und bleibt sich dessen bewußt, daß auch diese christliche Gemeinde dem Erzhirten gehört, welcher Augen hat wie Feuerflammen und Hirten und Herde unbestechlich prüft und richtet. Aber es will ihm oft schwer werden, die Spuren dieses erzhirtlichen Waltens und Leben-Schenkens in seiner Gemeinde zu entdecken und in der Gemeinde im Ganzen etwas von dem Bild dessen wiederzufinden, nach dem sie genannt ist. Dabei soll nicht verkannt werden, daß in Einzelnen und Stillen sich hier und da Spuren göttlicher Geisteswirksamkeit finden lassen. Im Ganzen wird gesagt werden dürfen, daß der Sinn für Gottesfurcht und kirchliches Leben noch nicht ausgestorben sind, und die Weisheit von Psalter 14 mit allem, was daraus folgt, nicht so verbreitet ist, wie in manchen, dem allgemeinen Verkehr und größerem Industriebetrieb mehr geöffneten Gegenden“. 202 Pfarrbeschreibung Hohenhaslach. 1827. 203 Johann Gottlob Hauff (27.1.1800 - 24.2.1867), in Hohenhaslach 1834 - 1843, Sigel Nr. 518,19. 204 Eberhard Friedrich Klöpfer (12.2.1767 - 22.8.1834) in Hohenhaslach 1820 - 1834), Sigel Nr. 55,20. 205 Pfarrbericht Hohenhaslach 1842. 206 Hermann Friedrich Stotz (6.4.1852 - 2.1.1937), in Hohenhaslach 1887 - 1894, Sigel Nr. 518,25. 46 Hierzu bemerkte der Dekan: „Der religiöse und sittliche Zustand der Gemeinde ist fortwährend kein günstiger, doch läßt sich schon einige Frucht der Wirksamkeit des jetzigen Pfarrers207 bemerken in zunehmendem Besuch der sonntäglichen Gottesdienste und infolge hiervon in erhöhtem Interesse an baldiger Restauration des Kirchengebäudes, und im Wachsen der Kommunikantenzahl, die von 47% im letzten Jahr auf 52% gestiegen ist, sowie darin, daß in der letzten Zeit nicht mehr gröbere Ausschreitungen und Unarten, besonders der ledigen Jugend, selbst in Schule und Kirche, wie früher öfters, vorgekommen sind." Auch hier fanden sich dann wieder die alten Klagen über schlaffe Kinderzucht, die ziemlich hohe Ziffer der unehelichen Kinder (12%), den Straßenlärm an den Sonntag-Abenden, Trunksucht und zerrüttetes Familienleben, Streitigkeiten und Feindschaften zwischen Hausgenossen und Nachbarn, Unterlassung des Haus- gottesdienstes in vielen Familien, geringe Opferwilligkeit, keine Sparsamkeit und keine rechte Einteilung im Gebrauch des irdischen Guts, und die Bemerkung, daß "weder die kirchenfreundliche michelianische Gemeinschaft, noch die Methodisten, die bisweilen zahlreich besuchte Versammlungen im Freien halten, deren Anhänger aber noch immer die kirchlichen Gottesdienste besuchen, noch die Jerusalemfreunde, deren Zahl mehr und mehr abnimmt, einen bemerkens- werten positiven Einfluß auf die Gemeinde im Ganzen ausüben".208 Die Pfarrbeschreibung von Kuchen charakterisierte den Ort folgendermaßen: „Kuchen ist ein Marktflecken, hat einen Schultheißen, gehört in das Ober- und Kameralamt Geislingen, ins Oberforstamt Kirchheim und das Forstrevier Altenstadt, ist eine halbe Stunde vom Dekanatsitz Altenstadt, vom Sitz des Ober- und Kameralamtes Geislingen eine Stunde entfernt. Kuchens frühere Herren waren die Herren von Spitzenberg, nachher kam es zu Helfenstein. Kuchen war bis 1396 helfensteinisch, bis 1802 ulmisch, bis 1810 bayrisch.209 In Langenburg las sich diese Beurteilung in der Pfarrbeschreibung von 1828 so: „Langenburg ist ein Städtchen, Sitz einer Schultheißerei und eines Oberamts- gerichts, gehört zum Oberamt Gerabronn und Kameralamt Rot am See. Die Entfernung vom Dekanatssitz - zu diesem Zeitpunkt noch Blaufelden - beträgt 3 Stunden, zum Oberamtssitz 1 ½ Stunden und zum Kameralamt 3 Stunden“.210 In der Summe läßt sich feststellen, daß trotz der strengen und durchgegliederten Vorgaben keine einheitlichen Pfarrberichte entstanden. Jede Schilderung einer Gemeinde war vom jeweiligen Pfarrer abhängig, und natürlich waren auch die Verhältnisse in jedem Ort verschieden. Es wurde immer das Positive und Negative in der Gemeinde nebeneinander gestellt. Vor diesem Hintergrund sollte die Tätigkeit des jeweiligen Pfarrers immer günstig zur Geltung kommen. 207 Pfarrer Hermann Friedrich Stotz, (6.4.1852 - 2.1.1937), Sigel Nr. 518,25. 208 Pfarrbericht Hohenhaslach, 1888. 209 Pfarrbeschreibung Kuchen, 1828. 210 Pfarrbeschreibung Langenburg, 1828. 47 3.4. Die ersten Abschnitte des Pfarrberichtes. Der erste Abschnitt des Pfarrberichts behandelte die Parochie im allgemeinen. Es mußte das für die Pfarrei zuständige Dekanat und Generalat angeführt werden, außerdem das zuständige weltliche Oberamt, etwaige kirchliche Filialen, die Zahl der Pfarrer, auch der Mesner und Organist, die Stiftungsräte und die Mitglieder des Kirchenkonvents. Ebenso sollte eine mögliche Änderung in der Landeszu- gehörigkeit seit 1802, sowie die derzeitigen Patronats- und Nominationsrechte Erwähnung finden.211 Der zweite Abschnitt der Pfarrbeschreibungen war statistisch-topografischen Angaben vorbehalten. Es mußte angegeben werden, ob die Pfarrei eine Stadt, ein Dorf, oder ein Marktflecken war. Diese Angaben waren geprägt von der ersten Auflage der württembergischen Oberamtsbeschreibungen, und wurden wesentlich für einen geordneten Ablauf der kirchlichen Verwaltung.212 Als nächstes folgte die Zahl aller am 1. November des vergangenen Jahres anwesenden Ortsangehörigen, gegebenenfalls getrennt für den Mutterort und die Filialen, unterteilt in Evangelische, Katholiken, sonstige Christen, - später Dissentierende, - und schließlich Israeliten, wobei zwischen Ortsangehörigen und Ortsanwesenden zu unterscheiden war. Die Zahl der Mägde und Knechte, die auswärts in Dienst standen, wurde jeweils abgezogen.213 In Heidenheim vermerkte der Pfarrer 1827: „Wegen der Arbeiter und zahlreichen Dienstboten in den hiesigen Fabriken und 16 Wirtshäusern und Schenken dürfte die Zahl der auswärtigen Anwesenden die der von hier Abwesenden immerhin um 150 übersteigen, so daß die Zahl der im Ort Gegenwärtigen zu diesem Zeitpunkt sich stellte auf 2 462“. Auch in Nagold wurde 1828 darauf hingewiesen, daß von den 2 036 evangelischen und 2 katholischen Bürgern zur Zeit 115 abwesend waren, daß sich andererseits aber auch wieder 173 Fremde in der Stadt befanden. In der Pfarrbeschreibung von Schorndorf aus dem Jahre 1828 hieß es hierzu: „Zwischen der Zahl der Ortsangehörigen und der Zahl der Ortsanwesenden findet eine fortwährend schwankende Verschiedenheit statt, weil sie hauptsächlich auf der Summe der Dienstboten, Handwerksgesellen und Lehrlingen beruht. 211 Holzmann: Die Gliederung der Oberämter im Königreich Württemberg, S. 164. 212 Burkhardt: Statistisches Landesamt, Abteilung Landesbeschreibungen. 213 Reyscher Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 453, S. 192. 48 Außerdem mußten die Geburten, die Trauungen, später mit Angabe eventueller Mischehen, sowie die Sterbefälle aufgelistet werden. Den Unehelichengeburten wurde deshalb immer eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, weil sie schließlich ganz allgemein Rückschlüsse auf die Sittlichkeit in einer Gemeinde, und im besonderen auch auf den Einfluß der Kirche und das Verhalten der Gemeindeglieder zuließen. Wir werden auf sie noch im Zusammenhang mit den Heiratsbeschränkungen zurückkommen, die seit 1833 immer wieder verstärkt wurden und die automatisch eine höhere Zahl von Unehelichengeburten (in Böblingen war 1862 jedes fünfte Kind unehelich) zur Folge hatten. Die Gemeinden sahen sich damals oft nicht mehr in der Lage, die Armen in ausreichendem Maße zu versorgen und glaubten durch Ehebeschränkungen und Unterstützung der Auswanderungen dieses Problem lösen zu können. Im Pfarrbericht von Weikersheim aus dem Jahre 1849 meldete die Statistik: a. Weikersheim mit Hofaischland und Carlsberg. Evangelische 1 754 Katholiken 30 Juden 133 Einwohner 1 917 b. Queckbronn 214 Seelen c. Hohnsbronn 135 Evangelische überdies 61 Katholiken d. Bronn 72 Seelen. Geboren wurden: Jahr A 1846 B 1847 C 1848 1. Ortsangehörige: a. in der Parochie 67 71 71 b. auswärts 1 2 2 darunter uneheliche 5 12 10 2. Fremde in der Parochie 2 6 1 darunter uneheliche 1 0 1 Verhältnis der unehelichen Geburten zu den ehelichen wie 1 : 8. (12,5%). Getraut wurden: Jahr A 1846 B 1847 C 1848 17 7 15 Gestorben sind Jahr A 1846 B 1847 C 1848 Ortsangehörige 53 55 48 Fremde 3 0 2 Hinsichtlich des sittlich-religiösen Zustandes der Gemeinde war anzugeben, ob es bei einem Teil der Gemeinde an der äußeren Gesetzmäßigkeit, Zucht und Ordnung fehlte, und wenn dies der Fall war, so waren die Gründe hierfür anzugeben. Auch mußte der Pfarrer darüber Rechenschaft ablegen, wie, durch welche Mittel und mit welchem Erfolg er diesem Übel entgegenarbeitete. 49 Andererseits sollte aber auch berichtet werden, wenn die Mehrzahl der Gemeinde sich durch sittliche und religiöse Bildung auszeichnete. In diesem Zusammenhang war auch zu erwähnen, ob die Wertschätzung der Christlichkeit und der kirchlichen Anstalten durch vermehrten oder verminderten Besuch der öffentlichen Gottesdienste und der Abendmahlsfeiern zu erkennen war. In Großheppach beispielsweise kam der Pfarrer in seinem Bericht von 1857 auf seinen schlechten Gesundheitszustand zu sprechen, der es ihm manchmal unmöglich machte, den Gottesdienst zu halten. Er ist noch in diesem Jahr im Alter von gerade 50 Jahren gestorben. Er schrieb: "Pfarrer Karl August Spring,214 geboren den 1. May 1807 in Stuttgart, Dienstzeit im Ganzen 15 Jahre, hier 7 Jahre, verheiratet, Vater von 2 Mädchen. Seit drei vollen Jahren krank an Unterleibsbeschwerden, am Ende des ver- flossenen Jahres in solcher äußerer Schwäche, daß man mehrere Wochen auf sein Ende wartete, seit 3 Monaten sich erholend, aber dennoch so geschwächt, und von Zeit zu Zeit wochenlang an Gehirnkrämpfen leidend, so daß er zur Arbeit noch ziemlich untauglich ist und von Studien noch keine Rede sein kann. Geht es doch fast über seine Kräfte, diesen Bericht zu verfassen, und seit dem 13. März den Konfirmandenunterricht zu erteilen. Seine letzte öffentliche Tätigkeit im laufenden Jahre waren 3 Predigten am Karfreitag, Osterfest, Quasimodogeniti. Er predigt frei mit vorliegender Disposition." Der Dekan vermerkt hierzu: "Starb 26. Juli 1857. Treu und eifrig im Dienste. Überschritt er das Maß, so suchte er wenigstens einmal sich selber".215 Der Pfarrer von Kuchen, Johann Heinrich Märklin216, schrieb in der Pfarrbeschreibung des Jahres 1828 : „Die Einwohner des Orts sind nach geistigen und sittlichen Eigenschaften ganz gewöhnlichen Schlags. Es ist schwer, etwas charakterlich Auszeichnendes an ihnen zu finden. Ihre etwaige Religiosität scheint mehr mechanisch als geistig zu sein, daher sie schwer zu rühren sind. Dieser wenigstens doch scheinbar stumpfe, weniger empfängliche Sinn ist vielleicht auf ihr häufiges Bier- und Branntweintrinken zu schreiben. Im Vergleich mit den Unterländern sind sie weniger arbeitsam und fleißig, in ihren Geschäften etwas träg, faul, langsam. Der Hauptnahrungszweig des Orts besteht größtenteils in sogenannter Stückweberei, durch welche wöchentlich 18 bis 1900 und jährlich 90 bis 95 000 fl in Umlauf gesetzt werden (es sind 73 Weber hier), und in Fruchtbranntwein- brennerei und soll seit einigen Jahren sehr gesunken sein. Noch vor 12 bis 15 Jahren war der Ort einer der wohlhabendsten in der Gegend, nun zeigt sich leider das Gegenteil“.217 214 Karl August Spring (1.5.1807 - 26.7.1857), in Großherppach 1849 - 1857, Sigel Nr. 407,46. 215 Pfarrbericht Großheppach, 1857. 216 M. Johann Heinrich Märklin (16.3.1766 - 1.1.1845), in Kuchen 1826 - 1844. Sigel Nr. 21,19. 217 Pfarrbeschreibung Kuchen, 1828. 50 Die Pfarrbeschreibung von 1828 berichtete über die Einwohner von Nagold, sie seien etwas roh, ungebildet und allen Neuerungen abhold. Ihr Hauptnahrungs- zweig war Ackerbau und Vieh-, besonders Schafzucht. Es gab aber auch viele Gewerbsleute, besonders Tuchmacher. "Für die sonntäglichen Predigten im Filial Iselshausen bekommt der Diakon Ritthaber". Die Kirche beim oberen Tor, deren Bau 1401 begonnen wurde, war Eigentum der Stiftungspflege.218 Der Dekan von Schorndorf219 schilderte die Eigenschaften seiner Gemeindeglieder in der Pfarrbeschreibung von 1828 wie folgt: „Die Stadt Schorndorf hat eine ebene, durch ihre Umgebung reizende, gesunde Lage. Sie ist reichlich mit Wasser versehen. Die Gegend ist sehr fruchtbar. Über die geistigen Eigenschaften der Einwohner ist, wegen der Verschiedenheit ihrer Gewerbs- und Berufsarten, auch wegen ihrer Erziehung usw. nicht wohl ein umfassendes bestimmtes Urteil zu fällen. Die Zahl der Blödsinnigen möchte im Verhältnis zur Einwohnerzahl größer sein, als in manchen anderen Orten, was vielleicht aus der ärmlichen Erziehung und der schlechten Beschaffenheit der Wohnungen, in welche die Familien der niedrigsten Volksklassen zusammengedrängt sind, zum Teil erklärbar sein dürfte. In sittlicher Beziehung finden sich viele achtungswürdige Familien hier, namentlich herrscht noch religiöser Sinn in manchen Familien. Unter den ärmeren Volksklassen ist hier und da eine Neigung zum Müßiggang und zum Bettel wahrzunehmen. Eheliche Zwistigkeiten kommen nicht selten vor. Bei einem Großteil der Ehen ist derzeit die Hausmutter älter“. Diesen Ausführungen über die geistigen Eigenschaften seiner Pfarrei in Schorndorf schloß der Pfarrer gleich den Bericht über die wirtschaftlichen Verhältnisse an, die er ja für manche negativen Erscheinungen in seiner Gemeinde mit verantwortlich machte. „Der Nahrungsstand bietet im Ganzen keine erfreulichen Aussichten. Die vorangegangenen Mißjahre, die nunmehrige Übervölkerung, das Stocken der Gewerbe, besonders des früher so blühenden Weinhandels, der Mangel eines Mittelstandes in Hinsicht des Vermögens - alles dies läßt den ehemaligen Wohlstand nicht mehr erkennen. Das wichtigste Erzeugnis ist immer noch Wein, aber auch Obst, Getreide, Futterkräuter werden, wo es immer der Raum gestattet, mit Nutzen gebaut“.220 “Fleiß gehört nicht zu den guten Eigenschaften der Schorndorfer“.221 218 Pfarrbeschreibung Nagold, 1828. 219 Dekan M. Christian David Alexander Heermann (1824 - 1841). Sigel Nr. 31,4. 220 Pfarrbeschreibung Schorndorf, 1828. 221 Pfarrbericht Schorndorf, 1854. 51 In Simmersfeld nahm der Pfarrer in diesem Zusammenhang Stellung zum Familienleben in seiner Gemeinde: „Die Ehen kommen in der Mehrzahl der Fälle nach recht nüchternen Erwägungen der beiderseitigen Familien zusammen und stehen ganz unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsgemeinschaft. In dieser hat die Frau häufig, namentlich in den Holzhauer- und Handwerkerfamilien, den größeren und härteren Teil der Arbeit zu leisten, und leistet ihn auch mit großer Selbstverständlichkeit. Auch in den eigentlichen Bauernfamilien ist die Tüchtigkeit der Frau für den Bestand des Hauses fast wichtiger, als die Tüchtigkeit des Mannes. Die Arbeitsgemeinschaft gibt der Ehe zugleich einen festen Halt, so daß trotz manchen Streits und Haders die Ehegatten meist fest und treu zusammenstehen und Freud und Leid redlich miteinander tragen. Die Umgangsformen der Ehegatten sind freilich oft recht derb und roh, doch fehlt es deshalb keineswegs an wirklicher Liebe. Eheliche Untreue ist sehr selten. Häufiger ist der Fall, daß ein junger Bursch gleichzeitig Vater verschiedener unehelicher Kinder ist, ohne daß er ein Mädchen, das ein Kind von ihm hat, abfindet, vielleicht aber auch nach dem Willen der Eltern doch abfinden muß, um dann eine andere zu heiraten.222 Im Pfarrbericht von Weikersheim aus dem Jahre 1849 schrieb der Pfarrer Demmler223 über die Eigenschaften seiner Gemeinde: „Der sittlich-religiöse Zustand der Gemeinde hat sich unter den Stürmen der Zeit nicht verschlimmert. Die Herzen der Gemeindeglieder in Stadt und Filialen sind zum weit größten Teile für ihre Seelsorger geöffnet und mit der großen Willigkeit, welche jederzeit auf das Wort des Geistlichen achtet, verbindet sich mehr und mehr ein sehnliches Verlangen mit der Wahrheit des Evangeliums inniger und lebenskräftiger vertraut zu werden. Die Teilnahme am öffentlichen Gottesdienst ist im Wachsen, die Zahl der Abendmahlsgenossen mehrt sich, für Privatseelsorge hat es, das ist die Erfahrung des Schreibers, seit Jahren nicht an empfänglichen Seelen, recht aber zu lange an Arbeitern auf diesem Felde gefehlt“. Allerdings bemerkte der Dekan zu diesem Bericht kritisch: "Ob der sittlich-religiöse Zustand der Gemeinde Weikersheim sich unter den Stürmen der Zeit nicht verschlimmert hat, ist eine Frage, deren Beantwortung von dem politischen Gesichtspunkte des Beurteilenden abhängt. Wenn man von Diaconus Demmler das aufgeregte Treiben eines Volksvereins, das stürmische Obenanstellen politischer Fragen vor jeder anderen für ebenso viele Zeichen „sittlicher Ermannung“ aus einer heillosen Apathie ansieht, so müßte man konsequent sogar ein Wachstum der Gemeinde Weikersheim annehmen Wenn man aber der Meinung ist, daß das Überschreiten des Maßes nicht bloß unklug, sondern auch unsittlich ist, so fällt freilich das Urteil in allgemein sittlicher Beziehung anders aus. 222 Pfarrbericht Simmersfeld, 1913. 223 Karl Friedrich Wilhelm Demmler (5.11.1816 - .1.3.1869), Sigel Nr. 19,20. 52 Nirgends waren die Leidenschaften in der Diözese so aufgeregt und wild, als in Weikersheim, wobei nicht zu verkennen ist, daß Diaconus Demmler nach einer Seite hin, sie unter die Zucht seines Geistes zu bannen, bestrebt war, während die Religion im Argen liegt. Namentlich klagen solche, die nicht zum Volksverein gehören, über die Ausdehnung von dessen Sonntagszusammenkünften bis in die tiefe Nacht hinein. Das Religiöse insbesondere betreffend, so ist vielleicht keine Gemeinde seit vielen Jahren so trostlos versorgt gewesen, als diese. Kein Wunder, daß diejenigen, welche früher schon ein Verlangen nach kräftigerer Nahrung hatten, dieses entweder durch Laufen in auswärtige Kirchen oder durch conventiculo pietatis befriedigten. Diejenigen aber, denen eine Ahnung von eigentlich geistlicher Wirksamkeit erst durch Demmlers Tätigkeit aufging, nun auf ihn als Ideal ihrer Wünsche blicken, zumal er kirchliche und politische Tätigkeit, ich will nicht sagen, zu vereinigen weiß, ohne die Kirche bloßzustellen, aber jedenfalls beides nebeneinander gleich eifrig treibt. Es fehlt aber nicht an Leuten, die dieses in solcher Weise unerträglich miteinander zu betrachten, verständig und kirchlich genug sind“.224 Die Angaben über die Verhältnisse in der Gemeinde erlebten im Laufe des Jahrhunderts immer wieder Änderungen. Während Mischehen zu Anfang des Berichtzeitraumes überhaupt noch keine Rolle spielten oder sogar begrüßt wurden, waren sie später ein wichtiger Bestandteil der Berichte, besonders in der zweiten Jahrhunderthälfte, als die katholische Kirche oft sehr massiv auf katholische Heirat und Kindererziehung, häufig sogar unter Androhung der Exkommuni- kation, drängte. Die Zahl der Dissentierenden nahm im Laufe der Jahre zu, und im letzten Viertel des Jahrhunderts, nach Einführung der Standesämter, gab es sogar Paare, die sich nicht mehr kirchlich trauen oder beerdigen ließen, die ihre Kinder nicht mehr zur Taufe in die Kirche brachten, was natürlich in den Berichten ganz besonders erwähnt wurde. In einer Statistik der Landeskirche, die im Amtsblatt des württembergischen evangelischen Konsistoriums für das Jahr 1888 veröffentlicht wurde, heißt es hierzu: Bekanntmachung des Evangelischen Konsistoriums betreffend das Ergebnis der Sammlung statistischer Notizen aus der evangelischen Landeskirche Württem- bergs im Kalenderjahr 1887225: 1887 wurden getauft 46 924 Kinder, Ungetauft blieben in Stuttgart 253 Kinder, sonst 20 Kinder, 224 Pfarrbericht Weikersheim, 1849. 225 Amtsblatt des württembergischen evangelischen Konsistoriums, Nr. 432 vom 10.August 1888. 53 Von Sekten getauft 72 Kinder, Aus gemischten Ehen evangelisch 1 405 Kinder, katholisch 531 Kinder, Ungetaufte Kinder, von Sekten getaufte, Kinder aus Mischehen - alle diese Möglichkeiten waren am Anfang unseres Berichtszeitraumes, wohl wegen der geringen Zahl, noch völlig außerhalb der Betrachtung.226 226 Amtsblatt des württembergischen evangelischen Konsistoriums, Nr. 432, vom 10.August.1888. 54 3.5. Die Heiligen- und Stiftungspflege. Als nächster Punkt war der Jahresetat der Heiligen- und Stiftungspflege aufzuführen. Es war anzugeben, wie hoch die Einnahmen und Ausgaben waren, wie die Ausgaben auf die Filialen verteilt wurden, wie der Überschuß verwendet wurde und wer ein mögliches Defizit zu decken hatte. Im allgemeinen hatte die Kirchengemeinde ihre Ausgaben aus dem eigenen Vermögen zu bezahlen, wenn dies nicht ausreichte, kam die Gemeinde für den Fehlbetrag auf. In Böblingen wurde 1828 aufgeführt: Heiligeneinnahme 283 fl 22 ½ xr Heiligenausgaben 383 fl 33 xr Defezit von Stadtkasse übernommen 100 fl 10 ½ xr.227 In Geislingen wurden nur ganz kurz die Einnahmen und Ausgaben aufgeführt: Einnahmen 13 798 fl 16 xr Ausgaben 11 609 fl Überschuß 2 029 fl 16 xr. In Hall wurde vermerkt, daß bei der "Okkupation der Reichsstadt durch Württemberg" die Heiligenpflege inkameriert wurde, und daß deshalb die Staatskasse alle Kult- und Schulkosten zu bestreiten habe, mit Ausnahme des Aufwandes für die Hospitalkirche und die Armenschüler, welche die Hospital- und Armenpflegeverwaltung zu betreuen hatte.228 In Nagold war ebenfalls 1828 nur kurz zu lesen, daß die Rechnung über den Fonds zur Bestreitung der Ausgaben für kirchliche Zwecke, den Heiligen, alle Jahre gestellt, probiert und abgehört werde. 1828 betrugen die Einnahmen 620 fl, die Ausgaben 675 fl. Auch hier wurde das Defezit in Höhe von 55 fl von der Stadtkasse gedeckt. Die Pfarrbeschreibung Schorndorf von 1828 vermerkte: Die Ausgaben für kirchliche Zwecke hat die Armenkastenpflege zu bestreiten, für welche, abgesondert von der Verwaltung des weltlichen Hospitals, ein eigener Rechner bestellt ist. 227 Pfarrbeschreibung Böblingen, 1828. 228 Pfarrbericht Hall, 1846. 55 Nach dem Etat der Armenkastenpflege betrugen auf 1826/27 die Einnahmen 1 217 fl 17 xr 1 H, die Ausgaben 2 523 fl 28 xr 4 1/2H. also Defezit 1 306 fl 11 xr 31/2 H. Um das jährliche Defizit zu decken, gab bisher die Stadtpflege jährlich 400 fl, die Hospitalpflege jährlich 1 000 fl an die Kastenpflege ab. Seit 1827/28 aber ist der Beitrag der Hospitalpflege von 1 000 fl auf 600 fl herabgesetzt worden, wogegen mehrere bisherige Leistungen der Kastenpflege auf die Hospitalpflege über- nommen wurden. Der Fundus der Armenkastenpflege belief sich im Jahre 1827 auf 13 372 fl 8 xr. Hierunter aber betrugen die Stiftungen für besondere Zwecke 12 740 fl 54 xr, so daß nur 631 fl 14 xr als disponibler Kapitalfond anzusehen sind“.229 1841 hieß es in Tuttlingen hierzu: „In dem neuesten genehmigten Jahresetat der Heiligen- und Stiftungspflege für 1840/41 belaufen sich die Einnahmen auf 2 109 fl 41 xr die Ausgaben auf 1 504 fl 23 xr. Der Überschuß wird so lange zum Fonds, der gegenwärtig 9 400 fl beträgt, geschlagen, bis die Stiftungspflege sich wieder so weit erholt hat, um die auf ihr liegenden bedeutenden Baulasten tragen zu können. Ein nachhaltiges Defizit hat die Stadtkasse zu decken, wie denn dieselbe gegenwärtig die Hauptbaulast der Stiftungspflege auf unbestimmte Zeit übernommen hat“.230 Auch in Weikersheim war der Vermerk zu diesem Punkt äußerst kurz: „Einnahmen der Heiligen- und Stiftungspflege nach dem Etat von 1848/49 ca. 1 211 fl 43 xr Ausgaben ca. 1 224 fl 30 xr Das Defizit deckt die Stadtpflege.231 Dies änderte sich erst, als durch das Gesetz vom 14. Juni 1887 die bürgerliche von der kirchlichen Gemeinde getrennt wurde und die Kirche zur Deckung ihrer Ausgaben eine Kirchensteuer erheben konnte. 229 Pfarrbeschreibung Schorndorf, 1828. 230 Pfarrbericht Tuttlingen, 1841. 231 Pfarrbericht Weikersheim, 1849. 56 3.6. Die Lage des Pfarrortes. In den Pfarrbeschreibungen mußte auch angegeben werden, wo und wie weit entfernt die benachbarten evangelischen Pfarrgemeinden lagen, wie der eigene Ort selbst beschaffen war, ob eben oder „bergigt“, ob mit genügend Wasser versehen, oder nicht, ob gesund oder ungesund, welches die hervorragenden geistigen und sittlichen Eigenschaften der Ortsangehörigen waren, was die hauptsächliche Nahrungsgrundlage bildete, wie die wirtschaftlichen Verhältnisse waren, wie die Beschaffenheit der Wege war. In Freudenstadt wurde in der ersten Pfarrbeschreibung ausführlich berichtet, daß Herzog Friedrich nach einem Plan von Heinrich Schickhardt am 22 .März 1599 die Stadt auf der östlichen Seite des Bergwerks von Christophstal gegründet hat, und daß vor allem Glaubensflüchtlinge aus der Steiermark die ersten Siedler waren. Wir haben hier, was äußerst selten ist, ein genaues Gründungsdatum. Die Grundsteinlegung der Stadtkirche erfolgte am 2. Mai 1601232 durch Herzog Friedrich persönlich. Da das herzogliche Schloß auf dem Marktplatz errichtet werden sollte, entstand die Kirche in einer der vier Ecken des Platzes. Den ersten Gottesdienst hielt Pfarrer Andreas Veringer am 1. Mai 1608,233 am 9. Mai wurde das erste Kind, Jakob Wetzek, getauft.234 In der Pfarrbeschreibung von 1827 wurde angegeben, daß der Ort ursprünglich „Friedrichstadt“ benannt wurde, dann aber unter dem Sohn Herzog Friedrichs, Johann Friedrich, endgültig den Namen „Freudenstadt“ erhielt. „Freudenstadt ist eine Oberamtsstadt, Sitz eines Oberamts, eines Oberamts- gerichts, eines Forstamtes, gehört zum Kameralamt Dornstetten, und stand von ihrer Gründung an unter württembergischer Landeshoheit, der sie schöne Privilegien und Rechte zu verdanken hat. Die Stadt liegt auf einer Anhöhe, die eine gegen Osten und Westen geneigte Ebene bildet, und über die Meeresfläche nach Bohnenbergers Messungen 2466 "württembergische M". erhoben ist. Sie entbehrt eines fließenden Wassers, ist aber desto reichlicher mit einem frischen Trinkwasser versehen. Im Früh- und Spätjahr ist sie heftigen Stürmen ausgesetzt. Nebel und Regenschauer gehören zu den oft wiederkehrenden Erscheinungen hier und in ihrer nächsten Umgebung. Die Luft ist meist in strömender Bewegung, die Morgen und Abende sind kühl und veranlassen leicht Entzündungs- und andere Krankheiten, die eine Folge von Erkältungen sind. In den nahe gelegenen Waldungen und auf der Gebirgshöhe des Kniebis sammeln sich über den Winter bedeutende Schneemassen mit Eisrinden überzogen. Daher bleibt das Frühjahr meist kalt und feucht, so daß der ohnehin nicht ergiebige Sandboden nur spät angebaut werden kann“. 232 S. Quarthal: Geistliches und schulisches Leben in Freudenstadt, S. 100. 233 Hertel: Eine christliche Predigt, S. 5. 234 S. Quarthal: Geistliches und schulisches Leben in Freudenstadt, S. 100. 57 Der Ort zählte im Jahre 1826 3 401 Evangelische und 5 Katholiken, hatte also bereits zu diesem frühen Zeitpunkt 3 406 Einwohner.235 Der Pfarrer von Hall schrieb 1827, daß die Stadt "alle Gattungen von Professionen" habe: Bierbrauereien, einen großen Fruchtmarkt, Messen und die Poststraße nach fünf Richtungen, eine gute lateinische Lehranstalt und eine Fabrik in Westheim. Die Entfernungen nach den nächstgelegenen größeren Orten wurden wie folgt angegeben: nach Gaildorf 3 - 4 Stunden, nach Künzelsau auch 4 Stunden, nach Öhringen 5 Stunden, nach Kirchberg 5 Stunden. Die entferntesten Orte der Diözese waren Lorenzenzimmern und Orlach, beide 5 Stunden entfernt. "Der Weg dorthin ist beschwerlich".236 In Kuchen schrieb der Pfarrer in seinem Bericht von 1828: „Kuchen ist sehr nachbarlich gelegen. Seine nächsten Nachbarn sind die Gienger und die Altenstädter. Beide liegen nur eine halbe Stunde entfernt, und zu jeder führt die schöne Post- und Landstraße, vielleicht die schönste im Lande. Geislingen und Groß-Süßen liegen jedes eine Stunde entfernt.237 In Langenburg erwähnte der Pfarrer, daß der Ort früher nach Bächlingen eingepfarrt war, daß die Kirche in Bächlingen der Jungfrau Maria und den Heiligen Johannes Baptista und Johannes Evangelista geweiht war. Seit 1233 gehörte Langenburg zur Grafschaft Hohenlohe. Graf Kraft VI. hatte 1502 in Langenburg eine Kapelle zum Heiligen Blut erbauen und weihen lassen, aus der später die Kirche hervorgegangen war. 1518 erlaubte der Papst die Hostienverwahrung in dieser Kapelle. 1566 erfolgte die erste evangelische Kirchenvisitation und Langenburg wurde eine selbständige evangelische Pfarrei, nachdem Graf Wolfgang 1568 seine Hofhaltung hierher verlegt hatte. Seit 1578 waren Bächlingen und Langenburg getrennt und mit je einem eigenen Pfarrer versehen.238 Es wurde im Zusammenhang mit solchen Beschreibungen auch erwähnt: „Blödsinn oder förmlicher Kretinismus ist hier eine Seltenheit“, wie es 1828 in der Pfarrbeschreibung von Langenburg hieß239, oder in Simmersfeld: „Simpelhafte sind im ganzen Kirchspiel 2 Stumme, beide weiblichen Geschlechts, und 2 Blinde“.240 235 Pfarrbeschreibung Freudenstadt, 1827; M. Eimer: Freudenstadt, S. 19. 236 Pfarrbeschreibung Hall, 1827. 237 Pfarrbeschreibung Kuchen, 1828. 238 Pfarrbeschriebung Langenburg, 1828. 239 Pfarrbeschreibung Langenburg, 1828. 240 Pfarrbeschreibung Simmersfeld, 1821, S. 93. 58 3.7 Von den gottesdienstlichen Einrichtungen. Der nächste Abschnitt handelte von den „gottesdienstlichen Einrichtungen, kirchlichen Geschäftsverhältnissen und besonderen Obliegenheiten der Pfarrer“. Es war aufzulisten, welche Gottesdienste an welchen Tagen, ob nach der behördlichen Anordnung oder nach dem ortsüblichen Herkommen, gehalten wurden. Es war auch wichtig, zu erfahren, ob für die Gottesdienste in den Filialen dem Pfarrer ein Pferd zur Verfügung stand oder nicht, und, wenn dies nicht der Fall war, ob der Pfarrer hierfür eine Geldentschädigung erhielt. Der Pfarrer von Aldingen listete seine Tätigkeit detailliert auf. Er hielt Sonnen- und Feiertags vormittags eine Predigt, nachmittags wurde kathechisiert. Die Kathechisation wurde an den Feiertagen mit der Predigt verbunden. Am Sonntagnachmittag war auch noch eine Vesperlektion. Mittwochs war Betstunde, in der mit den Kindern die Apostelgeschichte und die vier Evangelien besprochen wurden. Freitags war Kinderlehre, außer vor den Buß- und Bettagen, wo gepredigt wurde. Freitags war gegebenenfalls auch die Vorbereitungspredigt auf den sonntäglichen Abendmahlsgottesdienst. Die Leidensgeschichte wurde in den ungeraden Jahren in der Fastenzeit besprochen, in den geraden Jahren in der Karwoche zwischen Palmsonntag und Karfreitag. Bei Todesfällen von konfirmierten Personen wurde im allgemeinen eine Leichenrede gehalten, bei Kindern nur eine kurze Rede, oder eine Betstunde. Die Kopulation erfolgte, erstaunlicherweise, häufig am Sonntag, in der Woche nur auf Verlangen, mit einer kurzen Rede oder Predigt. Die Taufe fand nach dem Gottesdienst statt. Eine Haustaufe im Winter war in Aldingen noch nicht verlangt worden. Die Konfirmation war nach vorausgegangenem zweimaligem Unterricht immer am Sonntag vor Georgii. An Kasual-Predigten hielt der Pfarrer: 1. Neujahrspredigt, 2. Schulpredigt, 3. Kathechismus-Predigt, 4. Reformations-Predigt, 5. Dankpredigt, alle nach beliebigen Texten, 6. am Geburtstag des Königs eine Predigt nach Vorschrift. 59 Als besondere Geschäfte wurden erwähnt: a. der Schulbesuch, dabei besonders die Übernahme des Religionsunterrichts, b. die Schulprüfungen an Georgi und Martini, c. die Privatseelsorge, Krankenbesuche, Nachtmahl bei Kranken, d. Stiftungsrat und Kirchenkonvent mit zum Teil aufwendigen Sitzungen. Daneben hatte der Pfarrer immer wieder auch noch Berichte zu verfassen: 1. An das Amtsgericht am Anfang des Jahres wegen Verheiratung exemter Personen im vergangenen Jahr. 2. Anfangs Juli eine Totenliste der vom Juli vergangenen Jahres an Gestorbenen, ihr Alter, Geschlecht, Krankheit. 3. Am nämlichen Termin eine Geburtsliste des oben genannten Zeitraums. 4. Auf den nämlichen Zeitpunkt die Fidenierung der Hebammenliste nach den Kirchenbüchern. 5. Anfangs April den Armenbericht wegen der Industrieanstalten. 6. Viermal im Jahr, daß nicht die gesetzliche Anzahl der Gevatterleute über- schritten sei. 7. Zweimal, am 1. Januar und 1. Juli, eine Konsignation der unehelichen Kinder. 8. Auf Michaeli (29. September) eine Provisoratstabelle. 9. Anfangs November Veränderungen der Seelenzahl. 10. Auf Georgi (23. April) in dem einen Jahr die Pfarrbeschreibung, in dem anderen den Bericht über die Pfarrei in Bezug auf die Seelenzahl, den Zustand der Schule und den Schulfond betreffend. Dazu kam die doppelte Führung der Kirchenbücher, Auszüge aus denselben und andere Berichte. Dafür bezog er ein Einkommen von 900 Gulden und 49 Kreuzer. Die Besoldungsteile wurden durch das Kameralamt Ludwigsburg gereicht, das Holz von dem Holzgarten in Rems, der Wein von der nächstgelegenen Kelter in Neckarweihingen, wobei das Kameralamt die Fuhrkosten bezahlte. Die Pfarrgüter, Zehenden und Gülten lagen auf der Ortsmarkung. "Der Jauchert Acker gibt seinen Zehenden der Herrschaft. Die paar Wiesenplätze gehören als sogenannte Auslöser zum Hause, ebenso die beiden am Hause gelegenen Gärten, also dem Kirchengut. Eigentumsrecht der Zehenden und Gülten gehören wohl größtenteils dem pio corpori nach den Heiligenrechnungen". Außerdem wurden noch die Stolgebühren aufgeführt, die "von Privatis" entrichtet wurden: Von einer Leiche, wenn gepredigt wurde, 1.30 bis 2.42. von einer ohne Predigt 30 xr Copulation 2.00 bis 2.42 Proclamation 30 xr Taufe 30 xr Tauf- und Totenschein 15 xr Confirmation je 30 xr."241 241 Pfarrbeschreibung Aldingen, 1828. 60 Aus der Pfarrbeschreibung von Biberach aus dem Jahre 1908 ist ersichtlich, wie die Filialorte auf die verschiedenen Pfarrer aufgeteilt wurden: 1. Stadtpfarrstelle mit Birkenhardt, Mittelbiberach, Oberdorf, Reute, Rindenmoos, Rissegg, Stafflangen. 2. Stadtpfarrstelle mit Ipfingen, Fischbach, Höfen, Lampertshausen, Mettenberg, Ummendorf. 3. Stadtpfarrstelle mit Alberweiler, Altheim, Aufhofen, Ingerkingen, Langen- schemmern, Warthausen. Nach der Pfarrbeschreibung von Blaubeuren von 1827 war der Stadtpfarrer zugleich Dekan, und der Diakon auch Pfarrer in der Nachbargemeinde Weiler. In Böblingen wurde 1828 erwähnt, man feiere den Gottesdienst „zuweilen noch nach dem herzlichen und ergreifenden Formular der alten Liturgie".242 Es war zu berichten, ob ein besonderes Gesangbuch benützt wurde, ob das 1842 neu herausgegebene schon Verwendung fand, und wie, wenn mehrere Pfarrer in einer Gemeinde tätig waren, die Geschäfte zwischen diesen aufgeteilt wurden. Ferner war anzugeben, ob mit einem Amt ein weiteres verbunden war, wie etwa das Dekanat mit dem 1. Pfarramt. Hierzu schrieb der Stadtpfarrer von Heidenheim 1827: „Mit dem Stadtpfarramt ist ein geschäftsvolles Dekanatamt über einen Amtsbezirk in seiner längsten Ausdehnung von Gussenstadt nach Sontheim an der Brenz von 9 Stunden, enthaltend über 23 000 Evangelische, verbunden.243 Der Pfarrbericht von Langenburg aus dem Jahre 1828 gab Aufschluß über die Vorkommnisse in der Gemeinde: „Von Gottesdiensten sind in den eingepfarrten Orten nur die gewöhnlichen Haustaufen zu halten, hierzu wird dem Geistlichen weder ein Pferd noch sonstige Entschädigung gewährt“. Mit dem Diakonat war regelmäßig das Präzeptorat an der Lateinischen Schule verbunden.244 Es sollte in diesem Zusammenhang auch angegeben werden, ob bei gewissen Anlässen besondere Formen des Gottesdienstes gebraucht wurden, wenn man etwa das Abendmahl nach dem Ritus der Reformierten reichte. Im Pfarrbericht von Ludwisburg aus dem Jahre 1846 finden wir hierzu den Vermerk: „Vier reformierten Männern wird das Abendmahl nach ihrem Ritus vor den anderen gereicht.“245 242 Pfarrbeschreibung Böblingen, 1828. 243 Pfarrbeschreibung Heidenheim, 1827. 244 Pfarrbeschreibung Langenburg, 1828, § 19. 245 Pfarrbericht Ludwigsburg, 1846. 61 Im Pfarrbericht von Ravensburg wurde festgehalten, daß der Diakon zugleich das Amt des Rektors am paritätischen Lyzeum innehatte und der Vikar zugleich Präzeptor an dieser Anstalt war, der Organist zugleich Lehrer an der Mädchenschule und der Kantor zugleich Lehrer an der Knabenschule, daß das Dekanat 1843 zunächst provisorisch von Biberach gelöst wurde, daß seit 1649 im Schiff der Karmeliterkirche evangelischer, im Chor aber, durch eine Holzwand getrennt, katholischer Gottesdienst gehalten wurde.246 An den Buß- und Kommunionsonntagen, sowie an den gewöhnlichen Sonn- und Feiertagen wurden alle 14 Tage zwei Predigten gehalten, sonst war an allen Sonn- und Festtagen, wie auch an den Feiertagen, mittags nur eine Kathechisation. Am Montag und am Mittwoch war eine Betstunde. Der Pfarrer vermerkte noch, daß bei Hochzeiten und Beerdigungen eine Predigt nicht mehr üblich war, daß aber eine Grabrede gehalten wurde. "Beide Religionsteile haben die Feiertage gemeinsam. Aposteltage werden auf Sonntage oder mit den Marientagen zusammengelegt, Josephi auf Allerheiligen".247 246 Pfarrbeschreibung Ravensburg, 1827. 247 Pfarrbeschreibung Ravensburg, 1827. 62 3.8. Von den Kirchen, Gottesäckern und dem Kirchenvermögen. Der 5. Abschnitt handelte „von den Kirchen, den Gottesäckern und dem Kirchenvermögen“.248 Es interessierte, wo die Kirche im Dorf lag, wie weit sie vom Pfarrhaus entfernt, wie alt und wie sie gebaut war, ob sie für die Gemeinde genug Raum bot, ob sie zum Predigen gut geeignet, ob sie hell und hörsam sei. Immer war anzugeben, wem das Eigentum an der Kirche zustand, und wer für die Instandhaltung von Kirche und Turm aufzukommen hatte. Es sollte auch darüber informiert werden, wie viele Glocken im Turm hingen, ob eine Uhr vorhanden und ob die Sakristei heizbar war. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts konnte, wenn überhaupt, immer nur die Sakristei beheizt werden. Eine Heizung und später auch die elektrische Beleuchtung der Kirche wurde erst zum Jahrhundertende möglich, und deshalb wurde in den Pfarrberichten auch immer wieder, wie beispielsweise in Altensteig, erwähnt, der Kirchenbesuch im Winter sei wegen der schlechten Wegverhältnisse zur Kirche und wegen der Kälte in der Kirche so mangelhaft. Es mußte in diesem Abschnitt weiter über die vasa sacra Auskunft gegeben werden, und wichtig war auch hier wieder, wer für die Kosten des Abend- mahlweines, der Kirchenbücher und der Heizung der Sakristei aufzukommen hatte. Sodann waren Angaben über das Pfarrhaus zu machen, wer für den Bau und Unterhalt zuständig war, ob es zum württembergischen Kirchengut gehörte, wie die Lage im Ort, wie weit es von der Kirche und Schule entfernt war, auch der bauliche Zustand und die Einteilung des Gebäudes. Man wollte wissen, ob es angenehm gelegen, ob es gut erhalten war, wie viele Zimmer geheizt werden konnten, und wie die Beschaffenheit des Kellers sei. Hier wurde auch aufgeführt, wenn Stallungen oder Schuppen zum Pfarrhaus gehörten, und ob eventuell ein Waschhaus oder ein Brunnen in der Nähe war. Ein weiterer Punkt war der Begräbnisplatz. Anzugeben war seine Lage und seine Größe, seine Beschaffenheit, und auch hier wieder, wer für den Unterhalt aufkommen mußte. Theo Sorg hat in seinem Aufsatz „Leben im evangelischen Pfarrhaus“ nachdrücklich darauf hingewiesen, daß der Standort des Pfarrhauses, seine Umgebung und seine Atmosphäre, sehr wichtig für das Gedeihen der Arbeit des Pfarrers war. Es war ja nicht nur Wohnung und Heim, es war, im Gegensatz zu anderen Häusern, „ein offenes Haus“, in dem unzählige Menschen im Laufe der Jahre aus- und eingingen, ein Haus, in dem Wohnung und Arbeit aufs engste miteinander verbunden waren.249 248 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX, S. 754. 249 Sorg: Leben im evangelischen Pfarrhaus, S. 118. 63 Schon Baur hat bedauert, daß bereits um die Jahrhundertwende besonders in den Städten, und dort wieder vor allem in den Industriegebieten, der Pfarrer oft mit einer einfachen Wohnung vorlieb nehmen mußte, und daß das Zusammenwohnen mit anderen Menschen der Arbeit des Pfarrers nicht zuträglich sei.250 Es wurde in diesem Zusammenhang immer auch darauf hingewiesen, daß nur genügende, ausreichende äußere Lebensbedingungen eine gesunde und segensreiche Tätigkeit im kirchlichen und kulturellen Leben garantierten. Einzelfälle belegen, daß die Realität oft anders aussah. Ein Pfarrer beanstandete, daß der Verwesungsgeruch der auf dem nebenan liegenden Friedhof nicht tief genug vergrabenen Leichen den Aufenthalt im Pfarrhaus fast unmöglich gemacht habe.251 In Affalterbach durfte der Pfarrer mit seinen 10 Kindern das Pfarrhaus verlassen, weil das Haus am Einfallen und ein Wohnen dort unzumutbar geworden war. Es wurde aber dann doch noch dem Lehrer überlassen. Aber auch das der Familie neu zugewiesene Haus war baufällig, und erst nach 21 Amtsjahren konnte der Pfarrer durchsetzen, daß ein Neubau der Wohnungsnot ein Ende machte. Dieser übertraf schließlich aber auch alle Erwartungen.252 Zwanzig Jahre lang hat der Pfarrer Hasenauer in einer Schurwaldgemeinde reklamiert, daß sein Brunnen verschüttet und er gezwungen sei, sein Wasser eine Viertelstunde außerhalb des Dorfes zu holen, bis er erreichte, daß sich ein Brunnenmacher den Schaden besah. Es dauerte dann noch weitere drei Jahren, bis der Brunnen endlich gerichtet wurde.253 Einige Beispiele sollen die Darstellung der Kirchengbäude erläutern: In Altensteig erwähnte der Stadtpfarrer Matthias Küchel254 im Jahre 1828, daß die Kirche 1775 neu erbaut wurde, daß sie eine heizbare Sakristei, einen Turm, eine Uhr und drei Glocken. hatte, seit diesem Jahr auch eine neue Orgel. Es gab ein Kirchenstuhlrecht, das, wie in Württemberg seit der Bestuhlung der Kirchen üblich, für die Pfarrfamilie, Staatsbeamte und bürgerliche Kollegien reserviert war. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde es meistenteils aufgelöst, doch berichtete der Pfarrer von Isny noch 1903, daß im Kirchengemeinderat über dieses Recht debattiert worden war.255 Bis 1715 wurde in Altensteigdorf, der Urpfarrei, getauft, geheiratet und beerdigt. Für die Vasa sacra war das Kameralamt zuständig. Es hatte dementsprechend auch den Nachtmahlwein, die Hostien, das Chorhemd, die Altartücher und die Kirchen- reinigung zu besorgen, ebenfalls die Kosten für ein armes Weib, das die Sakristei heizte, wofür die Stadt ein halbes Klafter Tannenholz zu liefern hatte. 250 Baur: Das deutsche evangelische Pfarrhaus, S. 360. 251 Moser: Auch ein schwäbisches Pfarrerleben, S. 57. 252 Köhle-Hezinger: Pfarrersvolk und Pfarrersleut. In: Greiffenhagen: Das evangelische Pfarrhaus, S. 251. 253 Grünenklee: Ein Pfarrhaus auf dem Schurwald, S. 25. 254 Matthias Küchel (17.7.1793 - 31.5.1851), in Altensteig 1824 - 1851, Sigel Nr. 34,30. 255 Ulrich Bock: Das Kirchenstuhlrecht. RGG 4, Sp. 1196; Calwer Kirchenlexikon: Kirchenstühle, S. 1109. Kirchengemeinderatssitzung Isny, 1902. 64 Die Kirche selbst, mit 900 Sitzplätzen, war seit 1886 heizbar, hatte 1905 neue Windfangtüren bekommen, aber noch keine elektrische Beleuchtung, und die Orgel von der Firma Goll, Kirchheim, war auf 16 Register erweitert worden.256 Das Pfarrhaus war ursprünglich als Stadtschreiberei erbaut und bereits 1664, kurz nach der Fertigstellung, vom Staat für kirchliche Zwecke erworben worden.257 Es hatte aber für diesen Zweck, wie zu lesen war, sehr ungünstige Räume. Der Pfarrer von Böblingen berichtete in seiner Pfarrbeschreibung von 1828, sein Pfarrhaus sei im ehemaligen Oberforstamt in einer engen, dunklen Gasse untergebracht. Die drei mittleren Zimmer gingen auf eine "dreifache Dungstätte, deren Ausdünstungen ebenso ungesund, als ihr Anblick für das Auge beleidigend ist", ein anderes zum Waschhaus. Die Aussicht war durch die Friedhofmauer auf der einen und den Seitenflügel des Schlosses auf der anderen Seite eng begrenzt. „Auf der Morgenseite stößt das Pfarrhaus Mauer an Mauer mit einem Gassen-Wirtshaus zusammen, dessen Tanzsaal nur durch eine Riegelwand von dem gewöhnlichen Studierzimmer getrennt ist. Gegen Abend grenzt es, nur durch ein Feuergäßchen getrennt, das in diejenige bevölkerte Straße führt, gegen welche die Mittagseite des Hauses gerichtet ist, an die zu demselben gehörige große und geräumige Scheuer, eine Remise, und einen Hof mit den erforderlichen Stallungen. Auch hat das Pfarrhaus im 1. Stock nur zwei heizbare Zimmer, von denen das eine zudem dunkel ist. Ein Brunnen ist nicht beim Hause.“ "Das ganze, sehr hohe und geräumige, aber durchaus nicht baufällige sondern mit allen seinen Zugehörigkeiten gut erhaltene Gebäude ist, wie schon aus bisherigem erhellet, dreistockigt. Es enthält im ersten steinernen Stock 2 durch einen Ofen heizbare Zimmer, wovon das eine finster, das andere etwas heller ist“.258 Im Pfarrbericht von Freudenstadt von 1905 wurde ausdrücklich erwähnt, daß der Kirchenbesuch besser geworden sei, „seit die Kirche im Winter heizbar gemacht wurde“. An den Fest- und Kommunionssonntagen wurden zwei Gottesdienste gehalten, an den gewöhnlichen Sonntagen ein Gottesdienst, mittags eine Kathechisation oder eine Vesperlektion. In der Pfarrbeschreibung von Geislingen aus dem Jahre 1828 zeigt sich, daß die Ansichten über den Zustand eines Gebäudes durchaus verschieden sein konnten. Der Pfarrer schrieb: „Die Hauptkirche „Unsere liebe Frau“ wurde 1424 erbaut, die Spitalkirche „St.Leonhard“ 1615. Das Pfarrhaus ist angenehm gelegen und gut erhalten, nach dem Urteil des Kameralamtes in der neuesten Pfarrkompetenz aber uralt, in schlechtem Zustand und von einer abgesonderten und melancholischer Lage. 256 Pfarrbeschreibung Altensteig, 1828. 257 Kühbauch: Aus der Geschichte Altensteigs, S. 142. Zustimmung Graf Eberhards zum Kauf am 8.11.1664. 258 Pfarrbeschreibung Böblingen, 1828. 65 Es hat 3 heizbare Zimmer, einen guten Keller, der zugleich geräumig ist, keinen Hofplatz, aber eine Remise zur Aufbewahrung des Holzes, eine Waschküche und ein kleines Stück Gärtchen, keine Scheuer, keine Stallungen und keinen Brunnen. Die Rohrach aber fließt hart vorbei“.259 Isny, die ehemalige Freie Reichsstadt, 1803 an den Grafen von Quadt, 1806 an Württemberg gekommen, hatte für die Stadtkirche und die Hospitalkirche jeweils einen Geistlichen. Über das Pfarrhaus des Diakons heißt es in der Pfarrbe- schreibung von 1827: „Das Haus ist alt und baufällig. Zwar ist es seit der Anstellung des gegenwärtigen Geistlichen außen und im Innern verschönt worden, allein das ganze Gebäude würde wohl bei einer vorzunehmenden Hauptreparatur zusammenfallen, so schlecht ist das Brustwerk und der Dachstuhl. Das Haus hat drei heizbare Zimmer, einen mittelmäßigen, aber ungewölbten Keller, eine Waschküche mit Kessel und Brunnen, wie im anderen Pfarrhause auch einen Holzschopf. Ein guter Gemüsegarten ist am Hause. Die Entfernung von der Kirche ist wohl etwas weiter, als die des anderen. Die Zimmer des Hauses sind übrigens trocken und gesund“.260 In Leonberg war das Pfarrhaus Eigentum der Universität Tübingen. Es hatte fünf heizbare Zimmer, zwei weitere Zimmer, eine Stubenkammer, eine Küche samt Speisekammer, vier andere Kammern, zwei geräumige Böden, einen Holzstall, eine Waschküche, einen mäßig großen, aber nicht tief genugen Keller, eine Scheuer, einen Pferdestall, sowie einen Stall für Schweine und Geflügel. Sehr zufrieden zeigte sich der Pfarrer von Ravensburg 1827 mit seiner neuen Dienstwohnung: „Das Haus ist 3-stockig, mit Aussicht auf eine ziemlich heitere Straße, hinten auf mehrere Gärten. Die Lage ist angenehm und gesund zu nennen. Die Herstellung ist noch nicht ganz vollendet. Die Bel Etage ist fast ganz neu und hat gegen die Straße zu 7 Kreuzstöcke, welchen 4 Zimmer zugeteilt sind, die durch 2 Öfen geheizt werden können. Für den Winter sind 7 Vorfenster vorhanden. Im mittleren Stock ist dem Hofe zu noch ein 5. tapeziertes Zimmer ohne Heizung. Auch befindet sich in diesem Stock die Küche, die Speisekammer und ein Abtritt. In dem oberen Stock sind 2 große, aber heizbare und gegipste Zimmer mit einer nicht sehr günstigen Fenster-Einrichtung, außerdem eine sehr brave Magdkammer und ein Hausflur zum Wäschetrocknen, auch Abtritt. Unter dem Dach sind eine Fensterkammer und eine andere zu schwarzer Wäsche und ein Taubenschlag. Der untere Stock ist alt, aber geräumig, hat hinlänglichen Holzplatz, zwei Eingänge und feuerfestes Gewölbe, mit einer eisernen Türe über dem Keller, einem Stall zu 2 Pferden, Gemüsekeller und 2 ganz gute Hühnerställe. 259 Pfarrbeschreibung Geislingen, 1828. 260 Pfarrbeschreibung Isny, 1827. 66 Der Keller unter dem Gewölbe ist ziemlich gut, nur etwas feucht. Hinter dem Haus ist ein ziemlich geräumiger Hof mit eigenem Brunnen, sowie einer Waschküche, in welcher ein Rohr des Brunnens gerade über den Waschkessel läuft. Zum Hausgerät des Diakons gehört eine Liturgie, ein Gesangbuch, ein klein gedrucktes Evangelienbüchlein, ein Kelch mit Patene zur Kranken- kommunion“.261 Sehr umfangreich waren die verlangten Angaben über das Einkommen der Kirchendiener, voran des Pfarrers. Es handelte sich immer um feste und variable Einkommensteile, weshalb bei den letzteren der Durchschnitt von zwei oder drei Jahren angesetzt werden mußte. Es waren die Besoldungsbestandteile anzugeben, aus welchen Kassen sie zu reichen waren, auch auf welchen Ortsmarkungen die Pfarrgüter eventuell verteilt lagen.262 In Altensteig listete der Pfarrer 1828 als Teile seines veränderlichen Einkommens neben der Gartennutzung das Neujahrsgeld, die Ämterersetzung, die Visitationen, das Ausschreiben von Bevölkerungslisten, sowie Gebühren für Taufen, Hochzei- ten, Beerdigungen und die Konfirmation auf.263 Oder der Pfarrer von Böblingen 264 erhielt 1828: Geld 83 fl. Kleiner Zehnt 200 fl. Heuzehnt 16 fl 27 xr dazu Papiergeld 1 fl 20 xr Außerdem kamen dazu an Naturalien: 6 Scheffel Roggen, 34 Scheffel Dinkel, 20 Scheffel Haber, außerdem 4 Fuder halb Dinkel-, halb Haberstroh; 8 Säcke Brühts, 8 Eimer, 6 Imi Wein; wobei diese 6 Imi als Altarwein gedacht waren, außerdem 16 Klafter Holz und 600 Büschel Reisig. Weiter wurden hier die veränderlichen Einkommensteile und die Emolumente aufgeführt. Zu diesen veränderlichen Bezügen gehörte der Küchengarten, der Krautgarten, die Wiesennutzung, der Heu- und Öhmdzehnt, sowie als Emolumente die Stolgebühren, das Neujahrsgeld, Geld für die Schulvisitation, Geld für die Visitationen an den Diözesanorten.265 261 Pfarrbeschreibung Ravensburg, 1827. 262 Vgl. Kapitel 9.=.Die persönlichen Verhältnisse des Pfarrers. 263 Pfarrbeschreibung Altensteig, 1828. 264 M. Jakob Immanuel Kies (25.2.1765 - 17.1.1837), Dekan in Böblingen 1821, Sigel Nr. 80,23. 265 Pfarrbeschreibung Böblingen, 1828. 67 Der Pfarrer von Langenburg erhielt von der Fürstlichen Standesherrschaft 200 fl., weitere 9 fl 30 kr aus der Almosenkasse für „die Inspektion, den Kinderunterricht und das Schulexamen“. Dazu kamen die vom Oberamt zu liefernden Naturalien: der Roggen, der Dinkel, der Hafer, sowie der Wein und das Holz, getrennt nach Scheiterholz und Reisig. Zu den veränderlichen Einkommensteilen in Langenburg zählten der Gartenertrag, die Wiesennutzung, der kleine Zehnt an Flachs, der sogenannte „lebende Zehnt“ an Schweinen, Gänsen und Hühnern, das Weiderecht für 12 Schafe, die Stolgebühren für kirchliche Handlungen wie Taufen, Hochzeiten, Konfirmationen und Begräbnisse. Außerdem zählten hierzu auch noch die erhaltenen Geschenke. Sie waren im Pfarrbericht deshalb ebenfalls aufzulisten.266 Bereits aus diesen wenigen Beispielen zeigt sich, wie umfangreich und differenziert das Einkommen in dieser Zeit zusammengesetzt war, und es ist deshalb verständlich, daß die Aufstellungen immer seitenlang waren. In diesem Abschnitt über das Einkommen waren auch die persönlichen Daten des Pfarrers anzuführen. Es war anzugeben, wann er geboren und wie alt er war, ob, seit wann und mit wem er verheiratet war und wie viele Kinder, versorgt oder unversorgt, er hatte, wann er sein Examen gemacht hatte und seit wann er an diesem Ort im Amt war. Er mußte Auskunft geben über die Studien, die er betrieb, also über seine Weiterbildung, und er mußte außerdem seine Vermögensverhältnisse offenlegen. Entsprechend war das Einkommen des Mesners, des Organisten oder des Kantors aufzulisten. Meist war dieses Amt ja mit dem des Schullehrers verbunden: „Mesner und Organist ist der Schullehrer, auch Orgeltreter und Kirchenaufseher in einer Person“ heißt es im Pfarrbericht von Simmersfeld 1828. 266 Pfarrbeschreibung der Parochie Langenburg, 1828. 68 3.9 Vom Schulwesen. Der sechste umfangreiche Abschnitt der Pfarrbeschreibungen schließlich handelte vom Schulwesen.267 Die Schulen waren ursprünglich aus der Kirche hervor- gegangen, waren praecipua pars et seminaria ecclesiae, die Schulaufsicht war ein Akzidens der Kirche, was immer wieder betont wurde. Bis 1909 hatten die Pfarrer und die Mitglieder des Kirchenkonvents die Aufsicht über die Schule und die Lehrer, waren für sie zuständig und verantwortlich. So war in allen Pfarrberichten hierüber ausführlich Rechenschaft abzulegen.268 Nach dem Volksschulgesetz vom 29. September 1836,269 das bis zum Jahre 1909 Gültigkeit hatte, war an allen Orten mit mehr als 30 Einwohnern eine eigene Schule vorgeschrieben. Ihre Aufgabe war zumindest in der Anfangszeit vor allem die Vermittlung kirchlicher Inhalte, die Erziehung zu Religiosität und Sittlichkeit. Im Mittelpunkt stand somit der Religionsunterricht, die Lektüre der Bibel, des Kathechismus und des Gesangbuches.270 Im Artikel 1 des Gesetzes war vermerkt: „Zweck der Volksschulen ist die religiös- sittliche Bildung und Unterweisung der Jugend in den für das bürgerliche Leben nötigen allgemeinen Kenntnissen und Fertigkeiten“.271 Als wesentliche Gegen- stände des Unterrichts waren in erster Linie Religion und Sittenlehre, dann erst Lesen, Schreiben, deutsche Sprache, Rechnen und Singen angeführt. Nachdem all die Jahre die Bibel, das Spruchbuch und Gesangbuch einzige Unterrichtsbücher gewesen waren, gelang es 1854, nachdem 1848 der Versuch einer Trennung von Kirche und Schule gescheitert war, ein Lesebuch einzuführen, in dem auch die Realien berücksichtigt wurden.272 Dies stieß teilweise auf erbitterten Widerstand. Die Gegner wiesen darauf hin, daß es genüge, wenn den Schülern außer dem biblischen Wissensstoff die mechanischen Fertigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens beigebracht würden. Die Bibel enthalte alles, was dem Christen zu wissen not tue, und darum brauche außer ihr und den abgeleiteten religiösen Büchern, dem Kathechismus, dem Spruch- und Gesangbuch, kein Buch in der Schule zu sein. Schließlich waren im 1833 neugegründeten Calwer Verlagsverein, aus dem 1836 die Calwer Verlagsbuchhandlung hervorgegangen war, wohlfeile christliche Schulbücher, unter anderem von Christian Gottlob Barth, herausgegeben worden, die für manche Kreise ein neues Lesebuch eigentlich überflüssig erscheinen ließen. 267 Baur: Die württembergische Schulpolitik im 19. Jahrhundert; Denzel: Über den Zustand des Volksschul- wesens im protestantischen Württemberg; Eisenlohr: Die Volksschule; G. Friedrich: Die Volksschule in Württemberg im 19. Jahrhundert; Ders.: Das niedere Schulwesen. Hermelink: Kirche und Schule unter der Regierung König Wilhelms; Müller: Sozialstruktur und Schul- system. 268 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 278; E. Schmid: Geschichte des württembergischen Volksschul- wesens., S.320; Bruns: Württemberg unter der Regierung König Wilhelms II., S. 361. 269 Krafft: Das Volksschulgesetz vom 29.September 1836. 270 Gottschick/Schäfer: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 214. 271 Königliches Gesetz betreffend die Volksschulen vom 29.September 1836, Artikel 12. 272 Gottschick/Schäfer: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 226. 69 1834 erschien dort eine „Christliche Kirchengeschichte“, ein "Christlicher Kinderfreund", ein "Schulgebetbuch", ein "Schulliederbuch", 1836 eine "Biblische Geographie für Schulen und Familien“, 1837 die „Weltgeschichte nach biblischen Grundsätzen“, 1838 das „Calwer ABC-Buch“, 1840 das „Calwer Rechenbuch“, 1843 die „Geschichte von Württemberg“ und 1847 auch noch eine „Biblische Naturgeschichte“.273 Die weiteste Verbreitung fanden „Die zweymal zwey und fünfzig biblischen Geschichten für Schulen und Familien“ von 1832, die mit Holzschnitten verziert waren und sich eng an den Bibeltext anlehnten. 1854 erschien die hundertste Auflage, 1902 schon die vierhundertste. Das Buch wurde in 87 Sprachen übersetzt, fand weltweite Verbreitung und wurde vom Konsistorium für den Schulunterricht wärmstens empfohlen.274 Eine andere Richtung wollte zwar den weltlichen Wissensstoff den Schülern nicht ganz vorenthalten, aber der gesamte Stoff, das Sprachliche, Geschichtliche, Naturkundliche, sollte aus der Bibel genommen und so den Schülern beigebracht werden, „damit die Bibel das Zentrum sei und bleibe“.275 Diesen Standpunkt vertrat beispielsweise der „Süddeutsche Schulbote“ und sein Herausgeber, der Pfarrer Ludwig Völter von Zuffenhausen. Auch Sixt Carl Kapff verlangte in einer Ansprache im März 1849, daß die Bibel das Hauptbuch der Schule bleiben solle und müsse.276 Dem wurde nun entgegengehalten, daß bei der alten Geschichte vielleicht ein Anknüpfen an die Bibel möglich sei, nicht jedoch bei der mittleren und neuen Geschichte, auch nicht bei der Geographie, „bei der die Anknüpfung an die Bibel die Wirkung hätte, daß die Schüler mit Palästina viel besser vertraut wären als mit Deutschland". Dasselbe gelte für die Natur, da die Bibel bei Naturschilderungen religiöse Gefühle wecken, aber nicht ein Lehrbuch der Naturkunde sein wolle.277 1861 wurde auf Grund einer Umfrage festgestellt, daß das Lesebuch in 20 Schulbezirken in den Händen der Schüler war. In 11 weiteren Bezirken war das Buch mit Ausnahme jeweils einer Gemeinde. vorhanden. Diese wurden aufgelistet: 1. Böblingen/Maichingen: der Schultheiß ist dagegen, dem Pfarrer ist es egal. 2. Brackenheim/Weiler: aus finanziellen Gründen. 3. Cannstatt/Zazenhausen: die Gemeinde erschwert die Anschaffung. 4. Gaildorf/Obersontheim: Unfähigkeit des Schulmeisters. 5. Geislingen/Amstetten: weil eine Beeinträchtigung der übrigen Lehrfächer befürchtet wird. 6. Heilbronn/Happenbach: wegen Armut der Gemeinde. 7. Herrenberg/Mötzingen: die Anschaffung ist im nächsten Jahr vorgesehen. 8. Nürtingen/Balzhof: wegen geringer Begabung des Lehrers. 9. Tübingen/Oferdingen: wegen religiösem Vorurteil. 273 Ehmer: Pietismus und Neuzeit, S. 274; Lehmann: Es gibt zwei gelobte Länder, S. 274; Lehmann: Pietismus und weltliche Ordnung, S. 190. 274 Brecht: Christian Gottlob Barths "Zweimal zweiundfünfzig biblische Geschichten, S. 130. 275 Gottschick/Schäfer: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 227; E. Schmid: Geschichte des württembergischen evangelischen Volksschulwesens, S. 325. 276 Christenbote (1849), S. 121 ff. 277 E. Schmid: Geschichte des württembergischen evangelischen Volksschulwesens, S. 326. 70 10. Weikersheim/Neubronn: wegen Untauglichkeit des Lehrers. 11. Welzheim/Pfahlbronn: wegen Sparsamkeit der Bauern. Am zähesten war der Widerstand gegen die Einführung in der Gemeinde Großheppach. Die Behörde stellte fest, daß wegen dem pietistischen Teil der Gemeinde „dieses gottlose Buch dort nicht eingeführt werden dürfe", und die andern hatten nicht die Energie, zu opponieren. Auch die Gemeinde Schopfloch bei Freudenstadt war entschieden dagegen. Am 13. Januar 1864, also 10 Jahre nach der ersten Vorstellung, wurde das Lesebuch schließlich mit einem Ministerialerlaß obligatorisch eingeführt. Die Realien wurden in den regulären Unterricht einbezogen. Dazu gehörten Geschichte, Naturgeschichte und Naturlehre, die in besonderen Stunden unterrichtet wurden.278 Aber der Widerstand war weiterhin vorhanden. In Undingen schlossen sich 50 Männer zusammen, die beschlossen, eine Schule ohne dieses Lesebuch zu errichten. Sie wollten „das Buch mit seinem verborgenen Gifte“ nicht akzeptieren. Die Gemeindeglieder von Dettingen bei Urach machten auch jetzt noch eine Eingabe direkt an das Ministerium, um die Einführung zu verhindern. Auch der Gemeinderat von Affalterbach bat in einer Eingabe um Befreiung von der Einführung.279 Es gab eine heiße Diskussion darüber, wie die neuen Fächer gegenüber den alten berücksichtigt werden sollten. „Die Bibel ist in der Volksschule weiterhin der Mittelpunkt und Grundlage der religiösen Bildung, so, wie das Lesebuch Mittelpunkt des Unterrichts in den sprachlichen und realistischen Fächern ist“. Man einigte sich bei einer üblichen wöchentlichen Stundenzahl von 26 Stunden auf 8 Stunden Rechnen, Schönschreiben und Singen, 2 Stunden Religionsunter- richt durch den Geistlichen, 2 Stunden Memorierübung, 5 bis 6 Stunden Bibellesen und Biblische Geschichte. Dazu kam noch eine Stunde Lesen im Gesangbuch als Leseübung, außerdem sieben bis acht Stunden Beschäftigung mit dem neuen Lesebuch, Rechtschreiben, Aufsatz, Lesen, deutsche Sprache und Realien.280 Der Religionsunterricht sollte aber auch weiterhin wichtigstes Unterrichtsfach bleiben und war auch künftig „unter der angemessenen Teilnahme der Schullehrer von dem Ortsgeistlichen zu erteilen“.281 Die Weiterbildung der konfirmierten Jugend erfolgte in den Sonntagsschulen, in denen besonders die Unterrichtsgegenstände geübt werden sollten, „die für das bürgerliche Leben vorzugsweise von Nutzen sind“.282 Erst 1874 wurde an den Schulen auch der Turnunterricht obligatorisch, der aber beispielsweise in Hall an der Höheren Töchterschule schon 1846 üblich war. Bis zur Jahrhundertmitte gab es erst drei Seminare für die Lehrerausbildung. Das erste evangelische Lehrerseminar bestand seit 1811 in Eßlingen, 1825 folgte ein katholisches in Gmünd und 1843 ein zweites evangelisches in Nürtingen. 278 Schütz: Die württembergische Volksschule, S. 33. 279 E. Schmid: Geschichte des württembergischen evangelischen Volksschulwesens, S. 332. 280 Amtsblatt des württembergischen evangelischen Konsistoriums, 1855, S. 187; E. Schmid: Geschichte des württembergischen evangelischen Volksschulwesens, S. 327. 281 Volksschulgesetz vom 29.September 1836, Artikel 2. 282 Volksschulgesetz vom 29.September 1836, Artikel 3. 71 Ansonsten erfolgte die Ausbildung der Lehrer nach wie vor durch die Pfarrer.283 Die Aufsicht über die Schulen oblag dem Schulinspektor. Nach dem Eßlinger Pfarrbericht von 1845 war der Rektor am Seminar zugleich Schulinspektor. Für die Eßlinger Schulkinder bestand Schulpflicht ab dem 6., für die Kinder aus den Filialorten wegen des weiteren Schulweges erst ab dem 7. Lebensjahr. Die Lehrfächer waren - in dieser Reihenfolge: - Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen, deutsche Sprache und Singen.284 Im Pfarrbericht war zunächst anzugeben, welche Schulen am Ort bestanden. Hier wurde unterschieden zwischen deutschen und lateinischen Schulen. Es mußte aufgeführt werden, für welche auswärtigen Orte die Schule auch noch zuständig war, außerdem, wie weit und wie gut der Weg für die Kinder zur Schule war. Es waren die Lehrer aufzulisten, unterteilt in Knaben- und Mädchen-Schulmeister, ihre Personalien und ihr Einkommen, wobei wieder zwischen Schulmeistern und Provisoren unterschieden wurde. Es war anzugeben, wie lange der Lehrer auf dieser, seiner jetzigen Stelle, und wie lange er überhaupt im Amte war, ob er ledig, verheiratet oder Witwer war, wie viele Kinder er hatte, wie seine Vermögensverhältnisse waren, ferner, wie viele Kinder er unterrichtete, ob er einen Gehilfen hatte, ob er an Schulkonferenzen teilnahm, oder ob er Mitglied der Schullehrer-Lesegesellschaft war, ob er also an seiner Weiterbildung arbeitete. Es konnte durchaus vorkommen, daß ein Schulmeister, der seinen Dienst nicht mehr voll ausfüllen konnte, auf seine Kosten einen Hilfslehrer beschäftigen mußte. In einem solchen Fall wurde Wert auf die Angabe gelegt, wie das Schulgeld, als veränderliches Einkommen, im allgemeinen nach der unterrichteten Schülerzahl, auf diese beiden Personen verteilt wurde. In einer Verordnung von 1810 war erneut festgelegt worden, daß die Gemeinden den Aufwand für die Schule zu tragen hatten. Früher war das Aufgabe des Armenkastens gewesen.285 Der Pfarrer wiederum mußte dem Lehrer bescheinigen, wie es um seine Kenntnisse, um seinen Fleiß und seine Tüchtigkeit stand, wie sein Lebenswandel war, und wie die Schulzucht im Unterricht funktionierte. Wichtig war, wer das Recht hatte, die Lehrerstellen zu besetzen und welcher Lehrer welche Klasse zu betreuen hatte. Anzugeben war ferner die Zahl der Schulstunden, die im Sommer und im Winter durchaus verschieden lang sein konnten, die Anzahl der Schulkinder, getrennt in Buben und Mädchen, aufgeteilt auf die verschiedenen Klassen, die Höhe des Schulgeldes, ob Sonderabgaben zu bezahlen waren, wie etwa Martinigeschenke oder Ein- und Austrittsgelder. Hierzu wurde in der Pfarrbeschreibung von Ravensburg 1827 erwähnt, daß der Lehrer Anspruch auf besondere Geschenke an Neujahr, an Ostern, an seinem Namenstag, zum Jahrmarkt und Rutenfest, sowie beim Schulein- und -austritt hatte. Allerdings mußte er „die Dinte“ auf seine Kosten selbst beschaffen".286 283 Sauer, Paul: Reformer auf dem Königsthron, S. 385. 284 Pfarrbericht Eßlingen, 1845. 285 Schütz: Die württembergische Volksschule, S. 40. 286 Pfarrbeschreibung Ravensburg, 1827. 72 Ausführlich mußten sodann die Schulräume beschrieben werden, ob sie sich in einem eigenen Schulhaus befanden, ob sie geräumig, hell und gesund waren, ob zusätzlich eine Lehrerwohnung eingebaut war, wer die Pflicht hatte, das Schulhaus zu bauen und zu unterhalten. Es war festgelegt, daß ein Lehrer bis zu 100 Schüler zu betreuen hatte. Wurde diese Zahl überschritten, durfte zusätzlich ein Provisor eingestellt werden, ab 200 Schülern ein weiterer.287 Regelmäßig war mit dem Amt des Lehrers, der zu den „niederen Kirchendienern“ gehörte, der Mesnerdienst verbunden, eventuell auch der des Kantors oder Organisten.288 Ein besonderes Anliegen war immer, festzulegen, welches weltliche Amt für die Heizung aufzukommen hatte, wer welche Art von Holz liefern mußte, wer die Zufuhr, das Sägen und Spalten zu besorgen hatte. Schließlich war zu bestimmen, ob dem Lehrer das Holz, das für die Schulheizung nicht benötigt wurde, zur eigenen Nutzung überlassen werden sollte.289 Das Einkommen war wieder ausführlich und in allen Einzelheiten aufzulisten. Es mußte beispielsweise vermerkt werden, ob der Lehrer Nachhilfestunden gab und was er dafür vergütet bekam, von welchen verschiedenen Kassen er seine Entlohnung bezog, ob es sich um feste oder veränderliche Einkommensteile, wie etwa das Schulgeld, handelte, das ja nach der Zahl der Kinder unterschiedlich hoch war. Ferner war anzugeben, ob und wann er in den letzten Jahren eventuell eine Prämie erhalten hatte. Auch hier haben sich im Laufe der Jahre vielfältige Änderungen ergeben. Ein besonderes Interesse galt auch den seit 1818 aufkommenden Sonntags- und Industrieschulen290, seit 1825 den gewerblichen Fortbildungsschulen mit Zeichenunterricht. Auch hier war wieder besonders die geistliche Versorgung, der Religionsunterricht, von besonderem Interesse und Bedeutung. An den Industrieschulen wurden wegen den weiblichen Handarbeiten schon früh Lehrerinnen beschäftigt. 1828 unterrichteten in Biberach zwei Lehrerinnen die Mädchen im Spinnen und Stricken.291 Hier wurden aber 1843 auch Klagen über die allgemeine schlechte Lehrer- ausbildung laut: „Die Lehrer in den Filialorten gehören dem Handwerkerstand an und haben nie ein Schullehrerseminar besucht. Sie wurden durch Stadtpfarrer Meyer (damals bereits 79 Jahre alt) mit nicht geringer Mühe durch Privat- unterricht für den Schulstand herangezogen“.292 Der schlechte Schulunterricht dieser Lehrer in den Filialorten, der im Pfarrbericht bemängelt wurde, ist so verständlich. 287 Schütz: Die württembergische Volksschule, S. 40. 288 Gottschick/Schäfer: Große Hoffnungen, kleine Schritte im 19.Jahrhundert, S. 214. 289 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX, S. 757, 758. 290 Adamski: Industrieschulen und Volksschulen in Württemberg; Alt: Die Industrieschule; Marquard: Geschichte und Strukturanalyse der Industrieschulen. 291 Pfarrbeschreibung Biberach, 1828. 292 Pfarrbericht Biberach, 1843. 73 In Böblingen hatte sich eine 1841 errichtete Nähschule nicht bewährt und wurde deshalb bereits 1845 wieder aufgehoben.293 In Großheppach wurde hervorgehoben, daß hier seit kurzer Zeit eine Kleinkinderschule bestand, "das ganze Jahr hindurch unter Leitung von Fräulein Wilhelmine Canz und ihrer Nichte Fräulein Rode".294 Erstere hatte in Verbindung mit der Kleinkinderschule eine Bildungsanstalt für Kleinkinderlehrerinnen im Planen. Auch die Oberleitung der bloß im Winter für Mädchen bestehenden Industrieschule hatte sie übernommen. Es wurde auch der Versuch mit einer Strohflechtschule gemacht, "aber dieser blieb um des ganz geringen Verdienstes willen ohne Erfolg".295 Zunächst wurde 1854 in Großheppach ein älteres Haus gemietet, in das Wilhelmine Canz (1815 - 1901) mit ihrer qualifizierten Nichte einzog. Ziel war, "Schwestern und durch diese die Kinder in der Erkenntnis, daß es wirklich einen Gott gibt, der bewußt in der Welt waltet, zu erziehen". 1856 kamen die ersten beiden Schwesternschülerinnen, um eine Ausbildung zu beginnen. Aber der Weg war mühsam. Nicht alle, die sich meldeten, waren auch für diesen Beruf geeignet. Oft fehlte es am nötigen Geld. 1861 erkannte die Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins die Anstalt an und schickte Schülerinnen. Ziel blieb die Unabhängigkeit vom Stuttgarter Diakonissenhaus und, anknüpfend an Oberlin und Pestalozzi, eine christlich bestimmte Kleinkinderschule mit der Grundlage der biblischen Geschichte. Am 15. Januar 1901 ist Wilhelmine Canz in Großheppach gestorben.296 Leutkirch hatte es abgelehnt, die Sonntagsschule zu einer Gewerbeschule zu erweitern. Es war aber eine Industrieschule für Mädchen vorhanden, an der zwei Lehrerinnen an vier Tagen sechs Stunden im Nähen und Stricken, sowie „weiblichen Arbeiten höherer Gattung“ für 80 fl Jahresgehalt unterrichteten.297 Ravensburg hatte 1827 außer einer Knabenschule zwei Mädchenschulen und eine lateinische Schule mit 3 Klassen, sowie eine Realschule mit 2 Klassen und bereits seit 1826 eine Industrieschule für Mädchen und eine Gewerbeschule für Jungen, in der Gewerbekunde und Zeichnen unterrichtet wurde. Der Diakon war hier zugleich Rektor an der lateinischen Realschule, der Vikar Präzeptor an dieser Anstalt. Der Organist hatte die Lehrerstelle an der Mädchen- schule inne, der Kantor war zugleich Lehrer an der Knabenschule. Auch der Mesner hat noch ein zweites Amt zu versehen; er war zugleich Hochzeitslader. 298 293 Pfarrbericht Böblingen, 1845. 294 Kramer, Carla: Wilhelmine Canz. 295 Pfarrbericht Großheppach, 1860. 296 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 160, Gerhard Schäfer: Wilhelmine Canz. In: Frauen im deutschen Südwesten, S. 163. 297 Pfarrbeschreibung Leutkirch, 1828. 298 Pfarrbeschreibung Ravensburg, 1827. 74 In Schorndorf wurde bereits in der Pfarrbeschreibung von 1828 erwähnt, daß sich am Ort außer einer Lateinschule mit 3 Abteilungen und 3 Lehrern zwei deutsche Schulen befanden, nämlich eine Knaben- und eine Mädchenschule, mit je einem Schulmeister und einem Provisor für 220 Knaben, sowie einem Schulmeister und zwei Provisoren für 285 Mädchen. Es gab die Sonntagsschule für die Kinder zwischen 14 und 18 Jahren, außerdem aber seit 1821 auch noch eine Strick- und Nähschule mit 2 Lehrerinnen, die Montags von 3 - 5 Uhr, Mittwochs und Samstags von 1 - 4 Uhr Unterricht für 26 Gulden Jahresgehalt erteilten. Die ebenfalls seit 1821 existierende Zeichnungs- schule war in eine Handwerksschule umgebildet worden. Der Lehrer gab dort für 130 fl. Jahresgehalt Zeichnen, Rechnen und Geometrie.299 In dem Repertorium der evangelischen Kirchengesetze von Württemberg von G.A.Süskind und G.Werner wird neben den Angaben über die Organisation der Schule und den Personalien der Lehrer weiter aufgeführt der „Zustand der einzelnen Schulklassen in Absicht auf Kenntnisse und Zucht“. Der Pfarrer war hier verpflichtet, nicht nur eine Beurteilung des Lehrers in Bezug auf dessen Kenntnisse, Fertigkeiten und sein Verhalten abzugeben, sondern auch über den Kenntnisstand der Schüler und, worauf immer auch besonderer Wert gelegt wurde, die Ordnung in der Klasse, „die Zucht“. Anschließend mußte er aber selbst Rechenschaft ablegen über seine Tätigkeit in der Schule und auflisten, wie viele Stunden er für den Religionsunterricht oder die Beaufsichtigung der Lehrer, die Schulinspektion, verwandt hatte. Von Interesse war immer auch, ob besondere Schulen am Ort waren: außer der Sonntagsschule etwa Kleinkinder- oder Arbeitsschulen, landwirtschaftliche und gewerbliche Fortbildungsschulen, Zeichen- oder Baumschulen. Es war Aufschluß zu geben über etwa vorhandene Schulstiftungen und Schulfonds, aus denen zumeist Lernmittel beschafft werden sollten. Auch die Vakanzen und die Schulversäumnisse, die man sich im Laufe des Jahrhunderts sehr energisch abzustellen bemühte, waren anzugeben, ferner die Schuldiarien, Rezeßbücher und Inventarien, und schließlich, an welchem Tag die „Warnung vor Giftpflanzen und vor dem Einfangen von Singvögeln und der Zerstörung ihrer Brut“ erfolgt war. Solche Vermerke fehlen in keiner Pfarrbeschreibung und zeigen, wie wichtig solche Hinweise genommen wurden. 299 Pfarrbeschreibung Schorndorf, 1828. 75 4.0. Die Christlichkeit in der Gemeinde. Bis weit über die Mitte des letzten Jahrhunderts hinaus galt das Bemühen der Kirche der Verchristlichung des Staates und jedes einzelnen Mitgliedes der Gemeinde. Nach der Kirchenverfassung Herzog Christophs, der Großen Kirchenordnung von 1559, sollte Württemberg „eine Vorstufe des Reiches Gottes“ sein. Sie hat mehr als drei Jahrhunderte lang das kirchliche und soziale Leben in Württemberg bestimmt.300 Es war, wie es in der Vorrede hieß, die erste Aufgabe des Fürsten, "vor allen Dingen unsere untergebene Landschaft mit der reinen Lehre des heiligen Evangeliums, die den rechten Frieden des Gewissens bringt, und die heilsame Weide zum ewigen Heil und Leben ist, zu versorgen", erst danach wollte er sich um die zeitliche Wohlfahrt kümmern.301 "So ist es denn auch unsere ernstliche Meinung und Wille, daß in unserem Fürstentum und bei unseren Untertanen ein christliches, gottseliges, ehrbares und züchtiges unsträfliches Leben vor der Welt geführt werde, soviel das immer möglich ist".302 In seinem Testament von 1565 hat er das lutherische Bekenntnis als Landesreligion festgeschrieben.303 Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war die "Verchristlichung" in Württemberg das ganz besondere Anliegen von Sixt Carl (von) Kapff (1805 - .1879)304. Seit seiner Berufung als Stiftsprediger und damit seinem Eintritt in das Konsistorium 1852, wo er als Vertrauensmann des Pietismus wirken konnte, war er einer der führenden Theologen der Landeskirche. Er glaubte vor allem durch Buße und lebendig gelebtes Christentum "die Übel der Zeit" heilen zu können.305 Die geistliche Durchdringung der Volkskirche mit dem Ziel einer "Herzens- reformation" war ihm ein Anliegen. Durch eine Förderung des Lebens in der christlichen Familie, durch Kirchenzucht und Sonntagsheiligung, durch die Einrichtung von Buß- und Bettagen, „ohne Zugeständnisse an den Zeitgeist“, sah Kapff seine Hauptaufgabe darin, den Staat, zunächst einmal Württemberg, dann aber darüber hinaus die ganze Erde, christlich zu machen.306 Nicht umsonst waren auf dem Bild vom schmalen und breiten Weg das Wirtshaus am Eingang und die Eisenbahn ganz oben abgebildet. Im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung307 war die seelsorgerische Tätigkeit der Pfarrer als Schwerpunkt mancherorts etwas zurückgestellt worden. 300 Württembergische Große Kirchenordnung, 1559; Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 57; Adrion: Schulanfang im Herzogtum Württemberg, S. 11. 301 Maurer: Johannes Brenz, S. 182. 302 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. VIII, S. 110 - 113. 303 Schäfer: Das Haus Württemberg und die Evangelische Kirche, S. 482. 304 Schröder: Sixt Carl Kapff. In: Hermle: Württembergische Kirchengeschichte in Porträts, S. 315; Scheffbuch: Sixt Carl Kapff. In: BWKG 94 (1994), S. 122 - 148. 305 Gottschick-Schäfer: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 232. 306 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 258. 307 Duchard: Das Zeitalter des Absolutismus; Müller, Wilfried: Die Aufklärung; Müller, Wolfgang: Die Kirche im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung; Kolb: Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche; Maier-Müller: Der Absolutismus. 76 Auch wenn immer wieder hervorgehoben wird, daß sich die Aufklärung in Württemberg, wohl unter dem Einflusses des Pietismus, nicht so stark durchsetzen konnte, wie sonst überall in Europa,308 wurden doch bereits in dieser Zeit die ersten Zweifel am komplexen Absolutheitsanspruch des Christentums laut. Manche Historiker beklagten, daß die evangelische Kirche tief erschüttert in das neue Jahrhundert eingetreten sei, daß sie sich mit den modernen Wissenschaften und Weltanschauungen auseinanderzusetzen hatte „in so ernstem und heißem Ringen der Geister, wie es die Jahrhunderte seit der Reformation nicht gekannt“. Auch in diese feste Burg war die Aufklärung eingedrungen, und hatte sich auf verschiedene Weise geltend gemacht.309 Allerdings muß festgehalten werden, daß die Aufklärung in der württem- bergischen Kirche keinen Abfall vom Glauben bewirkt hat. Die Schrift blieb einzige Autorität und Grundlage der Theologie, die Artikel des Apostolikums wurden festgehalten. Die alten, erstarrten Formen allerdings wurden überwunden, es wurde Raum geschaffen für neue Formen und Gestaltungen.310 Durch den Rationalismus war, wie von katholischer Seite triumphierend festgestellt wurde, bei den Evangelischen an die Stelle der Religion die Moral getreten, statt der Schriftautorität hatte die Vernunftwahrheit Platz gegriffen, statt des Glaubens der logische Beweis311. Allerdings weisen sowohl Hermelink, als auch Kolb darauf hin, daß in Württemberg an Weihnachten nie über „die Vorteile der Stallfütterung und die Wöchnerinnenpflege“, an Ostern über „die Gefahr des Lebendig-Begrabenwerdens“, oder an Pfingsten über das "gesellige Beisammen- sein und den Nutzen des Spazierengehens" unter Bezugnahme auf den Gang der Jünger nach Emmaus, gepredigt worden ist, ein Vorwurf, der damals vor allem von pietistischer Seite der Amtskirche gemacht wurde.312 Auch war das Bibelwort "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein" nicht unbedingt der Grund für eine Predigt über den Segen des Kartoffelanbaus.313 Ernst Gottlieb Bengel, der Sohn von Johann Albrecht, hat als Dekan von Tübingen ausdrücklich festgestellt, daß von den ihm unterstellten Pfarrern und Vikaren keiner in diesem Sinne von der Lehre abgewichen sei.314 Es gab aber immer noch viele Pfarrer, die noch nicht dem Pietismus nahestanden, sondern vor allem noch der ersten Tübinger Schule verpflichtet waren, dem Supranaturalismus Christian Gottlob Storrs (1746 - 1805), der dem Geist der Zeit entsprechend „Vernunft und Schrift miteinander zu verbinden suchte“.315 Die biblischen Texte waren als Offenbarung Gottes zu verstehen, ihre Auslegung jedoch war der menschlichen Vernunft unterworfen.316 308 Haug: Reich Gottes im Schwabenland, S. 90; Kolb: Die Aufklärung in der württembergischen Kirche, S. 175; Müller, W.: Die Aufklärung, S. 15; Gericke: Theologie und Kirche im Zeitalter der Aufklärung. 309 Württembergische Kirchengeschichte, S. 544. 310 Kolb: Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche, S. 226. 311 Köhle-Hezinger: Irenik und Interkonfessionalismus, S. 1015. 312 Württembergische Kirchengeschichte, S. 590; Kolb. Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche, S. 177. 313 Köhle-Hezinger: Irenik und Interkonfessionalismus, S. 1018. 314 Haug: Reich Gottes im Schwabenland, S. 91. 315 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 297. 316 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 132. 77 Zugleich erhielt aber die evangelische Kirche durch die Aufklärung die Chance, sich von alten, starren Formen zu lösen und eine neue, freiere und lebendigere Ordnung zu gewinnen. „Ein frischerer und breiterer Strom wissenschaftlichen Strebens und Arbeitens geht durch die württembergische Geistlichkeit dieser Zeit hindurch, als zuvor, und das ist niemals ein Zeichen des Niedergangs".317 Im „Evangelischen Kirchenblatt“ wurde gleich in der ersten Ausgabe vom August 1840 gefordert, für die neuen Strömungen aufgeschlossen zu sein, aber auch das Alte, Überlieferte nicht zu übersehen und zu vergessen: „Was die Evangelische Kirche am meisten zu fürchten hat, ist nicht ein Feind von außen her, noch Ketzerei und Sekten in ihrer Mitte, sondern der geistliche Tod, welcher Angriffe ebenso hervorruft, als gefährlich macht. Erfahrungsreiche Besonnenheit der Alten, und die Regsamkeit der Jüngeren mag sich die Hand bieten“.318 Es gab im 19.Jahrhundert religiöse Strömungen, die der Ansicht waren, vor allem Württemberg sei dazu bestimmt, bei der Wiederkunft Christi eine besondere Rolle zu spielen. Schon am 15. November 1812 hatte Karl Friedrich Adolf Steinkopf (1773 - 1859), der deutsche Prediger an der Savoykirche in London, in einem Brief an die britische Bibelgesellschaft darauf hingewiesen: „Württemberg war seit der Reformation stets mit dem Lichte der göttlichen Wahrheit gesegnet, manche gläubigen Prediger wurden von Zeit zu Zeit erweckt und mannigfaltige Ausgaben der heiligen Schriften in allen Formaten waren erschienen“.319 Auf seine Veranlassung wurde am 11. September 1812 im Haus des Kaufmanns Tobias Heinrich Lotter in Stuttgart die „Bibelanstalt für die ärmeren Volksklassen“ gegründet, deren vornehmliche Aufgabe es war, zunächst die ärmeren Schichten in Württemberg mit Bibeln zu versorgen.320 In diesem Zusammenhang darf an Christian Gottlob Barth321 erinnert werden, der in seiner „Geschichte von Württemberg“ aus dem Jahre 1843 von dem „Gelobten Land Württemberg“ spricht, das er Palästina gleichstellt: „Der geneigte Leser muß vor allem wissen, daß es zwei gelobte Länder in der Welt gibt, das eine ist das Land Canaan oder Palästina, das andere ist Württemberg“. „Das glauben", setzte Barth hinzu, „wenigstens viele ehrliche Württemberger. Sucht man doch vergeblich nach einem Lande, in welchem so viel christlicher Sinn, eine so tiefe Grundlage biblischer Erkenntnis und Erfahrung zu Hause wäre. Sind doch zu allen Zeiten von der Reformation an durch Talent und wissenschaftliche Tätigkeit ausgezeichnete Männer aus dem kleinen Württemberg hervorgegangen, mehr als aus irgend einem andern gleich großen Lande. Haben wir doch Knechte Gottes unter uns gehabt, die an tiefer und umfassender Einsicht in den Ratschluß Gottes sich mit jedem Andern messen konnten“. 317 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 299. 318 Evangelisches Kirchenblatt, Erster Band, 15.August 1840. 319 Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 101. 320 Buck: Bilder aus dem christlichen Leben Württembergs, II., S. 25. 321 Werner Raupp: Christian Gottlob Barth; Werner Raupp: Christian Gottlob Barth. RGG 1, Sp.1646/47. 78 Barth wurde nach der Aufgabe seines Pfarramtes in Möttlingen (1838) zum eifrigen Förderer der Heidenmission und zum erfolgreichen Volksschriftsteller. Er widmete sich ganz dem von ihm mitbegründeten Calwer Verlagsverein (1836). Er wies darauf hin, daß kein anderes Land im Verhältnis zu seiner Bevölkerung so viele „Friedensboten für die heidnischen Völker geliefert“, und, obwohl die Württemberger nur den sechzigsten Teil aller Protestanten ausmachen, doch den zehnten Teil aller Missionare gestellt hätten.322 Auch der überzeugte Pietist Barth glaubte an ein nahes, demnächst erlebbares Ende der Welt, und gerade deshalb sollte der Ablauf der Geschichte nocheinmal in Erinnerung gerufen werden: „Die württembergische Geschichte ist ein Trost, daß Gott es letztlich gut mit uns meint, und daß wir daher seiner baldigen Ankunft gewiß sein können“.323 Es war allerdings nicht die württembergische Geschichte, wie sie tatsächlich war, die er schilderte, sondern eine Geschichte, wie sie sich nach Ansicht eines württembergischen Pietisten ereignet hatte.324 Gustav Werner hat vermutet, daß der Bau des neuen Jerusalem allein in Württemberg möglich sein werde, „da kein anderes Land hierzu tauglich ist“. Und selbst Heinrich Hermelink spricht vom „Reich Gottes in Württemberg“.325 Natürlich haben sich die Pfarrer damals den neuen Ideen auch nicht verschlossen. Es wurde zwar versucht, die Vernunft in den Dienst des Glaubens zu stellen, doch sollte auf der anderen Seite die Religion ganz selbstverständlich in ihren Aussagen möglichst unangetastet bleiben. Man begrüßte, daß die Pfarrer staatliche Maß- nahmen unterstützten, waren sie doch oft die einzig besonders Gebildeten am Ort, vor allem und gerade auch, wenn es sich um Verbesserungen auf dem Gebiet des Schulwesens handelte. Zu dieser Zeit sollte selbstverständlich der Pfarrer seinen Bauern auch auf dem Gebiet der Landwirtschaft unbedingt ein Vorbild und in der Lage sein, sie hier mit Wissen und praktischer Erfahrung zu unterstützen. Die Vor- und Nachteile der eigenen Landwirtschaft für den Seelsorger wurden ausführlich diskutiert und gegeneinander abgewogen. „Für die Geistlichkeit ist landwirtschaftliches Wissen von vielfachem Wert. Es ist leicht zu begreifen, daß der Beruf, namentlich des Landgeistlichen, dadurch ungemein gefördert wird. Denn der Landmann beschleunigt sein Vertrauen, wenn er in dem Geistlichen zugleich den Mann findet, der, ohne sich unaufgefordert in weltliche Dinge seiner Pfarrkinder mischen zu wollen, doch auf Verlangen der umsichtige Ratgeber und bei eigener Verwaltung von Pfarrgütern das Vorbild eines vernünftigen und geregelten landwirtschaftlichen Betriebes sein und werden kann. Ich bin der Ansicht, daß der Geistliche durch seine Bildungsstufe und das Vertrauen gegenüber den Pfarrkindern vorzugsweise geeignet ist, den Vermittler abzugeben zwischen dem Prinzip eines gereiften Fortschritts und der hier und da wirklich hemmenden Vorliebe des Landmannes zum Alten und Hergebrachten“.326 322 Barth: Geschichte von Württemberg, S. 3; Lehmann: Es gibt zwei gelobte Länder in der Welt, S. 272. 323 Barth: Geschichte von Württemberg, S. XVI. 324 Barth: Geschichte von Württemberg, S. 285. 325 Decker-Hauff: Die geistige Führungsschicht, S. 61. 326 Evangelisches.Kirchenblatt, Nr. 24, 11.Mai 1841, S. 333. 79 Die Schwierigkeiten und Belastungen, die mit einer landwirtschaftliche Tätigkeit für den Pfarrer verbunden waren, aber auch der Zehnteinzug, der ihn sehr häufig in Gegensatz zu seinem Pfarrvolk und auch zur weltlichen Behörde brachte, ebenso der Vorwurf, daß durch eine solche Tätigkeit seine eigentliche Aufgabe, nämlich die Seelsorge, vernachlässigt werden könnte, blieben in dieser Betrachtung völlig unberücksichtigt. Zu allen Zeiten haben sich Pfarrer außer ihren seelsorgerischen Aufgaben auch anderen Tätigkeiten zugewandt und sich bemüht, auch auf anderen Gebieten zu wirken und auch dort ebenfalls Hervorragendes zu leisten. Hasselhorn hat in seiner Studie über den altwürttembergischen Pfarrerstand im 18. Jahrhundert327 darauf hingewiesen, daß vor allem in Württemberg die ganze Erziehung, das Studium der Theologie, der Sprachen, der Mathematik und der Naturwissenschaften, eingebaut war in ein allgemeines Frömmigkeitsstreben, das einem wahren Christentum den Weg ebnen sollte. Das gesamte Erziehungssystem, die strenge Zucht an den Schulen, die Lokierungen, die ständigen, lebenslangen Prüfungen bildeten eine Schicht heran, deren Interessen nicht allein von der Theologie bestimmt waren. In einer Landtagsschrift von 1797 wurde aufgezählt, womit sich die Pfarrer damals hauptsächlich beschäftigten: „Der eine treibt einen starken Weinhandel, der andere spekuliert mit Früchten, der 3. hat eine große Viehmastung, der 4. beschäftigt sich mit seinen Gütern, der 5. macht Sonnen- und Sackuhren, der 6. hat eine eigene Drehbank, der 7. stellt Witterungsbeobachtungen an, - neben der mechanischen Verrichtung seines Amtes. Man trifft daher unter der württem- bergischen Geistlichkeit zuverlässig mehr Mathematiker, Statistiker, Geographen, Historiker und Erziehungskundige, als selbstdenkende, rastlose Theologen“. Und es wurde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß das Konsistorium die naturwissenschaftlichen Forschungsarbeiten seiner Theologen nie eingeschränkt oder behindert hat.328 All diese Bemühungen von württembergischen Pfarrern sind bis jetzt nur sehr am Rande wissenschaftlich untersucht worden, abgesehen von Gerald Maiers Arbeit „Zwischen Kanzel und Webstuhl“, wo das Wirken des württembergischen Pfarrers Johann Georg Freihofer beschrieben wurde. Seit der Reformation war es ja das Anliegen eines jeden Chisten, seine Tätigkeit in weltlichen Dingen immer auch als Bewährung in Glaubensfragen zu sehen, ständig seinen Glauben auch zu leben, sich in dieser Welt zu bewähren. Er war immer im Gottesdienst, mußte ständig seinen Glauben bezeugen, und sein Ziel mußte immer die Heiligung des gesamten Lebens sein. Auch der Pfarrer fand hier für seine praktische Betätigung seinen theologischen Hintergrund.329 Das Bild des praktisch tätigen Pfarrers fand auch Eingang in die Dichtung des 20. Jahrhunderts. 327 Hasselhorn: Der altwürttembergische Pfarrstand, S. 40; Kolb: Zur Geschichte des Pfarrerstandes in Alt-Württemberg. BWKG 57/58 (1957/58), S. 74 - 190. 328 Hasselhorn: Der altwürttembergische Pfarrstand, S. 50. 329 Greiffenhagen: Das evangelische Pfarrhaus, S. 8. 80 Ina Seidel läßt in ihrer Erzählung „Lennacker“, ihren Pfarrer der Aufklärungszeit sagen, er habe keinen anderen Ehrgeiz, als der beste Imker in der weiten Umgebung zu sein, Blumen zu züchten, Obstbäume zu veredeln, aber doch auch seinen Pfarrkindern „das Reis christlicher Denkungsart und Moral aufzupfropfen“.330 Ein Beispiel für einen solchen Pfarrertyp ist der Pfarrer Johann Friedrich Mayer331 aus Kupferzell, ein berühmter Schriftsteller und Angehöriger zahlreicher gelehrter Gesellschaften. Er vertrat die Ansicht, es sei nicht nur seine Aufgabe, die ihm anvertraute Gemeinde zur ewigen Seligkeit hinzuführen, sondern sie außerdem auch in den Besitz zeitlicher Glückseligkeit zu bringen.332 Er zeigte seinen Bauern, wie der Feldertrag durch den Anbau von Klee und durch die Düngung mit Kalk gesteigert werden konnte: „Die Verteidigung des Gipses als einer vortrefflichen Dungsorte, auch eines wider die Schnecken gewisses und wider die Raupen mutmaßlichen Mittels“(1768). Zudem setzte er sich auch für den Anbau der Kartoffel und der Futterrübe ein und befürwortete die Stallfütterung mit dem Hinweis auf die Weihnachtsgeschichte, in der Ochs und Esel auch im Stall gewesen waren. Der Erfolg war ein vermehrter Viehbestand seiner Bauern und ein Viehhandel bis hinein nach Paris.333 Ihm verdankten seine Bauern auch ganz neue Geräte: den Haberrechen statt der Sichel, die Putzmühle anstelle der Wurfschaufel zum Reinigen des Korns.334 Auf der Alb führte Pfarrer Johann Gottlieb Steeb335 in Grabenstetten, der sich ebenfalls als Schriftsteller der Landeskunde und einer wissenschaftlich begründeten Landwirtschaft betätigte, den Raps- und Futteranbau ein und verbesserte so die Möglichkeit der Viehhaltung.336 Er war davon überzeugt, daß Religion und Moralität zwar immer die Hauptbeschäftigung des Pfarrers sein sollten, daß es aber daneben sehr wohl möglich sein müsse, die landwirt- schaftlichen Bemühungen in glückliche Verbindung mit der Seelsorge zu bringen und so die Achtung dieses Standes zu fördern. Die Verbesserungen in der Landwirtschaft sollten nicht Selbstzweck, sondern sie sollten Grundlage einer ideellen, moralischen Verbesserung der Menschen sein.337 Simon Friedrich Wurster338, seit 1756 Pfarrer in Gönningen, war als „Bienenvater“ bekannt und schuf die Grundlagen für einen Blumen- und Samenhandel, der Gönningen in der ganzen Welt bekannt machte.339 Die fahrenden Händler kamen über die österreichischen Länder bis in die Türkei, aber auch nach Skandinavien, bis Moskau und sogar New York.340 330 Ina Seidel: Lennacker, S. 415. 331 Johann Friedrich Mayer, in Kupferzell 1745 - 1798, Sigel Nr. 620,16. 332 Franz, Günther: Pfarrer als Wissenschaftler, in: Greiffenhagen: Das evangelische Pfarrhaus. S. 290. Johann Friedrich Mayer: Lehrbuch für die Land- und Haußwirthe in der pragmatischen Geschichte, 1773. 333 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 189; Gottschick: Auf dem Weg zur Fülle der Zeit, S. 334. 334 Köhle-Hezinger: Pfarrvolk und Pfarrersleut, in: Greiffenhagen: Das evangelische Pfarrhaus, S. 271. 335 Johann Gottlieb Steeb, in Grabenstetten 1742 - 1799, Sigel Nr. 233,15. 336 Gerald Maier: Zwischen Kanzel und Webstuhl, S. 96. 337 Franz, Günther: Pfarrer als Wissenschaftler, in: Greiffenhagen: Das evangelische Pfarrhaus, S. 291. 338 Simon Friedrich Wurster, (19.12.1756 - 9.5.1823), in Gönningen 1756 - 1823, Sigel Nr. 382,21 339 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 189; Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 299. 340 Samenhandelsmuseum in Gönnigen. 81 Der Pfarrer Jeremias Höslin341 (1722 - 1789) in Böhringen bei Urach befürwortete den Flachs- und vor allem den Futteranbau: „Beschreibung des Flachsanbaus auf der Alb“. Daneben gab er aber auch Ratschläge für die Verbesserung des Wein- und Obstbaus. Bekannt geworden ist er vor allem durch sein Buch von 1798: „Beschreibung der wirtenbergischen Alp mit landwirtschaftlichen Bemerkun- gen“.342 Karl Friedrich Hofacker343, der Vater von Ludwig Hofacker, setzte sich als Pfarrer von Gärtringen im August 1801 von der Kanzel herab sehr für die Pocken- schutzimpfung für Menschen und Tiere ein. Seinen intensiven Bemühungen war es zu verdanken, daß diese Behandlung für Bedürftige kostenlos erfolgte.344 In Hohebach, im Dekanat Künzelsau, übte der dortige Pfarrer Schenk345 die Impfungen selbst aus. Auch auf dem Gebiet des Schulwesens wirkten Pfarrer bahnbrechend. Hermelink schreibt, daß auf diesem Gebiet die Aufklärung „am meisten für die Hebung des Unterrichts und die Reform des Schulwesens getan hat“.346 Die erste Industrieschule in Württemberg geht auf die Initiative von Pfarrer Friedrich Wilhelm Kohler zurück.347 Er richtete 1794, noch mit Unterstützung Herzog Karl Eugens, die erste Spinnanstalt für die Schuljugend in Birkach ein. In ihr konnten Mädchen das Spinnen lernen und hatten so die Möglichkeit zu einem Nebenerwerb.348 In einem General-Synodal-Reskript von 1795 wurde diese Anstalt als beispielhaft für Württemberg dargestellt, da hier eine Gelegenheit geschaffen worden sei, um arme Kinder neben ihrem Schulunterricht an eine nützliche Arbeit zu gewöhnen und sie vom Müßiggang und Gassenbettel abzuhalten.349 Kohler bearbeitete außerdem den Braunschweiger Katechismus für Württemberg, der hier in breiten Kreisen Verwendung fand, weil er „ungleich mehr Lebensregeln enthält als andere sogenannte Kinderlehren“. Die Schullehrer sollten ihn neben den eingeführten Religionsschulbüchern zunächst zur eigenen Bildung, dann aber auch zum Unterricht in der Schule benutzen.350 1783 bat in Nürtingen der Dekan Jakob Friedrich Klemm351 Herzog Karl Eugen um Genehmigung einer Schule "für Künstler, Professionisten und Handwerker".352 341 Jeremias Höslin, (18.5.1722 - 29.4.1789), Sigel Nr. 136,17 342 Günther Franz: Pfarrer als Wissenschaftler, in: Greiffenhagen: Das evangelische Pfarrhaus, S. 290. 343 Karl Friedrich Hofacker (18.10.1758 - 27.12.1824), in Gärtringen 1798 - 1811, Sigel Nr. 344,21. 344 Hofacker, L.: Wilhelm Hofacker, S. 11. 345 Karl Albrecht Schenk (13.9.1733 - 28.2.1852), in Hohebach 1803 - 1851, Sigel Nr. 514,20. 346 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 299. 347 Friedrich Wilhelm Kohler (23.4.1754 - 9.3.1810), in Birkach 1780 - 1798, Sigel Nr. 119,1. 348 Württembergische Kirchengeschichte, S. 525. 349 Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S. 239, S. 255. 350 Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S. 252; General-Synodal-Reskript vom 26.November 1792. 351 Jakob Friedrich Klemm (25.8.1733 - 24.6.1793), Dekan in Nürtingen 1782 - 1793. Sigel Nr. 67,50. 352 Borst: Schule des Schwabenlandes, S. 47. In Nürtingen wurde 1481 die erste Lateinschule erwähnt. 82 Es war die erste Real- oder Bürgerschule, die auch zur Ausbildung und Vorbereitung von Landschulmeistern diente, und die vor allem, mit der Finanzkraft des Nürtinger Spitals, auch verwirklicht wurde.353 Sie wurde am 8. September 1785 vom Herzog genehmigt und 1822 zu einer selbständigen Anstalt ausgebaut.354 Auf dem Lehrplan standen „französische Sprache, deutsche, soweit sie zu Aufträgen und Briefen gehört, Arithmetik, Geometrie, Zeichnung, Geographie, Natur-, Religions-, Welt- und vaterländische Geschichte". Daneben sollten Anregungen für die Landwirtschaft, Seidenzucht und Botanik gegeben werden, „um auf diese Weise die jungen Leute durch Erweiterung ihrer Kenntnisse vor allen Versuchungen auf Wanderschaften zu bewahren“. Biberach, Ebingen, Ehingen, Ravensburg und Ulm waren die nächsten Orte, die Realschulen einführten. 355 Seit 1818 war bereits die Trennung von Realschule und Gymnasium vollzogen, der Rektor der Realschule dem Rektor des Gymnasiums gleichgestellt.356 Die Orientierung an praktischen Bedürfnissen war selbstverständlich auch von großer Bedeutung für die beginnende Industrialisierung. In den dreißiger Jahren kam es dann zu einer neuen Festlegung der Funktion der Realschulen im öffentlichen Schulwesen: „Die Realschule hat eine dem wachsenden Kulturstand des Bürgers entsprechende allgemeine Bildung als Grundlage aller liberalen bürgerlichen Berufsarten zu vermitteln“.357 Aus dem Kreise der erwähnten Begabungen ist schließlich auch noch der Pfarrer und Historiker Balthasar Friedrich Wilhelm Zimmermann (1807 - 1878)358 zu erwähnen, der zusammen mit Friedrich Theodor Vischer, David Friedrich Strauß, Gustav Pfizer, Gustav Binder und Christian Märklin 1821 als Seminarist in Blaubeuren eingezogen war,359 das Seminar 1825 als "Geniepromotion" verlassen hatte, der im September 1847 als Geschichtsprofessor an die Polytechnische Schule berufen wurde, und dessen Hauptwerk über den Bauernkrieg aus den Jahren 1841 - 1843 auch heute noch als sehr quellennahe Darstellung von Bedeutung ist, wenn es auch wissenschaftlich als überholt gelten darf.360 Und auch auf dem Gebiet der Volkskunde waren Pfarrer selbstverständlich maßgeblich tätig.361 353 Schmid: Geschichte des Volksschulwesens. S. 241. 354 Stäbler: Nürtingen als Zentrum des von Bengel und Oetinger geprägten württembergischen Pietismus, PUN. Bd. 24, S. 216: Klemm: Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche, S. 209. 355 Schmid: Geschichte des Volksschulwesens, S. 241. 356 Sauer, Paul: Reformer auf dem Königsthron, S. 386. 357 Hermelink: Kirche und Schule, S. 193. 358 Balthasar Friedrich Wilhelm Zimmermann (2.1.1807 - 22.9.1878), Sigel Nr. 211,44. 359 Geniepromotion von 1825. 360 Borst: Schule des Schwabenlands, S. 221; Ders.: Aufruhr und Entsagung, S. 346; 361 G.Franz: Pfarrer als Wissenschaftler, in: Greiffenhagen: Das evangelische Pfarrhaus. S. 279; 83 Der Pietismus, und hier wieder ganz besonders die Erweckungsbewegung, bemühten sich nun, die "rationalen Auswüchse", die Bestrebungen um rein "weltliche Dinge" zurückzudrängen, den Einfluß der Philosophie auf die Theologie zu überwinden, und das christliche Leben und die reine Lehre wieder in den Mittelpunkt des täglichen Lebens zu rücken. Diese neue Bewegung wurde geprägt von einer Reihe herausragender Personen, die in der Landeskirche und darüber hinaus eine starke Wirkung erzielten. Zu den Männern, die sich um diese neue Richtung bemühten, gehörten Jonathan Friedrich Bahnmaier (1774 - 1841)362, Christian Adam Dann (1758 - 1837)363, der an der Leonhardskirche aufrüttelnde Predigten hielt (und sich damals schon sehr engagiert für den Tierschutz einsetzte), und vor allem Ludwig Hofacker (1798 - 1828)364 Seine Wirkung war allerdings angesichts seines frühen Todes schon am 18. November 1828 als Pfarrer in Rielingshausen im Alter von nur 30 Jahren sehr begrenzt.365 Besonders seine Predigten in der Leonhardskirche fanden in weiten Kreisen Beachtung.366 Hermelink bescheinigte ihm, „eine neue württembergische Predigtart“, eine sogenannte „betende Predigt“, eingeführt zu haben. „Er hat in seine Predigt den Gebetsumgang der Gemeinde mit Gott hineingebaut, und obwohl sie als solche ganz lutherisch ist, ist sie doch durch den Pietismus geformt“. Auf diese Weise war für Hofacker das Wort das Sakrament, immer in Verbindung mit dem Gebet, „mehr erwecklich, als erbaulich“.367 Ein christlich geführtes Leben stand für ihn im Mittelpunkt, und hier selbstverständlich wieder ganz besonders die Begegnung mit dem Wort Gottes. Seine Predigten fanden einen großen Hörerkreis: „Es lag eine Inbrunst, ein hinreißendes Feuer der Wahrhaftigkeit und einer seligen Lebenserfahrung in seinem Zeugnis“.368 Die vollständige Übergabe des Menschen an Jesus Christus sollte in der Tradition des Pietismus für die Christen Grundlage alles Handelns und Tuns sein.369 Kennzeichnend war die Besinnung auf die Schrift und das Bemühen, in einem kleinen Kreis von entschiedenen Gläubigen, in Erbauungsstunden, „den schmalen Weg zu gehen, der Überlieferung der Väter treu zu bleiben".370 Es war eine innerkirchliche Reformbewegung, die eine Bestätigung der vorgetragenen Lehre im praktischen Leben verlangte.371 362 Jonathan Bahnmaier (12.7.1774 - 18.8.1841), 1815 Professor der Theologie in Tübingen, 1819 Dekan in Kirchheim/Teck, Sigel Nr. 114,37. 363 Christian Adam Dann: Hospitalkirche Stgt. 1800 - 1812, Öschingen 1812 - 1819, Mössingen 1819 - 1824, 1. Diakon an der Stiftskirche 1824 - 1825, Stadtpfarrer in St.Leonhard 1825 - 1837; Benrath: Die Erweckung innerhalb der deutschen Landeskirchen, S. 233. 364 Gustav Wilhelm Ludwig Hofacker (18.10.1758 - 27.12.1828), in Rielingshausen 1826 - 1828, Sigel Nr. 344,21. 365 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 229; Kirn: Ludwig Hofacker. In:Kirchengeschichte Württem- bergs in Porträts, S. 267. 366 Scheffbuch: Ludwig Hofacker, S. 23 (Januar 1823 bis Februar 1825); Sorg: ER das Haupt, S. 88. 367 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 370. 368 Württembergische Väter, Bd.I., S. 25. 369 Lehmann: Pietismus und weltliche Ordnung, S. 28. 370 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 231. 371 Lehmann: Pietismus und weltliche Ordnung, S. 15. 84 Man darf aber auch nicht übersehen, daß sich gerade in dieser Bewegung im Laufe der Zeit auch Tendenzen des Beharrenden, der geistigen und religiösen Enge und der Angst vor allem Neuen zeigte, die dem frühen Pietismus als einer Bewegung des religiösen Aufbruchs, der Reform und des Fortschritts eigentlich fremd waren.372 Die Verbindung zur Landeskirche wurde stellenweise sehr lose, obwohl man sich von dieser Seite aus immer um eine ausgleichende Haltung bemüht hat.373 Durch Sixt Carl von Kapff374 konnte der Pietismus in Württemberg nach 1848 dann eine leitende Stellung einnehmen. Neben seiner Tätigkeit als Prediger und Seelsorger an der Stiftskirche war er in einer ganzen Reihe von Bereichen aktiv. Es gelang Kapff, die kirchlichen Führer des Pietismus zu regelmäßigen Gesprächen zusammen zu bringen, die Pfarrer auf der Prediger- und die Gemeinschaftsleute auf der jährlichen Brüder- und Missionskonferenz (seit 1851), um hier vor allem die Fragen der Inneren Mission zu besprechen.375 Von hier aus versuchte er der Sonntagsentheiligung entgegenzuwirken, und auch seine Bemühungen um eine Eindämmung des "Unfugs der Sonntags- und Feiertagstänze" waren erfolgreich.376 Er förderte seit 1843 unter anderem den Gustav-Adolf-Verein, der sich vor allem um den Ausbau der evangelischen Gemeinden in den katholischen Gegenden des Landes bemühte. Als Leiter der Missionskonferenz stand er mit dem Basler Missionshaus377 in enger Verbindung. Er war 1855 an der Eröffnung des Stuttgarter Diakonissenhauses beteiligt. In ständigem Einsatz für "den christlichen Staat" gelang es ihm auch, dem Religionsunterricht in der Schule einen festen Platz zu sichern. "In nüchterner Arbeit, nicht in stürmischem Vorwärtsdrängen, mußte die Arbeit am Reich Gottes geleistet werden".378 372 Köpf: Ferdinand Christian Baur, S. 448. 373 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 297. 374 Sixt Karl von Kapff (22.10.1805 - 1.September 1879). Sigel Nr. 19,14. 375 Benrath: Die Erweckung innerhalb der deutschen Landeskirchen, S. 236. 376 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 404. 377 1815 wurde die Basler Mission gegründet. 378 Benrath: Die Erweckung innerhalb der deutschen Landeskirchen, S. 236: Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 405; Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 133; Schröder: Sixt Carl Kapff, S. 315. 85 4.1. Christlichkeit und Gottesdienstbesuch. Frömmigkeit, Christlichkeit oder Religiosität sind Begriffe, die sich eigentlich einem Zugriff entziehen. Der Versuch der Landeskirche, in den Pfarrberichten über die Christlichkeit der Gemeinde zu sprechen, sie sogar zu einem wichtigen Punkt der Erhebungen zu machen, muß deshalb mit Vorsicht gesehen werden. Allenfalls kann versucht werden, über Frömmigkeitsstile als Manifestation zu reden, etwa "den Stil Michael Hahns". Ein Zeichen christlicher Frömmigkeit war aber immer auch der "Ausweis der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Kirche".379 Die Kirche hat nun versucht, diese Christlichkeit zu messen, und zwar zunächst einmal am Besuch des Gottesdienstes. „Regelmäßiger Gottesdienstbesuch ist ein Bekenntnis zur Kirche, Beweis von innerem Christentum und innerem Geistes- leben, das nach Nahrung verlangt“ hieß es im „Evangelischen Kirchenblatt" von 1904.380 Es bestand innerhalb der württembergischen Landeskirche aber Konsens, daß vor allem auf dem Gebiet des religiösen, kirchlichen Lebens statistische Zahlen als Gradmesser der Frömmigkeit und der christlichen Gesinnung eigentlich nicht zählen durften. Man sah aber, daß in solchen Erhebungen über kirchliche Verhältnisse immer auch „ein bedeutendes kulturgeschichtliches Moment zu erkennen war, woraus Schlüsse auf die Wertschätzung der kirchlichen Institute, auf die Erhaltung oder Abnahme kirchlicher Sitte gezogen werden können".381 Wenn auch immer wieder Klagen über den mangelhaften Kirchenbesuch zu hören waren, so wurde im allgemeinen die Teilnahme am Gottesdienst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch als weitgehend zufriedenstellend gesehen, und oft wurde in diesem Zusammenhang auch noch der gute religiöse und sittliche Zustand der Gemeinde gerühmt. Bereits Herzog Christoph hatte beanstandet, daß im Gegensatz zum Besuch der Sonntagsgottesdienste die Gottesdienste in der Woche meist nur wenige Besucher fanden. Er bemängelte, "daß es je ein ergerlichs ansehen, das in einer solchen grossen comun und vilen miesiggeenden Bürgern also wenig die werk tägliche predig besuchen" (1559). Brenz nahm einmal in einem Gespräch mit dem Hofprediger König Maiximilians, Sebastian Pfauser, zu diesem Problem Stellung und wies darauf hin, daß es der schönste Vorzug eines Brunnens sei, "daß er stets Wasser gibt, es mögen viele oder wenige kommen, aus ihm zu schöpfen. So muß es der Prediger des göttlichen Wortes auch machen".382 379 Bruns: Württemberg unter der Regierung König Wilhelms II., S. 393; Schäfer: Gottes Zeit. In:Glaube, Welt und Kirche. S. 111. 380 Ev.Kirchenblatt für Württemberg, Nr. 18, 30.4.1904, 65.Jahrgang, S. 139. 381 Das Königreich Württemberg, 2. Bd., S. 227. 382 Maurer: Johannes Brenz, S. 168. 86 Es zeigte sich nun, daß unter dem Begriff "Christlichkeit" insbesondere der Besuch der kirchlichen Veranstaltungen, des Gottesdienstes und des Abendmahlsbesuches, später auch noch soziale Maßnahmen oder das Lesen christlicher Blätter, verstanden und abgehandelt wurden, aber auch, als Negativum, der Wirtshausbesuch, vor allem die Tanzveranstaltungen, desgleichen die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1848, aber auch die Probleme mit der aufkommenden Industriearbeiterschaft, das anmaßende Verhalten des Dienstpersonals, oder die zunehmende Zahl von Unehelichen- geburten. Alle diese Dinge wurden als zunehmende Unchristlichkeit definiert, und es wurde versucht, dem entgegenzuwirken. Matthias Küchel383, von 1824 bis 1851 Pfarrer in Altensteig, erwähnte 1849, daß die politischen Ereignisse seit Februar 1848 zwar an der Gemeinde nicht spurlos vorübergegangen waren, aber die Gottesdienste und die kirchlichen Anstalten trotzdem noch immer in Achtung standen. Den Beweis dafür sah er in der Tatsache, daß die Zahl der Kommunikanten nicht abgenommen hatte. Bei einem Teil der Gemeinde schien die Kirche sogar an Ansehen gewonnen zu haben: was der Pfarrer aus dem fleißigen Gottesdienstbesuch und der tüchtigen Teilnahme an den Betstunden schloß, welche nicht selten von einer größeren Anzahl seiner Gemeindeglieder besucht wurden.384 In dieser Zeit gab es aber auch Klagen über die zunehmende Verarmung. Um dem entgegenzuwirken, wurden in Altensteig Maßnahmen zur Unterbindung des Kinderbettels unternommen. Außerdem wurde an Kranke "geeignete Kost" verabreicht. Interessanterweise wurde festgehalten, daß an bedürftige Gesunde und Kranke verschiedene Speisen gegeben wurden. Für Gesunde gab es folgende Gerichte: Riebelen, Gerste, Erbsen, Linsen, saure Bohnen, saure Erdbirnen, Erdbirnenschnitze, Erbsensuppe, gebrannte Suppe oder Rumfordsche Suppe. Die Zutaten waren: 7 Pfd. Kochgerste, 3 1/8 Erbsen, 5 ½ Achtel Erdbirnen, 1 ¾ Pfd. Mehl, 8 Pfund frische Ochsenknochen, 1 ½ Pfund Salz, 4 Pfund Wecken, für 3 Kreuzer Grünes. Dies sollte 100 Portionen zu je anderthalb Schoppen ergeben. Fleisch gab es nur für Kranke. Im Unterschied zu der Suppe für Gesunde gab es hier folgende Zutaten: 4 Pfund Reis, ½ Pfund Mehl, 7 ½ Pfund Fleisch, 12 Loth Butter, ½ Pfund Salz, 1 ½ Pfund Knochen und etwas Grünes. Dies war für 30 Portionen zu anderthalb Schoppen gedacht.385 1875 wurde erwähnt, daß die Gottesdienste in Altensteig, besonders am Vormittag, und auch die Bibelstunden gut besucht seien und keine ärgerlichen Störungen vorkamen, daß der kirchliche Sinn in der Gemeinde bei vielen Herzenssache sei und der Pfarrer in hoher Achtung stehe. Die hier existierende Gemeinschaft umfaßte zu diesem Zeitpunkt etwa 40 bis 50 Personen. 383 Matthias Küchel (17.7.1793 - 31.5.1851), Sigel Nr. 34,30. 384 Pfarrbericht Altensteig, 1849. 385 Kühbauch: Aus der Geschichte Altensteigs, S. 177; Eitel: Hospitaliten, Hausarme und andere Bedürftige, S. 637, Essen für Arme in Nürtingen, Rottweil, Hall und Stuttgart. 87 Die Kolonie der „Wernerianer“, mit einer Filiale des Bruderhauses von Reutlingen am Ort, stellte sich freundlich zur Kirche.386 Es wurden aber, wie der Pfarrer 1898 schrieb, auch bereits „gesellschaftliche Ansprüche an den Pfarrer gemacht, die er vielleicht nicht ohne weiteres und rundweg wird von sich weisen dürfen“.387 In der Gemeinde gab es eine Anzahl Beamte, nur noch wenige Bauern, und als Gewerbetreibende vor allem Holzhändler, Rotgerber, Sägmüller, Schreiner, Schuhmacher, Metzger und Bierbrauer. Auch gab es in Altensteig in diesem Jahr schon eine Goldwarenfabrik, „aber die Arbeiter und Arbeiterinnen tragen nicht zur Hebung des sittlichen Lebens bei“. Im Pfarrbericht wurde 1902 von Pfarrer Breuninger388 festgehalten, daß sich außer der sehr ungünstigen Lage der Kirche mit ihrem vor allem im Winter beschwerlichen Zugang, auch „das ausgebildete weltliche Vereinswesen, die Vergnügungssucht, aber auch das Erholungsbedürfnis der abgeschafften Geschäftsleute, bei manchen Männern aber auch das Fehlen des religiösen Sinnes“ nachteilig auf den Kirchenbesuch auswirkten. Auch wurde in dieser Zeit die Sonntagsfeier „durch Arbeit, Besuche von auswärts und die Wirtshäuser“ beeinträchtigt, vor allem in der Heuernte. Trotzdem war der Pfarrer, wenn die Kirche auch nur zu 2/3 besetzt war, mit dem Besuch und der "Christlichkeit" seiner Gemeinde zufrieden.389 Allerdings stellte der Dekan im Jahre 1902 bei seiner Prüfung dem Pfarrer von Altensteig kein allzu gutes Zeugnis aus: „Stadtpfarrer Breuninger neigt zu Oberflächlichkeit, Streben nach einem gewissen Nymbus. Der Jugendunterricht wird als unnötig und als Vergrößerung der Amtsgeschäfte gesehen. Er hat eine wenig kinderliebe Art, wenig begriffliche Schärfe, wenig Gabe der Veranschaulichung, keine Autorität, Gründlichkeit, Beharrlichkeit. Kein Wort der Dankbarkeit oder Anerkennung der Gemeinde. Es fehlt ihm das Verständnis, wie man dem Frieden dient“.390 In Balingen, das, wie in der Pfarrbeschreibung erwähnt wird, schon 1403 mit mehreren Dörfern um 28 000 fl. von Schalksberg-Zollern an Eberhard den Milden von Württemberg verkauft und 1534 von Ambrosius Blarer reformiert worden war, wurde 1828 von Georg Friedrich Gundert391, der von 1824 bis 1831 hier Dekan war, den Einwohnern noch bescheinigt, sie hätten einen klaren Verstand und eine gute Beurteilungskraft, in ihrem Charakter aber etwas Lautes, Derbes, Kräftiges, zugleich aber auch Biederkeit und rege, tätige Teilnahme für leidende Ortsbewohner.392 386 Pfarrbericht Altensteig, 1875; Das Bruderhaus in Reutlingen hatte zwischen 1850 und 1860 mehrere Zweiganstalten gegründet, teils durch Werner selbst, teils durch seine Anhänger. In dieser Zeit existierten zehn solcher Filialen, eine davon in Altensteig. 387 Pfarrbericht Altensteig, 1902. 388 Karl Wilhelm Breuninger (3.11.1852 - 11.10.1933), in Altensteig 1898 - 1908, Sigel Nr. 34,35. Breuninger war 1875 Vikar in Ravensburg, dann Stadtpfarrer in Weingarten und nach einer Tätigkeit in Oedenwaldstetten und Nordheim 1898 nach Altensteig gekommen. Hier war er bis 1908 tätig. 389 Pfarrbericht Altensteig, 1902. 390 Pfarrbericht Altensteig, 1902. 391 Georg Friedrich Simeon Gundert (2.2.1782 in Stgt. - 17.6.1858 in Eßlingen), Dekan in Balingen 1824, in Welzheim 1831, in Eßlingen 1839, Sigel Nr. 66,26. 392 Pfarrbeschreibung Balingen, 1827. 88 Der Dekan Magister Christoph Friedrich Fraas393, als Dekan von 1838 bis 1855 in Balingen tätig, bescheinigte dem Ort 1841, daß in der Gemeinde "wohl kirchlicher Sinn" herrsche, „bei der Mehrzahl der Bewohner auch Zucht und Ehrbarkeit". Er kritisierte dann aber, daß dagegen "bei dem Mangel an aller Gemütlichkeit" ein "religiöser Sinn" wenig bemerkbar sei. Kälte, berechnende Selbstsucht, Eigennutz, starre Anhänglichkeit an das Herkömmliche, unangemessene Eitelkeit und Selbstgefälligkeit schienen die Grundzüge im Charakter der Stadtbewohner zu sein, deren Widerspruchsgeist gegen alles, was ihnen nicht als Althergebrachtes zusagte, und ein trutziger, demokratischer Sinn, der an die Nähe der Schweizer- kantone erinnerte, auffallend war. Die Wochengottesdienste wurden nur sehr spärlich besucht. "Für jetzt werden die Städter meist nur durch auswärtige Bettler, hauptsächlich aus Laufen und Dürrwangen, belästigt“. Anstelle der Betstunden, die nicht mehr besucht worden waren, wurde die Einführung einer Katechisation durch den Diakon für zweckmäßig erachtet.394 Diese Charakteristik der Gemeinde fand sich im nächsten Bericht wörtlich abgeschrieben wieder, und auch am Ende seiner Amtszeit in Balingen , im Jahre 1852, hielt der Dekan, wie schon 1841, in seinem Bericht fest, daß dem Balinger neben der „Gemütlichkeit“ jeder tiefe religiöse Sinn fehle: „Die Grundlagen seines Charakters sind: kalte, berechnende Selbstsucht, Eigennutz, unangemessene Eitelkeit, Anhänglichkeit an das Althergebrachte, an alte Gewohnheiten und Handhabe". Bei allem kirchlichen Sinn, bei aller äußeren Zucht und Ehrbarkeit, worauf die Mehrzahl immerhin sah, war doch auch religiöse Lauheit und Gleichgültigkeit anzutreffen. "Laxe Sonntagsfeier, Leichtsinn im Schließen von Ehen, Mangel an häuslicher Kindererziehung und an Familienleben überhaupt, große Genußsucht der Wohlhabenden, Undank, Mißgunst und Scheelsucht des überhandnehmenden Proletariats sind Zeichen dafür“. "Unfleißig sind die Leute gerade nicht, wenn sie sich auch nicht gerade durch Fleiß eben auszeichnen". Das knapp oder doch mittelmäßige ökonomische Verhalten der meisten hießigen Familien veranlaßte manche zu einem Leben von der Hand in den Mund, "während aber, namentlich seit der Wiederkehr besserer Zeiten, viele mit fragwürdiger Rührigkeit arbeiten und auch die Sparkassen, wenigstens vom weiblichen Geschlecht, gut besucht werden".395 Kritisch stellte der Pfarrer fest, daß auch hier die Erbauungsstunden des Reisepredigers Werner ihr Publikum fanden.396 Der Amtsnachfolger, Wilhelm Klemm397, der von 1861 bis 1867 in Balingen im Amt war, benutzte die Frage nach der Kirchlichkeit seiner Gemeinde zu einem ausführlichen Bericht. 393 M.Christoph Friedrich Fraas (12.3.1791 - 5.5.1861), Sigel Nr. 66,28. 394 Pfarrbericht Balingen, 1841. 395 Pfarrbericht Balingen, 1860. 396 Pfarrbericht Balingen, 1852. 397 Wilhelm August Heinrich Simeon Klemm (12.3.1827 in Stuttgart - 10.8.1884 in Nürtingen), 89 „Um bei der Schilderung der sittlich religiösen Verhältnisse der Gemeinde gegenüber nicht unbillig zu sein, wird man zunächst einzelne Punkte ins Auge zu fassen haben, die möglicherweise die Aussicht von einem tieferen Stand des religiösen Lebens noch verstärken könnten, die aber doch bei näherer Betrachtung ein Gewicht für mildere Beurteilung in die Waagschale legen. Dazu gehört einmal das etwas derbe Naturell, das den Oberländer kennzeichnet, und das besonders um Balingen, noch stärker als z.B. in Ebingen, hervortritt. Dieses Naturell läßt, auch wo der Grund des Gemüts ein redlicher und gutmeinender ist, die zarteren Gefühle überhaupt weniger hervortreten. Bei Beerdigungen z.B. ist es dem Schreiber schon aufgefallen, wie sich auch bei näheren Angehörigen das innere Gefühl des Leides verhältnismäßig wenig zu erkennen gibt. Daß bei diesem Naturell sich die Äußerungen des religiösen Gefühls auch weniger lebendig und innig kund geben, dürfte von selbst folgen. Ein anderer damit zusammenhängender Punkt ist eine gewisse Unbeholfenheit, die sich in Berührung mit anders gearteten Elementen schon zurückzieht. Die weltlichen Beamten hier klagen öfters über den Widerwillen, der in Balingen gegen alles, was „Beamter“ und „Herr“ heißt, herrscht. Allerdings machen auch die Geistlichen die Erfahrung, daß man ihnen hier und da etwas ausweichend begegnet, wie z.B. die Krankenbesuche selten freiwillig erbeten werden, wobei freilich auch der Aberglaube, daß man dann bald sterben müsse, mitwirkt. Dem ungeachtet aber ist es die Überzeugung des Referenten, daß hierbei - abgesehen von den da und dort hervortretenden demokratischen Tendenzen - doch vielfach das Bewußtsein der Leute von ihrer eckigten Unbeholfenheit mitwirkt, und daß, wo ihnen Liebe und Vertrauen entgegenkommt, auch dieses zurück- haltende Benehmen sich wesentlich mindert. Abgesehen aber davon, was zu einer milderen Beurteilung der Gemeindezustände führen könnte, gibt es doch auch anerkennenswerte Seiten in dem Charakter der Gemeinde. Dazu gehört die Einfachheit in Sitte und Lebensunterhalt. Der Balinger Bürger ist zwar, wie auch unten noch näher zu erwähnen ist, leider ein häufiger Wirtshausgänger, aber dem ungeachtet ist Unmäßigkeit und Völlerei verhältnis- mäßig nicht häufig. Die Kost ist, besonders abends, eine fast dürftige. Ebenso ist auch die Sparsamkeit, der sich sein Brot oft teuer erwerbende Fleiß, anzuerkennen, wenn auch der Letztere, eben mit Ausnahme einiger Schuhfabrikanten, hinter der industriellen Tätigkeit der Ebinger Nachbarn, weit zurücksteht und mehr den Charakter des altväterlichen Kleinbürgertums behält. Bei alledem aber ist nun die Frage: wie steht die Gemeinde zu dem Evangelium Jesu Christi? in einer günstigen Weise nicht zu beantworten. Der Wärmemesser des christlichen Glaubens- und Liebeslebens steht in den Städten freilich niedriger, als auf dem Lande. Doch scheint in Balingen der Stand noch einige Grade tiefer zu liegen, als das in mancher anderen Landstadt z.B. des Unterlandes der Fall ist, wobei immerhin auch zu bemerken ist, daß auch die unter dem Lochen gelegenen Landgemeinden in ihrem sittlich-religiösen Leben mehr als andere zu wünschen übrig lassen. in Balingen 1861 - 1867, Sigel Nr. 66,30. 90 Ein ernstes Verlangen nach den Heilsgütern, ein tieferes Verständnis und Erfassen der evangelischen Wahrheit, ist bei dem größten Teil der Gemeinde nicht zu finden, wohl aber statt dessen bei einem nicht so kleinen Teil, besonders der Männer, eine an Geringschätzung streifende Gleichgültigkeit. Die dieser Erscheinung zu Grunde liegenden Ursachen mögen verschiedene sein: 1. der Verkehr mit der Schweiz, der dieser ganzen Oberländer Gegend zwar pekuniären Vorteil, aber in sittlich-religiöser Hinsicht namentlich den dorthin ziehenden ledigen Söhnen und Töchtern nicht viel Gutes einbringt, 2. der in Schwung gekommene Wirtshausbesuch mit seinen ungeistlichen Gesprächen, die alles bekritteln und eine Macht bilden, vor der oft auch die Beschlüsse des Rathauses nicht ganz standhalten, 3. die üblen Nachwirkungen von 1848, vor allem der das Volksleben der Gegenwart überhaupt durchdringende Geist des ungläubigen Weltsinns, der da, wo der Same des Evangeliums nach der Gemütsweise der Bevölkerung nicht tiefer lag, mit seinem frostigen Handel umso leichter ihn verdarb und ertötete“. Die Gottesdienste wurden „an Festtagen zahlreich, an Sonntagen vormittags gewöhnlich in befriedigender Weise besonders von Seiten des weiblichen Geschlechts“, besucht, stellte der Pfarrer fest. Der Besuch der Nachmittags- Kinderlehre, sowie der Wochengottesdienste war dagegen sehr dürftig. Die Sonntagsfeier wurde von manchen zwar nicht gerade öffentlich, aber doch durch Geschäfte im Hause, gestört. Mittags brachte das Hereinströmen der Landbevölkerung, die, im Verein mit den Balingern, die Wirtshäuser füllte, ein unruhiges und unordentliches Treiben in die Stadt herein. Offen hervortretende Exzesse sowohl durch Arbeit, als lärmende Lust, wurde mit kirchenkonventlicher Rüge entgegengetreten. Im Familienleben kamen Störungen nicht sehr selten vor. "Im letzten Jahr wurde eine Ehe wegen Ehebruchs der Frau - der Mann ist auch ein sehr roher Mensch - gerichtlich getrennt". Bei der Erziehung der Kinder fehlte es auch in Balingen allgemein "an sittlichem Ernst und Konsequenz". Da in manchen Häusern der Hausgottesdienst und das Tischgebet - zum Teil aus falscher Rücksichtnahme auf die im Hause befindlichen fremden Arbeiter - leider in Abgang gekommen waren, so ließ sich schon hieraus ermessen, daß die Erziehung in vielen Häusern "statt eine Zucht und Vermahnung zum Herrn mehr eine Abrichtung für die Geschäfte des äußeren Lebens" war. Die ledige Jugend war deshalb teils infolge mangelhafter Beaufsichtigung durch die Ihrigen, teils auch durch das üble Beispiel und den Einfluß der vielen fremden Schuhmacher-Gesellen "vielfach dem Leichtsinn und der Zuchtlosigkeit zugewendet. Auch die ledige Jugend aus dem Beamtenstande gab durch zügelloses Benehmen in den letzten Jahren mannigfachen Anstoß. Durch Personenwechsel hatte sich das aber neuerdings gebessert". 91 Für allgemeine christliche Interessen war hier nicht viel Sinn. Ein Halbbatzen- verein für die Mission bestand in einem engeren Kreise, desgleichen fanden auch "Missions- und Bibelstunden ihr bestimmtes, wenn auch kleines, Publikum". "So manches Niederschlagende die bisher geschilderten Verhältnisse auch in sich schließen, so getrösten sich die bestellten Diener des Wortes dessen, daß dieses Wort des Herrn doch auch nicht leer zurückkehren werde. Es gibt immerhin auch hier nicht bloß manche rechtlichen Gemüter, die vom Reich Gottes nicht ferne sind, und oft weniger fern sein mögen, als es den Anschein hat. In einzelnen Fällen durfte die Seelsorge auch herzerquickende Erfahrungen von demütiger Glaubenseinfalt und bewährter Christengesinnung im Leben und Sterben bei solchen, in denen der Geist in der Stille sein Werk gehabt hatte, machen“.398 1883 bescheinigte der Pfarrer seiner Gemeinde, daß die Kirche bei den Vormittagsgottesdiensten voll war, nachmittags die Männer aber so ziemlich fehlten, daß überhaupt, auch hier, die Frauen zahlreicher als die Männer erschienen. Den Grund hierfür sah er nicht in einer Gegnerschaft gegen die Kirche, sondern "in einer heillosen Bequemlichkeit, verbunden mit durchaus mangelndem Gefühl für sonntägliche Feier", was er der Amtsführung des gutmütigen, aber unfähigen früheren Stadtschultheißen zur Last legte.399 Auch Heinrich Meissner400, seit 1906 Dekan in Balingen, war über den Kirchenbesuch und die Sonntagsheiligung in seiner Gemeinde nicht gerade glücklich. Er schrieb 1922: „Hier war der Kirchenbesuch von jeher Gegenstand der Klage, ähnlich wie in den südlichen Nachbargemeinden Endringen, Erzingen, Dürrwangen, wogegen Engstlatt, Frommern und Weilheim besser bestellt sind“.401 Die Frauen waren an den Sonntagen befriedigend vertreten, dagegen wurde den Männern seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer nachdrücklicher ihr Versagen bezeugt. Als Gründe wurde angegeben: „demokratische Parteien, Doktrin und unverständliche Gleichgültigkeit für kirchliche Werke, wenn nicht für Religion überhaupt. So muß man an vielen Sonntagen neben einem vollen Frauenschiff sich mit ungefähr fünfzig männlichen Hörern begnügen, während die Festtage mit einer volleren Männerbesetzung zeigen, wie eine Kirche eigentlich aussehen sollte oder könnte“. "Kirchliche Gemeindeabende können mehr oder weniger kaltem Unverstand und oberflächlicher Ablehnung begegnen, während Vereinsveranstaltungen aller Art für Vergnügen, Gesang, Turnen und so fort das willige Ohr und die tätige Mithilfe der Männerwelt finden. Immerhin ist bei der Seelsorge zu beobachten, daß sich Worte und Persönlichkeiten der früheren Geistlichen dem empfänglicheren Teil der Gemeinde eingeprägt haben. 398 Pfarrbericht Balingen, 1863. 399 Pfarrbericht Balingen, 1883. 400 Heinrich Meissner (21.1.1863 - 10.2.1942), Dekan in Balingen 1906 - 1927, Sigel Nr. 66,37. 401 Pfarrbericht Balingen, 1922. 92 Bei der Männerwelt trug das freilich zum Unheil bei, bei Namen wie Dekan Cranz402 (1873 - 1880) und Helfer Siedler (1872 - 1876). Letzterer verband mit äußerer Ansehnlichkeit ein liebenswürdiges Wesen und die einschmeichelnde Beredsamkeit und er genoß beim weiblichen Geschlecht die ausschweifendste Verehrung. Es wird in diesem Zusammenhang berichtet, die Christenlehre sei besucht gewesen, wie ein voller Sonntagmorgen". "Das hierdurch geweckte Mißtrauen der Männer erwies sich als nur zu berechtigt, benennt man doch heute noch historische Menschen als seine Nachkommen“.403 Der Helfer Siedler wurde 1889 schließlich wegen Sittlichkeitsvergehens zu 1 ½ Jahren Zuchthaus verurteilt und vom Kirchendienst suspendiert. Der Dekan Karl Hermann Cranz, dessen Nachgiebigkeit gegen seinen Helfer hier von seinem Nachfolger so sehr beanstandet wurde, hatte in seinem Bericht 1874 noch bemerkt: „Den Maßstab einer fränkischen Gemeinde, wie ich solche seit 20 Jahren kenne, hier anlegen zu wollen, wäre verfehlt, da ich sonst im Punkt des Kirchenbesuchs und der Sonntagsheiligung tief aufseufzen müßte. Der Grund des Wegbleibens des größten Teils der Männer liegt nicht sowohl in unchristlichen Grundsätzen, als vorzugsweise in religiöser und kirchlicher Gleichgültigkeit, oder, wie die Kirchenältesten sich ausdrückten, weil es bei ihnen aus der Mode gekommen sei“.404 In einem späteren Bericht erwähnt der Pfarrer von Balingen 1922: „Nach Kriegsende brachten die Heimkehrer sichtlich eine starke Kirchenverdrossenheit mit vom Felde. Den Gottesdienst besuchten nur noch einzelne regelmäßig, wenige gelegentlich“. „Qualvoll war für den Geistlichen der sonntägliche Zwang zum Reden vor solchen widerwilligen und verblendeten Hörern, wo man angesichts der unsicheren Lage lieber geschwiegen hätte“. „Die Sonntagsvergnügungen lärmender Art haben stark abgenommen, leben aber in der Gegend neuerdings wieder stark auf, besonders der Fußball-, Radler-, Blechmusik-Sport. Besonders in Blüte ist der durch starken Geldbesitz unterstützte Privatsumpf der Jugend in Wirtschaften und Cafes. In der leichten Bergluft wird auch viel gewandert. Die ledige Jugend ist durch Krieg und Revolution grundverdorben. Kino, Theater, Kleider und Alkohol beherrschen Gedanken und Sinne. Aus der Schweiz kommt man viel geordneter nach Hause, als aus deutschen Städten. Allmählich hat sich der Kirchenbesuch, wie vor dem Kriege, wiederhergestellt. An Sonntagen mit vier bis fünf Dutzend Männern und mehreren hundert Frauen, an Festtagen alles voll, bei 1 200 Sitzplätzen“.405 Hier ist einer der sehr seltenen Fälle, daß eine genaue Zahlenangabe die Möglichkeit gibt, sich ein ungefähres Bild vom tatsächlichen Kirchenbesuch zu machen. Sonst wurde die Zahl der Kirchenbesucher nur immer ganz allgemein angegeben. 402 Karl Hermann Cranz (4.3.1824 - 18.7.1895), Dekan und Bezirksschulinspektor in Balingen 1873 - 1880. Sigel Nr. 66,32. 403 Pfarrbericht Balingen, 1922. 404 Pfarrbericht Balingen, 1877. 405 Pfarrbericht Balingen, 1922. 93 Der Pfarrer von Biberach beanstandete 1870 den geringer werdenden Kirchenbesuch, den "Verfall des religiös-sittlichen Lebens", und er sah als Grund für diese Erscheinung auch hier nicht eine Unkirchlichkeit, sondern mehr Gleichgültigkeit gegenüber den kirchlichen Anliegen. Die Pfarrkirche und die Magdalenenkirche wurden simultan genutzt.406 Beim Simultaneum handelte es sich um ein Reichsgrundgesetz (leges imperii fundamentales), das im Westfälischen Frieden den Hauptkonfessionen in den Reichsstädten Augsburg, Biberach, Ravensburg, Dinkelsbühl und dem Hochstift Osnabrück das Recht auf öffentliche oder private Religionsausübung erlaubte, dazu die paritätische Ausübung des Stadtregiments.407 Es war in Biberach bis 1817/18 gültig und wurde erst von der neuen württembergischen Verfassung abgelöst.408 Der Pfarrer konstatierte weiter: "Der Geist der Zeit will keine Autorität mehr anerkennen, und besonders die Gebildeten sind ganz der christlichen Sitte entschlagen".409 1876 beanstandete er, daß die Männer oft nichts dagegen hatten, wenn ihre Frauen allein in die Kirche gingen und manchmal auch allein zum Abendmahl kamen.410 „Die Männer allerdings gehen häufig Sonntagmorgens ihrer Arbeit nach und mittags der fleischlichen Leibespflege. Dem irdischen Beruf wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als dem Ewigen und der christlichen Zucht. Der Zeitgeist ist ein Geist der Freiheit im schlimmen Sinn ohne alle Gewissens- bedenken“.411 Bei den alten Familien war auch 1885 der "Geist der Reichsstadt" noch spürbar. "Man hält auf Namen und Ehre. Es fehlt nicht an Hausandachten, obwohl lauernd dort "der Iditschel“ die Herzen umschlingt“.412 Auf der anderen Seite sah der Pfarrer aber auch gestörte Familienverhältnisse durch den Zuzug verkommener Leute und den Wirtshausbesuch., und der Ortsvorsteher neigte bei gemeinsamen Amtsgeschäften zur katholischen Religion. Außerdem störten am Sonntag die Geschäfte mit dem Landvolk. 1885 merkte der Dekan an: „Ansprechender Kirchenbesuch. Sonntagsruhe zufriedenstellend. Jeden Sonntag drei Predigten. Der Gemeinde ist religiöser Sinn nicht abzusprechen. In der Mehrzahl lebt ein besserer Geist". Auch nach der Jahrhundertwende war der Kirchenbesuch der Frauen noch "entschieden gut", bei den Männern "ziemlich gut". Die "Geselligkeit beim Glas" beeinträchtigte den Familienfrieden und die Kinderzucht, und der Sport war im Zunehmen. 406 Diemer: 450 Jahre Simultaneum; Schäfer, Chr.: Das Simultaneum; Riotte: Biberachs Konfessions- und Verfassungsentwicklung, in: BWKG 99 (1999), S. 51 - 80. 407 Chr. Schäfer: Das Simultaneum. S. 42. 408 Riotte: Biberachs Konfessions- und Verfassungsentwicklung. In: BWKG 99 (1999), S. 51 - 80. 409 Pfarrbericht Biberach, 1870. 410 Pfarrbericht Biberach, 1876. 411 Pfarrbericht Biberach, 1876. 412 Pfarrbericht Biberach, 1885. 94 Die Christlichkeit wurde in dieser Zeit außer am Kirchen- und Abendmahlsbesuch auch an anderen Fakten gemessen, beispielsweise am Lesen christlicher Blätter, die der Pfarrer von Biberach in seinem Bericht des Jahres 1913 einzeln aufführte: Stuttgarter Sonntagsblatt 246, Christenbote 67, Christlicher Volksfreund 109, Heidenbote 10, Jugendfreunde 10, Des Jünglings Freund 25, Das Evangelische Familienblatt 258 Abonnenten.413 Bemerkenswert ist, daß in dem Pfarrbericht von Biberach weder die politischen Unruhen von 1848/49, mit Ausnahme einer Bemerkung über den "Zeitgeist", Erwähnung fanden, noch der Krieg von 1866 oder 1870/71. Anscheinend waren dies Themen, die nicht in einen Pfarrbericht gehörten. Nur die Rander- scheinungen, die Unruhen, die Auswirkungen auf den Kirchenbesuch, die radikale Gesinnung, der "Geist der Zeit", fanden hin und wieder Erwähnung. Auch in Blaubeuren war die Ansicht des Pfarrers über seine Gemeinde geteilt. Auf der einen Seite gab es selbstverständlich die christlichen Familien, die den Gottesdienst besuchten, die auf Sitte und Zucht hielten und auch sonst nach dem Pfarrer verlangten. Auf der anderen Seite gab es aber auch hier wieder die Bürger, die den Sonntag auf ihre Weise gestalteten, die der Kirche gleichgültig gegenüberstanden und die fleißig die Wirtschaften frequentierten. In der Pfarrbeschreibung von 1827 wurde festgehalten: „Die Blaubeurer erscheinen an Sonn- und Feiertagen zahlreich in den Predigten und gehen größtenteils fleißig zum Heiligen Abendmahl. Sie verlangen, wenn sie erkranken, geistlichen Zuspruch von den Beichtvätern und setzen einen besonderen Akzent darauf, von ihnen besucht zu werden. Auch vergeht selten ein Monat, ohne daß ein- oder einigemale für schwer Leidende in der Kirche auf ihr Begehren gebetet werden muß. Dagegen werden die Feiertags- und Bußtagspredigten nie zahlreich, die Sonntagskinderlehre von wenigen, die Wochenkatechisation und Wochen- gottesdienste überhaupt von Erwachsenen in der Regel gar nicht besucht". Dann kamen auch hier die kritischen Anmerkungen: "Den Sonntagnachmittag bringt selten ein Bürger zu Hause zu. Jeder will sich jetzt nach seiner Weise gütlich tun. Einige machen Spaziergänge auf die benachbarten Dörfer und geben den Wirten daselbst mehr oder weniger zu lösen. Die meisten sitzen in dem Städtchen selbst in den Wein-, Bier- und Branntweinhäusern umher, essen und trinken da, unter allerhand Raisonnements über ihre städtischen Angelegenheiten, zuweilen auch über die Kanzelvorträge ihrer Prediger, und legen oft keine kleine Zeche hin. Es ist überhaupt viel Genußsucht unter Alten und Jungen, der es hier, wo neben einem reichen Hospitale, auf das man sich verläßt, 35 Branntweinbrenner, 6 Bierbrauer, 7 Schildwirte, 4 Gassenwirte sind, in einem Städtchen von 1 809 Seelen, an Befriedigung aller Art nicht fehlen kann. Die Zahl der Armen in der Parochie ist bedeutend“.414 413 Pfarrbericht Biberach, 1913. 414 Pfarrbeschreibung Blaubeuren, 1827. 95 Auch 1845 wurde die Gemeinde Blaubeuren von dem Dekan und Stadtpfarrer Gottlieb Benjamin Friedrich Haas415 noch sehr differenziert gesehen: „Durch geistige, sittliche und religiöse Bildung zeichnet sich die Gemeinde nicht aus, obwohl in ihrer Mitte verhältnismäßig viele Gebildete wohnen. Was den Charakter der Gemeinde betrifft, so hat dieselbe sehr verschiedene Bestandteile in ihrer Mitte, wonach sich auch das sittlich-religiöse Leben darstellt. Es gibt in der Gemeinde eine Anzahl rechtschaffener, fleißiger, geordneter Mitglieder, die auf gute Sitte und Zucht halten, und deren manchen religiöser Sinn und geistliches Wohlverhalten nicht abzusprechen sind. Es gibt aber auch andere, bei denen neben äußerer Gesetzmäßigkeit das Vorhandensein einer sittlich- religiösen Grundlage ihres Lebens und Handelns mehr oder weniger ungewiß bleibt. Nicht unbeträchtlich ist aber die Zahl solcher, unter welchen Bequemlichkeit und Trägheit, Genußsucht, Unzufriedenheit, Lästergeist und andere in deren Gefolge stehende Unordnung Eingang gefunden haben und bei welchen auch die Hoffnung auf Unterstützung des vermöglichen Hospitals nicht ohne Einfluß auf Berufs- und Pflichtversäumnisse bleiben". Die Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen, besonders die Predigten, wurden von einem Teil der Gemeinde, bei welchen auch die kirchlichen Anstalten in Achtung standen, fleißig besucht. Von einem anderen Teil konnte dies, wenigstens in gleicher Weise, keinesfalls gesagt werden. Die Gemeinde hatte auch manche "gegen die Segnungen der Kirche gleichgültige Mitglieder". Im Besuch der Gottesdienste und in der Teilnahme am heiligen Abendmahl hatte aber in den letzten Jahren keine Abnehmen stattgefunden. "Auch wurden durch das Wirken des Reisepredigers Gustav Werner manche Mitglieder der Gemeinde der Kirche zwar nicht entfremdet, aber mit Mißtrauen gegen das Kirchenamt erfüllt, unter welchen gerade solche sind, die zu den geistig Angeregteren gehören“416. 1860 schrieb der Pfarrer, seine Gemeinde werde so ziemlich wie in anderen kleinen Städtchen sein, vielleicht etwas genußsüchtiger, als in manchen anderen, noch mehr aber arm an tieferem und regerem christlichen Sinn und Leben. "Nicht, daß solches hier nicht zu finden wäre, aber im allgemeinen wird man sagen müssen, daß wenigstens das positive Christentum hier weniger zu Hause ist, als in manchen anderen Städten. Die vorhandene Religiosität hat oft mehr allgemeine Natur, spricht sich in moralischen Grundsätzen aus, aber spricht viel mehr aus, als daß sie es wirklich wäre". Die Kirche war auch an den Sonntagen nicht so voll, wie sie nach der Ansicht des Pfarrers hätte sein können, und zwar deshalb, weil hier das Kirchengehen nicht mehr "Volkssitte" war. Auch beim Abendmahl war die Teilnahme nicht besonders groß, auch "wenn die Honoratioren nicht eben seltene Gäste waren".417 415 Gottlieb Benjamin Friedrich Haas, 1844 - 1853 in Blaubeuren. Sigel Nr. 15,31. 416 Pfarrbericht Blaubeuren, 1851. 417 Pfarrbericht Blaubeuren, 1860. 96 In Böblingen schließlich wurde schon 1828, also in der ersten Pfarrbeschreibung, darüber geklagt, daß bereits in dieser frühen Zeit das Interesse an der Kirche abnehme. „Hochzeiten mit Predigten und feierlichem Kirchgang werden beispiels- weise immer seltener“. 1862 konstatierte der Pfarrer auch schon ausgesprochene „Kirchenverächter“, und es wurden „nicht wenige Manchmal-Kirchgänger“ erwähnt, 1870 schließlich eine auch noch „ziemliche Zahl von Gewohnheits- christen“ und „Jährlingen“. Positiv erwähnt wurden die Achtung vor Gottes Wort und die Wertschätzung der Gnadenmittel durch einzelne Glieder der Gemeinde, auch die Tatsache, daß der Stadtschultheiß und die bürgerlichen Kollegien die Kirche fleißig besuchten, daneben die Spendenfreudigkeit für die Basler Mission und die Rechtschaffenheit vieler Familien. Auch wurde betont, daß das Verhalten der Gemeindeglieder untereinander doch ein sehr friedliches war. Daneben konstatierte der Pfarrer aber schon im Pfarrbericht von 1862 auch die negativen Seiten, außer der hohen Rate der unehelichen Geburten, daß die Dienstboten genußsüchtig und leichtsinnig seien.418 Bei Verlöbnissen war häufig nicht die Liebe entscheidend, es wurde „nach dem Sach“ gefragt“.419 Hinzu kamen 1874 Klatschereien, Trachten nach irdischem Besitz, Habsucht, Geiz, Genußsucht, Wirtshausbesuche, Kinderluxus und Hang zu sinnlicher Zerstreuung. Außerdem gab es zerrüttete Ehen und häuslichen Unfrieden, und bereits 1880 zwei nach Einführung der Zivilehe "wegen Gleichgültigkeit ohne kirchlichen Segen geschlossene Ehen".420 Wenn man 1865 auch über die gute Verdienstmöglichkeit in den Fabriken froh war, so mußte man doch feststellen, daß die Zuckerfabrik sehr stark zur „Zügellosigkeit“ beitrug und es vielen Eltern leider unmöglich machte, noch in irgend einer Weise erzieherisch auf ihre Kinder, die hier Geld verdienten, einzuwirken. Hier wurde in der „Kampagne auch Sonntags gearbeitet“. Außerdem war bei den Industriearbeitern die Unehelichengeburtenrate besonders hoch.421 In diesem Jahr war es in Böblingen auch zu einer Ehescheidung gekommen. Der Mann war nach Amerika ausgewandert und hatte seine Familie zurückgelassen, was für den Pfarrer ein Beweis dafür war, daß es neben dem „friedlichen ehelichen Leben auch sittliche Verkommenheit und Roheit“ gab. Der Pfarrer nahm auch in seinem Bericht von 1907 wieder zu den Mißständen in seiner Gemeinde Stellung, indem er schrieb "die Böblinger waren schon immer ein rauher, von der Kultur noch wenig beleckter Menschenschlag“.422 Der spätere Prälat von Gerok, der hier 1844 sein erstes Diakonat angetreten hatte, war schon 1845 der Ansicht, daß die Stadt bereits damals eine "unkirchliche Gemeinde" war.423 418 Pfarrbericht Böblingen, 1862. 419 Pfarrbericht Böblingen, 1873; Gesetz über die Einführung der obligatorischen Zivilehe vom 6.2.1875. 420 Pfarrbericht Böblingen, 1877. 421 Pfarrbericht Böblingen, 1865. 422 Pfarrbericht Böblingen, 1904. 423 Pfarrbericht Böblingen. 1883. 97 Der Pfarrer von Eßlingen lobte 1842 noch den guten sittlich-religiösen Zustand seiner Gemeinde, der in der Mehrzahl ihrer Glieder nicht unerfreulich sei. Er erwähnte die Religions- und Ordnungsliebe, die Rechtlichkeit, Sparsamkeit und Arbeitsamkeit seiner Gemeindeglieder. Er stellte auch „einen oft tiefen Sinn für Religion und regen Eifer im Besuch des Gottesdienstes fest, daneben auch ein Verlangen nach Zuspruch auf dem Krankenbett“.424 Schon 1848, nach dem Bau der Maschinenfabrik Eßlingen425 (1846), sah er aber den sittlich-religiösen Zustand seiner Gemeinde „nicht mehr so befriedigend". Die Unsittlichkeit hatte vor allem durch die von außen gekommenen fremden Arbeiter zugenommen. Halbgebildete stellten die Schattenseite der Aufklärung dar. Besonders bei den niederen Schichten fanden sich irreligiöse und unsittliche Grundsätze.426 Im Pfarrbericht von 1851 wurde Klage darüber geführt, daß im Mittelstand „ein niederer Geist die Herrschaft erringen will", und die Saat des Unglaubens bei der nun schon auf mehrere Tausend sich belaufenden Zahl der Fabrikarbeiter sich ausbreitete, unterstützt "durch eine leichtfertige Presse". Der größere Teil der Bevölkerung, besonders in den Filialen, hatte aber noch keinen Anteil an dieser "Verwilderung".427 Die Zahl der Unehelichengeburten betrug inzwischen (1860) 11%, aber das war 1850 auch schon so gewesen. Der Pfarrer glaubte außerdem in dieser Zeit sogar „eine planvolle Arbeit an der Entchristlichung der Gemeinde" registrieren zu können.428 Die Gemeinschaften nahmen ab durch den Tod der Leiter und „den Geist der Zeit“. Gustav Werner hatte in Eßlingen „stille Freunde“.429 Zwanzig Jahre später, 1880, konnte ein anderer Pfarrer "keine ungünstigen Seiten der Gemeinde“ feststellen. Er freute sich über den guten Kirchen- und Abendmahlbesuch und über die hervorragende Opferbereitschaft. Seine seelsorgerische Tätigkeit wurde sehr geschätzt. Daneben gab es in der Gemeinde aber auch manche Männer, die ihre Familie vernachlässigten und ihren Verdienst verpraßten. Hinzu kam noch der Notstand des letzten Winters. Die Kinder wurden durch den frühen Verdienst in der Industrie gegenüber den Eltern unabhängig.430 Die „amerikanische Sonntagsschule“, eine Institution der Methodisten, die von 800 Kindern besucht wurde, hatte 10 Lehrer und 50 Lehrerinnen. In Mettingen, Krummenacker, Sulzgries und Liebersbronn hatte die Sonntagsschule 30 - 50 Kinder und 2 Lehrerinnen".431 Es gab 1883 auch in Eßlingen außer den christlichen Vereinen „weltliche Vereine zum gesellchaftlichen Vergnügen“, die Maienfeste, Waldfeste, Herbstfeste, Turn- und Schützenfeste veranstalteten. 424 Pfarrbericht Eßlingen, 1842. 425 Schomerus: Die Arbeiter der Maschinenfabrik Eßlingen. 426 Pfarrbericht Eßlingen, 1848. 427 Pfarrbericht Eßlingen, 1851. 428 Pfarrbericht Eßlingen, 1860. 429 Pfarrbericht Eßlingen, 1860. 430 Pfarrbericht Eßlingen, 1880. 431 Pfarrbericht Eßlingen, 1880. 98 Die Eheschließungen ohne Einschaltung der Kirche nahmen zu, und die ländliche Darlehenskasse mußte gegen „Eindringungsversuche israelitischer Wucherer kämpfen".432 In Geislingen waren 1828 zwar „die geistigen und sittlichen Eigenschaften nicht ausgezeichnet, aber auch nicht verwahrlost“, stellte der Pfarrer in seinem ersten Bericht fest.433 Sieben Jahre später, 1835, konstatierte er in seiner Gemeinde "eine gewisse Ehrenhaftigkeit, Liebe zur Ordnung und Reinlichkeit, andererseits aber auch „keine große Arbeitslust und ziemliche Genußsucht“, und schon in dieser Zeit wurde auch hier erwähnt: „Der Kirchenbesuch dürfte besser sein“.434 1847 wurde die Ehrbarkeit, die Ordnungsliebe, Reinlichkeit, Gewerbstätigkeit verbunden mit viel Mildtätigkeit gegen Arme und der fleißige Besuch der Vormittagspredigten gelobt, aber gleichzeitig auch auf die Genußsucht und die Gleichgültigkeit gegen die Verarmung aufmerksam gemacht, und auf die Störung der Sonntagsfeier durch die Eisenbahnarbeiter. Auch in Geislingen wurden damals die meisten unehelichen Kinder auswärts geboren. und gebettelt wurde auch nur von Auswärtigen. Die Beurteilung des Stadtpfarrers und Dekans Ludwig Majer durch den Prälaten Osiander war sehr wohlwollend435: „Dekan Majer ist als Geschäftsmann sehr tüchtig und pünktlich, führt seine Amtsbücher mit großer Genauigkeit, genießt das Zutrauen seiner Gemeinde in hohem Grade. Er benutzt seine freien Stunden zur Fortsetzung seiner Studien in der Theologie und in anderen Fächern, so daß er auch in dieser Beziehung wissenschaftlich anregend auf seine Diözese wirken kann. Die Visitationspredigt war erbaulich und dem Text gemäß disponiert, und wurde mit angenehmer und lebhafter Deklamation vorgetragen“.436 Der Prälat Osiander benotete die Leistungen des Dekans Majer wie folgt: Predigt, Gehalt und Form gut, Schulaufsicht recht gut, Treue recht gut, Geschäfte gut, Sittlichkeit recht gut. 1877 stand im Pfarrbericht, daß in Geislingen neben der eingesessenen Bürgerschaft ein angewachsener Zuzug von Arbeitskräften stattgefunden habe. Der Pfarrer berichtete in der Beschreibung dieses Jahres: „Es gibt noch viele Beindreher mit einer ungesunden Überproduktion, aber auch schon eine große, alles beherrschende Fabrik mit über 500 Arbeitern, die aber noch auf ihre Selbständigkeit Wert legen und sich nicht als Fabrikarbeiter fühlen".437 432 Pfarrbericht Eßlingen, 1883. 433 Pfarrbeschreibung Geislingen, 1828. 434 Pfarrbericht Geislingen, 1835. 435 Dekan Ludwig Majer (18.1.1803 - 25.2.1875), 1845 - 1875 Dekan in Geislingen. Sigel Nr. 350,21. 436 Pfarrbericht Geislingen, 1850. 437 Pfarrbericht Geislingen, 1877. 99 In der Württembergischen Metallwarenfabrik, die hier angesprochen wurde, arbeiteten damals auch Leute aus Norddeutschland, Baden, Böhmen und Polen. „Die Großindustrie saugt das Kleingewerbe auf“. Außerdem brachte die Bahnhof- erweiterung, wie schon vorher der Eisenbahnbau, hundert Südtiroler und Italiener in die Stadt. 1892 wurde beanstandet, daß unter den Evangelischen kein Bewußtsein der Zusammengehörigkeit mehr zu finden sei, daß der Geist des Evangeliums nicht mehr im Mittelpunkt des Lebens stehe, daß nun auch schon über 1 000 Katholiken sich im Ort befanden, und die 42 weltlichen Vereine keine Rücksicht mehr auf die Kirche nahmen. Die Metallwarenfabrik hatte schon damals ihre 1 450 Arbeiter in einem Wohlfahrtsverein organisiert, der sich aller sozialen Bedürfnisse der Arbeiter annahm, und sich um Gesundheit, Wohnung, gemeinsamen Einkauf von Lebensmitteln und die Jugendbildung kümmerte. Der Pfarrer von Gmünd sah in seinem Pfarrbericht zunächst die stark gemischte Bevölkerung, die aus Fabrikherren, Gewerbetreibenden, Beamten auf der einen Seite, dann aber auch der wachsenden Zahl von Arbeitern, einer kleinen Zahl noch Ackerbau treibenden und einer großen Zahl von aus dem Umland hereinziehenden Taglöhnern bestand. Er stellte viel religöse Gleichgültigkeit bei den Fabrikarbeitern, aber auch auf Seiten der Fabrikanten fest, und „viel Katholisierendes auch bei kirchlich Gesinnten, recht wohl auch viel Protestantisches, aber wenig Evangelisches“. Er registrierte andererseits aber auch den fleißigen Kirchenbesuch, eine stete Willigkeit zum Geben, sowohl für allgemeine christliche Zwecke, "als auch - was besonders seit der Neuerstellung des Vereinshauses lebendiger sich zu erkennen gab und kräftiger gepflegt werden konnte - ein allmählich festeres Zusammen- halten der Evangelischen untereinander“.438 Selbst in der kleinen Remstalgemeinde Großheppach registrierte der Pfarrer um das Jahr 1850, es gebe Personen, die in religiöser und sittlicher Hinsicht verkom- men waren und deren schlechter Einfluß auf andere nicht zu verkennen sei“. Zunächst wurde Stellung genommen zu den kirchlichen Gebäuden, deren Zustand als noch zufriedenstellend bezeichnet wurde. Da aber auch die Filialisten von Kleinheppach aufgenommen werden mußten, war die Kirche zu klein, „übrigens insofern dennoch geräumig genug, als die Kleinheppacher die Kirche gewöhnlich nicht fleißig besuchen“. 438 Pfarrbericht Gmünd, 1893. 100 In seinem letzten Pfarrbericht von 1857 bemerkte der Pfarrer Karl August Spring439, der noch in diesem Jahr verstarb: "Die Teilnahme am öffentlichen Gottesdienst ist im allgemeinen in der Parochie vorhanden. Allein nicht nur nimmt die Zahl der teilnehmenden Familien ab, und zwar sowohl unter der großen zunehmenden Zahl sittlich und ökonomisch herabgekommener Familien des Mutterortes und der Filialen, als auch hier und da solcher Familien, die in genannter Beziehung besser stehen, sondern es ist auch in dem bei weitem größten Teil der Gemeinde nicht eigentlich ein innerliches Interesse am öffentlichen Gottesdienst wahrzunehmen, als mehr nur ein Beobachten der äußerlichen Ordnung, die zu verlassen oder herabzusetzen man sich schämen würde. Aber ein guter Kern etlicher Familien und mehrerer einzelner Personen ist doch noch vorhanden, besonders aber unter der weiblichen erwachsenen Jugend, wo eine Herzensteilnahme am öffentlichen Gottesdienst und Lust zur Wahrheit zu finden ist. Sehr zu bedauern ist insbesondere, daß nur eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Kleinheppacher Filialisten die Gottesdienste in Großheppach besuchen. Dies ist umso auffallender, da die Bibelstunden im Filial an den Feiertagen, an welchen keine Kinderlehre im Filial ist, wegen der Kränklichkeit des Pfarrers aufgehört haben und zu seiner Zeit zahlreiche Teilnahme fanden. Das weist noch deutlicher darauf hin, daß, wenn die Gemeinde keinen Segen im Ort haben kann, die Wenigsten denselben im Mutterort zu suchen Lust bezeugen, und somit die Meisten ihre Gleichgültigkeit am Worte Gottes bekunden“. „Groß- und Klein-Heppach hat zu seiner Zeit Gelegenheit zur Nacheiferung genug gehabt, da die öffentlichen Gottesdienste sowohl im Mutterort, als im Filial, namentlich die freiwilligen Bibelstunden im Letzteren, ehemals von Fremden an den Nachbarorten zahlreicher besucht worden sind. Allein seit etwa zwei Jahren haben die Gemeindemitglieder keinen Grund mehr, sich zu beschweren, daß Fremde ihnen ihre Plätze versperren. Es sind seit dem Ausbleiben derselben viele ganze und halbe Bänke in den Sonntagsgottesdiensten sogar vormittags leer. Die Wochengottesdienste sind aber noch immer von 50 bis 150 Personen besucht“.440 Drei Jahre später war zu lesen: „In Beziehung auf die seelsorgerliche Tätigkeit findet der Pfarrer manche zugängliche, aber auch noch viel mehr verschlossene Gemüter, die vom Sauerteig der Selbstgerechtigkeit, welcher eigentlich der religiöse Grundton der Gemeinde genannt werden kann, durchdrungen sind. Daher kommt es auch, daß von einer Sinnesänderung keine Beispiele vorkommen seit Jahren, und diejenigen, die darin stehen, sind ein alter Samen von vielen Jahren her, der in einem Jahrzehnt keinen Zuwachs erhalten hat, nicht auch in einer einzigen Seele, die sich bekehrt hätte. Namentlich zeigt sich unter der männlichen Jugend noch immer, wie seit urdenklichen Zeiten, eine ausnehmende Gleich- gültigkeit gegen das Heil der Seele, und eine Verschlossenheit gegen die Wahrheit und die seelsorgerlichen Ermahnungen. Leider hat die Jugend in der Gemeinde auch kein lebendiges Vorbild eines ernsten Christenglaubens und Christenlebens in den meisten Familien, in deren nicht wenigen der Hausgottesdienst und die Kinderzucht teils ganz darniederliegt, teils schlaff und schläfrig betrieben wird“. 439 Karl August Spring (1.5.1807 - 26.7.1857), Pfarrer in Großheppach 1849 - 1857, Sigel Nr. 407,46. 440 Pfarrbericht Großheppach, 1857. 101 "Bei der allgemeinen Selbstgerechtigkeit sieht fast Jedes in der Gemeinde mehr auf sich, als auf andere, darum gehen Vereine, wie der freiwillige Armenverein oder ein Beschäftigungsverein wieder aus, ehe man sich's versieht. Was den äußeren Ehestandsfrieden betrifft, so kommen zwar sehr wenige Ehedifferenzen vor, aber das hat seinen Grund nicht in einem lebendigen Christentum. Es gibt es sogar einige Familien, wo Hausvater und Hausmutter zu den Gemeinschaftsgliedern sich zählen, und beide leben doch in einem geheimen Unfrieden, dessen Geschwür man nur nicht offen sehen lassen will“. Der Dekan von Hall, Magister Eytel,441 beklagte schon in seinem Bericht von 1843, die Sitte des Kirchenbesuches sei zu "Reichsstadt-Zeiten" besser gewesen und habe in letzter Zeit abgenommen, aber man könne mit der "Kirchlichkeit" immer noch zufrieden sein. Auch das Abendmahl wurde in dieser Zeit noch fleißig besucht und gefeiert. In dem Bericht von 1849 hieß es: „Auf den sittlichen Zustand der Einwohner haben die politischen Antragungen der neueren Zeit ein nicht gerade vorteilhaftes Licht geworfen, und die Aussicht auf das Armenhaus ist dem Fleiß wenig förderlich". Im Pfarrbericht von 1852 war zu lesen, daß "die dreizehn- bis vierzehnjährigen Turner am Sonntag, dem 15. August 1852 morgens um 8 Uhr, statt den Gottesdienst zu besuchen, mit wehender Fahne ausgezogen" sind. „Was wird daraus entstehen, wenn die jungen Leute der Kirche entzogen werden und schämen sich, in die Kirche zu gehen; man sollte denselben werktäglich solche Vergnügen gestatten“.442 1855 berichtete der Pfarrer, nunmehr Dr. Wilhelm Ludwig Wullen443, der von 1853 - 1877 in Hall tätig war, daß die aufkommenden weltlichen Vereine bereits in dieser frühen Zeit als beeinträchtigend für das kirchliche Leben der Gemeinde Hall empfunden wurden. Das Hospital „Zum Heiligen Geist“, zuständig für die Versorgung der Armen, war ursprünglich bei der Johanneskirche angesiedelt und dem Heiligen Johannes geweiht gewesen. Erst der Neubau 1319 bekam den Heiligen Geist als Patron. 1841 waren dort 68 Hospitalisten untergebracht. Dazu kamen 107 Kostgänger. Das Hospital war nur für Haller Bürger bestimmt. Hall hatte außerdem zwei Armenhäuser, einmal das Lazarett zu St. Nikolaus oder das Obere Armenhaus, sowie das Untere Armenhaus. Beide wurden 1803 dem Hospital einverleibt. 1841 waren dort 95 Pfründner untergebracht. In Heidenheim, das 1839 2 548 evangelische Christen und daneben 17 Katholiken zählte, sah der Pfarrer Heinrich Christlieb in diesem Jahr „einen soliden Kern ehrenhafter, tüchtiger Bürger in einer lockeren Masse leichter und lustiger Arbeiter, die wechselweise aufeinander einzuwirken scheinen“. 441 M. Christian Ludwig Eytel (2.5.1787 - 10.8.1856), Dekan in Hall 1830 - 1853, Sigel Nr. 62,43. 442 Pfarrbericht Hall, 1852. 443 Dr. Wilhelm Ludwig Wullen (25.10.1806 - 11.3.1890), Dekan in Hall 1853 - 1877, Sigel Nr. 354,19. 102 „Dem Referenten, der vom Lande in die Stadt kam, fiel es auf, daß er, während sonst höhere Bildung die Originalität der Gespräche vermischt, die Städter in religiöser Hinsicht viel schroffer geschieden fand, als die Bauern, von denen der eine so ziemlich wie der andere in nun zwar zweifellosem, aber meist unverstandenem und unwirksamem Glaubensbeweis stand, während Referent in der Stadt, besonders am Krankenbett, den furchtbar gräßlichen Fluch des Unglaubens und den milden Himmelssegen des Christenglaubens in schroffem Gegensatz binnen wenigen Wochen zu erfahren Gelegenheit hatte. Referent fand die Mehrzahl hungrig nach Gottes Wort und dasselbe mit Freude und Dank zur Belohnung und zum Trost hinnehmend“.444. Der Bericht aus dem Jahre 1841 war eher skeptisch: "Von schwärmerischen Meinungen ist bei diesem, wenn auch nicht leiblich, so doch geistig nüchternen Völkchen nichts zu hören. Dagegen hat Referent auch in den unteren Ständen nicht selten einen rohen Rationalismus oder fast Naturalismus gefunden, der durch Ableugnung des Teufels und der Hölle und durch den Glauben, wenn es je ein anderes Leben gebe, daselbst bei allen ohne Unterschied Gleiches sein werde, was dem Leichtsinn es sehr bequem macht, wogegen Referent teils privatim, teils öffentlich, dem ernsten, heiligen Bibelwort wieder Geltung zu verschaffen sucht".445 Solche Urteile der Pfarrer müssen dabei in Relation zu der Tatsache gesehen werden, daß Heidenheim trotz der ungünstigen Verkehrslage schon in dieser Zeit ein Zentrum der württembergischen Textilindustrie war.446 Aber schon damals konstatierte der Pfarrer offensichtlich den Unterschied zwischen der Stadt und dem Land, wo die Kirche noch eine größere Einflußnahme auf die Bewohner hatte. Trotz dem Mangel an Facharbeitern waren damals in Heidenheim rasch „moderne, mechanisierte Betriebe mit maschineller, fabrikmäßiger Produktionsweise“ gegründet worden. Die Unternehmer zögerten nicht, neue Maschinen anzukaufen und notfalls englische Mechaniker zu ihrer Bedienung anzuwerben. So wurden die anfänglichen Manufakturbetriebe verhältnismäßig rasch in Fabriken umgewandelt. Die Baumwollweberei des Gottlieb Meebold, 1822 gegründet, erlebte einen bedeutenden Aufschwung, Schon 1825 besorgte er sich aus England 20 mechanische Webstühle, die ersten in Südwestdeutschland.447 Nachteilig wirkte sich aus, daß die Stadt erst im Jahre 1864 an das staatliche Eisenbahnnetz angeschlossen wurde. Aber die frühe Anpassung an erkannte Marktlücken brachte vor allem der Baumwollspinnerei von Louis Hartmann den erwünschten Aufschwung.448. Schon 1844 waren 2 200 Personen in solchen Betrieben beschäftigt.449 444 Pfarrbericht Heidenheim, 1839. 445 Pfarrbericht Heidenheim, 1841. 446 Württembergisches Städtebuch, S.110. 447 Boelcke: Wirtschaftsgeschichte, S. 130. 448 Naujoks: Stadt und Industrialisierung in Baden und Württemberg, S. 92. 449 Beschreibung des Oberamts Heidenheim, 1844, S. 129. 103 Im Zeichen der Gewerbefreiheit seit 1862 schritt die Entwicklung weiter rasch voran, und ein Indiz für den hohen Stand der Heidenheimer Industrie war die Tatsache, daß in den 70er Jahren nicht weniger als 8 Heidenheimer Fabrikanten, darunter der erfolgreiche Zigarrenfabrikant Schäfer und auch die aus einer Schlosserei hervorgegangene Maschinenfabrik Voith, eine Einladung zur Weltaus- stellung erhielten.450 Auch nach der Jahrhundertwende war der Pfarrer mit der Christlichkeit seiner Gemeinde noch weitgehend zufrieden. "Die Geistlichen genießen im großen Ganzen, besonders bei dem älteren Teil der Bevölkerung, Achtung und Vertrauen. Daß es daneben Kreise gibt, die den Pfarrer still und offen ablehnen, braucht einen in einer solchen Fabrikstadt kaum zu wundern. Günstig ist, daß die Geistlichen und die Kirche bisher so gut wie ganz außerhalb des politischen Parteigezänkes waren“.451 Es war aber wohl nicht nur Interesselosigkeit oder die Ablehnung von Religion und Kirche, was die während der Woche schwer arbeitende Bevölkerung sonntags nun immer häufiger vom Kirchenbesuch abhielt und was vom Pfarrer zusätzlich als Sonntagsentheiligung angeprangert wurde. Die Arbeits- und Familien- verhältnisse hatten sich grundlegend gewandelt. In Herrenberg ist auffallend, wie negativ der Pfarrer 1893 seine Gemeinde sah: „Hervorstechende Eigentümlichkeit ist bei den Ortsbewohnern Langsamkeit in der Arbeit, Schläfrigkeit und Schlaffheit im ganzen Auftreten, verbunden mit ziemlich großer Selbstzufriedenheit. Einsicht und Gutmütigkeit fehlen nicht, werden aber öfters von Raisonniersucht und Schmähsucht in den Schatten gestellt. Sinn für praktisches Christentum und unumstößiges Auftreten ist nicht bloß bei Gemeinschaftsgliedern, sondern auch sonst vielfach vorhanden. Den Namen des „frommen Herrenbergers“ verdient die Stadt nur in sehr eingeschränktem Maße". "Es besteht hier eine Gemeinschaft Michael Hahnscher Richtung, mit ca. 15 männlichen und 50 weiblichen Mitgliedern, die zu den zuverlässigsten Kirchen- genossen zählen. An Sekten gib es hier eine amerikanisch-bischöfliche Methodistengemeinde von 12 erwachsenen Mitgliedern, meist weiblichen Geschlechts“.452 „Die ledige Jugend läßt zum Teil wenig geistige Regsamkeit wahrnehmen, namentlich der männliche Teil, der sich in unhöflichem, plumpem Wesen gefällt“.453 450 Naujoks: Stadt und Industrialisierung in Baden und Württemberg, S. 94. 451 Pfarrbericht Heidenheim, 1923. 452 Pfarrbericht Herrenberg, 1893. 453 Pfarrbericht Herrenberg, 1908. 104 In der Nachbargemeinde Holzgerlingen lobte der Pfarrer Karl Ernst Walz454, der von 1844 bis 1877 hier tätig war, 1869 die Rührigkeit, den Fleiß und die Sparsamkeit seiner Gemeindeglieder, beanstandete daneben aber auch die vielen negativen Eigenschaften: „Das interessierte Wesen der Einwohner, Hader und Neid, prozeßsüchtiges Wesen und Ehedissidien, Fluchen und Lästern, kurz, vielfach das offenbare Gegenteil vom Wandel des Christen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit, so daß auch die vielgepriesene Kirchlichkeit, die man so gerne als blühendes Christentum vorstellt, viel von ihrem Wesen verliert, wenigstens, wenn man den großen Haufen ansieht, bei welchem das christliche Familienleben, die Kinderzucht, der Ehestand, die ledige Jugend, vielfach im Argen liegt. Daß daneben auch hin und wieder noch ein guter Geist regiert, der den Angelegenheiten des Reiches Gottes näher steht, gerne etwas Gutes liest, für gute Zwecke steuert, mehr Bildung hat und sucht, soll mit Obigem nicht geleugnet werden“. Der Pfarrer von Isny hielt ebenfalls fest, daß die Teilnahme am öffentlichen Gottesdienst von Seiten der Frauen befriedigend war, aber, was die Männer betraf, als nicht genügend bezeichnet werden mußte. Immerhin waren Sonntagvormittags ungefähr 400 Personen in der Kirche anwesend, an Festtagen sogar über 700. Die Nachmittagsgottesdienste wurden von 60 bis 80 Personen besucht, aber auch hier waren es wieder vor allem die Frauen, die Männer waren auch hier in der Minderzahl. "Es pflegen viele zweimal des Tages zu kommen. In der Bibelstunde Montag um 8 Uhr morgens erscheinen etwa gegen 20 Frauen, außer der Knabenschulklasse, in der Mittwochabendbibelstunde, die je nach der Zeit sehr verschieden besucht wird, etwa gleich viel durchschnittlich. Eine eigentliche strenge Sonntagsfeier gibt es nicht. Der Sonntag ist für die katholische Landbevölkerung der Hauptkauftag, für die vielen Laden- und Lädleinbesitzer der Hauptverkaufstag. Sonntagvormittags wird da und dort fest gearbeitet, nachmittags werden bei halbwegs erträglichem Wetter Ausflüge und Spaziergänge gemacht, gegen Abend mit oder ohne Familie das Wirtshaus aufgesucht".455 Zur Sonntagsfeier bemerkte der Pfarrer von Isny im Jahre 1923 - es war zu dieser Zeit Christian Fürchtegott Straub456 - die Regel in seiner Gemeinde sei „der sonntägliche Wochenbesuch und nachmittags womöglich ein Gang in die schöne Allgäulandschaft hinaus“. Er fügte erfreut hinzu: „Nicht wenige besuchen übrigens außer dem kirchlichen Gottesdienst auch noch die Abendstunde der Gemeinschaft, die in der Hospitalkirche gehalten wird“. 454 Karl Ernst Walz (6.10.1805 - 12.9.1890), in Holzgerlingen 1844 - 1869, Sigel Nr. 207,29. 455 Pfarrbericht Isny, 1883. 456 Christian Fürchtegott Straub (25.10.1878 - 28.8.1950), 2.Stadtpfarrer in Isny 1908 - 1925, Sigel Nr. 565,31. 105 „Der Wirtshausbesuch hat wohl aus wirtschaftlichen Gründen stark abgenommen. Dagegen spricht in manchen Kreisen der Sport, besonders Winters der Schneeschuhsport, eine ziemliche Rolle. Die Geschäfte sind am Sonntagmorgen von 10 bis 12 Uhr geöffnet und haben vor allem durch die Landkundschaft, die am Sonntag zum Wochenbesuch in die Stadt kommt, regen Zuspruch“. „Das Familienleben ist im allgemeinen ein geordnetes. Doch übt der Zeitgeist auch hier seine Wirkung aus. Es ist in manchen Ehen nicht gerade gut bestellt. Geschiedene oder wilde Ehen sind allerdings nicht vorhanden". Daß auch in Isny die schlechten Einflüsse, wie auch in anderen Gemeinden, nach Ansicht des Pfarrers ganz überwiegend von außerhalb kamen, wurde im nächsten Abschnitt wieder deutlich. "Ein geschiedener Mann, ein Sachse, dessen Ehe schon auswärts geschieden war, hält sich allerdings zur Zeit hier auf und hat ein Instrumentengeschäft hier angefangen“. Ein ähnliches Beispiel dafür, daß solche Fälle immer von auswärts kamen, haben wir auch in Altensteig, wo der Pfarrer 1881 bemerkte, daß die meisten Töchter mit ledigen Kindern auswärts „verunglücken“.457 Auch der Stuttgarter Stiftsprediger Sixt Carl von Kapff legte Wert auf die Feststellung, daß die hohe Zahl von Unehelichengeburten 1872 nur dadurch zustande kam, weil in der Frauenklinik am Katharinenhospital viele auswärtige Mütter ihre ledigen Kinder bekamen. Er weigerte sich dann auch, diese Zahlen in seine Statistik aufzunehmen.458 „Die Kinderzucht scheint (in Isny) an Ernst wieder gewonnen zu haben. Auch die vom geistlichen Amt mit Eifer betriebene Jugendpflege spornt die Elternhäuser an, auch das ihrige zur Erziehung der Kinder zu tun“.459 Im Pfarrbericht von Kuchen war im Jahre 1843 noch die gute kirchliche Gesinnung der Gemeindeglieder lobend erwähnt worden: „Es hat viele ordnungsliebende, sparsame und fleißige, selbst religiös gesinnte Glieder in der Gemeinde. An Sonnen- und Festtagen, auch an Feier- und Bußtagen, wird die Kirche fleißig besucht. Sehr gering ist dagegen der Besuch der Wochen- gottesdienste. Von schwärmerischen Neigungen ist der Ort frei. Ein kleines Häuflein sogenannter Pietisten ist seit drei Jahren entstanden, welches 12 bis 13 Personen ausmacht. Die Bücher, die sie benutzen, sind die Heilige Schrift, Friedrich Christoph Oetingers und Hosers Predigten und Schriften“. Der Dekan vermerkte erstaunlicherweise: „Sittliches Benehmen des Pfarrers gut“.460 Gegen diesen Pfarrer hatte es allerdings im Jahre 1831 eine von Schultheiß und Gemeinderat gemeinsam angestrengte Klage vor dem Oberamt Geislingen wegen „Amtsverfehlung und Sittenwidrigkeit“ gegeben. Das Verhörprotokoll umfaßte 116 Seiten. Der Pfarrer hatte der Barbara Gairing an die Brust und unter den Rock gefaßt mit der Bemerkung, er wolle nur untersuchen, ob sie gesund sei. 457 Pfarrbericht Altensteig, 1881 458 Pfarrbericht Stuttgart, 1872. 459 Pfarrbericht Isny, 1923. 460 Pfarrbericht Kuchen, 1843. 106 Pfarrer Märklin wurde für ein Jahr von seinem Dienst suspendiert und mußte auf seine Kosten einen Hilfsgeistlichen zur Versorgung der Gemeinde bezahlen. Er blieb aber trotzdem bis 1844 in Kuchen im Amt. Seit 1857 wurde auch hier auf die immer mehr zunehmende Gleichgültigkeit gegen die kirchlichen Anstalten und das kirchliche Leben aufmerksam gemacht. Auch Hinweise des Pfarrers auf das kirchenschädigende Verhalten seines Vorgängers fehlten nicht. Zwar gab es immer noch kirchlich gesinnte Mitglieder in der Gemeinde, aber auch schon „viele gleichgültige, verwilderte, zum Teil auch der Unzucht und dem Trunk ergebene“. Die Schuld wurde der schlaffen Schulzucht des lange hier angestellten, nun pensionierten Schulmeisters, dem Zerwürfnis der Gemeinde mit dem früheren Geistlichen, aber auch dem „gesunkenen Nahrungsstand“ gegeben. „Schuld an der im Argen liegenden Sonntagsfeier ist auch (nach 50 Jahren!) die frühere Zugehörigkeit zu Bayern 1803 bis 1810 und die große Frequenz der Landstraße“.461 Schon 1857 war jeder fünfte Fabrikarbeiter katholisch, und 1877 wurde vermerkt, daß die Einrichtung einer katholischen Schule gerade noch hatte verhindert werden können. Der Dekan Maier stellte bei seiner Visitation in diesem Jahr fest, daß es in der Fabrik auch damals schon „Spötter und Religionsverächter“ gab, und 1871 schrieb der Pfarrer: „Der böse Geist, der gegenwärtig die Welt durchdringt, treibt auch hier sein Unwesen. Die älteren Glieder der Gemeinde halten noch etwas auf den öffentlichen Gottesdienst, aber das jüngere Geschlecht und die vielen Fabrikarbeiter sind der Kirche gegenüber gleichgültig. Nur an Festtagen füllt sich die Kirche recht“. Das Familienleben war in manchen Häusern gelockert. Der Mangel wahrer Gottesfurcht zeigte sich immer deutlicher. Bei Eheschließungen fand seit einem Jahr nur eine einfache Trauung statt, doch wurden sie sonst mit viel Aufwand gefeiert, auch nicht immer ehrlich gehalten. "Meinte doch einer, man sollte alle fünf Jahre wechseln dürfen“. Dies wurde auch als einer der Gründe für die vernachlässigte Kinderzucht angeführt. Seitdem die Leineweberei den vielen Webern des Orts wieder mehr Verdienst gewährte, die Zeiten wieder besser wurden, auch die Staubsche Baumwoll- spinnerei in Altenstadt Gelegenheit zu Arbeit und Verdienst gab, verbesserte sich die ökonomische Lage der Gemeinde im Ganzen und auch der Wohlstand Einzelner wieder zusehends“.462 Der Dekan beschrieb im Pfarrbericht dieses Jahres (1857) den sittlich-religiösen Zustand der Gemeinde Kuchen „im Vergleich mit anderen Gemeinden minder befriedigend. Sie zählte bisher neben fleißigen, frommen und kirchlich gesinnten Mitgliedern auch viele gleichgültige, verwilderte, zum Teil auch der Unzucht und dem Trunk ergebene. 461 Pfarrbericht Kuchen, 1857. 462 Pfarrbericht Kuchen, 1857. 107 Doch ist unter tüchtigen Geistlichen, Lehrern und Vorstehern an der Hebung der Gemeinde umso weniger zu verzweifeln, als neuerdings auch der Wohlstand wieder zunimmt, der Weberei wieder mehr Verdienst gewährt, die Staubsche Spinnerei auch viele Ortsangehörige beschäftigt, und mehrere dem Müßiggang und Trunk ergebene Männer gestorben oder ausgewandert sind. Die wenigen Mitglieder einer Gemeinschaft, an Korntal sich anschließend, gehören zu den besseren Mitgliedern der Gemeinde“. Es gab im Jahr 1861 erst eine gemischte Ehe, in der der Vater katholisch war, die Kinder aber evangelisch erzogen wurden.463 "Spötter und Religionsverächter, die einen üblen Einfluß auf andere ausüben, gibt es hier wie überall. Die schlimmsten derartigen Leute aber, die sich am ungescheutesten hervorwagen, kommen von auswärts herein“.464 In Langenburg wurde schon 1847 beanstandet, daß der christliche Zustand der Gemeinde nur sehr oberflächlich war. Vorhanden sei zwar Sinn für Anstand und Ordnung, es werde auch versucht, den Geist der Ehrbarkeit zu wahren, aber es fehle der Geist zu tüchtiger Arbeit und Sparsamkeit. Das Reichwerdenwollen und der Versuch, andere zu übervorteilen, sei sehr verbreitet. Der Gottesdienst sei aber noch ein lebendiges Bedürfnis. Allerdings wurden die geringe Bibelkenntnis und bei einem großen Teil der Gemeinde der Mangel an Kenntnis des evangelischen Lehrbegriffes allgemein bemängelt. „Jenes Vertrauen auf Gott aber, das in diesem Bewußtsein eine so große und laute Rolle spielt, ist zwar oft ein gut und herzlich gemeintes, sehr häufig aber vom Schnödesten frech in Anspruch genommenes und bei dem weit größten Teil wenigstens kein solches, das Mark genug hätte, den Betreffenden vor sündiger, grober oder feiner Selbsthilfe zu bewahren. Hier bleibt man viel mehr geradezu in einer wenn auch nicht heuchlerischen, so doch verblendeten Stellung, oder gleitet man in die Bahn einer schwächlichen, oft geradezu sentimentalen Religiosität hinüber“.465 Die Klage über eine religiöse, „katholisch-pelegianische Oberflächlichkeit“ fand sich auch drei Jahre später wieder: und "der 2. und 3. Glaubensartikel" fehlte, wie der Pfarrer vermerkte, völlig“. Dazu kam noch „der katholische Brauch des Vater- unser-Betens“. Allerdings beobachtete der Pfarrer als positives Zeichen in dieser Zeit auch wieder ein wachsendes Interesse für die Mission, und „Interesse und Opfer für Anstalten auf dem Boden des Reiches Gottes“. 1868 betonte der Pfarrer, die Öffentlichkeit dulde keine Verachtung des Heiligen, und ein nicht geringer Teil der Gemeinde bewahre in aufrichtiger Frömmigkeit das Erbe der Väter als einen treuen Schatz. 463 Pfarrbericht Kuchen, 1857. 464 Pfarrbericht Kuchen, 1861. 465 Pfarrbericht Langenburg, 1847. 108 Einige Jahre später benützte der neue Stadtpfarrer von Langenburg, Oskar Achilles Gustav Schwarzkopf466, der hier zwei Jahre nach seinem Amtsantritt 1872 auch das Dekanat übernahm, die Gelegenheit, schon in seinem ersten Pfarrbericht von 1873 ausführlich auf die Beschreibung seiner neuen Stelle einzugehen: „Wenn Referent die Feder ergreift, um die Gemeinde zu schildern, in die Gottes Fügung ihn vor 5/4 Jahren gestellt hat, kann er im Hinblick auf die trefflichen Vorgänger, die ein halbes Jahrhundert hindurch dieses Amt bekleideten, eines drückenden Gefühls eigener Unzulänglichkeit sich nicht erwehren. Der Boden, in den er verpflanzt wurde, war ihm ein fremder, da er mit der Eigenart des fränkischen Volksstammes sich bis dahin noch nie hat näher bekannt machen können. Um so interessanter war es für ihn nun allerdings, eine Parallele ziehen zu können zwischen seiner bisherigen, altwürttembergischen Gemeinde (Schorndorf), und einem, wie er schrieb, der hervorragenden Orte des hohenlohischen Gebiets. Er freute sich, aussprechen zu dürfen, daß er bis jetzt viele günstige Eindrücke bekommen hat. "Vielleicht auch sieht er manches zu günstig an, da man ihm hier mit so viel Liebe und Vertrauen entgegen kam". Deshalb wolle er sich Mühe geben, objektiv zu urteilen, und im Folgenden wenigstens versuchen, ein Bild der Gemeinde nach ihrer Licht- und Schattenseite zu entwerfen. Die kirchliche Sitte sah er hier noch als eine Macht, der sich nur wenige ganz zu entziehen vermochten. Der Sonntags-Vormittags-Gottesdienst wurde sehr fleißig, der Nachmittags-Gottesdienst nicht unbefriedigend, allerdings mehr von Personen weiblichen Geschlechts, besucht. Im Kirchenbesuch, wie überhaupt in allem, "leuchtet das edle Fürstenpaar voran. Es wird kaum einige Erwachsene geben, die das heilige Abendmahl nicht wenigstens einmal im Jahr empfangen, besonders war mir neu, daß auch die ledige Jugend sich fast ausnahmslos beim Tisch des Herrn einfindet. Wohl ist das alles bei vielen hier eine Gewohnheitssache, aber diese kirchliche Sitte ist ein schützender Zaun, und an vielen Orten wäre man froh, diese Gewohnheit wieder einführen zu können. Aber ist sie einmal verlernt, dann ist sie unwiderruflich dahin. Freilich bei den Wochengottesdiensten ist die Kirche nur spärlich besucht. Ist's aber irgendwo anders?“467 Drei Jahre später, 1876, beanstandete der Seelsorger vor allem, daß besonders die Beamten den Gottesdiensten häufig fernblieben, eine Klage, die auch schon 1847 vorgebracht wurde. Erfreulich war für ihn, daß der Kirchenbesuch insgesamt im letzten Berichtszeitraum eher zu- als abgenommen hatte. Daß sogar die hier wohnenden Katholiken häufig seinen Gottesdiensten beiwohnten, registrierte er besonders erfreut. 466 Oskar Achilles Gustav Schwarzkopf (18.11.1838 - 30.5.1903), Dekanverweser 1872 - 1874, Dekan in Langenburg 1874 - 1882, Dekan in Hall 1882 - 1891, Dekan in Cannstatt 1891 - 1896, Sigel Nr. 19,36. 467 Pfarrbericht Langenburg, 1873. 109 Gleichzeitig stellte er fest, daß sich eine Scheidung zwischen Glaube und Unglaube anbahne und manche aus ihren ungläubigen, teilweise sozial- demokratischen Gedanken kein Hehl machten. Die fürstliche Familie war in Hinsicht auf die Kirchlichkeit immer vorbildlich und selbstverständlich war ihr guter Einfluß auf die Gemeinde hoch zu loben. Aber nach der Ernennung des Fürsten zum Statthalter im Elsaß und dem Weggang des Hofes im Jahre 1894 nach Straßburg sank der Kirchenbesuch auch hier auf den Landesdurchschnitt ab.468 In Langenburg stand das geistliche Amt bei der Bevölkerung trotzdem noch in Achtung. „Krankenbesuche des Geistlichen werden zwar in den seltensten Fällen ausdrücklich erbeten, von manchen auch darum nicht, weil man sonst meinen könnte, man halte die Krankheit für hoffnungslos tödlich, finden aber doch eine freudige Aufnahme. Es fehlt oft auffallend an tieferer christlicher Erkenntnis. Auch ist die christliche Heilsdeutung vielen eine terra incognita. Der erste Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses wird allerdings gläubig und oft mit rührender Hingebung erfaßt. Der Referent darf nicht unerwähnt lassen, daß auch hier bei manchen ein entschiedenes Bestreben, sich zu vertiefen, ein entschiedenes Heilsverlangen, sich zeigt. Immerhin werden in vielen Häusern Predigt- und Erbauungsbücher gelesen, am verbreitetsten Stark, Arndt, Brastberger, Kapff, Hauber, Gerok, Hofacker“.469 Johann Arndts ( 1555 - 1621) „Vier Bücher vom wahren Christentum“ und vor allem sein „Paradiesgärtlein“ fanden schon früh weite Verbreitung in allen Gemeinden und waren die ersten Erbauungsbücher der lutherischen Kirche in deutscher Sprache. Aber auch seine "Herzensseufzer" und die "Evangelien- Postille" waren zu finden.470 Immanuel Gottlob Brastberger471 (1716 - 1764), einem der beliebtesten und bekanntesten Prediger der württembergischen Landeskirche, ging es vor allem um die Erweckung zu einem christlichen Leben.472 Hofacker wiederum verkörperte den Mittel- und Höhepunkt der Erweckungsbewegung, Kapff und Gerok den Durchbruch des Pietismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Friedrich Albert Hauber473 (1806 - 1888) war ein Schüler Schleiermachers und in Württemberg besonders durch seine Predigt- und Andachtsbücher bekannt. 468 Pfarrbericht Langenburg, 1876. 469 Pfarrbericht Langenburg, 1876. 470 Petra Schad: Buchbesitz im Herzogtum Württemberg, S. 128; Breining: Die Handbibliothek des Gemeinen Mannes; Neumann: Der Bücherbesitz der Tübinger Bürger. 471 Martin H.Jung: Immanuel Gottlob Brastberger, Vikar in Stuttgart, Pfarrer in Ludwigsburg und Eßlingen, Dekan in Nürtingen 1756: "Evangelische Zeugnisse der Wahrheit", RGG 1, Sp.1738. 472 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 88, 157; Petra Schad: Buchbesitz im Herzogtum Württemberg, S.132. 473 Friedrich Albert Hauber (1806 - 1888): Ev. Hauspredigtbuch 1863, Ev. Hausgebetbuch (Gebete für für alle Tage des Jahres), 1866.Epistelpredigtbuch für häusliche Andacht 1884. (Kirchl. Theologisches Handwörterbuch, S. 797. 110 Die Familien in Langenburg lebten im allgemeinen einträchtig beieinander. Aber die Kindererziehung war auch hier, wie überall im Fränkischen, zu lasch und „weit entfernt vom Apostel und Epheser 6.“ Zwar versuchte man, eine gewisse äußere Ordnung einzuhalten, „läßt sich aber im übrigen gehen ohne klare Erkenntnis des Ziels“. Der ledigen Jugend gegenüber wurden die Zügel zu leicht aus der Hand gegeben, und es wurde der Sinn für höhere Interessen zu wenig gepflegt. So äußerte sich schon früh Leichtsinn, Genußsucht und Eitelkeit. Trotzdem zeigte sich die im fränkischen Volksstamm eingewurzelte Anhänglichkeit an die Kirche und ihre Anstalten immer noch gleich stark. Nur eine kleine Anzahl von jüngeren Bürgern, die aus der Fremde freiere Sitten, Aufklärung und Unglauben mitgebracht hatten, hielten sich, mit Ausnahme von hohen Festtagen, von der Kirche fern.474 In seinem letzten Pfarrbericht in Langenburg, im Jahre 1882, nahm Schwarzkopf nocheinmal Stellung zum Zustand seiner Gemeinde: „Man kann mit dem Zustand der Gemeinde wohl zufrieden sein. Der Abendmahlsbesuch nimmt eher zu, die Kirche ist an den Sonntagen meist gefüllt, am Nachmittag ordentlich besucht. Versäumnisse bei der Sonntagskinderlehre sind selten. Bei den Abendbibel- stunden ist das Lokal häufig überfüllt. Trotzdem würde der Referent sich sehnlich wünschen, daß in der Gemeinde noch mehr Leben aus Gott, noch mehr frischer Hauch von oben zu verspüren wäre, der die Totengebeine zum Leben brächte. Viele hält auch die im Fränkischen besonders ausgeprägte Menschenfurcht und Menschengefälligkeit zurück, mit ihrem Christentum mehr Ernst zu machen, sowie zur rechten Zeit mit mutigem Bekenntnis herauszurücken". Die ledige Jugend ließ außerdem viel zu wünschen übrig. Die Kinderzucht war, eine allgemeine Erfahrung im Frankenland, zu weichlich und zu lax. Auch schien man den Dienstboten gegenüber in vielen Häusern zu feige zu sein, wodurch deren Anmaßung und Trotz wuchs. "Für Zwecke des Reiches Gottes wird viel und gerne gegeben, wie wohl der materielle Wohlstand der Gemeinde, soweit Referent dies beurteilen kann, eher im Rückgang, als im Zunehmen begriffen ist. Die fürstlichen Herrschaften sind nicht mehr hier“.475 Auch Rudolf Günther476, der Gatte der berühmten Agnes Günther, der von 1891 bis 1907 in Langenburg tätig war, schreibt in seinem Pfarrbericht von 1894: „Die fränkische Anlage zu höflicher Sitte wird durch die Nähe des fürstlichen Hofes gefördert und hat auch das Eindringen und Erstarken der Demokratie nicht verhindert werden können, so wiegt doch der patriotische, politisch konservative Sinn dank dem Einfluß des Fürstenhauses noch vor. 474 Pfarrbericht Langenburg, 1879. 475 Pfarrbericht Langenburg, 1882. 476 Rudolf Günther, geb.6.10.1859 in Liebenzell, gestorben 17.7.1936 in Marburg. Sigel Nr. 129,65. 111 Man wird auch die noch vorhandene kirchliche Gesinnung und die Achtung vor dem geistlichen Amt, wenn auch beides im fränkischen Volkscharakter ohnedem zu eignen pflegt, zum Teil auf das vom Fürstenhause an den Tag gelegten Sinn und beobachtete Übung zurückzuführen haben. Es fehlt an Unternehmungsgeist. Man erwartet vom Fürstenhaus, was sonst die Gemeindeverwaltung in die Hand zu nehmen hat, wie zum Beispiel die Renovation der Kirche. Unbotmäßigkeit, auch bei der reiferen Jugend, ist selten. Oberflächlichkeit, beschränkter Gesichtskreis, Mangel an höheren Interessen und Streben, bei den Bessergestellten törichte Standes-vorurteile, Geschwätzigkeit und Klatsch spielen eine große Rolle“.477 Der Dekan von Leonberg, Magister Ludwig Heinrich Kapff478, lobte 1841 einerseits die Kirchlichkeit seiner Gemeinde und den fleißigen Besuch der Gottesdienste, die Achtung der Gesetze und die bürgerliche Ordnung, beklagte aber andererseits die mittelmäßige Stufe der intellektuellen und moralischen Bildung und natürlich auch wieder die Vernachlässigung der Kindererziehung. „Der Volkscharakter ist weich und mild, höflich und gefällig, aber auch schlaff in Beziehung auf die Kinderzucht, und nur wenige schreiten mit der Zeit fort“.479 Die Unzuchtsvergehen waren aus der Sicht des Pfarrers vor allem veranlaßt durch den Dienst der Mädchen in Frankfurt und Stuttgart. Der „Mangel an Energie“ war für ihn eine wesentliche Ursache für eine fortschreitende Verarmung der Bevölkerung, die er mit Bedauern feststellte. Nach dem Pfarrbericht von Leonberg aus dem Jahre 1856 wurden vor allem von jüngeren Beamten die Gottesdienste schlecht besucht. Die christliche Obrigkeit sollte bei ihren Untergebenen das Bewußtsein für die Kirchlichkeit schärfen. Der Pfarrer stellte außerdem fest, daß die Armut mit sittlichen Nachteilen verbunden war. Ein Mann, der wegen Diebstahls im Arbeitshaus gewesen war, wurde von der Gemeinde "nach Amerika befördert".480 Im Jahre 1859 schrieb der Dekan im Rahmen seiner Prüfung über die Tätigkeit des Pfarrgemeinderats: "Dieses Institut hat bisher noch nicht die rechte Anerkennung finden können, namentlich von Seiten des weltlichen Gemeinderats, der teilweise von ihm eine verfassungswidrige Verwirrung, teilweise eifersüchtig eine Beschränkung der weltlichen Befugnisse, etwas Hierarchisches, erblickt, und daher offen oder verdeckt gegen denselben operiert, jedenfalls seine Anträge beseitigt oder erschwert. Daher mußte der Pfarrer manches aufgeben, weil er sah, daß es nicht ausgeführt werden könnte, gerade, wenn er sich damit beschäftigte, und es gehörte bis jetzt viel Selbstverleugnung und Zuspruch dazu, daß er sich nicht ganz auflöste. 477 Pfarrbericht Langenburg, 1894. 478 Ludwig Henrich Kapff (5.9.1802 - 26.2.1869), Dekan in Leonberg 1839 - 1843, Sigel Nr. 93,4. 479 Pfarrbericht Leonberg, 1841, 1844. 480 Pfarrbericht Leonberg, 1856. 112 Daher war es auch immer schwer, die Mitglieder auch nur zu den Sitzungen zusammen zu bringen, und weil öfter die Zahl der anwesenden Mitglieder zu gering war, so wurden auch die regelmäßig Kommenden verdrossen. In Armensachen konnte der Pfarrgemeinderat nicht viel tun, bloß durch freiwillige Beiträge, die er selbst aus seinen Mitteln sammelte. Ein Antrag auf Überlassung des Opfers des vorigen Sonntagsgottesdienstes hätte, wie die Sachen stehen, keinen Erfolg und würden abermals zur Beschämung des Pfarrgemeinderats ausfallen“. Trotzdem bestätigte 1892 der Dekan: „Die Gemeinde Leonberg ist in der Tat noch eine kirchlich-religiös brave Gemeinde mit keinen stark hervortretenden Mängeln in genannter Hinsicht und ist immerhin noch ein heilsamer Damm gegen sonst vorhandene Schäden in den bürgerlichen und häuslichen Gebrechen der Stadtbevölkerung, die allerdings einigermaßen von nachteiliger Einwirkung des Fabrikwesens bedroht ist“.481 Der Bericht von 1901 hob eine Besonderheit im kirchlichen Leben der Stadt Leonberg hervor. Am Sylvesterabend, nach Einbruch der Dunkelheit, versammelten sich die Gemeindeglieder, soweit sie irgendwie abkommen konnten, "auf dem von allen Häusern aus hell beleuchteten Marktplatz" und sangen Lieder aus dem Gesangbuch, die auf den Jahresschluß Bezug nahmen, abwechselnd mit zwei im Ort befindlichen Gesangsvereinen. "Die Sitte wird darauf zurückgeführt, daß sie ein Ausdruck des Dankes sein soll für das Erlöschen einer verheerenden Pest, welche vor vielen Jahren die Stadt heimsuchte und viele Einwohner wegraffte".482 Möglicherweise handelte es sich um die Pest, die 1626/1627 in Leonberg grassierte und 81 Tote gefordert hatte.483 In Leonberg fanden, wie auch in den übrigen Gemeinden Württembergs, Sonntags zwei Gottesdienste statt, daneben wurde Christenlehre gehalten. Bibelstunde war Mittwochs um 8 Uhr, Freitags um 10 Uhr Kinderlehre. Eine Betstunde gab es zu Beginn der Getreide- und Weinernte. Daneben hatte der Pfarrer noch die Aufgabe der Pastorisierung des Bezirkskrankenhauses, des Magdalenenasyls, des Spitals, des Amtsgerichts- und Oberamtsgerichtsgefängnisses, sowie den Religionsunter- richt an der Volks-, Real- und Fortbildungsschule. Der Konfirmandenunterricht wurde zwischen den beiden Pfarrern aufgeteilt. 1913 erwähnte der Pfarrer von Leonberg auch die veränderten Erwerbs- verhältnisse in seiner Gemeinde. Er sah den schon sehr stark ausgeprägten materiellen Sinn der Bevölkerung, besonders der Industriearbeiter, der die kirchliche Arbeit stark behinderte. 481 Pfarrbericht Leonberg, 1892. 482 Pfarrbericht Leonberg, 1901. 483 Setzler u. a.: Leonberg. S. 118. 113 "Leonberg ist kein geistiger und geistlicher Mittelpunkt mehr, wie um die Mitte des vorigen Jahrhunderts“. Außerdem stellte der Pfarrer ein gewisses Mißtrauen in den bürgerlichen Kollegien gegenüber der Kirche fest, mitveranlaßt durch die Erhebung der Kirchensteuer. "Es fehlt an Verständnis für kirchliche Aufgaben".484 In der kleinen Gemeinde Leonbronn im Dekanat Brackenheim mit ihren 546 evangelischen Einwohnern wurde im Pfarrbericht von 1907 die schwere Arbeit der Steinbrecher als Grund dafür angegeben, daß nur wenige Leute in der Gemeinde wirklich christlich waren, obwohl andererseits zugleich hervorgehoben wurde, daß die Gottesdienste sehr gut besucht wurden. „Es gehört zum guten Ton, nicht christlich zu erscheinen“. Als Grund dafür, daß die Gottesdienste nicht noch besser besucht wurden, führte der Pfarrer „den reichen Kindersegen und den Wunsch nach zeitigem Mittagessen“ an.485 In Leutkirch schließlich, dieser „Diaspora des von vielen Gefahren bedrohten Vorpostens des Protestantismus“, konstatierte der Pfarrer, daß seine Gemeinde- glieder Sonntagmorgens, statt in die Kirche, lieber in die Wirtshäuser gingen, die allerdings, auch das war zu beachten, alle fest in katholischer Hand waren. Der Wirtshausbesuch, der vor allem am Sonntag die Regel war, schädigte das Familienleben und das Wachstum des Wohlstandes.486 Selbst in der Oberamtsbeschreibung wurde betont, die Wohlhabenden seien genußliebend, gegen Notleidende aber freigiebig. Der Allgäuer zeichne sich durch "Biedersinn und Redlichkeit", und durch "seine Geneigtheit, gestörte Rechtsver- hältnisse auf gütlichem Wege wiederherzustellen", aus.487 Kein Mitglied der höheren Klassen hatte die Bibelstunde besucht, nur Handwerker und Taglöhner, und auch im Hauptgottesdienst waren es wieder mehr Frauen, als Männer. Der Pfarrer vergaß 1883 auch nicht zu erwähnen, daß in Leutkirch kein Boden für Gemeinschaften sei, und daß hier noch in dieser Zeit eine „eigentümliche Furcht vor allem Pietistischen“ bestehe.488 Erstaunlicherweise war genau zehn Jahre später zu lesen: „Eine seit einiger Zeit schon bestehende Gemeinschaft könnte ein heilsames Salz für die gesamte evangelische Gemeinde werden, wenn nicht der Sprecher eine durch die Chrischona beeinflußte einseitige Richtung verfolgte“.489 1899 bemerkte der Pfarrer, daß der Kirchenbesuch, der sich in den letzten Jahren gebessert habe, von Seiten der Männer zwar noch besser sein könnte, daß aber auch die Beamtenstühle dicht besetzt seien. 484 Pfarrbericht Leonberg, 1905, 1913. 485 Pfarrbericht Leonbronn, 1907. 486 Pfarrbericht Leutkirch, 1883. 487 Oberamtsbeschreibung Leutkirch, 1843, S. 43. 488 Pfarrbericht Leutkirch, 1883. 489 Pfarrbericht Leutkirch, 1893. 114 "Die Kirchenopfer und wohltätigen Gaben sind in Leutkirch am höchsten im Bezirk Ravensburg, und die katholische Vergnügungssucht ist natürlich von negativem Einfluß auf die Sonntagsfeier".490 1907 wurde bemängelt, daß bei den Geschäftsleuten zuweilen der Geldbeutel über das protestantische Ehrgefühl gehe und daß der allzusehr entwickelte Geschäftssinn der religiös-sittlichen Haltung abträglich sei.491 In Ludwigsburg, seit 1817 zweite Haupt- und Residenzstadt von Württemberg, war die Lage natürlich eine ganz besondere. Die Stadt war lange Zeit geprägt durch die Anwesenheit des Hofes, und ganz besonders durch das Militär. Schon 1840 hatte der Pfarrer festgestellt, daß die Zahl der Ortsanwesenden um 997 höher war, als die der Ortsangehörigen, die um diese Zeit 6 275 betrug. Der nachteilige Einfluß der Soldaten auf die Sittlichkeit wurde immer besonders hervorgehoben. Gleichzeitig wurde aber auch nicht versäumt, darauf hinzuweisen, daß trotz der gefährdenden Anwesenheit des Militärs die Unehelichengeburten in Ludwigsburg erstaunlicherweise immer noch unter dem Landesdurchschnitt lagen. Der Dekan M. August Christian Gottlieb Binder492, seit 1823 bis zu seinem Tod am 20.9.1844 in Ludwigsburg tätig, schrieb in seinem Bericht von 1840: „Es wird in dieser Beziehung kein Ort im Vaterland dieser Stadt gleich sein, auch wird kein Ort im Königreich im Verhältnis zu der Zahl der Häuser diese Menge Wein- und Bierhäuser haben“. Die gestiegene Armut durch die Aufhebung der Porzellanfabrik und den Verkauf der Tuchfabrik wurde erwähnt, auch, daß Feld- und Gartenarbeiten durch die Sträflinge verrichtet wurden, und so den Ortsbe- wohnern hierdurch auch wieder eine Verdienstmöglichkeit genommen war. „Der sittlich-religiöse Zustand der Gemeinde ist nicht im Fortschreiten zum Besseren und es darf auch diesfalls nichts anderes erwartet werden, da 5 Regimenter des K. Militärs hier liegen, wodurch die Stadt in allen ihren Teilen einer großen Kaserne gleicht, in welcher man sich ohne Rücksicht alles erlaubt. Überdies findet man hier, wie erwähnt, eine außerordentliche Menge von Wein- und Bierhäusern, und eine bei den Meisten mit ihrem Vermögen und Erwerb gar nicht im Verhältnis stehende Üppigkeit, Vergnügungssucht, ein Großtun. Daß, als das Militär vorherrscht, eine Ortspolizei nicht aufrecht erhalten und auch nicht allseitig einwirken kann, ist klar“. „In der übrigens geringen Wertschätzung der kirchlichen Anstalten und ebenso verhältnismäßig gar sparsamen Besuchung der Gottesdienste zeigte sich in den verflossenen drei Jahren keine Abnahme. Es ist ein Glück, daß dieses Beispiel in dem Bezirke, auch in den nächsten gelegenen Orten, keine Nachahmung findet“. 490 Pfarrbericht Leutkirch, 1899. 491 Pfarrbericht Leutkirch, 1907. 492 Dekan M.August Christian Binder (12.10.1776 - 20.9.1844). Stadtpfarrer und Dekan in Ludwigsburg 1823 - 1844, Sigel Nr. 681,8. 115 Die anschließenden Bemerkungen sind eigentlich ein Widerspruch: „Sonntags werden die Gottesdienste noch so ziemlich gut besucht. Die Zahl derer, die den Gottesdienst nur sehr selten oder gar nicht besuchen, und auch am Abendmahl nicht teilnehmen, ist aber viel zu groß. An den Wochentagen erscheinen oft gar keine Besucher. An Bußtagen erscheinen oft nur 10 - 12 erwachsene Personen. Eine Kommunion von 70 - 100 Personen gehört schon zu den weniger gewöhnlichen. Übrigens hat die Zahl der Kommunikanten in den verflossenen Jahren trotzdem nicht abgenommen“. „Schwärmerische oder der praktischen Religion nachteilige Meinungen mögen sich bei Einzelnen finden, aber im allgemeinen sind sie nicht in einem solchen Maße da, daß sie auf die Gemeinde Einfluß hätten. Noch ein Separatist ist da, ohne Familie, ein fleißiger und dabei ruhiger, stiller Mann“. Der Pfarrer erwähnt auch die Aktivitäten der katholischen Gemeinde, besonders "die Übergriffe der katholischen Kollegen im Vertrauen auf die zu erwartende baldige Selbstauflösung der evangelischen Kirche“. 493 In Nagold stellte der Pfarrer in seiner Beschreibung von 1828 fest: „Die Einwohner sind etwas roh, ungebildet und allen Neuerungen abhold. Ihr Hauptnahrungszweig ist Ackerbau und Vieh-, besonders Schafzucht. Es gibt auch sehr viele Gewerbsleute, besonders Tuchmacher, hier“.494 Die Vorstadt, außerhalb des oberen Turms, war am 27. Dezember 1825 größtenteils abgebrannt. Diesem Brand waren 11 Gebäude zum Opfer gefallen. Im September 1850 kostete ein neuer Großbrand sogar 28 Gebäude.495 Dieses Ereignis hatte aber auch wieder einen vermehrten Besuch der Gottesdienste zur Folge. Im Pfarrbericht von 1853 wurde erwähnt: „Die Gemeinde hat, wie viele andere, ihre Licht- und Schatten- seiten. Unter der Mehrzahl zeigt sich viel religiöse Empfänglichkeit, Hochachtung und Anschauung der Dinge im Lichte des Wortes Gottes und Bereitwilligkeit zum Wohltun. Die Gottesdienste, auch die in der Woche, werden fleißig besucht, besonders die Predigten, und es herrscht dabei eine würdige Stille und Andacht. Auch die sonntäglichen Bibel- und Missionsstunden, die auf dem Rathaus gehalten werden, finden rege Teilnahme". Die Zahl der Kommunikanten war für eine städtische Bevölkerung nicht gerade wenig. Sie hatte im Jahr 1850/51 um ca. 200 zugenommen, was wohl vorzugsweise eine Folge des großen Brandes war. Dagegen zählte die Gemeinde auch viele Einwohner, die sich "durch regelmäßige Gleichgültigkeit und Kenntnislosigkeit, durch sittliche Dumpfheit in Kirchensachen, vernachlässigte Kinderzucht, durch Rohheit, Unbotmäßigkeit gegen Gesetz und Obrigkeit, durch Mangel an Arbeitsamkeit und Sparsamkeit" bemerkbar machten. 493 Pfarrbericht Ludwigsburg, 1840. 494 Pfarrbeschreibung Nagold, 1828. 495 Beschreibung des Oberamts Nagold. Herausgegeben von dem Königlichen statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart 1862. "Ein weiterer großer Brand von 1893 wurde durch einen Lehrling, der nicht aus Nagold stammte verursacht, ein Brand von 1896 durch einen hiesigen jungen Mann, der dafür mit 6 Monaten Zuchthaus bestraft wurde". 116 Selbst unter den äußerlich geordneten Familien traf man viel irdischen Sinn. Es gab Eigennutz, Heiraten nach dem Besitz und ohne die gebührende Rücksicht auf die entsprechenden gegenseitigen Eigenschaften, auch viel Neigung zum Lügen. Gar oft wurden die Ehen aus Rücksicht auf Vermögen geschlossen. Die eheliche Treue wurde hin und wieder gebrochen. Überhaupt entbehrte, nach Ansicht des Pfarrers, die eigentliche Bürgerschaft größtenteils der städtischen Bildung, wohl auch deshalb, weil sie sich auffallend stark von den Dorfbewohnern ergänzte. Höhere und edlere Rücksichten in kirchlichen und Schulangelegenheiten wurden wenig begriffen und gefördert. Die Behauptung galt namentlich in Bezug auf den gegenwärtigen Gemeinderat, dessen Vorstand auf 3 Jahre gewählt, leider nicht die Kraft hatte, bessere Einflüsse zur Anerkenntnis und Durchführung zu bringen. Etwa ein Sechstel der Gemeinde war verarmt oder ganz besitzlos. Der Pfarrgemeinderat, der als im ganzen gut gewählt und zur Erfüllung seiner Pflichten willig gesehen wurde, wußte sich daher mit diesem nicht immer in der gewünschten Harmonie. Hierzu vermerkte der Dekan, dies sei seit einem Jahr besser. 1858 bestätigte der Pfarrer von Nagold seiner Gemeinde, sie sei kirchlich zu nennen. Nur wenige Leute vernachlässigten den Kirchenbesuch ganz. Die Sonn- und Festtagsgottesdienste fanden allgemeine Teilnahme, auch von den Beamten und Kaufleuten. Auch die Bußtage und die Sonntagskinderlehre wurden verhältnismäßig fleißig besucht, weniger die Wochenkinderlehre. Gleichwohl schien es, daß seit dem Eintritt besserer Zeiten der Eifer am Kirchenbesuch etwas nachgelassen habe. "Es haben sich im Kirchenbesuch und der Sonntagsfeier im allgemeinen eine lobenswerte Sitte und Ordnung eingebürgert, dessenungeachtet kann nicht behauptet werden, daß in kirchlichem Sinn auch schon ein ganz entsprechendes Maß christlichen Geistes und Lebens nachgefolgt wäre“.496 Die Stadtgemeinde hatte für folgende Projekte die Kosten übernommen: für neue Schulhäuser 38 000 fl, für den Ausbau der neuen Kirche 65 000 fl, für das neue Schullehrer-Seminar und die Erbauung einer Präparandenanstalt 25 000 fl. Dem Kirchenbesuch schädlich waren die Feuerwehrübungen am Sonntag, die vielen auf den Sonntag verlegten Vereinszusammenkünfte, auch landwirtschaft- liche Versammlungen unter der Leitung des Oberamtmanns Güntner. Auch gegen den Viehtrieb der Juden und die Fuhren der Müller und Bierbrauer, die sich nicht immer auf die Frühstunden beschränkten, hatte man stets zu kämpfen.497 Der Dekan bestätigte aber der Gemeinde Nagold, sie habe sich immer noch den Charakter einer guten altwürttembergischen Landgemeinde bewahrt. Auch zu den Dienstboten nahm der Pfarrer Stellung. Die Lehrlinge stünden gewöhnlich unter der Aufsicht ihrer Herrschaften und hatten ohne Ausnahme Kost und Wohnung bei ihren Lehrherren, aber das alte, patriarchalische Verhältnis verschwinde mehr und mehr. 496 Pfarrbericht Nagold, 1858. 497 Pfarrbericht Nagold, 1853. 117 Es sei weniger sittliche Fürsorge, was die Zucht übe, als das ökonomische Interesse. 498 Nach dem Pfarrbericht von 1898 war die Teilnahme am öffentlichen Gottesdienst immer noch recht befriedigend. Auch hier überstieg beim Gottesdienstbesuch die Zahl der Frauen die der Männer weit: Die Christenlehre wurde überhaupt fast nur von Frauen und Dienstmädchen besucht. An den Bußtagen erschienen nur 5 - 10 Männer im Gottesdienst, dagegen 60 bis 100 Frauen. An Feiertagen waren es durchschnittlich 30 Männer und 150 Frauen. Zu den Wochenkinderlehren kamen grundsätzlich keine Erwachsenen. "In den im Sommer und Winter gehaltenen Mittwochbetstunden um 10 Uhr vormittags haben wir zwischen 30 und 100 Zuhörer, außer den Kindern fast nur Frauen, höchstens 8 Männer. Bibelstunden werden von November bis Ostern Freitags 7 ½ bis 8 ½ abends im Zellersaal gehalten, vor vielleicht 150 Zuhörern, worunter etwa 15 Männer. Die Sonntagsfeier ist keine strenge, doch ist Sonntagsarbeit selten. Die Wirtshäuser füllen sich erst gegen Abend“. Die Pfarrer wurden um des Amtes willen geachtet, auch bei denen, die selten zur Kirche kamen". Der prüfende Prälat vermerkte über die Tätigkeit des amtierenden Dekans Christian Römer499, der seit 1895 in Nagold tätig war: "Bereitet sich hauptsächlich durch exegetische Erforschung des Wortsinns seines Textes vor, bildet sich dann Themen und Teile, schreibt stets die Einleitung wörtlich nieder, die einzelnen Texte bald ausführlich, bald kürzer, meditiert auf Grund der Niederschrift und trägt frei vor, ohne sich mehr als nur im allgemeinen an den Wortlaut des Manuskriptes zu halten. Sein theologischer Standpunkt ist der eines kräftigen, biblischen Supranaturalismus und Realismus“.500 Die anschließende Übersicht informiert über die Tätigkeit des Pfarrers. Gottesdienste 1892 1893 1894 1895 1896 1897 Sonn- Festtagspredigten 66 64 69 67 64 63 Feiertagspredigten 17 18 15 16 15 15 Bußtagspredigten 7 10 10 9 12 12 Bes. Predigten 12 8 10 9 10 12 Werktagskinderlehre 22 20 24 25 22 25 Sonntagschristenlehre 40 38 39 37 43 41 Betstunden 28 34 38 30 29 30 Bibelstunden 16 15 18 17 18 16 Traureden 7 11 11 15 14 14 Grabreden 26 25 35 32 27 30 Kommunionen 9 9 9 9 9 9 männlich 753 790 795 754 820 778 weiblich 961 1038 882 897 1090 1076 Konfirmation 82 75 95 88 91 55. 498 Pfarrbericht Nagold, 1877. 499 Dekan Christian Friedrich Römer (3.8.1854 - 25.2.1920), Dekan in Nagold 1895 - 1909, in Tübingen 1909 - 1911, Stiftsprediger in Stuttgart 1911 - 1920, Sigel Nr. 170,18. 500 Pfarrbericht Nagold, 1893. 118 Das Familienleben in Nagold war ein im allgemeinen äußerlich ehrbares. Es gab aber Haushaltungen, wo der Mann oder die Frau "nichtsnutzige Leute" waren und die Kinder vernachlässigt und zum Bettel erzogen wurden. In Nagold lebten aber auch einige Frauen, die von ihren Männern verlassen worden waren. 501 Den sittlich-religiösen Zustand seiner Gemeinde sah der Pfarrer von Öhringen 1847 „im Vergleich mit anderen Gemeinden des Vaterlandes noch als durchaus befriedigend“. Es fehlte nicht an den in unserer Zeit herrschenden Gebrechen, besonders Habsucht und Genußsucht, aber äußerliche Gesetzmäßigkeit, Zucht und Ordnung waren noch vorhanden. Der Kirchenkonvent hatte selten Vergehen zu rügen“. Als beachtenswert erschien der rege kirchliche Sinn und die Wertschätzung der kirchlichen Anstalten. „Besonders die Filialisten, bei denen die Trunkliebe nicht selten ist, lassen es sich oft recht sauer werden, die Sonntags- und Wochen- gottesdienste zu besuchen. In der geistigen Bildung stehen die Filialorte Untersöllbach und Möhrig am höchsten, Beyerbach am niedrigsten. Besonders auf dem Lande wird noch täglich Hausgottesdienst gehalten und sonntäglich eine Predigt gelesen. Auch wenn es nicht an Gleichgültigen fehlt, so ist bei der Mehrheit doch kirchlicher Sinn und Wertschätzung der gottesdienstlichen Anstalten bemerkbar“.502 „Pietisten- konventikel finden nicht statt“, hieß es im Pfarrbericht von 1850. Aber ebenfalls im Jahre 1850 vermerkte der Superintendent über den Pfarrer Gustav Adolf Dietzsch503, Sohn des Karl Friedrich Dietzsch, der von 1830 bis 1847 Dekan in Öhringen gewesen war: „Der sittliche Ruf des Stiftspredigers ist kein feiner. Man erzählt eine Reihe von Zügen großer Gemeinheit: Zoten reißen, Trinkgelage, Spaßmachenwollen und ein Meineid werden ihm nachgesagt. Auch wird er als die Hauptursache bezeichnet, daß die verschiedenen Parteien in Öhringen sich nicht versöhnen. Er lasse es nicht dazu kommen“.504 1886 schilderte der Geistliche seine Gemeinde als gut situierten Bürgerstand. Er wurde, wie er schrieb, sehr in Anspruch genommen. Das Familienleben war geordnet, die Kinderzucht, wie überall, eher zu lax. Die ledige Jugend war aber ordentlich und anständig, das Gesindewesen jedoch durch die Sitte des vielen Wanderns vom Ideal weit entfernt. Ein schöner Zug der Franken war ihr "nachbarlicher Geist", der sehr große Opfer brachte, oft mehr als die Blutsverwandtschaft. Die Beteiligung an den allgemeinen christlichen Interessen war rege, der Pfarrer mußte nie vergebens bitten. Der Sonntag wurde in würdiger Weise gefeiert. Der Boden war fruchtbar und gab leicht seinen Ertrag, deshalb lebte man auch gut und verbrauchte viel. 501 Pfarrbericht Nagold, 1898 502 Pfarrbericht Öhringen, 1847. 503 Gustav Adolf Dietzsch (31.1.1808 - 9.9.1875), Dekansverw. in Öhringen 1847 - 1875, Sigel Nr. 864b, 4; 504 Pfarrbericht Öhringen, 1850. 119 Aber auch der Boden für die Juden war sehr günstig, und sie wurden schnell reich.505 Auch in Öhringen wurde 1894 die Christlichkeit neben dem Kirchenbesuch an der Zahl der gelesenen christlichen Blätter festgemacht: Evangelisches Sonntagsblatt 335, Christenbote 53, Familienblatt 68, Christlicher Volksfreund 48, Grüß Gott 20, Haller Monatshefte 35, Glaubensbote 24, Basler Sammlungen 4, Weissagungen Freunds 4, Heidenbote 15, Jugendblätter 10, Basler Missionsblätter 10, Erbauliche Mitteilungen 10, Kindermissionsblätter 5, Illustrierter Hausfreund 16, Elberfelder Kinderbote 14, Jugendfreuden 7.506 Auch 1910 wurde der gute Besuch der Gottesdienste noch gelobt. "Der Vormittags-Gottesdienst wird fleißig, der Nachtmittags-Gottesdienst befriedigend besucht. Der Sonntag wird von der Gemeinde gefeiert, aber der Wirtshausbesuch und immer neue Vereine beeinträchtigen die Sonntagsfeier. Trotzdem haben die Gemeindeglieder Vertrauen zum Geistlichen, und die ledige Jugend ist im allgemeinen ordentlich und anständig". Die Christlichkeit der Gemeinde zeigte sich auch in diesem Jahr wieder darin, daß viele christliche Blätter gelesen wurden. Sie wurden einzeln aufgeführt: Das Sonntagsblatt 215 Personen, Christenbote 36, Für Alle (Elberfeld) 170, Weitbrechts Jugendblätter 6, Grüß Gott 10, Jugendfreund 1, Basler Sammlungen 76, Philadelphia 6, Glaubensbote 3, Kinderbote 2, Heidenbote 2, Illustrierter Hausfreund 11, Jugendfreund 110, Christlicher Volksfreund 68, Neues deutsches Familienblatt 100, Haller Monatsblätter - Öhringen 750, Haller Monatsblätter - Cappel 200, Evangelischer Bund 73, Illustrierte Monatshefte 15, Gemeinschaftsblatt 20. Das evangelische Vereinshaus konnte 1905 eingeweiht werden, und die Kosten für die Haller Diakonissen wurden durch Monatssammlungen aufgebracht.507 Der Stadtpfarrer von Ravensburg, Johann Martin Kutter508, schilderte 1827 ausführlich die Verhältnisse in der ehemaligen Freien Reichsstadt.. Als erster Stadtpfarrer vertrat er seit 1829 bis zu seinem Tod 1843 zugleich den Dekan von Biberach: „Die Stadt ist etwas bergigt, mit gutem und überflüssigem Quellwasser versehen, hat lauter laufende Brunnen, ist sehr gesund und die Gegend sehr fruchtbar an Getreide aller Art, Gemüse, Obst und Wein. Die Einwohner haben ziemlich viel Bildung des Geistes und eine gute Urteilskraft, so daß der Mystizismus der neuen Zeit so wenig als der Pietismus, dem nur ganz wenige angehören, Eingang findet. Sie sind tüchtig und arbeitsam, im Ganzen friedlich und verträglich, und zeigen auch bei Gelegenheit viel Gefühl und Menschenliebe. 505 Pfarrbericht Öhringen, 1886. 506 Pfarrbericht Öhringen, 1894. 507 Pfarrbericht Öhringen, 1910. 508 Johann Martin Kutter (25.4.1767 - 15.5.1843), 1. Stadtpfarrer und Dekanverwalter, Sigel Nr. 920,4. 120 Etwa zu viel Luxus, besonders für unsere etwas gewerbslose Zeit, möchte ihnen vorgeworfen werden können, und mehr Sittenreinheit und Keuschheit dem jüngeren Geschlecht zu wünschen sein, das bei besseren Zeiten und mehr Leichtigkeit sich niederzulassen und ein Geschäft zu betreiben vielleicht zu hoffen ist“.509 Im Bericht von 1840, dreizehn Jahre später, schrieb der Dekanverweser Johann Martin Kutter, damals bereits 73 Jahre alt, über den religiös-sittlichen Zustand seiner Gemeinde: „Unvollkommenheit, wie überall. Doch kann man im Ganzen genommen zufrieden sein. Der Kirchenbesuch und die Teilnahme am Heiligen Abendmahl hat eher zu- als abgenommen. Kirchenscheu ist bei dem weit größeren Teil der Gemeinde nicht vorhanden". In Rottenburg zeigte sich nach dem Pfarrbericht von 1840, daß nur ein kleiner Teil der Gemeinde religiösen Sinn hatte, der größere Teil indifferent war und nur selten zum Abendmahl und in die Kirche kam.510 In der Folgezeit scheint sich aber die Zuwendung doch gehoben zu haben., und 1850 vermerkte der Pfarrer, daß es vor allem beim weiblichen Teil der Gemeinde und den bürgerlichen Mitgliedern nicht an kirchlichem Sinn fehle. "Die Herren Honoratioren haben nun wohl auch davon sprechen lernen, daß das religiöse und kirchliche Leben im Volk geweckt werden müßte, weiter sind sie jedoch noch nicht gekommen, wenn sie wohl an Festtagen die Kirche auch besuchen. Aber daß der kirchliche Sinn auch das Leben durchdringe, zu dem fehlt noch viel". Abendmahl wurde nur zweimal im Jahr gehalten.511 Am 5. Juli 1831 wurde die Kirchengemeinde Rottenburg von Remmingsheim getrennt und zunächst als Pfarrverweserei selbständig. 1840 wurde eine eigene Stadtpfarrstelle genehmigt, 1841 der erste Stadtpfarrer Gustav Ludwig Hoffmann ernannt. 1862 wurde vom Pfarrer beanstandet, daß "einige Herren aus dem höheren und niederen Beamtenstand am lässigsten und saumseligsten hinsichtlich des Kirchenbesuches" seien. 1908 war zu lesen: „Die Teilnahme am sonntäglichen Hauptgottesdienst ist befriedigend, im Sommer zuweilen spärlich, an den festtäglichen Gottesdiensten aber sehr groß, weil an diesen Tagen fast alle Eingepfarrten in die Stadt und in die Kirche kommen“. Die Teilnahme an der Sonntags-Christenlehre von Seiten der Erwachsenen beschränkte sich aber auf durchschnittlich 2 - 5 Personen. Die frühere Freitags-Bibelstunde (Betstunde) war durch einen Beschluß des Kirchengemeinderats aufgehoben worden. Dafür wurden in den Wintermonaten Abendbibelstunden gehalten, die sich aber nicht recht einbürgerten. Der Besuch ließ sehr zu wünschen übrig. Dagegen war der Besuch der Feiertagsgottesdienste befriedigend. Bußtage wurden herkömmlich nicht gefeiert. 509 Pfarrbeschreibung Ravensburg, 1827, 510 Pfarrbericht Rottenburg, 1840. 511 Pfarrbericht Rottenburg, 1850. 121 Es wurde auch hier wieder lobend erwähnt, daß die Zahl der Frauen die der Männer weit überstieg, eine Feststellung, der wir auch in anderen Gemeinden und beim Besuch des Abendmahls wieder begegnen werden. Auch der Hinweis, daß beispielsweise in den Gebetsstunden oft nur Frauen anwesend waren und die Männer ganz fehlten, war in den Pfarrberichten immer wieder zu finden. Es soll nun an Hand einiger Beispiele die Entwicklung in Stuttgart aufgezeigt werden, die zwar über den Berichtszeitraum hinausgreift, sich aber schon lange vor dieser Zeit angebahnt hat. Im Pfarrbericht der Stiftskirche von 1917 von Christian Römer512, seit 1911 Stiftsprediger und seit 1912 Prälat, der auch an der neuen Kirchenverfassung von 1920 aktiv und maßgeblich mitgearbeitet hat, wurde auf den Kirchenbesuch und die Kirchlichkeit nicht mehr Bezug genommen. Es wurde nur noch erwähnt, durch den Krieg habe sich das Bedürfnis nach Seelsorge, nach Predigt und Abendmahl, auch dem Dienst der Nächstenliebe, neu belebt. 1917 schrieb Gustav Gross513, Amtsdekan an der Leonhardskirche, in seinem Bericht, Stuttgart habe „verhältnismäßig wenige Arme aus den unteren Ständen“. Zahlreich vertreten sei aber der notleidende Mittelstand und es gebe auch einige arm gewordene Reiche. Die besser Bemittelten, Industrielle, Kaufleute und höhere Beamte, bauten um 1910 sehr viel auf dem Gebiet der Gänsheide.514 Lobend erwähnt wurde auch immer das Kirchenopfer, das in dieser Zeit an der Leonhardskirche jährlich ungefähr 10 000 Mark betrug. „An Festtagen ist unsere Kirche stets gefüllt, manchmal, an Karfreitag oder am Jahresschluß, überfüllt, am Sonntagvormittag gut besucht, am Sonntagabend, je nach Jahreszeit und Witterung, etwa halbvoll. Der Besuch der sonstigen Wochengottesdienste ist schwach. Bei den Lebensverhältnissen in der heutigen Großstadt ist oft nicht einmal mehr eine gemeinsame Mahlzeit möglich, wie viel weniger eine gemeinsame Hausandacht zu erwarten“. 515 Der Pfarrer der Gedächtniskirche, Ernst Georg Hermann Ludwig Mögling516, führte in seinem Pfarrbericht auch die im Laufe des Jahres von ihm gehaltenen Predigten und Gottesdienste auf, seine Reden bei Trauungen und Beerdigungen, die Stunden für Religions- und Konfirmantenunterricht, die Bibelstunden, die Jugend- und liturgischen Gottesdienste, sowie seine Hausbesuche.517 Auch während des Krieges machte er noch jährlich ungefähr 1300 Besuche, 1920 immer noch 1 510, 1921 auch noch 1 506. 512 Christian Friedrich Römer (3.8.1854 - 25.2.1920), Stiftsprediger 1911 - 1920, Sigel Nr. 170,18. 513 Gustav Gross (9.3.1861 - 6.2.1943) Stiftsprediger 1920 - 1930, Sigel Nr. 149,6. 514 Pfarrbericht Stuttgart, Leonhardskirche. 1917. 515 Pfarrbericht Stuttgart, Leonhardskirche, 1917. 516 Ernst Georg Hermann Ludwig Mögling (7.1.1861 - 10.3.1929), Sigel Nr. 1089,6. 517 Pfarrbericht Stuttgart, Gedächtniskirche, 1916. 122 Hausbesuche bei den einzelnen Gemeindegliedern waren auch in dieser Zeit noch nicht wegzudenkender Bestandteil der seelsorgerlichen Betreuung der Gemeinde und auch nach dem Krieg durchaus noch an der Tagesordnung. 518 Von Sixt Carl von Kapff ist überliefert, daß er neben seinen vielen Tätigkeiten in öffentlichen Stellungen, seiner Beteiligung an den Rettungsanstalten, als Mitglied der Zentralleitung der Wohltätigkeitsvereine, des ehegerichtlichen Senats beim Stuttgarter Obertribunal, als Abgesandter der Landessynode, dem Vorstand im Diakonissenhaus, den Missionskonferenzen, als Delegierter der Eisenacher Kirchenkonferenz, als Präsident der württembergischen Bibelanstalt, ganz abgesehen von der gewissenhaften Predigttätigkeit als Stiftsprediger und Konsistorialrat, auch der seelsorgerischen Betreuung seiner Gemeinde umfassend nachkam und im Laufe des Jahres ungefähr 3 000 Besuche absolvierte.519 Da ein solcher Besuch im allgemeinen nur etwa zehn Minuten dauerte, darf bezweifelt werden, ob hier noch Zeit für ein befriedigendes seelsorgerliches Gespräch blieb. All diesen Berichten ist zu entnehmen, daß das Verhältnis von Kirche und Gemeinde sich im Laufe der hundert Jahre stark gewandelt hat. Zwar wurde im allgemeinen sowohl der Kirchenbesuch als auch die Heiligung des Sonntags immer noch gelobt, aber die Voraussetzungen waren wesentlich andere geworden. Selbst volle Kirchen waren bei der überall stark gestiegenen Bevölkerung kein Zeichen mehr für eine „Kirchlichkeit“ im ursprünglichen Sinne. Auch die kirchlich gesinnten Mitglieder einer Gemeinde hatten nun Interessen, die allmählich außerhalb des rein kirchlichen Bereiches lagen. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen. Seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts war die Kirche in Böblingen renovierungsbedürftig, und 1862 hieß es, daß seit dreißig Jahren ein Kirchenneubau geplant sei, weil der Platz in der Kirche für die anwachsende Gemeinde nicht mehr ausreichte. Man war gezwungen, an Festtagen zusätzlich Schrannen in die Gänge zu stellen, um allen Gemeindegliedern Platz anbieten zu können. Für die Neubaupläne wurde auch schon seit Jahren das Kirchenopfer eines Sonntags bereitgestellt. Während die Kirche aber 1862 für die 3 762 Evangelischen der Gemeinde zu klein war, und betont wurde, ein Neubau sei dringend nötig, war sie 1910 bei einer nunmehr stark auf 5 422 Evangelische gewachsenen Bevölkerung „an Festtagen gerade noch voll“. Der Pfarrer aber klagte wegen des geringen Kirchenbesuches: „Der Fabrikarbeiter schläft aus, der Schreiner hobelt, der Bauer schafft im Stall, die Frau putzt und wäscht“.520 Es hatte sich 1910 also auch in Böblingen gegenüber der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein grundlegender Wandel vollzogen. Die Zahl der Kirchenbesucher hatte drastisch abgenommen. Auch die kirchlich gesinnten Mitglieder der Gemeinde hatten Interessen, die nicht mehr allein durch die Kirche bestimmt wurden. 518 Pfarrbericht Stuttgart, Gedächtniskirche, 1922. 519 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 406; Sixt Carl von Kapff, Sigel Nr. 19,14. 520 Pfarrbericht Böblingen, 1910. 123 Die bisherigen, durch Jahrhunderte geltenden Arbeits- und Lebensformen hatten sich langsam gewandelt und neue Gewohnheiten hatten die Gesellschaft grundlegend geändert, was natürlich auch auf das kirchliche Leben nicht ohne Einfluß sein konnte. In Tübingen mit seiner ganz besonderen Sozialstruktur wies der Pfarrer Johann Gottfried Pressel521, der von 1822 - 1838 hier tätig war, schon im Jahre 1828 auf „die Verschiedenheit der Stände und der Bildung“ in seiner Gemeinde hin und darauf, daß die geistigen und sittlichen Eigenschaften bei diesen Voraussetzungen ebenfalls ganz verschieden waren. Er konstatierte auf der einen Seite Beispiele der höchsten Rohheit unter den Weingärtnern und Handwerkern, auch viel Verdorbenheit unter dem weiblichen Geschlecht, andererseits sah er aber auch wieder „nicht wenige, die Zucht und Ehrbarkeit und einen richtigen, gesunden Blick in ihrem Tun zeigen“, und die Kirchen wurden in der Regel fleißig besucht.522 Auch im Jahre 1842 war der sittlich-religiöse Zustand der Gemeinde nicht erfreulich. Der kirchliche Sinn war mangelhaft, der Kirchenbesuch an Festtagen zahlreich, an gewöhnlichen Sonntagen "aber nicht einmal ziemlich zahlreich, wenigstens von Seiten des Handwerker- und Weingärtnerstandes männlichen Teils". In den Wochengottesdiensten beschränkte sich der Besuch "auf eine gewisse kleine Zahl von Erwachsenen, namentlich weiblichen Geschlechts". Die Bußtagspredigt war höchstens "um ein kleines besuchter, als die gewöhnlichen Wochenpredigten", für die Betstunden aber, die außer den Psalmen auch andere Teile der Bibel behandelten, und die hier nicht üblichen Vesper-lektionen ersetzten, interessierten sich nur ganz wenige Erwachsene, so daß an den Betstunden, wie auch an den Kinderlehren, eigentlich nur die pflichtigen Schulkinder teilnahmen.523 1848 notierte der Pfarrer524, daß bei dem in der jüngsten Zeit fast völligen Erlahmen der obrigkeitlichen Zucht vieler Roheit zum Ausbruch verholfen wurde, und die Sonntage ein betrübliches Bild von der besonders bei der Jugend einreißenden Gleichgültigkeit gegen das Heilige gaben. Er beanstandete Genuß- und Trunksucht und Ausgelassenheit, wogegen der Kirchenkonvent mit öffentlichen Ermahnungen nur schwachen Einspruch tun konnte.525 1871 bemängelte der Pfarrer Georg Friedrich Frank526, daß Honoratioren und Studenten Sonntags-Ausflüge in alle Richtungen machten, anstatt den Gottesdienst zu besuchen. 521 M. Johann Gottfried Pressel (19.5.1789 - 31.3.1848), 2. Diakon in Tübingen 1817, 1. Diakon 1822, Dekan 1838 - 1848, Sigel Nr. 118,9. 522 Pfarrbeschreibung Tübingen, 1828. 523 Pfarrbericht Tübingen, 1842. 524 Johann Gottfried Pressel (19.5.1789 - 31.3.1848), Dekan in Tübingen 1838 - 1848, Sigel Nr. 118,9. 525 Pfarrbericht Tübingen, 1848. 526 Georg Friedrich Frank (2.6.1813 - 18.9.1886), Dekan in Tübingen 1870 - 1884, Sigel Nr. 325,22. 124 Die ledige Jugend beiderlei Geschlechts war in der hiesigen Gemeinde natürlich besonderen Versuchungen ausgesetzt und wurde vom Geist der Ungebundenheit angesteckt. Im letzten Jahr hatte, hoffentlich nur vorübergehend, die Zahl der unehelichen Geburten stark zugenommen. "Das Gesinde", schrieb der Pfarrer, "konnte bei den gemischten Bestandteilen des gesellschaftlichen Lebens nicht mehr in strenger Zucht und Ordnung gehalten werden".527 Selbstverständlich war auch in Tübingen bei den Festgottesdiensten die Zahl der Besucher größer, als bei normalen Gottesdiensten. Der Stadtpfarrer und Dekan von Tuttlingen erwähnte in seinem Pfarrbericht von 1841 bei den Angaben zu diesem Kapitel zunächst, daß der vorige Dekan M. Carl Friedrich Kapff528 im April 1838 im Alter von 65 Jahren verstorben war und die Pfarrstelle dann 1 ½ Jahre lang von einem Pfarrverweser versehen wurde.529 Er selbst hatte seinen Dienst am 26. Oktober 1838 angetreten: „Magister Christian Gottlob Moser530, früher Dekan und Stadtpfarrer in Brackenheim, geboren zu Stuttgart am 26. Februar 1799, sonach jetzt 42 Jahre alt. Er ist seit 1 ½ Jahren auf dieser seiner 4. Stelle, überhaupt im Amte 16 ½ Jahre, Dekan seit 6 ½ Jahren, verheiratet, hat 6 unversorgte Kinder, 3 Knaben und 3 Mädchen, und ein verhältnismäßig geringes Vermögen. Er setzt sein theologisches Studium nur mit großen Unterbrechungen fort, da ihm das Amt und die Fürsorge für seine Kinder und schon öfter wiedergekehrte schwere Krankheitsanfälle, in neuester Zeit auch außerordentliche Geschäfte, wenig Zeit übrig gelassen haben. Er steht in der Theologischen und Schullehrer- Lesegesellschaft der Diözese, hat im fraglichen Zeitraum außer einige Gelegen- heitspredigten und Reden auf besonderes Verlangen nichts im Druck herausgegeben, predigt frei nach sorgfältig überdachten Dispositionen und ohne vorgängiges Studium“. „Diakonus war über den ganzen fraglichen Zeitraum M. Albert Heinrich Christian, geboren Stuttgart den 2. Mai 1799. Er ist durch höchste Entschließung vom 3./11. Mai zum Stadtpfarrer in Sindelfingen, Dekanat Böblingen, ernannt worden und am 6. Juli auf seine neue Stelle abgegangen. Da dieser Bericht größeren Teils auf seine Amtsführung sich bezieht, besonders da derselbe lange Zeit, und einmal 19 Monate in continuo Stadtpfarr- und Dekanats-Verweser war, so erscheint es nicht überflüssig, seine persönlichen Verhältnisse hier vollständig aufzunehmen. Er war im Juli 1826 auf das hiesige Dekanat als seine erste Stelle ernannt worden, und versah dieselbe nahezu 15 Jahre. Er ist verehelicht und hat 5 lebende Kinder, deren ältestes 10 Jahre alt ist. Seine Vermögensumstände sind ziemlich gut. 527 Pfarrbericht Tübingen, 1871. 528 Carl Friedrich Kapff (8.7.1772 - 7.4.1838). Dekan in Tuttlingen 1819 - 1838, Sigel Nr. 606,30. 529 Pfarrbericht Tuttlingen, 1841. 530 Christian Gottlob Moser, Dekan in Brackenheim 1834 - 1839, in Tuttlingen 1839 - 1842, in Kirchheim 1842 - 1848. Sigel Nr. 19,15. 125 Bei der Fortsetzung seiner theologischen und pädagogischen Studien, die übrigens der Natur der Sache nach in dem fraglichen Zeitraum manche Unterbrechung erlitten, benutzte er Olshausens Kommentare531, Calwin über die Kirche Pauli532, Pantateuch mit Meyers Übersetzung und Anmerkungen533, Nitzschs System der christlichen Lehre534 und Einzelnes aus den Schriften der theologischen Lesegesellschaft, Denzels Einleitung und mehrere pädagogische Zeitschriften. Er ist Mitglied der Theologischen und Schullehrer-Lesegesellschaft der Diözese. Im Druck sind von ihm teils vor, teils in den fraglichen vier Jahren erschienen: 15 Jahresberichte der Tuttlinger Erziehungsanstalt für hilfsbedürftige Kinder, einzelne Predigten, Liturgie bei der Einweihung der Kirche zu Wilhelmsdorf, historische, biografische, psychologische und asketische Aufsätze in mehreren Zeitschriften, Beiträge zur Geschichte und Topografie von Tuttlingen in Köhlers „Tuttlingen“. Er führte die Konferenzdirektion des inneren Bezirks der Diözese Tuttlingen von 1826 bis 1841, die Aufsicht über die städtischen Volksschulen und über die Schule in Ludwigstal. Er pflegt seine Predigten teils vollständig zu schreiben und dann meist abzulesen, teils nach ausführlichen Entwürfen zu halten". Nach dem Abgang des Helfers Christian hat Dekan Moser das Diakonat allein weiter versehen. Jetziger Helfer ist seit 30. Juni/ 2. Juli Johann Georg Gauß, geboren in Blaubeuren am 21. Juli 1809, 32 Jahre alt. Die Anstellung eines ständigen Stadtvikars wäre Bedürfnis, hauptsächlich um den Schulen der Stadt eine ausgedehntere Beaufsichtigung und weiteren Religionsunterricht angedeihen lassen zu können und die Masse der Konfirmanden des Helfers in zwei Teile zu teilen“. Die Kirchlichkeit ist in sichtbarer Zunahme begriffen, und es gibt wenigstens manche Einzelne, welche wirkliches Interesse für Religion und Christentum und Empfänglichkeit für das Letztere überhaupt zeigen, auch das Bestreben der Geistlichen, Zucht und Ordnung zu halten, entschieden billigen. Aber freilich ist die Achtung vor den kirchlichen Anstalten lange nicht so allgemein, als es zu wünschen wäre. 531 Hermann Olshausen (1796 - 1839), 1818 Repetent an der Universität Berlin, 1820 Privatdozent, 1827 ordentlicher Professor für N.T. in Königsberg. 1818 Schrift über Melanchton, 1820 Historiae ecclesiae veteris monumenta, 1824 Biblische Schriftauslegung, 1830 Kommentar über sämtliche Schriften des Neuen Testaments. RGG 4, 1912, Sp. 951. 532 Johannes Calwin (1509 - 1564), RGG 1 (1909), Sp. 1542 - 1554. 533 Johann Friedrich Meyer (1772 - 1849): Luthers Übersetzung verbessert mit fortlaufenden erklärenden Anmerkungen. RGG 4 (1913), Sp. 365 - 366. 534 Karl Immanuel Nitzsch (1787 - 1868), evangelischer Theologe, Führer der deutschen Vermittlungs- theologie, 1810 Dozent in Wittenberg, 1817 Professor am Predigerseminar, 1820 Superintendent in Komberg, 1822 - 1847 Lehrtätigkeit in systematischer und praktischer Theologie. Literatur: System der christlichen Lehre 1829, Praktische Theologie, 3 Bde., Urkundenbuch der Ev. Union 1853. 126 Daß die Wochengottesdienste von Erwachsenen fast gar nicht besucht werden, hat Tuttlingen mit den meisten Städten und Dörfern gemein, aber daß die Mehrzahl der Honoratioren, Beamten und Kaufleute, und auch viele Gewerbsleute den Gottesdienst beinahe nie besuchen, daß sogar die Weiber auch in den Sonntagsgottesdiensten in verhältnismäßig geringer Zahl erscheinen, daß die Mehrzahl der Anwesenden aus jungem Volke zu bestehen pflegt, das den Gottesdienst aus zweifelhaften Absichten besucht, und aus Kindern, die zum Gottesdienstbesuch verpflichtet sind, daß die Ordnung und Stille in der Kirche so sehr schwer aufrecht zu erhalten ist, - das alles zeigt eine größere Indolenz in religiöser Beziehung an, als sie sonst in Landstädten zu finden ist“. Sorge machte dem Pfarrer allem Anschein nach auch der niedere Bildungsstand seiner Gemeindeglieder, denn er nahm hierzu ausführlich Stellung: „Auf Beseitigung des Mangels an Bildung im allgemeinen und vielfacher bei der hiesigen Jugend vorkommenden Gebrechen ist zwar schon von früheren würdigen Geistlichen, unter denen Dekan Schmid und Helfer Rommel in besonders gesegnetem Andenken stehen, mit Ernst und christlichem Eifer hingewirkt worden, und wird auch in neuerer Zeit durch besondere Fürsorge für das Schulwesen, Vermehrung der Lehrer, Schulbesuch und Unterricht in Schule und Kirche von Seiten der Geistlichen eifrig hingewirkt. Es dürften aber immer noch mehrere Jahrzehnte hingehen, bis eine bedeutende Hebung des Gesamtzustandes sichtbar hervortreten kann“.535 Im Verhältnis zu anderen, besonders größeren Stadtgemeinden, wurde die Bildung in Tuttlingen vom Pfarrer als nur als auf sehr niederer Stufe stehend bezeichnet. Unter den hierfür in Betracht kommenden Momenten stand die Geringachtung der Schulanstalten, besonders derjenigen für die höhere Bildung, an vorderer Stelle. So wurde die lateinische Schule nur von 6 Schülern besucht, unter denen sich kein Sohn eines hiesigen Bürgers befand. Die Real- und Elementarschule hatte nur 19 Schüler, während ein ungleich stärkerer Besuch erwartet werden konnte. Ebenso war die Benützung der freiwilligen Industrieschule und der durch einen Privatfrauenverein gestifteten und geleiteten Kleinkinderbewahranstalt verhältnismäßig äußerst gering. Für eine höhere Ausbildung von Mädchen in Sprachen und weiblichen Arbeiten war nicht die mindeste Gelegenheit vorhanden und es wurde eine solche nur von den wenigsten Honoratioren vermißt. Die zahlreichen städtischen Gewerbe befanden sich größtenteils noch in einem Kindheitszustande, mit Ausnahme des Messerschmiede-, Rumpfweber-, Schuhmacher- und etwa des Gerberei-Handwerkes. Eine gewisse Derbheit des Volkscharakters und ein mitunter abstoßendes Betragen, besonders gegen Fremde, fiel dem Pfarrer auf. Das Selbst- und Ehrgefühl äußerte sich, besonders bei der wohlhabenden Bürgerschaft, meist sehr stark und artete häufig in Stolz und Eigensinn aus. Große Anhänglichkeit an das Hergebrachte in Sitten, Gebräuchen, Lebensart, und Unzugänglichkeit für das Bessere, das von außen her nahegebracht werden sollte, unterschieden den Tuttlinger von anderen Städtern. 535 Pfarrbericht Tuttlingen, 1841. 127 Der Grund dieser Eigentümlichkeiten lag nicht bloß in der sehr fühlbaren Bildungslosigkeit der älteren Generation, aus der viele Einzelne weder Lesen noch Schreiben konnten und auch in Religionskenntnissen sehr vernachlässigt waren. Es war auch die isolierte Lage, bei welcher die Stadt nicht nur von den größeren evangelischen Landesteilen, sondern auch von den Diözesanorten getrennt war. Dazu kam, daß die meisten Lehrer und Beamte "in vielfacher endemischer Familienverbindung" standen und darum die Eigentümlichkeiten der Stadt in Folge allmählicher Angewöhnung an dieselben weniger in ihrer Fehlerhaftigkeit erkennen konnten, oder sich in ihrem Kampf gegen dieselben gehemmt fühlten, und diese nur umso mehr als eine ziemlich "verbreitete Mißdeutung der Gleichheit in bürgerlichen Rechten unter dem moralischen Einfluß der benachbarten Schweiz dem Ansehen der Beamten schadete". Es fehlte dabei sehr an edlerem Gemeingeist der Bürger und richtiger Würdigung der bürgerlichen Institute, wie denn z.B. städtische Beamtenwahlen (z.B. Ergänzung des Bürgerausschusses) oft mit Leichtsinn und ohne Rücksicht auf das Gemeindewohl betrieben wurden. Jeder suchte für sich möglichst schnell emporzukommen, und Geld war recht eigentlich das regierende Prinzip in der Stadt, aber so sehr mit Eigennutz und Gewinnsucht gepaart, daß viele an den Sonntagvormittagen ihr Gewerbe emsig forttrieben, und nur den Nachmittag aussetzen, um diesen in den Bierschenken zuzubringen. Uninteressierte Gefälligkeit gegen andere war etwas seltenes und unter dem eigennützigen Treiben ging selbst das gesellige Leben unter, so daß der Nachbar oft nichts vom Nachbarn wußte. Ehedissidien waren sehr häufig, und die Kinderzucht war auch hier wenig erfreulich. Schon kleine Kinder waren auffallend lärmend und wild in den Straßen, und kein Bürger glaubte sich berufen, den von ihm gesehenen Unarten und Roheiten auch nur mit einem strafenden Worte zu begegnen. Die ältere Jugend war unbotmäßig und frech, durch den schädlichen Einfluß so vieler ab- und zugehender fremder Dienstboten, Lehrlinge und Gesellen verwildert. Die einheimischen Dienstboten waren verwöhnt und wegen der Leichtigkeit, in der Schweiz einträgliche Plätze zu finden, anmaßend. Gleichwohl war der Ruhm der Keuschheit, dessen sich früher die Stadtgemeinde zu erfreuen hatte, noch nicht ganz verschwunden. Zwar nahm die Zahl der unehelichen Kinder zu, aber die Verhältniszahl der unehelichen zu den ehelichen Geburten, 1-24 (4,16%), war eine immer noch sehr günstige, und von gewerbsmäßiger Hurerei wurde nicht viel vernommen“. 1850 war zu lesen: „Auch in Tuttlingen hört die Religion nicht auf, an den Herzen mehrerer ihre bessernde und beruhigende Kraft zu beweisen. Wohltätigkeit und Liebeswerke sind nicht selten". Die Kirchen wurden fleißig und gern besucht und der Geistliche stand in der Gemeinde in Achtung.536 Oft wurden an den Sonntagen aber auch nur „die Kinder in die Kirche geschickt, ein Zeichen dafür, daß bei vielen nur noch ein Rest äußerer Kirchlichkeit vorhanden ist“. Der offensichtliche Widerspruch in dieser Aussage fiel dem Pfarrer anscheinend nicht auf. 536 Pfarrbericht Tuttlingen, 1850. 128 Es wurde in diesem Zusammenhang auch wieder die „mangelnde Beschaffenheit des Schulunterrichts“ in Tuttlingen beanstandet und als Folge davon die Trägheit der Personen im Arbeitsleben, sowie die Tatsache, daß selbst noch in dieser Zeit manche älteren Personen weder schreiben noch ordentlich lesen konnten. Das Familienleben litt unter der großen Zahl gemischter Ehen, und die Zahl der gefallenen Bräute war 1911 erschreckend groß.537 Der moderne säkularisierte Staat sah es als seine vordringliche Aufgabe an, den allgemeinen Fortschritt und die Wohlfahrt zu fördern, "alte, der aufgeklärten Haltung nicht mehr entsprechende Formen zu beseitigen" und für die Bildung des Volkes zu sorgen. Zucht und Ordnung waren hohe Ideale. In dieser veränderten Welt konnte die Kirche nicht mehr der Mittelpunkt des täglichen Lebens sein. "Die Kirche wird anerkannt, so lange sie der Staatsideologie der Aufklärung nicht im Wege steht".538 Im Interesse des Staatshaushaltes wurden unter der Regierung König Friedrichs, der in seinen Theologen, wie in anderen Beamten auch, fachlich vorgebildete Erfüllungsgehilfen sah, Pfarrstellen eingespart, um die Staatsausgaben zu verringern. An eine Vermehrung dieser Stellen, die zu einer besseren geistlichen Versorgung der Gemeinden dringend nötig gewesen wäre, war somit in dieser Zeit, nicht zu denken.539 Eine Eigenverwaltung der Kirche wurde von Amts wegen systematisch verhindert. Durch Gesetze und Verordnungen wurde, um der Einheitlichkeit im neuen Königreich willen, der Spielraum der Kirche immer weiter eingeschränkt. Die Verkündigung des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit war an die erste Stelle der Aufgaben eines Kirchendieners gesetzt worden. Damit war dem Pfarrer selbst, als "öffentlicher Diener" dem Staatsbeamten weitgehend gleichgestellt, kein Platz mehr gegeben für eine ausreichende Betreuung der Gemeinde und für die Verkündigung des Wortes Gottes als der eigentlichen obersten Aufgabe der Kirche. Der Text des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses vom 25. Juni 1530540, der seit 1739 am Sonntag nach dem 25. Juni verlesen worden war, durfte um des konfessionellen Friedens willen (wegen ihren "Verdammungen") nicht mehr verkündet werden.541 Daß die Kirchenbuße für Ehebruch abgeschafft worden war, wurde auch als Eingriff in die Christlichkeit, in das Recht der Normsetzung der Kirche, gesehen. 537 Pfarrbericht Tuttlingen, 1911. 538 Gässner: Vom Kirchenkonvent zum Kirchengemeinderat, S. 119. 538 Gerhard Schäfer: Das Ringen um neue, kirchliche Ordnungen, S. 285. 539 Gerhard Schäfer: Die Evangelische Landeskirche und der säkularisierte Staat von König Friedrich I. von Württemberg, in: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, II., S. 313. 540 Gebhard: Handbuch der deutschen Geschichte, Reichstag von Augsburg, S. 595. 541 Kurfüstliche Resolution vom 1.Januar 1805. 129 Auch die alte Eheordnung, die in all den Jahren am Feiertag Matthäi, am 21. September, "mit deutlicher Beziehung auf Fleischessünden" von den Kanzeln verlesen worden war, und die vielleicht, wie nachdrücklich erwähnt wurde, auch ein wirksames Mittel gegen das "Heiraten ins Papsttum" gewesen wäre, sollte, weil sie wegen des Hinweises auf die "Fleischessünden" als zu eng empfunden wurde, nicht mehr öffentlich verkündet werden.542 Dies war mit einem Konsistorialerlaß vom 11. September 1806 festgelegt worden:543 "Da wir allergnädigst geschehen lassen wollen, daß für diesmal auf den nächstkünftigen Feiertag Matthäi die Verlesung der Eheordnung in der Kirche unterbleibt, so habt ihr unverweilt das Nötige danach zu veranlassen".544 Kirche und Pfarrerschaft erhielten genaue Anweisungen, wie sie ihren Dienst für den Staat und die Allgemeinheit im Rahmen staatlicher Verordnungen auszuführen hatten. Ein Hauptgeschäft des Geistlichen war, "die Wahrheiten des Christentums in freier Rede vorzutragen". Die Pflicht des Pfarrers war selbstverständlich, seine Predigt sorgfältig und gewissenhaft vorzubereiten. "welche bloß von leichtsinnigen und gewissenlosen Geistlichen hintangesetzt werden kann". Genau so wichtig war die Katechisation, "durch welche die Jugend eine klare und fruchtbare Erkenntnis der Wahrheiten des Christentums gewinnen soll". Die Schule als "Pflanzstätte alles Guten" wurde der besonderen Aufmerksamkeit des Pfarrers empfohlen, und es wurde ihm geraten, "die freie Zeit, die ihm seine Amtsgeschäfte übrig lassen, sorgfältig und zweckmäßig zu nutzen. Ohne sich unangemessenen oder gar unanständigen Beschäftigungen zu widmen, solle er sich vor allem in den Wissenschaften fortbilden".545 Was die Christlichkeit und den Besuch der Gottesdienste betrifft, so wurde über einen mangelhaften Kirchenbesuch auch im 18. Jahrhundert schon lebhaft geklagt und versucht, diesem Übel durch alle möglichen Maßnahmen abzuhelfen. Bei der Behandlung der Kirchenkonvente und Kirchengemeinderäte wird dieses Thema wieder zur Sprache kommen. Der im Laufe der Zeit schlechter werdende Besuch der Gottesdienste und der Verfall des religiös-sittlichen Lebens wurde in dieser Zeit sowieso als allgemeines Phänomen konstatiert, als Grund hierfür aber nicht eine reine Unkirchlichkeit, sondern mehr Gleichgültigkeit gegenüber den kirchlichen Anliegen, gesehen. „Der Geist der Zeit will keine Autorität mehr anerkennen, und besonders die Gebildeten sind ganz der christlichen Sitte entschlagen“.546 542 Kolb: Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche, S. 170; Kolb: Geschichte des Gottesdienstes, S. 128. 543 Schäfer: Evangelische Landeskirche in Württemberg. In: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, S. 318. 544 Reyscher: Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 376, vom 11.September 1806, S. 67. 545 Lahnstein: Eduard Mörike, Amtsinstruktionen für die evangelische Geistlichkeit in dem Königreich Württemberg. S. 131. 546 Pfarrbericht Biberach, 1870. 130 Als bittere Einschränkung des Rechts der Kirche, gesellschaftliche Normen zu bestimmen, wurde auch die Anordnung empfunden, daß bei der Behandlung sittlicher Vergehen in Zukunft die Geistlichen ausgeschlossen werden und nur noch weltliche Instanzen zuständig sein sollten.547 Die gesellschaftliche Stellung der Pfarrer wurde zur Zeit König Friedrichs durch die weltlichen Behörden eher gedrückt, als gefördert.548 Der Oberamtmann behandelte den Pfarrer häufig als seinen Untergebenen. In der Rangordnung rangierten die Prälaten und Oberkonsistorialräte, sowie der Hofprediger, in der Klasse 9 nach den Majoren, die Dekane nach der niedersten Stufe der Offiziere.549 Bereits 1815 machten die Prälaten deshalb eine Eingabe an den König, in der sie auf diesen Mißstand hinwiesen und um Besserung baten: „Die Wirksamkeit und Achtung der Diener der Religion und mit ihr die Wirksamkeit und Achtung der Religion selbst wird gemindert und große Unordnung für das Kirchenwesen herbeigeführt durch die Zurücksetzung und geringschätzige Behandlung der Geistlichen in äußeren Verhältnissen, welche, zum Teil auf neuere Gesetze gestützt, die weltlichen Diener sich erlauben, und durch den Mangel, mit welchem so manche bei einem höchst dürftigen Einkommen kämpfen müssen“. Die Einkommensverhältnisse waren durchweg schlecht. Die Besoldung der evangelischen Pfarrer war geringer als die ihrer katholischen Kollegen.550 Außer durch die Begrenzung der Pfarrstellen sah man den Einfluß der Kirche durch die Abschaffung kirchlicher Feiertage bedroht. Schon in der Feiertags- ordnung für die neuwürttembergischen Lande waren kirchliche Feiertage aufgehoben worden, um die Arbeitsmöglichkeiten nicht durch kirchliche Belange allzusehr zu behindern. Es war von katholischer Seite darauf hingewiesen worden, daß der Wohlstand der evangelischen Länder auch darauf beruhe, daß die Religionsausübung und damit die Feiertage in katholische Gegenden einen Arbeitsverlust bedeuteten.551 Es standen auch hier staatliche und kirchliche Interessen einander entgegen. Die drei hohen Festtage: Weihnachten, Ostern und Pfingsten, dazu auch der Karfreitag, sollten ihren Feiertagscharakter behalten. Auch sollte Neujahr als Gründungstag des Königreiches und außerdem als nunmehriger Beginn des Kirchenjahres, und Himmelfahrt wie ein Sonntag gefeiert werden.552 Nach der königlichen Verordnung über die Sonn-, Fest- und Feiertage vom 29. Dezember 1871 hatten an diesen Tagen alle Arbeiten zu unterbleiben, ebenfalls alle Tanzveranstaltungen. 547 Württembergische Kirchengeschichte, S. 597. 548 Württembergische Kirchengeschichte, S. 595; Wurster: Das kirchliche Leben der ev.Kirche, S. 31. 549 Gerhard Schäfer: Das Ringen um neue kirchliche Ordnungen. S. 285; Reyscher, Regierungsgesetze, Bd. XV, Nr. 1677. 550 Württembergische Kirchengeschichte, S. 594. 551 Kolb: Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche, S. 168; Oswalt: Katholische Aufklärung und ländliche Lebenswelt, S. 339. 552 Reyscher: Kirchengesetze, Bd. IX., Nr. 363, vom 23.Juni 1805. 131 Zu den Festtagen gehörten nunmehr das Christfest, Neujahr, Epiphaniae, Palmsonntag, Karfreitag, Ostersonntag, Himmelfahrt, Pfingstsonntag, der 1. Adventssonntag und der Landesbußtag. Für die Katholiken kamen außerdem Fronleichnam und Mariä Himmelfahrt dazu.553 Daneben gab es sogenannte kirchliche "Feiertage". An ihnen war die Arbeit eingeschränkt erlaubt. Dazu gehörte der Gründonnerstag, Ostermontag, Pfingstmontag, außerdem Maria Lichtmeß (2.2.), Mariä Verkündigung (25.3.), Maria Empfängnis (8.12.), dazu alle Aposteltage, Matthias am 24. Februar, Philippus und Jakobus am 1. Mai, Johannes der Täufer am 24. Juni, Jakobus am 25. Juli, Bartholomäus am 24. August, Matthäus am 21. September, Simon und Juda am 28. Oktober, Thomas am 21. Dezember und Johannes Evangelist am 27. Dezember. An diesen Tagen, an denen an die durch die Apostel gepredigte Wahrheit des Evangeliums erinnert werden sollte554, sollte morgens eine kurze Predigt oder Katechisation gehalten werden. Am 25. Juni oder dem Sonntag darauf sollte außerdem die Vorrede der Augsburger Konfession von 1530 verlesen werden. 555 Mit einer Verordnung von 1895 wurden neben dem Gründonnerstag auch der Ostermontag, der Pfingstmontag und der Stephanustag gesetzlich geschützt. Nach der katholischen Gemeinde-Dienst-Ordnung vom 5. Juni 1837 kamen bei den Katholiken noch dazu Fronleichnam, Peter und Paul, Joseph sowie Allerheiligen. Es darf in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, daß in dieser Zeit von der evangelischen Bevölkerung noch die meisten Feiertage, auch die Marientage, gemeinsam mit den Katholiken gefeiert wurden, mit Ausnahme von Fronleichnam, und daß es sehr viel mehr evangelische Feiertage gegeben hat, als katholische. Im Laufe der Zeit wurden die Aposteltage mit Sonntagen oder anderen Feiertagen zusammengelegt, beispielsweise Bartholomäus auf Himmelfahrt, Simon und Juda auf Allerheiligen, Philipp und Jakobus auf den nächsten Sonntag. Erst in einem kirchlichen Gesetz vom 3. Januar 1912 wurde bestimmt, daß die kirchlichen Feiertage 2. Ordnung, in der Hauptsache die elf Aposteltage und die beiden Marienfeiertage, „wenn für ihre würdige gottesdienstliche Feier Schwierigkeiten bestehen, diese nach Zustimmung des Kirchengemeinderats mit Genehmigung des Dekanatamtes eingestellt werden können“.556 Es gab aber Gemeinden, die auch über diesen Termin hinaus noch an der Feier dieser Tage festhielten, wie beispielsweise Simmersfeld.557 553 Glässner: Vom Kirchenkonvent zum Kirchengemeinderat, S. 119; Süskind: Repertorium der evangelischen Kirchengesetze. Bd. II, S. 113. 554 Kolb: Geschichte des Gottesdienstes, S. 44. 555 Süskind: Repertorium der evangelischen Kirchengesetze, Bd. II., S 113. 556 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 92. 557 Pfarrbericht Simmersfeld, 1918. 132 Die Feiertagsfrage konnte in gemischt evangelisch-katholischen Gemeinden zum Streit führen, wenn beispielsweise der evangelische Pfarrer von den Kindern aus gemischten Ehen verlangte, an katholischen Feiertagen in die Schule zu kommen, wie dies in Rottenburg an Fronleichnam geschehen war. Das Konsistorium war gezwungen, sich mit dieser Frage zu beschäftigen und eine Regelung zu finden, die beide Teile zufrieden stellte. Evangelische und katholische Feiertage wurden entweder zusammen-, oder auf einen Sonntag gelegt. Das waren Thomas, Philippus, Jakobus und Johannes. Wenn Fronleichnam auf einen Wochentag fiel, hatten die evangelischen Kinder in gemischten Gemeinden schulfrei. 133 - 4.2. Die Kirche und die Unehelichengeburten. Nun gab es außer dem Kirchenbesuch auch noch andere Kriterien, an denen sich die "Christlichkeit" einer Gemeinde messen ließ. Ein Indiz dafür war immer auch, ob die Kinder ehelich oder unehelich geboren wurden. Deshalb soll in diesem Zusammenhang auch ein Blick auf dieses Problem geworfen werden. Durch ein Generalreskript von 1807 hatte König Friedrich seinen Untertanen die völlige Freiheit der Eheschließung garantiert, wobei das Mindestalter der Männer 25 Jahre sein mußte.558 In dieser Zeit bestimmte noch weitgehend die Landwirt- schaft mit ihren natürlichen Abläufen den Arbeitsrhythmus und das Leben innerhalb der Familien und der Gemeinden. Unumstrittener Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens war in dieser Zeit immer noch die Kirche mit ihren Verhaltensregeln. Nun ließ die Not der Jahre nach den Napoleonischen Kriegen den Ruf nach einer Wiederbeschränkung der Heiratsmöglichkeiten immer lauter werden. Armut war in dieser Zeit zu einem allgemeinen und übergreifenden sozialen Problem geworden.559 Die Gemeinden waren nicht mehr in der Lage, die Bezieher von Armenunterstützung ausreichend zu versorgen. Die materielle Not, das immer stärkere Andrängen verarmter Schichten, die Überbürdung der Armenkassen, all das wirkte zusammen, um den Wunsch laut werden zu lassen, die Zahl möglicher Unterstützungsempfänger von vornherein zu begrenzen. Die Gemeinden forderten für sich das Recht, Bürger aufnehmen oder ablehnen zu können. Sie forderten 1817 auch Ehebeschränkungen, die der Geheime Rat aber noch ablehnte. Im Bürgerrechtsgesetz vom 15. April 1828 wurde das Bürger- und Beisitzerrecht neu, aber noch großzügig, geregelt. Schließlich wurde in einem "Gesetz über das Gemeinde-, Bürger- und Beisitzrecht" vom 4.12.1833 einer bestimmten Bevölkerungsgruppe die Heirat verweigert. 560 Dies waren zunächst die Straffällig gewordenen, die Bezieher von Armenunterstützung und die Erwerbsunfähigen.561 Für die Heiratserlaubnis wurde der Nachweis eines "genügenden Nahrungs- standes" verlangt, für die Aufnahme ins Bürgerrecht ein Vermögen von 600 bis zu 1 000 Gulden.562 Im Laufe der Jahre wurden diese Bestimmungen noch verstärkt. Es mußte nicht nur die Fähigkeit nachgewiesen werden, eine Familie ernähren zu können, sondern es mußten auch die Mittel aufgezeigt werden, die hierzu vorhanden waren. In einem "Gemeindebürger- und Beisitz-Gesetz" vom 5. Mai 1852 wurde ein Mindest-Heiratsalter von 25 Jahren, der Nachweis eines genügenden Nahrungs- standes und ein Mindestvermögen von 150 bis 200 Gulden verlangt, dazu ein untadeliger Lebenswandel und der Nachweis, "kein schlechter Haushalter" zu sein. 558 Reyscher: Regierungsgesetze, Bd. XV., I., S. 157. 559 Baumann: Armuth ist hier wahrhaft zu Haus, S. 3. 560 Regierungsblatt 1833, S. 509 - 540. 561 Matz: Pauperismus und Bevölkerung, S. 127. 562 Hippel: Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 593. 134 Betroffen von diesen Bestimmungen waren vor allem Fabrikarbeiter, Taglöhner, Handwerksgesellen, Dienstboten und unversorgte Bauernsöhne. Den Industrie- arbeitern konnte die Heiratserlaubnis schon mit dem Hinweis darauf verweigert werden, daß ihnen jederzeit möglicherweise gekündigt werden konnte. Mitterauer hat darauf hingewiesen, daß in den Städten vor allem die Dienstboten diejenige Personengruppe war, deren Lebensverhältnisse die Höhe der Unehelichengeburten am meisten beeinflußte. Er sah in der zunehmenden Nachfrage nach häuslichem Personal in dieser Zeit weniger eine wirtschaftliche Notwendigkeit, als vielmehr "einen sozialkulturellen Anspruch" als Ausdruck eines gesellschaftlichen Prestiges des sich herausbildenden Großbürgertums. Er rechnete hierzu die Beamten, die akademischen Lehrer, Ärzte, Juristen und große Kaufleute, Bankiers und Manufakturbesitzer. Der Höhepunkt der städtischen Dienstbotenhaltung korrespondiert mit dem Höhepunkt unehelicher Geburten.563 1882 wurden in der Statistik des Deutschen Reiches 1 723 000 Beschäftigte (3,8% der Bevölkerung) in der Kategorie "Häusliche Dienste" gezählt.564 Mitterauer sah als Grund für den späteren Rückgang der Unehelichengeburten nicht den Wegfall der Heiratsbeschränkungen nach 1871, sondern allein wirtschaftliche Gründe, wie das Ansteigen der Reallöhne und kontinuierlichere Arbeitsverhältnisse, die ein früheres Heiraten und die Bezahlung der gestiegenen Mieten ermöglichten. "Nicht der Wandel der Mentalität, auch nicht der Wandel der rechtlichen Verhältnisse sind der Hintergrund für die Abnahme unehelicher Geburten, sondern allein die wirtschaftlichen Veränderungen". Er erwähnte, daß im Bezirk von Gurk und St.Veit die Illegitimitätsrate bei 80% lag, was er auf die antiklerikale Mentalität der Bevölkerung dort zurückführte. 565 Gemessen an dieser Zahl war die Rate in Württemberg noch vertretbar. In der Zeit von 1700 bis 1789 lag sie ungefähr zwischen 6% und 25%. In den Jahren 1821 bis 1850 ließ sich zusätzlich ein Unterschied zwischen evangelischen und katholischen Gebieten feststellen. Der katholische Anteil lag bei 16%, der evangelische bei 6,8%.566 Man hat errechnet, daß in den Jahren 1852 bis 1863 durch die Ehebeschränkungen in Württemberg rund 6% der Ehen verhindert wurden567, und daß dadurch Geburten in Höhe von ungefähr 2% ausfielen. Mit aus diesem Grund stieg die Bevölkerung in Württemberg in den Jahren von 1834 bis 1860 nur auf ungefähr 120%, während der Anstieg in Bayern, Baden und Hessen deutlich höher lag.568 Die Folge der jahrelangen ehelichen Restriktionen war ganz natürlich ein Ansteigen der Unehelichengeburten. Der Anteil erhöhte sich in dieser Zeit in Württemberg von 1851 = 12,86% auf 1856 = 15,05% und 1859 = 17,03%.569 1862 war in Böblingen jedes fünfte Kind unehelich. 563 Mitterauer: Ledige Mütter, S. 101. 564 Kocka: Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen, S. 116. (1895 - 1 772 000, 1907 - 1 736 000). 565 Mitterauer: Ledige Mütter, S. 108. 566 Boelcke: Sozialgeschichte Baden-Württembergs, S. 156. 567 Matz: Pauperismus und Bevölkerung, S. 133; von Hippel: Wirtschafts- und Sozialgeschichte. In: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3, S.513. 568 Boelcke: Sozialgeschichte Baden-Württembergs, S. 177. 1855: 1 680 000, 1875: 1 881 000. 569 Matz: Pauperismus und Bevölkerung, S. 135. 135 Außer den ökonomischen Gründen waren auch diese Beschränkungen ein Grund für die Zunahme der Auswanderungen. In der Zeit von 1816 bis 1855 hatten ungefähr 280 000 Personen die Heimat verlassen.570 Teilweise wurde dies sogar von den Kommunen gefördert und finanziert. 1854 bezahlte die Gemeinde Vaihingen/Filder "einer Zahl armer und auch sittlich heruntergekommener Familien" (156 Vaihingern) auf Gemeindekosten die Überfahrt nach Amerika, weil diese Kosten immer noch niedriger waren, als ein jahrelanger Unterhalt.571 "Menschenexporte entlasteten die öffentlichen Kassen".572 Andererseits muß beachtet werden, daß gerade durch die Auswande- rungen, die vor allem jüngere Männer betraf, die Heiratschancen der Frauen sanken und auch durch dieses Mißverhältnis der Geschlechter die Unehelichen- ziffer beeinflußt werden konnte.573 Erst ab 1864 zeigte sich ein Wandel in der Einstellung der Behörden, einmal durch den Wechsel des Ministers von Linden zu Varnbühler, aber auch im Zeichen der zunehmenden Industrialisierung. Selbst in der Kammer wurde befunden, "Ehebeschränkungen stören den natürlichen Gang der Verehelichung und haben gleichzeitig eine Vermehrung der unehelichen Geburten zur Folge".574 Auch die Arbeiterbildungsvereine baten in diesem Jahr um die Aufhebung der drückenden Beschränkungen. Es dauerte aber doch noch bis Dezember 1870, bis die Bestimmungen des Norddeutschen Bundes vom 4. Mai 1868 auch in Württemberg Landesgesetz wurden und die Eheschließung wieder allgemein erlaubten.575 Es waren vor allem die Pfarrer gewesen, die sich schon früh gegen solche Beschränkungen gewehrt hatten und aus religiösen und sittlichen Gründen deren Aufhebung forderten. Andererseits wehrten sich die Gemeinden weiter gegen eine Lockerung, weil sie sich nicht mehr in der Lage sahen, ihren Verpflichtungen aus der Armen- unterstützung nachzukommen. Sie sahen in den Ehebeschränkungen die einzige Möglichkeit, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Auch in den gehobenen Schichten wurde diese Frage damals eifrig diskutiert, und die Ideen von Thomas Robert Malthus (1766 - 1834), seine Übervölkerungstheorie, die Maximierung der Bevölkerungszahl bei gleichzeitiger Minimierung des Lebensstandards, spielten eine wesentliche Rolle.576 Es war verständlich, daß die Zahl der Unehelichengeburten nach der Aufhebung der Ehebeschränkungen 1870 drastisch zurückging und wieder auf ein normales Maß fiel (1873 = 8,53%), was vor allem von den Pfarrern mit Genugtuung zur Kenntnis genommen wurde.577 570 Hippel: Wirtschafts- und Spzialgeschichte, S. 628. 571 Pfarrbericht Vaihingen, 1856. 572 Boelcke: Sozialgeschichte Baden-Württembergs, S. 154. 573 Kaschuba: Dörfliches Überleben, S. 373- 574 Matz: Pauperismus und Bevölkerung, S. 235, Württbg. Kammer 1866/68, Bd. 1,2, S. 959. 575 Württembergisches Landesgesetz vom 30.Dezember 1870, Regierungsblatt 1871, S. 24. 576 Thomas Robert Malthus: Essay on the principles of population, 1798. Hermann Sautter: Thomas Robert Malthus, RGG 5, Sp.719/720. 577 Matz: Pauperismus und Bevölkerung, S. 247. 136 In Altensteig war das Verhältnis der ehelichen zu den unehelichen Kindern in den Jahren 1846 61 zu 4 = ( 6,55%) 1847 72 zu 8 = (11,11%), 1848 77 zu 10 = (12,98%) 1849 71 zu 7 = (10,32%) 1863 66 zu 14 =.(21,21%), 1864 71 zu 14 = (19,71%) 1868 75 zu 12 =(16,00%) 1869 72 zu 7 = (16,54%). In den Jahren nach der Aufhebung der Ehebeschränkungen waren die Zahlen: 1873 68 zu 4 = ( 5,88%), 1874 64 zu 5 = ( 7,81%), 1875 82 zu 4 = ( 4,88%) 1876 70 zu 3 = ( 4,28%), 1880 82 zu 2. = ( 4,91%). Der Pfarrer erwähnte in diesem Zusammenhang, daß bei Taufen, wie auch an der Konfirmation und beim Abendmahl, das Chorhemd getragen wurde. In Balingen zeigen die Vergleichszahlen zwischen ehelichen und unehelichen Geburten: 1844 131 zu 14, 1856 108 zu 19, 1858 104 zu 14, 13,70%, 1860 114 zu 16, 1861 105 zu 19, 1862 92 zu 16, 14,98%. In den Jahren nach 1870 waren es dagegen 1871 108 zu 4, 1872 127 zu 7, 1873 132 zu 2, 3,54%, 1880 110 zu 6, 1881 93 zu 2, 1882 95 zu 5. 3,91%. In Blaubeuren wurde 1845 ebenfalls zu diesem Problem Stellung genommen und festgestellt: "Was das Laster der Unzucht betrifft, so hat dasselbe, wenn aus der Zahl der unehelichen Kinder der Schluß gezogen werden kann, nicht zuge- nommen. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, daß die größere Zahl der unehelichen Kinder auf weniger gut berüchtigte Familien sich beschränkt“.578 Dabei fällt auf, daß in Blaubeuren nach 1840 die Zahl der Unehelichengeburten bei ungefähr 10% lag, im Jahre 1900 aber immer noch auf dem gleichen Niveau, nach Wegfall der Beschränkungen also nicht abgenommen hat. Nach der Jahrhundertwende schwankte die Zahl zwischen 1902 = 3,6% und 1903 = 20%. In Böblingen konstatierte der Pfarrer "als Folge der verwahrlosten und vernachlässigten Kinderzucht die häufigen Schwangerungsfälle lediger Mädchen“. Auf vier eheliche Geburten kam 1862 in Böblingen eine uneheliche, ein Prozentsatz, der in Württemberg verhältnismäßig hoch war. Allerdings hatte sich dann auch hier der Durchschnitt im Jahre 1889, nach Aufhebung der Ehebeschränkungen, auf 6,9% ermäßigt und lag damit sogar unter dem Landesdurchschnitt. Besonders häufig waren die Fälle von Geburten unehelicher Kinder, wie der Pfarrer nicht zu bemerken versäumte, bei den Arbeitern der Schuh- und Zigarrenfabrik.579 578 Pfarrbericht Blaubeuren, 1845. 579 Pfarrbericht Böblingen, 1889. 137 In Eßlingen lag der Anteil der Unehelichengeburten verhältnismäßig hoch. Man zählte 1845 445 eheliche 46 uneheliche 10,33% 1846 454 60 13,21% 1847 439 66 15,03% 1848 443 48 10,83% 1849 538 63 11,71% 1850 497 52. 10,46% Der Prozentsatz lag somit zwischen 10% und 15%, im Durchschnitt bei 11,93%. Der Pfarrer bemerkte 1905, daß bei der Tauffeier zwischen ehelich und unehelich geborenen Kindern kein Unterschied gemacht werde. Nach 1870 ermäßigte sich auch hier der Prozentsatz auf ungefähr 5,5%. 1880 606 34 5,61% 1881 600 33 5,50% 1882 584 32. 5,48.% In Freudenstadt schrieb der Pfarrer in seinem Bericht von 1850, daß dem unzüchtigen Umgang der jungen Leute von den Eltern selten Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Es war häufig der Fall, daß die Braut entweder bereits geboren hatte, oder in "guter Hoffnung" an den Altar trat. Lobenswert blieb indessen doch immer noch, daß die ledigen Burschen die Mädchen, die von ihnen geschwängert wurden, im allgemeinen auch heirateten.580 1843 meinte der Pfarrer von Geislingen, M. Franz Gottfried Kapff 581: "Die Zahl der unehelichen Geburten ist nicht gerade auffallend, doch herrscht im Umgang beider Geschlechter nicht viel Sittlichkeit“.582 Das Verhältnis der ehelichen zu den unehelichen Geburten war im Berichtszeitraum: 1840 104 4, 3,84% 1841 92 8, 8,69% 1842: 111 12. 10,81% „Die meisten unehelichen Kinder werden aber auswärts geboren“. 1844: 99 6, 6.06% 1845 101 1, 0,99% 1846 101 6. 5,94% "Die meisten unehelichen Kinder werden auswärts geboren".583 580 Pfarrbericht Freudenstadt, 1850. 581 M. Franz Gottfried Kapff (30.5.1799 - 20.7.1865), Dekan in Geislingen 1835 - 1844, Sigel Nr. 185,34. 582 Pfarrbericht Geislingen, 1843. 583 Pfarrbericht Geislingen, 1847. 138 1847 99 14, 14,14% 1848 113 14 12,39% 1849 103 14. 13,59% 1862 102 14, 13,72% 1863 94 20, 21,27% 1866 106 18. 16,98% 1868 125 12, 9,60% 1869 118 13, 11,02% 1870 115 4. 3,47% 1875 139 6 4,31% 1876 151 4 2,64% 1879 151 4 2,64% "Die Zahl der unehelichen Geburten ist verhältnismäßig gering, größer aber die Zahl der bald nach der Trauung folgenden Entbindungen". In Gmünd wurde vermerkt, daß bei der Trauung bei Bräuten, die schon geboren hatten, kein Unterschied gemacht werde, auch nicht bei der Taufe unehelicher Kinder.584 In Großheppach, wo die Unehelichenquote 1852 bei 25% lag (10 von 40) stellte der Pfarrer Karl August Spring585 in seinem Bericht von 1857 fest: "Die Sünden der Unkeuschheit sind auffallend, und seit etlichen Jahren kommt es vor, daß Mädchen, die kaum der Sonntagsschule entwachsen sind, die Früchte ihres unkeuschen Umgangs absetzen. Die unehelichen Kinder wurden meist an einem Werktag, möglichst zu Hause, oder in der Kirche, jedoch "ohne Gemeinde und Gesang" getauft. 586 Auch in Hall waren es 1840 165 14, 8,48% 1841 174 16, 9,19% 1842 150 14, 9,33% 1843 171 18, 10,52% 1858 90 15, 16,66% 1859 83 21, 25,30% 1860 84 19, 22,62% .Durchschnitt: = 12,75% 584 Pfarrbericht Gmünd, 1905. 585 Karl August Spring (1.5.1807 -- 26.7.1857) Pfarrer. in Großheppach 1849.-.50, Sigel Nr. 407,46. 586 Pfarrbericht Großheppach, 1857, 1905. 139 Nach dem Wegfall der Ehebeschränkungen: 1873 196 13, 6,63% 1875 181 8, 4,42% 1877 148 7, 4,72% 1882 129 9 6,98% 1883 129 6, 4,65% 1884 141 5 3,54% . 5,16% Der Unterschied ist auch hier deutlich zu sehen. In Langenburg war nach Ansicht des Pfarrers Karl Emmerich Ludwig Raiffeisen587 die Kinderzucht noch weit davon entfernt, dem "vom Apostel und Epheser 6 vorgezeichneten Weg zu entsprechen". Man suchte wohl "eine gewisse Ordnung einzuhalten, hatte aber keine klare Vorstellung von einem Ziel". Da bei der Jugend der Sinn für höhere Interessen zu wenig gepflegt wurde, herrschte eine allzu große Schlaffheit. Besonders "der geschlechtlichen Sünde" wurde zu wenig Wachsamkeit geschenkt.588 Außer den Klagen über das anspruchsvolle Gesinde war 1871 zu lesen: „Von den ledigen Geburten ein Drittel von solchen, die sich in größeren Städten aufhielten“.589 1879 weigerte sich der Pfarrer590 von Langenburg, „die von fremden Müttern, Schauspielerinnen und dergleichen geborenen unehelichen Kinder“ in seine Statistik aufzunehmen, „da durch ihre Zählung ein unrichtiges Bild von dem sittlichen Zustand der Gemeinde gewonnen werden würde“.591 In Leonberg konnte der Pfarrer M. Ludwig Heinrich von Kapff592 dieses Problem mit einer kurzen Bemerkung abtun: "Der Grund für die unehelichen Geburten in Leonberg ist das Dienen in größeren Städten (Frankfurt und Stuttgart). Einige heruntergekommene Familien im Spital haben schon in der 2. und 3. Generation uneheliche Kinder". Schuld war auch die schlechte Kinderzucht. Das Verhältnis der unehelichen zu den ehelichen Kindern war in den Jahren 1841 bis 1843 1:9, 1:7 und 1:10.593 In Nagold war in den Pfarrberichten von 1846 und 1855 angegeben, daß die meisten Mütter unehelicher Kinder, von denen ein Drittel auswärts geboren wurde, sich auch auswärts in Diensten fleischlich vergangen haben, oder daß die unehelichen Kinder meist bei auswärtigem Aufenthalt gezeugt wurden. 587 Karl Emmerich Ludwig Raiffeisen (25.2.1820 - 12.10.1888), Dekan in Langenburg 1853 - 1871. Dekan in Ludwigsburg 1871 - 80, Prälat in Heilbronn 1880 - 1888, Sigel Nr. 32,10. 588 Pfarrbericht Langenburg, 1865. 589 Pfarrbericht Langenburg, 1871. 590 Oskar Achilles Gustav von Schwarzkopf (18.11.1838 - 30.5.1903), Dekan in Langenburg 1874 - 1882, Sigel Nr. 19,36. 591 Pfarrbericht Langenburg, 1879. 592 Dr. Ludwig Heinrich von Kapff (15.9.1802 - 26.2.1869), Dekan in Leonberg 1839 - 1843, Sigel Nr. 93,4. 593 Pfarrbericht Leonberg, 1844. 140 Der Prozentsatz lag in dieser Zeit bei ungefähr 13%, zehn Jahre später bei 16%. nach 1871 allerdings auch nur noch bei 6%. Es zeigt sich, daß überall nach der Aufhebung der Ehebeschränkungen die Zahl der Unehelichengeburten deutlich zurückging. Die Lage hatte sich normalisiert, die Pfarrer konnten zufrieden sein. In Öhringen hatte sich, in der Sprache des Pfarrberichts, die Vergnügungssucht und der Hang zu Trinkgelagen schon 1828 bis zu den niederen Ständen hinab verbreitet, und die Zahl der gefallenen weiblichen Personen hatte, statt geringer zu werden, immer mehr zugenommen. Unter 97 Kindern, die in Öhringen geboren wurden, befanden sich 30 uneheliche. Das Verhältnis der ehelichen zu den unehelichen war also wie 1 zu 3 oder lag bei 31%. "Welche Stadt hätte wohl einen schandhafteren Beweis von Sittenverfall aufzuweisen, als Öhringen".594 Dieses Verhältnis änderte sich auch in den kommenden Jahren nicht. Auch 1848 und 1849 lag der Anteil der Unehelichengeburten über 20%. Erst in den 70er Jahren ist er unter 10% gefallen. In der Schwarzwaldgemeinde Simmersfeld wurde schon in einem Bericht von 1821 darauf hingewiesen, daß "bei dem Mangel an intellektueller Kultur keine festen moralischen Grundsätze bei den Gliedern der Gemeinde Wurzeln fassen können". Es gebe viel Schwankendes und Widersprechendes in ihren Ansichten und Gesinnungen. "Die vorherrschende Unsittlichkeit dieser Leute, die sie aber mit den anderen Schwarzwäldern gemein haben, zeigte sich besonders bei der Übertretung des 6. Gebotes bei den ledigen Leuten. Dazu komme eine Gewandtheit im Lügen, Branntweintrinken und Spielen. Der verbotene Umgang mit dem andern Geschlecht ist so sehr an der Tagesordnung, daß es scheint, als fühle der größere Teil gar nicht mehr, daß es ein Laster ist. Nächtliche Besuche junger Burschen bei Mädchen, besonders in der Nacht von Samstag auf den Sonntag und vom Sonntag auf den Montag, sind etwas ganz observanzmäßiges, und beinahe ist es so weit gekommen, daß das Mädchen, welches sie nicht erhält, der Verachtung preisgegeben ist, als eine Person, deren Reize keine Abnehmer finden. Von uralter Zeit scheint vom Vater auf den Sohn und von der Mutter auf die Tochter diese Unsitte sich fortgepflanzt, doch in neuerer Zeit noch vermehrt zu haben. Wenigstens glaube ich, kommen verhältnismäßig mehr uneheliche Geburten bei uns vor, als ehemals. An solchen unehelichen Geburten sind besonders das Enztal und Enzklösterle reich. Im Enztal badischen Anteils ist eine Weibsperson, die bereits das 7. uneheliche Kind geboren hat. Sie gebar im Jahr 1823 das 8., und im Jahr 1824 das 9. uneheliche Kind. Zu bemerken ist aber, daß ihr das Heiraten bisher nicht gestattet wurde. 594 Pfarrbeschreibung Öhringen, 1828. 141 Weibsleute, die 4 - 5 uneheliche Kinder geboren hatten, sagten schon, als man ihnen vom Kirchenkonvent Verweise wegen ihres liederlichen Lebenswandels gab, was man ihnen denn Liederliches nachsagen könne".595 Auch 1858 hatte sich an diesen Zuständen nichts geändert. "Der verbotene Umgang mit dem anderen Geschlecht durch nächtliche Besuche, wozu die Einladung gewöhnlich von den Mädchen ausgeht, ist, wie anderwärts, eine von uralter Zeit vererbte Observanz". Auf die Frage des Dekans, wie er, der Pfarrer, und der Pfarrgemeinderat diesem nächtlichen Umgang entgegenwirke, man könne doch die Gewissen schärfen und in seiner näheren Umgebung gegen die Unzuchtssünden zeugen, gab der Geistliche zur Antwort, er könne nichts tun, da setze man sich Grobheiten aus.596 Die Zahl der Unehelichengeburten war in Simmersfeld: 1856 36 zu 5 (13,89%), 1857 42 zu 7 (16,66%), 1866 18 zu 7 (38.88%), und 1867 16 zu 2 (12,50%). Nach Aufhebung der Ehebeschränkungen: 1870 39 zu 1 (2,56%), 1871 51 zu 7 (13,72%), 1872 55 zu 9 (16,36%), und 1873 43 zu 4.(9,30%).597 Auch nach dem 1. Weltkrieg scheinen sich die Verhältnisse in Bezug auf das Zusammenleben der Jugendlichen nicht wesentlich geändert zu haben. „Der Ehestand wird heilig gehalten. Versündigungen gegen das 6. Gebot kommen aber leider immer wieder vor. Das fleischliche Zusammenleben gilt bei Jung und Alt als keine Schande und keine Sünde, daher wieder die Zahl von 19 unehelichen Geburten, bei 77 ehelichen, (was immer noch ein Prozentsatz von 25% war) in den beiden letzten Jahren, die allerdings teilweise auch von auswärts kommen“. Der Pfarrer hatte hier auch die eingepfarrten Teilgemeinden Fünfbronn, Ettmannsweiler und Beuren mitgezählt.598 Er hat außerdem schon 1905 darauf hingewiesen, daß bei der Taufe unehelicher Kinder das Chorhemd nicht angelegt wurde. "Die Sitte, daß gefallene Bräute ohne Kranz erscheinen, ist allmählich im Schwinden begriffen".599 Der Konsistorialrat Gottlieb Friedrich Klemm600, von 1841 bis 1852 Stiftsprediger an der Stiftskirche in Stuttgart, hat bereits 1842 festgehalten, daß von den 1840 unehelich geborenen 279 Kindern nur 69 "der Stadt angehören". 1841 waren es 337 uneheliche Kinder, von denen wieder nur 94 die Stadt direkt betrafen. 595 Pfarrbericht Simmersfeld, 1821. 596 Pfarrbericht Simmersfeld, 1858. 597 Pfarrbericht Simmersfeld, 1858, 1874. 598 Pfarrbericht Simmersfeld, 1918. 599 Pfarrbericht Simmersfeld, 1905. 600 Gottlieb Friedrich Klemm (14.11.1789 -17.2.1855), Stpfr. und Amtsdekan in St.Leonhard 1837 - 1841, Stiftsprediger 1841 - 1852. Sigel Nr. 19,12. 142 Mindestens genau so wichtig, wie die Unehelichengeburten, waren für ihn die Geburten katholisch getaufter Kinder. Es waren 1840 59 gegenüber 1 237 evangelischen, 1841 82 katholische gegenüber 1 383 evangelischen. In beiden Jahren wurde außerdem je ein Kind im griechisch-orthodoxen Ritus getauft, außerdem 4 bzw. 5 Juden. Auch 1842 und 1843 waren es wieder 277 (23,27%) und 301 (24,19%) uneheliche Kinder, bei 1 190 bzw. 1 244 ehelichen Geburten, die in Stuttgart auf die Welt kamen und getauft wurden. Stuttgart hatte damals 28 534 Einwohner. Auch hier kamen die Mütter der unehelichen Kinder wieder meist von auswärts: "Es sind jedoch die meisten derselben fremden Gemeinden angehörig. Die Gebäranstalt zieht gern viele Schwangere und Gebärende herbei".601 In den folgenden Jahren waren die Zahlen: 1849: ev. 1 000, kath. 50, unehel. 80, 1850: ev. 1 016, kath. 46, unehel. 88, 1852: ev. 1 002, kath. 40, unehel. 66, 1853: ev. 950, kath. 57, unehel. 67. 1856 kamen auf 889 eheliche 103 uneheliche Geburten (11,58), 1859 auf 885 eheliche 104 uneheliche (11,75%). Ein Vergleich zu den Zahlen nach 1870 ist nur schwer möglich, da die Zahl der Einwohner von Stuttgart inzwischen auf 107 000 gestiegen war. Die Zahl der jährlich geborenen ehelichen Kinder lag zwischen 2 500 und 3 000, die der unehelichen zwischen 160 und 192 (1872 - 1875). 1879 kam es auch zu den ersten "Taufunterlassungen durch Unwissenheit und Trägheit".602 Als Fazit läßt sich eindeutig feststellen, daß die Zahl der ledigen Kinder nach Wegfall der Ehebeschränkungen drastisch zurückgegangen ist. Die Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse mag in einem gewissen Rahmen zusätzlich eine Rolle gespielt haben, allein ausschlaggebend war sie aber bestimmt nicht. Uneheliche Geburten waren aber immer eine Belastung für die Beteiligten: für die Väter wegen der Zahlungsverpflichtung, für die Mütter wegen der bürgerlichen Verachtung und der oft schweren Minderung der Lebenschancen. Es läßt sich in dieser Zeit aber auch schon ein Gefälle von der Stadt zu der bäuerlichen Bevölkerung auf dem Land feststellen. Nicht nur der Bevölkerungs- rückgang in der Zeit von 1846 bis 1855, in Württemberg 4,7%, in Baden 3,8%, sondern auch die seit der Jahrhundertmitte zunehmende Binnenwanderung und Verstädterung waren die Ursache der gewerblichen Industrialisierung und einer räumlichen Umverteilung.603 601 Pfarrbericht Stuttgart, Stiftskirche, 1845. 602 Pfarrbericht Stuttgart, Stiftskirche, 1879. 603 von Hippel: Wirtschafts- und Sozialgeschichte. In: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3, S. 628. 143 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Binnenwanderung zu einem Massenphänomen. Arbeiterdörfer entstanden in der Nähe von Industriestandorten. Man bemühte sich, den Zeitaufwand, den die Pendler für den Arbeitsweg benötigten, zu verkürzen. Hinzu kam, daß eine gewisse Familienplanung und Geburtenbeschränkung in der Stadt häufiger anzutreffen war, als auf dem Lande.604 Dementsprechend war dort auch seit 1870 die Säuglings- und Müttersterblichkeit geringer. Ursache war eine bessere Ernährung, eine bessere öffentliche und private Hygiene, Krankheits- vorbeugung in Form von Schutzimpfungen und Desinfektion, auch schon Geburtenkontrolle, sowie eine bessere medizinische Betreuung.605 604 Boelcke: Sozialgeschichte Baden-Württembergs, S. 178. 605 von Hippel: Wirtschafts- und Sozialgeschichte. In: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3, S. 631. 144 4.3. Die politische Entwicklung. Dem Formular entsprechend hatten politische Ereignisse in einem Pfarrbericht nichts zu suchen. Die Hungerkrawalle im Frühjahr 1847 nach der Mißernte im Jahre 1846, die Unruhen im Zusammenhang mit den Ereignissen der Jahre 1848 und 1849606 wurden deshalb in den Berichten nicht erwähnt, ebensowenig wie die kriegerischen Auseinandersetzungen der folgenden Jahre. Nur wo ausgesprochen die "Christlichkeit" der Gemeinde berührt wurde, wo sich Auswirkungen auf das kirchliche Leben feststellen ließen, wo vielleicht sogar das Amt des Pfarrers in Frage gestellt wurde, wurden die Randerscheinungen festgehalten. Zwar dominierte an der Tübinger Theologischen Fakultät der Supranaturalismus, aber auch eine vernunft- und aufklärungsorientierte, also gegen kirchliche Traditionen ziemlich kritische Theologie, war nicht zu übersehen.607 Außerdem war es die Zeit, in der dort der "Supranaturalismus" von der "Jüngeren, Historisch- kritischen Tübinger Schule" abgelöst wurde. Besonders bei Strauß zeigte sich dann "eine innere Befreiung des Gemüts und des Denkens von gewissen religiösen und dogmatischen Vorstellungen".608 Aber solche Gedanken kamen in den Pfarrberichten nicht zum Ausdruck. Der Pfarrer von Altensteig, Matthias Küchel,609 erwähnte in seinem Bericht von 1849, daß die Ereignisse seit Februar 1848 an der Gemeinde nicht spurlos vorübergegangen waren, daß aber trotzdem die kirchlichen Einrichtungen noch in Ansehen stünden. Bei einem Teil der Gemeinde schien dieses Ansehen sogar gewonnen zu haben, was der Pfarrer aus dem fleißigen Kirchenbesuch schloß. Auch die Zahl der Kommunikanten hatte nicht abgenommen. In diesem Jahr hatte sich aber in Altensteig der Gemeinderat Katz über den Schullehrer Schuller beklagt, weil dieser sich in demokratische Versammlungen mische, dort eine auffallende Rolle spielen wolle und "aufregende Reden zu halten sich nicht scheute". Er versuche außerdem, "anstatt Gottes Wort zu treiben und die Kinder zu wahren Christen heranzuziehen, die Freiheit der neueren Zeit kund zu machen". Der Gemeinderat wünschte, daß ihm dies untersagt, und daß ihm bei Nichtbefolgung eine Versetzung angedroht werde.610 Drei Jahre später, 1851, hieß es, daß nur noch wenige auf ihren verkehrten demokratischen Ansichten verharrten, und der Dekan bescheinigte dem Stadtpfarrer Michael Küchel, daß dieser "dem Unheil bringenden Strom der Neuzeit" einen heilsamen Damm entgegenstelle. 606 Mann: Württemberg 1800 - 1866. In: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3, S. 305. 607 Geißer: Kritische Theologie in Grenzen, S. 321. 608 Geißer: Kritische Theologie in Grenzen, S. 325. 609 Matthias Küchel (17.7.1793 - 31.5.1851), in Altensteig 1824 - 1851, Sigel Nr. 34,30. 610 Pfarrbericht Altensteig, 1849. 145 Einen Beweis dafür sah der Dekan auch darin, daß der Gottesdienst in großer Achtung stehe und ein fleißiger Kirchenbesuch und eine rege Teilnahme an den Mittwoch-Betstunden, auch von den Honoratioren, zu vermelden sei. Daß die Zeit der Unruhen vorüber war, bewies nach Ansicht des Pfarrers auch die Tatsache, daß "ein reger Sinn der Gemeinde für Mildtätigkeit, Kirchlichkeit, sowie christliche und bürgerliche Fortbildung" festzustellen war.611 1892 hatte "das Parteiwesen", ohne näher beschrieben zu werden, an Boden gewonnen, aber in der Gemeinde herrschte der tüchtige, solide Bürgerstand noch vor.612 In Biberach wurden im Pfarrbericht von 1849 politische Unruhen überhaupt nicht erwähnt. Es gab in dieser Zeit nur Störungen durch auswärtige Katholiken.613 In Blaubeuren nahm 1851 der Dekan Gottlieb Benjamin Friedrich Haas614, nachdem er seinen Bericht von 1845 wörtlich abgeschrieben hatte, auch noch Stellung zu den Ereignissen von 1848 und bemerkte: „Hierbei darf nicht unerwähnt bleiben, daß in den letzten Jahren infolge der Aufregungen der Zeit von 1848 und 1849, in welche die hiesige Gemeinde durch das Treiben einiger hervorstechender Parteiführer in politische Angelegenheiten tief hineingezogen wurde, viel Unglaube und sittliches Verderben teils am verborgenen Grund zum Vorschein kam, teils zur Entwicklung und zum Wachstum gekommen ist. Einzelne Gebildete haben durch ihr gleichgültiges Verhalten gegen die Kirche zur Hochschätzung der kirchlichen Anstalten keineswegs beigetragen". 1860 merkte der Pfarrer zu diesem Thema an: "Die politische Hitze, durch die Blaubeuren früher bekannt war, ist ziemlich gewichen. Wie es bei wieder- kehrenden Gelegenheiten währt, soll damit nicht entschieden sein".615 In Eßlingen, wo es 1850 schon 6 größere Fabriken mit ungefähr 1000 Arbeitern gab, wurde nur kurz erwähnt, daß sich infolge der Revolutionszeit eine Opposition gegen das Christentum zeige, auch eine zunehmende Unsittlichkeit, und daß sich eine planvolle Arbeit an der Entchristlichung der Gemeinde feststellen lasse. Auch 1854 wurde noch festgestellt, daß die Verheerungen der Revolution nicht spurlos vorübergegangen waren. Trotzdem zeigte sich oft ein tiefer Sinn für Religion und Christentum. 616 1866 registrierte der Pfarrer eine veränderte Gestaltung des sozialen, häuslichen und kirchlichen Lebens durch "den Geist der Zeit". Die Sozialdemokratie, die einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in Eßlingen hatte, zeigte sich "mit ihrem Anführer Morlock an der Oberfläche". 611 Pfarrbericht Altensteig, 1851. 612 Pfarrbericht Altensteig, 1892. 613 Pfarrbericht Biberach, 1849. 614 Gottlieb Benjamin Friedrich Haas (10.11.1799 - 12.8.1861), Dekan in Blaubeuren 1844 - 1853, Sigel Nr. 15,31. 615 Pfarrbericht Blaubeuren, 1851, 1860. 616 Pfarrbericht Eßlingen, 1851, 1854. 146 In Freudenstadt wurde 1850, also kurz nach den Revolutionsjahren, der sittlich- religiöse Zustand der Gemeinde noch weitgehend als befriedigend gesehen. Es wurde aber auch hier angemerkt, daß es unter allen Ständen nicht an solchen fehle, "die das Wort Gottes verachten und gegen alle kirchlichen Einrichtungen feindlich gesinnt sind". Von den Führern der Umsturzpartei, welche hier viele Anhänger zählte, weil das Proletariat auf eine furchtbare Weise überhand nahm, wurden, wie der Pfarrer meinte, namentlich die Geistlichen gehaßt. Wegen der zunehmenden Sonntags- entheiligung hatte der Kirchenkonvent erst vor wenigen Wochen einen öffentlichen Aufruf erlassen müssen. "Armut und Genußsucht, verbunden mit der Hoffnung, im Trüben fischen zu können, hat vor einem Jahr manchen bewogen, an dem berüchtigten Auszug gegen die Regierung teilzunehmen. Übrigens taten auch solche mit, die eigentlich nicht recht wußten, um was es sich handelte".617 Die im Winter 1846/47 ausgebrochene Hungersnot, die Nachricht von der im Februar in Paris ausgebrochenen Revolution, schließlich die Ermordung des Leipziger Parlamentsabgeordneten Robert Blum, hatten Unruhen in der Freudenstädter Bevölkerung zur Folge. Im Juni war in Tübingen ein Marsch auf Stuttgart beschlossen worden, um die Regierung Römer zu stürzen. Der Oberamtstierarzt Wallraff mobilisierte am 24. Juni die Bürgerwehr, die, unterstützt von Männern aus Baiersbronn, Klosterreichenbach und Loßburg, nach Dornstetten zog. Schon unterwegs kehrten viele um. Auf die Nachricht, Militär sei im Anzug, ließ sich auch der Rest zur Heimkehr überreden.618 Im September kam es dann noch zum "Marsch nach Cannstatt", den der Gaildorfer Glasfabrikant Gottlieb Rau auf einer von 3 000 bis 4 000 Menschen besuchten Volksversammlung am 24. September 1848 in Rottweil gefordert hatte. Er hatte die Republik ausgerufen, weil die Nationalversammlung in Frankfurt versagt habe und das Volk nun seine Sache selbst in die Hand nehmen müsse. Er wollte eine bewaffnete Riesenversammlung aus Anlaß des Cannstatter Volksfestes organi- sieren, bei der die Massen zur Revolution geführt werden sollten.619 Am 25. September brachen mehrere hundert bewaffnete Angehörige der Rottweiler und Schramberger Bürgerwehr und Bauern aus den umliegenden Dörfern auf. Als der Zuzug ausblieb und bekannt wurde, daß die republikanische Erhebung in Baden gescheitert war, löste sich der Zug auf. Der "Zwetschgen- feldzug" war zu Ende. Gottlieb Rau wurde 1851 wegen Hochverrat zu 13 Jahren Festungshaft verurteilt, vom König aber 1853 zur Auswanderung nach Amerika begnadigt, wo er bereits 1854 starb.620 617 Pfarrbericht Freudenstadt, 1850. 618 Adler: Freudenstadt im Königreich Württemberg, S. 226. 619 Mann: Württemberg 1800 - 1866. In: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3, S. 307; Sauer: Gottlieb Rau und die revolutionäre Erhebung, S. 205; Schneider: Württembergische Geschichte, S. 516; Borst: Aufruhr und Entsagung, S.101. 620 Sauer: Reformer auf dem Königsthron, S. 452; Pfarrbericht Freudenstadt, 1850. Rau wurde in Green Wood im Stadtteil Brooklyn beigesetzt. 147 In Hall berichtete der Dekan Christian Ludwig Eytel621 in seinem Bericht von 1849 über den "Geist der Zeit", der für ihn ein Geist der Unbotmäßigkeit und Auflehnung gegen göttliche und menschliche Autorität war. Auf den sittlichen Zustand der Einwohner hatten "die politischen Antragungen der neueren Zeit" ein nicht gerade vorteilhaftes Licht geworfen. Wurden in früheren Berichten Höflichkeit und Abgeschliffenheit der Sitten als liebliche Eigenschaften der Haller hervorgehoben, so hatte sich jetzt dieser Ruhm als ein oberflächlicher Firniß herausgestellt, der gegen die Angriffe des Zeitgeistes nicht stand zu halten vermochte. "Daß es an sittlichem Kern und Mark fehlt, ist nur zu sehr an den Tag gekommen". Die Hinneigung zum Kommunismus, der Plan, das Bestehende umzustürzen, war anscheinend nicht nur auf die Proletarier der ehemals Freien Reichsstadt beschränkt, er hatte auch einen Teil der wohlhabenden und geschätzten Bürger von Hall ergriffen. Der prüfende General-Superintendent bestätigte in seiner Anmerkung den Bericht: "Da Eytel geneigt ist, mit ungünstigen Urteilen zurückzuhalten, als sie vorschnell zu geben, ist anzunehmen, daß es mehr als genügenden Grund zu dem nebenstehenden Urteil gegeben hat. Es ist zwar die deutsche Reife wiedergekehrt, aber die Gärung der Gemüter hat sich noch nicht gelegt".622 In Ravensburg wurde im Pfarrbericht von 1849 vermerkt: "Im bürgerlichen Leben macht sich der aufgeregte Geist der Zeit ebenfalls geltend und veranlaßt eine Menge öffentlicher Versammlungen, in welchen es Einzelne darauf anlegen, die Gemüter noch mehr aufzuheizen, wodurch der Sinn für Arbeitsamkeit und Häuslichkeit bei vielen untergraben wird. Die evangelischen Rottenburger hatten im Jahre 1850 weniger Angst vor revolutionären Umtrieben, als vielmehr davor, daß ihr geplanter Kirchenbau durch die Unruhen verhindert werden könnte. "Mit den Märzstürmen im Jahre 1848 sind auch unsere Hoffnungen auf die Kirche zerstört, oder, wie es scheint, unter dem Schutt begraben worden. Gott wolle verhüten, daß unser Kirchenbau - noch eine vormärzliche Errungenschaft - mit den März-Errungenschaften gleichgestellt werde, oder gar, daß der Staat in Beziehung darauf sich eine März-Errungenschaft revidieren wollte, damit der die Ehre und Fürsorge der evangelischen Kirche nach den Reichsgesetzen nicht mehr anfechten ließe". Der Kirchenbau in Ehingen konnte dann aber doch noch beginnen. Am 11. Mai 1854 war die Grundsteinlegung, am 22. Juni 1856 die Weihe der neuen Kirche. 621 Christian Ludwig Eytel (2.5.1787 - 10.8.1856), Dekan in Hall 1830 - 1853, Sigel Nr. 62,43. 622 Pfarrbericht Hall, 1849. 148 In Stuttgart wurde im Pfarrbericht des Jahres 1849 auf die politischen Ereignisse nicht näher eingegangen. Es wurde nur darauf hingewiesen, daß "Kraft und Autorität des Gesetzes und der Obrigkeit bei dem durch das Politisieren, das Lesen der vielen Tagesblätter und das Besuchen der Volksversammlungen herbeigeführten Zeitverlust" gelitten hatten. "Die Zukunft liegt ziemlich schwarz vor uns. Der Herr halte seine Hand über unsere Stadt".623 Offensichtlich war König Wilhelm beim Ausbruch der Unruhen entschlossen, wie Großherzog Leopold von Baden, sein Land zu verlassen. Es gelang den Offizieren, den König in Ludwigsburg von seinem Vorhaben abzubringen. Sie versicherten ihn am 1. Juni 1848 der Treue seiner Regimenter.624 Sixt Carl Kapff warnte als Dekan von Herrenberg (seit 1847) scharf vor "dem Freiheitsschwindel und vor den Versuchungen der Revolution". Durch seinen "Aufruf der evangelischen Geistlichen an das Volk" konnte er wesentlich zur Beruhigung der Lage beigetragen.625 Er hat die Pfarrer aufgerufen, ihren Einfluß zur Befriedung des Landes geltend zu machen. Er hat aber auch gemahnt, sich am bürgerlichen und politischen Leben zu beteiligen, und so eine Untergrabung des bisherigen gesellschaftlichen und staatlichen Lebens zu verhindern. Er war der Verteidiger der alten, obrigkeitlichen Ordnung und seine Opposition gegen die freiheitlichen, liberalen Bestrebungen waren für ihn Pflicht. In Anerkennung seiner Verdienste wurde er 1852 Oberkonsistorialrat und als Stiftsprediger an die Stiftskirche in Stuttgart berufen. Im Jahre 1846 war es in Württemberg zu einer schweren Mißernte gekommen, die sich im Frühjahr 1847 in überhöhten Preisen für die Grundnahrungsmittel auswirkte. Am 1. Mai kam es in Ulm, zwei Tage später in Stuttgart zu Unruhen und Ausschreitungen gegen Bäckereien. Am 4. Mai rotteten sich auch in Tübingen die Bewohner der "unteren Stadt", vor allem Weingärtner und Handwerker, zusammen und versuchten, ein Mühlen- und Getreidegeschäft zu plündern. Der Universitätsdirektor und der Stadtdirektor hatten aber Studenten mobilisiert, die eingriffen und die Angreifer vertrieben.626 In Tübingen stellte der Pfarrer Pressel627 im Jahre 1848 fest: „Der sittlich-religiöse Zustand der Gemeinde ist im Ganzen nicht erfreulich. Namentlich hat die neue Zeit bei dem fast gänzlichen Erlahmen der obrigkeitlichen Zucht vieler Roheit zum Ausbruch verholfen, und unsere Sonntage geben ein betrübtes Bild von der besonders durch die Jugend einreißenden Gleichgültigkeit gegen das Heilige, von Genuß- und Trunksucht und Ausgelassenheit". Es wurde darauf aufmerksam gemacht, daß der Kirchenkonvent dagegen sogar mit öffentlichen Ermahnungen nur schwachen Einspruch erheben konnte. 623 Gottlieb Friedrich Klemm, Pfarrbericht Stiftskirche, 1849. 624 Schneider: Württembergische Geschichte, S. 524. 625 Sauer: Reformer auf dem Königsthron, S. 404. 626 Decker-Hauff: Die Universität Tübingen von 1477 bis 1977 in Bildern, S. 232; Sieber: Stadt und Universität Tübingen in der Revolution von 1848. 627 M. Johann Gottfried Pressel, in Tübingen 1838 - 1848, Sigel Nr. 118,9. 149 "Der Geist des Unkrauts, welcher unter dem Namen Freiheit namentlich in die Städte gefahren ist, hat auch hier bei manchen Wohnung genommen, die dann in der Meinung, fürs Wohl des Vaterlandes zu arbeiten, ihren Beruf verhöhnen, in den Wirtshäusern sich herumtreiben und so dem sittlichen Verfall entgegengehen. Diese sind ein willkommener Stoff zur Bearbeitung für eine übrigens nicht große Zahl von gebildeten und gelehrten Hörern atheistischer Richtung, welche jetzt den etwas versprechenden Weg der Volksgunst einschlagen. So steht es jetzt bei denen, die sich laut hören lassen. Dagegen leben in der Stille immer noch viele gehobene Leute, die das jetzige Treiben bedauern, aber selten den Mut finden, offen dagegen aufzutreten“. Anmerkung im Pfarrbericht von 1848: "Hat sich 1849 geändert. Das Volk traut nun den „Herren“ überhaupt nicht mehr“.628 Auch hier wurden also vom Pfarrer "die demokratischen Umtriebe" mit Mißtrauen gesehen und, wie so oft, die kirchentreuen Glieder der Gemeinde positiv dagegen gestellt. In dieser Zeit haben auch die ersten Versuche der Arbeiter begonnen, sich zu organisieren. Die Wirtschaften wurden zu Orten der Kommunikation und Selbst- organisation. Bei Familienfesten, Hochzeiten, Taufen, beim Leichenschmaus, kamen die Arbeiter mit ihresgleichen zusammen. Hier trafen sich gewerkschaft- liche Gruppen, hier waren auch die Zusammenkünfte der Bildungsvereine.629 Die wirtschaftliche Lage in Württemberg war gekennzeichnet durch eine allgemeine Prosperität in der zweiten Hälfte der 50er Jahre. Die Tätigkeit der 1848 gegründeten Zentralstelle für Gewerbe und Handel630 zeigte erste Früchte. Ihr Präsident, Ferdinand von Steinbeis, war ein Mann von wirtschaftlichem Weitblick.631 Im Mai 1848 wurde der erste "Bildungsverein für Arbeiter in Stuttgart" gegründet. Es folgten Eßlingen, Göppingen, Heilbronn und Ulm. Der Zweck dieser Vereine war, eine allgemeine und moralische Bildung des Arbeiters zu erreichen, sowie seine materiellen und geistigen Interessen nachdrücklich zu vertreten und zu fördern. Daß dies "mit allen gesetzlichen Mitteln" geschehen sollte, zeigt, daß man sich um eine Einordnung in einen verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Rahmen bemühen wollte.632 Am 4. März 1849 schlossen sich die 11 existierenden württembergischen Arbeitervereine in Göppingen zu einem Landesverband zusammen.633 628 Pfarrbericht Tübingen, 1848; Albert Friedrich Hauber (14.12.1806 - 14.9.1883), Diakon in Tübingen 1843 - 1848, Dekan in Tübingen 1848 - 1851, Sigel Nr. 335,60; Christian David Friedrich Palmer (27.1.1811 - 29.5.1875) Diakon in Tübingen 1843 - 1851, Dekan in Tübingen 1851 - 1852, Sigel Nr. 114,45. 629 Christa Berg: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. IV, S. 81; Schmierer: Die Anfänge der organisierten Arbeiterbewegung in Württemberg. 630 Schmierer: Das Haus Württemberg und sein Einfluß auf die sozialpolitische Entwicklung, S. 512. Vischer: Die industrielle Entwicklung im Königreich Württemberg, S. 28. 631 Mann: Württemberg 1800 - 1866, S. 318; Christmann: Ferdinand Steinbeis, S. 176. 632 Schmierer: Die Sozialdemokratie in Baden und Württemberg, S. 12; Schadt: Die SPD in Baden- Württemberg, S. 39; Schlemmer, Hannelore: Die Rolle der Sozialdemokratie, S. 22. 633 Schmierer: Von der Arbeiterbildung zur Arbeiterpolitik, S. 40. 150 Bis 1852 entstanden etwa 25 Arbeitervereine, die zunächst dem radikalen republikanischen Flügel der württembergischen Demokraten nahe standen. Sie lösten sich aber 1859 von dieser Bindung und beschränkten sich fortan weitgehend auf eine sozialpolitische Tätigkeit. Es war kennzeichnend für diese Zeit, daß sich die Alltagskultur in der Gesellschaft mit eigenen Treffpunkten und Kommunikationsräumen etablierte, mit spezifischen Geselligkeits- und Wohnformen. Die Arbeitervereine, die Konsum-, Sport- und Gesangvereine, die Lese- und Theatergruppen, hatten eine Mittlerrolle zwischen Arbeit und Alltag und gestalteten die Freizeit mit kultureller und politischer Arbeit.634 Mit der Berufung des Freiherrn von Linden im Juli 1850 zum Innenminister wurden die Rechte dieser Vereine beschränkt, da der König und konservative Behörden neue revolutionäre Umtriebe befürchteten.635 Am 7. März 1852 lösten sich die Vereine selbst auf. Im Januar 1855 wurde die Bildung von Arbeiter- vereinen und eine Teilnahme an solchen sogar mit der Ausweisung aus dem Königreich bedroht.636 Im März 1862 wurde in Ulm ein neuer Verein von und für Handwerksgesellen gegründet, der zur Absicherung in seine Statuten ein Verbot von Diskussionen über Religion und Politik aufnahm. Er verfolgte das Ziel, Bildung und Sinn für alles Schöne und Edle zu fördern und anzustreben.637 Die "gesellschaftliche Hebung des Arbeiters" sollte erreicht werden und war das Fernziel. Im Dezember wurde das Verbot von 1854 wieder aufgehoben und das liberalere Vereinsrecht von 1848 wieder in Kraft gesetzt. Bis Ende 1868 waren wieder 34 Bildungsvereine gegründet und wieder über 1 000 Arbeiter organisiert, die sich 1863 zu einem losen Verband zusammenschlossen. Am 23. Mai 1863 wurde in Leipzig der "Allgemeine Deutsche Arbeiterverein" durch Ferdinand Lassalle gegründet. Im August 1869 wurde in Eisenach durch Bebel die "Sozialdemokratische Arbeiterpartei" gegründet, der sich die württem- bergischen Arbeitervereine zunächst aber noch nicht anschlossen. Beide Richtungen vereinigten sich am 25. Juli 1875 in Gotha zur "Sozialistischen Arbeiterpartei".638 Nach dem Krieg von 1870/71 wurde die Lage in Württemberg und das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitern als "ungetrübt und befriedigend" gesehen. Die wirtschaftliche Entwicklung hatte Lohnverbesserungen und Arbeitszeitver- kürzungen gebracht. Die Partei wandte sich in Württemberg bewußt nicht nur an die Arbeiter in den industriell aufsteigenden Mittelstädten, sondern auch an die kleinbürgerlichen Schichten.639 634 Kaschuba, Wolfgang: Mittlerrolle der Arbeitervereine. In: Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 5, S. 31. 635 Sauer: Reformer auf dem Königsthron, S. 501. 636 Schmierer: Die Sozialdemokratie in Baden und Württemberg, S. 12. 637 Schmierer: Von der Arbeiterbildung zur Arbeiterpolitik, S. 51. 638 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 157. 639 Schadt: Die SPD in Baden-Württemberg, S. 53. 151 Führende Kreise der Kirche waren der Ansicht, daß die neue Arbeiterpartei sich ganz allgemein gegen das Christentum stelle, und da die Mehrzahl der Arbeiter immer noch christlich war, stehe sie also im Widerspruch zu diesen Bestrebungen. Da es in Württemberg kein entwurzeltes Proletariat gab, stagnierte die Sozial- demokratie hier bis 1874/75. Die kritische Einstellung der Kirche dieser Partei gegenüber zeigte sich auch im Katalog der Theologischen Lesegesellschaft von Stuttgart. Hier waren verschiedene Bücher zu diesem Thema aufgeführt.640 Auch in den Folgejahren blieb die Partei in Württemberg auf ihrem betont gemäßigten Kurs, bedingt durch die wirtschaftliche Struktur des Landes.641 Ein Zentrum der Sozialdemokratie war in Württemberg neben Eßlingen die Landes- hauptstadt Stuttgart. Dort hatte ein 1875/76 gegründetes Agitationskomitee seinen Sitz, dort erschien die Parteizeitung "Süddeutsche Volkszeitung". Eine neue Situation brachte das Jahr 1878, als Bismarck mit dem Sozialistenge- setz vom 21 .Oktober die Partei verbot.642 Vereine, Versammlungen, Presse, Druckschriften und Geldsammlungen wurden verboten. In Württemberg wurde das Gesetz aber nicht so streng gehandhabt, wie in Preußen. So konnten in Stuttgart sogar Ausgewiesene aus anderen Teilen Deutschlands unterkommen. Christoph Rieber charakterisierte die besondere Lage der württembergischen Sozialdemokratie unter dem Sozialistengesetz folgendermaßen: "Das importierte Bismarcksche Giftgeschöpf konnte in dem bürgerlichen, mit freiheitlich- demokratischen Traditionen genährten Lande Schillers und Uhlands sich nicht ganz so brutal ausleben, wie im Junkerland und anderen von diesen infizierten Staaten".643 Der Dekan von Hall sah das 1879 etwas anders. Er erwähnte in einem eigenen Kapitel die wohltätige Wirkung des Sozialistengesetzes: „Hall war im besten Zug, von sozialistischen Umtrieben angefressen zu werden, als das Gesetz der Bewegung wenigstens ihrer Öffentlichkeit und Keckheit, und damit dem Hauptübel ihrer Kraft, ein willkommenes Ende bereitete“. Als das Sozialistengesetz am 30. September 1890 aufgehoben wurde, vereinigten sich die Ortsvereine am 2 .November 1890 zur Sozialdemokratischen Partei Württembergs.644 Noch während der Zeit des Sozialistengesetzes war der Stimmenanteil der Arbeiterpartei bei Reichstagswahlen in Württemberg auf 8,9% gewachsen. Er stieg bis 1912 auf 28,3%. Den Zuwachs verzeichnete die Partei vor allem in industrialisierten Oberämtern, kleinere Gemeinden blieben von dieser Partei fast unberührt.645 640 Katalog der Theologischen Lesegesellschaft Stuttgart Amt, 1913: Berg: Judentum und Sozialdemokratie; Fleischmann: Wider die Sozialdemokratie; Herrmann: Religion und Sozialdemokratie; Kunowski: Wird die Sozialdemokratie siegen? Arndt: Die Religion der Sozialdemokratie. 641 Soell: Organisatorische und politische Konsolidierung. S. 20. 642 Schmierer: Das Haus Württemberg und sein Einfluß auf die sozialpolitische Entwicklung, S. 517. 643 Rieber: Das Sozialistengesetz und die Sozialdemokratie in Württemberg, S. 28. 644 Maja Christ-Gmelin: Die württembegische Sozialdemokratie 1890 - 1914. S. 38. 645 Scherer: Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung, S.692; Schadt: Die SPD in Baden-Württem- berg, S. 26. 152 In Württemberg hatte sich die Industrie vor allem auf die Landeshauptstadt konzentriert. Das Wachsen der Bevölkerung hatte dann auch die räumliche Stadterweiterung zur Folge. Besonders die Vororte Cannstatt, Zuffenhausen und Feuerbach wurden einbezogen und dann 1904, 1931 und 1933 eingemeindet.646. Der Bevölkerungsanteil Stuttgarts selbst hatte sich hatte sich verdreifacht (1910 - 356 728), der Württembergs von 1850 bis 1910 von 1 680 000 auf 2 438 000 erhöht.647 Zunächst hatte noch die Textilindustrie den Hauptanteil an der Industrialisierung. Der König sorgte dafür, daß die liberale Gewerbefreiheit sehr behutsam durchgesetzt wurde648. Um 1860 waren 14% der Erwerbstätigen in dieser Branche beschäftigt, die Zahl der Firmen war in zehn Jahren auf 129 Baumwollfabriken gestiegen. Seit Beginn der 50er Jahre entwickelte sich dann die Metall- verarbeitung, der Maschinen-, Instrumenten- und Apparatebau, vor allem in Stuttgart, Eßlingen, Heilbronn und Göppingen als Wachstumsbranche.649 An diese Orte verlegte die Partei auch die Schwerpunkte ihrer Arbeit. Ein Höhepunkt der Parteiarbeit war wahrscheinlich der im Jahre 1907 in Stuttgart abgehaltene Internationale Sozialistenkongreß, der im liberalen Württemberg ungehindert verlaufen konnte.650 Aber auch in dieser Zeit überwog in der Partei noch der Eindruck, daß ein großer Teil der württembergischen Arbeiter kein Interesse an ihrer Arbeit zeigte. 646 Sydow: Städte im deutschen Südwesten, S. 205. 647 Boelcke: Wirtschaftsgeschichte, S. 215; Schmierer: Von der Arbeiterbildung zur Arbeiterpolitik, S. 264. 648 Boelcke: Das Haus Württemberg und die Wirtschaftsentwicklung des Landes. In: Uhland: 900 Jahre Haus Württemberg, S. 658. 649 Schadt: Die SPD in Baden-Württemberg; S. 21. Boelcke: Wirtschaftsgeschichte, S. 247. 650 Schmierer: Das Haus Württemberg und sein Einfluß auf die sozialpolitische Entwicklung, S. 517- 153 4.4. Die wirtschaftliche Entwicklung. Jahrhunderte lang hatte die Landwirtschaft mit ihren durch die Natur bedingten Abläufen das Leben der Familien und damit auch der Gemeinden bestimmt. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die Kirche auch mit ihren Verhaltensregeln bestimmend gewesen. Deshalb waren in dieser Zeit die Pfarrer auch noch, mit wenigen Ausnahmen, mit der Kirchlichkeit ihrer Gemeinden im allgemeinen zufrieden. Häufiger Wirtshausbesuch störte zwar ab und zu diesen Frieden, war aber doch die Ausnahme. Anlaß zur Sorge bereitete höchstens die Unterschicht, die auf die Fürsorge der Gemeinde angewiesen war. Der Spannungszustand zwischen Bevölkerungswachstum auf der einen Seite, und der ungenügenden Möglichkeit, eine Arbeit zu finden, die den Lebensunterhalt sicherte, auf der anderen Seite, war kennzeichnend für diese Zeit. Man schätzt, daß während der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts ungefähr 10% der Bevölkerung zu den "ansässigen Armen" gerechnet werden mußte, von diesen wieder 20 - 30% als arbeitsuntauglich oder nur bedingt arbeitsfähig.. Weitere 10% gehörten zur Gruppe der Vagierenden.651 Die Bevölkerung Badens und Württembergs stieg in der Zeit von 1815 bis 1848 von 2,4 auf 3,1 Millionen Menschen, also um fast 30%.652 Oft hemmten Notzeiten den Anstieg, senkten die Zahl der Eheschließungen, bewirkten einen Bevölkerungsrückgang (1846 - 1855 = 4,7%)653 bzw. einen geringeren Anstieg der Zunahme und verstärkten die Auswanderungen.654 Besonders das in dieser Zeit übliche spätere Heiratsalter hatte eine effektive Wachstumsbremsung zur Folge655. Die beengten Lebensumstände vor allem in der breiten Schicht von Landwirten mit nur geringem Besitz und die Hoffnung, besonders in der "Neuen Welt" ein besseres Auskommen zu finden, waren mit ein Grund für das Weggehen. Besonders in den Hungerjahren 1816/17, in denen fast die gesamte Ernte auf den Feldern verfaulte, aber auch in den Teuerungsjahren 1826/27, in denen das Getreide und Öhmd wegen dauernder Niederschläge ausfielen, 1831/32 und wieder 1846/47 stieg die Zahl der Auswanderer sprunghaft an, in den Jahren von 1846 bis 1849 auf jährlich 9 000, und erreichte 1852/54 einen Höhepunkt.656 In den Jahren zwischen 1849 und 1855 verlor Württemberg 74 875 Personen, so daß das Land im Jahre 1861 13 000 Einwohner weniger hatte, als 1852.657 651 Hippel: Am Ende des Alten Reiches, S. 207. 652 Hippel: Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1800 - 1918; Hippel: Wirtschaft, Gesellschaft und Staat, S. 171; Fehrenbach: Die territoriale Neuordnung; Sydow: Städte im deutschen Südwesten, S. 204. 653 KGLBW: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3, S.628. 654 Auswanderungen in Württemberg 1850 - 1855: 136 740 Personen; Boelcke: Wirtschaftsgeschichte S. 215; KGLBW: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3, S. 506. 655 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 67. 656 Hippel: Wirtschaft, Gesellschaft und Staat, S. 172. Fischer: Die Industrialisierung, S. 144. 657 Schmierer: Von der Arbeiterbildung zur Arbeiterpolitik, S. 29. 154 Die Gemeinden waren bereit, Geldmittel zur Verfügung zu stellen, "um die Armen und Aussichtslosen, die wirtschaftlich und sittlich Verkommenen oder Bedrohten, die Proletarier, die Mißvergnügten und Gefährlichen durch öffentliche Unter- stützung zum Abzug zu bewegen und durch einmalige Ausgaben nicht nur sozial Lästige und auffällig gewordene Elemente loszuwerden, sondern auch gegenwärtige und künftige Armen- und Gefängniskosten zu sparen".658 Eine wichtige wirtschaftspolitische Maßnahme war die Schaffung der staatlichen Gewerbeförderung mit der 1848 ins Leben gerufenen Zentralstelle für Handel und Gewerbe, in der seit 1848 Ferdinand von Steinbeis (1807 - 1893) leitend tätig und von 1863 bis 1880 ihr Präsident war.659 Von ihm stammt ja der Satz über die Württemberger als "Das Volk mit den wachen Hirnen und den geschickten Händen".660 Um den Verkehr zu aktivieren, wurde 1824 die vom König persönlich geförderte Dampfschiffahrt auf dem Bodensee und 1841 auf dem Neckar eingeführt. Einen entscheidenden Anteil an der Industrialisierung hatte der Eisenbahnbau.661 Nachdem am 18. April 1844 das entsprechende Gesetz erlassen worden war, begann der Bau der Zentralbahn Eßlingen - Ludwigsburg am 20. Juni 1844. Am 20. Oktober 1845 konnte das erste Teilstück Cannstatt - Untertürkheim eröffnet werden, am 15. Oktober die Strecke Cannstatt - Ludwigsburg. Die notwendigen Tunnelbauten am Rosenstein und an der Prag brachten Verzögerungen.662 Bereits eineinhalb Jahre nach Eröffnung der Arbeiten, also 1846, waren an der Strecke Stuttgart - Friedrichshafen 10 000 Personen in diesem Bereich eingesetzt. So hatte der Bahnbau an den verbesserten wirtschaftlichen Bedingungen im Land einen ganz erheblichen Anteil. Der Eisenbahnbau hatte aber auch einen wichtigen Impuls für die Entwicklung der südwestdeutschen Eisenindustrie zur Folge. Nicht nur die Zahl der Arbeiter, auch das investierte Kapital verdoppelten sich. Durch die Produktion von Eisenbahnschienen, die Vervielfachung der Schmiedeeisen- produktion ganz allgemein, erreichte die Eisenproduktion anfangs der 70er Jahre Höchstwerte.663 Eine wesentliche Erleichterung brachte auch die Einführung der mitteleuropäischen Zeit im Jahre 1892.664 Als in Eßlingen die Firma Keßler, die "Maschinenfabrik Eßlingen", ihren Betrieb eröffnete, war dies keine Firma, die aus einem Handwerksbetrieb hervorgegangen war. Von einem Tag auf den anderen wurden 500 Arbeiter beschäftigt665. Sie mußten verpflegt werden, sie wollten irgendwo wohnen und schlafen. Der Wohnungsbau florierte nicht nur in Eßlingen. Auch die umliegenden Ortschaften waren betroffen. 658 KGLBW: Handbuch der Baden-Würtembergischen Geschichte, Bd. 3, S.511. 659 Boelcke: Wirtschaftsgeschichte, S. 287. 660 Decker Hauff: Lehrerbildung im 19. Jahrhundert. Vortrag in Nürtingen vom 7.10.1987. Umschrift G. Widmer. 661 Boelcke: Das Haus Württemberg und die Wirtschaftsentwicklung des Landes. In: Uhland: 900 Jahre Haus Württemberg, S. 658; Gall: Die Eisenbahn in Deutschland; Morlock: Die Königlich Württembergischen Staatseisenbahnen; Mühl-Seidel: Die württembergischen Staatseisenbahnen; Supper: Die Entwicklung des Eisenbahnwesens im Königreich Württemberg; Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 68. 662 Mühl-Seidel: Die württembergischen Staatseisenbahnen, S. 40. 663 Boelcke: Wirtschaftsgeschichte, S. 256. 664 Bruns: Württemberg unter der Regierung König Wilhelms II., S. 763. 665 Schomerus: Die Arbeiter der Maschinenfabrik Eßlingen, S. 25; Tiessen: Industrielle Entwicklung, S. 15. 155 Dabei hatte Eßlingen bereits zu dieser Zeit einige Industriebetriebe, beispielsweise die Lackier- und Metallwarenfabrik Deffner, die die Oberflächenveredelung und die Verformung von Blechen eingeführt hatte. Sie beschäftigte 1848 200 Personen.666 Aber der Lokomotivbau brachte einen zusätzlichen Aufschwung mit bemerkenswerten Produktionssteigerungen. In Eßlingen wurden in der Zeit von 1866 bis 1875 762 Lokomotiven hergestellt.667 Der Bahnbau wurde in den Pfarrberichten meist ausführlich geschildert, weil er für die Bevölkerung mit steigendem Wohlstand verbunden war. Die Grundstücks- verkäufe brachten Einnahmen, das Baupersonal brauchte Lebensmittel, der Fuhrbetrieb erlebte zunächst einen Aufschwung. Die Einwohner von Rohr verdienten Geld, indem sie ihre Scheunen an die Bauarbeiter zum Übernachten vermieteten. Der Pfarrer registrierte aber nicht ohne Besorgnis, daß es meist Südtiroler und Italiener, auch Böhmen waren, also vorwiegend Katholiken. Wenn die Bautrupps dann weiterzogen, fehlte es natürlich auch nicht an Klagen über hinterlassene Schulden und ledige Kinder. Allein in Rohr wurde die extrem hohe Zahl von drei unehelichen Kindern registriert.668 Es mangelte auch nicht an Hinweisen auf die negativen Auswirkungen dieser Entwicklung. Der Eisenbahnbau hatte eine höhere Mobilität der Bevölkerung zur Folge. Bisher rein evangelische Gemeinden, vor allem mit wachsendem Industrie- potential, bekamen plötzlich katholische Gemeindeglieder. Zum Ende des Jahrhunderts fuhr man sonntags zur Erholung, zum Wandern, zu Besuchen von Verwandten in die umliegenden Ortschaften, was einen verstärkten Besuch der Wirtschaften mit Tanz und Gesang und der damit verbundenen Unruhe zur Folge hatte. Die Klagen über die Entheiligung des Sonntags mehrten sich. Die beginnende Industrialisierung veränderte auch das Leben in der Familie und in der Gemeinde. Der Familienvater verrichtete seine Arbeit nicht mehr zu Hause, er ging in eine Fabrik. Haushalt und Betrieb wurden getrennt. Dies bedingte auch einen Wandel der soziokulturellen Wertvorstellungen. Anstelle des oft diskriminierten mittelalterlichen Händlers und Wucherers trat nun der sozial respektierte Unternehmer der Neuzeit.669 Der Zwiespalt im Lebensstil zwischen Traditionalismus, dem Beharren auf dem Überlieferten, und dem Fortschritt, der sich ankündigte, aber noch nicht ausgeformt war, hatte eine gewisse Unsicherheit zur Folge. Die mit dem veränderten Wirtschaftsleben auftretenden Erziehungsprobleme wurden auf die lange Abwesenheit des Familienvaters geschoben. Hinzu kam, daß die jungen Leute nicht mehr von den Eltern abhängig waren, sondern ebenfalls, schon in jungen Jahren, Geld verdienten. "Die in den Fabriken arbeitenden jungen Leute wollen, wenn sie einen schönen Lohn verdienen, denselben oft für sich behalten, oder geben den Eltern nur einen Teil davon, wodurch schon hin und wieder 666 Oberamtsbeschreibung Eßlingen, 1845. 667 Boelcke: Wirtschaftsgeschichte, S. 258. 668 Bührlen-Grabinger: Vaihingen, Rohr, Büsnau, S. 155. 669 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 66. 156 Zerwürfnisse entstanden und die letzteren von ihren Eltern weg in andere, oft Wirtshäuser, in die Kost gegangen sind".670 Der sich langsam anbahnende Wandel der Lebensumstände war es, nicht eine Unkirchlichkeit der Bevölkerung, der den Kirchenbesuch in dieser Zeit zurückgehen ließ. Es waren vor allem die Städte, die zu Zentren der Industrialisierung wurden. Von den 1830 bestehenden 550 Industriebetrieben in Südwestdeutschland hatten die meisten ihren Sitz in den Städten: Mannheim 21, Ulm 19, Stuttgart 17, Heilbronn 13. Der Bevolkerungsanteil an der Landwirtschaft sank bis 1905 auf 37,8% ab, der Anteil an Handel und Industrie stieg auf 49,5%.671 Häufig entwickelten sich in Süddeutschland nun Handwerksbetriebe, oft über einen längeren Zeitraum hinweg, zu Unternehmen, und stießen in die Größenordnung und Betriebsweise von Fabriken vor. Bis zur Jahrhundertmitte waren es oft Handwerksmeister, die als Industriegründer in Erscheinung traten. Ein Beispiel ist der gelernte Uhrmacher und Uhrenhändler Matthias Hohner (1833 - 1902), der in Trossingen in seinem Wohnhaus mit der Produktion von Mundharmonikas begann. Die gewandelten Marktbedingungen wurden erkannt.672 Bis zum Jahre 1852 stieg die Zahl der betrieblichen Neugründungen in Württemberg auf 1 494 mit bereits 32 333 Beschäftigten.673 Nach Boelcke war diese Periode durch die allmähliche Abkehr von Normen der traditionellen stadtbürgerlichen Handwerkergesellschaft bei vielfach nachgebenden materiellen Grundlagen charakterisiert, die auffallenderweise von einer starken Hinwendung zum Pietismus begleitet war. Nachweisen ließ sich das am Bücherbesitz der Handwerkerhaushalte, in Nürtingen 1830/40 durchschnittlich 5 überwiegend religiöse Bücher, Bibeln, Gesangbücher, oder in pietistischen Versammlungen gelesene Erbauungsschriften.674 In der Anfangszeit zumindest arbeitete ein Großteil dieser Unternehmer an der unteren Grenze der Existenzsicherung, und mancher Gewerbetreibende erreichte nicht einmal das Einkommen einer Fabrikarbeiterfamilie. Moritz Mohl hat nachgewiesen, daß die Bedingungen der in einer Fabrik beschäftigten Arbeiter besser waren, als die der Selbständigen. Ein Fabrikarbeiter verdiente mehr, als ein Taglöhner oder Heimarbeiter, ein gelernter Handwerker in einem Fabrikbetrieb wurde höher entlohnt, als in den Handwerkerstätten. Ein württembergischer Handspinner verdiente bei einer Arbeitszeit von 6 bis 22 Uhr so viel, wie ein Fabrikkind in einer Maschinen- spinnerei bei 12- bis 14-stündiger Arbeitszeit, und die Hälfte bis ein Drittel des Lohnes einer erwachsenen Fabrikarbeiterin. 675 670 Pfarrbericht Vaihingen, 1874, 671 Boelcke: Das Haus Württemberg und die Wirtschaftsentwicklung des Landes, S. 661. 672 Boelcke: Industrieller Aufstieg im mittleren Neckarraum; Sozialgeschichte Baden-Württembergs, S. 126. 673 Fischer: Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte; Die Industrialisierung und ihre Probleme, S. 135; Megerle: Württemberg im Industrialisierungsprozeß, S.22; Naujoks: Stadt und Industrialisierung in Baden und Württemberg. 674 Petra Schad: Buchbesitz im Herzogtum Württemberg, S. 128; Breining: Die Handbibliothek des gemeinen Mannes. 675 Boelcke: Sozialgeschichte Baden-Württembergs, S. 133. 157 Das Verlagswesen wurde langsam in eine Fabrikproduktion übergeleitet. Vor allem in der Textilindustrie zeigte sich eine Tendenz zum Großbetrieb.676 Die Veränderung der Produktionsweise und der Produktionsstätten in Verbindung mit der zunehmenden Industrialisierung brachte auch eine Veränderung der gesellschaftlichen Lebensräume und Beziehungsformen mit sich, ebenso eine Veränderung in der Bevölkerungsentwicklung.677 Die Geburtenraten sanken in dieser Zeit, ebenfalls die Säuglingssterblichkeit; die Lebenserwartung wurde höher.678 Daß die Zahl der Armen weiter anstieg, lag daran, daß vor allem die Unterschichten schneller zunahmen, als die Zahl der Arbeitsplätze, und daß man in Krisenzeiten immer zunächst die ungelernten Arbeiter entließ, während die gelernten Arbeiter und Werkmeister gehalten wurden, weil sie nicht so leicht zu ersetzen waren.679 Hinzu kam, daß zunächst besonders die bedrohlichen Seiten der neuen Entwicklung gesehen wurden. Ungewohnte neue Arbeits- und Lebensformen entstanden. Die neuen Formen der Disziplinierung am Arbeitsplatz, die ständige Kontrolle und Aufsicht, wurde zusätzlich als Erschwernis gesehen.680 Wenn man die Fabrik-Ordnungen dieser Zeit betrachtet, so hatte der Arbeiter nur sehr wenig Möglichkeiten, sich einen Freiraum zu verschaffen. In der Fabrikordnung der Firma Köchlin in Lörrach war es jedem Arbeiter verboten, seinen Arbeitsplatz zu verlassen, bevor zum Ausgang und zur Schließung des Fabrikgebäudes geläutet wurde. Die Arbeitszeit wurde "nach Belieben des Fabrikherrn" festgesetzt, und dem Arbeiter wurde ein Teil seines Lohnes als "Sparpfennig" zurückbehalten, von dem er am Jahresende zwei Drittel, oder bei Ausscheiden den gesamten Rest ausbezahlt erhielt.681 Die unehelichen Geburten blieben in dieser Zeit weiterhin ein Problem. Die Möglichkeit, in der Fabrik verhältnismäßig gut Geld zu verdienen, ließ auch den Gegensatz zwischen arm und reich verstärkt aufbrechen. Der Pfarrer Müller aus Aldingen bedauerte in diesem Zusammenhang, daß es in seiner Gemeinde am inneren Zusammenhalt zwischen der verschiedenen Schichten fehlte und so die Meinungsverschiedenheiten immer offener zutage traten. „Es fehlt am gegen- seitigen Verständnis. Die Reichen sehen auf die Armen, die Bauern auf die Fabrikarbeiter herab. Andererseits sehen sich die Letzteren im Vorteil, weil sie immer über bares Geld zum Wirtshausbesuch verfügen."682 Von den politischen Parteien hatte die Sozialdemokratie in Süddeutschland nur geringe Entwicklungsmöglichkeiten. Der niedere Industrialisierungsgrad, die Verbreitung des Arbeiter-Bauerntums, die vielen mittelständischen Unternehmen, 676 Hippel: Bevölkerungsentwicklung, S. 560. 677 Kaschuba: Änderung der Bevölkerungsentwicklung. In: Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 5, S. 19; Schaab: Die Herausbildung der Bevölkerungsentwicklung in Württemberg und Baden; Wolter: Die Bevölkerungsentwicklung in den einzlnen Landschaften Württembergs. 678 Hippel: Wirtschafts- und Soialgeschichte, S. 637. 679 Fischer: Die Industrialisierung und ihre Probleme, S. 140, 141. 680 Hippel: Wirtschaft, Gesellschaft und Staat, S. 179. 681 Fabrik-Ordnung für die Fabrik des Herren Peter Köchlin & Söhne, Lörrach. Archivnachrichten Nr. 25, November 2002. 682 Pfarrbericht Aldingen, 1872. 158 die sich sozialreformerischen Tendenzen keineswegs verschlossen, waren Gründe dafür, daß sozialistische Parolen nur eine geringe Resonanz fanden.683 Es fällt nun auf, daß in den Pfarrberichten der Bau von Fabriken im allgemeinen keine Erwähnung fand, wohl aber die Begleitumstände, besonders die vom Pfarrer gesehenen negativen Auswirkungen auf das kirchliche Leben. Auch zu den Auswirkungen der Sozialdemokratie auf das Gemeindeleben wurde Bezug genommen, meist im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Dabei überwog unter den Pfarrern der Eindruck, daß sich die Sozialdemokratische Partei in Württemberg gegenüber den Kirchen sehr zurückhielt, so wurde von diesen doch immer wieder auf den schädigenden Einfluß hingewiesen. Der sich langsam anbahnende Wandel der Lebensumstände war es dann auch, der, in den Augen des Pfarrers, die so häufig beklagte Abwendung von allem Kirchlichen verursachte. Der Pfarrer von Altensteig hatte am Ende des 19. Jahrhunderts in seiner Gemeinde eine Anzahl Beamte, die er an erster Stelle nannte, dann an Gewerbetreibenden Holzhändler, 24 Rotgerbermeister, 5 Tuchmacher, 40 Schuhmacher, 4 Frucht- mühlen, 2 Säge- und 2 Lohnmühlen, Schreiner, und neben 29 Wirtshäusern auch eine Goldwarenfabrik.684 Diese war deshalb erwähnenswert, weil die "Arbeiter und Arbeiterinnen nicht zur Hebung des sittlichen Lebens" beitrugen. Und die ledige Jugend war "dem Hause entwachsen".685 Böblingen hatte schon 1850 verschiedene Fabriken: seit 1811 eine chemische Fabrik Bonz, seit 1823 die Bierbrauerei Dinkelacker, eine "mit Wasser getriebene" Wollspinnerei, eine Baumwoll- und Leinenweberei, eine Wattefabrik, eine Essigfabrik und später die Kinderspielwarenfabrik des Fabrikanten Christian Auberlen. Daneben gab es Möbelschreiner, Pfeifendreher und einen Spazierstäbe- hersteller.686 In Böblingen wurde 1856 erstmals eine Zuckerfabrik erwähnt, von der es im Pfarrbericht von 1877 hieß, sie trage zur Zügellosigkeit bei und fördere das Trachten nach irdischem Besitz, wenn man auch über die Verdienstmöglichkeit froh sei. Drei Jahre später hieß es, der nachteilige Einfluß dieser Fabrik habe fast ganz aufgehört, weil die Arbeiter durch Maschinen ersetzt worden seien, "zum Leidwesen der hiesigen Armen". Die 1879 eröffnete Gäubahn brachte eine Belebung der wirtschaftlichen Entwicklung, aber 1883 wurde das Versagen der Verwaltung für den festgestellten ökonomischen Rückgang in der Gemeinde verantwortlich gemacht. Ein Reutlinger 683 Boelcke: Sozialgeschichte Baden-Württembergs, S. 187. 684 Beschreibung des Oberamts Altensteig, S. 56. 685 Pfarrbericht Altensteig, 1898. 686 Beschreibung des Oberamts Böblingen, S. 20. 159 Strickwarenindustrieller hatte mit sehr dürftigem Erfolg versucht, Kinder zu beschäftigen. Der Dekan hatte allerdings eine Trikotweberei nach Böblingen geholt: "60 000 Mark Verdienst jährlich!" Trotzdem gab es aber immer noch viel Armut. Die Ledigengeburten waren unter den Arbeiterinnen der Schuh- und Zigarrenfabrik besonders zahlreich. 687 Bis 1904 hatte Böblingen aber an der Industrialisierung größeren Anteil. Es gab eine Zigarrenfabrik, eine chemische Fabrik, eine Spielwarenfabrik, eine Trikot- warenfabrik, außerdem eine größere und eine kleinere Strickerei, eine mechanische Werkstätte und zwei größere Bierbrauereien. Die Zuckerfabrik wurde 1908 geschlossen und nach Münster verlegt, dafür waren zwei neue Schuhfabriken eröffnet worden. Böblingen hatte 1910 neben 53% Land- und Forstwirtschaft bereits 37% Gewerbe und Industrie, 5% Handel und Verkehr und weitere 5% "Sonstige".688 Eßlingen partizipierte schon früh an der Industrialisierung. Bereits 1843, als die Stadt 7 542 Einwohner hatte, bestanden dort verschiedene Betriebe, die fabrikmäßig produzierten. Der Hofoptiker Oechsle fertigte astronomische Instrumente, der Mechaniker Bopp Apparate für Mathematik, Mechanik, Physik und Chemie. Es gab den Maschinenbau Reißer, der sich auf die Produktion von Feuerspritzen spezialisiert hatte. Neben der Tuchfabrik Hartmann existierte die Zuggarnspinnerei Merkel und Wolf, die Wollfärberei Hanisch und die Baumwollspinnerei Schöllkopf und Bockshammer. Es gab außerdem eine Fabrik für Weberblätter, eine Goldwaren- fabrik, eine Lackier- und Metallwarenfabrik und das Weingeschäft Keßler.689 In Eßlingen wurde bereits 1848, nach dem Bau der Maschinenfabrik Eßlingen, die 1846 mit 500 Arbeitern ihren Betrieb aufgenommen hatte, der negative Einfluß der Fabriken auf das kirchliche Leben erwähnt, weil durch die Arbeiter Materialismus, Genußsucht, Trunkliebe, Wollust, Spielsucht und Hoffahrt in die Gemeinde gekommen waren. Besonders bei den niederen Schichten ließen sich irreligiöse und unsittliche Grundsätze feststellen. 1851 hieß es erneut, daß die 800 bis 1 000 Fabrikarbeiter in 6 größeren Fabriken einen nachteiligen Einfluß auf das Gemeindeleben ausübten. Die Unsittlichkeit hatte zugenommen. Aber noch nahm der größte Teil der Bevölkerung, besonders in den Filialen, "an dieser Verwilderung nicht teil".690 1857 waren bereits über 3 000 Ortsfremde in den Fabriken beschäftigt, und die Fabrikarbeiter waren, nach Ansicht des Pfarrers, sittlich und religiös herunter- gekommen. Nur das leitende Personal galt als "noch religiös und sittlich ernst". Unter dem Einfluß der weiteren Industrialisierung mit den vielen neu zugezogenen Arbeitern war 1860 die Lage noch bedeutend schlechter geworden. Der Pfarrer 687 Pfarrbericht Böblingen, 1877, 1880, 1883. 688 Pfarrbericht Böblingen, 1910. 689 Beschreibung des Oberamts Eßlingen, S. 105. 690 Pfarrbericht Eßlingen, 1851. 160 bemerkte in dieser Zeit zusätzlich auch eine veränderte Gestaltung des sozialen, häuslichen und kirchlichen Lebens, ein Überhandnehmen "des Unglaubens". Drei Jahre später glaubte er zudem eine "Saat des Unglaubens bei der sich auf mehrere Tausend belaufenden Zahl der Fabrikarbeiter" feststellen zu können. Die Fabrikherren und Arbeiterbildungsvereine versuchten aber, dem entgegen- zuwirken.691 1880 gab es auch schon Fabrikarbeiter, die ihren Verdienst verpraßten und ihre Familien darben ließen. Es hatte sich ein Kampf entsponnen "zwischen der guten, frommen Sitte und den dämonisch gestalteten Einflüssen des modernen Unglaubens". Der Pfarrer konstatierte auch als bedenkliches Faktum, daß auf der einen Seite die niederen Löhne, in Verbindung mit dem Mangel an Sparsamkeit, ehelicher Treue und Gottesfurcht, und andererseits das reiche Einkommen der Fabrikherren "Erbitterung und Anfechtung" hervorriefen. Auch wurden die Kinder durch den frühen Verdienst in der Industrie immer unabhängiger von den Eltern. Der Pfarrer sah auch hier sehr wohl die Verunsicherung infolge des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels, den Versuch, Neuerungen abzuwehren und am Bestehenden festzuhalten.692 Die Sozialdemokratie wurde 1889 als eine "Schattenseite der Gemeinde" gesehen. Immerhin war Eßlingen bereits in diesem Jahr eines der Zentren der Sozial- demokratischen Partei.693 Die kleineren Gewerbe fühlten sich durch den Konsumverein benachteiligt. Die Aufwendungen für die Armen hatten sich vergrößert. In Gmünd wurde schon im Pfarrbericht von 1835 darauf hingewiesen, daß Gmünd den ausgeprägten Charakter einer "Fabrikstadt" habe. "Manche ahmen die in einer Fabrikstadt übliche Lebensweise zu sehr nach, wozu namentlich der tägliche Besuch der Wirtshäuser gehört". Das wirkte sich auf den Frieden in manchen Ehen sehr nachteilig aus und war anscheinend auch der Grund dafür, daß mehrere Familien, welche sich hier sehr gut hätten fortbringen können, nach Amerika ausgewandert waren. 1864 wurde erwähnt, daß "das hiesige Fabrikleben neben der ausgedehnten Gewohnheit des Besuchs öffentlicher Vergnügungsorte und der Leichtigkeit des Geldverdienens einen Hang zur Ungebundenheit und Genußsucht" förderte. Diese Mängel wirkten sich auch nachteilig auf das Lehrlings- und Gesellenwesen aus, und es war zu befürchten, daß sie in Verbindung mit der laxer werdenden Gesetzgebung keine guten Früchte tragen würden.694 In den Fabriken wurde am Sonntagvormittag gearbeitet. Dies wurde erst durch das "Sonntagsgesetz" 1872 unterbunden. Da die evangelischen Bürger zu den fleißigsten und tätigsten der Stadt gehörten, waren auch viele von ihnen in ökonomischer Beziehung sehr empor gekommen. 691 Pfarrbericht Eßlingen, 1857, 1860. 692 Hippel: Wirtschaft, Gesellschaft und Staat, S. 185. 693 Pfarrbericht Eßlingen, 1889. 694 Pfarrbericht Gmünd, 1835, 1864. 161 "Ein Teil der evangelischen Gemeindeglieder ernährt sich vorherrschend von der Beschäftigung in den Fabriken und findet hier in Zeiten, in denen die Geschäfte gut gehen, reichliche Gelegenheit zum Erwerb, läßt sich aber auch leider dadurch nicht selten verführen, denselben zur Genußsucht, zu Luxus in Kleidern u. a. zu mißbrauchen und überhaupt ein verschwenderisches Leben zu führen". In diesem Zusammenhang wurde auch zum erstenmal erwähnt, daß hier "die Sozialdemokratie Eingang gefunden" habe.695 1893 wurde nachdrücklich auf die Gefahren durch diese Partei hingewiesen.696 In diesem Jahr erwähnte der Pfarrer auch, daß die Bevölkerung von Gmünd sehr gemischt war. Neben Fabrikherren gab es Arbeiter, Gewerbetreibende, Beamte, Militär, eine kleine Zahl von Ackerbautreibenden, und durch den Zuzug vom Land herein eine wachsende Zahl von Taglöhnern. Der Zuzug "unzuverlässiger Elemente" aus den benachbarten Orten war ein "ergiebiger Boden für die Sozialdemokratie". Durch das auffallend starke Wachsen dieser Partei wurde nach der Ansicht des Pfarrers auch der Klassenhaß geschürt. "Der weitaus größte Teil der Fabrikarbeiter ist sozialdemokratisch, und mehr und mehr mußte man die betrübliche Erfahrung machen, daß kurz nach der Konfirmation unsere evangelischen Jünglinge, nachdem sie einmal in die Fabrik eingetreten sind, in den Bannkreis der Sozialdemokraten hineingezogen werden". Auf der anderen Seite boten kirchliche Vereine ein Gegengewicht und es wurde positiv verzeichnet: "Jünglingsverein und sonstige regelmäßige Versammlungen im Vereinshaus wirken den verderblichen Einflüssen entgegen, nicht ohne Erfolg". Das Familienleben wurde durch das Fabrikwesen und die vielen Vergnügungen ungünstig beeinflußt. Der Pfarrer sah die "Reinheit des ehelichen Lebens" durch diese Umstände und den stark materiellen Zug, der in allen Schichten der Bevölkerung sich geltend machte, stark gefährdet.697 Das Arbeiten in der Fabrik wurde grundsätzlich als "entsittlichend" gesehen und schädigte sowohl das Familienleben, als auch die Kinderzucht. Positiv wurde der ökonomische Vorteil der Fabrikarbeit gesehen, da sich die Erwerbsverhältnisse durch sie günstig entwickelten.698 Der Pfarrer von Kuchen, Wilhelm Friedrich Waiblinger699, beanstandete in seinen Pfarrberichten seit der Jahrhundertmitte „eine um sich greifende Unkirchlichkeit“. Das Dorf als Hort echter Religiosität gehörte der Vergangenheit an. Daß die Pfarrer auf die Industrialisierung und deren soziale Folgen sehr zurückhaltend, oder überhaupt mit Unverständnis reagierten, braucht nicht besonders erwähnt zu werden. Auch ein Sixt Carl Kapff in der Kirchenleitung hatte für den Umbruch der Zeit keinerlei Verständnis. Ganz aus der Tradition seiner Landeskirche, die mit den raschen Veränderungen des Industriezeitalters nicht Schritt halten konnte (und wollte) und sich durch 695 Pfarrbericht Gmünd, 1872. 696 Pfarrbericht Gmünd, 1893. 697 Pfarrbericht Gmünd, 1893. 698 Pfarrbericht Gmünd, 1902. 699 Wilhelm Friedrich Waiblinger (25.6.1819 - 20.7.1888), Pfarrer in Kuchen 1872 - 1888, Sigel Nr. 149,1. 162 verstärkten Konservatismus ihre Machtstellung zu bewahren suchte, konnte auch der Pfarrer von Kuchen, Wilhelm Friedrich Waiblinger, so wenig, wie seine Vorgänger, heraustreten. Auch dort hatte die Industrialisierung nicht nur das gesamte öffentliche Leben, sondern auch den Alltag des Pfarrers und die Stellung der Kirche seit der Jahrhundertmitte grundlegend verändert. "Aber den Arbeitern und Arbeiterinnen begegneten die Geistlichen noch immer weitgehend mit den alten, übernommenen kirchlichen Werten und Normen“.700 Die Jugendarbeit hatte aber auch in den Familien negative Folgen. Die ledige Jugend wurde oft als "zügellos" bezeichnet. Viele Heranwachsende waren in der Fabrik beschäftigt. 1871 wurde vermerkt: "Die väterliche Gewalt richtet nur noch wenig aus".701 1875 hieß es: „Es weht von der Fabrik in manches Haus hier der Wind der Religionsverachtung und des religiösen Indifferentismus“.702 Der Dekan von Leonberg, Friedrich Traub703, sah 1892 noch die schwierigen ökonomischen Verhältnisse in seiner Gemeinde, obwohl die 1888 gegründete Schuhfabrik beschränkte Verdienstmöglichkeit bot. 1895 gab es auch noch eine Fabrik für landwirtschaftliche Maschinen mit 20 Arbeitern und eine Gipsfabrik mit vier Arbeitern. Die Arbeiter der Schuhfabrik waren in diesem Jahr schon meist Sozialdemokraten.704 Die wirtschaftliche Entwicklung war im Jahre 1901 weiter fortgeschritten. Es wurden als Gewerbetreibende Kaufleute und Handwerker der verschiedensten Art erwähnt, mit meist mittelgroßen oder kleineren Betrieben, außerdem Taglöhner und Fabrikarbeiter. Es gab in Leonberg nun zwei Schuhfabriken. Die von Schmalzried hatte ungefähr 300 Arbeiter, "männlichen und weiblichen Geschlechts, wobei jedoch die ersteren überwiegen". Die andere, die Süddeutsche Schuhfabrik, war durch Austritte aus der Schmalzriedschen entstanden, anscheinend eine Zeit lang in der Hand der Arbeiter selbst, jetzt in den Besitz des Landtagsabgeordneten Käs aus Backnang übergegangen. Diese Fabrik hatte etwa 80 Arbeiter beiderlei Geschlechts. "Fabrikant Schmalzried hat in diesem Jahr ein stattliches zweites Fabrikgebäude erstellt, und zwischen beiden Fabrikgebäuden einen Nebenbau, in welchem er ein Mädchenheim gründete für auswärtige Arbeiterinnen seiner Fabrik, wo diejenigen derselben, welche an dem Heim teilnehmen wollen, durch eine Schwester des Stuttgarter Diakonissenhauses im Kochen und in allen Haushaltungsgeschäften unterrichtet werden". Das Nebengebäude enthielt drei Schlafsäle, welche mit allem Erforderlichen ausgerüstet waren, einer Küche, einem Speisesaal und einem Badkabinett. Alle Räume wurden elektrisch beleuchtet. 700 Köhle-Hezinger: Der glorreiche Lebenslauf unserer Fabrik, S. 227. 701 Pfarrbericht Kuchen, 1871. 702 Pfarrbericht Kuchen, 1875. 703 Friedrich Traub (19.4.1860 - 19.10.1939), Dekan in Leonberg 1888 - 1895, Sigel Nr. 87,11. 704 Pfarrbericht Leonberg, 1892, 1895. 163 Das Mädchenheim wurde am 3. September d.J. durch eine Rede und Gebet des Vorstandes des Stuttgarter Diakonissenhauses, Dekan Leyprecht, eingeweiht; "auch der Unterzeichnete hat der sehr ansprechenden Feier beigewohnt". Außerdem hatte Leonberg eine Fabrik landwirtschaftlicher Maschinen, gegründet von Stohrer, mit ansehlichem Absatz, welche ihre Arbeiter in höchst humaner Weise behandelte, nahezu als Familienmitglieder, was von denselben auch anerkannt wurde. Außerdem gab es eine Gipsfabrik und 2 Druckereien.705 Die Landwirtschaft litt unter den allgemeinen ungünstigen Verhältnissen, das Gewerbe unter der Nähe der viele Kundschaft absorbierenden, durch die Eisenbahn sehr in die Nähe gerückten Stadt Stuttgart. Die "Genußsucht" hatte sich auch in Leonberg vermehrt, und es huldigten ihr, nach Ansicht des Pfarrers, nicht wenige Einwohner.706 Die Glemsgauzeitung war konservativ, die Leonberger Zeitung demokratisch, der Schwäbische Merkur wurde von den Honoratioren gelesen. Die Tagwacht war die Zeitung der Sozialdemokratie. Auch die Württemberger Zeitung und das Stuttgarter Tagblatt hatten eine Anzahl Abonnenten. Daneben gab es aber 16 christliche Blätter, vom Sonntagsblatt bis zum Missionsblatt, die auch gelesen wurden. Im Pfarrbericht von 1913 wurde "eine Bedrohung der bürgerlichen und häuslichen Interessen" durch die nachteilige Entwicklung des Fabrikwesens gesehen. Der Stadtpfarrer und Dekan Gustav Gross707 hob hervor, daß unter dem schädlichen Einfluß der Sozialdemokratie, deren Unaufrichtigkeit das Zusammenleben in einem versöhnlichen Geist sehr erschwerte, der Kirchenbesuch sehr nachgelassen habe. „Sie wollen nicht die Wahrheit, sondern die Macht“. Der Pfarrer sah auch mit Bedauern, daß die Zahl derer wachse, "die den Pfarrer für überflüssig halten", und es gebe ein Mißtrauen gewisser Kreise, daß kirchliche Interessen zu stark betont würden. Der stark materielle Sinn der Bevölkerung, besonders der Industriearbeiter, behinderte die kirchliche Arbeit nun schon sehr. Die Sorge um das Irdische drängte die geistigen Interessen immer mehr in den Hintergrund.708 In Leonbronn, der kleinen, 486 evangelische Einwohner zählende Gemeinde im Dekanat Brackenheim, erwähnte der Pfarrer Karl Mohr709 1890, daß die Haupterwerbsquelle die Steinbrüche in der Umgebung des Ortes waren. Bei den Gemeindegliedern, deren geistiger Horizont sehr eng war, zeigte sich kein Vorwärtsstreben und kein Bildungsbedürfnis. Außerdem schädigten die Juden auch hier den Wohlstand. 705 Oberamtsbeschreibung Leonberg, S. 672. 706 Pfarrbericht Leonberg, 1901. 707 Dekan Gustav Theodor Ludwig Gross (9.3.1864 - 6.2.1943), Dekan in Leonberg 1903 - 1913, Dekan in Hall 1913 - 1920, Stiftsprediger in Stuttgart 1920 - 1930, Sigel Nr. 149b,6. 708 Pfarrbericht Leonberg, 1913. 709 Karl Christian Heinrich Mohr (21.10.1861 - 9.1.1946), Pfarrer in Leonbronn 1888 - 1896, Sigel Nr. 211,54. 164 1911 waren zwar die Gottesdienste gut besucht, aber eine Zigarrenfabrik und der Turnverein waren schuld an der Vergnügungssucht im Ort. Es gab einen Lehrer- Gesangverein, einen Kriegerverein, den Arbeiterunterstützungsverein und den Kirchenchor, die das gesellschaftliche Leben in Leonbronn bestimmten. Der Pfarrer beanstandete 1919 die Aufhebung des Sonntagsgesetzes und gab der Sozialdemokratie ohne nähere Begründung Schuld an der auffallenden Abnahme des Kirchenbesuchs. Er war auch durch sein ausgesprochen konservatives Verhalten als Kriegshetzer und Kriegsverlängerer gesehen worden.710 In Ludwigsburg, das 1911 14 337 Einwohner hatte, dazu die Militärgemeinde mit 5 112 Personen, war die Zichoriefabrik Heinrich Franck ansässig, die ursprünglich in Vaihingen/Enz 1828 gegründet worden war und ihren Betrieb 1868 nach Ludwigsburg verlegt hatte. Sie entwickelte sich bis zum Ende des 19. Jahrhun- derts zu einer Weltfirma mit 14 Filialbetrieben im In- und Ausland.711 Ihr wurde im Pfarrbericht bescheinigt, daß sie viel für die sittliche und ökonomische Hebung ihrer Arbeiter getan habe. Trotzdem förderten, nach Meinung des Pfarrers. auch in den Ludwigsburger Fabriken die fremden Arbeiter das Proletariat.712 Weitere erwähnte Industriebetriebe waren der Orgelbau Walcker, ein mittel- ständischer Betrieb, 1820 gegründet und weit über Ludwigsburg hinaus bekannt, die Maschinenfabrik Barth, die Blechdrahtfabrik Feyerabend, die Eisschrankfabrik Fink, die Firma Bleyle für Oberkleider, und die Körnersche Bierbrauerei. Damals gab es in Ludwigsburg 6 Gasthöfe und 96 Wirtschaften, dazu 96 Vereine im Adreßbuch.713 In Nagold wurde 1898 festgestellt, daß die Erwerbsverhältnisse in der Stadt nicht gerade ungünstig seien. Eines der Hauptgewerbe, die Tuchmacherei, war aber im Rückgang begriffen, dagegen habe die Möbelschreinerei einen sehr guten Geschäftsgang. Sie lieferte bis in die Pfalz und ins Rheinland. Die kleinen Handwerker hatten nebenher alle noch kleine Landwirtschaftbetriebe. Zwei Pforzheimer Firmen hatten neuerdings Filialen für Goldwarenfabrikation in Nagold eingerichtet. Der Pfarrer merkte an: "Bis jetzt herrscht stramme Zucht in denselben". Das Sägewerk Theurer aus Altensteig hatte in Iselshausen eine Zweigniederlassung eröffnet. Der Dekan ergänzte diese Bemerkungen: "Fabrikmäßige Beschäftigung geben außerdem eine Spinnerei, eine Ölfabrik, Sägereien, Ziegeleien, eine Filiale der Calwer Wollteppichfabrik, (später kam noch eine Seifenfabrik dazu). Es sind aber wenige Arbeiter in diesen beschäftigt". Auch zur politischen Gesinnung der Nagolder wurde kurz Stellung bezogen. Die Mehrzahl war, nach Ansicht des Pfarrers, konservativ national, auch die 710 Pfarrbericht Löchgau, 1890, 1911, 1919. 711 Boelcke: Wirtschaftsgeschichte, S. 219. 712 Pfarrbericht Ludwigsburg, 1887. 713 Pfarrbericht Ludwigsburg, 1911. 165 Demokraten waren nicht fanatisch. Patriotische Feste wurden mit Begeisterung gefeiert. Es gab keine "konstituierenden Parteien".714 In Öhringen bestand die Bevölkerung teils aus Weingärtnern, Bauern, Taglöhnern und einigen kleinen Gewerbetreibenden. "Die Hauptursache, warum viele der Gewerbetreibenden auf keinen grünen Zweig mehr kommen, liegt ohne Frage in der übertriebenen Genußsucht. Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Ertrag". Überhaupt war in Öhringen das gesellige Leben sehr entwickelt. Die 65 Wirtshäuser wurden am Sonntag lebhaft besucht. In vielen Pfarrberichten wurden immer wieder Armut und Genußsucht zusammen erwähnt. Natürlich stellte sich die Frage, wie diese beiden Begriffe zusammen zu bringen waren. Der Pfarrer von Öhringen brachte hierfür vielleicht eine Erklärung. Er schrieb in seinem Bericht von 1895, daß die Armen, wenn sie einmal eine Verdienstmöglichkeit hatten und zu Geld kamen, keinen Gedanken an Haushalten oder Sparen verschwendeten, sondern ins Wirtshaus gingen und endlich auch einmal wie die besser Begüterten leben wollten.715 Genußsüchtig war also nicht der wirklich Arme, sondern der durch einen glücklichen Zufall zu Geld gekommene Arme. Die Demokratische Partei war in Öhringen am einflußreichsten, hatte aber seit 1900 Einbußen zu Gunsten des Bauernbundes hinnehmen müssen. Daneben gab es die nationalliberale und die demokratische Partei, von denen erwähnt wurde, sie seien "different" zur Kirche". Auch an Sozialdemokraten fehlte es nicht ganz, aber Öhringen, wo die Fabrikbevölkerung fehlte, war kein Boden für ihre Propaganda. Eine neu gegründete Korsett- und Trikotfabrik war nach kurzem Bestehen wieder eingegangen.716 In Vaihingen/Filder beanstandete der Pfarrer bereits 1850 die schädlichen Auswirkungen der Industrie. Er schrieb, daß die Kinderzucht besonders bei den konfirmierten Kindern besser gehandhabt werden sollte. Da diese aber schon früh in den Fabriken verdienten und weil sie damit auch ihre Eltern unterstützten, "so lassen dieselben sich ihre Kinder über den Kopf wachsen".717 Vaihingen hatte schon in der Oberamtsbeschreibung von 1851 eine Baumwoll- manufaktur Merz & Seher, die 130 Personen beschäftigte, sowie eine Ziegel- brennerei und zwei Bierbrauereien. Auch die Steinbrecherei spielte eine große Rolle.718 714 Pfarrbericht Nagold, 1898. 715 Pfarrbericht Öhringen, 1895. 716 Pfarrbericht Öhringen, 1910. 717 Pfarrbericht Vaihingen, 1850, 1882. 718 Beschreibung des Oberamts Stuttgart Amt, Vaihingen, S. 281. 166 Im Pfarrbericht von 1880 brachte der Pfarrer auch die schlechten Verhältnisse der Industriearbeiter zum Ausdruck. Er bedauerte die Familienväter, die ihre Arbeit nicht mehr, wie früher, zu Hause verrichten konnten, sondern schon früh morgens in die Fabrik mußten, von der sie erst spät abends wieder nach Hause kamen. Die Klagen über die Jugend waren in allen Berichten zu finden, Die neue Erwerbssituation verschärfte den Konflikt innerhalb der Familien. Die Abwesen- heit des Vaters wirkte sich negativ auf die Kindererziehung aus. Der frühe Verdienst der Jugendlichen machte diese von den Eltern unabhängig. Es läßt sich an den Berichten deutlich die veränderte Lebenssituation ablesen. Ähnliche Anmerkungen machte auch der Pfarrer von Weil im Dorf, der in seinem Pfarrbericht von 1880 schrieb, das Familienleben leide infolge des leichten Geldverdienens in den Fabriken not. Die ledige Jugend, meist in den Fabriken in Feuerbach und Stuttgart arbeitend, neige sich mehr und mehr einem oberflächlichen Genußleben zu. Sie würde unbotmäßig und wachse den Alten über den Kopf. Die Subordination der Söhne und Töchter werde immer seltener. Auch sei die "Lust am Dienen" nahezu ausgestorben, tüchtige Bauernmägde seien kaum noch zu haben.719 Auch 1894 fanden sich ähnliche oder gleiche Bemerkungen. Auch hier hieß es wieder, das Familienleben leide infolge des leichten Geldverdienens not. Die ledige Jugend, die in Fabriken in Feuerbach und Stuttgart arbeitete, neige sich mehr und mehr einem oberflächlichen Genußleben zu. Die Lust am Dienen sei nahezu ausgestorben, tüchtige Bauernmägde seien kaum noch zu bekommen. Ehedissidien waren dem Pfarrer in den letzten Jahren allerdings nicht zu Ohren gekommen.720 719 Pfarrbericht Weil im Dorf, 1880. 720 Pfarrbericht Weil im Dorf, 1894. 167 4.5. Die Württembergische Metallwarenfabrik. Zum Schluß soll noch die Württembergische Metallwarenfabrik721 in Geislingen besprochen werden, weil sich an diesem Beispiel deutlich zeigen läßt, wie die Pfarrer in dieser Zeit auf die im Zusammenhang mit der der Industrialisierung auftretenden Probleme nur sehr zögernd reagiert haben. 1843 sah der Pfarrer von Geislingen die Christlichkeit seiner Gemeinde schon sehr kritisch. Er stellte bei seinen Gemeindegliedern bereits eine gewisse Genußsucht fest, gleichzeitig aber auch eine Verarmung der Bevölkerung, steigende materielle Interessen und Indifferentismus, ebenso Hoffahrt und Liederlichkeit unter der zahlreichen Klasse der Handwerksgesellen und Lehrlingen. Die Sonntagsfeier lag im argen, und er konnte den Störungen nicht wehren. Die Zahl der unehelichen Geburten war nicht gerade auffallend, doch herrschte im Umgang der beiden Geschlechter nicht viel Sittlichkeit. Aber die meisten unehelichen Kinder wurden auch hier auswärts geboren.722 Bereits 1853 hatte der Kaufmann Daniel Straub mit zwei Teilhabern, Louis und Friedrich Schweizer, und sechzehn Arbeitern das Messingwalzwerk "Straub und Schweizer" gegründet. Dies war die spätere "Württembergische Metallwarenfabrik Geislingen". Die beiden Teilhaber schieden im Jahre 1866 aus. Es war bereits die zweite industrielle Gründung Straubs. Im Jahre 1849 hatte er die "Eisengießerei und Maschinenfabrik Geislingen" gegründet, die aus einer Reparaturwerkstätte hervorgegangen war, die er im Zusammenhang mit dem Eisenbahnbau der Geislinger Steige eingerichtet hatte. Hergestellt wurden Teekannen, Teekessel, silberplattierte Leuchter (Plaqué- waren), Chaisenlaternen, Kirchengeräte, Tabletts und Kaffeeservices.723 Eine erste Verkaufstelle wurde 1868 in Berlin gegründet, wo die versilberten Tischgeräte begeisterte Aufnahme fanden. Beschäftigt wurden Metalldrücker, Flaschner, Gürtler, Gießer, Broncierer, Walzer und Polierer. Im Jahre 1853 waren es 15 Arbeiter, 1866 bereits 120 - 140. Die Firma wurde im Jahre 1880, als sie 500 Arbeiter hatte, mit der Eßlinger Versilberungsanstalt A. Ritter & Co. fusioniert und in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Sie hatte allerdings, im Gegensatz zu der Baumwollspinnerei Kuchen, „nur“ ein Aktienkapital von 1 Million Mark.724 Der Pfarrer von Geislingen hat lange von der neuen Entwicklung dieses Industriebetriebes keine Kenntnis genommen. Wichtig und erwähnenswert war für ihn, daß die Sonntagsruhe lange Zeit durch den Eisenbahnbau gestört worden war, und nun, nach Abschluß dieser Arbeiten, neue Störungen durch den Ausflugs- verkehr mit der Eisenbahn auftraten. 721 Hecht: Die Württembergische Metallwarenfabrik Geislingen 722 Pfarrbericht Geislingen, 1843. 723 Hecht: Die Württembergische Metallwarenfabrik Geislingen, S. 10. 724 Pfarrbericht Geislingen, 1877. 168 Er schrieb 1862, es gebe neben den vielen Brauereien, Mühlen und Wirtshäusern „zum Teil fabrikartig Gewerbetreibende", die sich um die bei ihnen in großer Zahl beschäftigten Drechsler, Lehrlinge, Gehilfen, Dienstknechte nur wenig kümmerten, wenn sie nur für ihr Geschäft tüchtig waren. Diese Feststellung findet sich auch 1871, wörtlich abgeschrieben, wieder. Hier konstatierte der Pfarrer aber auch, daß die vom Lande in immer größerer Zahl hereinziehenden eher kirchlich gesinnten Taglöhner eine Ausnahme im Hinblick auf die christliche Gesinnung seiner Gemeinde machten, und ein heilsames Gegenstück gegen die gleichfalls wachsende Fabrikbevölkerung seien.725 Erst 1877, also 24 Jahre nach der Gründung der WMF, wurde im Pfarrbericht erwähnt, es gebe in Geislingen eine „eingesessene Bürgerschaft, viele Beindreher mit einer ungesunden Überproduktion, dazu eine große, alles beherrschende Fabrik mit schon über 500 Arbeitern, bestehend aus gelernten Schmieden, Schlossern, Flaschnern, Drehern, welche sich aber nicht als Fabrikarbeiter ansehen lassen wollen, auch der Sozialdemokratie nicht huldigen“, ein Umstand, der sehr anerkennend registriert wurde.726 Der Dekan brachte auch noch einen Vermerk zur Beurteilung und Einschätzung der Schule an: „Die Schule steht in den Augen der Geislinger weit über der Kirche. Ihr werden die größten finanziellen Opfer gebracht". Die höhere Schule wurde sogar als ein Versuchsfeld für andere Städte gesehen. "Ein angesehener Bürger hat die fünf Lehrer des Pädagogiums kritisch „die fünf Blutegel der Stadt“ genannt". Groß wurde dagegen die Unkirchlichkeit und die Gleichgültigkeit gegen das Wort Gottes gesehen. In vielen Werkstätten wurde in dieser Zeit von alten und jungen Meistern bis Sonntag Mittag gearbeitet.727 Drei Jahre später, also 1883, schrieb der Pfarrer, daß in der großen Fabrik Leute aus Baden, Norddeutschland, Böhmen und Polen beschäftigt waren, dazu bei der Bahnhofserweiterung mehrere hundert Südtiroler und Italiener. "Es kommt zu einer physischen, ökonomischen und intellektuellen Überlegenheit der Fabrik- bevölkerung. Und die Großindustrie saugt das Kleingewerbe auf". Bisher war Geislingen eine national gesinnte Stadt. Die Demokratie fand so gut wie keinen Boden. Allerdings nahmen die sozialdemokratischen Stimmen zu, und der "sozialdemokratisch angehauchte Geist der Söhne" führte auch zu Klagen der Eltern. Es gab in diesen Kreisen sogar "anarchistisch-kommunistische Gedanken". Die Autonomie“, das Blatt dieser Partei, wurde hier gelesen: "100 Exemplare". Es gab in Geislingen im Zusammenhang mit der Industrialisierung auch bereits ungefähr 1 000 Katholiken, und den Evangelischen wurde vorgeworfen, kein Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und keinen Geist des Evangeliums im Mittelpunkt ihres Lebens zu haben. Immerhin war der Kirchenbesuch am Karfreitag mit 1 702 Gemeindegliedern wesentlich höher als an normalen Sonntagen, an denen ungefähr 500 Personen gezählt wurden. 725 Pfarrbericht Geislingen, 1862, 1871. 726 Pfarrbericht Geislingen, 1877. 727 Pfarrbericht Geislingen, 1880. 169 Es wurde auch kritisch vermerkt, daß die hier bestehenden 42 Vereine keine Rücksicht mehr auf die Kirche nahmen.728 Eine Fabrikschule, wie in Kuchen, gab es in Geislingen nicht. Die Arbeiter waren aber bereits in einem von Straub gegründeten Wohlfahrtsverein organisiert, der sich um alle sozialen Bedürfnisse der Arbeiter angenommen hat, und sich um den Verdienst der Arbeiter, die Gesundheit, ordentliche Wohnungen, den gemein- samen Einkauf von Lebensmitteln und die Jugendbildung kümmerte. Dazu gehörte auch eine eigene Betriebskrankenkasse zur Absicherung bei Krankheit oder Invalidität und eigene Werkswohnungen.729 Bereits 1859 hatte Geislingen, wie im Pfarrbericht dieses Jahres erwähnt wurde, neben der Sonntagsschule eine Sonntags-Zeichnungsschule, daneben eine Winterabendschule. Hier gab ein Lehrer Montag- und Samstagabends jeweils von 7 ½ bis 9 ½ Uhr 4 wöchentliche Unterrichtsstunden in praktischer und gewerblicher Fortbildung. Es wurde Schreiben, Rechnen und Geschäftsaufsätze geübt. Die Entlassung mit einem Zeugnis erfolgte nach 3 Jahren. An der Sonntags-Zeichnungsschule unterrichtete der Reallehrer Fink die Gewerbelehrlinge. Auch der Drechslermeister Haug und der Werkmeister Vetter gaben Zeichenunterricht. Der Besuch der Fortbildungsschulen war Pflicht und wurde von der Aufsichtsbehörde überwacht.730 Der Industriestandort Geislingen war mit Schulen offensichtlich gut versorgt. Neben der Metallwarenfabrik gab es in Geislingen ein Zementwerk, eine Kartonagenfabrik, eine Kistenfabrik, eine Spinnerei, 11 Bierbrauereien, 2 Hornwarenfabriken und noch 16 Elfenbeinschnitzergeschäfte, die für Geislingen einmal prägend gewesen waren. Zusammenfassend kann zu der wirtschaftlichen Entwicklung im 19. Jahrhundert gesagt werden, daß der Spannungszustand zwischen Bevölkerungswachstum und den unzureichend verfügbaren wirtschaftlichen Produktivkräften bis zur Mitte des Jahrhunderts kennzeichnend für die Lage war. Die Ehebeschränkungen, die Not der Jahre 1847 - 1854, die hohe Zahl der Auswanderer, in den Jahren 1850 bis 1855 in Württemberg immerhin 136 740, ließ die Bevölkerung in den Jahren von 1855 bis 1875 nur um 0,57% anwachsen. 731 Trotzdem stieg die Bevölkerung in Württemberg zwischen 1816 und 1875 um 33,41%.732 Die hohen Wanderungsverluste in den ländlichen Gebieten, die starke Bevölkerungszunahme vor allem in den industriell entwickelten größeren Städten, brachten ständig neue Verschiebungen im Aufbau der Bevölkerung. 728 Pfarrbericht Geislingen, 1883. 729 M. Wiedner: Besteck ist unser Leben, S.32. 730 Pfarrbericht Geislingen, 1859. 731 Boelcke: Wirtschaftsgeschichte, S. 215. 732 Kocka: Arbeitsverhältniise und Arbeiterexistenzen, S.43. 170 Durch den Ausbau des Verkehrswesens, der Straßen, Kanäle und Eisenbahnen, auch den Abbau der Zölle, war eine Herausbildung weiträumiger Märkte möglich. Hinzu kam der Ausbau vor allem des gewerblich-technischen Schulwesens, der ebenfalls für die wirtschaftliche Leistungssteigerung und die Herausbildung eines veränderten Bewußtseins der Bevölkerung maßgebend war. Parallel hierzu verlief die wirtschaftliche Entwicklung. Ständisch-feudale Strukturen wurden abgeschafft, obrigkeitliche Gängelung trat zurück, die Weit- räumigkeit der Märkte war Voraussetzung für eine kapitalistische Wirtschafts- weise,733 wobei kapitalistisch durchaus im Sinne von Wachstum, Modernisierung und Fortschritt positiv zu verstehen ist.734 Die Arbeit ging von der Heimarbeit mit der Verlagsindustrie über in die Fabrik, den größeren, zentralisierten Produktionsbetrieb, der ökonomisch überlegen war. Das beschleunigte Wachstum der industriellen Ressourcen eröffnete erstmals die Möglichkeit, die Verelendung und den Hunger weiter Kreise zu überwinden. Das Wachstum der Wirtschaft übertraf das der Bevölkerung. Neue Bearbeitungs-, Verarbeitungs- und Werkzeugmachinen, neue Energien, chemisch-technische Neuerungen und neue Werkstoffe, dies alles kennzeichnete den wirtschaftlichen Fortschritt. Der Eisenbahnbau benötigte eine große Zahl von Saison- und Wanderarbeitern zum Streckenbau, daneben Maschinenfabriken zur Herstellung von Lokomotiven, aber auch für Einrichtungen, beispielsweise für den Brückenbau. Waren früher die Schwankungen der Ernteerträge verantwortlich für das Wachstum und die ökonomische Situation, so waren seit der Jahrhundertmitte wirtschaftliche Schwankungen für die wirtschaftliche Entwicklung prägend, wobei die großen regionalen Unterschiede nicht vergessen werden dürfen.735 Die Kirche hat auf diese Veränderungen reagiert, indem sie die Veränderungen im Gemeindeleben ansprach. Die veränderten Arbeitsbedingungen und die Möglichkeit für die Jugendlichen, schon früh eigenes Geld zu verdienen, wirkten sich auf das Familienleben und den Kirchenbesuch aus, die größere Mobilität brachte Unruhe in die Gemeinde. Die konfessionelle Einheit wurde gestört, die Einflußmöglichkeiten der Geistlichen wurden eingeschränkt. Die Kirche beanstandete den weltlichen Sinn und den "Geist der Zeit", und ganz besonders die Abkehr der Industriearbeiterschaft von allen kirchlichen Belangen. So hatte die industrielle Revolution auch Auswirkungen auf das Leben der Landeskirche, die in den Pfarrberichten immer wieder angesprochen wurden. 733 W. Fischer: Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 796. 734 Kocka: Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen, S. 63. 735 Kocka: Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen, S. 75. 171 5.0. Die Sonntagsheiligung. In allen Pfarrberichten wurde immer auch zu der Frage Stellung genommen, wie es um die Feier des Sonntags in der Gemeinde bestellt war. Es zeigte sich, daß außer dem Lob über die Einhaltung der Sonntagsruhe in der ersten Zeit doch auch schon sehr früh Klage geführt wurde über die Sonntagsentheiligung durch Arbeit, und besonders auch über die Behandlung der Sonntagsfrage „unter Ausschluß allen Einflusses des Geistlichen“.736 Die Beschwerden über die Nichteinhaltung der Sonntagsruhe wurden im Laufe der Jahre immer lauter. Es war nicht nur die Arbeit auf dem Felde, die eventuell im Sommer sogar erlaubt werden konnte, wenn das Wetter in der Ernte das erforderlich machte. Besonders in den Städten war es durchaus üblich, die Geschäfte sonntags offen zu halten, um den Bauern, die aus den Nachbargemeinden hereinkamen, den Einkauf zu ermöglichen. Auch der Besuch der vielen Wirtschaften und die damit verbundene Unruhe war weit verbreitet und immer wieder Gegenstand der Beschwerden. Ein Satz in der „Württembergischen Kirchengeschichte“ beweist, wie wichtig die Sonntagsheiligung in der Landeskirche genommen und bewertet wurde. Es wird der Prälat Cleß zitiert, der sagte: „Ein Volk, das seinen Sonntag nicht mehr heilig hält, ist gewiß auf dem Weg, nichts mehr heilig zu halten“. Die Kirche wandte sich schon früh gegen die Behandlung dieser Frage vom rein polizeilichen Standpunkt aus und unter völligem Ausschluß der Geistlichen, wobei ein Argument war, daß vor allem die Erlaubnis des Tanzens am Sonntag den Frieden dieses Tages und natürlich auch die Sittlichkeit gefährde.737 In den zwanziger und dreißiger Jahren des vorletzten Jahrhunderts waren es noch vor allem die Arbeiten von Bauern und Handwerkern gewesen, die Ärgernis erregt hatten. Nun aber wandten sich die Pfarrer ganz nachdrücklich auch gegen die "Unsitte des Tanzens" als Sonntagsbelustigung. Dieses war in den neuwürttembergischen und vor allem den katholischen Orten zwar schon immer erlaubt gewesen, konnte nunmehr aber auch in den altwürttembergischen geduldet werden, womit selbstverständlich gleichzeitig auch dem Wirtshausbesuch Vorschub geleistet wurde. Allerdings war hierzu immer noch eine besondere Erlaubnis der Kreisregierung notwendig. Gewährte diese allerdings eine solche, so sollte sie „in Zukunft von der Meinung des Geistlichen ganz nicht mehr abhängig sein“.738 In einem Konsistorialerlaß an die General-Superintendenten vom März 1822 hieß es: „Es soll bei beiden Religionen gehalten werden, wie bisher. Hieraus folgt notwendig, daß die früheren Gesetze, welche das Tanzen an Sonntagen verbieten, für die altwürttembergischen Lande fortbestehen“. Der Kirchenkonvent hatte allerdings kein Einspruchsrecht mehr. 736 Württembergische Kirchengeschichte, S.596. 737 Württembergische Kirchengeschichte, S.596. 738 Württembergische Kirchengeschichte, S.596. 172 Später wurde aber verfügt, daß dem Kirchenkonvent bei Ausschreitungen im Zusammenhang mit solchen Veranstaltungen sehr wohl zugebilligt werden solle, einzuschreiten.739 Die Tanzveranstaltungen vor allem an Kirchweihsonntagen oder Hochzeiten waren der Geistlichkeit ja schon immer ein Dorn im Auge gewesen, und es hat auch an Unterstützung durch staatliche Stellen in dieser Frage nicht gefehlt. Schon Kurfürst Friedrich hatte sich mit seinen Reglementierungsmaßnahmen im März 1804 für die Feier des Kirchweihfestes ohne Tanz und Lustbarkeiten eingesetzt. Hier wurde bestimmt, daß in Zukunft landeseinheitlich am 3. Sonntag im Oktober in ganz Württemberg Kirchweih als religiöse Feier begangen werden sollte, ohne Tanz und Spiel, und daß "solche störenden Lustbarkeiten" dann am nachfolgenden Montag und Dienstag stattfinden könnten.740 Als Sixt Carl Kapff im Jahre 1843 auf das Dekanat Münsingen versetzt wurde, war ihm ein wichtiges Anliegen, umgehend die Tanzveranstaltungen bei den Hochzeiten abzuschaffen, damit die Ehe nicht mit sündigem Treiben begonnen wurde. Er konnte sich im Laufe der Zeit auch durchsetzen.741 Im Rahmen der sich langsam herausbildenden bürgerlichen Gesellschaft wurde aber schon sehr früh ein abnehmendes Interesse an der Kirche und kirchlichen Veranstaltungen festgestellt. Es wurde deshalb immer wieder versucht, dem entgegenzuwirken und wenigstens die Einhaltung der Sonntagsheiligung zu gewährleisten und Abweichungen zu verhindern. Bereits im Juni 1805 erfolgte eine allgemeine Feiertagsregelung für die neuwürttembergischen Lande, die festlegte, daß Weihnachten, Ostern und Pfingsten als Feiertage zu gelten hatten, dazu der Karfreitag, sowie Neujahr und das Himmelfahrtsfest. An den anderen Feiertagen, dem Gründonnerstag, Ostermontag, Pfingstmontag, Erscheinungsfest, an Maria Verkündigung, Maria Reinigung, an allen Aposteltagen, dem Tag Johannes des Täufers und Stephanus sollte im Sommer von 7 bis 8 Uhr, im Winter von 8 bis 9 Uhr eine Predigt gehalten werden und außerhalb dieser Zeit das Arbeiten erlaubt sein. Diese „Gnädigste Verordnung“ sollten die Ober- und Stabsämter gehörig bekannt machen.742 Der Pfarrer von Altensteig beanstandete 1865 „am Ostermontag das skandalöse Treiben der Jugend von Calw und Nagold her“, also, wie so häufig in solchen Fällen, von auswärts, trotz des Tanzverbotes, das der Schultheiß erfreulicherweise ausgesprochen hatte, und ohne daß für ihn, den Pfarrer. sonst noch eine Möglichkeit gegeben war, hier regulierend einzugreifen. 739 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 662, vom 11./15.März 1822, S. 544. 740 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 1835, Rescript der Oberlandesregierung zu Ellwangen betr. die Verlegung der Kirchweihfeste auf einen Sonntag und die weltliche Feier desselben an einem folgenden Tage. 20. März 1804. 741 Württembergische Väter, Bd.III., S. 136. 742 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 363, vom 23.Januar 1805. 173 Auf der anderen Seite versäumte er aber in diesem Zusammenhang auch nicht, darauf hinzuweisen, daß es in seiner Gemeinde außer solchen Auswüchsen immer auch noch viele rechtschaffene Familien gab, die Arme und Kranke freigiebig unterstützten, daneben aber doch auch schon Genußsucht und Fleischeslust.743 Auch in Blaubeuren war man mit der Sonntagsfeier nicht zufrieden. Der Pfarrer schrieb in seinem Bericht von 1860: „Die Gemeinde wird so ziemlich wie in anderen kleinen Städten sein, vielleicht etwas genußsüchtiger, als in manchen anderen, noch mehr aber arm an tieferem und regerem christlichem Sinn und Leben. Nicht, daß solches hier nicht auch zu finden wäre, aber im allgemeinen wird man sagen müssen, daß wenigstens das positive Christentum hier weniger zu Hause ist, als in manchen anderen Städten. Die vorherrschende Religiosität hat oft mehr allgemeine Natur, spricht sich in moralischen Grundsätzen aus, aber spricht viel mehr aus, als daß sie wirklich da wäre. Die Kirche ist auch an den Sonntagen nicht voll, auch nicht so voll, als sie sein könnte, doch hält da die Gemeinde noch eher Schritt mit anderen, aber die Wochengottesdienste sind sehr wenig besucht. Übrigens ist man eben darum, weil hier das Kirchengehen nicht mehr Volkssitte ist, umso mehr berechtigt, auf den noch vorhandenen Kirchenbesuch mehr Wert zu legen. So auch bei der Frequenz des heiligen Abendmahls, die ebenfalls keineswegs groß ist. Die Honoratioren sind nicht eben selten Gäste in der Kirche, wenigstens der größere Teil besonders auch der Beamten".744 Die Sonntagsfeier lag in Blaubeuren im Argen, sowohl was das Arbeiten betraf, das hier und auch in der ganzen Umgebung fest eingewurzelt war, und wogegen der Stadtpfarrer den Kampf mehr und mehr aufgeben mußte, da er weder beim Kirchenkonvent überhaupt, noch beim Stadtschultheiß Beistand fand, "welcher Letztere seiner natürlichen Lahmheit noch mit religiös-liberalen Grundsätzen zu Hilfe kommt, als auch, was die sonntäglichen Vergnügungen betrifft". "Da füllen nicht nur die Blaubeurer hier und auswärts die Wirtshäuser und bringen nicht immer nur feines Lob mit herein, sondern es strömt auch die ledige Landjugend in Scharen nach Blaubeuren herein, und kann da ihrem wüsten Wesen viel freien Spielraum geben. Namentlich ist auch die häßliche Unsitte, daß Mädchen, auch hiesige, aber mehr noch Bauernmädchen, scharenweise, geleitet oder ungeleitet, ins Wirtshaus streben, und trinken und singen. Auch der Wirtshausbesuch der sonntagsschulpflichtigen Jugend ist, wenn man ehrlich sein will, keineswegs abgestellt“. "Die Sittlichkeit ist ebenfalls nicht hoch zu loben. Zwar, wie schon gesagt, ist viel von sittlichen Grundsätzen zu hören, aber andererseits auch viel von ehebrecherischen Verhältnissen, wovon indes manches Gerede sein mag. Aber auch die Unzucht sonst übt eine große und wachsende Macht. Es sind zwar meines Wissens die Lichtkärze hier nicht Sitte, aber es gibt manche Häuser, wo Leute beiderlei Geschlechts Unterschlupf für ihre Zusammenkünfte 743 Pfarrbericht Altensteig, 1865. 744 Pfarrbericht Blaubeuren, 1860. 174 finden, und eben die Sitte des Wirtshausgehens von beiderlei Geschlechtern wirkt natürlich auch in Bezug auf das 6. Gebot übel. Das Wirtshausgehen findet übrigens auch außer den Sonntagen viel statt. und das braune Bier spielt eine große Rolle. Die politische Hitze, durch die Blaubeuren früher bekannt war, ist ziemlich gewichen, wie es bei wiederkehrenden Gelegenheiten währt, soll damit nicht entschieden sein“.745 Der Pfarrer von Böblingen wiederum beanstandete, daß nach dem Bau der Gäubahn, die im Jahre 1879 Böblingen erreichte, die Schuhmacher des Ortes am Sonntag nach Stuttgart fuhren, um dort ihre Kunden zu besuchen, fertige Arbeiten abzuliefern, neue Aufträge entgegenzunehmen. Besonders an einem solchen Punkt wurde dann deutlich der Rückgang der kirchlichen Einflußmöglichkeiten registriert.746 Zwar war die Kirche 1883 sonntags nahezu voll, aber der Pfarrer rügte schon damals, daß der größere Teil der Gemeinde sonntags nur Ruhe und Vergnügen suche. Im Pfarrbericht von 1910 schrieb er, daß die Kirche, die im Jahre 1862 für die damaligen 3 762 Einwohner zu klein gewesen war, jetzt, 1910, mit ihren 1 200 Sitzplätzen für die nunmehr 5 422 Einwohner an Festtagen ausreichte und gerade noch voll war, da die Feier des Sonntags im Abnehmen begriffen sei. Zur Frage der Sonntagsheiligung hat auch Johann Christoph Blumhardt in Boll Stellung genommen, der aber bei seiner Beurteilung berücksichtigt haben wollte, was Landessitte war. Er schrieb: „Wenn von Sonntagsarbeiten, die irgendwo im Schwange gehen, die Rede ist und geurteilt werden soll, ob sie zu den verbotenen gehören oder nicht, so macht bei mir das viel aus, ob sie zu einer Landessitte gehören oder nicht, und ob sie unbeschadet des Sonntagsgefühls für die, die sie tun und für alle, die sie sehen, stattfinden können. Was einmal üblich ist und doch eigentlich dem Sonntag und der Sonntagsandacht nicht im Wege steht, lasse ich gerne ungerügt, auch wenn es mir nicht recht gefällt. Es kommt mir anmaßend vor, wider etwas zu Felde zu ziehen, was allgemein angenommen ist, ohne sonst sündlich zu sein“.747 Eine Störung der Sonntagsruhe ganz besonderer Art, die den Kirchenkonvent veranlaßt hatte, tätig zu werden, war in Enslingen im Dekanat Hall zu verzeichnen. Ausgangspunkt der Kritik war die Tatsache, daß die Jugend sonntagabends auf der Straße lärmte: „Es hat der Mißstand um sich gegriffen, daß die Sonntagsschul- und Kirchlehrpflichtige Jugend noch bei angebrochener Nacht besonders Sonntags auf der Straße lärmt. Man bedient sich der Eltern, die mittels Verkündigung von der Kanzel ermahnt werden, auf die ihrigen Kinder ein wachsames Auge zu haben“. 745 Pfarrbericht Blaubeuren, 1860. 746 Pfarrbericht Böblingen, 1884. 747 Johann Christoph Blumhardt, Blätter aus Bad Boll, 1875, Nr. 42. 175 Es wurde aber auch noch auf einen anderen Mißstand aufmerksam gemacht und auf dem Verordnungsweg versucht, ihm abzuhelfen: „Es ist schon mehrfach vorgekommen, daß die Kirchgänger auf dem Weg zur Kirche von den die Straße belagernden Gänsen belästigt wurden, und daß während des Kirchengeläutes Vieh getränkt wurde. Es erfolgt deshalb der Beschluß, es sei zu verkünden, daß am Sonntag kein Geflügel mehr ledig gelassen werde vor dem Morgengottesdienst, ebenso wenig während des Ganges zur Kirche oder während des Gottesdienstes Vieh zur Tränke geführt werde“. Außerdem waren sich Oberamt, Kirchenkonvent und Gemeinderat einig in ihrem Beschluß, das „ausschweifende Vergnügen der Tanzbelustigung an Kirchweih- Sonntagen“ einzudämmen. 748 In Eßlingen bemerkte der Pfarrer schon 1857, die Arbeiter der 1846 gegründeten Maschinenfabrik seien „sittlich und religiös heruntergekommen“. Nur das leitende Personal war "religiös und sittlich ernst“. Eßlingen hatte damals 9 580 Einwohner, und schon „über 3 000 Ortsfremde in den Fabriken“. Besonders der Eisenbahnbau hatte eine umfangreiche Sonntagsentheiligung zur Folge.749 Die Maschinenfabrik Eßlingen war ja nicht aus einem Handwerksbetrieb herausgewachsen. Ein Stamm von 502 hochqualifizierten Mitarbeitern, 34 Beamten und 468 Arbeitern, darunter 341 Württembergern, mit einem voll ausgebildeten Verwaltungsapparat, hatte hier 1847 den Betrieb aufgenommen. Der Grundstein war am 4. Mai 1846 gelegt worden. Der Sonntagsausflugsverkehr hielt nun, wie der Pfarrer beanstandete, vom Besuch der Gottesdienste ab, der Betrieb auf den Bahnanlagen, das Rangieren, Verladen und Wegfahren“ störte den Sonntagsfrieden. Christel Köhle-Hezinger schreibt in ihrem Buch über die Maschinenfabrik Eßlingen, „die Eisenbahnarbeiter, die meist aus armen katholischen Gegenden kamen, hätten nach ihrem Weggang nur Schulden, uneheliche Kinder und schlechte Sitten zurückgelassen“.750 Auch in Rohr, wo beim Eisenbahnbau vor allem Südtiroler, Italiener und Böhmen beschäftigt waren, war die extrem hohe Zahl von drei unehelichen Geburten eine Folge der Fremden, die andererseits wieder, weil ihnen die Bauern ihre Scheunen zum Übernachten zur Verfügung stellten, viel Geld in den ärmlichen Ort brachten und so für einen gewissen Aufschwung sorgten.751 Im Pfarrbericht von Freudenstadt wurde im Jahre 1850, also kurz nach den Revolutionsjahren von 1848/49, der sittlich-religiöse Zustand der Gemeinde noch als befriedigend bezeichnet. Gleichzeitig wurden aber auch hier zu diesem Zeitpunkt schon schwere Bedenken fomuliert: 748 Lieselotte Kratochvil: Der Sonntag in Stationen am Beispiel Enslingen, in: Württembergisch Franken, Jahrbuch 2001, S. 255. 749 Pfarrbericht Eßlingen, 1857. 750 Köhle-Hezinger: Die Maschinenfabrik in Eßlingen, S. 25. 751 Bührlen-Grabinger: Vaihingen, Rohr, Büsnau, S. 155. 176 „Unter allen Ständen fehlt es nicht an solchen, die das Wort Gottes verachten und gegen alle kirchlichen Einrichtungen feindlich gesinnt sind. Der Kirchenkonvent mußte wegen der überhandnehmenden Sonntagsentheiligung einen öffentlichen Aufruf erlassen. Die öffentlichen Gottesdienste wurden zwar an Sonn- und Festtagen immer noch fleißig besucht, und auch an dem Heiligen Abendmahl nahmen viele teil, allein dem bei weitem größten Teil der Gemeinde war die Religion nicht mehr Herzenssache. Lebendiger Glaube gehörte zu den Seltenheiten. Die Mehrzahl war, nach der Ansicht des Pfarrers, im krassesten Aberglauben befangen. Der sittliche Charakter der Gemeinde ließ vieles zu wünschen übrig. Neben arbeitsamen und genügsamen Menschen gaben sich manche dem Müßiggang und der Völlerei hin. Armut und Genußsucht, verbunden mit der Hoffnung, im Trüben fischen zu können, hatte vor einem Jahre manchen bewogen, sich gegen die Kirche zu stellen. Manche Personen lebten im Konkubinat miteinander, obgleich die Polizei von Zeit zu Zeit dagegen einschritt. Dem unzüchtigen Umgang der jungen Leute wurden von den Eltern selten Hindernisse in den Weg gelegt. Es war häufig der Fall, daß die Braut entweder bereits geboren hatte, oder in guter Hoffnung an den Altar kam. Lobenswert blieb indessen aber immer noch, daß die ledigen Burschen die Mädchen, die von ihnen geschwängert wurden, gewöhnlich auch heiraten. Die Hefe des Volkes verzärtelte die Kinder am meisten, und die, welche die Kindererziehung auf die gewissenloseste Weise vernachlässigten, waren allezeit zum Klagen bereit, wenn ihre Kinder auch nur die geringste Züchtigung in der Schule erhielten. Lobend wurde aber auch noch erwähnt, daß durch die Initiative eines von der Stadt unterstützten Privatvereins der Kinder- und Handwerksburschenbettel aufgehört habe, was nicht ohne segensreiche Wirkung für die Zukunft sein dürfte.752 In Geislingen war die Stellungsnahme im Bericht von 1843 nur kurz: „Über den sittlich-religiösen Zustand ist wenig zu sagen. Genußsucht und Verarmung, materielle Interessen und Indifferentismus sind in steigender Zunahme begriffen, ebenso Hoffahrt und Liederlichkeit unter der zahlreichen Klasse der Handwerks- gesellen und Lehrlingen". Offensichtlich wurde zumindest ein Teil der Verarmung darauf zurückgeführt, daß besonders die ärmeren Schichten zu aufwendig lebten. Die Sonntagsfeier lag auch hier im Argen und den Störungen ließ sich nur schlecht begegnen.753 1859 wurde darauf hingewiesen, daß in den Jahren vor 1850 die Sonntagsruhe durch den Eisenbahnbau immer wieder gestört wurde. "Jetzt wird die Stille erneut unterbrochen durch Fremde, die mit der Eisenbahn hierher kommen, auch durch den Fruchtmarkt am Samstag, welcher bis in den Sonntag hinein gehalten wird, wenngleich gegen die dadurch hervorgerufene Unordnung eingeschritten wird".754 752 Pfarrbericht Freudenstadt, 1850. 753 Pfarrbericht Geislingen, 1843. 754 Pfarrbericht Geislingen, 1859. 177 Der Pfarrer von Gmünd lobte 1864 noch den Kirchenbesuch, von dem sich "nur wenige fern halten". Da der Sonntag würdig gefeiert werde, erübrige sich ein polizeiliches Eingreifen. Aber der vor allem sonntägliche Wirtshausbesuch der Hausväter beeinträchtige doch das Familienleben, und das hierdurch gegebene schlechte Beispiel wirke sich nachteilig "auf die Erziehung und auf die Haltung der heranwachsenden Jugend aus, zumal das hiesige Fabrikleben, die ausgedehnte Gewohnheit des Besuches öffentlicher Vergnügungsorte, die Leichtigkeit des Gewinns, den Hang zur Ungebundenheit und Genußsucht fördern".755 Vor dem Ausbruch des Weltkrieges klagte er neben den konfessionellen Spannungen über die Mißstände auf allen möglichen Gebieten, beispielsweise die Störung der Sonntagsfeier durch Ausflüge und Festlichkeiten der Vereine und die Sportveranstaltungen. Er kam aber auch hier wieder auf den schon immer beanstandeten Wirtshausbesuch vor allem der Jugendlichen, besonders sonntags, zu sprechen, ferner auf die durch das Fabrikleben hervorgerufenen Vergnügungs- sucht, aber auch noch auf die „Zerklüftung der Stände“, den immer größer werdende Unterschied zwischen der Klasse der Besitzenden und der zahlreichen ärmeren Arbeiterschaft. Der Pfarrer registrierte „viel Untreue und Leichtfertigkeit in Kreisen der Reichen und Arbeiter“, und ganz besonders in diesen beiden Klassen war auch, nach seiner Ansicht, die Unkirchlichkeit am größten. Er stellte nach dem Krieg fest, daß sich die Folgen von leichtfertig geschlossenen Ehen bemerkbar machten, daß die Wohnungsnot auf das eheliche Leben einen schlechten Einfluß hatte, und daß unter der Jugend die Achtung vor dem Alter und der Gehorsam gegen die Eltern zu wünschen übrig lasse. „Unter der ledigen Jugend sieht es vielfach übel aus. Die Ehrfurcht gegen die Alten, der Gehorsam gegen die Eltern werden ja von sehr vielen Seiten untergraben. Die häufigen Tanzstunden ohne Aufsicht, das gemeinsame Baden der Geschlechter, die schamlose Mode, das Herumlaufen in der Nacht entfesseln die natürlichen Triebe, so daß Sitten- und Zuchtlosigkeit überhand nehmen“. 756 Nach dem Weltkrieg war auch zu lesen: „Die Zerklüftung unter den Ständen schreitet fort. Der Hochmut der Oberen, die Profitgier des Mittelstandes, die Hetze der Kommunisten und der USP-Männer wirken zersetzend, auch ist die Gemeinde, um sich der katholischen Herrschsucht und Propaganda zu erwehren, auf sich selbst gewiesen. Eine starke Sehnsucht nach sozialem Frieden richtet eine Schranke gegen die Verhetzung auf. Das gesellige Leben in den Wirtshäusern ist aber gegenüber der Vorkriegszeit gedämpft.757 Wenigstens konnte der Pfarrer von Gmünd in dieser Zeit aber auch beobachten, daß der Gottesdienstbesuch in seiner Gemeinde in den letzten Jahren wieder zugenommen hatte, daß die Hauptgottesdienste an Festtagen sogar überfüllt waren und die Kirche für die Gläubigen schon zu klein war: „Die evangelische Gemeinde steht treu zu ihrem Geistlichen“. 758 755 Pfarrbericht Gmünd, 1864. 756 Pfarrbericht Gmünd, 1908. 757 Pfarrbericht Gmünd, 1918. 758 Pfarrbericht Gmünd, 1922. 178 Im Pfarrbericht von Großheppach berichtete der Pfarrer Karl August Spring759 im Jahre 1857: "Die Feier des Sonntags ist weder durch besondere äußere Stille, noch durch besonders auffallende Störung der äußerlichen Ruhe ausgezeichnet. Jedoch erlauben sich gewisse junge Leute der Gemeinde, und zwar stets dieselben, durch wüsten Gesang und häufiges Schreien fast regelmäßig die Abende der Sonntage mutwillig zu entheiligen, ungeachtet der hingegen verfaßten Kirchenkonvents- beschlüsse, an deren energischer Durchführung sowohl bei der Ortspolizei, als auch bei den Gliedern des Gemeinderats niemals ein Interesse zu finden gewesen ist, also daß, wenn von Seiten des Geistlichen im Kirchenkonvent schon die Sache zur Sprache gebracht wurde, man entweder nichts gehört haben will, oder, wenn man´s gehört hat, so müssen es durchziehende Fremde gewesen sein, da diese doch nur einmal gehört wurden, während die Schreier Stunden lang von Straße zu Straße gehört werden. Auch ist gerade diejenige Schildwirtschaft (Ochsen), deren Eigentümer recht eigentlich der Verführer der sein Wirtshaus besuchenden Jugend genannt werden muß, unter zu laxer polizeilicher Aufsicht, so daß in diesem Sündenplatz manche Sonntagsentheiligung ihre Quelle hat und nicht leicht ein Sonntag vergeht, an dem nicht aus diesem Wirtshaus weithin ein wüster, lärmender Gesang erschallt, trotz der hiegegen bestehenden kirchenkonventlichen Beschlüsse".760 Hier wird deutlich die Ohnmacht des Pfarrers im Kirchenkonvent gegenüber den weltlichen Behörden angesprochen, und die Unmöglichkeit, gegen Mißstände und gegen die Störung des sonntäglichen Friedens einzuschreiten, wenn diese nicht zu einer Zusammenarbeit bereit waren. Selbst in Hall war der 1882 von Langenburg hierhergekommene Dekan Oskar Achilles Gustav Schwarzkopf761 mit der Sonntagsheiligung nicht besonders zufrieden: Er beanstandete schon 1886, daß die Landbevölkerung aus den umliegenden Gemeinden am Sonntag in die Stadt strömte, „nicht bloß um, was immerhin geschieht, den Gottesdienst zu besuchen, hauptsächlich aber, um in die Wirtshäuser und Kaufläden einzukehren“. Als Krebsschaden dieser Stadt sah er das zunehmende Proletariat, „großgezogen im Vertrauen auf das reiche Spital und die Siedersrenten“.762 „Die Haller Kirchengemeinde besteht aus sehr verschiedenen Bevölkerungs- schichten. Daher ist es unmöglich, ein allgemeines Urteil über den religiös- sittlichen Zustrand derselben abzugeben, was auch hinsichtlich einer allgemeinen Charakteristik der Sonntagsfeier der Fall ist. Die Teilnahme am öffentlichen Gottesdienst ist von Seiten des weiblichen Geschlechts nicht schlecht, dagegen von Seiten der Männer unziemlich schwach, bei Nachmittagsgottesdiensten finden sich so gut wie gar keine. Monatliche Bußtage gibt es hier nicht". 759 Karl August Spring (1.5.1807 - 26.7.1857), Pfarrer in Großheppach 1849 - 1857, Sigel Nr. 407,46. 760 Pfarrbericht Großheppach, 1857. 761 Oskar Achilles Gustav Schwarzkopf (18.11.1838 - 30.5. 1903), Dekan in Hall 1882 - 1891, Sigel Nr. 19,36. 762 Pfarrbericht Hall, 1886. 179 Bußtage gab es in Württemberg in der ersten Zeit nach der Reformation noch nicht. Die Kirchenordnung von 1536 erwähnt sie nicht, erst die Ordnung von 1553 nennt eine "Bußvermahnung". Die liturgische Gestaltung sollte den Bußcharakter zum Ausdruck bringen.763 In Notzeiten wurde darauf gedrungen, die Bußpredigten an den Bettagen besonders streng zu halten. Mit einem Reskript vom 28. August 1663 wurden die monatlichen Bußtage Pflicht. Anlaß war die Türkengefahr. 1850 wurde vom Synodus die Einführung eines jährlichen Bußtages beantragt, am 28. Januar 1851 vom König genehmigt und durch Synodalerlaß vom 31. Januar 1851 in die Wege geleitet. Er sollte grundsätzlich am ersten Passionssonntag Invokavit gefeiert werden. Am letzten Sonntag vor der Passionszeit, Estomihi, sollten die Gemeinden zur ernsten Vorbereitung für diesen Tag ermahnt werden, "insbesondere zur Vermeidung aller strörenden und lärmenden Vergnügungen", auch sollten an den vorhergehenden und direkt nachfolgenden Tagen keine Dispense "zum Behuf von Tanzen" erteilt werden.764 In Hall waren auch die Feiertagsgottesdienste sehr schwach besucht, meist nur von Frauen. Es gab breite Kreise besonders unter den Handwerkern und Taglöhnern "sowohl echt hällischer Herkunft, als zugezogener Leute, die den Sonntag- vormittag zu handwerklicher Arbeit, den Sonntagnachmittag zu allerlei Vergnügungen gebrauchen bzw. mißbrauchen". "Auch unter den sogenannten besseren Ständen, zumal der echt halleschen Abkunft, hat der Sonntag bzw. dessen Feier unter der Genußsucht stark zu leiden. Völliges Fernbleiben vom Gottesdienst mag sich der Haller schon in seiner Eigenschaft als Franke nicht nachsagen lassen, aber vom Gottesdienst wegbleiben, weil irgend ein Vergnügen winkt, das nimmt man nicht schwer, und leider winkt jeden Sonntag ein solches Vergnügen. Ernsthafte Naturen sind auch heute noch unter den schon von Johannes Brenz als „leves Hallenses“ bezeichneten Hallern eine Seltenheit. Beamte aller Kategorien halten aber an einer würdigen Sonntagsfeier und regelmäßigem Besuch des Gottesdienstes fest“.765 Wenn Mitte des 19. Jahrhunderts der Kirchenbesuch und die Sonntagsheiligung meist noch gelobt wurde, so kann man zu diesem Zeitpunkt ganz allgemein annehmen, daß noch der große Teil der Gemeinde am Gottesdienst teilgenommen und den Sonntag in würdiger Weise gefeiert hat. Wenn zum Jahrhundertende oder gar nach dem Weltkrieg die Pfarrer von einem guten Kirchenbesuch sprachen, so war angesichts der bis dahin stark gestiegenen Einwohnerzahlen selbst eine volle Kirche kein Zeugnis mehr für die Kirchlichkeit einer Gemeinde. Angesichts des sehr starken Bevölkerungswachstums hätten zu diesem Zeitpunkt die Kirchen überall zu klein sein müssen. 763 Kolb: Geschichte des Gottesdienstes, S. 192. 764 Süskind: Repertorium der evangelischen Kirchengesetze, Bd. II, S. 393. Synodalerlaß vom 31.1.1853. Kolb: Geschichte des Gottesdienstes, S. 208. 765 Pfarrbericht Hall, 1898. 180 In Heidenheim beanstandete der Pfarrer Heinrich Christlieb766 schon zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt, nämlich bereits in seinem Bericht von 1839, die Sonntagsentheiligung, die an diesem Ort schlimmer sei als in allen vergleichbaren. „Ein weiterer höchst beklagenswerter Mißstand ist die Entheiligung des Sonntags, nicht sowohl durch die Reparationen in den Fabriken, die ohne mehrere hundert Arbeiter auf den Montag brotlos zu machen nicht eingestellt werden können, als vielmehr durch das immer mehr zunehmende Frachtfuhrwesen. Der große Frachtmarkt nämlich, der jeden Samstag in der 6 Stunden von hier entfernten bairischen Stadt Lauingen gehalten wird, wird von 12 bis 15 Frachthändlern, von Donzdorf, Göppingen und Gmünd, besucht, die am Sonntag- morgen mit ihrer Fracht hierher kommen und dieselbe auf Wägen von Böhmenkirch im Oberamt Geislingen hier umladen, und zwar darf während des Gottesdienstes kein Sach angerührt werden. Aber vor und nach demselben verursacht das Auf- und Abladen von drei- bis vierhundert Fruchtsäcken, das Fahren, das An- und Ausspannen in der Hauptstraße in der oberen Vorstadt ein Lärmen und ein Geschrei wie am stärksten Wochenmarkt. Diese herkömmliche Entheiligung des Sonntags mußte auf die Einheimischen einen sehr schlimmen Eindruck machen. Als Referent hierher kam, wurden Sonntagmorgens vor seinem Fenster Kälber geschlachtet und beladene Mistwagen vorbeigeführt. Die Frachtfuhrleute luden mit kirchenkonventlicher Erlaubnis Sonntagmorgens auf öffentlicher Straße ihre Wägen ab, es wurde ohne alle Not geöhmdet und geerntet und Futter und Garben hereingeführt. Die meisten Handwerker arbeiteten, selbst die lauten, und wo auf dem Lande eine Obrigkeit auf Ordnung und Sonntag drang, wurde in Heidenheim entgegen- gehalten. Diesen schweren Übelstand hat Referent bisher bloß zum Teil abstellen können. So lange dem Fremden hier erlaubt ist, den Sonntag zum Werktag zu machen, kann es nicht gelingen, hier eine durchgreifende Reform durchzusetzen. Deshalb ist Referent fest entschlossen, dieses Hauptgebrechen, das die Kirchenkonvente bisher vergeblich durch halbe Maßnahmen unschädlich machen wollten, gänzlich aufzuheben. Er hat sich darüber bereits mit dem Stadtschult- heißen und dem Königlichen Oberamt verständigt. Mit der Ausführung hat es nur darum bisher gezögert, weil es Persönlichkeiten, Zustände und Verhältnisse so genauer kennen lernen und selbst mehr bekannt werden wollte, und ehe es einen 30-jährigen in vielfache Gewohnheiten und Interessen hineingewurzelten Mißstand, der auch in merkantilistischer Hinsicht Beachtung verdient, ans Leben geht, zuvor bei seinen Vorgesetzten mündlich Rat und den etwa nötigen Rückhalt suchen wollte. Im allgemeinen hat Referent die Gemeinde Heidenheim aber für alles Gute empfänglich und bildsam gefunden, so daß er mutig in die Zukunft sieht".767 766 Pfarrer M. Heinrich Christlieb (13.1.1797 Stuttgart - 3.10.1873 Ludwigsburg), Dekan in Heidenheim 1838 - 1844, Dekan in Ludwigsburg 1844 - 1876, Sigel Nr. 120,41. 767 Pfarrbericht Heidenheim, 1839. 181 In seiner Pfarrbeschreibung von 1911 stellte der Geistliche fest, daß anstelle der früher immer wieder reklamierten Sonntagsarbeit als Grund der Sonntags- entheiligung nunmehr "die sonntägliche Vergnügungslust" getreten war. Die Zeiten hatten sich grundlegend gewandelt. Fast jeden Sonntag hatte im Sommer ein Verein ein Fest, das dann in den Blättern breit geschildert wurde. Die Ausflügler kamen von allen Seiten, die Wirtshäuser und auch die Züge waren abends übervoll. Der sonntägliche Ausflugsverkehr, die vollen Eisenbahnzüge, die Feiern der Vereine, die vollen Wirtshäuser, waren natürlich Störungen einer Sonntagsruhe, wie sie der Pfarrer sich wünschte, und die ganz besonders in der zweiten Jahrhunderthälfte Anstoß erregten. "Aber die Mehrheit geht ruhig heim, und das Luftbedürfnis kann man begreifen“. 768 Der Pfarrer bedauerte weiter, daß nur noch wenige ältere Frauen, besonders im Winter, alle zwei bis drei Gottesdienste besuchten, sie „sterben aber aus“. Der Stamm der Gemeinde war zwar noch in den Vormittagsgottesdiensten anzutreffen, aber dies waren vor allem die Mitglieder der Gemeinschaften und der christlichen Vereine. „Die Beamten halten fast ganz auf ihre Frauen“. Die Läden hatten bis 4 Uhr geöffnet, und auch die Werkstätten waren nicht geschlossen. Der Dekan bestätigte 1923, daß der Pfarrer bei seiner Gemeinde in Heidenheim sehr beliebt war: „Schönhut hat den Kirchenbesuch sehr gehoben. Es gibt eine Reihe von Ingenieuren, auch Eisenbahn- und Postbeamte, die sich regelmäßig zum Gottesdienst einfinden. Am Tage wie dem Visitationstag gewährt die ganz gefüllte große Kirche einen erhebenden Anblick.“.769 Es darf aber auch nicht übersehen werden, daß die evangelische Gemeinde in Heidenheim seit 1852 von 3 184 auf nunmehr 11 103 Mitglieder angewachsen war. Selbstverständlich lobte der Pfarrer selbst den Eifer seiner Gemeinde ebenfalls: „Der Besuch der öffentlichen Gottesdienste ist im ganzen ein guter, teilweise sogar sehr guter. Besonders erfreulich ist die zahlreiche Teilnahme der Männer, am besten am Christfest, Karfreitag und am Sylvesterabend, überhaupt an den großen Festtagen. Auch am Landesbußtag ist die Kirche geradezu überfüllt, so daß viele gar keinen Platz mehr finden. An den gewöhnlichen Sonntagen spielen der Prediger, das Wetter, besondere Ereignisse und Veranstaltungen, auch die Älblersitte, nur jeden zweiten oder dritten Sonntag den Gottesdienst zu besuchen, bestimmend mit herein. Auch der Besuch der Nachmittagsgottesdienste um 5 Uhr im Winter hat sich, wie es scheint, gegen früher gehoben. 768 Pfarrbericht Heidenheim, 1911, Pfarrer Hermann Maximilian Eytel (20.5.1858 - 5.9.1939) Dekan in Heidenheim 1902 - 1917, Dekan in Heilbronn 1917 - 1928, Sigel Nr. 130,29. 769 Pfarrbericht Heidenheim, 1923, Pfarrer Ottmar Michael Karl Rudolf Ludwig Eduard Edmund Schönhuth, (25.1.1872 - 13.3.1962), Dekan in Heidenheim 1917 - 1948. Sigel Nr. 326,52. 182 Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die Frühpredigten im Sommer um 8 Uhr in der Michaelskirche. Die frühe Stunde, die nachher noch einen Spaziergang oder Ausflug ermöglicht, der gemütliche, sehr gut hörsame, den alten Heidenheimern durch allerlei Erinnerungen liebe Kirchenraum lassen diesen guten Besuch verstehen. Die Bibelstunden genießen nach Aussagen von Gemeindegliedern gegenüber früher größere Wertschätzung.“.770 Aber auch in Heidenheim mußte der Pfarrer hinsichtlich der Sonntagsfeier einschränkend bemerken: „Das Bedürfnis nach Erholung ist bei den meisten ausschlaggebend. Arbeit am Sonntag wird nicht schwer genommen. Man hätte erwarten sollen, daß die Schaffung des freien Sonntagnachmittags in der Industrie einer Entweihung des Sonntags durch Arbeit wehren würde, auch vielen Möglichkeit und Anlaß gäbe, die Gottesdienste fleißiger zu besuchen. Aber man hat nicht den Eindruck, als ob sich in Arbeiterkreisen viel von den alten Sonntagsgewohnheiten geändert hätte". Hierzu ist zu sagen, daß eine generelle Freistellung des Sonntagnachmittags zumindest in der Anfangszeit der Industrialisierung kein Thema war. Die extensive Ausnutzung der Arbeitskräfte, die konjunkturellen Schwankungen, die Bedingungen der Konkurrenz und die Effizienz und Rentabilitätsansprüche ließen eine einheitliche Arbeitszeitregelung nicht zu. Die Disziplinierungen der Arbeiter umfaßten auch deren Arbeitszeit, während auf der anderen Seite die Arbeiter versuchten, sich Freiräume zu schaffen und zu sichern. Kocka weist darauf hin, daß die außerordentliche Länge der Arbeitszeit und ihre Unterbrechung durch eigenmächtige Pausen, hohe Fluktuation und Absentismus sich gegenseitig bedingten.771 Die Arbeitszeitregelungen waren deshalb von Firma zu Firma verschieden. Der Heidenheimer Pfarrer fuhr in seinem Bericht fort: Auch in gewerblichen Kreisen ist die Hemmung nicht sehr groß, wenn es Sonntagsarbeit gibt. Man kann sogar in der Nähe der alten Kirche hämmern hören. Fabriken und Geschäfte haben sonntags nun ganz geschlossen mit Ausnahme des Bedürfnisgewerbes, das bis 1 bzw. 3 Uhr geöffnet haben darf". Der Dekan bestätigte, daß der Bezirk Heidenheim, was die Sonntagsarbeit anging, immer noch „sehr übel zu bezeugnissen“ war. Auch hier spielten außer dem Vereinsleben ganz besonders die Sportveranstaltungen am Sonntag eine große Rolle. „Sogar an Festtagen, wie dem Karfreitag oder dem Christfest, wurden Wettspiele gehalten“, was Anlaß zu einer Beschwerde ans Ministerium des Innern wurde. „Seitdem ist der Sportrummel aber ziemlich zerronnen. Selbst das Interesse am Fußballspiel ist erlahmt. Daß die verschiedenen Turnvereine am Sonntagmorgen auch während der Kirchzeiten ihre Turnstunden halten, ist nicht zu ändern. Schon das Verbot der Wettspiele am Sonntag ist auf viel Unverständnis und gehässige Ablehnung gestoßen“.772 770 Pfarrbericht Heidenheim, 1923. 771 Kocka: Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen, S. 484. 772 Pfarrbericht Heidenheim, 1923. 183 In den Pfarrberichten wurde die "Festwut" in Heidenheim sehr lebhaft beanstandet. Daneben hatte hier aber auch das Wandern eine große Bedeutung. „Die Monate Mai und Juni zumeist führen ungezählte Scharen in die weitere Umgebung hinaus“. Es gab nun aber auch in dieser Gemeinde ganz neue Ereignisse, die den früher gewohnten und wieder herbeigewünschten Verlauf der Sonntagsfeier erschwerten und in Frage stellten. „Die Schwäbische Volksbühne ist ein neuer, die Sonntage zersetzender Faktor". Einem ausdrücklichen Wunsch der Bevölkerung entsprechend kam die Volksbühne hierher, besonders oft am Sonntag, vielfach auch am Abend vorher. Eine Samstagsvorstellung oder ein Sonntagskonzert war am Kirchenbesuch zu spüren. In Herrenberg wurde 1846 darauf hingewiesen: „An den Sonnen- und Feiertagen ist ein großer Übelstand das Hereinströmen einer Masse von Landleuten, besonders Ledigen, aus den ¼ oder ½ Stunde entfernten Dörfern der Umgegend. Sie füllen die Wirtshäuser mehr als die Herrenberger selbst und ziehen lärmend nach Hause. Erfreulich ist, daß der Stadtschultheiß auf die Bitte des Stiftungsrates und des Bürgerausschusses an Feiertagen keine Tanzerlaubnis mehr erteilt, wodurch vielem Unfug, besonders der Auswärtigen, vorgebeugt wird. Vom Ideal einer christlichen Gemeinde aus bleibt freilich noch sehr viel zu wünschen übrig“.773 10 Jahre später, 1856, urteilte der Pfarrer, die Gemeinde bestehe in ihrer Mehrzahl aus rechtlich gesinnten, geordneten Familien von mäßigem Wohlstand. „Sie ist im Ganzen nicht unkirchlich, doch gibt es viele, vor allem jüngere Gemeindeglieder, die gegen die kirchlichen Anstalten gleichgültig sind“.774 Ebenfalls sehr aussagekräftig ist der Pfarrbericht von Isny, allerdings auch aus dem Jahre 1923, denn hier macht der Pfarrer775 zahlenmäßige Angaben über den Kirchenbesuch, sogar noch ausführlicher, als in Balingen: Die Zahl der Gottesdienstbesucher: an Festtagen 400.- 500 an Sonntagen 300 - 400 Sommers, 250 - 300 Winters Sonntagnachmittag 30 - 40 Sommers, 60 - 120 Winters an Feiertagen 60 - 100 Bibelstunden 50 - 60 Sommers 50 - 70 Winters an Feiertagen 60 - 100 Bibelstunden 50 - 60 Sommers 50 - 70 Winters. 773 Pfarrbericht Herrenberg, 1846. 774 Pfarrbericht Herrenberg, 1856. 775 Christian Fürchtegott Straub (27.10.1878 - 28.8.1950), in Isny 1908 - 1925, Sigel Nr. 565,31. 184 Von den Männern besser besucht als vor dem Krieg.776 Der Pfarrer von Kuchen bedauerte 1857, daß die Sonntagsfeier von vielen zu leicht genommen wurde, „indem die Frauen an den Sonntagvormittagen backen, waschen und scheuern, manche Weber weben, und auch von anderen Handwerkern gearbeitet wird. Besonders wurde an den Sonntagen Obst geerntet, und zur Zeit der Heu- und Fruchternte ohne dringende Not gearbeitet und eingeheimst. "Zur Steuerung solchen Unfugs findet der Pfarrer keine Unterstützung“. „Neben einigen habituellen Branntweintrinkern und Müßiggängern, deren zum Glück immer weniger werden, indem die Älteren allmählich aussterben, einige Jüngere aber nach Amerika geschafft wurden, sind die Bewohner großenteils arbeitsam, betriebsam und sparsam. Obwohl Leonberg den Ruf einer gut kirchlichen Gemeinde hatte, mußte der Pfarrer in seinem Bericht von 1913 auch dort einen allgemeinen Rückgang des Kirchenbesuches feststellen. Er führte das auf das Anwachsen des sozial- demokratischen Einflusses zurück, auch auf die Auswirkungen der Vereine, aber auch auf „die Gewohnheit, den Sonntag für Ausflüge zu nutzen. Auch haben Sonntagsarbeit und Sonntagsvergnügen zugenommen". Unter "Sonntagsarbeit" konnte der Pfarrer hier nur die privaten Arbeiten meinen, war doch seit 1871 die Fabrikarbeit am Sonntag verboten. Aber die strenge antikirchliche Haltung der Sozialdemokratie wurde in Leonberg immer wieder erwähnt.777 Als weiteres Beispiel soll die Sonntagsfeier in der Garnisonsstadt Ludwigsburg herangezogen werden. Der Stadtpfarrer urteilte 1887 über seine Gemeinde: „Wenn man auch tolerant sein und zugeben will, daß die Ausflüge vielen das ersetzen, was anderen die Sommerfrische ist, so kann man doch nicht leugnen, daß auf diesen Ausflügen eine ganz unverhältnismäßige Summe von physischer und ökonomischer Kraft vergeudet wird. Auch begegnet man am Sonntagabend sehr vielen Betrunkenen aus dem Militär, wie aus dem Civil, und nicht wenige hört man in später Nacht erst heimgehen. Und so ist der Sonntag für viele, viele, kein Ruhetag für den Leib, und noch weniger ein Festtag für die Seele“.778 776 Pfarrbericht Isny, 1922. 777 Pfarrbericht Leonberg, 1913. 778 Pfarrbericht Ludwigsburg, 1887. 185 In Rottenburg waren 1856 bei einer Einwohnerzahl von 6 500 Personen natürlich „die evangelischen 68 Männer und 88 Weiber“ gegenüber den Katholiken eine verschwindend geringe Zahl. Trotzdem wurde dort im Mai 1854 mit dem Bau einer eigenen Kirche „im gotischen Stil“ begonnen, allerdings in Ehingen, in der Kirchgasse, am rechten Neckarufer. Ein Pfarrhaus war schon 1844 für 5 300 fl erworben worden, das „4 heizbare Zimmer, einen guten Keller, einen Holzschopf, einen Pumpbrunnen im Garten, aber keine Speisekammer, keine Waschküche und keine Stallungen“ hatte.779 Es ist bemerkenswert, daß auch in Rottenburg die Schuldzuweisung wegen des schlechten Kirchenbesuches, wie auch an anderen Orten, an die Beamten, aber hier außerdem auch an die "minderbemittelten Klassen" erfolgte. „Am lässigsten und saumseligsten im Kirchenbesuch sind einige Herren aus dem höheren und niederen Beamtenstand. Einige Beamte sind der Kirche schon ganz entfremdet“ schrieb der Pfarrer Rösler.780 Zu der beanstandeten Gruppe „gehören aber auch Wirte, einzelne geistlich verkommene Männer und Frauen aus gemischten Ehen, die der bequemeren Zeit halber es vorziehen, je und je mit ihren katholischen Angehörigen die katholische Kirche zu besuchen, und verschiedene leichtsinnige Arbeiter und Handwerksgesellen. Neuerdings sticht namentlich das Eisenbahn- und Baupersonal durch Nichterscheinen in der Kirche hervor“. Es gab aber doch auch hier noch manche eifrigen und aufmerksame Kirchgänger, und "mit manchen Familien und Gemeindegliedern läßt sich ein reger und seelsorgerlicher Verkehr anknüpfen".781 Bei einigen hiesigen evangelischen Armen geht aber Armut und bettelhaftes Benehmen Hand in Hand. Andere, teilweise verschämte Arme, tragen ihre Armut in Geduld und edler Fassung“.782 Zehn Jahre später, 1872, war, nach der Feststellung des Pfarrers. die Teilnahme am Gottesdienst so reichlich, daß die Räume der neuerbauten Kirche kaum ausreichten. Zu diesem Zeitpunkt war auch das Verhalten der Gemeinde zum Geistlichen noch ausgesprochen freundlich, das Familienleben und die Kinderzucht in Ordnung, das Verhalten der ledigen Jugend und auch des Gesindes ohne Klagen.783 Auch der Dekan lobte in seinen Anmerkungen zum Pfarrbericht von Rottenburg: „Die Evangelischen haben am Bischofssitz das Bewußtsein ihrer festen Zusammengehörigkeit, die gebildeten Familien repräsentieren die Gemeinde in würdiger Weise, besuchen die Gottesdienste fleißig und wissen Kirche und Geistliche zu schätzen“.784 779 Pfarrbericht Rottenburg, 1857. 780 Pfarrer Gottfried Friedrich Rösler (4.12.1820 - 11.10.1873), Stpfr. in Rottenburg 1862 - 88, Sigel Nr. 836,20. 781 Pfarrbericht Rottenburg, 1862, 782 Pfarrbericht Rottenburg, 1862. 783 Pfarrbericht Rottenburg, 1872. 784 Pfarrbericht Rottenburg, 1872. 186 1880, hat der Stadtpfarrverweser Eberhard Falch785 nicht versäumt, auch wieder die positive Seite der Gemeinde lobend hervorzuheben: "Beamte betätigen sich im kirchlichen Sinn. Die Beteiligung am Gottesdienst ist gewöhnlich gut". Die Kinderlehre wurde seltener, die Bibelstunde häufiger besucht. "Es finden sich von allen diesen Ständen, auch von den Angestellten, gottlob manche eifrige und aufmerksame Kirchgänger, einzelne Herren und verschiedene Dienstboten und Gesellen zeichnen sich sogar sehr dadurch aus. 1908 wurde erwähnt: „Im allgemeinen ruht am Sonntag die Arbeit, Sommers wird in der Landwirtschaft viel gearbeitet, doch ist daran die evangelische Gemeinde weniger beteiligt, abgesehen von der Hopfenernte, während derer es auch für viele Glieder derselben keinen Sonntag gibt“. „Der Vergnügungen und Festlichkeiten sind hier viele, so daß auch der Kirchenbesuch darunter leidet". Vor allem das katholische Fastnachtstreiben wurde als störend empfunden und als Beweis dafür gesehen, daß die Bedürfnisse der Katholiken auf einem niedrigeren Niveau lagen. Den evangelischen Christen war ja seit der Reformation auch von der weltlichen Obrigkeit die Beteiligung an einem solchen "Narrentum", das ein sündhaftes Verhalten war, zu Recht verboten worden. "Gegen die Geistlichen ist die Gemeinde freundlich und entgegen- kommend“.786 Ein Zeichen für die Christlichkeit der Gemeinde war in den späteren Jahren neben dem Kirchen- und Abendmahlsbesuch und der Existenz von christlichen Vereinen auch das Lesen christlicher Blätter, die auch in den Pfarrberichten erwähnt und aufgezählt wurden. So führte der Pfarrer von Rottenburg 1908 auf: Das evangelische Sonntagsblatt in 125 Exemplare, der Christenbote 10 Exemplare, Diakonissenblätter 40 Exemplare, Herrenhuter Missionsblatt 3 Exemplare, Basler Kollektenblätter 20 Exemplare. Selbstverständlich gab es auch hier einen Gustav-Adolf-Verein, der sich am ersten Dienstag im Monat im Pfarrhaus traf, wo der Pfarrer vorlas. "Zum Schluß wird für den Verein geopfert, und die Frauen arbeiten für denselben". Der Pfarrer von Schorndorf stellte fest, daß sich in seiner Gemeinde immer noch ein nicht unbefriedigender kirchlicher Sinn erhalten habe. Die Hauptgottesdienste waren, besonders an den Festtagen, sehr zahlreich, an den gewöhnlichen Sonntagen gut besucht. Letzteres galt auch vom sonntäglichen Nachmittags- gottesdienst und den Bibelstunden. "Nicht minder vereinigen Feiertags- und Bußtagspredigten eine ordentliche Anzahl von Hörern, und auch den Wochenbetstunden fehlt ihr Häuflein nicht. Auch die Sonntagskinderlehren sind von den Erwachsenen nicht verlassen". 785 Pfarrbericht Rottenburg, 1880: Pfarrer Karl Eberhard Falch (24.9.1851 - 29.10.1919), in Rottenburg 1879 - 1881, Sigel Nr. 59,3. 786 Pfarrbericht Rottenburg, 1908. 187 "Der Sonntag wird von der Mehrzahl in Stille und Ruhe begangen. Die Störungen kommen aus den Wirtshäusern durch Gesang und Lärm einer ausgelassenen hiesigen und auswärtigen ledigen Jugend".787 Später war es auch hier die große Zahl der Ausflügler, „die besonders im Sommer morgens und abends dem Stadtbild ein verändertes, im kirchlichen Sinne nicht eben sonntägliches Aussehen geben. Es ist zu fürchten, daß die Beispiele, welche die hiesige Jugend damit vor Augen hat, nicht in der Richtung einer christlich- kirchlichen Begehung des Sonntags wirken". "Auch hier ist die Jugend von dem verständlichen, aber mehr und mehr zur bedenklichen Sucht sich steigernden Drang, an den Sonntagen auswärts zu sein, teilweise ergriffen. Vereinsfeste u.ä. geben namentlich erwünschte Gelegenheit dazu. Die bürgerlichen Sport- und Turnvereine haben während des Gottesdienstes am Vormittag im allgemeinen keine Veranstaltungen oder offizielle Übungen. Anders der sozialdemokratische Turnverein, doch findet auch durch ihn keine Störung des Gottesdienstes statt".788 Der Pfarrbericht von Simmersfeld aus dem Jahre 1868 zeigte sich mit dem Kirchenbesuch der Gemeinde weitgehend zufrieden. Auch nach der Jahrhundert- wende wurde der Besuch hier noch hoch gelobt. Es wurde erwähnt, der Kirchenbesuch sei „auch bei schlechtem Wetter beschämend gut. Nur ein einziges Mal in 10 Jahren war an einem Festtag, dem Ernte- und Herbst-Dankesfest, die Kirche schwach besetzt. Da machte ein fürchterlicher Schneesturm das Durchkommen auch den Männern fast nicht möglich. Es hatten sich aber selbst da etliche Filialisten durchgekämpft“.789 Eine Besonderheit war, daß in Simmersfeld anscheinend noch in der Zeit nach dem Weltkrieg an der alten Feiertagsregelung festgehalten wurde. Der Pfarrbericht erwähnt, daß außer dem Ostermontag und Pfingstmontag auch Stephanus, Philippus und Jakobus, Peter und Paul, Simon und Juda, also die alten Apostel- tage, noch gefeiert und die Gottesdienste auch an diesen Tagen befriedigend besucht wurden. „Zur Sonntagsfeier gehört bei den meisten Gemeindegliedern außer dem Kirchenbesuch das Lesen einer Predigt von Immanuel Gottlob Brastberger (1716- 1764), Ludwig Hofacker (1798-1828) oder Hauber, auch Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782) oder Philipp Matthäus Hahn (1739-1790), vorwiegend in der Sekte“. Die Pietisten wurden hier also eindeutig der "Sekte" zugerechnet. „Die Hausandacht wird wohl überall gehalten. Zur Aussteuer jüngerer Eheleute gehört regelmäßig auch ein Predigtbuch und Gebetbuch. Hillers Liedkästlein oder Starks Gebetbuch sind fast in jedem Haus zu finden, daneben auch Habermann, Schmolck, Goßner, Kapff, Hauber, Hofacker, Morgen- und Abendsegen. Das Tischgebet ist fast in allen Häusern feste Sitte, vielfach wird auch nach dem Essen ein Kapitel aus der Bibel gelesen. 787 Pfarrbericht Schorndorf, 1869. 788 Pfarrbericht Schorndorf, 1923. 789 Pfarrbericht Simmersfeld, 1918. 188 Leider genügt in den meisten Häusern das opus operatum, während des Morgensegens nach dem Morgenessen zöpft oder wäscht sich die Tochter oder gehen die Familienglieder und Hausgenossen schon wieder an die Arbeit. Nur der Hausvater „betet“, d.h. liest den Morgensegen mutterseelenallein dort in der Stube. So hat in vielen Häusern die Hausandacht etwas recht äußerliches, mechanisches. Wirklich beten können nicht viele, und von den Kindern lernen es die meisten daheim nicht“.790 Aber auch hier gab es wieder eine Kehrseite: „Sonntagsentheiligung durch Vergnügungen, Wirtshausbesuch, der für viele unzertrennlich zum Sonntag gehört". Es gab Ausflügler, Wanderer und Kurgäste, die an der Kirche vorübergingen und die den Sonntag nur noch als Tag des Vergnügens nutzten. "Auch der Sport hat sich schon bis auf unsere Höhe heraufgefunden, ist aber bis jetzt noch nicht gefährlich für die Sonntagsfeier geworden. Die Trunksucht der Männer trübt auch jetzt immer noch manche Ehe“. Bei der Zählung 1918 waren im Bezirk Simmersfeld 1 275 Evangelische, 15 Katholiken und 1 Israelit festgestellt worden. Die Katholiken setzten sich zusammen aus 8 in Simmersfeld, 6 in Ettmannsweiler und einem in Fünfbronn. Zu diesen gezählten Katholiken bemerkt der Pfarrer, daß nach seiner Kenntnis “weder in Simmersfeld 8, noch in Ettmannsweiler 6 Katholiken anwesend gewesen sein können, es müßten denn gerade ein paar Wagen Zigeuner dagewesen sein. Wahrscheinlich wurde die aus 8 Köpfen bestehende Familie des damals einzigen vorhandenen Katholiken in Simmersfeld als ganz katholisch gezählt, während in Wahrheit nur der Mann katholisch ist, Frau und Kinder aber evangelisch sind“.791 Der Stiftsprediger von Stuttgart, Oberkonsistorialrat Gottlieb Friedrich Klemm792, berichtete in seiner Pfarrbeschreibung von 1842 über die Frömmigkeit in seiner Gemeinde, indem er die seiner Ansicht nach positiven Seiten aufzählte: „Es ist erfreulich, daß sich der Sinn für das Göttliche und Heilige durch Wertschätzung der kirchlichen Anstalten, durch fleißigen Besuch der öffentlichen Gottesdienste, durch andächtige Feier des Abendmahls, an der sich jedoch die Teilnahme in den letzten Jahren etwas vermindert hat, durch tätige Beförderung der Bibelverbreitung und das evangelische Missionswesen noch immer im Ganzen mit gleicher Wärme, wie in früheren Jahren, an den Tag legt. Gar manche höchst achtbaren Familien aus den höheren und niederen Ständen zeichnen sich durch entschiedene Liebe zum Wort Gottes und durch einen christlichen Sinn und Wandel aus. Zur Unterstützung der Armen und Notleidenden, und zwar ebensowohl den auswärtigen, wie den Stadtangehörigen, geschieht durch die Privatwohltätigkeit sehr vieles, vielleicht im Verhältnis zu den vorhandenen Mitteln mehr, als in anderen größeren Städten. 790 Pfarrbericht Simmersfeld, 1913. 791 Pfarrbericht Simmersfeld, 1918. 792 Gottlieb Friedrich Klemm (14.11.1789 - 17.2.1855), Diakon an der Stiftskirche 1836, Stadtpfarrer und Stadtdekan an St.Leonhard 1837, Stiftsprediger und Oberkonsistorialrat 1841. Sigel Nr. 19,12. 189 Überhaupt wird sich nicht mit Unrecht behaupten lassen, daß Stuttgart in Hinsicht auf Religiosität und Sittlichkeit die Vergleichung mit keiner andern von den Haupt- und Residenzstädten Deutschlands scheuen dürfte“.793 Es darf auch hier wieder die Frage gestellt werden, ob und wie sich Christlichkeit überhaupt messen läßt. Die aufgeführten positiven Beispiele ließen natürlich Rückschlüsse auf die Wertschätzung der kirchlichen Angebote und Einrichtungen zu, und insofern wurden sie auch als "christliche Güter" zur Kenntnis genommen. Es wurde damals auch noch jeden Sonntag an einer der drei Hauptkirchen von Stuttgart, der Stifts-, Leonhards- und Hospitalkirche, Abendmahl gefeiert. Konfirmation war zweimal im Jahr, im Mai und im September. Zu dieser Zeit - 1842 - gab es in Stuttgart auch schon „mehrere Versammlungen sogenannter Pietisten“, und von Zeit zu Zeit Vorträge des Predigtamtskandidaten Werner aus Reutlingen, die allem Anschein nach für manchen Geistlichen aber ein Ärgernis waren. Jedenfalls schrieb der Stiftsprediger Sixt Carl von Kapff in seinem Pfarrbericht von 1857 mit großer Genugtuung: „Der Reiseprediger Werner aus Reutlingen darf seit 1851 keine der hiesigen Kirchen mehr benutzen“.794 Drei Jahre später, 1845, war der Bericht des Stiftspredigers über die Kirchlichkeit seiner Gemeinde schon viel kritischer: „Der Geist des Unglaubens und der Frivolität, der steigende Luxus und Hang zum üppigen und hoffärtigen Leben reißt gar viele ins Verderben und untergräbt das Glück mancher Familie und führt auch eheliche Zerwürfnisse und Zerrüttungen, häufiger als in früherer Zeit, herbei. Der alte fromme und ernste Sinn, die Mäßigkeit und Nüchternheit zum Gebet weicht immer mehr aus den Herzen und Häusern, besonders zeigt sich bei der Jugend der Mangel an christlicher Zucht und Vermahnung auf eine beklagenswerte Weise. Nicht wenige Jünglinge aus dem Volke überlassen sich nach den Schuljahren dem Müßiggange, der Tagdieberei, der Wollust und anderen Lastern.795 Die Kraft und Autorität des Gesetzes und der Obrigkeit schwindet bei dem durch das Politisieren, das Lesen der vielen Tagesblätter und dem durch das Besuchen der Volksversammlungen herbeigeführten Zeitverlust“.796 „Die Zukunft liegt ziemlich schwarz vor uns. Der Herr halte seine Hand über unsere Stadt“.797 Die Evangelische Kirchenzeitung mußte bereits 1849 feststellen, daß 99% der Beamten nicht mehr in die Kirche gingen.798 In diesem Zusammenhang wurde zum erstenmal auch erwähnt, daß es nicht mehr allein die christlichen Tugenden waren, die das bürgerliche Leben in dieser Zeit bestimmten. Es gab in der zweiten Jahrhunderthälfte für die Bürger Interessen, die bereits außerhalb des kirchlichen Bereiches lagen, beispielsweise nun auch schon den „Reiz des Spazierenfahrens durch die Eisenbahn“. 793 Pfarrbericht Stuttgart, 1842. 794 Pfarrbericht Stuttgart, 1857. 795 Pfarrbericht Stuttgart, 1842. 796 Pfarrbericht Stuttgart, 1845. 797 Pfarrbericht Stuttgart, 1845. 798 G.Schäfer: Das Ringen um neue kirchliche Ordnungen, S. 285. 190 Daneben fand aber auch wieder, wie so häufig, die Vernachlässigung der Kindererziehung, das anspruchsvolle und genußsüchtige Gesinde, sowie der Mangel an Überwachung der Lehrlinge und die mangelnde Autorität vieler Lehr- und Dienstherren Erwähnung. Am 29.12.1871 wurde, wie bereits erwähnt, eine Verordnung über das Verbot von Arbeit an Sonn-, Fest- und Feiertagen erlassen. Es wurde in diesem Zusammen- hang auch festgelegt, an welchen besonderen Feiertagen die Arbeit ausdrücklich erlaubt war: an Mariä Lichtmeß, an Mariä Verkündigung, an Peter und Paul, an Stephanus, an Johannes dem Täufer und an Mariä Empfängnis, also vor allem an den bisherigen Apostel- und Marientagen. Es darf hier daran erinnert werden, daß diese Feiertage damals auch von der evangelischen Gemeinde noch voll mitgefeiert wurden. Der Dekan von Tübingen, Karl August Elsässer799, stellte 1904 fest, daß seine Oberamts-, Universitäts- und Garnisonsstadt mit ihren so verschiedenartigen Bevölkerungselementen auch im kirchlichen Leben eine geschlossene Einheit nicht darstellen konnte. Die Sonntagsarbeit „beschränkt sich bei der feldbau- und gewerbetreibenden Bevölkerung auf das durchaus Notwendige, aber die Sonntagsfeier leidet unter dem Übermaß an Vergnügungen aller Art, die sich bei dem immer mehr sich steigernden Vereins- und Verkehrswesen allerwärts anbieten“. Die Sonntagsarbeit wurde vom Sonntagsvergnügen abgelöst. Neben den Vereinen waren es auch die Gasthöfe, Schankwirtschaften und Restaurationen, sowie die 21 Verbindungshäuser, die Unruhe in die Stadt brachten. Im Pfarrbericht von Vaihingen/Filder des Jahres 1880 hieß es: „Mancher Familienvater ist zu bedauern und hat es mir schon geklagt, wie er nicht auf seinem erlernten Handwerk arbeiten könne und jede andere gewöhnliche Arbeit verrichten müsse. Dazu habe er früher seine Arbeit im Hause gehabt, bei Frau und Kind; jetzt müsse er morgens früh von Hause fort und komme erst spät abends wieder heim“, wobei „früh morgens“ für die in Stuttgart Beschäftigten oft 4 Uhr und „spät abends“ ungefähr 9 Uhr bedeutete. Es war verständlich, daß unter solchen Umständen für die weltlichen Arbeiten zu Hause nur noch der Sonntag übrig blieb, und es war klar, daß mit diesen Voraussetzungen eine Sonntagsheiligung in der extremen Form, wie die württembergischen Pfarrer dies idealisierten, nicht mehr möglich war. Hinzu kam, daß die Nebenerwerbslandwirte gewisse schwere Arbeiten auch nicht nur ihren Frauen überlassen konnten. 799 Karl August Elsässer (17.1.1839 - 24.4.1922), Dekan in Tübingen 1890 - 1909, Sigel Nr. 764,67. 191 Bisher hatte weitgehend die Landwirtschaft mit ihren durch die Natur gegebenen Abläufen den Alltag bestimmt, und die Kirche war der unumstrittene Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens mit ihren Verhaltensregeln gewesen. Abweichungen in Form von Sonntagsarbeit, zu häufigem Wirtshausbesuch oder Fernbleiben vom Gottesdienst kamen zwar vor, bildeten aber in der Anfangszeit durchaus noch eine Ausnahme“. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Vaihinger Pfarrer mit dem sittlich- religiösen Zustand ihrer Gemeinde deshalb noch durchaus zufrieden. Der überwiegende Teil der Einwohnerschaft ging fleißig zur Kirche und Anlaß zur Sorge bereitete allenfalls die verarmte dörfliche Unterschicht“.800 1876 schrieb der Pfarrer von Vaihingen: "Im Mutterort fehlt es nicht an Familien, bei welchen christlicher Sinn und Sitte wahrzunehmen ist, wovon fleißiger Kirchenbesuch und öftere Teilnahme am Heiligen Abendmahl Zeugnis gibt. Aber bei einem anderen Teil ist auch der Mangel an christlichem und kirchlichem Sinn sehr zu beklagen, da in manchen Häusern die Teilnahme am Gottesdienst und einer würdigen Sonntagsfeier bald mehr oder minder zu vermissen ist. Das Trachten nach Erwerb und ebenso auch nach Genuß überwiegt bei Vielen und ist christlichem Leben und Wandel entgegen. Nur an hohen Festtagen füllt sich die Kirche, an gewöhnlichen Sonntagen sind viele Kirchenstühle leer, wogegen der Sonntag häufig zur Abmachung weltlicher Angelegenheiten und zum Überfeld- gehen benützt wird. Auch die vielen nach und nach entstandenen Wirtschaften tragen zur Abnahme des religiösen und kirchlichen Sinnes bei“.801 Die Veränderungen im Arbeitsleben mußten zwangsweise auch Veränderungen im Familienleben nach sich ziehen. Schon die Abwesenheit des Vaters von der Familie hatte häufig Erziehungsprobleme zur Folge. Waren bisher die Jugendlichen bis zu ihrer Verheiratung im allgemeinen von den Eltern abhängig gewesen, so verfügten sie nun plötzlich, wenn sie einer Arbeit in der Fabrik nachgingen, über eigenes Geld. So hieß es schon im Pfarrbericht von 1850: „Die Kinderzucht ist nicht mehr stramm genug, besonders sollte sie bei den konfirmierten Kindern besser gehandhabt werden. Diese verdienen in der Regel früh schon in den Fabriken, und weil sie damit ihre Eltern unterstützen, so lassen dieselben sich ihre Kinder über die Köpfe wachsen“.802 Die bisherigen Klagen über mangelnde Kinderzucht konnten bei diesen Verhältnissen nicht mehr greifen. Wenn teilweise Jugendliche sogar ihre Eltern unterstützten, so war klar, daß sie sich keine Vorschriften mehr von diesen machen lassen wollten. Sie versuchten, ihr eigenes Leben zu leben. Im Bericht von 1874 war zu diesem Problem zu lesen: „Die in den Fabriken arbeitenden jungen Leute wollen, wenn sie einen schönen Lohn verdienen, denselben oft für sich behalten, oder geben den Eltern nur einen Teil davon, wodurch schon hin und wieder Zerwürfnisse entstanden und die Letzteren von ihren Eltern weg und in andere, oft Wirtshäuser, in die Kost gegangen sind“.803 800 Bührlen-Grabinger: Vaihingen, Rohr, Büsnau, S. 151. 801 Pfarrbericht Vaihingen, 1876. 802 Pfarrbericht Vaihingen, 1850. 803 Pfarrbericht Vaihingen, 1874. 192 Wenn man aus der eigenen Familie weiß, daß gerade in Vaihingen der Sohn, wenn er am Zahltag seinen Lohn in Empfang nehmen wollte, regelmäßig erfahren mußte, daß seine Mutter schon dagewesen war und ihn für sich abgeholt hatte, so kann man die „Zerwürfnisse“ verstehen.804 Die Industrialisierung hatte einen grundsätzlichen Wandel mit sich gebracht. Noch vor dem Kriege hieß es dazu: „Die Unkirchlichkeit ist hier ein böser Schaden“. Die Klagen über die Entheiligung des Sonntags wurden lauter. Dazu gab es bereits in den Jahren vor 1914 in Vaihingen vier Ehescheidungen, und der häufige Wirtshausbesuch, besonders an den Sonntagen, wurde immer wieder als Hauptursache für den häufigen ehelichen Unfrieden gesehen.805 Es wurde auch hier wieder die allgemeine „Genuß- und Vergnügungssucht“ ange- prangert. „Vaihingen ist ein harter Boden der Unkirchlichkeit“. Die Teilnahme am Gottesdienst ließ immer mehr zu wünschen übrig, die Sonntagsfeier ebenfalls. Der Besuch von Vereinen und Ausflüglern in der Gemeinde wurde zunehmend als störend empfunden. Die Kinderzucht war zu lasch, die älteren Kinder waren zu selbständig, hatten zu viel Geld zur eigenen Verfügung und huldigten dem Alkohol. Bei ihnen war außerdem „Leichtsinn und fleischliches Treiben“ zu beanstanden. Das neueröffnete Lichtspielhaus hatte „eine verheerende Wirkung“, weil es vom Kirchenbesuch ablenkte. Die Wohnungsnot zwang außerdem junge Ehepaare, getrennt zu leben, und auch eine solche Mißlichkeit war ein Punkt, der die Kirchlichkeit beeinträchtigte.806 Ein Beispiel aus der Amtsstadt Waiblingen mag veranschaulichen, wie das Bemühen des Kirchenkonvents um eine ordentliche Sonntagsheiligung im Jahre 1840 ausgesehen hat: „Die Feier der Sonnen- und Festtage wird neuerdings vielfach verletzt, daher sich der Kirchenkonvent veranlaßt sieht, auf die strenge Beobachtung der über diesen Gegenstand bestehenden Landesgesetze zu verweisen. Es bleiben demnach alle werktägigen Geschäfte, sei es im Felde oder zu Hause, an Sonnen- und Festtagen bei Strafe verboten. Nur wahre Notfälle werden, jedoch erst auf vorgängiger Erkenntnis der unterzeichneten Behörde, ausgenommen. Demzufolge müssen alle Handwerker ihre Arbeiten einstellen, oder, wo dies nicht ganz sein kann, auf gewisse Zeit beschränken. Insbesondere aber sollen an Sonnen- und Feiertagen 1. die Bäcker um 8 Uhr ausgebacken haben. 2. die Metzger kein Vieh schlachten und unter dem Gottesdienste kein Fleisch abgeben. 3. die Boten ihr Gepäcke nur morgens ganz frühe oder abends nach dem Gottes- dienst austragen, ebenso sollen 804 Genealogie Widmer-Zell, Nr. 13, Franziska Zell, geb.Gerster. 805 Pfarrbericht Vaihingen, 1914. 806 Pfarrbericht Vaihingen, 1922. 193 4. die Müller das Mehlführen oder Fruchtholen beschränken. 5. Kauf- und Handels- auch andere Gewerbsläden müssen unter der Vormittags- Predigt und an Festtagen auch unter der Nachmittags-Predigt geschlossen bleiben. Auf dieselbe Weise ist 6. der Verkauf des Obstes und der Viktualien beschränkt. Die Feilhabenden haben die gewöhnlichen öffentlichen Plätze in dieser Zeit zu verlassen. 7. Das Handeln der Juden an Sonnen- und Festtagen bleibt ebenfalls verboten, und sollen: 8. Handwerkszusammenkünfte und Gesellen-Gebote an solchen Tagen nicht stattfinden. 9. Das Zechen in den Wein- Bier- und Kaffee-Häusern soll während der Predigt nicht geduldet werden. Es ist Niemanden das Zechen in den Häusern zu einer solchen Zeit gestattet. Wer dawider handelt und darüber angetroffen wird, unterliegt einer Geld- oder nach Umständen einer Arrest-Strafe. Die Billiards dürfen erst nach dem Ende des vormittägigen Gottesdienstes abgedeckt werden. 10. Das Kegeln kann erst nach dem Abend-Gottesdienst gestattet werden. 11. Das Tanzen an Sonnen- und Festtagen ist verboten und mithin auch das Tanzen von Samstag in den Sonntag. 12. Das Wasserholen unter der Predigt ist verboten. 13. Kinder, welche die Kirche nicht besuchen können, sind unter dem Gottesdienste zu Hause zu behalten. Indem man die Einwohner auf diese Gesetze hinweist, wird zugleich beigefügt, daß diejenigen, welche dagegen handeln, mit den festgesetzten Strafen werden belegt werden. Den 2. Januar 1840. Kirchenkonvent“.807 Ebenfalls in Waiblingen war durch ein Tanzvergnügen die Sonntagsheiligung gestört worden. Ein Markttanz hatte zur Folge, daß infolge „roher Angriffe auf Eigentum und Leben“ der männlichen Jugend Tänze ganz allgemein für zwei Jahre verboten werden mußten. „Der traurige Vorfall im "Wilden Mann" und der Umstand, daß seit langer Zeit in der Regel Schlägereien bei den öffentlichen Tänzen entstehen und daß die Sittenlosigkeit hauptsächlich durch sie gefördert wird, hat den Stiftungsrat und den Bürgerausschuß in der Sitzung vom 12. Juli d.J. zu einer umfassenden Beratung veranlaßt und den Beschluß herbeigeführt, daß auf die Dauer von zwei Jahren alle Tanzbelustigungen sowohl bei Hochzeiten als an Märkten, Kirchweih und anderen Gelegenheiten in der hiesigen Stadt abgestellt sein sollen, und daß sich alle Stände dieser Maßregel unterwerfen müßten. Nachdem auch das K. Oberamt die Motive zu diesem Beschluß anerkannt und seine Unterstützung für die einzelnen Fälle zugesagt hat, wird derselbe zur öffent- lichen Kenntnis gebracht. Den 12. Juli 1850. Gemeinderat“.808 807 Glässner: Vom Kirchenkonvent zum evangelischen Kirchengemeinderat Waiblingen, S. 30. 808 Glässner: Vom Kirchenkonvent zum evangelischen Kirchengemeinderat Waiblingen, S. 32. 194 Dieses Beispiel zeigt, daß alles, was nicht kirchlich war, zumindest am Sonntag, von der Gemeinde ferngehalten werden sollte. Dazu gehörten Sportveran- staltungen genau so, wie Wandern, Wirtshausbesuch oder gar Tanz. Alle diese weltlichen Dinge waren als "Sonntagsverderben" nach Ansicht der Pfarrer einer Sonntagsheiligung schädlich und deshalb von der Gemeinde fernzuhalten. Bereits ein Jahr später war es wieder nötig, die Gemeinde in Waiblingen auf die Heiligung des Sonntags hinzuweisen. Im Juni veröffentlichte der neugewählte Pfarrgemeinderat im Amtsblatt der Stadt „eine ausführliche und eindringliche Ansprache an die Gemeinde in Betreff der Heiligung des Sonntags“. Darin wurden „die Gewerbeleute und Kunden, die Meister und Herrschaften, die Eltern und Eheleute zur äußeren und inneren Sabbatstille ermahnt“. An den Sonnen- und Festtagen, sowie an den Bußtagen, sollte wenigstens die Zeit der Gottesdienste geheiligt werden. Im August dieses Jahres ließ der Pfarrgemeinderat eine Strafpredigt von der Kanzel verlesen, weil sich die Gemeindeglieder auch sonntags mit Erntearbeiten beschäftigt hatten. Ein Ortsangehöriger verwahrte sich dagegen: „Ich bedauere ebenso sehr, wie die ehrenwerten Mitglieder des Pfarrgemeinderats die Nichteinhaltung der Sonntagsfeier. Ich glaube aber nicht, daß der Sonntag dadurch entheiligt ist, wenn man angesichts des veränderlichen Wetters in diesem Monat das gute Wetter des Sonntags dazu benutzt, seine Felderzeugnisse einzuheimsen, vorausgesetzt, daß man an den Werktagen nichts versäumt hat. Sowohl nach altwürttembergischem Gesetz ist es erlaubt, wenigstens nach dem Gottesdienst seine Früchte einzuheimsen, als auch nach dem Bibelwort: "Wenn der Esel sonntags in den Brunnen fällt, so darf er herausgezogen werden". Im übrigen ist in Stuttgart von der Kanzel die Erlaubnis zum Einführen der Früchte verkündet worden“.809 In Weinsberg stellte der 2. Stadtpfarrer Leube810 1911 fest, daß die Kirchlichkeit in seiner Gemeinde, die immerhin 2 428 evangelische Christen zählte, alles andere als erfreulich sei. „Die Teilnahme am öffentlichen Gottesdienst läßt nach den Begriffen eines an die „fränkische Kirchlichkeit“ gewöhnten Beobachters viel zu wünschen übrig“. „An den hohen Festtagen ist die Kirche meist voll oder übervoll, ein Beweis, daß die Unkirchlichkeit nicht gerade durchaus Kirchenfeindschaft, sondern zumeist kirchliche und religiöse Gleichgültigkeit zur Grundlage hat. Die Sonntagsfeier ist schlecht. Es wird viel häusliche, auch berufliche Arbeit, namentlich Sonntag- vormittags getan, am meisten in der Form der Fruchternte. Während der Weinlese ist Sonntagsarbeit in Weinsberg selbst bei christlichen Familien eine Selbstverständlichkeit. Neben die Arbeit tritt neuerdings als Sonntagsverderben immer mehr der Sport, und an einem so beliebten Ausflugsort, wie Weinsberg, auch noch das Wirtshausgetriebe von mancherlei zusätzlichen Häßlichkeiten“811 809 Glässner: Vom Kirchenkonvent zum evangelischen Kirchengemeinderat Waiblingen, S. 44. 810 Martin Leube, (10.1.1884 - 18.7.1961), Weinsberg II. 1922 - 1930, Sigel Nr. 63,4. 811 Pfarrbericht Weinsberg, 1911. 195 Wenn wir nun nocheinmal einen Blick auf die Residenzstadt werfen, so können wir feststellen, daß hier die Pfarrer sich zu dem Kirchenbesuch und der Feier des Sonntags im allgemeinen zufrieden äußerten, obwohl auch hier die geänderten Verhältnisse nicht zu übersehen waren. 1860 beurteilte der Stiftsprediger Sixt Carl von Kapff, der für die kirchliche Entwicklung Stuttgarts und Württembergs seit der Mitte des Jahrhunderts von so großer Bedeutung war, den sittlich-religiösen Zustand seiner Gemeinde: Fehler: 1. Indolenz und Indifferentismus in den verschiedenen Klassen unten und oben. 2. Luxus und Genußsucht, Trägheit und Begehrlichkeit. 3. Häufige Zerwürfnisse in der Ehe durch Mangel an geordnetem Haushalten, Sparen und Arbeiten. 4. Frohes Treiben der Unzucht unter einem Teil der jungen Leute. 5. Vernachlässigung der Erziehung von Seiten der Eltern und Mangel an Über- wachung und Autorität von Seiten der Lehrherren. Hervorstechendste Tugenden: 1. Wohltätigkeitssinn, welcher sich weder durch weit verbreitete Not, noch durch die Erfahrung von Undank und Unwürdigkeit des Empfängers vermindern. 2. Rege Tätigkeit für Vereine und Anstalten zur Förderung des Reiches Gottes in allen Richtungen. 3. Der kirchliche Sinn, welcher sich durch fleißiges Besuchen der Gottesdienste und der Teilnahme am Heiligen Abendmahl, bei nicht wenigen auch durch große Strenge in der Sonntagsheiligung überhaupt bestätigt, und 4. die Offenheit eines großen Teils der Gemeinde für die Privatseelsorge, wodurch dem Geistlichen eines der gesegnetsten Felder für seine Arbeit weit aufge- schlossen ist. Der Konsistorialrat und Stiftsprediger stellte außerdem fest: „Die Übertretung der Gesetze für eine geordnete Sonntagsfeier, z.B. Arbeiten am Sonntag, Öffnen der Läden auch während des Gottesdienstes, Austragen von Waren und Arbeiten, werden vom Kirchenkonvent auf Anzeige des Stadtpolizeiamtes bestraft. Die Zahl derselben hat hierdurch schon abgenommen“. Kapff war der Ansicht, daß eine besondere Aufmerksamkeit den jungen, aufsichtslosen Arbeitern gewidmet werden müsse, „den Laufbuben, Speisbuben, Handlangern, Lehrlingen, die bei einem Meister untergebracht sind, aber weder bei diesem noch im elterlichen Hause Kost und Wohnung haben". Sie konnten sich seit 1851 im Winter abends von 6 bis 9 Uhr im Bürgerhospital versammeln, wo sie durch Lehrer unterrichtet wurden, warme Kost bekamen, die freien Sonntagabende mit Lesen und Schreiben verbringen konnten und beaufsichtigt wurden. Sie sollten auch aufgefordert werden, sich an einer Sparkasse zu beteiligen und ihren Verdienst dort regelmäßig einzahlen".812 812 Pfarrbericht Stuttgart, Stiftskirche, 1860; Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 151. 196 1876 schrieb Sixt Carl von Kapff: „Stuttgart hat seine Einwohnerzahl in 25 Jahren verdoppelt, seinen ursprünglichen Charakter verloren und die Physiognomie einer Industrie- und Großstadt angenommen. Aber sie ist immer noch eine Stadt, in welcher der Herr ein großes Volk hat“. Die Johanneskirche war als vierte Kirche Stuttgarts seit kurzem eingeweiht. Bei der Zählung am 1.11.1820 hatte Stuttgart noch 20 055 Ortsangehörige gehabt, und zwar 14 063 Erwachsene und 5 992 Kinder unter 14 Jahren. Diese Zahl setzte sich zusammen aus: Evangelisch-Lutherischen 19 692 Reformierten 25 Katholiken 242 Juden 96. 1876 zählte die Stadt 91 489 Evangelische, daneben 13 134 Katholiken, 332 Dissentierende und 2 318 Juden. Zum Abendmahl erschienen im Durchschnitt jährlich etwa 15 000 Personen.813 Im Dezember 1900 wohnten in Stuttgart: Evangelische 149 134 Katholiken 27 859 mit 4 Kirchen Israeliten 3 015 Andere 1 275 ______ 181 283 Einwohner. ====== 813 Pfarrbericht Stuttgart, Stiftskirche, 1876. 197 Ein Wort soll hier in diesem Zusammenhang noch zu der Größe der Pfarrgemeinden in Stuttgart gesagt werden. Im Magisterbuch von 1879814 wurden für Stuttgart folgende Stellen angeführt: I. Stiftskirche. Stiftsprediger Prälat Sixt Carl von Kapff, 2. Stadtpfarrer K. Theurer, Helfer R. Lauxmann. II. Hospitalkirche. 1. Stadtpfarrer und Stadtdekan E. Teichmann, 2. Stadtpfarrer E.J. Ege, 1. Helfer Fr. Reiff, 2. Helfer J. Kopp. III. St.Leonhardskirche. 1. Stadtpfarrer und Amtsdekan Dr. G. Plieninger, 2. Stadtpfarrer K. Rieger, 1. Helfer H. Schmidt, 2. Helfer Th. Kopp. IV. Johanniskirche. Stadtpfarrer K. Fischer, Helfer P. Faulhaber. Dazu 3 Stadtvikare. Die Gemeinden Berg mit 2 132 Einwohnern, Gablenberg mit 2 072 Gemeinde- gliedern und Heslach mit 4 223 Seelen hatten eigene Pfarrer. Die Stadtgemeinde Stuttgart wurde also mit 7 Pfarrern, 6 Helfern und 3 Vikaren versorgt. Auf einen Geistlichen kamen im Durchschnitt 5 700 Gemeindeglieder. Verglichen mit einer durchschnittlichen Dorfgemeinde ist diese Zahl hoch. Allerdings lag auch das Gehalt des Stiftspredigers mit 4 300 Mark an der Spitze aller Einkommen. Schon der zweite Pfarrer an der Stiftskirche erhielt nur noch 2 750 Mark. Zum Vergleich kann Böblingen angeführt werden. Dort sorgten 1894 für 4 474 Gemeindeglieder zwei Stadtpfarrer, wobei der erste als Dekan gleichzeitig noch für 14 weitere Gemeinden zuständig war. In Eßlingen, das 16 857 Einwohner hatte, waren 4 Stadtpfarrer und ein Stadtvikar angestellt. Ludwigsburg hatte am Ende des Jahrhunderts bei 14 987 Einwohnern 3 Stadtpfarrer und einen Stadtvikar. 814 Magisterbuch. 23.Folge. Hrsg. K.Helfferich. 1879. 198 Auffallend ist auch die unterschiedliche Entlohnung. Der Dekan von Ludwigsburg erhielt 3 800 Mark, der Dekan von Eßlingen 3 850 Mark, der Dekan von Backnang 3 750 Mark, der Dekan von Böblingen 3 600 Mark. Der Pfarrer von Aichschieß, der 245 Seelen zu betreuen hatte, erhielt ein Gehalt von 2 625 Mark, der Pfarrer von Obertürkheim, das 1 736 Einwohner zählte, 2 600 Mark. Der Stiftsprediger D. Dr.von Burk815, der nach Sixt Carl von Kapff von 1879 bis 1900 an der Stiftskirche als Prediger tätig war, formulierte in seinem Pfarrbericht von 1887: „Stuttgart hat vor weniger Zeit von einem hier lebenden norddeutschen Theologen das Zeugnis bekommen, daß es unter allen größeren Städten Deutschlands am meisten, besonders am Sonntag zur Zeit des Gottesdienstes und in den Festzeiten, den Typus einer christlichen und kirchlichen Stadt an sich habe“.816 Er hat hier A. Zahn zitiert, der dies in der Zeitschrift „Das christliche Schwaben“ so formuliert hat: „Stuttgart ist die einzige Hauptstadt in Deutschland, welche in ihrer sonntäglichen Erscheinung noch den Eindruck einer frommen Stadt macht“.817 Der Stiftsprediger fuhr fort: „So wenig wir uns dabei darüber täuschen dürfen, daß in Stuttgart viele unkirchliche und antikirchliche Leute sind, so ist es doch erfreulich, die Gottesdienste am Sonntagvormittag so gut besucht zu sehen, und zwar, was auswärtigen Besuchern besonders angenehm auffällt und mir selbst manchmal von solchen gesagt wird, besucht nicht bloß von Erwachsenen, sondern auch von jungen Leuten, und nicht bloß von Frauen, sondern auch von Männern“. „Auch an den Nachmittagen findet sich, zumal im Winter, eine ganz ansehnliche Gemeinde ein; die Bibelstunden finden, wenn auch nicht besonders zahlreich, so doch dankbare Besucher, und an den Bußtagen versammelt sich ebenfalls eine zahlreiche Gemeinde“. "Sonntagsarbeit sieht man in Stuttgart wenig, Sonntagslustbarkeit umso mehr. Wer am Samstagabend den Vergnügungsanzeiger im „Neuen Tagblatt“ liest, der staunt über die großartige, fast ausschweifende Vergnügungssucht, welche hier zu Tage tritt, und in den Nächten von Sonntag auf Montag merkt man sowohl in den Straßen als in den Wirtschaften wenig von der „Muckerstadt". Auch christliche Vereine halten sich nicht frei von dieser Vergnügungssucht und veranstalten Massenausflüge am Sonntag, die dann auf andere Vereine nicht gerade als gutes und erbauliches Exempel wirken und die Gegenwirkung gegen das rauschende Sonntagstreiben erschweren“.818 Vier Jahre später, 1891, wurde von ihm hervorgehoben: „In der Sonntagsfeier ist Stuttgart sicher den meisten anderen größeren Städten in Deutschland voraus. Aber nicht alle, welche am Sonntag ruhen, feiern zugleich im christlichen Sinne. Die Wirtshäuser werden umso regelmäßiger besucht. 815 D.Dr.Karl Christian Gottlob von Burk (19-5-1827 - 1.10.1904), Stiftsprediger 1879 - 1900, Sigel Nr. 19,26. 816 Pfarrbericht Stuttgart, Stiftskirche, 1887. 817 A.Zahn: Das evangelische Schwaben. Heilbronn, 1886, S. 221. 818 Pfarrbericht Stuttgart, Stiftskirche, 1887. 199 Die Unsittlichkeit wagt sich nicht so hervor, wie vielleicht in anderen größeren Städten. Indes wird von verschiedenen Seiten daran gearbeitet, diese Zurückhaltung zu brechen und dem Fleischesdienst auch zu einem öffentlichen Existenzrecht zu verhelfen. Die Aufstellung der nicht bloß vom sittlichen, sondern auch vom ästhetischen Standpunkt aus abscheulichen Galathea auf dem Eugensplatz kann als ein Vorstoß in dieser Richtung bezeichnet werden“.819 Schon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts waren vereinzelt Klagen über eine nicht mehr würdige Feier des Sonntags laut geworden, auch darüber, daß der Besuch der Gottesdienste nachgelassen hatte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts, unter dem Einfluß der Aufklärung, wurde der Sonntag weiter "entheiligt". Er wurde von einem rein kirchlichen Feiertag zu einem Tag der Erholung und des Vergnügens. Sonntagsruhe war nicht mehr gleichbedeutend mit Sonntagsheiligung. König Friedrich hatte Feiertage abgeschafft, um den Verdienstausfall für die Arbeiter zu begrenzen. Immer wieder mußten sich Pfarrer gegen die Sonntags- arbeit zur Wehr setzen. Die Bauern kamen am Sonntag zum Einkaufen in die Stadt. Dem Industriearbeiter blieb nur der Sonntag, um seine Geschäfte zu Hause zu erledigen. Die Eisenbahn bot Gelegenheit, sonntags an andere Orte zu fahren um dort zu wandern, Bekannte zu besuchen, oder auch die Wirtschaften zu frequentieren. Die vielen Vereine nutzten den Sonntag für ihre Feiern. Das sich herausbildende Bürgertum beschränkte sich nicht mehr auf rein kirchliche Vorstellungen und Angebote. Das Vereinswesen nahm auch den Sonntag für sich in Anspruch. Tanz, Kegeln oder das Kartenspiel, auch der Wirtshausbesuch, sollten als Vergnügen ein Ausgleich für die harte Woche sein. Im Laufe der Zeit erinnerte man sich auch wieder daran, daß der Sonntag zur Erholung dienen sollte. Frankreich sah, nach der Niederlage von 1870/71 in ihm sogar ein Mittel, die Kinderzahl zu erhöhen und so die Kriegsverluste auszugleichen. Der Sonntag wurde zum Tag des Menschen. Kirchen und Sozialistische Parteien waren sich einig im Eintreten für den arbeitsfreien Sonntag, wenn auch aus verschiedenen Gründen.820 So war die Sonntagsfeier im Laufe dieses Jahrhunderts einem grundsätzlichen Wandel unterworfen. Am Ende des 19. Jahrhunderts setzte nicht mehr die Kirche die Maßstäbe, sie bestimmte nicht mehr den Ablauf. 819 Pfarrbericht Stuttgart, Stiftskirche, 1891. 820 Beck: Auf der Suche nach dem verlorenen Tag. S.2. 200 5.1. Die Kirchenbauten. Als erster Kirchenneubau war in Stuttgart am 30. April 1876, am Sonntag Misericordias Domini, die Johanneskirche eingeweiht worden. Die Festrede hielt der Stadtdekan und spätere Oberhofprediger D. theol. Karl von Gerok über Psalm 118, 24,25. Die neue Gemeinde war von der Stifts- und Hospitalgemeinde abgetrennt worden. Der Grundstein war bereits im Jahre 1866 in Anwesenheit des Königs gelegt worden. Damals hatte Stuttgart 65 000 Einwohner.821 Als nächster Kirchenbau folgte die am 11. Dezember 1892 eingeweihte Friedens- kirche. Die Gedächtniskirche war von dem Geheimen Hofrat Dr. Julius von Jobst zum Gedächtnis an seine am 2. April 1894 verstorbenen Gattin gestiftet und am Ostermontag 1899 eingeweiht worden. Die Parochie wurde von der Hospitalkirche abgetrennt und zählte 1910 4 949 Seelen. Am 1. September 1920 wurde zu Ehren des Stifters und seiner Gemahlin ein Gedenkstein an der Brüstung der südlichen Empore für 12 000 Mark angebracht.822 Durch die Kirchenneubauten seit 1876 hatte sich die Stiftsgemeinde wesentlich verringert. Man zählte 1906: Stiftskirche 17 408 Hospitalkirche 22 328 Leonhardskirche 20 678 Johanneskirche 25 692 Friedenskirche 12 491 Martinskirche 9 500 Pauluskirche 11 029 Markuskirche 9 528 Gedächtniskirche 4 463 Lukaskirche 7 001 Matthäuskirche 15 689 Berg 2 287 Gablenberg 5 184 Gaisburg 3 692 _______ 166 970 ====== 821 Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 347. 822 Pfarrbericht Stuttgart, Gedächtniskirche, 1922. 201 1913 stiftete Herzogin Wera zum 50. Jahrestag ihrer Ankunft in Württemberg die Heilandskirche bei Berg, mit der Bestimmung, daß unter Aufsicht des Konsistoriums jeweils "ein bibelgläubiger Pfarrer" angestellt werden solle.823 In dieser Zeit hat aber auch die katholische Gemeinde neue Kirchen in Stuttgart gebaut. Sie hatte zunächst ja nur die 1808 von der Solitude hierher verlegte Eberhardskirche. Als erste neue katholische Kirche war die 1871 - 1879 von Baurat Josef von Egle auf der Furtbachwiese erbaute Marienkirche dazugekommen. Die Weihe war am 12. November 1879. Egle hatte in Cannstatt bereits 1858 die Martinskirche „mit neugotischen Stilmitteln wiederhergerichtet“.824 Als weitere Neubauten folgten in Stuttgart 1899 die Nikolauskirche und 1901 die Elisabethenkirche, 1902 in Zuffenhausen St. Antonius und 1903 in Untertürkheim St. Johannes. Von evangelischer Seite war der Vorwurf erhoben worden, überall da, wo die Evangelischen eine Kirche neu bauten, würden die Katholiken ebenfalls mit einem Kirchenneubau nachziehen. Es wurde im Pfarrbericht der Stiftskirche 1905 auch genau festgehalten, daß die Zahl der Katholiken in Stuttgart in den letzten Jahren konstant zugenommen hatte. 1807 hatte man hier 140 Katholiken gezählt, 1846 schon 3000, 1885 16 000 und jetzt, 1905, 30 000 mit inzwischen 4 Kirchen.825 Durch die Industrialisierung, besonders im mittleren Neckarraum, und die erhöhte Mobilität der Bevölkerung waren aber auch in den anderen Städten und auf dem Land in bisher rein evangelischen Gemeinden kleine, aber ständig wachsende Gruppen von Katholiken. hinzugekommen. Allein in der fünfjährigen Amtszeit von Bischof Dr. Wilhelm Reiser (1893 - 1898) waren an Diaspora-Orten 32 neue katholische Kirchen gebaut worden.826 823 Hermelink: Geschichte der evangelischen Kirche in Württemberg, S. 424. 824 Köhler: Katholiken in Stuttgart, S. 149. 825 Pfarrbericht Stuttgart, Stiftskirche, 1905. 826 Tiefenbacher: Das katholische Württemberg, S. 89. 202 5.2. Die Vereine. Eine weitere neue Erscheinung im gesellschaftlichen Leben, mit der sich die Kirche auseinandersetzen mußte, war das Vereinswesen, das sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Faktor ausgebildet hat, der stark auf das alltägliche Leben einwirkte und somit auch Auswirkungen auf das kirchliche Leben hatte. In den Pfarrberichten waren schon immer die christlichen Vereine erwähnt worden. Sie wurden ausführlich dargestellt, ihre Bedeutung für das kirchliche Leben in der Gemeinde unterstrichen, auch die Leitung durch den Pfarrer oder den Diakon gebührend erwähnt. Es wurde auch ab und zu bedauert, daß das christliche Vereinsleben in manchen Gemeinden einfach nicht gedeihen wollte, trotz allem vorhandenen guten Willen und trotz aller diesbezüglichen Anstrengungen. Es wurde andererseits aber natürlich auch breit hervorgehoben, wenn es gelang, besonders die Jugend in die christlichen Vereine einzubinden. Das sich im Laufe des Jahrhunderts immer mehr ausbildende Vereinswesen war etwas Neues in der sozialen Organisation. Schon im 18. Jahrhundert entstanden durch die Aufklärung Bildungs- und Geselligkeitsvereine wie beispielsweise Patriotische Gesellschaften, Debattierclubs, Tabakskollegien oder musikalische Gesellschaften. Daneben gab es landwirtschaftliche, philantropische, gesellige, ökonomische, pietistische, zuletzt auch politische Vereine, in denen sich vor allem bürgerliche Aktivitäten organisierten. Alle diese Vereine zeigten "gemeinbürger- liche Lebensformen".827 Im 19. Jahrhundert entwickelte das aufstrebende Bürgertum gesellig-kulturelle Vereine, die sich durchaus auch politisch-vaterländisch betätigten. Vor allem Gesangvereine, in großer Zahl auch Turnvereine. Auf Grund der Selbstverwaltung war ein demokratisches Element selbstverständlich, das sich hier verwirklichen konnte. Durch die Industrialisierung wurden Familie und Arbeit getrennt. Auch durch die Wanderung in die Städte wurde der Mensch aus seinen bisherigen gesellschaft- lichen Bindungen herausgerissen. Vereine traten in diese Beziehungslücke. Bald gab es Neugründungen von Bildungs-, Geselligkeits-, Theater-, Musik-, Wander-, Turn-, Gesellenvereinen, auch die ersten Jugendvereine. Verschönerungs-, Trachten-, Heimatvereine folgten. Die Romantik mit ihrem Sinn für das Natürliche, Unverbrauchte, förderte die Wanderbewegung und das Sammeln von Volksliedern und Volksmusik.828 Zunächst spielte in den Vereinen der Wunsch nach politischem Einfluß noch keine Rolle, andere Ziele und Interessen standen zunächst im Vordergrund. 827 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 318. 828 Agricola: Vereinswesen in Deutschland, S. 42; Hentschel: Studien zur Reiseliteratur, S. 126. 203 Besonders in protestantischen Gebieten entstanden "Lesegesellschaften", die die vielen Zeitschriften ihren Mitgliedern zu einem erschwinglichen Preis zugänglich machen, aber auch dem Mangel an privatem Bücherbesitz abhelfen wollten.829 Die meisten Lesegesellschaften waren schon vor 1800 gegründet worden. Sie machten sich auch die Erwachsenenbildung zur Aufgabe. Im 19. Jahrhundert trat eine Verschiebung von der Aufklärung als Schwerpunkt zur Geselligkeit ein, diese Aufgaben wurden vom Verein als neuer Organisationsform übernommen.830 Nicht vergessen werden dürfen auch die Arbeiterbildungsvereine, deren wichtigste Aufgabe die Weiterbildung ihrer Mitglieder war. Neben das Bildungsbedürfnis trat dann im Laufe der Jahre auch ein Bedürfnis nach politischer Aufklärung.831 In Altensteig war durch den Bau der Eisenbahn der Ausflugsverkehr sehr stark gewachsen, was vor allem an den Sonntagen zusätzliche Unruhe in die Gemeinde, vor allem durch den verstärkten Gaststättenbesuch, brachte. Nach dem Weltkrieg wurde vermerkt, daß das gesellige Leben sich nach der Jahrhundertwende vor allem in den Vereinen abspielte.832 In Biberach wurden 1913 im Pfarrbericht nur die christlichen Vereine aufgeführt. Es gab einen Jünglingsverein mit 46 Mitgliedern, und den Jungfrauenverein mit 40 Mitgliedern, seit 1868 auch einen Krankenpflegeverein mit einem eigenen Haus und vier Schwestern, einen evangelischen Arbeiterverein, einen Blaukreuzverein und den Evangelischen Kirchenmusikverein, den Gustav-Adolf- Frauenverein, den Verein junger Mädchen, den Missions-Arbeiterverein und die Halbbatzenkollekte.833 Eine Aufzählung einzelner weltlicher Vereine, die neben den christlichen erwähnt werden, findet sich eigentlich nur im Pfarrbericht von Böblingen. 1910 zählte dort der Jünglingsverein 50-60 Jünglinge, der Jungfrauenverein 35-40 Mädchen. Es gab eine Kleinkinderschule, die aber überfüllt war und deshalb keine erzieherische Wirkung hatte. Außerdem aber hatte Böblingen aufzuweisen: 3 Turnvereine, 3 Radfahrvereine, 1 Schützengilde, 1 Hundezüchter-Verein, 1 Vogelzüchter-Verein, 1 Krieger- Veteranen-Verein, den Verein der Naturfreunde, mehrere Gesangvereine, die Museumsgesellschaft und außerdem noch politische Vereine. 829 Dann: Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation. 830 Paul Röhrig: Erwachsenenbildung. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. III., S. 337. 831 Paul Röhrig: Erwachsenenbildung. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. III., S. 353. 832 Pfarrbericht Altensteig, 1922. 833 Die "Halbbatzenkollekte" ging auf den Basler Industriellen Karl Sarasin (1815 - 1886) zurück, der angeregt hatte, jede Woche einen halben Batzen für die Mission zu spenden. Die Spender erhielten dafür Nachrichten über die Arbeit der Mission und mußten für dieses Anliegen beten. 204 Auch hier gab es Personen, die in mehreren Vereinen gleichzeitig Mitglied waren und deshalb an den Wochenenden mit ihren Verpflichtungen in Zeitnot kamen. Es wurde beanstandet, daß vor allem die Jugend durch „allerlei Vergnügungen der Vereine, wie Weihnachtsfeiern, Fastnachtsveranstaltungen, Waldfeste, Herbst- feiern, Fahnenweihen und sonstige Vereinsfeste“, abgehalten wurde, die Kirche zu besuchen.834 In Eßlingen stellte der Pfarrer schon 1860 ein "entartetes Vereinsleben" fest, ohne näher darauf einzugehen. 1883 wurden die "Vereine zum gesellschaftlichen Vergnügen" erwähnt, die Vereinsfeste, Maienfeste, Waldfeste, Herbstfeste, Turn- und Schützenfeste feierten. Durch sie traten die kirchlichen Interessen in den Hintergrund: "Die Zahl der Vereinsfeste sonntags steigt".835 1905 wurden die in Eßlingen bestehenden christlichen Vereine, die alle in Verbindung mit dem Pfarrer standen, aufgeführt: Jünglingsverein, Lehrlings- leseverein, seit 1896 den Marthaverein für Dienstmädchen, Jungfrauenverein, Jungfrauenmissionsverein, Gustav-Adolf-Verein, Heidenmissionsverein, Bibel- verein (spendet Traubibeln und Testamente an Konfirmanten), Diakonissenverein, Evangelischer Bund (Vorstand Dekan, mit 400 Mitgliedern), Freiwilliger Krankenpflegeverein (mit 9 Diakonissen), Verein für arme Kranke, Verein für verschämte Hausarme, Nähverein für Arme, Nähverein für hilfsbedürftige Kinder, Herbergs-Verein, Verein für Kaffeehäuser, Abendschule für lohnarbeitende Mädchen, Evangelischer Arbeiterverein, Evangelischer Männerverein, Evan- gelischer Verein Stadtmission seit 1898, Wilhelmsstiftung für die Unterbringung verwahrloster Kinder (gestiftet 1841 für Kinder von 5 - 11 Jahren), Frauenverein, Verein zur Belohnung treuer Dienstboten, dazu 3 Kinderpflegen und eine private Kinderpflege für ungefähr 400 Kinder. Alle 26 Vereine standen in Verbindung mit dem Geistlichen".836 In Freudenstadt wurde 1850 lediglich ein weltlicher Verein aufgeführt: "Auch der wilde Gesang der Jugend hat fest ganz aufgehört, seitdem ein Gesangverein auf den Volksgesang einwirkt".837 Sonst wurde in keinem Pfarrbericht ein weltlicher Verein aufgeführt. In Geislingen wurde im Pfarrbericht von 1883 darauf hingewiesen, daß am Ort, der in dieser Zeit schon sehr stark durch seine Fabriken geprägt war, 42 Vereine bestanden, die, wie der Pfarrer feststellte, „auf die Kirche keine Rücksicht mehr nehmen, und unter denen das Familienleben leidet". Namentlich genannt und einzeln aufgeführt wurden die Vereine aber nicht.838 834 Pfarrbericht Böblingen, 1910. 835 Pfarrbericht Eßlingen, 1892. 836 Pfarrbericht Eßlingen, 1905. 837 Pfarrbericht Freudenstadt, 1850. 838 Pfarrbericht Geislingen, 1883. 205 Hier wurde im Jahre 1877 auch zum erstenmal darauf aufmerksam gemacht, daß in den vergangenen Jahren in Geislingen eine große, alles beherrschende Fabrik herangewachsen war, die Metallwarenfabrik, die damals bereits über 500 Arbeiter hatte.839 Zwölf Jahre später hatte Geislingen 5 697 Einwohner und die Fabrik 1450 Arbeiter. Diese waren in einem Wohlfahrtsverein der Firma organisiert, der sich um die sozialen Bedürfnisse der Arbeiter annahm. Außerdem war ein Mädchenheim eingerichtet worden.840 Obwohl das kirchliche Leben als nicht sehr hochstehend eingeschätzt wurde, gab es an christlichen Vereinen den Jünglingsverein, den Christlichen Verein junger Männer, einen Jungfrauenverein, den Gustav-Adolf-Verein, den Frauen- und Jungfrauen-Missionsverein, den Verein für die Mission in Kamerun, den Ortsverein Evangelischer Bund und die Diakonissenstation. In Gmünd wurde zum Vereinswesen nur kurz erwähnt, daß die vielen Sportvereine, Wandervereine und ihre Veranstaltungen die heranwachsende Jugend dem Elternhaus entfremden würden.841 Seit mehreren Jahren gab es hier auch schon einen Verein, der Leseabende für junge Leute von 14 bis 18 Jahren organisierte, in einem an den Sonntag-Abenden geheizten und beleuchteten Lokal, in welchem sowohl zum Lesen, als auch zu sonstiger Unterhaltung Gelegenheit geboten war, und in welchem von Zeit zu Zeit belehrende Vorträge gehalten wurden. Diese Gelegenheit wurde auch vielfach benutzt "und übt auf die jungen Leute einen unverkennbar guten Einfluß aus".842 In Hall wurden im Pfarrbericht des Jahres 1916 ausführlich die christlichen Vereine aufgeführt: 1. Missionsverein, 2. Innere Mission, 3. Gustav-Adolf-Verein, der Frauen und Jungfrauen als Mitglieder hat, 4. Bezirks-Kinder-Rettungsverein, 5. Verein für rekonvaleszierende Geisteskranke, 6. Verein für entlassene Strafgefangene, 7. Evangelischer Arbeiterverein, 8. Hilfs-Bibel-Verein, 9. Armen-Verein, der Brot und Holz für Bedürftige beschafft, 10. Wöchnerinnen-Unterstützungs-Verein, 11. Krankenverein, 12. Zweig-Verein des Historischen Vereins für Franken, 13. Christlicher Kunstverein, 14. Verein zur Unterstützung älterer unverheirateter Honoratioren.843 839 Pfarrbericht Geislingen, 1877. 840 Pfarrbericht Geislingen, 1892. 841 Pfarrbericht Gmünd, 1918. 842 Pfarrbericht Gmünd, 1872. 843 Pfarrbericht Hall, 1916. 206 Schon 1898 hatte der Pfarrer geschrieben, daß in Hall auch die weltliche Vereinstätigkeit eine große Rolle im gesellschaftlichen Leben spiele und eine breite Grundlage habe. Er zählte schon damals zwischen 40 und 50 weltliche Vereine, und erwähnte, daß es Gemeindeglieder gebe, die „bei 26 - 30 derselben eingeschriebene Mitglieder seien“.844 Es wurde hier auch noch angemerkt, daß in Hall die industrielle Regsamkeit, wie sie beispielsweise in Heidenheim, Göppingen oder Tuttlingen gegeben sei, fehle. „Hall hat seine Zukunft hinter sich“. 1883 war im Pfarrbericht von Kuchen zu lesen: „Der durch die Fabrik eingedrungene moderne Geist hat seinen Tummelplatz in den vielen Vereinen. Dieses Vereinsleben beherrscht so sehr den jüngeren Teil der Gemeinde, daß selbst der Kirchenchor in einen Verein mit Ausflügen und anderen geselligen Vergnügungen sich verwandelte, aber auch an diesem Widerspruch mit seiner eigentlichen Bestimmung zu Grunde ging“. In Leonberg stellte der Pfarrer im Zusammenhang mit dem Anwachsen des kirchenschädigenden Einflusses der Sozialdemokratie und den Veranstaltungen des Turnvereins ebenfalls einen Rückgang des Kirchenbesuchs fest. Eine Rolle spielte aber auch die Gewohnheit, den Sonntag für Ausflüge zu nutzen. Daneben hatten Sonntagsarbeit und Sonntagsvergnügungen in Leonberg zugenommen.845 Es gab in Leonberg den Jünglingsverein, den Jungfrauenverein, den Missions- verein für Frauen und für Jungfrauen, den Verein der Halbbatzenkollekte, den Gustav-Adolf-Verein, den Suppenverein, den Diakonieverein, den Evangelischen Bund, den Verein für entlassene Strafgefangene und einen Verein gegen den Mißbrauch alkoholischer Getränke, außerdem den Landesverein vom Roten Kreuz, den Verein für Arbeiterkolonien, einen Verein für ländliche Wohlfahrts- pflege und eine Wanderarbeitsstätte, dazu seit 1909 den Bezirkswohltätigkeits- verein für Unterstützungsgesuche und Tb-Bekämpfung. Die Rettungsanstalt stand unter der Leitung der seit bald 30 Jahren vorbildlich tätigen Schwester Margarete Genser. 1913 hatte Leonberg an weltlichen Vereinen zwei Turnvereine, zwei Gesang- vereine, einen Schützen- und einen Bürgerverein, den Musikverein und die Löwengesellschaft. In Ludwigsburg wurde im Pfarrbericht von 1905 an kirchlichen Anstalten und Vereinen aufgezählt: die Charlottenkrippe, die Kinder im Alter von 4 Wochen bis zu 6 Jahren aufnahm, die Wernersche Kleinkinderschule, die 150 bis 160 Kinder im Alter von 3 bis 7 Jahren betreute, 844 Pfarrbericht Hall, 1898. 845 Pfarrbericht Leonberg, 1913. 207 die Hermann-Francksche-Kinderschule in der Keplerstraße, die 50 Pfleglinge zwischen 3 und 7 Jahren unter ihrer Aufsicht hatte, die Gustav-Francksche Kinderschule in der Talstraße, die 75 bis 85 Kinder in diesem Alter versorgte.846 Seit 1865 gab es auf der Karlshöhe auch einen Jünglingsverein, einen Jungfrauenverein, den Bezirkskrankenpflegeverein, den Armenunterstützungsverein, den Krankenkostverein und neben dem Maria-Martha-Sift noch das Wilhelmstift. Nun waren in Ludwigsburg 1905 aber 86 Vereine im Adreßbuch aufgeführt, die der Pfarrer teilweise auflistete: Es waren neben 4 christlichen und 6 kirchlichen Vereinen 11 für das Vergnügen, 13 für den Sport, 6 wohltätige, 4 wissen- schaftliche, 10 politische, 32 gewerbliche.847 Auch hier gab es Einwohner, die in mehreren Vereinen gleichzeitig Mitglied waren und mit der Wahrnehmung der Termine Schwierigkeiten hatten. 1911 waren im Adreßbuch schon 121 Vereine eingetragen. Erwähnenswert erschien dem Pfarrer, daß die Waschfrauen einen dreitägigen Ausflug zum Niederwalddenkmal gemacht hatten. Im Pfarrbericht von 1923 hat der Pfarrer über die große Zahl der Ausflügler, die Sonntags „dem Stadtbild ein verändertes, im kirchlichen Sinn nicht eben sonntägliches Aussehen geben, geklagt.848 In Tübingen wurden zunächst folgende christliche Vereine aufgezählt: 1. Frauen-Krankenverein, 2. Hilfs-Beschäftigungsverein, 3. 3 Nähvereine. 4. 2 freiwillige Sonntagsschulen, 5. Jünglingsverein, 6. Evangelischer Herbergsverein (seit 1886), 7. Diakonissen-Komitee, 8. Sophienpflege Lustnau, 9. Werner-Verein (für Bruderhausverein Reutlingen), 10. Gustav-Adolf-Frauenverein, 11. Verein für die Heidenmission, 12. Paritätischer Wohlfahrtsverein, 13. Studentischer Gustav-Adolf-Verein, 14. Akademischer Verein für innere und äußere Mission. 846 Pfarrbericht Ludwigsburg, 1905. 847 Pfarrbericht Ludwigsburg, 1905. 848 Pfarrbericht Schorndorf, 1923. 208 Wenn man in der Lebensbeschreibung der Ottilie Wildermuth liest, für welche Vereine sie in Tübingen nebenbei noch tätig war, so rundet sich das Bild ab: „Kreuzerverein für Schleswig-Holstein, Verwahrloster Kinderverein, Indische Mission, Frauenverein für arme Wöchnerinnen und die Suppenanstalt“.849 Ganz allgemein und verständlicherweise wurde das Vereinsleben mit seinen vielen Feiern am Wochenende deshalb in vielen Pfarrberichten als störend sowohl für den Gottesdienst, als auch für die Sonntagsruhe, angeprangert, und die starke Zunahme des Vereinswesens im Laufe dieses Jahrhunderts wurde sehr wohl als der Kirche abträglich erkannt. "Das breit geförderte Vereinswesen, letztlich Ausdruck einer starken sozialen Differenzierung und Instrument bürgerlicher Selbsthilfe, entwickelte sich zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor der sozialen Mobilität in der organisierten Industriegesellschaft. Vereine boten auch ein Gegengewicht zur vernunft- und leistungsbezogenen Arbeitswelt. Sie erfüllten Ansprüche des Gefühls, wie sie in der bürgerkritischen Jugendbewegung (Wandervogel) vor dem Ersten Weltkrieg zum Ausdruck kam. Über das Vereinswesen verschmolzen sich mit dem Bürgertum auch nichtbürgerliche Kulturelemente und ließ sich nicht zuletzt auch die bürgerliche Hochachtung für die Leistung des Menschen leichter vermitteln".850 849 Reinhardt: Eine Beobachterin des Schwäbischen Biedermaier, Schönes Schwaben, Heft 10, S. 30. 850 Boelcke Sozialgeschichte Baden-Württembergs, S. 287. 209 6.0. Der Abendmahlsbesuch. Beim Abendmahlsbesuch haben wir wenigstens über einen längeren Zeitraum hinweg auch Zahlen, die es uns ermöglichen, die Verhältnisse etwas deutlicher zu sehen und uns ein Urteil über die Entwicklung zu bilden. In der Stiftskirche in Stuttgart fand am 14. Februar 1535, am Sonntag Invokavit, zum erstenmal eine Abendmahlsfeier nach evangelischem Ritus statt.851 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war in den Pfarrberichten nur von Bedeutung, wie oft im Laufe eines Jahres Abendmahl gefeiert wurde. Seit einem Konsistorial- erlaß vom 29.1.1855 und der Revision des Formulars mußte auch die Zahl der Kommunikanten angegeben werden, allerdings zunächst nicht, um statistisches Material in der Hand zu haben, sondern um den Bedarf an Wein festzustellen. Außer dem Monat und Tag der Kommunionfeier war die Zahl der Kommunikanten festzuhalten, sodann der Bedarf an Wein, der Preis des Maßes, der Betrag im Ganzen und auch noch die Empfangsbescheinigung des "Überreichers". "Der übrige Wein bleibe immerhin dem Meßner".852 Es wurde künftig die Zahl der Kommunikanten auch getrennt nach Männern und Frauen aufgeführt. Dabei ließ sich auch hier wieder grundsätzlich die höhere Beteiligung der Frauen feststellen. Auffallend ist, daß es nahezu zehn Jahre brauchte, bis dieses neue Verfahren sich überall durchgesetzt hatte. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts zumindest war es durchaus noch Sitte, sich beim Pfarrer zum Abendmahlsgottesdienst in der Woche zuvor persönlich anzumelden. Dr. Ehmer schreibt in seiner Flattich-Biografie, daß dieser eine solche Gelegenheit immer dazu benutzt hat, ein seelsorgerliches Gespräch mit dem Teilnehmer zu führen: „Die jungen Leute wurden dabei aus dem Katechismus befragt, und die alten zu einem rechtschaffenen Leben ermahnt“.853 Es war nun üblich, zu dieser Anmeldung ein kleines Geschenk mitzubringen: ein Töpfchen mit Schmalz, eine alte Henne, etwas Mehl, auch Honig oder Zucker, oder gar etwas Kaffee.854 Johannes Nefflen hat in seinem Volksstück „Der Vetter aus Schwaben“ solch eine Anmeldung geschildert.855 Er beschreibt, wie die Pfarrfrau ihren Mann drängt, einmal wieder einen Abendmahlsgottesdienst zu halten, um ihre Speisekammer ein wenig aufzufüllen, und wie der Pfarrer sich sträubt, aus solch einem weltlichen Anlaß eine kirchliche Handlung vorzunehmen. 851 Süskind: Repertorium der evangelischen Kirchengesetze, Bd.1, S. 2. 852 Süskind: Repertorium der evangelischen Kirchengesetze, Bd.1, S. 8. 853 Ehmer: Johann Friedrich Flattich, S. 68; Gottschick: Die Stationen der Abendmahlsunterweisung. BWKG 88 (1988), S. 238 - 272. 854 Nefflen: "Der Vetter aus Schwaben". III. Die Anmeldung im Pfarrhaus, S. 45. 855 Nefflen: "Der Vetter aus Schwaben". III. Die Anmeldung im Pfarrhaus, S. 44. 210 Der Pfarrer wies darauf hin, daß sein Beruf kein Gewerbe sei, das auf zeitlichen und irdischen Gewinn abziele, und er bemerkte, daß er seiner Frau die „gottselige Genügsamkeit“ nicht genug empfehlen könne. Für diese standen aber andere, weltliche Dinge im Vordergrund. Es wurde auch ausführlich geschildert, wie im Dorf beim Anmeldungsbesuch auf die Rangordnung geachtet wurde, wie die mitgebrachten Geschenke begutachtet wurden, wie die Frau des Pfarrers jedes der Mitbringsel loben mußte und sich hinterher über das geizige Gebaren der Pfarrkinder beklagte, und auch darüber, daß die Gaben nicht mehr waren wie früher, als sie noch reichlicher flossen. Auch in der Realität verhielt es sich so. Der Pfarrer von Döttingen bei Langenburg mußte den Rückgang der Geschenke ebenfalls feststellen. Er erwähnte es in seinem Pfarrbericht und bemerkte, die Gaben bei der Anmeldung zum Abendmahl seien „von gar keinem Wert mehr“.856 Der Pfarrer von Altensteig, Matthias Küchel, berichtete 1849: „Die Zahl der Kommunikanten hat nicht abgenommen“. Das Abendmahl wurde in den beiden Berichtsjahren 1847 und 1848 je 10 mal gefeiert. Als Termine für die Feier wurden 1828 aufgeführt: 1. Advent, Christfest, Invocavit, Palmsonntag, Kar- freitag, Ostern, Sonntag nach der Konfirmation, die hier immer am Sonntag vor Georgi gefeiert wurde, außerdem Pfingsten, sowie der Sonntag vor und nach der Ernte. Während noch bis 1860 nur angegeben wurde, wie oft in Altensteig im Jahr Abendmahl gehalten wurde, wurde im Berichtsjahr 1865 auch hier erstmals die Zahl der Kommunikanten bekanntgegeben. Die Zahl der Kommunikanten war bei 2 267 evangelischen Einwohnern 1863 1 282, 1864 1 213. Die Zahl erhöhte sich 1868 wieder auf 1 226 und 1869 auf 1 334, sank aber in den beiden folgenden Jahren wieder auf 1 182 bzw. 1 216 ab. Von diesem Zeitpunkt an war sie ständig im Rückgang: 1875 1 057, 1880 1 073, 1886 1 020, 1890 1 010, 1894 927, 1895 957 1896 944, 1897 933, 1898 980, 1899 973, 1900 951, 1901 898. 856 Pfarrbeschreibung Döttingen, 1828. 211 Erstaunlicherweise war aber auch die Zahl der Einwohner in Altensteig in den Jahren nach 1810 stark zurückgegangen. Damals zählte Altensteig 1 831 Seelen. Das Oberamt war im Zuge der Neueinteilung im neuen Königreich nach Nagold verlegt worden, wo auch die Amts- und Marktgeschäfte abgewickelt wurden. 1865 hatte Altensteig 2 267 evangelische Einwohner, 1905 wieder die Zahl von 2 336 erreicht.857 Vor dem Weltkrieg stieg die Zahl der Abendmahlbesucher wieder leicht an: 1906 360 Männer, 573 Frauen = 933 1907: 379 Männer, 593 Frauen = 972 1908: 489 Männer, 687 Frauen = 1176, 1909: 385 Männer, 559 Frauen = 944 Die Statistik wurde erst nach dem Krieg, 1922, weitergeführt: 1918: 312 Männer, 603 Frauen = 915. 1919: 374 Männer, 607 Frauen = 980, 1920: 365 Männer, 597 Frauen = 962, 1921: 384 Männer, 611 Frauen = 995.858 Es waren also seit 1890 immer weniger als 1 000 Abendmahlsbesucher, mit Ausnahme von 1908. Auch hier, wie bei den Gottesdienstbesuchen, überstieg die Zahl der Frauen immer die der Männer, und auch hier läßt sich, wie wir gesehen haben, feststellen, daß die Zahl der Teilnehmer im Laufe der Jahre, besonders wenn man die ständige Zunahme der Einwohnerzahlen berücksichtigt, laufend abgenommen hat. Betrug die Zahl der Kommunikanten 1863 noch 56%, so sank sie 1898 auf 46% und betrug 1922 nur noch 41,5%. 1826 zählte Altensteig 1 878 evangelische Einwohner, 1922 waren es immerhin 2 394. Der Pfarrer berichtete nach dem Krieg, daß der Gottesdienst- und Abendmahlbesuch seit Kriegsende wieder zugenommen habe und er mit der Teilnahme „leidlich zufrieden“ sein könne. In Balingen können wir eine ähnliche Entwicklung verfolgen. Hier betrug 1841 die Zahl der Kommunikanten: a (1838) 1 660, b (1839) 1 718, c. (1840 1 573.859 „Sie hat, im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren, etwas abgenommen“ vermerkte der Pfarrer. Dieselben Worte fanden sich auch im Pfarrbericht von 1844 wieder. 857 Holzmann: Die Gliederung der Oberämter im Königreich Württemberg; Kühbauch: Aus der Geschichte Altensteigs, S. 152. 858 Pfarrbericht Altensteig, 1922. 859 Pfarrbericht Balingen, 1841. 212 1844 war die aufgeführte Zahl der Abendmahlsbesucher: a. 1841 1 514, b. 1842 1 631, c. 1843 1 558. Auch in den Fünfzigerjahren des 19. Jahrhunderts fiel der Kommentar ähnlich aus: „Die Zahl der Kommunikanten in den beiden vorangegangenen Jahren 1850 und 1851 betrug mit 1 589 und 1 247 (bei 3 419 evangelischen Einwohnern in der Gemeinde) besonders im letzten Jahr deutlich weniger, als in den voran- gegangenen Berichtszeiträumen“. Dieser Trend setzte sich in Balingen auch in den folgenden Jahren fort: 1856 1 287, = 37,6% 1857 1 322, 1858 1 343, 1859 1 215, 1860 1 301, 1861 1 262, 1862 1 336, 1863 1 249, 1864 1 209. 1871 3 057 Ev. 1 122, = 36,7%. 1880 3 080 Ev. 1 063, = 34,5%. In dieser Zeit wurden erstmals Prozentangaben gemacht, wobei berücksichtigt werden muß, daß die Zahl der Kommunikanten im allgemeinen in Beziehung zu der Gesamtzahl der evangelischen Ortsangehörigen gesetzt wurde, die noch nicht konfirmierten und noch nicht abendmahlsberechtigten Kinder also in diesen Zahlen enthalten sind. Im letzten Pfarrbericht von Balingen sind 1922 folgende Angaben zu lesen: 1916 14 Abendmahlsgottesdienste, 470 Männer, 831 Frauen = 1 301, 1917 12 Abendmahlsgottesdienste, 334 Männer, 833 Frauen = 1 167, 1918 11 Abendmahlsgottesdienste, 356 Männer, 876 Frauen = 1 232, 1919 10 Abendmahlsgottesdienste, 429 Männer, 867 Frauen = 1 296, 1920 12 Abendmahlsgottesdienste, 422 Männer, 948 Frauen = 1 370, 1921 12 Abendmahlsgottesdienste, 497 Männer, 991 Frauen = 1 494.860 Das war im letzten Jahr, 1921, wenn man eine Zahl von 3 436 evangelischen Gemeindegliedern zugrunde legt, ein Prozentsatz von 43,48 %. Die Zahl der Beteiligten lag also höher, als vor dem Kriege. Und der Pfarrer berichtet, daß allein beim Abendmahlsgottesdienst am Gründonnerstagabend 1921 zu seiner Freude 400 Besucher gezählt worden seien. 860 Pfarrbericht Balingen, 1922. 213 In Biberach liegen erste Zahlen über den Besuch des Abendmahls bereits für die Jahre ab 1840 vor. Einwohner Kommunikanten Prozent 1840 2 989 1528 50.78% 1841 2 885 1 561 54,10% 1842 2 985 1 585 53,10% 1843 3 023 1 611 53,29% 1844 3 037 1 355 44,62% 1845 3 056 1 394 45,61% 1846 3 067 1 273 41,51% 1847 2 898 1 241 42,82% 1848 2 910 1 248 42,88% 1849 2 937 1 204 40,88% 1850 2 967 1 238 41,72% 1851 2 980 1 470 49,33% 1852 2 967 1 302 43,88% Es ist nun eigentümlich, daß im Zusammenhang mit dem zurückgehenden Abendmahlsbesuch keine Untersuchungen stattgefunden haben, die dazu beigetragen hätten, das Absinken der Teilnahme zu erklären. Alle Pfarrer beschränkten sich darauf, anzumerken, die Teilnahme habe im Vergleich zum letzten Berichtszeitraum zu- oder abgenommen. In Rottenburg hieß es hierzu 1850 im Gegensatz zum allgemeinen Trend: „Die Teilnahme am heiligen Abendmahl scheint zuzunehmen“.861 Wenn man diese Zahlen mit einer Stuttgarter Gemeinde vergleicht, so fällt auf, daß dort die Besucherzahlen bereits vor dem Weltkrieg wesentlich niedriger lagen. In Zuffenhausen beispielsweise zählte man 1902 nur noch 22% Abendmahls- teilnehmer, also bereits zu diesem Zeitpunkt gerade noch die Hälfte von Balingen. In Weil im Dorf war die Beteiligung 1905 ungefähr 21%, an der Stiftskirche in Stuttgart 1906 ebenfalls nur noch 22%. Die Zahlen in den einzelnen Gemeinden schwanken sehr. Aber das gilt auch schon für den Anfang unserer Betrachtung. Wurden in Parochien mit einer auffallend hohen Beteiligung, wie in Eßlingen 1840 112% gezählt, in Langenburg 1847 110%, in Simmersfeld 109%, so lag die Teilnahme in Hall 1861, als hier zum erstenmal Zahlen genannt wurden, bei nur 28%. Grundsätzlich war die Zahl der Besucher in den kleineren Gemeinden, und hier wieder besonders auf dem flachen Land, im allgemeinen höher als in den Städten. 861 Pfarrbericht Rottenburg, 1850. 214 Auch der Dekan von Hall, von 1882 bis 1891 Oskar Achilles Gustav Schwarzkopf862, hatte zu dem geringen Abendmahlsbesuch in seinem Pfarrbericht nichts zu sagen: „Die Kirchlichkeit, in reichsstädtischen Zeiten zum guten Ton gehörend, hat später abgenommen, ist aber jetzt wieder im Steigen. Die Zahl der Kommunikanten bleibt sich gleich“. Die Einschätzung seiner Gläubigen war in all den Jahren ebenfalls unverändert negativ. Auf der einen Seite wurde „die Höflichkeit und Abgeschliffenheit der Sitten“ gelobt. „Aber sittlicher Ernst, Berufstreue, Gewerbstätigkeit, Fleiß mit Ausdauer sind Vorzüge, die in den meisten Städten des Landes eher zu finden sind, als in Hall. Das Wirtshausleben spielte eine große Rolle". Die Siedensrente, die reichliche Armenunterstützung, die Aussichten auf die Wohltaten des Hospitals und des Armenhauses führten zu einem sorglosen, gemächlichen Leben. "Leben und leben lassen" war die Maxime der meisten Haller. Bei der unteren Volksklasse registrierte der Pfarrer Arbeitsscheu, Üppigkeit, Schwelgerei und Wollust. Aber auch der "Bürger mittleren Schlags", obgleich nicht der Völlerei ergeben, machte größeren Aufwand, als er sollte. "Täglich einmal Besuch im Wirtshaus, macht bälder Feierabend, geht von einer Gesellschaft zur anderen“. Schon 1846 wurde hier auch der Kleiderluxus beanstandet: „Beim weiblichen Geschlecht nimmt die Kleiderpracht zu. Sparsamkeit und vernünftige Haushaltung sind seltene Tugenden“.863 Ähnlich war die Beurteilung auch noch 1879. Immer noch spielte das Wirtshausleben eine große Rolle. Immer noch wurden die armen Leute von den Wohltaten des Spitals angezogen, das außer einem Waldbesitz von 6 000 Morgen und Gütern von 250 Morgen auch noch einen Geldgrundstock von 717 000 Mark aufzuweisen hatte.864 „Die Haller leben zu einem großen Teil, allerdings mit sehr rühmlichen Ausnahmen, in einem geldverbrauchenden, genußsüchtigen Schlendrian dahin“. Man hätte erwarten können, daß der Dekan von Schwäbisch Hall zu dem äußerst niederen Abendmahlsbesuch der Haller Bevölkerung, der in den Jahren 1886 oder 1889 nur noch ungefähr 20% betrug, Stellung beziehen würde, nachdem er in seinem vorigen Dekanat in Langenburg, wo er von 1872 bis 1882 tätig war, eine Beteiligung von über 80% erlebt hatte. Er begnügte sich aber damit, die fränkische Lebensart hervorzuheben, die er im Gegensatz zu seiner ersten Stelle in Schorndorf (1868 - 1871) als etwas Neues erlebt hatte, und darauf hinzuweisen, daß auch die positiven Eigenschaften, „die Freundlichkeit, Höflichkeit und Gefälligkeit des äußeren Benehmens“ in Hall nicht so markant hervortraten, wie in Langenburg, und daß „hier die Schattenseiten noch kräftiger entwickelt“ waren: „Wohl ist, und das soll rühmend hervorgehoben werden, noch Anhänglichkeit an die Kirche vorhanden, wohl sind die Gottesdienste meist recht wohl besucht. Aber es gibt doch auch eine ziemlich große Anzahl von Männern, welche der Kirche ganz den Rücken gekehrt haben, entweder angefressen vom Gift der Sozial- demokratie oder hochmuttrunken vom Taumelkelch des Freimaurertums (es ist eine Loge hier), oder ganz versunken in materielle Genüsse und Interessen. 862 Oskar Achilles Gustav Schwarzkopf (18.11.1838 - 30.5.1903), Sigel Nr. 19,36. 863 Pfarrbericht Hall, 1846. 864 Pfarrbericht Hall, 1879. 215 Wohl wird den Geistlichen mit Ehrerbietung begegnet, aber wenn man sie auch gerne mit „Herr Beichtvater“ anredet, so fehlt es doch sehr an bußfertigen Seelen, die, angefochten von ihren Sünden, wirklich etwas zu beichten haben. Kommen sie zum Seelsorger, und der einzelne wird oft sehr überlaufen, so ist es fast immer die irdische Not, die sie treibt. Wohl findet sich im allgemeinen ein höfliches, manierliches Benehmen, das einem wohltut, und das auch nicht zu verachten ist, aber schon vor 40 Jahren hat Dekan Eytel im Pfarrbericht sich zu der Bemerkung veranlaßt gesehen, daß „diese Höflichkeit der Sitte sich mehr und mehr als ein oberflächlicher Firnis herausstelle“, und „daß es am sittlichen Kern und Mark“ fehle. Das Proletariat ist hier in bedenklicher Zunahme begriffen. Dasselbe wird großgezogen: 1. durch das Vertrauen auf den reichen Spital, dessen geschätzte 4 Millionen Mark eine ausgiebige Unterstützung ermöglichen, Unterstützung, auf welche von vielen als auf ein Recht, eine Art Pension mit Antritt eines gewissen Lebensalters Anspruch gemacht wird. 2. durch die mühelos ererbte Siedersrente, welche bis zur Gesamtsumme von ungefähr 30 000 Mark jährlich an Erbberechtigte vom Staat ausbezahlt und rasch verbraucht wird." "Die Sonntagsfeier hat, wie überall, große Mängel." Die Läden waren sonntags geöffnet, die Stadtbevölkerung zog stark dem Vergnügen nach, die Landbevölkerung strömte in die Stadt, nicht bloß, was immerhin geschah, um die Gottesdienste zu besuchen, hauptsächlich aber, um in Kaufläden und Wirtshäuser einzukehren.865 Es wurde hier breit auf die allgemeine Lage der Kirche eingegangen, es wurden auch die sozialen Probleme, allerdings aus der Sicht des Pfarrers, angesprochen, aber der ungenügende und zurückgehende Abendmahlsbesuch wurde mit keinem Wort erwähnt. Auch der Prälat hat nicht für nötig gefunden, hierzu eine Anmerkung zu machen. Das Problem wurde einfach übergangen. Leonberg wies in seinen Pfarrbeschreibungen insofern eine Besonderheit auf, als hier den Angaben zum Abendmahlsbesuch kurze Erläuterungen beigefügt sind. Die ersten Zahlenangaben haben wir im Pfarrbericht des Jahres 1856 für das Berichtsjahr 1853. 1. Stadtpfarrer und Dekan war damals Gustav Ferdinand Haug866, der bereits seit dem Jahre 1843 in Leonberg tätig war. Pfarrbericht 1856: Einwohner 2 347 Kommunikanten 1853 1 258 1854 1 215 1855 1 077 865 Pfarrbericht Hall, 1886. 866 Gustav Ferdinand Haug (17.9.1807 - 1.2.1864), Dekan in Leonberg 1843 - 1864, Sigel Nr. 650,34. 216 „Welche Minderzahl besonders von dem kalten Winter 1855 herkam, auch wohl daher, daß ziemliche Personen auswanderten und die Bevölkerung um mehrere hundert abgenommen hat. Übrigens nimmt die Sitte, jährlich zweimal zum heiligen Abendmahl zu gehen, immer mehr ab. Jüngere Leute und verkommene Subjekte kommen gar nicht. Das öffentliche Urteil, dem früher die Ersteren anheimgefallen wären, ist schon lange abhanden gekommen, und dem Grundsatz „der Bildung und Aufklärung“ gewichen. Man glaubt gar nicht, oder will es nicht wissen, wie demoralisierend das schlechte Beispiel der Höheren wirkt“.867 Pfarrbericht 1859 Kommunikanten Einwohner 2 368 1856 1 103 1857 1 153 1858 1 092 „was gegen frühere Zeiten, noch zu Anfang dieses Jahrhunderts, ein Rückgang ist. Die Sitte, jährlich zweimal zu kommunizieren, nimmt immer mehr ab. Jüngere Leute pflegen nicht zu gehen, ebensowenig verkommene Subjekte“. Pfarrbericht 1862 Einwohner 2 345 1859 1 115 1860 1 210 1861 1 134 Pfarrbericht 1865 Einwohner 2 432 1862 1 087 1863 1 205 1864 1 249 Pfarrbericht 1870 Einwohner 2 380 1865 1 169 1866 1 130 1867 1 059 1868 1 074 1869 1 138 Zu diesem Pfarrbericht merkte der Dekan Eduard Reinhold Lamparter868 an:„In den gemischten Ehen herrscht evangelische Kindererziehung. Der katholische Teil solcher gemischten Ehen hat schon öfter den Wunsch ausgesprochen, mit dem evangelischen Ehegatten zum heiligen Abendmahl zugelassen zu werden, wurde aber seit 4 Jahren auf eine von der Königlichen General-Superintendenz gegebenen Entscheidung abgewiesen". Die Katholiken besuchten, wie der Pfarrer schrieb, die evangelische Ortskirche fleißig. Ein Konfessionswechsel hatte in den letzten 3 Jahren nicht stattgefunden. 867 Pfarrbericht Leonberg 1856. 868 Eduard Reinhold Lamparter (12.1.1824 - 10.1.1903), Sigel Nr. 650,36. 217 Bereits in einem Konsistorialerlaß vom 27. August 1841 war festgelegt worden: "Die Teilnahme am Abendmahl steht nur Mitgliedern der evangelischen Landes- kirche zu, die Teilnahme solcher, die einer anderen Kirchengemeinschaft angehören oder den Übertritt zur evangelischen Kirche noch nicht vollzogen haben, kann nicht gutgeheißen werden". Pfarrbericht 1873 Einwohner 2 051 1870 1 256 1871 1 102 1872 1 127 Pfarrbericht 1877 Einwohner 2 214 1873 1 004 Privatkommunionen 22 1 026 1874 1 104 Privatkommunionen 52 1 156 1875 1 068 Privatkommunionen 41 1 109 1876 1 149 Privatkommunionen 55 2 204 Pfarrbericht 1880 Einwohner 2 214 1877 1 199 Privatkommunionen 53 1 252 1878 1 131 Privatkommunionen 51 1192 1879 1 070 Privatkommunionen. 39 1109 Pfarrbericht 1883 Einwohner 2 196 1880 1 334 1881 1 169 = 56% 1882 1 196 "Etwas mehr als in den Vorjahren“ Pfarrbericht 1886 Einwohner 2 190 1883 1 226 1884 1 288 = 52% 1885 911 „Der Stadtpfarrer war öfters krank, dann 4 Monate ganz dienstuntüchtig. Daher weniger Kommunionen und auffallend viel weniger Kommunikanten“. 218 Pfarrbericht 1889 Einwohner 2 190 1886 1 188 1887 1 253 = 53% 1888 1 033 „Vorige Periode 52%. Der Abgang des Diakons 1888, der mindestens 2/3 der Gemeinde zu Beichtkindern hatte, mag geschadet haben“. Pfarrbericht 1892 Einwohner 2 400 1889 1 160 1890 1 060 = 46% 1891 1 067 Pfarrbericht 1895 Einwohner 2 400 1892 1 025 1893 948 42,23% 1894 1 034 Pfarrbericht 1901 Einwohner 2 388 1895 900 1896 947 1897 1 000 41,84% 1898 1 094 Privat-Kommunikanten 1899 990 Privat-Kommunikanten 1900 1 064 „1889 bis 1891 waren es 46%. Jetzt 41,84%. Es ist also gegen früher eine Abnahme zu konstatieren“. Pfarrbericht 1907 Einwohner 2 480 1901 914 1902 961 1903 1 006 1904 994 1905 925 1906 1 000 38,97% Privatkommunionen 870. Pfarrbericht 1913 Einwohner 2 740 1907 956 1908 927 219 1909 794 1910 896 1911 913 1912 815 32,24% Privatkommunionen 968. Auch in Leonberg läßt sich also eine ständige Abnahme des Abendmahlsbesuches feststellen, wie auch sonst in der ganz überwiegenden Zahl der Gemeinden des Landes. Parochien, in denen in diesem Zeitraum keine Abnahme zu verzeichnen war, oder sogar eine Zunahme stattgefunden hat, wie etwa in Biberach von 64% auf 68%, Ravensburg von 56% auf 70%, Freudenstadt von 29,2% auf 39,2%, sind die absolute Ausnahme. An der Spitze lagen Langenburg mit 82%, Crailsheim mit 85%, Blaufelden mit 100% und Weikersheim mit 103%, also Städte im Fränkischen, zu denen auch noch Künzelsau mit 71% und Öhringen mit 50% gehörten.869 In Schorndorf liegen uns die Zahlen bereits seit 1837 vor: 1837 Einwohner 3 811 Kommunikanten 2 538 66,6% 1838 Einwohner 3 816 Kommunikanten 2 368 1839 Einwohner 3 825 Kommunikanten 2 580 1845 Einwohner 3 901 Kommunikanten 2 030 52,0% 1848 Einwohner 3 947 Kommunikanten 2 230 1853 Einwohner 3 965 Kommunikanten 2 600 1857 Einwohner 3 871 Kommunikanten 2 254 1860 Einwohner 3 860 Kommunikanten 2 562 66,4% 1863 Einwohner 3 741 Kommunikanten 2 510 1867 Einwohner 3 870 Kommunikanten 2 226 1869 Einwohner 3 869 Kommunikanten 2 294 1872 Einwohner 3 971 Kommunikanten 2 327 58,6% 869 Wurster: Das kirchliche Leben der ev.Landeskirche, S. 111. 220 1875 Einwohner 3 980 Kommunikanten 1 973 1881 Einwohner 4 047 Kommunikanten 2 207 1884 Einwohner 4 042 Kommunikanten 2 117 1887 Einwohner 4 272 Kommunikanten 2 337 54,7% 1890 Einwohner 4 272 Kommunikanten 2 225 52,1% 1893 Einwohner 4 549 Kommunikanten 2 180 47,9% 1905 Einwohner 5 467 Kommunikanten 2 574 47,1% 1910 Einwohner 6 233 Kommunikanten 2 815 45,2% 1917 Einwohner 6 233 Kommunikanten 2 391 38,4% 1922 Einwohner 6 233 Kommunikanten 2 872 46,1% In Simmersfeld lobte der Dekan in seinen Anmerkungen zum Bericht von 1918 den Abendmahlsbesuch in der Gemeinde: „Die Beteiligung am Heiligen Abendmahl ist sehr erfreulich: 83,5%. Der Durchschnitt im Bezirk ist 57,06%. In der Beteiligung am Heiligen Abendmahl nimmt Simmersfeld den 4. Platz unter den 32 Kirchengemeinden des Bezirks ein“. Um die Entwicklung über einen längeren Zeitraum hinweg überblicken zu können, sollen nun die Prozentzahlen der einzelnen untersuchten Gemeinden aufgelistet und zusammengefaßt werden: Ort Jahr % Jahr % Altensteig 1864 57,91 1909 40,40 Balingen 1852 46,48 1909 40,61 Biberach 1846 44,34 1909 48,54 Blaubeuren 1863 54,68 1908 44,40 Böblingen 1860 64,00 1910 27,00 Eßlingen 1840 112,00 1907 22,06 Freudenstadt 1856 37,40 1905 44,70 Geislingen 1853 56,51 1905 31,79 Gmünd 1864 63,74 1906 41,12 Hall 1861 28,30 1904 23,02 Heidenheim 1852 51,53 1905 27,88 Herrenberg 1846 58,39 1902 35,13 Holzgerlingen 1843 58,16 1909 29,74 Isny 1862 63,86 1909 82,43 221 Kuchen 1879 68,41 1907 49,97 Langenburg 1847 110,53 1910 42,06 Leonberg 1853 53,60 1907 40,32 Leutkirch 1858 65,18 1911 71,40 Nagold 1840 65,18 1904 50,14 Öhringen 1856 55,40 1910 34,40 Ravensburg 1876 68,16 1913 25,34 Rottenburg 1861 80,36 1907 39,57 Schorndorf 1837 66,60 1901 40,49 Simmersfeld 1857 109,25 1918 84,47 Stiftskirche Stgt. 1820 50,93 1906 22,06 Tübingen 1842 38,58 1904 25.78 Tuttlingen 1856 48,86 1904 40,92 Vaihingen/Filder 1854 71,11 1905 22,12 Weil im Dorf 1860 73,52 1921 21,17 Weinsberg 1854 58,98 1905 32,94 Zuffenhausen 1883 52,61 1902 21,60 Durchschnitt: 1850 62,4% 1910 38,8% In der Zeit von ungefähr 1850 bis vor dem Weltkrieg hat also der Abendmahlsbesuch durchschnittlich von 62 auf 38% abgenommen. Außer kurzen Anmerkungen, vor allem in den Pfarrberichten von Balingen oder Leonberg, ist keine Stellungnahme hierzu zu finden. Die Abnahme wurde aber allgemein registriert.870 Nun wurde im Evangelischen Kirchen- und Schulblatt für Württemberg aus dem Jahre 1890 eine Stellungnahme zum abnehmenden Interesse an Kirchensachen im allgemeinen und am Abendmahlsbesuch im besonderen veröffentlicht. Dort hieß es im Zusammenhang mit der Besprechnung eines Buches über die Wittenberger Concordie von J. E. Völter: „Die Einheit des Glaubens und Bekenntnisses war damals volle Wirklichkeit und Wahrheit, jetzt bloß noch ein toter Buchstabe auf dem Papier, auf dem noch das Bekenntnis als „unantastbar“ zu Recht besteht, in Wahrheit aber unter den Dienern und Gliedern der Kirche die größte Uneinigkeit in der Lehre, und zum Teil eben die Irrtümer, welche damals erkannt und verworfen wurden, herrschend; dagegen Vereinigungen aller Art in der „Liebe“ auf Kosten der Wahrheit und des Glaubens. Dort Ernst für die Reinheit der Lehre, hier Gleichgültigkeit, ja Geringschätzung derselben. Und erst in Sachen des Heiligen Abendmahls! Das lutherische Kleinod des wahren Leibes und Blutes Christi in unserer Kirche von vielen offen und ungescheut aufgegeben, ja weit und breit nicht einmal mehr Sinn und Verständnis 870 Kolb: Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche, S. 197. 222 dafür vorhanden. Kurz: dort die Kirche nach Epheser 4: ein Leib, ein Glaube, eine Taufe, ein Abendmahl, hier Zwiespalt und Abfall vom Bekenntnis“.871 Erste Zahlen der evangelischen Kommunikanten für Württemberg haben wir für das Jahr 1859. Die Zahl wird für dieses Jahr mit 839 918 angegeben, was einem Anteil von 70,60% entspricht. Zum Vergleich wurde der Prozentsatz anderer deutscher Länder angeführt: Baden 68%, Bayern 76%, Braunschweig 41%, Frankfurt 18%, Hannover 63%, Holstein 29%, Nassau 59%, Oldenburg 35%, Preußen 52%, Sachsen 72%. Für das Jahr 1881 betrug die Zahl der Kommunikanten 731 464, was einen Prozentsatz von 53,12 bedeutete. Die Abnahme wurde darauf zurückgeführt, daß die einzelnen Personen nicht mehr mehrere Male im Jahr zur Kommunion gingen. Auch das „Umsichgreifen des Methodismus im Land“ wurde als Ursache gesehen.872 Es ergibt sich nun die Möglichkeit, diese Zahlen der ausgesuchten Orte mit einer Statistik zu vergleichen, die seit 1880 für Württemberg geführt wurde. Erfaßt wurden die Zahlen gemäß einem Konsistorial-Erlaß an sämtliche Dekanate und Pfarrämter vom 25. Oktober 1880, „betreffend die Sammlung von Notizen zu einer kirchlichen Statistik des evangelischen Deutschland“.873 Veröffentlicht wurden die Daten im „Amtsblatt des württembergischen evangelischen Konsistoriums und der Synode in Kirchen- und Schulsachen“.874 Erfaßt wurde in dieser Statistik 1. die geborenen und getauften Kinder evangelischer Eltern, 2. die geschlossenen, verschmähten oder nicht begehrten Ehen von Evangelischen, 3. die gestorbenen und kirchlich beerdigten Gemeindeglieder, 4. die Konfirmierten, gesondert aufgeführt aus gemischten Ehen, 5. die Gesamtzahl der Kommunikanten, 6. Übertritte zur evangelischen Kirche von Katholiken, Dissidenten, Israeliten; Austritte zur katholischen Kirche, zu Dissidenten, zu Israeliten. 7. die Gesamtsumme der kirchlichen Kollekten, 8. die Wähler bei der Wahl zu kirchlichen Gemeindeorganen, 9. kirchliche Bauten. Nachstehend die „Bekanntmachungen des evangelischen Konsistoriums betr. das Ergebnis der Sammlung statistischer Notizen aus der evangelischen Landes- kirche“: 875 871 Evangelisches Kirchen- und Schulblatt für Württemberg, 51.Bd., 51.Jg., Nr. 2, 11.Januar 1890. 872 Das Königreich Württemberg, II., S. 227. 873 Amtsblatt des württembergischen evangelischen Konsistoriums, Nr. 15974 vom 25.10.1880. 874 Bd. I - XII, 1855 - 1908. 223 Jahr Gesamtbev. Männer Frauen Insges. % 1880, 766 236 55,38% 1881,. 731 464 53,72% 1882, 728 504 53,50% 1883, 730 664 53,66% 1884, 712 856 52,35% 1885, 1 378 056 735 094 53,34% 1886, 1 378 056 737 909 53,55% 1887, 1 378 056 751 058 54,50% 1888, 1 378 056 306 938 417 475 724 413 52,56% 1889, 1 407 426 302 813 413 464 716 277 50,89% 1890, 1 406 648 312 519 432 575 745 094 52,96% 1891, 1 406 648 315 033 428 472 743 505 52,85% 1892, 1 406 648 313 436 403 891 716 327 50,92% 1893, 1 406 648 310 507 428 517 739 024 52,54% 1895, 1 406 648 307 002 421 062 751 466 53,52% 1896, 1 406 648 300 830 417 759 718 589 51,00% 1897, 1 440 240 306 703 428 171. 734 874 51,00% 1898, 1 440 240 302 929 424 736 727 665 50,52% 1899, 1 440 240 304 724 425 732 730 456 50,71% 1900, 1 497 299 296 227 420 862. 717 089 50,24% 1901, 1 497 299 298 576 417 923 716 499 47,85% 1902, 1 497 299 299 634 416 895 716 529 47,85% 1903, 1 499 299 317 033 421 278. 738 311 49,30% 1904, 1 497 299 296 217 417 778. 713 995 47,68% Privatkommunionen 28 035 1905, 1 497 299 297 701 418 863. 716 561 47,85% Privatkommunionen 28 959.876 Die Statistik für das Jahr 1906 ist nach Generalaten und Dekanaten aufgegliedert: Generalat Ludwigsburg Dekanat Stuttgart Stadt 44 104 27% Dekanat Böblingen 11 625 43% Dekanat Cannstatt 15 588 26% Dekanat Eßlingen 13 980 32% Dekanat Leonberg 12 533 42% Dekanat Ludwigsburg 15 586 28% Dekanat Stuttgart Amt 14 284 29% Dekanat Waiblingen 9 747 35% Zusammen 137 447 30% 875 Amtsblatt Nr. 358, vom 27.1.1882. 876 Konsistorialerlaß 25.10.1880. 224 Generalat Heilbronn Backnang 9 481 33% Besigheim 11 988 42% Brackenheim 12 585 58% Heilbronn 17 722 31% Knittlingen 7 980 33% Marbach 11 401 44% Neuenstadt 8 089 50% Vaihingen 7 938 39% Weinsberg 9 391 40% Zusammen 96 573 39% Generalat Reutlingen Balingen 14 079 39% Nürtingen 12 684 45% Reutlingen 14 889 31% Sulz 16 863 53% Tuttlingen 13 482 40% Urach 17 684 53% Zusammen 89 681 43% Generalat Tübingen Calw 15 375 59% Freudenstadt 20 495 60% Herrenberg 10 936 49% Nagold 14 469 57% Neuenbürg 13 828 48% Tübingen 19 449 38% Zusammen 94 552 50% Generalat Hall Aalen 16 175 56 Blaufelden 14 179 98 Crailsheim 19 702 86 Gaildorf 11 982 58 Hall 15 219 60 Heidenheim 17 926 46 Künzelsau 11 543 71 Langenburg 10 156 86 Öhringen 12 905 50 Schorndorf 11 994 44 Weikersheim 17 143 102 Welzheim 8 917 42 Zusammen 168 546 62% 225 Generalat Ulm Biberach 7 737 68% Blaubeuren 11 569 70% Geislingen 11 590 54% Göppingen 15 518 33% Kirchheim 12 868 43% Münsingen 11 919 73% Ravensburg 9 510 75% Ulm 25 093 52% Zusammen 105 604 52% Ganze Evangelische Landeskirche 692 403 44% Auch in der gesamten Landeskirche hat also in der Zeit von 1880 bis 1906 der Abendmahlsbesuch von 55% auf 44% abgenommen.877 Hier wird nun im Amtsblatt des Konsistoriums des Jahres 1908 auch Stellung zu der abnehmenden Höhe des Besuches genommen:878 „Für alle Gemeinden wurde die jährliche Durchschnittszahl der Abendmahlsgäste nach den Angaben der statistischen Tabellen berechnet und mit der Seelenzahl jeder Gemeinde nach der Zählung von 1900 so in Beziehung gesetzt, daß festgestellt wurde, wie viele Abendmahlsgäste auf 100 Evangelische kommen.“ Es wurden Tabellen erstellt, die den unterschiedlichen Besuch in den einzelnen Gemeinden, den Dekanaten und Generalaten aufschlüsselten. „Eine Untersuchung der Ergebnisse hinsichtlich des Abendmahlsbesuchs zeigt einen durchgehenden Unterschied unter den Größenklassen der Gemeinden. Die Prozentzahl ist fast ausnahmslos für jedes Dekanat, für jede Gemeinde und für die ganze Landeskirche in Klasse I (der Klasse der kleinsten Gemeinden) am höchsten; sie ist in Klasse II kleiner als in Klasse I, in Klasse III kleiner als in Klasse II und am kleinsten in Klasse IV. Dabei mögen verschiedene Ursachen zusammenwirken: in kleinen Gemeinden hat die kirchliche Sitte naturgemäß einen festeren Halt als in größeren, namentlich als in den schnell wachsenden Industriegemeinden. Die Versorgung der Gemeinden mit Geistlichen ist, wie die Tabelle zeigt, ebenfalls in Klasse I die intensivste und nimmt in jeder der folgenden Klassen an Intensität ab. Aber auch die geschlossenen Diözesen fügen sich nach der größeren oder kleineren Stärke des Abendmahlsbesuches in gleichartigen Gruppen zusammen. Die erste Gruppe mit den niedersten Prozentsätzen von 30-40% bildet geographisch das Herz des Landes. Es sind die Diözesen mit den größeren Städten, mit den Hauptsitzen der Industrie. 877 Wurster: Das kirchliche Leben der ev.Landeskirche, S. 109. 878 Hauptregister zum Amtsblatt des Württembergischen Evangelischen Konsistoriums und der Synode in Kirchen- und Schulsachen, Bd. I - XII, 1855 - 1908 Stuttgart, 1908. 226 Die zweite Gruppe mit den Diözesen von 50-69% legt sich im Osten und Westen um die erste her; sie ist im allgemeinen durch eine Mischung von industrieller und landwirtschaftlicher Bevölkerung charakterisiert. Zur dritten Gruppe mit einem Prozentsatz von 70-106% gehören die Diözesen im Nordosten und Südosten des Landes; Diözesen mit vielen kleinen Gemeinden, mit ganz überwiegend landwirtschaftlicher Bevölkerung; den höchsten Prozentsatz darunter zeigen vier fränkische Diözesen, bei denen neben den oben genannten Eigentümlichkeiten auch noch der fränkische Stammescharakter, das Wertlegen auf kirchliche Sitte, in die Waagschale fällt“. „Eine Vergleichung der württembergischen Landeskirche mit anderen deutschen Landeskirchen ergibt nach den „Statistischen Mitteilungen vom Jahre 1905“ daß Württemberg unter den 43 landeskirchlichen Körpern die hier in der Abendmahlsstatistik aufgezählt sind, die elfte Stelle einnimmt mit 47,80%. Die Zahlen steigen von 8% - Hamburg - bis 90% - Schaumburg-Lippe. Preußen hat 37,10%, Bayern rechts des Rheins 64,21%, die Pfalz 53,35%, Baden 50,90%, das Königreich Sachsen 42,87%“. Es wurde auch darauf hingewiesen, daß das Bild noch weit ungünstiger wäre, wenn nicht einzelne Gemeinden, und zwar nicht nur bloß Dorfgemeinden, seit Jahren und Jahrzehnten auf demselben Stand geblieben wären. Hierzu gehören Städte wie Balingen, Tuttlingen und auch Reutlingen. Dies bedeutete, daß einzelne Gemeinden überdurchschnittlich in der Besucherzahl abgesunken sein müssen. So hat im Bezirk Blaubeuren von 1900 bis 1910 die Teilnahme am Abendmahl von 77% auf 63% abgenommen, im Bezirk Geislingen von 70% auf nur noch 53%. Die schlechteste Zahl erhielt Stuttgart mit 26% im Jahre 1910, gefolgt von Cannstatt und Ludwigsburg". Es ist also auch hier zu sehen, daß ein grundlegender Wandel stattgefunden hat, wobei sich zeigt, daß die Größe der Gemeinden Einfluß sowohl auf den Kirchen- als auch auf den Abendmahlsbesuch hatte. Besonders in den größeren Städten mit den neuen Industrieansiedlungen nahm der Besuch des Abendmahls dramatisch ab, während die kleinen Gemeinden mit ländlicher Bevölkerung noch am ehesten an der alten Sitte festhielten. Gewiß dürfte die geänderte Gewohnheit, nicht mehr, wie früher, mehrere Male im Jahr zum Abendmahl zu gehen, auch eine gewisse Rolle gespielt haben. Ganz allgemein hat aber das Interesse an kirchlichen Belangen gegenüber dem Beginn des Untersuchungszeitraumes merklich nachgelassen, und andere, nichtkirchliche Gegebenheiten, sind in den Vordergrund getreten; auch hatte sich die Gesellschaft als solche grundlegend gewandelt. 227 Der Pfarrer von Altensteig suchte für den zurückgehenden Abendmahlsbesuch im Bericht von 1910 die Gründe in folgenden Ursachen: "Das ausgebildete Vereinswesen, die Vergnügungssucht, aber auch das Erholungsbedürfnis der abgeschafften Geschäftsleute, bei manchen Männern auch das Fehlen des religiösen Sinnes".879 Es wurden hier also doch auch schon die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen gesehen. "Die Turner und Fußballsportler halten sich immer mehr von den kirchlichen Gottesdiensten fern".880 Selbstverständlich wurde andererseits am Ende des 19. Jahrhunderts beispiels- weise auch wieder die Opferbereitschaft für die Mission als positives Merkmal der Christlichkeit herangezogen. Der Pfarrer von Böblingen listete 1905 auf, an welchen Festen über das Jahr verteilt für welchen Zweck gespendet wurde: am Adventsfest für den Gustav- Adolf-Verein, am Christfest für den Karls-(Kinderrettungs-)verein, am Landes- bußtag für die kirchliche Freibettstiftung von Böblingen, in der Erntebetstunde für Wettergeschädigte, am Reformationsfest für die Württembergische Bibelanstalt.881 In Öhringen lautete 1906 die Spendenliste: an Advent für den Gustav-Adolf- Verein, an Weihnachten für die Heizung und an Sylvester für die Beleuchtung der Stiftskirche, an Neujahr für die Rettungsanstalt Lichtenstern und die Wernersche Kinderheilanstalt in Ludwigsburg, am Erscheinungsfest für die Heidenmission, an Ostern für das Haller Diakonissen-haus, an Himmelfahrt für die Evangelische Bewegung in Österreich, an Pfingsten für ausländische bedürftige Kirchen- gemeinden, am Landesbußtag für den Bezirkskinderrettungsverein, an der Konfirmation für das hiesige evangelische Vereinshaus und das Martinshaus in Altshausen, an Königs Geburtstag für die Kronprinzenstiftung zu Lehrgeld- beiträgen für arme Lehrlinge. 882 Es wurde auch vermerkt, daß die Geistlichen sich nie vergeblich an die Opferwilligkeit der Gemeinde gewandt haben. Für die Jahre 1913 - 1916 gab der Pfarrer der Leonhardskirche sogar die Höhe des jährlichen Kirchenopfers an: Kirchenopfer: 1913 8 395 1914 11 010 1915 11 751 1916 9 243 879 Pfarrbericht Altensteig, 1910. 880 Pfarrbericht Blaubeuren, 1922. 881 Pfarrbericht Böblingen, 1905. 882 Pfarrbericht Öhringen, 1906. 228 Der Pfarrer erwähnte auch hier die "erfreuliche Opferwilligkeit der Gemeinde". Er erwähnte in diesem Zusammenhang aber auch, daß die Kriegsmüdigkeit auch "zu einer Müdigkeit im Suchen und Fragen nach Gott" geführt hat.883 Es waren im Laufe der Jahre Überlegungen nötig, wie die Kirche sich zu verhalten habe, wenn Angehörige anderer Konfessionen am evangelischen Abendmahl teilnehmen wollten. Wie hatte man einen solchen Fall bei den zahlreicher werdenden Sekten zu behandeln? Sollte man Katholiken erlauben, sich am Abendmahl zu beteiligen. Personen, die ihren Wohnsitz nicht in Korntal hatten, war mit allem Nachdruck verboten, dort zum Heiligen Abendmahl zu gehen.884 Auch die Frage, wie uneheliche Mütter zu behandeln seien, wurde diskutiert und man kam zu dem Entschluß, daß ihre Zulassung durchaus zu bejahen sei, "wenn die Gefallene über ihren Fall Reue und Leid empfindet".885 Aber auch hier zeigte sich, daß jeder Pfarrbericht, und jede Bemerkung in einem solchen Bericht, auch bezüglich der Christlichkeit der Gemeinde oder der Opfer- willigkeit, stets eine ganz subjektive, individuelle Feststellung des jeweiligen Pfarrers war. Ein anderer Pfarrer am selben Ort konnte zu einer völlig anderen Einschätzung kommen und die Verhältnisse vollkommen anders sehen und beurteilen. Wir finden hierfür immer wieder Beispiele. 883 Pfarrbericht Stuttgart, St.Leonhard, 1917. Georg Theodor Immanuel Gros (12.5.1856 - 1.4.1934), 1.Stadtpfarrer und Amtsdekan an der Leonhardskirche 1912 - 1919. Sigel Nr. 52,26. 884 Süskind: Repertorium der evangelischen Kirchengesetze. Bd.I., S. 15. Konsistorial-Erlaß vom 6.März 1824. 885 Konsistorial-Erlaß vom 15.März 1853. 229 7.0. Vom Kirchenkonvent zum Kirchengemeinderat. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war gekennzeichnet von dem Bemühen weiter Kreise, der Landeskirche wenigstens in Ansätzen wieder zu einer gewissen Selbständigkeit zu verhelfen. Die bürgerliche und kirchliche Gemeinde war bis in die achtziger Jahre noch eine Verwaltungseinheit, und erst mit den Gesetzen vom 14.6.1887 und vom 21.3.1889 entstanden selbständige, von der bürgerlichen Gemeinde unabhängige und getrennte Kirchengemeinden. Das örtliche Kirchen- vermögen wurde von da an von der Kirchenpflege verwaltet. Die Kirche verlor im Laufe dieses Jahrhunderts ständig an politischem Einfluß. Aufgaben, die ursprünglich rein kirchlich waren, wie zum Beispiel die Überwachung der Sittlichkeit oder die Armenfürsorge, übernahm im Laufe der Jahre die bürgerliche Gemeinde. Seit 1899 übernahm der Staat auch den Hauptteil der Lehrerbesoldung und beteiligte sich an der Finanzierung von Schulhäusern. Allerdings blieb die Kirche bis 1918 eine Staatskirche mit dem König als sehr zurückhaltendem Summus Episcopus, aber sie war am Ende des Jahrhunderts nicht mehr der unumstrittene Mittelpunkt des bürgerlichen und gesellschaftlichen Lebens, wie dies hundert Jahre zuvor noch weitgehend der Fall gewesen war. Bereits einen Tag nach der Annahme der Königswürde, am 2. Januar 1806, hatte König Friedrich I. in einem Generalreskript seinen Untertanen "als eine notwenige Folge der in Beziehung auf unsere Staaten vorgegangenen Veränderungen" wohl die persönliche Freiheit und die Sicherheit ihres Eigentums garantiert, gleichzeitig aber auch die Eingliederung des Kirchenrats in das neugeschaffene Finanz- Departement verfügt, als „eine in jeder Hinsicht für den Zweck des allgemeinen Besten durchaus erforderliche Verfügung“.886 "Da seine Königliche Majestät verordnet haben, daß die bisher unter der Benennung Kirchenrat bestandene geistliche Kammer mit der bisherigen Rentkammer dergestalt vereinigt sein soll, daß solche beide unter der Benennung Oberfinanzdepartement nur ein und dasselbe Departement ausmachen und also die Administration gleichförmig und nach den seiner Zeit ausführlicher zu erteilenden Vorschriften geführt werden soll, so wird solches andurch den Mitgliedern des vormaligen Rentkammerkollegii zur Nachricht und dem nunmehrigen Oberfinanz- departement zur Legitimation mit dem Anhang eröffnet, daß seine Königliche Majestät zugleich auf das feierlichste erklären und bei Allerhöchstdero Königlichem Wort versprechen, alle auf dem bisherigen sogenannten geistlichen Gute haftenden Schulden und Obliegenheiten, insofern solche kirchliche, Lehr-, Schul- oder andere gemeinnützige Armenanstalten betroffen, wie bisher auf das genaueste und pünktlichste für sich und Allerhöchstdero Nachkommen an der Regierung zu übernehmen, so daß alles, was ebbenannte Gegenstände betrifft, unverweigerlich von Allerhöchstdero Oberfinanzdepartement abgeführt und abgetragen werden solle".887 886 Reyscher, Staats-Grundgesetze, Bd. III., S. 244; Ehmer: Die geschichtlichen Grundlagen der Staats- leistungen, S. 235; Ehmer: Die Säkularisation des evangelischen Kirchenguts, S. 699. 887 Friedrich Wintterlin: Geschichte der Behördenorganisation in Württemberg. 1. Bd., 1904, S. 267. 230 Da die Aufgaben in den Bereichen des Schul-, Kranken- und Wohlfahrtswesens auf den Staat übergegangen waren, mußte dieser auch über die Erträge des bisherigen Kirchenguts verfügen können. Damit war die bisherige getrennte Verwaltung des Kirchenguts aufgehoben, alle von Herzog Christoph in der Großen Kirchenordnung von 1559 festgelegten Bestimmungen, auch die über den Erhalt von Kirchen und Schulen, die Versorgung von Pfarrern und Lehrern, die Verwendung der Überschüsse für die Armen, außer Kraft gesetzt. Die alte Einheit von Territorium und Konfession war zugunsten eines kirchlich neutralen Staates aufgegeben.888 Der Staat übernahm künftig die Sorge für Kirchen und Schulen, für Pfarrer und Lehrer, und der König garantierte die pünktliche Einhaltung aller sich hieraus ergebenden Verpflichtungen. Das Konsistorium, zum Ober-Konsistorium erhoben, verlor das Kirchenregiment und wurde eine dem weltlichen Ministerium unterstellte Staatsbehörde.889 Die Verwaltung der neuwürttembergischen Gebiete erfolgte bis 1806 von Ellwangen aus. Konsistorium; Synodus und Kirchenrat in Stuttgart hatten keinen Einfluß auf die Belange der Kirche in den neuwürttembergischen Gebieten.890 Die bisherige enge Verflechtung von Landeskirche und Staat, die führende Rolle dieser Kirche bei der Gestaltung des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens, wurde lockerer. Der neugeschaffene Staat sah sich im Zeitalter des Absolutismus als eine "Gemeinschaft aller Gutdenkenden", der unter der geforderten Toleranz in erster Linie die Wahrung seiner Interessen und nicht mehr eine kirchliche oder religiöse Haltung verstand. Die Kirche war als ein Organ des Staates dem staatlichen Regiment unterworfen, sie bildete als "Dienerin des Staates" gewissermaßen dessen geistlich-moralisches Fundament.891 Gerade, weil bisher Kirche und Staat so eng verflochten waren, sollte auch in der Kirche das Überholte abgeschafft werden. Aber der Staat war künftig der Träger von Kultur und Fortschritt. Der Pfarrer war vor allem Religionslehrer, der durch seine Belehrung die neuen Gedanken der Aufklärung verbreiten sollte.892 Der König brauchte die Kirche, die nunmehr eine vom Staat abhängige Institution geworden war, nur noch insoweit, als sie für ihn von Nutzen war und, im Geiste des rationalen Staatsdenkens, seinen Anordnungen Folge leistete und die Gemeindeglieder zu treuen und folgsamen Untertanen erzog. Dieser moderne Geist beherrschte in der Folge große Teile des kirchlichen Lebens. Hinzu kam zusätzlich noch die Verbindung mit der selbstherrlichen Person des Königs, der in seinen Anordnungen keinen Widerspruch duldete: „Er sah in den Kirchen Staatsorgane, in den Geistlichen Staatsbeamte“.893 Die Kirche hatte sich dem Staatszweck unterzuordnen.894 888 Schäfer: Das Haus Württemberg und die Evangelische Kirche. In: Uhland: 900 Jahre Haus Württemberg, S. 486; Brecht-Ehmer: Südwestdeutsche Reformationsgeschichte, S. 195; Ehmer: Zwischen Staatsanstalt und Selbstbestimmung, S. 235. 889 Württembergische Kirchengeschichte, S. 545 890 Württemb. Landesmuseum Stuttgart: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, Bd. 2, S. 317. 891 Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 20. 892 Württemb. Landesmuseum Stuttgart: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, Bd. 2, S. 318. 893 Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 20. 894 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 131; Schäfer: Das Haus Württemberg und die Evangelische Kirche, S. 488. 231 Das Organisationsmanifest vom 18. März 1806 brachte für Alt- und Neu- Württemberg eine einheitliche Staatsverwaltung. Das Konsistorium unterstand dem Geistlichen Departement, die Pfarrer waren "Diener des Staates". In einem Aufruf des Königs vom 16. Dezember 1806 an sämtliche evangelisch- lutherischen Geistlichen, an die er einen strengen Maßstab anlegte, , kam dies zum Ausdruck: „Wir haben zwar zu unserem allergnädigsten Wohlgefallen wahr- genommen, daß es unter den Kirchendienern viele treue und gewissenhafte Männer gibt, die sich nicht dabei beruhigen, die ihnen vorgeschriebenen Amts- Verrichtungen wie ein Tagwerk zu versehen, sondern, eingedenk ihres wichtigen Berufs, sich ernstlich bestreben, ihre eigenen Kenntnisse immer noch zu erweitern und sich dadurch fähiger zu machen, an der Besserung und Beglückung ihrer Gemeinden auf dem Wege der Religions-Belehrung mit Segen arbeiten zu können, und die ihre Lehre durch eigenes, rechtschaffenes Leben empfehlen“.895 König Friedrich äußerte den Wunsch, die Theologen möchten ihre gelehrten Studien eifrig fortsetzen und vervollkommnen, auch, daß sie „in Beziehung auf Moralität und gewissenhaft kluge Amtsführung“ mit gutem Beispiel vorangehen sollen. Außerdem aber wünschte der König, „daß die Zahl derjenigen unter unseren Geistlichen noch größer werden möchte, welche in ihren öffentlichen Religions- Vorträgen denen Forderungen entsprechen, die man an sie, besonders auch in Rücksicht auf das Bedürfnis der gegenwärtigen Zeit, mit Recht machen kann, deren Predigten, entfernt von trockenen, den Geist nicht befriedigenden, das Herz nicht erwärmenden Subtilitäten und Spekulationen ebenso sehr, als von dunkler, in dem reinen Evangelio nicht gegründeter Mystik, von übel angebrachter Gelehrsamkeit eben so sehr als von niedriger und die Würde der Kanzel entweihender Gemeinheit, von poetischem hochtrabendem unverständlichem Schwulst eben so sehr als von unedlen und den unverderbten Geschmack beleidigenden Ausdrücken, von affektierter theatralischer Deklamation eben so sehr als von empfindungsloser und einschläfernder Monotonie und Kälte, die Lehren und Geschichten der Bibel, nach ihrem reinen, echten Geist aufgefaßt, praktisch fruchtbar für Herz und Leben der Zuhörer darstellen, ganz auf Beförderung einer praktischen Religion, mit weiser Rücksicht auf die Bedürfnisse gerade ihres Auditoriums und mit bedachter Anwendung einer gründlichen Kenntnis des menschlichen Lebens und Herzens hinzweckend, den Verstand erleuchten und vom Herzen zum Herzen sprechend, dieses erwärmen, überdies durch eine reine, kraftvolle, edle und dabei allgemein verständliche Sprache, durch ungezwungene Lebhaftigkeit der Deklamation, durch angenehme oder wenigstens das unangenehme so viel wie möglich vermeidende Pronunciation und schickliche Gestikulation sich den im Äußeren und Formellen gebildeten und auf das Äußere sehenden Zuhörern zu empfehlen im Stande seien“896 895 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX., S. 75 - 78; Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 20. 896 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX., S. 75 - 78, Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 23. 232 In der Amtsinstruktion für die Pfarrer vom 9. Juni 1809 hieß es: "Dem Geistlichen als Kirchenlehrer ist die Religion anvertraut, die erste aller menschlichen Angelegenheiten, er hat die öffentlichen Gottesverehrungen zu leiten, deren Stifter der Sohn Gottes ist, er soll das Reich Gottes auf Erden ausbreiten, Menschen, welche zur Unsterblichkeit bestimmt sind, über die erhabensten, ihr ewiges Heil betreffenden Dinge belehren, sie dem Unglauben, dem Aberglauben und dem Laster entreißen, sie tugendhaft und froh machen, auf die selige Ewigkeit vorbereiten und zum Himmel führen". Dort fand sich aber auch der Hinweis: „Vor allen Dingen sei der Pfarrer seiner Gemeinde ein Vorbild in dem Gehorsam und der ehrfurchtsvollen Treue und Liebe gegen die Landesobrigkeit, den König, und gebrauche den Einfluß, welchen der Volkslehrer hat, dem Untertanen seine Pflicht wichtig und angenehm zu machen“.897 Schon mit dem Religionsedikt vom 15. Oktober 1806 sicherte König Friedrich allen drei christlichen, bisher reichsgesetzlich anerkannten Glaubensrichtungen, die immer noch Gültigkeit hatten, der evangelisch-lutherischen, der reformierten und der römisch-katholischen seinen königlichen Schutz zu, und gewährte ihnen die gleichen Rechte: „Jede der drei im Königreich bestehenden christlichen Konfessionen wird freie Religionsausübung und der volle Genuß ihrer Kirchen-, Schul- und Armenfonds zugesichert“.898 Die Kirche war eingefügt in den Staat, der ihr Toleranz zusicherte. Es wurde ihr dafür die freie, öffentliche Religions- ausübung und die eigene Verwaltung der Kirchen-, Schul- und Armenfonds zugesagt.899 Die evangelische Kirche verlor damit aber ihre bisherige privilegierte Stellung in Württemberg. Der Staat seinerseits hatte die Verpflichtung übernommen, für die finanziellen Bedürfnisse der Kirche zu sorgen. Mit den zwischen 1803 und 1810 neu hinzugekommenen Gebieten waren auch über 400 000 Katholiken unter württembergische Landeshoheit gekommen. Angesichts dieser Sachlage war es nicht länger möglich, allein die evangelische Kirche als Staatskirche anzuerkennen, den Staat allein an das evangelische- lutherische Bekenntnis zu binden.900 Die Landeskirche war in ihren Rechten geschützt, jedoch um den Preis „einer sehr weit ausgedehnten Oberhoheit des Staates“. Die Kirchen waren als Organe des Staates weitgehend in diesen eingegliedert.901 Auch die ungefähr 8 000 unter württembergische Landeshoheit gekommenen Juden sollten sozial und wirtschaftlich besser gestellt werden. Seit 31. Oktober 1807 war es ihnen gestattet, "liegende Güter" zu kaufen. 1809 erhielten sie das Recht, bürgerliche Gewerbe zu betreiben. 897 Haug: Reich Gottes im Schwabenland. S. 181; Kolb: Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche, S. 93. 898 Reyscher Kirchengesetze, Bd. IX., Nr. 378, S. 68 ff.. § 70 der Verfassungsurkunde. 899 Ehmer: Die geschichtlichen Grundlagen der Staatsleistungen an die evangelische Landeskirchen, S. 235. Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 201; Württembergische Kirchengeschichte, S. 545, 548. 900 Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 17. 901 Württembergische Kirchengeschichte, S. 549. 233 Die Hechinger Hoffaktorenfamilie Kaulla gründete mit finanzieller Unterstützung des Königs die Württembergische Hofbank, für viele Jahre das wichtigste Kreditinstitut des Königreichs.902 Im Jahre 1828 wurden die Israeliten schließlich den christlichen Kirchen gleichgestellt.903 Eine neue Liturgie904, von dem Oberhofprediger und Konsistorialrat Friedrich Gottlob Süskind905 im Auftrag des Königs geschaffen, wurde am 1. Januar 1809 eingeführt. Die Sprache sollte, dem Wunsche des Königs entsprechend, modernen Gegebenheiten angepaßt, veraltete Begriffe und Ausdrücke vermieden, der Inhalt der Bildung und dem Bedürfnis des gegenwärtigen Zeitalters angemessen sein, vor allem die Gottesdienstform im ganzen Lande vereinheitlicht werden906. Süskind legte Wert auf eine nicht nur vom Luthertum bestimmte Form. Auch er wollte die Belehrung und Erbauung in den Vordergrund gestellt sehen.907 Das Kirchenjahr begann nicht mehr am 1. Advent, sondern wurde dem allgemeinen Kalenderjahr angeglichen. Die Gebete waren weltlich und vernunftgemäß formuliert, der Ausdrucksweise der Gebildeten angepaßt. Bezeichnend war auch, daß diese neue gottesdienstliche Ordnung im Rahmen eines Gesetzes eingeführt wurde. Der Widerstand gegen die neuen, „dem gegenwärtigen Zeitalter angepaßten Formulierungen“ kam vor allem aus pietistischen Kreisen.908 Es wurde von ihnen besonders bemängelt, daß, um den Preis „einer Anpassung an die Denkart und Sprechweise der Gebildeten“, an die Stelle der Kirchensprache eine Salonsprache getreten war, daß der kirchliche Charakter und das einheitliche Gepräge preisgegeben wurde, daß die Gebete nicht mehr herzlich genug seien, daß im Taufformular die Lehre von der Erbsünde und ganz besonders die „Absage an den Teufel“, die Abrenuntiationsformel, fehle. Die Bedenken hiergegen wurden laut geäußert. Es war nicht mehr "die altgewohnte Sprache Kanaans". Da auch die Einsetzungsworte des Taufbefehls weggelassen waren, wurde die Wirksamkeit des Taufsakraments selbst in Frage gestellt.909 Wie sehr auch in breiten Volkskreisen die Neuerungen auf Widerstand stießen wird klar aus den Worten, die Philipp Paulus (1809 - 1878), der Enkel von Philipp Matthäus Hahn, fand: "Das kirchliche Verderben namentlich war bei uns besonders klar in dem im Sinne des Rationalismus verfaßten Gesangbuch sowie auch durch das bald nachher im Jahr 1809 eingeführte Legenden- oder Kirchbuch jedem Gläubigen vor Augen gestellt".910 902 Paul Sauer: Der Schwäbische Zar, S. 356. 903 Reg. Bl. 1828, S. 501. 904 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 293. 905 Friedrich Gottlieb Süskind (1767 - 1829), 1798 Professor in Tübingen, Nachfolger von Storr; RGG 5, S. 911; Reyscher, Kirchengesetze, Bd.IX., Nr. 413, S. 137 906 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 206; Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 292; Kolb: Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche, S. 148. 907 Schäfer: Evangelische Landeskirche in Württemberg. In: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, Bd. 2, S. 320. 908 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 207. 909 Schäfer: Evangelische Landeskirche in Württemberg. In: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, Bd. 2, S. 320. 910 Philipp Paulus: Beate Paulus, S. 50. 234 Auch Johann Gottfried Pahl (1768 - 1839), der sehr wohl anerkannte, daß die alte Liturgie verbessert werden müßte, äußerte sich kritisch zu der neuen: „Es weht über den Gedanken, die sie enthält, über den Bildern und der Sprache, in denen sie dieselben ausdrückte, der Hauch einer flachen, unpoetischen und frostigen Modernität, welche die Herzen nicht berührte, und eines strohernen, nach der Schule riechenden Intellektualismus, der weder kalt noch warm war“.911 Erstmals führten die Stände 1815 Beschwerde über die bedrückte Lage der Kirche, und auch die Prälaten, die nach der neuen Rangordnung in die 9. Klasse zurückgestuft worden waren, klagten im gleichen Jahr und baten um Wieder- herstellung ihrer alten Rechte.912 Nach der Rangordnung vom 4. April 1806 kam der Präsident des Konsistoriums in der 4. Klasse nach dem Oberst-Küchenmeister, die Prälaten kamen in der 9. Klasse nach den Majoren, die Dekane in der 13. Klasse nach den Leutnants.913 Das Konsistorium hatte lediglich über die Einhaltung der bisherigen kirchlichen Gesetze zu wachen. Eine eigene Vertretung der Landeskirche zu erreichen, oder wenigstens die alten Rechte wiederzuerlangen, solchen Versuchen blieb unter dem ersten König ein Erfolg vollständig versagt. Erst unter König Wilhelm, der am Anfang seiner Regierungszeit bemüht war, geistigen und geistlichen Stömungen einen freieren Lauf zu lassen, erhielt die Kirche gewisse, allerdings sehr begrenzte Rechte zurück914, beispielsweise wenigstens das Vorschlagsrecht bei der Besetzung von Pfarrstellen. Der § 77 der neuen Verfassung verfügte sogar die Rückgabe des Kirchenguts, ein Anliegen, das bis zum Ende des Jahrhunderts immer wieder diskutiert, aber nie mehr realisiert wurde.915 Das Kultministerium war bis 1848 noch eine Abteilung des Ministeriums des Innern. Ihm war das Konsistorium unterstellt, und damit ohne direkten Zugang zum König als Summus Episcopus. Es blieb somit in all den Jahren eine nachgeordnete Staatsbehörde. Auch der Synodus, dem zusätzlich die Prälaten angehörten, war keine Kirchenvertretung im eigentlichen Sinne, denn die Prälaten waren ebenfalls vom König ernannt, und zwar im Hinblick auf ihre Stellung im Landtag und nicht nach kirchlichen Gesichtspunkten.916 Hermelink beschreibt in seiner „Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg“ die Lage folgendermaßen: „Die Geschichte der Verfassung der Evangelischen Kirche unter König Wilhelm war vor und nach 1848 nichts anderes als ein vergebliches Laufen nach dem Ziel eigenständiger kirchlicher 911 Württembergische Kirchengeschichte, S. 592. 912 Württembergische Kirchengeschichte, S. 548; Verhandlung der Stände 1815. 913 Reyscher, Regierungsgesetze, Bd. XV, Nr. 1677; Schäfer. Evangelische Landeskirche in Württemberg. In: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, Bd. 2, S. 319; 914 Fehrenbach: Verfassungsstaat und Nationalbildung; Sauer: Reformer auf dem Königsthron, S. 396. 915 Hermelink: Die Verhandlungen über das altwürttembergische Kirchengut seit 1806. Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde, Sonderdruck, 1914. 916 Mann: Württemberg 1800 - 1866, S. 316; Mohl: Die Geschichte der württembergischen Verfassung, S. 44. 235 Verwaltungsorgane, und zwar auf allen drei Stufen, sowohl der ortskirchen- gemeindlichen, als auch der bezirks- und der landeskirchlichen Organisationen“. Auch die 1819 gegründeten Diözesanvereine waren keine eigentliche Vertretung der Kirche, denn sie waren private Vereinigungen.917 Das staatliche Überwachungssystem duldete keine freiheitlichen, auf eine selbständige Verwaltung zielenden Regungen. Die Landeskirche war fest in das staatliche System eingegliedert, sie blieb ein "innenpolitisches Verwaltungs- objekt".918 Aufgabe der Pfarrer war vor allem, als Religionslehrer die Glieder der Kirche zu treuen Untertanen zu erziehen.919 Ein erster Schritt weg von dieser vollständigen Bevormundung war schließlich die Einführung einer neuen Liturgie und eines neuen Gesangbuches am 5. Januar 1842. Hierzu war eine Kommission unter der Leitung von Albert Knapp (1798 - 1864) und Karl von Grüneisen (1802 - 1878) einberufen worden und hier wurden erstmals auch die Stimmen der Pfarrerschaft gehört. Die Herausgabe erfolgte allerdings gegen den erbitterten Widerstand des Ministers Schlayer, der gesagt haben soll: „Solange ich Minister bin, wird dieses Gesangbuch nicht eingeführt“. König Wilhelm entschied sich aber für die Einführung mit dem Argument: „Das Volk will es“.920 917 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 391. 918 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 392. 919 Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 9. 920 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 393; Schäfer: Das Ringen um die neue kirchliche Ordnung, S. 300. 236 7.1. Die Kirchenkonvente. Nach den Ausführungen Hermelinks waren die Kirchenkonvente nach ihrer Einführung in den Ortsgemeinden durch Johann Valentin Andreä, der 1639 auf Vorschlag von Professor Nicolai von Herzog Eberhard III. zum Hofprediger und Konsistorialrat nach Stuttgart berufen worden war921, nach dem Zusammenbruch aller Ordnungen im 30-jähringen Krieg, 1642 zunächst für die Städte, seit 1644 für das ganze Land, eine Institution, die von ihm eigentlich als ein rein geistliches Gremium der christlichen Gemeinde gedacht war.922 Ursprünglich war der Sinn, den Andreä dieser Einrichtung zugedacht hatte, einerseits eine Aufwertung des kirchlichen Einflusses gegenüber den weltlichen Ämtern des Herzogtums, dann aber vor allem auch eine Intention an Liebe und Mitverantwortung gewesen. Alles, was nicht im Sinne der 10 Gebote, nicht im Sinne des Evangeliums, nicht im Sinne der Nächstenliebe in einer Gemeinde war, sollte aus dem Versöhnungsgedanken heraus gebessert und richtiggestellt werden, Gott wieder wohlgefällig sein. Dieses Gremium sollte außerdem für Hilfe in der Not sorgen, etwa für ein Paar Schuhe für ein armes Kind, für etwas Saatgut für einen Bedürftigen. Andreä wollte Nächstenliebe aus Eigenverantwortung. Der Reformatio doctrinae sollte die reformatio vitae folgen.923 Ein Mensch, der etwas getan hatte, was nicht im Geiste der sozialen und christlichen Ordnung war, sollte zunächst einmal brüderlich ermahnt werden, aber nicht, wie das später gehandhabt wurde, im Rahmen einer Gesetzlichkeit, einer Sittenschnüffelei, konzentriert vor allem auf das 6. Gebot, mit Strafen, sondern in brüderlicher Liebe und Abhilfe. Andreä hatte sich schon früh mit dem Problem der „Kirchenzucht“ befaßt, und er hat sich in seiner Vita ausführlich mit seinen Erfahrungen in Genf auseinander- gesetzt: „Diese Sittenreinheit ziert die christliche Religion außerordentlich, ist ihr angemessen und wesensgemäß.; daher können wir ihr völliges Fehlen bei uns nicht genug beweinen. Alle Gutgesinnten sollten daher zusammenarbeiten, um sie wiederherzustellen. Wenn mich nicht die Abweichung in der Religion abgehalten hätte, hätte mich die Reinheit der Sitten ewig gefesselt. Ich verwendete von da an alle Kraft darauf, Ähnliches in unserer Kirche einzurichten“.924 Bereits 1638 hatte er in Calw wöchentliche Zusammenkünfte veranlaßt, in denen der Pfarrer und Bürgermeister über Fragen der Kirchenzucht sprachen.925 Diese Vorstellungen über eine christliche Kirchenzucht wurden in der Folgezeit so weiterentwickelt, daß sie sich reibungslos in den Bau der württembergischen Kirche einfügten. 921 Ehmer: 450 Jahre Kirche und Schule in Württemberg. BWKG 87 (1987), S. 127 - 140. 922 Häußermann: Der württembegische Kirchenkonvent, S. 120; Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 144. 923 Decker-Hauff, Johann Valentin Andreä, Vortrag 31.10.1986 in Calw, Umschrift Günther Widmer, S .24. 924 Reinwald H.G.: Joannis Valentini Andreae Vita ab ipso conscripta. Berlin 1849; Helga Schnabel- Schüle: Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg, S. 170. 925 Schäufele: Johann Valentin Andreä. In: Hermle: Kirchengeschichte Württembergs in Portäts, S. 25. 237 1668 wurde im Herzogtum Württemberg auch eine "Fürstliche Ordnung wegen Konformität der Kirchenzeremonien" erlassen, mit der das gottesdienstliche Leben im ganzen Gebiet einheitlich geregelt werden sollte. Anscheinend waren immer wieder Abweichungen vorgekommen.926 Es ist in letzter Zeit angezweifelt worden, ob die Vorstellungen Andreäs allein maßgebend für die Bestimmungen über die Kirchenkonvente waren, weil sich keine Beweise hierfür finden ließen. Sein Anteil an einzelnen Maßnahmen läßt sich überhaupt nur schwer feststellen. Einen direkter Beweis, daß er an der Formulierung der Gesetze beteiligt war, gibt es nicht927. Sehr wahrscheinlich ist seine Mitwirkung am Ausbau des Tübinger Stifts und der Einführung der allgemeinen Schulpflicht 1848. Wahrscheinlich ist aber doch, daß einige seiner Gedanken bei der Konstituierung der Kirchenkonvente eingeflossen sind.928 Die Kirchenkonvente waren, wegen der Verquickung von kirchlicher und weltlicher Sittenzucht, zu einer Einrichtung geworden, mit deren Hilfe die Gemeindeglieder, und hier wieder besonders die ärmeren Klassen, durch den Staat, auch durch die Gemeinde- oder die Kirchenbehörden, überwacht und reglementiert werden konnten. "Aus dem ursprünglich autonom konzipierten Kirchenzuchtsgremium wurde ein in das obrigkeitliche System der bestehenden Kirchenverfassung einzubauendes Institut", und schon nach kurzer Zeit zeigte sich, daß sich die ursprünglichen Intentionen in etwas völlig Gegenteiliges verkehrt hatten. Helga Schnabel-Schüle formulierte: "Die württembergischen Kirchenkonvente waren schließlich eher herzogliche lokale Polizeibehörden, als Instrumente der Kirchenzucht", und es bestand immer die Gefahr, daß das nachbarliche Zusammenleben durch sie erheblich gestört werden konnte.929 Bestimmt nicht im Sinne Andreaes war die Form, in der die Krchenkonvente dann konstituiert wurden, nämlich als ein Gremium, in dem kirchliche und weltliche Ortsobrigkeit zusammensaß, in der Stadt Spezial und Vogt, auf dem Land Pfarrer und Schultheiß, und der Urteilsspruch und die Vollstreckung eines Urteils allein Aufgabe der weltlichen Behörde und von weltlichen Beamten abhängig und zu vollziehen war. Der Vogt verhängte die Strafe und hatte auch dafür zu sorgen, daß die Bestrafung ausgeführt wurde. Somit war der Kirchenkonvent in die weltliche Gerichtsbarkeit eingebunden, und vor allem waren die verhängten Strafen keine geistlichen Strafen. Brecht schreibt in seinen Ausführungen zur "Kirchenordnung und Kirchenzucht in Württemberg", daß Andreä sich wahrscheinlich die obrigkeitliche Rückendeckung als Sicherheit gewünscht habe, daß aber die Frage war, ob die Kirche damit nicht unter eine fremde Gerichtsbarkeit kommen würde. Diese Frage würde sich nicht stellen, wenn die Obrigkeit eine christliche war. Aber es war doch eine staatliche, und keine kirchliche Autorität.930 926 Kolb. Geschichte des Gottesdienstes, S. 8. 927 Popkin: Der Kirchenkonvent in Württemberg. BWKG 96 (1996), S. 102. 928 Schäufele: Johann Valentin Andreä. In: Hermle: Kirchengeschichte Württembergs in Portäts, S. 27. 929 Helga Schnabel-Schüle: Kirchenleitung und Kirchenvisitation, S. 45. 930 Brecht: Kirchenordnung und Kirchenzucht in Württemberg, S. 70. 238 Den Bestimmungen vorausgegangen war eine Sitzung des Synodus, in der die "Mißstände" klar angesprochen wurden: „Drittens ist uns geklagt worden, was maßen die Verachtung des heiligen Wort Gottes und dero getreuen Diener, auch Entheiligung des Sabbaths dermaßen überhand genommen, daß schlechter Besuch der Gottesdienste und Gebete, Entheiligung des Sonntags durch Überfeldgehen, Reiten, Fahren, hochzeitliche Freudenfeste, Tänze, werktägliche Geschäfte im Schwange, und also neben dergleichen ohnverantwortlichen Unordnungen auch allerhand Hoffahrt, Üppigkeit, Sünd, Schand und Laster bei jungen und alten überhäufig vorgehen. Wenn dann der gerechte Gott hierdurch je länger je mehr hoch erzürnt und zur Verhängung fernerer schwerer Landstrafen und Plagen verursacht wurde, als hat männiglich wohl Ursach, bei seiner göttlichen Allmacht solches abzubitten und ein christliches, bußfertiges Leben anzustellen, zu welchem Ende hiermit Unser ernstlicher Will und Meinung ist, damit der wahre Gottesdienst von männiglich desto eifriger besucht werde, ihr wollen ohngeachtet unserer Großen Kirchen- ordnung fol. 397 füraus an Sonnen- und Feiertagen keine Hochzeiten und Tänze, noch auch die Geschäfte der Handwerksleute mehr gestatten“.931 Im 3. Kapitel des Synodalbeschlusses vom Juli 1642 hieß es, daß der Kirchen- konvent vor allem prüfen sollte, ob „dem Christentum und der Ehrbarkeit zuwider gehandelt werde“. Er hatte aber darüber hinaus weitgesteckte Aufgaben. Er sollte vor allem die Kirchenzucht überwachen und die Mißbräuche im Gottesdienst bekämpfen, wie das Zuspätkommen, das Lachen, Schwatzen und Schlafen, er sollte sowohl für die Reinhaltung der Lehre, als auch die Bekämpfung sektiererischer Umtriebe sorgen, auch für die Wiederaufrichtung der Schulen und die Wiederherstellung von Schulgebäuden. Vor allem aber lag in seiner Hand die Verwaltung der Armenkästen und damit die ganze Armenfürsorge des Landes.932 Im Laufe der Zeit waren die Konvente, in denen die geistliche und weltliche Obrigkeit zusammenarbeitete, aber zu einem reinen Sittengericht verkommen, das seine christlich-erzieherische Bedeutung verloren hatte und nur noch, anstatt zu ermahnen, seine Aufgabe darin sah, Strafen zu verhängen.933 Bereits 1639 waren „Aufpasser“ bestellt worden, deren Aufgabe es war, den Besuch der Gottesdienste und die Sonntagsheiligung zu überwachen, auch etwaige Gotteslästerung, „welche so überhand genommen, daß manchmal kein Wunder wäre, wenn sich der Boden auftäte und solche Lästermäuler verschluckte, auch der liebe Gott kein Laub noch Gras wachsen ließe“.934 Nun sollten sogenannte „Anbringer“ die Sünder vor das Kirchengericht „anbringen“, und „ihnen sollte heimliche Aufmerkh verordnet werden“. Aber auch der gewöhnliche Untertan war verpflichtet, Verstöße anzuzeigen. Wer von einem Vergehen wußte und es verschwieg, machte sich strafbar. 931 Schnabel-Schüle: Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg. S. 190. 932 Reyscher, Kichengesetze, Bd. VIII., Nr. 84, S. 316; Synodal-Schluß betr.die Einrichtung der Kirchen-Convente; Hermelink, Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 145; Sachsse-Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. 933 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 105; Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 392. 934 Württembergische Kirchengeschichte, S. 450. 239 Ungestrafte Delikte konnten den Zorn Gottes in Form von Seuchen, Krieg oder Hungersnöten auf das Land herabrufen, die dann Schuldige und Unschuldige gleichermaßen trafen.935 Im Kapitel 8 des Synodal-Beschlusses von 1644 heißt es hierzu: „In Flekhen oder auch sonsten khönnen khaum beßere erfunden werden, als die stethiges in publico und mit vielen Leithen zue thun haben, alß da sein die Schulmeister, Mößner, Markh- Flaisch- und Brodtbeschawern, Kuchinbekhen, Baeder, Barbierer, Flekhenschmidt, Gerichtsbotten, Stadt- und Flekhendiener und dergleichen“. „Danmit aber ie ein Deferent dem andern verbleibe, und keiner wiße, wer mehr neben ihme hierzu erwehlet seye, solle ein Jeder absonderlich der andern ohnvermerkt erwehlet, Ihme das Silentium durch abgenommens Gelübd imponirt, und wo zue besorgen, daß der Ihme gewordene dritte Theil der Straffgeldtern anstatt der Ergötzlichkeit ein Aigennutzigkeit verursachen möchte, an deßen Statt etwas gewißes und beständiges geschöpft, oder sonsten bestermaßen fovirt werden. Sie sollen aber vermoeg Ihrer von sich hierumben gegebener Gelübden, so lieb ihnen Gottes Gnadt und ein ohnversehrtes Gewißen ist, umb kheiner Ursach willen, einen Menschen, wer der auch immer sein mag, uebertragen, viel weniger mit falscher Dilation Unrecht thuen, derowegen bey Verlängerung eines Delicti Ihres der Anbringer billich mit der Confrontation oder Nahmhafftmachung zuverschonen, oder in entstehendem Zweiffel, sie doch nur umb mehrer Umstände, unwissendt des angebrachten zuebesprechen, dem pertinaciter laugnenden delinquenti anzudeuten, Mann würde uff nothwendige Einziehung gründtlicher Warheit seiner, so er mit Läugnen fehlen sollte, nit schonen: sondern neben doppelter Straff Ihme der Inquisitions-Uncosten zugetheilt werden“.936 Martin Häußermann faßte die Entwicklung des Kirchenkonvents in Waiblingen folgendermaßen zusammen: „Nicht Andreae, der noch in der alten Theologen- schicht seines Großvaters verwurzelt war, die während der Reformationszeit wichtige staatliche Funktionen bekleidet hatte, sondern der frühneuzeitliche absolutistische Staat konnte sich schließlich durchsetzen.937 Dieser Staat mit seiner vormals durch herzogliche Mandate ausgeübten Kirchenzucht überließ der Kirche keinen Freiraum, in der sie ohne staatlichen Einfluß Kirchenzucht zu gestalten vermochte, und rückte auch nicht ab von seinem Anspruch, sämtliche Bereiche des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens kontrollieren zu wollen. Das Streben nach innerer Ordnung und Sicherheit im Land, die Durchführung der „Policey“ und damit verbunden der Prozeß der Bindung der Untertanen an landesherrliche reglemtierte Institutionen - die von Oestreich beschriebene Sozialdisziplinierung - sollte vielmehr verbessert und intensiviert werden“.938 935 Helga Schnabel-Schüle: Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg, S. 181. 936 Synodal-Schluß betr. die Einrichtung der Kirchen-Convente; Reyscher, Kirchengesetze, Bd. VIII., Nr. 84, S. 320. 937 Häußermann: Der württembergische Kirchenkonvent, S. 121. 938 Häußermann: Der württembergische Kirchenkonvent, S. 121. 240 Helga Schnabel-Schüle wies in ihrem Aufsatz über „Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg“ darauf hin, daß sich kein sicherer Nachweis dafür erbringen ließe, daß Andreä an der Einführung der Kirchenkonvente auf Grund seiner Erfahrungen in Genf maßgeblich beteiligt war, und daß auch keine Unterlagen aus der Tätigkeit des Konsistoriums hierüber vorlagen.939 Offensichtlich war diese Institution eine Weiterführung der bisherigen, 1559 geschaffenen, Ruggerichte, in denen der Vogt den Vorsitz hatte, und in denen geringe Vergehen (Geldstrafe bis 2 fl oder Gefängnis bis 4 Tage) bestraft werden sollten.940 Die Kirchenkonvente bauten also auf einer bereits existierenden Praxis auf. Der Landesherr hatte die Ordnung des Gemeinwesens zu schützen und war darüber hinaus als Summus Episcopus auch für die kirchlichen Belange seines Landes zuständig. Er hatte also auch in diesem Bereich für gesetzliche Regelungen in Sukzession der bischöflichen Rechte zu sorgen.941 So wurde auch die Einrichtung der Kirchenkonvente durch landesherrliche Verordnung dekretiert. In einem Generalreskript vom 29. Juli 1642 wurden zunächst Maßnahmen gegen Gotteslästerung und Fleischesvergehen verkündet. Im letzten Abschnitt folgten die Bestimmungen über die Einführung der Kirchenkonvente: „Damit aber schließlich dieses alles besser vonstatten gehen, nichts dahinden bleiben, auch beiden geist- und weltlichen Beamten das Werk leichter gemacht und zugleich das vorgesteckte Ziel destoehender erlangt werde, wollen und befehlen Wir, daß ihr beide, Spezial und Vogt, eures Orts verordnete Kirchenpfleger, auch wo nötig, noch andere zwei Gerichts- oder Ratspersonen zu euch nehmet, alle Wochen einmal zusammenkommt und fleißige Nachforschung pfleget, ob entweder obigen Gesetz und Ordnungen, oder aber auch sonsten dem Christentum und der Ehrbarkeit zuwider, etwas entweder bereits vorgangen, oder dergleichen noch zu besorgen, benebens diejenige, so schuldhafte oder verdächtige Personen aufzeigen wüßten, vernehmen, alsdann beratschlagen, wie dem besorgenden Übel vorgebauet und solches verhütet oder das bereits verübte gestraft oder gehöriger Orten angebracht und sonsten zu verfahren sein möchte, damit Unser zu Gottes Ehr und Unserer Untertanen zeitlich und ewigen Wohlfahrt gereichende Intention erhalten werden möchte“.942 In diesem Generalreskript von 1642, in dem die Kirchenkonvente zunächst für die Städte installiert wurden, waren auch die Vergehen aufgelistet, bei denen der Konvent tätig werden sollte: Verachtung des Gotteswortes, Gotteslästerung, Fluchen, Schwören, Unzucht, Hurerei, Ehebruch. Daneben aber auch Trinken, Kleiderluxus und Spiel, außerdem sollte alle sektiererische und verführerische Lehre ausgerottet werden.943 939 Helga Schnabel-Schüle: Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg, ZWLG 49 (1990), S. 169 - 224. 940 Helga Schnabel-Schüle. Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg. ZWLG 49 (1990), S. 170. Popkin: Der Kirchenkonvent in Württemberg. In: BWKG 96 (1996), S. 102. 941 Schnabel-Schüle: Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg, ZWLG 49 (1990). S. 170. 942 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. V., Nr. 115, S. 427. 943 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. V., Nr. 115, S. 421 ff. 241 In einem Synodalbeschluß vom 20. August 1644 wurde festgelegt, daß die Kirchenkonvente nun in allen Gemeinden eingerichtet werden sollten, und es wurde außerdem bestimmt, wie die Aufgaben zwischen Dekan und Vogt verteilt waren: „Weil dieses so hohen Werkes Fundament billig auf die Anrufung göttlichen Namens und folglich auf eifrigen Zuspruch von Gottes Wort gegründet werden soll, also versteht sich`s an sich von selber, daß hierin dem Pfarrer gebühre, mit Führung des Wortes das Direktorium innezuhaben. Was aber die Abforderung von Pflicht und Gelübde. die Zusammenfassung der Stellungnahmen bzw. der Urteile, Bedrohung, Ankündigung, den Vollzug der weltlichen Strafen und andere zum weltlichen Amt gehörige Stücke betrifft, damit befaßt sich das Pfarramt gar nicht, sondern überläßt das Direktorium dies Ortes dabei dem Amtmann, und solches um soviel lieber, weil ihm hiermit die gebührende Amtshilfe geboten wird“. In Kapitel 3 wurde bestimmt: „Die Leiter und Beisitzer des Konvents sollen alle Wochen einmal zusammenkommen und fleißig Nachforschung pflegen, ob und was wider ergangene ernstliche Ausschreiben und Ordnungen, unter welchen besonders die Kirchen-, Schul-, Kasten- und Waisenordnungen verstanden werden, verstößt oder aber auch sonst dem Christentum und der Ehrbarkeit zuwider ist“.944 Wenn aber „nit viel oder sonderbahrlich Händel vorlauffen in Städten“, solle mindestens alle vierzehn Tage oder „längst 3 Wochen“ der Konvent zusammentreten.945 Kirchenkonvente hatten aber auch die Aufgabe der "Abwendung des grimmigen Zornes Gottes und wohlverdienter Strafen".946 Im Laufe der Zeit wurden dann nicht nur Kirchen- und Schulsachen verhandelt, sondern vor allem Fragen der Armenversorgung, aber auf dem Dorf immer auch Alltagsfragen und ganz persönliche Anliegen. 1824 wurde dem Kirchenkonvent außerdem die Aufsicht über die Arbeits- und Industrieschulen übertragen.947 Ein sehr frühes Beispiel für die Tätigkeit eines Konventes ist eine Verhandlung vor dem Kirchenkonvent von Pfullingen, die am 9. September 1670 stattfand: „In Gegenwart von Herrn Pfarrern, Herrn Kellern, Diacono, Herrn Bürgermeister Heusler, Ludwig Muffen, Bohmers und Jerg Trauben. 1. wurde Catharina, Jacob Rentzin Wittib, wegen bekannter Armut auf ihr angelegte Bitt, wöchentlich außer dem Almosen fünf Kreuzer zu reichen, zugesagt mit diesem Anhang: falls sie in ein Bett kommen und krank werden, ihr Weiteres und Mehreres mitgeteilt werden sollte. 2. Jerg und Carline, die Reine, sein angebracht worden, daß sie den 29. April jüngsthin, als am großen Buß- und Bettag,, zwischen der Predigt und Gebet ihre Wiesen auf dem Giehlsberg verhauen und eingezäunt. 944 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. VIII., Nr. 84, S. 318; Gottschick: Auf dem Weg zur Fülle der Zeit, S. 59. 945 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. VIII., Nr. 84, S. 317. 946 Popkin: Der Kirchenkonvent in Württemberg. S. 102. 947 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX. S. 650. 242 Weilen sie sich aber entschuldigt, daß sie, und zwar der Carl Rein, weilen er eines Pferchs vonnöten gewesen, auf Undingen zugegangen und desto früher sich auf den Weg gemacht, in Meinung, die Bußpredigt zu Undingen zu besuchen, aber der Herr Pfarrer von Gönningen zu Undingen nicht in die Predigt gegangen. Dahero sie zurück auf diese Wiese gekommen unter dem allhiesigen Gottesdienst, aber die Wiese nicht vermacht. Als sein sie für diesmal bis auf weitere Erkundigung entlassen worden. 3. Hans Walser, Ziegler, hat kurz verwichener Tage durch eine ganze Gasse hinab und sonderlich bei dem Helferhaus abscheulich, und zwar sehr oft und häufig, diese gottlosen Flüche geschworen: „Potz Teufel, daß dich der Teufel hol; Potz Sakrament; Potz Blutsakrament“, und oftmals dieses repetiert. Und darüber von dem Helfer zum Fenster hinaus zur Red gesetzt, darumben er für die Kirchenzensur beschieden worden. Er aber leugnete ganz halsstarrig über Kopf und Hals und wollte kurzum nicht gestehen, auch da ihm schon zur besseren Besinnung ein Abtritt gegeben worden. Letztlich, als er überführt, und ihm das Gewissen ernstlich gerühret worden, hat er`s endlich bekannt. Dannenhero zur Strafe erkannt worden, daß wegen der so oft wiederholten Flüch und Schwür obgemeldeter Ziegler ein Pfund Heller (43 Kreuzer) erlegen und wegen des beharrlichen Leugnens, ohnangesehen daß der Helfer und seine Nachbarn alle Umstände der Tat angezeigt anderen zum Exempel, weilen ohne daß weder gegen Geistliche noch Weltliche bei solchen Burschen niemalen einiger Respekt beobachtet werden will, in den Turm gesteckt werden soll. 4. Jacob Keppler, Seiler, weilen derselbe in seinem Hause sehr oft randaliert, seine Schwiegermutter eine alte Hure und Hexe heißt, mit seinem Weib übel lebt, wie er denn jüngsthin mit dem Degen selbige im Rausch im Haus umgejagt, also daß sie Herrn Pfarrer, Helfer und Jerg Traub zum Fenster heraus um Hilfe geschrien zur Beschwichtigung, aber vorher Herrn Pfarrer schlimme und trotzige Worte gegeben; er hätte zwar verdient, daß er mit dem Turm abgestraft würde, weilen aber betrachtet worden, daß seine Schwiegermutter und Weib sehr oft Gelegenheit zu solch unordentlichem Leben geben, er auch einen sehr schweren Leibschaden an sich trägt, als ist ihm diesmal ernstliche Verpflichtung gegeben, außerdem er und die Seinigen friedlich zu sein allen Ernstes angewiesen worden. 5. Klagte Herr Pfarrer, daß Peter Hofmann, Leutnant allhier, in währenden seinen oftmals wiederholten Hausgezänken ihn nicht nur allein in seinem Haus oft einen Pfaffen heiße, sondern auch verwichenen Jacobi Apostoli Tag (25.Juli) zum Fenster hinausgerufen: Und wenn der Pfaffe auf seinem Weib darauf oben säße, so wollt er sie doch schlagen; und dies hab die Frau Pfarrerin und die Magd zum Fenster hinein gehört. Verantwortung: Leutnant leugnet, daß er jemalen den Herrn Pfarrer einen Pfaffen geheißen, viel weniger an Jacobi Tag oben geklagte Worte zum Fenster ausgerufen. Das gestehe er, daß er hinausgerufen: Und wenn der Pfarrer neben dir stünde, so wolle er doch, wenn sie, sein Weib, ihm böse Worte gebe, sie doch schlagen. Aber niemals habe er eines Pfaffen gedacht. Er sage aber öffentlich: Wenn sein Haus nicht bei dem Pfarrhaus stünde, so hätte er eine bessere Ehe, denn sein Weib verlasse sich allezeit auf den Pfarrer und sage, hierüben sitze schon einer, er werde ihm, Leutnant, Manns genug sein. 243 Herr Pfarrer wollte aber einmal keineswegs diese als eine falsche Bezichtigung und Vorwurf leiden, innmaßen er begehrte, daß Leutnants Weib sollte bei der Wahrheit anzeigen, ob er, Herr Pfarrer, sich in einigem Stück ihrer annehme oder sie anweise oder einige Gelegenheit an Hand gebe, daß sie sich auf ihn zu verlassen oder zu berufen hätte. Leutnants Weib, nachdem Herr Pfarrer freiwillig abgetreten, wurde deswegen von den übrigen befragt; brachte vor, daß Herr Pfarrer sie keineswegs verhetze oder sie auffordere, sie solle nur kommen, so wolle er schon Hilfe schaffen. So berufe sie sich auch nicht auf den Herrn Pfarrer, wie Leutnant vorgebe; dies zwar, wenn er so randaliere, sage sie: „Wenn du dich vor anderen Nachbarn nicht schämst, so schäme du dich vor Herrn Pfarrer! Darauf er dann oft Schmähworte ausstoße. An Jacobi Tag habe er sie zum Haus hinaus mit Schüssel, Brot und Messer gejagt. Dann zumal habe er sehr oft gesagt, sei sein gemeine Sag, red es alle Tag: „Und wenn der Pfaffe auf dir droben säß, wollt ich dich doch schlagen, daß dir`s Blut abliefe!“ Er habe die Pfarrerin auch ein loses Weib gescholten, pflege oft zu sagen, wenn die zwei, als der Pfarrer und der Helfer, die als Amtsbrüder oft zusammen kommen, nicht wären, so stünde seine Ehe besser. Leutnant leugnet dieses alles, sonderlich auch, daß er des Helfers gedacht. Im übrigen repetiert er das Vorherige. Beschluß: Weil Herr Keller dieses nicht über sich nehmen, sondern weil es den Herrn Pfarrer betrifft, an Herrn Dekan berichten will, also ist daher solches werkstellig zu machen votiert worden. 6. Herr Spannagel, Barbierer allhier, beklagte sich, daß er, wie bekannt, den schon so lange arbeitsunfähigen Knaben, Jakob Rentz, bisher mit Medikamenten und eine gute Weil mit Speis und Trank versehen, aber noch niemalen einige Versicherung der Bezahlung gehabt. Er wolle, man sollte ihn entweder durch die Armen-Pflege jetzt bezahlen lassen oder der Bezahlung versichern. Ingleichen, weil jetztmal den Buben niemand gern unterhalten und im Hause haben will, auch weilen es mit seiner Kur fast desperat hergehen will, ist demnach dahin geredet worden, daß dieses allerseits vor ein Waisengericht sollte gebracht und mit des Buben Verwandten beraten werden sollte. 7. Weilen auf vielfältiges Anmahnen und Antreiben folgende, auf Jerg Costenbaders Michael und Hans Jerg Groß bei dem gehaltenen Kinderexamen, teils auch auf ergangener, ab der Kanzel abgelesener Zitation, nicht erschienen, teils aber als Hans Jakob Neuscheler , Hans Jerg Walter und Stoffel Rehm auf zweimaliges Aufgeben nichts gelernt, und noch teils beim Herrn Pfarrer sich beschwert, als ist, ihnen eine Furcht zu machen und Exempla zu statuieren, etliche Stund ins Häuslein zu gehen diktiert worden. Es hat sich aber Jerg Walter sehr hoch dagegen gestellt, er gehe einmal wegen des Betens nicht ins Loch. Man solle andere auch einlegen. Er hat auch in allem widersprochen und gleich zur Türe wollen auslaufen. Endlich hat er sich unwillig einstellen müssen“.948 948 Kirchenkonventsprotokoll Pfullingen 1670 - 1682, S. 45 - 49; Gottschick: Auf dem Weg zur Fülle der Zeit, S. 62 - 66. 244 Wie auch aus diesem Beispiel ersichtlich, ist die Armenversorgung schon zu diesem frühen Zeitpunkt ein ganz wichtiger Punkt der Beratungen in den Kirchenkonventen gewesen, neben Ortsstreitigkeiten der verschiedensten Art. Außer mit Armensachen und Ruhestörungen hatten sich die Kirchenkonvente aber auch noch mit anderen Problemen zu befassen. Es sollte beispielsweise auch ein Anliegen der Konvente sein, christliche Religiosität im Handeln der Pfarrkinder heimisch zu machen, nicht nur im Gedächtnis und Gefühl.949 In Hohenhaslach begannen die Kirchenkonvents-Protokolle sehr häufig mit den Worten: „Indem die allgemeine Sag im Flecken ist“ (1719), oder „Es ist Fleckhen kundig“ und „Es ist ruchbar worden“ (1724). Der Kirchenkonvent hatte sich also durchaus auch mit den im Dorf kursierenden Schwätzereien zu befassen. Daneben hatte der Konvent seit 1699 beispielsweise aber auch darüber zu wachen, daß die Gemeindeglieder von Hohenhaslach in sauberer Kleidung in die Kirche kamen. 1709 wurde vermerkt, die Familienväter sollten „ihren Weibern, Döchdern und Mägd intimieren, daß sie bei dem hochwirdigen Abendmahl nit also hoffärtig mit glizern- und glänzzenden Schürzen erscheinen sollen. Die Männer, welche große, wüste Bärth ziehren, solten gleichfalß erinnert sein, nit also bei dem Abendmahl zu erscheinen, es mach einigen Eckhel, so die Mitkommunikanten haben möchten, der Ursachen, sonderlich da unter ihne geschehen, daß wan sie den Wein empfangen, alßdann die Tropffen von dem zu weit eingehengten Barth ab und auff den Boden gefallen“.950 Das Sternsingen wurde 1754 als unnötiger Brauch abgeschafft, junge Burschen, die 1776 das Verbot übertraten, „um 15 Kreuzer gestraft“. 1774 hatte sich der Konvent mit dem Ostereiersuchen zu beschäftigen. Es wurden alle, „die Ayer gelesen, ohne bei dem Pfarr- und Schultheißen-Amt anzuhalten, und noch dabey den Nachmittags-Gottesdienst am Oster-Montag darüber versäumt hatten, vorgefordert. Sie kamen aber mit einer ernstlichen Ermahnung und Warnung davon, weil sie sich bescheiden bezeugt auch mit Gebung der Hand dem ganzen KirchenConvent Abbitte gethan und Beßerung versprochen“.951 Selbstverständlich war für die Kirchenkonvente auch schon damals das Tanzen Anlaß zum Einschreiten. 1697 wurde bestimmt, „daß in künfftigen Kürweihen der erlaubte Dantz am Dinstag ausgehen, die private Däntz aber gäntzlich abgestelt sein sollen“. Zwei Jahre später wurde beschlossen, daß bei der jährlichen Kirchweih die ledigen Burschen „ordentlich umb den öffentlichen Dantz anhalten“ sollten, „in privat Häusern mögen etwan die HaußVätter auch einen ehrlichen Dantz halten, doch alzeith dahin sehen, daß nit wider Gott gesündiget werden, außgenommen alle verdächtige Häußer, worin weder Spihl noch Dantz erlaubt sein solle“. 949 Popkin: Der Kirchenkonvent in Württemberg. BWKG 96 (1996), S.101. 950 Hohenhaslach, S. 99. 951 Hohenhaslach, S. 99. 245 Kartenspielen, Würfeln, Kegeln und Tabakrauchen waren weitere Vergehen, gegen die eingeschritten werden mußte, ebenso Wahrsagen, Fluchen, Trinken und das Herumtreiben auf den Gassen.952 Ebenfalls noch aus dem 18. Jahrhundert soll ein Beispiel aus Zuffenhausen zeigen, wie sich der Kirchenkonvent mit einem Problem befassen mußte, das einen Lehrer betraf, der sich nicht in die Ordnung fügen wollte. In einem Kirchenkonvents- protokoll von 1733 schildert der Pfarrer von Zuffenhausen, Johann Theodor Clemens953, Sohn eines Karmelitermönches, der 1663 in den württembergischen Kirchendienst übernommen worden war, die Verhandlung über die Versäumnisse des zunächst probeweise eingestellten Provisors Jacob Reimold, die als so schlimm angesehen wurden, daß man sich nicht anders zu helfen wußte, als den Provisor zu entlassen und sich um einen neuen Lehrer zu bemühen: Anno 1733, den 12. April, Coram Pfarrer M. Clemens, Schultheiß Conrad Schäffer und etliche Richter, nämlich Michael Hartmann, Melchior Zweigle und Conrad Pfisterer. „Es hatte der letztlich auf eine Prob angenommene Provisor Jacob Reimold so schlecht sich aufgeführt, daß wir als Vorsteher der Schule uns genötigt gefunden, demselben den Abschied zu geben und an dessen statt einen anderen hieran kriegt. Demnach hat man heute zu einem günstigen Provisoren erkannt Johann Georg Rauch, Johann Rauchen, Bürgers und Schneiders zu Böblingen, ehelichen Sohn, mit der Zusag, daß er die hierüber dem Reimold versprochene Besoldung, wie solche auch andere seiner Antecessores haben sollen. Er aber seines Orts hier sich fromm, gottesfürchtig exemplarisch aufführen solle, sonst er nichts anderes zu erwarten, als daß er jetzo auf ein Vierteljahr zur Probe angenommen, werde er, wenn etwas Widriges von ihm sollte vorkommen, sogleich auch seiner Verabschiedung er würde zu erwarten haben. Daß Pfarrer aber sein Salarium richtig darreicht, er Georgy in seiner Schulen einen ehrbaren Antrag pflichtig erhalten wollen: Solches wird durch beiderseitige Vertragsschriften bekräftigt. M. Clemens, Conrad Schäffer, Melchior Hubrieglen, Conrad Pfisterer, Johann Georg Rauch, Provisor“.954 Im Rahmen der neuen Kirchenordnung Württembergs waren die Zusammen- setzung, der Wirkungskreis und die Geschäftsordnung für die Kirchenkonvente in einer "Amtsvorschrift für die evangelischen Kirchenkonvente" vom 29. Oktober 1824 neu festgelegt worden. Dem Gremium gehörten an: der Ortsgeistliche, der Ortsvorsteher, der Stiftungspfleger, sowie zwei oder drei aus dem Stiftungsrat gewählte "Kirchenälteste". Den Vorsitz hatte immer der Ortsgeistliche. 952 Hohenhaslach, S.100. 953 Johann Theodor Clemens (1676 - 9.9.1740), Pfarrer in Zuffenhausen 1719 - 1740, Sigel Nr. 481,16. 954 Kirchenkonventspotokoll Zuffenhausen, 1733. 246 Der Wirkungskreis war: 1. Die Kirchen-, Sitten- und Schutzpolizei, wobei ein Eingreifen in das innere Familienleben vermieden und die Schonung der Gewissensfreiheit beachtet werden soll. 2. Die Besorgung der laufenden Stiftungsgeschäfte und der Armenunterstützung, entsprechend dem Verwaltungsedikt vom 1. März 1822. 3. Überwachung der Vollziehung der Kirchengesetze, im besonderen die Über- wachung der öffentlichen Gottesdienste und die Überwachung des Bauzustands und der Reinlichkeit der Kirchengebäude. 4. Beobachtung der privaten Erbauungsstunden, der Pietistenversammlungen, der Sektierer und Separatisten. 5. Die Aufsicht und Zensur über das religiös-sittliche Leben hat sich zu beschrän- ken auf die Vernachlässigung der Kindererziehung, Ausbrüche der Irreligiosität, Verhöhnung des Heiligen, Umtriebe der Sekten, ärgerliche Äußerungen der Unsittlichkeit. Die Seelsorge für das religiös-sittliche Leben steht dem Geistlichen als Beicht- vater zu. 6. Die Aufsicht über die Schulanstalten hat sich nach der Generalschulordnung vom 31. Dezember 1810 zu richten. 7. Im Armenwesen sind die freiwilligen Mitglieder des örtlichen Wohlfahrtvereins beizuziehen, vor allem ist der Bettel abzustellen und die Beschäftigung der Armen zu fördern. Besonderen Schutzes bedürfen die Kranken, Witwen, Waisen und die hilflosen Alten. 8. Die Aufsicht über die niederen Diener der Kirche: wie Mesner, Totengräber, Leichensager usw.. 10. Zur Besserung der Kirchengenossen sollen zunächst Ermahnungen und Warnungen angewendet werden. Wo Geld- oder Gefängnisstrafen zu erkennen sind, sollen sie die weltlichen Mitglieder des Kirchenkonvents erwirken.955 1846 wurden zusätzliche Bestimmungen erlassen. Dies war offensichtlich nötig, weil festgestellt wurde, daß neuerdings des öfteren ledige Mädchen "bei Nacht bis 10 Uhr und noch später zwecklos und sogar mit ledigen Mannspersonen in den Straßen der Stadt und außerhalb derselben herumlaufen". Nicht nur die Mädchen, sondern auch deren Eltern wurden vor diesem sittenlosen Unfug ernstlich gewarnt, und es wurde angedroht, im Wiederholungsfall solche Mädchen durch den Polizeidiener zur Anzeige zu bringen und vor den Kirchenkonvent zu laden.956 In der Realität war die Einwirkungsmöglichkeit des Kichenkonvents im Gegensatz zu den weit formulierten Bestimmungen aber gering. Dies wird in einem Pfarrbericht von Großheppach deutlich. „Die Feier des Sonntags ist weder durch besondere äußere Stille, noch durch besondere auffallende Störungen der äußeren Ruhe ausgezeichnet" schrieb der Pfarrer in seinem Bericht von 1857. Er verwies vor allem auf die immer wieder auftretenden Ruhestörungen, die besonders von dem von einer Wirtschaft ausgehenden Lärm verursacht wurden. Der Kirchenkonvent weigerte sich aber, auf das Anliegen des Pfarrers einzugehen und für Abhilfe zu sorgen. 955 Glässner: Vom Kirchenkonvent zum evangelischen Kirchengemeinderat, S. 29. 956 Glässner: Vom Kirchenkonvent zum evangelischen Kirchengemeinderat, S. 32. 247 Trotzdem stellte dieser fest: „Was das Verhalten der Gemeinde gegen den Geistlichen im allgemeinen betrifft, so genießt derselbe viel entgegenkommende Liebe und Vertrauen, es ist Achtung vor dem Stand und der Person des Geistlichen da, obwohl auch schon vereinzelte Beispiele vom Gegenteil sich gezeigt haben, jedoch nur von Seiten solcher Personen, die in sittlicher und religiöser Hinsicht verkommen sind, deren Einfluß auf Andere jedoch nicht zu verkennen ist“.957 Die Erfahrungen haben gezeigt, daß es für den Pfarrer, obwohl er in der Gemeinde meist geachtet wurde, doch nicht selbstverständlich war, daß er sich mit seinen Anliegen im Kirchenkonvent auch durchsetzen konnte. Der Kirchenkonvent seinerseits war als gemischtes Organ für die Durchführung seiner Beschlüsse ja wieder auf rein weltliche Behörden angewiesen. Oft genug mußte der Pfarrer dann feststellen, daß er von dieser Seite nicht die notwendige und erwartete Unterstützung erhielt. Die Kirche hat sich in dieser Zeit sehr gegen die Aufhebung des Mitwirkerechts der Geistlichen besonders bei sittlichen Vergehen gewehrt und dem Staat unterstellt, man wolle hier absichtlich die sittliche Macht der Kirche nicht zur Geltung kommen lassen.958 Schon 1806 wurde die Kirchenbuße für Ehebruch durch „königliche Willkür“ abgeschafft. Allerdings war schon vorher in einem Generalreskript von 1795 dieses Delikt von einer Kirchenbuße in eine Geldstrafe umgewandelt worden.959 So saßen nun die Pfarrer ohne die Möglichkeit, die äußere Kirchenzucht aufrecht zu erhalten und ohne eine Strafgewalt im Kirchenkonvent und hatten hier weiterhin die Verantwortung für alles, was an Gesetzwidrigem auf diesem Gebiet geschah., zu tragen. Hinzu kam, daß sie immer wieder auch noch mit der "Unlust der weltlichen Mitglieder" zu kämpfen hatten, die aus Rücksicht auf ihre Dorfgenossen kein Interesse an einem Zwist wegen solcher Dinge hatten. Hinzu kam die gesellschaftliche Isolation des Pfarrers im dörflichen Umfeld, wo es der Pfarrer als ein Zugezogener und Ortsfremder gegen die Gemeinschaft des Dorfes oft sehr schwer haben konnte. In den städtischen Pfarreien fanden Geistliche immer Personen mit ähnlicher Sozialisation und ähnlichem Bildungs- hintergrund. In der Dorfgesellschaft kam der Pfarrer von außen. Er war zwar eine wichtige Autoritätsperson, aber seine moralischen Standards und Denkkategorien wurden von der dörflichen Gesellschaft nur teilweise oder gar nicht geteilt.960 In der Abhandlung „Staat und ländliche Lebenswelt“, stellt Vadim Oswalt die Frage: wie weit „über die institutionellen Reibereien und Unstimmigkeiten hinaus die „Interventionstiefe“ der Kirche im Dorf reichte. Präsenz im Dorf heißt nicht automatisch auch Integration in das Dorf“.961 957 Pfarrbericht Großheppach, 1857. 958 Württembergische Kirchengeschichte, II., S. 597. 959 Württembergische Kirchengeschichte, II., S. 510. 960 Oswalt: Katholische Aufklärung und ländliche Lebenswelt; S. 331. 961 Oswalt: Staat und ländliche Lebenswelt in Oberschwaben, S. 137. 248 Auch Helga Schnabel-Schüle vermerkt hierzu: „Waren nun die Gemeinde- geistlichen ortsfremd und damit im Gemeindeverband wenig verankert, solidarisierten sich in aller Regel die weltlichen Beamten der Kirchenkonvente, die als Dorfhonoratioren durch ihre Herkunft meist ungleich stärker in der Gemeinde verwurzelt waren, mit den Gemeindemitgliedern gegen den Pfarrer, der als Fremdkörper in der dörflichen oder städtischen Solidargemeinschaft betrachtet wurde.962 Der Kirchenkonvent wurde als "ideales Mittel zur Volkserziehung" gesehen und es wurde versucht, dieses Instrument mit einer Königlichen Verordnung auch für die katholischen Landesteile in Neu-Württemberg zu übertragen.963 In seiner Stellungnahme zu den Kirchenkonventssitzungen schrieb der Pfarrer von Leonberg 1862: "Die Sitzungen dauern gewöhnlich lange, vier bis fünf Stunden; ihr Gang ist schleppend und breit, eine wahre Geduldprobe für den Stadtpfarrer, der dieses Tempo nicht beschleunigen kann, ohne die Geneigtheit der Mitglieder während der Sitzung einzubüßen. Der frühere Dekan Kapff hat dem Referenten, als beide über den Marktplatz gingen, unter Hindeutung auf das Rathaus (wo die Sitzungen im allgemeinen stattgefunden haben) bemerkt, hier habe sich schon mancher eine Krankheit geholt".964 In verschiedenen Gemeinden ist in dieser Zeit in den Pfarrberichten meist nur die Zahl der Sitzungen des Kirchenkonvents erwähnt, weil die Verhandlungen ja in den Kirchenkonventsprotokollen festgehalten wurden. Dagegen gibt uns der Pfarrbericht von Tuttlingen aus dem Jahre 1841 wenigstens einen kurzen Einblick in die Themen, die verhandelt wurden Zunächst wurde auch hier wieder die Zahl der Sitzungen angegeben: 1837/38 9, 1838/39 11, 1839/40 11, 1849/41 10. „Abhaltung der städtischen Behörde und anderweitige Benützung der Sitzungs- zimmer verhindern bisweilen die Sitzungen. Das Protokoll wird vom Helfer geführt. Die hauptsächlichen Gegenstände der Verhandlungen waren: a). In Sachen der Kirchen- und Sittenpolizei: Abschaffung des Klingelbeutels und Ersatz durch verschlossene Opferbüchsen. Anweisung von Kirchenstellen für Beamte, Landjäger, neukonfirmierte Schüler, Ordnung der Abendmahlsfeier, nötige Bauten an der Kirche, Vergrößerung des Kirchhofs, Abstellung des Gipspochens und Einsperrung der Gänse an Sonntagen, Bestrafung von Sonntagsentheiligungen und Kirchenunfug, Verbot des Besuchs öffentlicher Hochzeiten für Kinder. b). Schulsachen: Anträge zur Anstellung neuer Lehrer, Abteilungsunterricht in einzelnen Schulklassen, Einrichtung neuer Schulzimmer, Anschaffung von grünen Vorhängen in den Schulzimmern, Regulierung von Schulbesoldungen, Trennung der Meßnerei vom Schuldienst, Referate über Schulvisitationen. 962 Schnabel-Schüle: Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg, ZWLG 1990, S. 208. 963 Reyscher, Württembergische Gesetze, Bd. X, S. 3, Verodnung vom 15.Januar 1817. 964 Pfarrbericht Leonberg, 1862. 249 Bestrafung von Schulversäumnissen. Bei Schulsachen wurden die drei ältesten Schullehrer der Stadt mit beratender Stimme zugezogen. c). in Armensachen: Einsetzung in den Genuß von Legaten, sonstige Armen- unterstützung, Aufnahme von armen Kindern in die Industrieschule der Katharinenstiftung. Lichtkärze sollen noch nie hier stattgefunden haben“.965 In den Kirchenkonventsprotokollen von Weil im Dorf wurde erwähnt, daß kinderlehrpflichtige Kinder wegen Unarten im Unterricht mit Stockschlägen bestraft wurden, die von ihren Kameraden ausgeführt werden mußten. Es mußte vom Kirchenkonvent eingeschritten werden wegen übler Nachrede, wegen Fluchen, Schwören, Sonntagsentheiligung durch Arbeit, Spiel und Tanz., durch Geschwätz in der Kirche. Es wurde sogar gerügt, daß eine Frau unverhüllt ohne Schleier zu einer Taufe gekommen war, daß eine Bäurin grundlos ihre Magd geschlagen hatte, und daß ein Bauer am Sonntag ungefragt übers Feld gelaufen war. 1858 wurde der Pfarrgemeinderat und die Kirchenältesten mit einem Schreiben des Generalsuperintendenten von Ludwigsburg aufgefordert, dem lügnerischen und verleumderischen Gerücht, wonach Seine Königliche Majestät zur katho- lischen Kirche übergetreten sei, mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten.966 Weiter wurden die Kosten (ohnkost) aufgelistet, welche bei der Visitation "durch Ihro Dignität Herren Spezialem M. Jacob Bernhard Erharden zu Cannstatt" entstanden waren: Herr Spezial pro honorari 1 fl. 30 kr. Auf 2 Imbis 1fl. 30 kr. dessen Postillion 40 kr. Herren M. Hofmann Pfarrer hier 30 kr. Schultheiß Andreas Höhnen 20 kr. Bürgermeister, Heiligenpfleger, Schulmeister je 15 kr. 45 kr. dem Dorfschützen 10 kr. _________ 5 fl. 02 kr. Die Kosten wurden hälftig vom Heiligen, also der Kirchengemeinde, und vom Bürgermeister, also der politischen Gemeinde, bezahlt. 967 Im Laufe des 19. Jahrhunderts waren es vor allem Armensachen, die vor dem Kirchenkonvent verhandelt wurden, daneben aber doch immer auch wieder eheliche Streitigkeiten. 965 Pfarrbericht Tuttlingen, 1841. 966 Ostertag: Chronik von Weil im Dorf, S. 131. 967 Ostertag: Chronik von Weil im Dorf, S. 132. 250 Am 20. Oktober 1816 wurde in Zuffenhausen der Fall der Catharina Wöhrwag, der Ehefrau des Georg Wöhrwag, verhandelt: „Catharina, Georg Wöhrwags, Bürgers und Metzgers allhier, Ehegattin, erscheint am heutigen recto vor dem gemeinschaftlichen Amt allhier und bringt wider ihren Mann die Klage vor, daß er immer berauscht ginge, sie im Rausch mißhandle und sie öfters zum Haus hinaus jage. Sie ginge bei ihm ihres Lebens nicht sicher und wünsche, von ihm durch eine förmliche Scheidung getrennt zu werden. Diese Sache wird nun heute folgendermaßen untersucht, und zwar: 1. die Klägerin ad Protocollam genommen. 2.1. Wie sie heiße und wie alt sie sei? Sie heiße Catharina geb. Göblin, 36 Jahre alt. 2.2. Wie lange sie mit ihrem Mann in der Ehe lebe? Sie hause mit ihm 13 Jahre. 2.3 Wie viele Kinder sie habe? Sie habe nur ein Töchterlein, welches 12 Jahre alt sei. Dieses habe beinahe gar keinen Verstand , könne sich gar nicht bewegen, nicht einmal selbst essen. Es sei von seiner Geburt an so elend gewesen. 2.4. Was sie für eine Klage wider ihren Mann vorzubringen habe? Ihr Mann berausche sich alle Tage mit Branntwein, wenn er heimkomme überhäufe er sie mit Schelt- und Schimpfworten, auch mit Schlägen, so daß sie aus dem Hause sich entfernen müsse. Er habe ihr schon öfters in Gegenwart ihres Schwagers Michel Schöllkopf und ihrer Schwester gedroht, daß, wenn sie ihm nicht aus dem Gesicht gehe, sie unter seinen Händen sterben müsse. Schon mehrere Male habe er sie mit Schlägen aufs äußerste mißhandelt. 2.5. Was sie weiter über ihn zu klagen habe? Er laufe immer des Schmids Jakob Ludmanns Tochter nach und dieses lege den Grund zu laufenden Händeln. Vorgestern Nachmittag sei er in Stuttgart gewesen, wo er unterwegs in der Chaussee eingekehrt habe. Hier habe des Schmid Ludmanns Tochter auf ihn gewartet, wo er ihr Essen und Trinken bezahlt und zu ihr gesagt habe, wenn sie Geld wolle, solle sie es nur sagen, er wolle ihr geben. Darauf seien beide auf einem Wagen hierher gefahren und vor den hiesigen erst abgestiegen, und er sei mit dieser Dirne nach Hause gegangen. Dann sei er nach Hause gegangen und habe ihr gleich gedroht, er bringe sie um, wenn sie vor sein Angesicht komme, worauf sie, um nicht in Lebensgefahr zu kommen, sich gleich zu ihrer Schwester begeben und bei dieser übernachtet habe. 2.6. Ob sie vorher auch über diese Behandlung ihres Mannes sich bei der Obrigkeit beschwert habe. Ja, sie habe sich zwar etliche Male bei dem Pfarrer und Schultheißen beschwert, weil er aber Besserung versprochen habe, habe sie sich wieder zufrieden gegeben. Aber jetzt sei seine Liederlichkeit und seine Beleidigungen gegen sie aufs höchste gestiegen. 251 2.7. Ob sie wirklich auf Ehescheidung antrage? Wenn ihr Mann Besserung verspreche, den Umgang mit den verdächtigen Weibsbildern meide und mit ihr in Frieden in Zukunft lebe, so wolle sie ferner mit ihm hausen. Hierauf wurde der Wöhrwag vorgefordert und ihm sein schlimmes Betragen vorgehalten. Er erwiderte, daß Eifersucht von Seiten seines Weibes die meiste Veranlassung zu allen Händeln sei. Auf ernstliches und drängendes Zureden des Pfarrers und Schultheißen versprach derselbe Besserung und gelobte, daß er in Zukunft mit seinem Weib in Frieden und Eintracht leben wolle. Worauf beide Teile zugleich erinnert wurden, miteinander in Liebe und Einigkeit zu begegnen und die gegenseitigen Fehler in Geduld zu ertragen. Gegenwärtige Verhandlung verifizieren Pfr. M. Huber, J. Schäffer, Schultheiß.968 Auch aus dieser Verhandlung ergibt sich, wie begrenzt die Eingriffs- möglichkeiten des Kirchenkonvents waren. Außer wohlgemeinten Ermahnungen hatte dieser zur Beilegung eines Streites nichts beizutragen. Es kann angenommen werden, daß dieser Schlichtungsversuch zur Besserung der ehelichen Verhältnisse nichts beigetragen hat. Im selben Jahr wurde auf weiteren Sitzungen für die verstorbene Leichensägerin eine neue gewählt, wurde die Sommerschule visitiert und mit Vergnügen wahrgenommen, daß "Lesen und Schreiben und Rechnen meist gut“ sei, wurde einer Frau für wöchentliche Botengänge nach Stuttgart ein Botenlohn bewilligt, und der Stiftungszins an Hausarme verteilt. Im Protokoll von 1830 hieß es: Die neuverpflichtete Hebamme Magdalena Mayr mußte vom 9. März bis 17. Mai 1830 nach Stuttgart zu einem Lehrgang und dort 15 mal übernachten. Sie erhielt hierfür täglich 15 Kreuzer vergütet, außerdem täglich 20 Kreuzer für Kost. Der Wundarzt Leopold hatte Arznei für die arme Christine Schäferin gegeben. Die Kosten in Höhe von 54 Kreuzern wurden auf die Almosenkasse dekretiert. Von dem Apotheker Köstlin aus Ludwigsburg wurden Kosten in Höhe von 20 Gulden und 11 Kreuzern für die 1829 dort krankgelegene Christine Hähnlein angefordert. „Da die Hähnlein lediglich kein Vermögen hat, sollen diese Kosten in der Almosenkasse ausgelegt werden“. Immanuel Appenzeller hatte den „simpelhaften Jacob Wöhrwag“ in der Kost. „Der Accord war an Jacobi zu Ende gegangen. Es wurde beschlossen, ihm Verpflegung für weitere 3 Jahre von Jacobi 1830 bis 1833 28 fl aus der Almosenkasse zu bezahlen“. Dieser Fall beschäftigte den Kirchenkonvent noch im Jahre 1853. Am 9. September dieses Jahres wurde festgelegt: „Immanuel Appenzeller hat angezeigt, daß der simpelhafte Jacob Wöhrwag, welchen er seither in Verpflegung 968 Kirchenkonventsprotokoll Zuffenhausen, 1816 - 1830, 26.10.1816. 252 gehabt, der Termin an Jacobi verflossen. Erhält jährlich 27 Gulden unter der Bedingung, daß er denselben in gesunden wie in kranken Tagen zu versorgen, wenn jedoch Medikamente erforderlich sind, so sollen solche auf Kosten der Almosenkasse bezahlt werden“ In Zuffenhausen wurden die Kirchenkonventssitzungen in dieser Zeit wohl je nach Bedarf gehalten, manchmal dicht aufeinander, dann auch wieder in größeren Abständen. Die Termine waren: 15.1.1830, 20.1.1830, 12. 2.1830, 12. 3.1830, 11. 6.1830, 14.6.1830, 29.6.1830, 2.7.1830, 10.9.1830, 8.12.1830. 17.3.1831, 4.5.1831, 8. 9.1831, 30.10.1831, 28.12.1831, 10.3.1832, 4.6.1832, 13. 7.1832, 21. 8.1832, 15.12.1832. Am 8. Dezember 1830 wurde über die Unterstützung der ledigen Barbara Schäfer verhandelt: „Die ledige Barbara Schäferin, welche gebrechlich und seither täglich 4 xr Hauszins und jährlich 4 fl aus der Almosenkasse erhält, erscheint und trägt vor, da sie sich mit täglich 4 xr nicht betragen könne, und bittet um Erhöhung ihr zu bewilligen. Da man vom Stiftungsrat wegen nicht gemeint ist, die Autentation von täglich 4 xr zu erhöhen, jedoch unter vorwaltenden Umständen derselben den Hauszins um 2 fl jährlich zu erhöhen und statt seitherigen 4 fl jährlich 6 fl bezahlt werden sollen“. „Die Amtsböttin Christina Schwinghammer Wittwe trägt vor, daß sie von der Stiftungspflege jährlich für hin und her zu tragende Briefe und Rechnungen nur 2 fl erhalten, was sehr wenig sei, und bittet, ihr dieses Gehalt zu erhöhen. Da man allerdings diese Belohnung von jährlich 2 fl für zu wenig erachtet, so wurde vom Stiftungsrat unter Zustimmung des Bürgerausschusses beschlossen: daß der Amtsböttin Schwinghammer jährlich eine Zulage von 2 fl bewilligt sein solle“. Am 13. November 1840 mußte der Kirchenkonvent in einer Schulsache tätig werden: „Nach einem Erlaß der K. Armenkommission vom 28. April 1840 soll mehr als bisher darauf gesehen werden, daß besonders wenigstens die in öffentlichem Almosen Stehenden oder von den Ihrigen verwahrlosten Mädchen zum regelmäßigen Besuch der Arbeitsschule und nötigenfalls zwangsweise angehalten werden, und sollen dieselben zu diesem Zweck auf Kosten des öffentlichen Kasten mit dem erforderlichen Arbeitsmaterial versehen werden, indem es nicht wahrscheinlich ist, daß dieselben das Erforderliche von zu Hause mitzubringen vermögen. Hierauf wird beschlossen: daß alle der Teilnahme bedürftigen Mädchen hierzu mit Strenge angehalten, das Arbeitsmaterial, wo es nötig, aus dem öffentlichen Kasten angeschafft und da die Zahl der Schülerinnen mehr als einen Lehrer erfordert, die Kosten der Belohnung zweier Lehrerinnen aus dem öffentlichen Kasten bestritten werden sollen, soweit der Beitrag der Armenkommission, auf welchen man auch ferner hofft, hierzu nicht ausreicht“.969 969 Kirchenkonventsprotokoll Zuffenhausen, 1830 - 1857, 13.11.1840. 253 In derselben Sitzung wurde aber auch der Antrag der Anna Maria Schlinz auf Unterstützung ihrer beiden ledigen Kinder mit der Begründung abgelehnt, „daß sie bei ihrer Jugend und Gesundheit und bei den vielen Gelegenheiten zum Taglöhnen wohl noch sich und ihre Kinder durchzubringen vermöge“. Weiter wurden Geldgeschäfte genehmigt, die der Stiftungspfleger Simpel getätigt hatte. Er zeigte an, daß er jeweils 100 fl gegen die gesetzliche Sicherheit an Jakob Kienzle, Weingärtner dahier, und an Michael Kunberger, Kübler in Zuffenhausen, ausgegeben habe. Die Stiftungskasse mußte hierzu ihre Genehmigung geben. Schließlich wurde dem Kirchenkonvent bekannt, daß die Christine Hähnle am 25. November aus der Strafanstalt Ludwigsburg entlassen werde. Es wurde beschlossen, am nächsten Sonntag von der Kanzel verkünden zu lassen, welcher Bürger sie hier in das Logis aufnehmen wolle, wofür demselben aus den öffentlichen Kassen ein verhältnismäßiger Hauszins bezahlt werden solle.970 Die Punkte, die in Zuffenhausen verhandelt wurden, waren also breit gefächert. Im Laufe der Zeit wurden immer mehr polizeiliche Befugnisse vom Kirchenkonvent auf die im Zuge der Reformierung des Gerichtswesens neugeschaffenen Behörden übertragen und somit dem Kirchenkonvent entzogen.971 Das neue württembergische Strafgesetzbuch, das am 15. Mai 1839 in Kraft trat, erhielt Bestimmungen, die ebenfalls in diese Richtung wiesen.972 Den Geistlichen wurde das Recht, vor allem in Sittenfragen strafend einzugreifen, mehr und mehr genommen. Die Entscheidungskompetenzen und die konkrete Strafbefugnis der Pfarrer außerhalb des kirchlichen Bereiches wurden immer mehr zurückgedrängt.973 Hinzu kam die gesellschaftliche Isolation des Pfarrers im dörflichen Umfeld. Helga Schnabel-Schüle schrieb: "Waren nun die Gemeindegeistlichen ortsfremd und damit im Gemeindeverband wenig verankert, solidarisierten sich in aller Regel die weltlichen Beamten der Kirchenkonvente, die als Dorfhonoratioren durch ihre Herkunft meist ungleich stärker in der Gemeinde verwurzelt waren, mit den Gemeindemitgliedern gegen den Pfarrer, der als Fremdkörper in der dörflichen oder städtischen Solidargemeinschaft betrachtet wurde. Helga Schnabel-Schüle erwähnt in diesem Zusammenhang den Pfarrer von Kirchentellinsfurt, der nach 1690 in seiner Gemeinde so weit isoliert war, daß er kaum mehr eine Möglichkeit hatte, „den ordnungsgemäßen Geschäftsgang der Kirchenkonvente aufrecht zu erhalten, zeitweilig unterschrieb er als einziger die Protokolle“. Ohne die Unterstützung der übrigen Gemeindemitglieder wurde er „zum Hauptankläger bei den Kirchenkonventen, was seiner Beliebtheit im Gemeindeverband ganz und gar abträglich war".974 970 Kirchenkonventsprotokoll Zuffenhausen, 1830 - 1857, 13.11.1840. 971 Sauer: Im Namen des Königs, S. 120 ff.; Schnabel-Schüle: Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg, S. 207. 972 Sauer: Im Namen des Königs, S. 135. 973 Oswalt: Staat und ländliche Lebenswelt in Oberschwaben, S. 136. 974 Schnabel-Schüle: Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg; ZWLG 1990, S. 208/209. 254 Dies war auch in den späteren Jahrzehnten nicht anders. Bei einer solchen Konstellation konnte der Pfarrer nur noch Delikte vor den Kirchenkonvent bringen, die er in eigener Person bezeugen konnte. Amtmann oder Schultheiß konnten sich dann aber immer noch weigern, die Strafen, wenn sie überhaupt ausgesprochen wurden, auch zu exekutieren. Einmal davon abgesehen, dass gewisse Kreise in den Kirchenkonventen sogar eine Gefahr für den dörflichen Frieden sahen,975 zeigen die angeführten Beispiele von Zuffenhausen, daß es auch bei allem guten Willen einem Kirchenkonvent nicht möglich war, den ehelichen Frieden in einer durch Trunksucht des Mannes zerrütteten Ehe wiederherzustellen. Außer den ständig wiederholten Ermahnungen hatte der Konvent keine Möglichkeit, einzugreifen, und dies war für die bedrängte Frau keine Hilfe. Der Verfall der kirchlichen Ordnungen, welche bis dahin nach Ansicht kirchlicher Stellen wenigstens einen Damm gegen den Verfall der Sitten gebildet hatten, und eben damit der Verfall des Volkslebens selbst, wurde als "die Signatur dieser Zeit" interpretiert. "Dagegen hat sich in kleinen Kreisen, namentlich der Stillen im Lande, von den Vätern her ein Kapital von Gottesfurcht und Glauben , von Zucht und Sittsamkeit, von Genügsamkeit und Geduld vererbt, welches auch diese Jahre nicht ganz arm erscheinen läßt".976 Erstaunlicherweise hat der Kirchenkonvent im Jahre 1851 eine Stärkung erfahren. Nach den freizügigen Regelungen seit 1848, die Versammlungen allgemein erlaubten, hat im Mai 1851 im Zuge der allgemeinen Restauration das Konsistorium verfügt, daß die Kirchenkonvente über die Kirchenbenutzung und vor allen die Abhaltung religiöser Privatversammlungen entscheiden sollten.977 975 Schnabel-Schüle, Calvinistische Kirchenzucht in Württemberg; ZWLG 1990, S. 213. 976 Württembergische Kirchengeschichte, II., S. 597. 977 Paul Krauß: Gustav Werner. Lebensbilder aus Schwaben und Franken: XIV., S. 268. 255 7.2. Der Pfarrgemeinderat. Es sind, wie bereits erwähnt, in den Jahren nach 1819 immer wieder Versuche gemacht worden, der Kirche eine eigene Repräsentationsverfassung zu schaffen. Dabei ist auffallend, daß dies der katholischen Kirche wesentlich früher gelang, als der evangelischen Landeskirche. Dies mag damit zusammenhängen, daß der König davon überzeugt war, daß seine Kirche unter seinem Episkopat keine besondere Selbständigkeit nötig habe. Er war außerdem nicht bereit, von seinem Hoheitsrecht über seine Kirche auch nur das Geringste abzugeben. Auch stießen selbst auf Seiten des Pietismus Gedanken, demokratische Vorstellungen aus dem politischen Raum in die Kirche und ihre Verfassung zu übernehmen, auf Unverständnis und Widerstand.978 Eduard Süskind (1807 - 1874), Pfarrer in Suppingen, hielt am 5. Mai 1845 in Laichingen eine Versammlung ab, in der er die Notwendigkeit der Repräsentation der Kirche im Rahmen einer Synode forderte. Kapff, der die Leitung hatte, befürchtete eine Auflehnung gegen die Kirche und die Obrigkeit, und in einer Synode die Verstärkung des unkirchlichen Einflusses, und lehnte solche Gedanken streng ab. Seine Begründung lautete, das demokratische Prinzip widerspreche nun einmal der von Gott geschaffenen Ordnung. Man dürfe den König in seinen von Gott gegebenen Rechten als Oberhaupt seiner Kirche nicht einschränken, indem man ihm eine demokratische gewählte Körperschaften, nämlich eine Landes- synode, zur Seite stelle.979 In der "Württembergischen Kirchengeschichte" wurde diese Bewegung als ein Erstarken der orthodoxen, pietistischen, konservativen Richtung gegenüber dem Liberalismus der Zeit, schließlich als ein Bündnis von Thron und Altar interpretiert.980 Für die Landeskirche verkörperten Liberalismus und Demokratie "Dummheit, Schande, Liederlichkeit, Raub, Diebstahl und Mord". Jede verdächtige Regung freier Geister sollte deshalb unterdrückt werden.981 Aber auch Kapff forderte in späteren Jahren, beispielsweise auf der Landessynode 1869, ein Mitspracherecht der Gemeinde bei der Besetzung der Pfarrstellen und mehr Selbständigkeit der Kirche in ihren finanziellen Belangen.982 Doch war auch schon in den Jahren davor in Eingaben immer wieder eine eigene Kirchen- vertretung von der Ortsgemeinde hin zu einer Landessynode gefordert worden. Nach der Umbruchzeit von 1848/49 hat König Wilhelm 1851 durch eine Verordnung einen Pfarrgemeinderat als Organ für die kirchliche Leitung des Gemeindelebens eingeführt.983 Vorausgegangen war der Versuch, der Kirche eine neue Verfassung zu geben. 978 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 225. 979 Moersch: Altensteig zwischen Baden und Württemberg, S. 10. 980 Württembergische Kirchengeschichte, S. 615. 981 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 381. 982 Haug: Reich Gottes im Schwabenland, S. 183. 983 Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 236; Reg.Bl. 1851, Nr. 2, vom 3.2.1851. 256 Eine vom Konsistorium einberufene Kommission von Geistlichen und Laien legte 1849 einen Entwurf vor, der eine stärkere Beteiligung der Gemeinde an der Gestaltung des Gemeindelebens, sowie eine Diözesan- und schließlich eine Landessynode vorsah. Die Regierung war aber nicht gewillt, der Kirche eine solche weitgehende Unabhängigkeit zu gewähren, und auch Sixt Carl Kapff trat allen Neuerungen "im Namen und Auftrag vieler Amtsbrüder" entgegen.984 Lediglich ein Pfarrgemeinderat als Organ für die kirchliche Leitung der Gemeinde kam zustande, der sich im Unterschied zum Kirchenkonvent und Stiftungsrat vor allem auf die Förderung des geistlichen Lebens, und weniger auf eine rechtliche Stellung, konzentrieren sollte. Der Gemeinderat wurde durch eine Königliche Verordnung vom 25. Januar 1851 zum erstenmal unter Mitwirkung der Kirchenkonvente bestellt.985 Er war von den "erwachsenen Gemeindegliedern" zu wählen. Das aktive Wahlrecht hatten nur Männer über 30 Jahre, die Frauen waren bis 1919 vom Wahlrecht ganz ausgeschlossen. Es durften nur Kirchenmitglieder gewählt werden, die 40 Jahre alt waren. Die Kirchenältesten waren auf sechs Jahre gewählt, nach drei Jahren schied durch Los die Hälfte aus, nach weiteren drei Jahren die andere Hälfte. Der Pfarrer war Vorsitzender des Pfarrgemeinderats. Die Verhandlungen hatten monatlich an einem würdigen Ort stattzufinden.986 Die Aufgaben dieses Pfarrgemeinderats waren folgende: 1. Pflege christlichen Lebens, evangelischer Sorge für Zucht und Ehrbarkeit und der damit verbundene Einfluß auf Kindererziehung, Schule und ledige Jugend. 2. Die Wahrnehmung der kirchlichen Ordnung, namentlich der Gottesdienst- ordnung und der Sonntagsfeier. 3. Christliche Armen- und Krankenpflege. 4. Überwachung der niederen Kirchendiener und gutächterliche Äußerung über die Bestellung derselben, wo diese nach der Verordnung vom 29. September 1836 dem Stiftungsrat zukommt. 5. Vertretung der Pfarrgemeinde und ihrer Interessen, insbesondere auch bei der Besetzung von geistlichen Ämtern.987 Die wesentliche Bestimmung des Pfarrgemeinderats war „der Kirche zu dienen in Förderung ihres geistlichen Lebens“, also vor allem in der Unterstützung des Pfarrers, "die Wahrnehmung der kirchlichen Ordnung, die Pflege eines christlichen Lebens, die evangelische Sorge für Zucht und Ehrbarkeit, der Einfluß auf Kindererziehung, Schule und ledige Jugend", wie es im Amtsblatt des Konsistoriums hieß.988 984 Der Christenbote 1849, Nr. 11, vom 18.3.1849, S. 121; Württembergische Kirchengeschichte, S. 560. 985 Süskind: Repertorium der evangelischen Kirchengesetze, Bd. 2, S. 507. 986 Gässner: Vom Kirchenkonvent zum evangelischen Kirchengemeinderat Waiblingen, S. 41. 987 Gässner: Vom Kirchenkonvent zum evangelischen Kirchengemeinderat Waiblingen, S. 41. 988 Amtsblatt des württembergischen evangelischen Konsistoriums, Nr. 15, 22.11.1855; Süsskind: Der Organismus der protestantischen Kirche, S. 60. 257 Zum erstenmal in der Geschichte der Landeskirche war damit eine gewählte Vertretung der Kirchengenossen vorhanden.989 „Die Gebrechen und Heilmittel des sittlich-religiösen Lebens, die Aufgaben der inneren und äußeren Mission, sind in diesen Presbyterien zu mannigfaltiger Anregung und Förderung verhandelt worden“.990 Doch wurde gerade hier auch wieder die Differenz zwischen der gewünschten idealen Anlage und der rauhen Wirklichkeit in der Gemeinde erfahren und gesagt, daß so „ein gesundes Gebilde nicht erwachsen konnte“. Der Pfarrgemeinderat war weder eine rechtliche Vertretung der Kirchengemeinde, auch war ihm die Verwaltung des kirchlichen Vermögens verwehrt. Das blieb Aufgabe des durch den Ortsgeistlichen verstärkten Stiftungsrates.991 Der „Christenbote“ forderte für einen Neubau des kirchlichen Lebens in den Gemeinden die bessere Nutzung der vorhandenen Ordnungen. „Es muß vor allem von unten geholfen werden, das heißt, es muß dafür gesorgt werden, daß, soweit solches von menschlicher Einwirkung abhängt, die Heranbildung solcher Diener der Kirche mit allem Ernste bezweckt werde, welche wahrhaft ihrer Aufgabe entsprechen, welche mit den nötigen Kenntnissen Liebe zu dem Herrn und seinem Evangelium, möglichste Tüchtigkeit zur gesegneten Führung des Predigt- und Seelsorgeamts und den Eifer verbinden, hiermit gerne auch den Ärmsten im Volke zu dienen“.992 Ein Pfarrer sah, auch wieder in einem Aufsatz im „Christenboten“, gerade in der Tatsache, daß der neugeschaffene Pfarrgemeinderat weder Geld noch Strafgewalt besitze, den Vorteil, daß er sich deshalb nicht „aus der Bahn der geistlichen Wirksamkeit verirren und sich im bürokratisch-polizeimäßigen Geleis der bisherigen Kirchenkonvente und Stiftungsräte festfahren und sich so um seine eigentümliche Stellung, um sein Ansehen und um seinen Kredit bringen könne". Die neue Einrichtung wurde von manchen Kreisen durchaus „als ein Mittel zur Entfaltung und Bereicherung des Lebens in der Gemeinde“ gesehen.993 Im Pfarrgemeinderat, der aus den Geistlichen und gewählten „Kirchenältesten“ bestand, war der bürgerliche Ortsvorsteher nun nicht mehr automatisch und von Amts wegen Mitglied. Er konnte aber als Kirchengenosse gewählt werden, und er hatte bei der Aufstellung der Wahllisten mitzuwirken. Aus einzelnen Pfarrberichten sind die Schwierigkeiten zu ersehen, mit denen von Anfang an zu kämpfen war. Es gab Gemeinden, die der neuen Einrichtung ablehnend gegenüberstanden. In etwa 300 Orten kam der Gemeinderat auch deshalb nicht zustande, weil die Wahlbeteiligung zu gering war. Noch anfangs der achtziger Jahre lag der Prozentsatz der an den Wahlen Beteiligten im Durchschnitt bei 20%, von 8,2% in Stuttgart bis 34% in den Bezirken Herrenberg und Nagold.994 989 Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 237. 990 Württembergische Kirchengeschichte, II., S. 560. 991 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 53. 992 Der Christenbote, 1851, S. 191. 993 Der Christenbote, 1851, S. 180-182; Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 238/239 994 Wurster: Das kirchliche Leben der ev.Landeskirche in Württemberg, S. 55. 258 Nach dem Pfarrbericht von Geislingen aus dem Jahre 1853 brachte die Pfarrgemeinderatswahl 1851 nur wenige Stimmen. "Kein Gemeinderat gewählt. Gewählte haben Wahl nicht angenommen. Örtlichen Zuständen zuzu- schreiben“.995 Erst 1859 wurde hierzu wieder Stellung genommen und konstatiert: „ Pfarrgemeinderat besteht seit Mai 1854“. In Hall zählte der Dekan Rudolf Schmid 1876 die im Pfarrgemeinderat behandelten Fragen auf: „Ausscheiden des Hospitalvermögens, Armenpflege, Sorge für verwahrloste Kinder, spitalische Lehrlinge, Dienstbotenwesen, Sparsache, Frage der Mitwirkung der Gemeinde bei der Besetzung geistlicher Stellen, Gottesdienst-ordnung, Abendmahlsordnung, Restauration des Ölbergs in der Sakristei, Schmuck der Kirche, Kirchenstuhlordnung, Reinhaltung des Kirchenplatzes, Sonntagsfeier, Rekrutenunfug, Kirchhof- und Leichenordnung, Traubibeln, Perikopenfrage. Schüler der höheren Lehranstalten in ihrer Beziehung zur Kinderlehre und Konfirmation, Sedansfeier, Fürsorge für die männliche Jugend, Leseabende, Sonntagsschule, außerordentliche Kindergottesdienste und - Feste, Bibelstunde, Kirchenkonzerte, Choralbuch, Besetzung kirchlicher Ämter, Kirchenverfassung, Diözesansynode, Methodisten und Baptisten, Finanzielles, Konfirmationdispensation. Über die Zusammensetzung des Gemeinderats schrieb er: "Die Ältesten, aus den verschiedensten Bevölkerungsschichten zusammengesetzt, sind lauter würdige Männer, zum Teil voller Interesse und Verständnis für kirchliche Fragen und wahre Zierden des kirchlichen Kollegiums, doch prüfen sie die Armenfürsorge z.B. wenig selbst“.996 Im Pfarrbericht von Langenburg aus dem Jahre 1882 wurde die Tätigkeit des Pfarrgemeinderates nur kurz erwähnt: "Die Mitglieder desselben sind wackere, kirchlich gesinnte, in der Gemeinde wohlangesehene Männer, die aber froh sind, wenn sie nicht allzuviel behelligt werden. Der Pfarrgemeinderat tagte im Jahre 1879 siebenmal, im Jahre 1880 fünfmal, ein Jahr später achtmal".997 Im Pfarrbericht von Leonberg aus dem Jahre 1859 schrieb der dortige Dekan im Rahmen seiner Prüfung über die Tätigkeit des Pfarrgemeinderats: Dieses Institut hat bisher noch nicht die rechte Anerkennung finden können, namentlich von Seiten des weltlichen Gemeinderats, der teilweise von ihm eine verfassungs- widrige Verwirrung, teilweise eifersüchtig eine Beschränkung der weltlichen Befugnisse, etwas Hierarchisches, erblickt, und daher offen oder verdeckt gegen denselben operiert, jedenfalls seine Anträge behindert oder beseitigt. Daher mußte der Pfarrer manches aufgeben, weil er sah, daß es nicht ausgeführt werden könnte, gerade, wenn er sich damit beschäftigte, und es gehörte bis jetzt viel Selbstverleugnung und Zuspruch dazu, daß er sich nicht ganz auflöste". 995 Pfarrbericht Geislingen, 1853. 996 Pfarrbericht Hall, 1879. 997 Pfarrbericht Langenburg, 1882. 259 Es war offensichtlich immer schwer, die Mitglieder auch nur zum Besuch der Sitzungen zusammen zu bringen, und weil öfter die Zahl der anwesenden Mitglieder zu gering war, so verloren auch die, die regelmäßig kamen, die Lust". In Armensachen konnte der Leonberger Pfarrgemeinderat nicht viel tun, bloß durch freiwillige Beiträge, die er selbst aus seinen Mitteln sammelte. "Ein Antrag auf Überlassung des Opfers des vorigen Sonntagsgottesdienstes hätte, wie die Sachen stehen, keinen Erfolg und würden abermals zur Beschämung des Pfarrgemeinderats ausfallen“.998 Der Pfarrer von Leonberg legte für das Jahr 1870 einen ausführlichen Bericht über die Tätigkeit dieses Gremiums vor: "Der Pfarrgemeinderat tagte in den Jahren 1867 bis 1869 im Durchschnitt vier- bis fünfmal. Verhandelt wurde der Konfirmationstermin, das Missionsfest, Tagesordnung der Diözesan-Synode, Gustav-Adolf-Sache, Feiertagspredigten, Besprechung des geistlichen Zustands der Gemeinde, die Kinderlehrbesuchssache, Gutachten betreffend die Wahl einer Leichensägerin, die Methodistenstunde, die Bibelkollekte (von Haus zu Haus), Konkubinate von Eisenbahnarbeitern, Verwilligung der Kirche zur Beichte und Kommunion der katholischen Eisenbahnarbeiter, Äußerung über die Neufest- setzung der Stadtpfarrstelle, Termin der Kirchweihfeier, Ergänzungswahl, Ordnung in der Kirche, Bibelstunde, Vesperlektion, Schulvisitation". Bei der letzten Wahl in Leonberg war die Beteiligung sehr gering. Es wurden nur 47 Stimmen abgegeben. Dabei wurde ein Mitglied des Gemeinderats gewählt, was nicht unerwünscht war. Der Stadtpfarrer freute sich darauf, sich mit diesen Männern besprechen zu können und hoffte, an ihnen eine Stütze zu haben. In der Gemeinde wurde das Institut aber wenig beachtet, weil es keinen sichtbaren Einfluß hatte.999 Im gleichen Jahr, 1870, urteilte der Dekan bei seiner Prüfung über den Pfarrgemeinderat von Leonberg: „Die Mitglieder sind würdige Männer, großenteils sogenannte Pietisten. Sie erscheinen meist vollzählig und zeigen Interesse für die Gegenstände, die besprochen werden“. Im Jahre 1880 schrieb der Pfarrer: „In den Jahren 1877, 1878 und 1879 traf sich das Gremium sechs bis acht mal. Die Mitglieder sind wackere, christlich gesinnte Männer, freilich teilweise alt und krank. Einzelne von ihnen suchen zu wirken durch Verbreitung guter Schriften, durch Krankenbesuche, Hilfe bei Haus- kollekten, beim jährlichen Missionsfest“.1000 Aus diesen Bemerkungen ist zu sehen, daß der Pfarrgemeinderat sehr oft seine Tätigkeit nur unter großen Schwierigkeiten erledigen konnte. Das Interesse der Gemeinde an dieser Einrichtung war überall gering, und oft wurden die Geschäfte vom weltlichen Gemeinderat zusätzlich auch noch behindert. Als im Jahre 1889 nunmehr der „Kirchengemeinderat“ in Leonberg neu gewählt wurde, bestätigte der Pfarrer, daß dem Institut zu diesem Zeitpunkt keine besonderen Hemmnisse mehr entgegenstünden. Immer noch war aber das Interesse an der Institution nicht groß und die Beteiligung an der Wahl sehr gering. 998 Pfarrbericht Leonberg, 1859. 999 Pfarrbericht Leonberg, 1870. 1000 Pfarrbericht Leonberg, 1880. 260 Auch in Leutkirch konnte im Jahre 1858 ein Pfarrgemeinderat trotz aller Bemühungen nicht zustande gebracht werden. Die Gründe wurden nicht erwähnt. Zwei Jahre später, 1860 vermerkte hier der Pfarrer noch kurz und lakonisch: „Noch kein Pfarrgemeinderat“.1001 Selbst im Jahre 1873 war "der Pfarrgemeinderat in der Gemeinde immer noch nicht eingebürgert“. In Ludwigsburg hatte es schon bei der Einführung des Pfarrgmeinderats 1852 Schwierigkeiten mit den weltlichen Behörden gegeben, welchen der Pfarrer in seinem Bericht von diesem Jahr sowieso kein allzu gutes Zeugnis ausgestellt hat. „Der weltlichen Obrigkeit kann Referent das Zeugnis nicht geben, daß sie durch ihr Beispiel die Wertschätzung der Kirche und ihrer Anstalten fördere“. Der Dekan war in seiner Anmerkung zum Thema Pfarrgemeinderat allerdings sehr optimistisch: „Es ist nicht zu verkennen und kann nicht oft und deutlich genug gesagt werden, daß die Pfarrgemeideräte, wenn sie mit freudigem Mute ihres Berufes warten sollen, auch äußerlich eine feste Grundlage zu ihrem Wirken gewinnen, die erforderlichen Mittel zur Armenunterstützung in die Hand zu bekommen, und in ihren Bemühungen zur Wiederherstellung christlicher Zwecke und Ordnungen von oben herab kräftig unterstützt werden. Das ist auch das lebhaft ausgesprochene Verlangen des hiesigen Pfarrgemeinerats, der aus den angesehendsten und ehrenhaftesten Kirchengenossen besteht und auch den Oberamtmann, den Regierungsrat Scholl, zu seinen Mitgliedern zählt. Es sollte einmal vorwärts gehen, wenn man verhindern will, daß es rückwärts geht“.1002 In Öhringen bemerkte 1877 der Dekan Fischer1003, der seine Tätigkeit in Öhringen 1838 als Diakon begonnen hatte, 1847 Stadtpfarrer wurde und schließlich 1875 das Dekanat und die Stiftspredigerstelle übertragen bekam, außerdem Archivar des Hauses Hohenlohe war, zu der Tätigkeit des Pfarrgemeiderats: „Beratungsgegenstände: Sonntagsfeier, einmal durch einen Feuerwehrumzug gestört, Restauration der hiesigen Stiftskirche, sowie der Filialkirche in Unter- söllbach, Kirchenstühle, Wiederherstellung und veränderte Aufstellung unseres Altarschnitzwerkes, Erneuerung der St.-Anna-Kapelle für den katholischen Gottesdienst, Abwehr gegen die Methodisten und Gewährung des Kirchengeläuts bei ihren Beerdigungen. Beratung wegen der Zivilehe und der kirchlichen Trauung, Kinderlehrbesuch der konfirmierten Jugend, Beaufsichtigung der Lycealschüler während des Gottesdienstes, Synodalordnung, Kollekten“.1004 1001 Pfarrbericht Leutkirch, 1858, 1860, 1873. 1002 Pfarrbericht Ludwigsburg, 1852. 1003 Adolf Friedrich Fischer (9.10.1811 - 7.12.1877), Sigel Nr. 320,19. 1004 Pfarrbericht Öhringen, 1877. 261 Die Anliegen, die der Pfarrgemeinderat in Zuffenhausen am 2. Juni 1878 zu beraten hatte, waren: 1. die Verbreitung guter Lektüre im Volk, um die schlechtere dadurch zu bekämpfen. Der Pfarrer meinte, man habe gerade heutzutage, da schlechte Traktate, Blätter etc. sehr massig überall verbreitet würden, desto mehr die Pflicht, durch Gutes dem Schlechten die Tür zu verschließen. Es gebe gewiß manche, welche neben Sonntagsblatt und Christenboten, oder einem Missionsblatt noch ein weiteres Lesebedürfnis hätten. Es komme nun in Hamburg ein Blatt heraus, unter dem Titel „Quellwasser fürs deutsche Haus“, dasselbe bringe gute Bilder und Geschichten, und er hielte es für geeignet, einem etwaigen weiteren Bedürfnis nach Lektüre abzuhelfen. Er werde es einmal bestellen, man könne es dann zirkulieren lassen, oder es könne jeder, der sich dafür interessiere, wenigstens Einsicht nehmen. Michael Siegel glaubte, es werde in dieser Hinsicht hier kein weiters Bedürfnis vorliegen. Dem stimmt der Pfarrgemeiderat bei. 2. Der Pfarrer legt dem Pfarrgemeiderat außerdem die Frage vor, ob man nicht auch hier an die Anstellung einer Gemeindekrankenpflegerin denken sollte. Welch großer Segen eine Krankenpflegerin sei, sei genugsam bekannt. Eine oder auch zwei Bezirkskrankenpflegerinnen seien zu wenig, deswegen haben man schon beispielsweise in Gschwend eine Gemeindekrankenpflegerin eingestellt. Die Einrichtung könnte etwa so getroffen werden, daß man ein noch nicht zu altes hiesiges Mädchen zur Ausbildung nach Heilbronn schicke, demselben dann hier ein Kostgeld aussetze mit der Verpflichtung, vorkommendenfalls in der Krankenpflege Dienst zu tun. Die übrige Zeit könnte sie ihrer Beschäftigung bei Eltern, Verwandten etc. nachgehen. Die nötigen Geldmittel ließen sich durch einen Ortskrankenverein gewiß leicht aufbringen. Das Wartegeld müßte auch nicht besonders hoch sein. Der Pfarrgemeinderat war "ganz einverstanden". Nur das sei die Frage: ob die Person, die wirklich dazu tauge, hier zu finden sei; es müßten eben gar viele Forderungen an eine solche gestellt werden. Der Pfarrer erkannte diese Schwierigkeiten an, bat aber die Kirchenältesten, unter der Hand sich zu erkundigen und auszuschauen, ob nicht doch die rechte Person für einen solchen Posten gefunden werden könne. 3. "Es ist überall zu spüren und zu sehen, welches Elend der Liberalismus über unser Volk gebracht hat und noch bringen wird, wenn er an der Herrschaft bleibt. So hat sich auch bei uns ein Verein gebildet, der jenen Tendenzen entgegenwirken will, der "deutsche konservative Verein" in Stuttgart". "Das Programm dieses Vereins wird nur kurz durchgesprochen und der Pfarrgemeinderat erklärt seine Übereinstimmung mit den darin ausgeführten Bestrebungen des Vereins sowohl nach der Seite dessen hin, was er erhalten will, als dessen, was er bekämpft“.1005 1005 Pfarrgemeinderatsprotokoll Zuffenhausen, 2.6.1878. 262 Die Beteiligung an den Wahlen zu den Kirchengemeinderäten war erfreulicher- weise höher, als die seinerzeit mit Bedauern festgestellte niedere Beteiligung bei den Pfarrgemeinderatswahlen. Sie betrug im Jahre 1889 immerhin 32%, sank aber bis zum Jahre 1905 auch wieder auf 22%. In der „Württembergischen Kirchengeschichte“ wurde zum Thema Pfarr- gemeinderat ein Fall aus dem Hohenlohischen geschildert: „Bei den Franken besonders, denen das geistliche Amt alles gilt, fand es so wenig Beifall, daß die Öhringer Diözese eine Bitte um Aufschub einreichte, bis der Pfarrgemeinderat mit dem Kirchenkonvent vereinigt und mit Vermögen ausgestattet werden könnte". Von den weltlichen Behörden war auch hier, wie an vielen anderen Orten, dem Pfarrgemeinderat "als einem unwillkommenen, wenn auch noch so ohnmächtigen Rivalen", wenig Förderung, aber sehr viel Widerstand und Hindernisse bereitet worden.1006 1006 Württembergische Kirchengeschichte, II., S. 561. 263 7.3. Diözesan- und Landessynode. Ein weiterer Schritt war auf dem Weg zu einer Verselbständigung der Kirche war nach der Schaffung des Pfarrgemeinderats die Einführung der Diözesansynoden durch eine Königliche Verordnung vom 18. November 1854.1007 Sie sollten eine Verbindung der einzelnen Pfarrgemeinden sein und dem Dekan helfend zur Seite stehen. Die Pflege der kirchlichen Gemeinschaft der Gemeinden untereinander stand von Anfang an im Vordergrund. Zu den Aufgaben der Diözesansynoden gehörte auch die Aufsicht über die Vermögensverwaltung der Kirchengemeinden, die Abgabe eines Gutachtens vor der Besetzung einer Pfarrstelle, die Überwachung des kirchlichen Armenwesens, die Unterstützung des Dekans in der Beilegung von Streitigkeiten zwischen Geistlichen und die Anwendung strengerer Maßnahmen der Kirchenzucht.1008 Ihre volle Bedeutung hätten sie aber erst nach der Errichtung einer Landessynode erreichen können. Eine solche zu schaffen lag aber vorerst nicht in der Absicht König Wilhelms. Er erklärte mit einem Ministerial-Erlaß, ebenfalls vom 18. November 1854, dem Präsidenten des Konsistoriums, daß er zur Einführung einer Landessynode, die auf demokratischen Grundlagen ruhen würde, und zur Vertretung der Kirchengenossen gegenüber dem Kirchenregiment nach Art von parlamentarischen Versammlungen dienen sollte, seine Zustimmung auch in Zukunft nicht erteilen werde und eher damit einverstanden sein könnte, die bestehende evangelische Synode durch Beiziehung neuer Mitglieder, und zwar nicht bloß aus dem geistlichen Stande, zu erweitern und zu kräftigen. Bereits in den Jahren nach 1848 hatte es auch innerhalb der evangelischen Kirche Meinungsverschiedenheiten über die Art der Vertretung gegeben. Als oberstes der Kirche feindliches Element wurde die demokratische Bewegung gesehen, eine Macht der Verneinung“. Die Bemühungen des Pfarrers Eduard Süskind (1807 - 1874), Pfarrer in Suppingen bei Laichingen, der in seinem Bezirk sich für eine Repräsentation der Landeskirche im Rahmen einer Synode einsetzte, schienen für Sixt Carl Kapff, damals Dekan von Münsingen, eine Auflehnung gegen die Obrigkeit zu sein und wurden deshalb von ihm heftig bekämpft. König Wilhelm sah die zentrale Aufgabe der Kirche, und hier besonders der pietistischen Kreise, vor allem im Bereich der Sozialfürsorge. Er schätzte etwa die seit 1820 gegründeten Rettungsanstalten, die erste 1820 in Stuttgart, 1823 in Winnenden und Korntal, 1825 in Tuttlingen, 1827 in Stammheim bei Calw und schließlich 1855 auch in Wilhelmsdorf1009, oder die erste .Kinderheilanstalt in Deutschland, die 1842 durch den Arzt Dr. August Hermann Werner in Ludwigsburg zusammen mit dem Vorsteher des Ludwigsburger Gefängnisses, Oberjustizrat Klett, ins Leben gerufen wurde. 1007 Reg.Bl. 1854, Nr. 18, S. 111. 1008 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche von Württemberg, S. 63. 1009 Maier: Zwischen Kanzel und Webstuhl, S. 26. 264 Beide hatten schon 1836 ebenfalls in Ludwigsburg auch ein Privatkrankenhaus eröffnet, an dem männliche und weibliche Pflegekräfte ausgebildet wurden.1010. Als sich Kapff in der Umbruchzeit von 1849 mit seiner „Ansprache evangelischer Geistlicher Württembergs an das Volk“ gegen den „Freiheitsschwindel und die Versuchungen der Revolution“ wandte und eine Stabilisierung der Verhältnisse erreichte, so daß es in Württemberg zu keinem so heftigen Ausbruch der Unruhen kam wie in Baden, entwickelte sich ein ganz persönliches Verhältnis des Königs zur württembergischen Landeskirche.1011 Kapff wurde damals zum Prälaten ernannt und ins Konsistorium berufen, wo er bis zu seinem Tod die Interessen des Pietismus vertreten konnte. Seine konservative Haltung verhinderte aber eine theologische Auseinandersetzung mit den Fragen der Zeit und führte die Kirche in eine Isolierung, die weder auf die Anliegen des Bildungsbürgertums noch vor allem auf die der sich neu herausbildenden Schicht der Industriearbeiter eine Antwort hatte. „Sein konservatives Programm enthielt keinerlei Perspektiven für die Bewältigung der Industrialisierung und der sozialen Frage“.1012 Auf die Frage der Ausarbeitung einer Verfassung für die evangelische Landeskirche Württembergs hatte die Tatsache, daß zur gleichen Zeit Konkordats- verhandlungen mit dem Römischen Stuhl liefen, erhebliche Auswirkungen. Hinter diesen Verhandlungen hatte ein Ausbau der evangelischen Kirchenverfassung naturgemäß zurückzutreten“.1013 Die Verhandlungen an der Kurie wurden am 8. April 1857 mit einer Konvention abgeschlossen, die von Papst Pius IX. ausgefertigte Bulle "Cum in sublimi principis" im Dezember 1857 im Regierungsblatt veröffentlicht. Die Kammer der Abgeordneten verweigerte aber ihre Zustimmung, so daß der König, um die Vereinbarung zu retten, die Einbringung eines Gesetzentwurfes veranlaßte. Dieser erhielt am 27. November 1861 auch die Zustimmung der Kammer, und am 30. Januar 1862 erhielt das "Gesetz betreffend die Regelung des Verhältnisses der Staatsgewalt zu der katholischen Kirche" Rechtskraft.1014 Der konfessionelle Friede war gerettet. Württemberg blieben die Erschütterungen erspart, die andere deutsche Länder in dieser Frage in den kommenden Jahren durchzustehen hatten. Die weitgehenden Zugeständnisse, wie sie die katholische Kirche durch das Konkordat und trotz der Verwerfung desselben mit wenig Einschränkungen durch das Gesetz von 1862 sich errang, mußte auf die evangelische Kirche "beschämend und aufreizend zugleich wirken". Man durfte mit Recht erwarten, daß der mit der ganzen Geschichte des Landes so eng verknüpften und stets gehorsamen evangelischen Kirche nicht verweigert werde, was eine noch nicht lange anerkannte und die Mittel der Auflehnung nicht verschmähende katholische Kirche sich erzwungen hatte. 1010 Sauer: Reformer auf dem Königsthron, S. 403. 1011 Schäfer: Das Haus Württemberg und die Evangelische Kirche, S. 492. 1012 Schäfer: Das Haus Württemberg und die Evangelische Kirche, S. 494; Sauer: Reformer auf dem Königsthron, S. 404. 1013 Württembergische Kirchengeschichte, II., S. 562. 1014 Sauer: Reformer auf dem Königsthron, S. 420. 265 In der Tat gab der Kultministerialerlaß vom 7. November 1857 dem evangelischen Synodus die Willensmeinung des Königs zu erkennen, daß nicht bloß aus dem Konkordat nichts abgeleitet werden könne, was den Rechten und Ordnungen der evangelischen Kirche Abbruch tue, sondern auch wie etwa jene Grundsätze in dem einen und anderen Punkt des evangelischen Kirchenregiments eine Änderung als geboten erscheinen lassen“. Daraufhin richtete der evangelische Synodus sein Anliegen an das Ministerium des Kirchen- und Schulwesens vom 2. März 1858, in dem verschiedene Wünsche vorgetragen wurden. Der Kirche sollte vor allem die Aufsicht über die Seminare zurückgegeben werden. Die Kirche wünschte auch eine Mitwirkung bei der Besetzung der theologischen Professuren, eine Mitwirkung der Gemeinden bei der Besetzung der geistlichen Stellen, eine entsprechende Jurisdiktion gegen unwürdige Geistliche, sowie weiterhin die Restitution des Kirchengutes und die zweckmäßige Verwaltung der Stiftungen.1015 In der Zeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts hat der evangelisch-lutherische Protestantismus die Bemühungen um eine größere Mitbestimmung in der Kirche noch mit Mißtrauen gesehen. Demokratische Bestrebungen galten als ein kirchenfeindliches Element. Der Versuch des Pfarrers von Suppingen, Eduard Süskind1016, schon vor den Revolutionsjahren von 1848/49 ein Mitspracherecht von Laien im Kirchen- regiment zu erreichen, wurden, wie erwähnt, besonders von seinem damaligen Vorgesetzten Sixt Carl Kapff, seit 1843 Dekan in Münsingen, mit der Bemerkung abgewiesen, ein demokratisches Prinzip widerspreche der göttlichen Ordnung, sei Auflehnung gegen die Obrigkeit, und beeinträchtige den König in seinem von Gott gegebenen Recht als Oberhaupt der Kirche. Die Kirche dürfe und solle sich auch nicht zum Wegbereiter einer gefährlichen demokratischen Bewegung im Staate machen.1017 Den Bemühungen um eine Landessynode, die sowohl vom König als auch in gewissen streng kirchlichen Kreisen durchaus mit Mißtrauen gegen eine „demokratische Kirchenrepublik“ gesehen wurde, war bis zum Tode König Wilhelms 1864 kein Erfolg mehr beschieden. Erst König Karl machte mit einer Königlichen Verordnung vom 20. Dezember 1867 den Zusammentritt einer solchen ersten Synode möglich. Sie konnte aber erst am 18. Februar 1869 zusammentreten, weil ihr der Landtag so lange die Mittel verweigerte. Nach einem Gottesdienst in der Stiftskirche, an dem auch der König teilnahm, eröffnete Kultminister Golther in der Schloßkirche die erste Versammlung.1018 Je 25 geistliche und weltliche Abgeordnete sollten von den Diözesansynoden gewählt werden, dazu kamen die 6 Generalsuperintendenten, ein Abgeordneter der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen und sechs vom König ernannte Mitglieder, nämlich drei geistliche, worunter ein Gerneral- Superintendent war, und drei weltliche, durchweg höhere Staatsbeamte. 1015 Württembergische Kirchengeschichte, II., S. 562. 1016 Benz: Eduard Süskind; RGG 5, S. 911. 1017 Moersch: Altensteig zwischen Baden und Württemberg, S. 10. 1018 Sauer: Regent mit mildem Zepter, S. 281. 266 Der vom König ernannte Präsident Duvernoy sollte alles vermeiden, was den konfessionellen Frieden stören könnte.1019 Die Synode hatte zunächst nur eine beratende, noch keine beschließende Funktion. Sie hatte noch nicht das Recht, Gesetze zu erlassen, aber sie hatte ein Vorschlagsrecht und ohne ihre Zustimmung konnten künftig kirchliche Gesetze nicht mehr verabschiedet, noch auch verändert oder aufgehoben werden. Der Konsistorialpräsident erhielt in bestimmten Fällen sogar das Recht des direkten Vortrags beim König, der Umweg über ein Ministerium fiel weg. Erst im Jahre 1888 erhielt die Synode auch das Recht, selbst Gesetze einzubringen.1020 Sie war damit nun auch aktiv in die Gestaltung des kirchlichen Lebens eingebunden. War die Landessynode nach dem Gesetz von 1867 noch die „Vertretung der Genossen gegenüber dem landesherrlichen Kirchenregiment“, so hieß es 1888: „Die Landessynode bildet die Vertretung der Gesamtheit der Kirchen- gemeinden“.1021 Die ersten drei Landessynoden hatten noch einen ausgesprochen konservativen Charakter. Die erste wurde noch von dem Stiftsprediger und Prälaten Sixt Carl von Kapff eröffnet, für den noch lange Zeit die Wahrnehmung moralisch- erzieherischer Aufgaben, die Förderung der Gottesfurcht und der kirchlichen Sitte, sowie Fürsorge für Arme, Kranke und Verwahrloste, im Vordergrund standen. Schon die erste Synode bemühte sich jedoch, den Ortskirchengemeinden eine selbständigere Stellung zu verschaffen. Es dauerte noch viele Jahre, bis 1887 beide Kammern des Landtags einen Gesetzentwurf einbrachten, der die selbständige Vertretung der Kirchengemeinden und die Verwaltung ihrer Vermögensangelegenheiten billigte. Auf den folgenden Landessynoden, die sich endgültig von der bisherigen, sehr konservativen Linie der ersten drei Synoden gelöst hatten, wurden dann auch zentrale Fragen des kirchlichen Lebens angesprochen. Die Kirche hatte sich in dieser Zeit mit vielerlei Aktivitäten auseinanderzusetzen, und Schäfer wies darauf hin, daß in dieser Zeit aus dem Untertan der Bürger geworden war.1022 Immer wurde auf den Synoden sehr heftig, aber doch in einem ausgesprochen versöhnlichen und toleranten Rahmen diskutiert und beschlossen. Auch haben die Verhandlungen nie unter dem Zeichen geschlossener kirchlicher Parteien oder Fraktionen stattgefunden.1023 Die Debatten wurden immer in „einem vornehmen Ton“ geführt, wobei man bestrebt war, auch den gegnerischen Standpunkt zu achten und zu verstehen. 1019 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 277; Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 63; Sauer: Regent mit mildem Zepter, S. 281. 1020 Gottschick: Große Hoffnungen, kleine Schritte, S. 240; Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 277. 1021 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 65. 1022 Schäfer: Das Haus Württemberg und die Evangelische Kirche, S. 497. 1023 Wurster: Das kirchliche Leben der evanglischen Landeskirche, S. 68. 267 Es blieb bei der deutlich kundgegebenen Absicht, im Frieden miteinander auszukommen und immer die weitgehende Rücksicht auf einander zu nehmen.1024 1024 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 420; Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 68. 268 7.4. Der Kirchengemeinderat. Schon im Rahmen der 1. Landessynode war auf eine Änderung der Pfarrgemein- deordnung vom 25. Januar 1851 gedrängt worden. Man wollte die Ortskirchen- gemeinden unabhängiger machen und ihnen ermöglichen, ihre Interessen selbständiger wahrzunehmen, vor allem aber, ihr Vermögen selbst zu verwalten. Eine Lösung wurde auf dieser Synode aber noch nicht gefunden. Erst 1887 wurde von beiden Kammern des Landtags ein Entwurf über die selbständige Vertretung der evangelischen Kirchengemeinden angenommen. Mit dem Staatsgesetz vom 14. Juni 1887, dem "Gesetz betreffend die Vertretung der evangelischen Kirchengemeinden und die Verwaltung ihrer Vermögensange- legenheiten", wurde die Trennung der kirchlichen von der bürgerlichen Gemeinde beschlossen.1025 Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Minderheiten in einer Gemeinde immer die Ausgaben der alteingesessenen Mehrheit mittragen müssen. Die erste Wahl der Kirchengemeinderäte wurde auf die Zeit zwischen 15. Juni und 15. Juli 1889 anberaumt, konnte also örtlich verschieden sein.1026 Nun wurden die evangelischen und katholischen Gemeinden Körperschaften des öffentlichen Rechts und erhielten das Recht, zur Bestreitung der kirchlichen Bedürfnisse eine Umlage, also eine Kirchensteuer, zu erheben. Das Ortskirchen- vermögen wurde vom Vermögen der Gemeinde getrennt und sollte künftig von der Kirchenpflege verwaltet werden. An die Stelle des bisherigen „Pfarrgemeinderats“ trat der „Kirchengemeinderat“, der von der Kirchengemeinde gewählt wurde, dem der Stadtschultheiß und der Pfarrer von Amts wegen angehörten.. Stimmberechtigt waren alle männlichen Kirchengenossen, die älter als 25 Jahre waren. Wählbar war jeder 30 Jahre alte Stimmberechtigte.1027 Der Kirchengemeinderat war nicht nur zuständig „für die Vertretung der evangelischen Kirchengemeinden", sondern besonders auch "für die Verwaltung ihrer Vermögensangelegenheiten“, also vor allem für die Verwaltung des Kirchenvermögens.1028 Daneben hatte er aber durchaus auch Aufgaben im engeren kirchlichen Sinne und sollte besonders den Pfarrer in der Seelsorge, der christlichen Beratung der Gemeindeglieder und in seiner ganzen Amtsführung unterstützen und ihm zur Seite stehen. Er hatte also durchaus auch pastoral- seelsorgerliche Aufgaben.1029 1025 Glässner: Vom Kirchenkonvent zum Kirchengmeinderat, S. 81; RegBlW 1887, S. 237 - 271. 1026 Ehmer: Wer trägt die Kosten für Kirchturm und Uhr?, S. 10. 1027 Sauer: Regent mit mildem Zepter, S. 282. 1028 Schäfer: Das Haus Württemberg und die Evangelische Kirche, S. 496; Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 278. 1029 Hermelink: Geschichte der Evangelische Kirche in Württemberg, S. 420, Gottschick: Große Hoff- nungen, kleine Schritte, S. 351. 269 Auf der 4. Landessynode folgte diesem weltlichen Gesetz ein entsprechendes Kirchengesetz vom 29. Juli 1888, das der Synode das Recht der Gesetzesinitiative, sowie die Ausscheidung des Kirchenvermögens und die selbständige Verwaltung desselben festgeschrieben hat. Die Durchführungsbestimmungen hierzu wurden schließlich am 21. März 1889 erlassen. Da in allen Gemeinden die bisherigen Aufgaben, die sich auf das Kirchen-, Schul- und Armenwesen bezogen, sehr eng mit den lokalen Gemeindekassen in Verbindung standen, da die Stadtpflege auf der einen, die Kasten- oder Stiftungspflege auf der anderen Seite eng verflochten waren, war die Trennung oft sehr schwierig. Einfach war die Zuteilung der Kirchen und der kirchlichen Gebäude. Sehr schwierig war es oft, den Nachweis für die Stiftungen zu führen und zu entscheiden, wem sie nun zugesprochen werden sollten. Häufig waren die Urkunden über die alten Stiftungen nicht mehr vorhanden, wie sollte in solch einem Fall der kirchliche Charakter einer Stiftung nachgewiesen werden. An die bürgerliche Gemeinde gingen die Schul- und Armenstiftungen, Stiftungen, die ausdrücklich für die kirchliche Armenpflege bestimmt waren dagegen an die kirchliche Gemeinde.1030 Für die Gehälter der Pfarrer, die keine Staatsbeamte, sondern Kirchendiener waren, mußte aber nach wie vor der Staat über das Kameralamt aufkommen.1031 Erst langsam wuchsen Landessynode und Kirchengemeinderäte in ihre neugestellte Aufgabe hinein, nicht nur Gelder zu verwalten, sondern auch geistliche Aufgaben zu übernehmen“.1032 Für das Jahr 1913 liegen Zahlen vor, die Auskunft über die soziale Zusammensetzung der Kirchengemeinderäte in Stuttgart geben. Im Gesamt- kirchengemeinderat von Stuttgart waren: akademisch Gebildete 18%, seminaristisch gebildete Lehrer 12%, städtische und staatliche mittlere Beamte 11%, Geschäftsleute 21%, Handwerker, Weingärtner und Unterbeamte 33%, unselbständige Arbeiter und sonstige kleine Leute 6%. 10% gehörten einer Gemeinschaft an.1033 Im folgenden werden Beispiele angeführt, die deutlich machen, wie vielfältig die Themen waren, die in den Sitzungen zur Sprache kamen und verhandelt werden mußten. Es wird aber aus den behandelten Fällen auch ersichtlich, daß Ehehändel und sittliche Verfehlungen am Ende des Berichtszeitraumes überhaupt nicht mehr auf der Tagesordnung standen, und auch die Fälle im Abnehmen waren, bei denen Entscheidungen über Fragen der Armenunterstützung zu treffen waren, weil zunehmend die Gemeinden diese Aufgaben wahrnahmen. 1030 Ehmer: Wer trägt die Kosten für Kirchturm und Uhr, S. 11. 1031 Glässner: Vom Kirchenkonvent zum Kirchengmeinderat, S. 81. 1032 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 278. 1033 Wurster: Das kirchliche Leben der ev.Landeskirche in Württemberg, S. 57. 270 An Hand einiger Beispiele soll die Arbeit des Kirchengemeinderates veranschaulicht werden. Neben die bisherige vorrangige spirituelle Tätigkeit im Pfarrgemeinderat trat wieder eine ausgesprochene Verwaltungsarbeit. In Eßlingen wurde hinsichtlich der Aktivitäten des neuen Kirchengemeinderats nur kurz auf die anstehende Kirchenrenovierungen eingegangen. Nachdem die Liebfrauenkirche in den Jahren 1861 - 63 innen, in den Jahren 1884 - 90 auch außen renoviert worden war, wurde nun auch die Dionysius-Kirche 1899 - 1904 erneuert, 1904 eine Dampfheizung und eine elektrische Beleuchtung und zusätzlich eine neue Orgel von der Firma Walcker, Ludwigsburg, eingebaut. Seit 1901 wurde aber auch eine Kirchensteuer erhoben.1034 In Gmünd wurde die Tätigkeit des Kirchengemeinderats nur sehr zusammengefaßt erwähnt:1035 „Sitzungen: 1898 - 6, 1899 - 5, 1900 - 8, 1901 - 9. Beratungsgegenstände: Armen- und Krankenpflege, Kirchenbaufonds, Regelung des Organistendienstes, der Kirchenaufsicht, des Leichensingens, Einführung von abendlichen Abendmahlsfeiern, biblisches Lesebuch, gutachterliche Äußerung zum Frühkonfirmationsgesuch anläßlich der Wiederbesetzung der 2. Stadtpfarr- stelle, Versicherungen (Haftpflicht, Kranken- und Invalidenversicherung), Stolgebührenfrage, Konfessionelles, Rechnungsgegenstände. "Auf das innerkirchliche und sittliche Leben der Gemeinde wirken die Kirchengemeinderäte weniger durch eigene selbständige Tätigkeit, als durch ihre Persönlichkeit und dadurch, daß sie in den Sitzungen auf vorhandene Schäden und Bedürfnisse aufmerksam machen". Zum Zwecke der kirchlichen Armenfürsorge bestand ein besonderer „Evangelischer Armenverein“, der ein Vermögen von 8 068 Mark und eine Jahreseinnahme von durchschnittlich 500 M hatte.1036 In Isny wurde im Jahre 1903 von Stadtpfarrer Zeller.1037 zunächst die verhältnismäßig hohe Zahl von Sitzungen aufgezählt: 1899 23, 1900 34, 1901 29, 1902 32. Beraten wurde vor allem die Verwaltung „des stattlichen Kirchenvermögens“, das aus 13 einzelnen Stiftungen bestand, „welche ungeheuer viel Arbeit machen, zumal bei der Hospitalpflege“. 1034 Pfarrbericht Eßlingen, 1905. 1035 Pfarrbericht Gmünd, 1902. 1036 Pfarrbericht Gmünd, 1902. 1037 Pfarrbericht Isny, 1903. 271 Außerdem wurde auch noch über folgende Punkte verhandelt: „Einstellung und Verlegung von Gottesdiensten, Entlaßchristenlehre, Missions- gottesdienste, Konfirmation, Kirchenschmückung, Konfirmandenmontag, Juden- mission, Abendmahlsmeldefrage, Geläute zum Jahrhundertwechsel, Gemeinde- abende, Prälatenbesuch, Brenzjubiläum, Kirchenstuhlordnung, Kirchenboden- erneuerung, Reparatur von Kanzel und Altar, Orgelbänke, Orgelstimmung, Orgel- reparatur, Trauergeläute für Graf Quadt, Kirchenchorsachen, Kirchenkonzerte, Kirchenklapptüren, Türenschließung, Altarteppichausleihung, Festgedeckstiftung, Kirchturmläden, Kirchwegpflasterung, Kriegerdenkmalumzäunung, Kirchenchor- klavier, Friedhofsordnung: Bäume, Wurzelstöcke, Mauerdefekte, Grabnummern, Einfassungen, Fundamente, Totengräberdienst, Totengräber-Sonntagsarbeit, Leichengesang, Sarglieferung, Epitaphienfrage. Ehrung für Kirchengemeinderat Kohler sel., Geläute für Stiftungs-Meister Riedle sel., Gräberreservierung, Legate, Vorstadt-Friedhof, Marktstände am Kirchplatz bei der katholischen Mission, Prozessionsfrage, Pfarrwahlangelegenheit, Personalzusage für Stadtpfarrer Rieber wegen Rechnungsgeschäft, Lateinunterricht des 2. Geistlichen und dessen Prüfung, Eigentumsrecht am 2. Stadtpfarrhaus, Charitative Seelsorge in Bayern, Seelsorgebezirkseinteilungsfrage, Sonntagshochzeiten, Abtrittabfuhr von der katholischen Kirchensakristei, Lichtbilderaufführung, Armenierabend, Frühkon- firmationsgesuch, Evangelisation P. Brecker, Jünglingsvereinssachen. Viel Arbeit verursachte der Springerstiftbau mit Ausstattung, Einrichtung und Einweihung der Kleinkinderschule, die Arbeitsschule, die beide Stiftungen und Geschenke erhalten, ferner die Lehrerwahl, Ablösung der kirchlichen Lehrer- gehaltsteile und kirchlichen Lehrerdienste, Einführung des biblischen Lesebuches, Mesnerstellung, Krankheit desselben, Stolgebühr, Lohnerhöhung, Kalkantenlohn- erhöhung und -versicherung, Neujahrsgeschenkreichung, Baumeisterwahl und - verpflichtung, Zwist mit der Stadt wegen Blaichenweiherreparatur, Telefon- stangenanbringung, Alpengartenanlage, Spitalkirchengiebelverschönerungsfrage, Pfründneraufnahme und Pfründnerdifferenzen, Krankenpflege-, Frauenvereins- tätigkeit, Armenversorgung, Spitalarztwahl, Diakonissenausleihung, Pfründner- leichenkosten. Fastnachtstribüne vor dem Spital, Hausordnung im Spital, elektrisches Licht in demselben, Arbeitsschule und Arbeitslehrerin, Überfahrtsrecht, Erbansprüche Gairing in Ulm, Alpenjagdrecht, Güterbuch der Exemten, Grundbuchzwang, Gemäldeangebot, Altertumsvereinsunterstützung, Pflegevertretung, Frucht- und Holzbesoldungsregulierung, Übertritte und Erziehungsreligionswechsel. Aulendorfer Versammlung, Synodenberichte, Opfer und Gabe für fremde Kirchengemeinden, Kirchengemeideratswahl, Diözesan- synodenabgeordnetenwahl, Haftpflichtversicherungsfrage, Reinmühlsche Waisen- hausstiftungen und -Legate, Staatsbeförsterung der bayrischen Waldbesitzer, Walderwerbslust, Waldgebührennacherhebung, Springerstift-Beschimpfung, Kirchenbibliotheksangelegenheiten, Ausleihungsgesuche, Zuwachs, Kirchensitz- Wappenschilde, Wappenstiftungen in die Protestationskirche in Speyer, Kollekte dafür, Spitalkirchenbauzeichnungen, Konfirmantenunterrichtslokal im Springer- stift. Verschiedene Gegenstände des innerkirchlichen und sittlichen Lebens der Gemeinde sind außerdem je und je in vertraulicher, nicht protokollierter Weise besprochen worden. 272 Der Dekan Knapp aus Ravensburg1038 bemerkte hierzu: Die Mitglieder des Kirchengemeinderats sind vielfach Isnyer Originale, derb, ehrlich, zum Teil schwerfällig, schweigsam, zum Teil polternd und unparlamentarisch, in kirchlicher Beziehung Anhänger des Alten, Freunde jeglicher Mäßigung; im Verhältnis zur katholischen Kirche in der Mehrzahl einem Kompromiß eher zu- als abgeneigt, ihres Vorsitzenden als gesetzeskundigem und arbeitsamem Führer im Stillen, bisweilen auch erklärtermaßen froh, aber oft mit dem langen Gang der Verhandlungen, auch wo solcher wirklich nicht vermeidlich war, mürrisch unzufrieden, im ganzen aber doch eine ehrenwerte, aus dem Kern der guten Bevölkerung gewonnene Gesellschaft, die in äußeren Dingen zufolge ihrer mannigfachen Geschäftserfahrung wirklich manchen guten Rat erteilen kann, und deren Mitglieder zu manchem nützlichen Einzeldienst bereit sind. Dieses Maß an Aufzählung war gewiß nicht verlangt. Das Protokoll, zum Teil noch nicht mit Erklärungen auf dem Falz versehen und indiziert, ist ausführlich und in treuer, zutreffender Wiedergabe der Verhandlungen geführt, vielfach in leider ermüdender Klein- oder sonst schwer leserlicher Schrift“. Knapp, Dekan in Ravensburg“.1039 Angefügt waren im Pfarrbericht von 1909 die Stiftungen: Hospitalpflege zur Unterhaltung des Hospitals Vermögen ½ Million Mark Reinöhlsche Waisenstiftung 80 000 Mark Eberzsche Armenstiftung 6 400 Mark Süßsche Armenstiftung 1 400 Mark Feierabendsche Stiftung 5 000 Mark Zechsche Stiftung 2 600 Mark Hellsche Armenstiftung 1 100 Mark Wolff-Feuerstein-Stiftung 1 715 Mark Felzitas Fellesche Stiftung und Amalie Springersche Witwen-Stiftung 2 215 Mark Gradmannsche Armenstiftung 3 600 Mark Sturmsche Konfirmantenstiftung 600 Mark Luise Hallersche Stiftung 400 Mark Philippine-Distel-Stiftung 2 500 Mark Osterspendenstiftung der Familien Seutter, Rad, Pfeifer, Süßenbach 110 Mark Über die Kirchen hieß es: "Die Spitalkirche ist heizbar und beleuchtet, die Nikolauskirche ist nicht heizbar, hat an Sylvester Kerzenbeleuchtung".1040 1038 Gotthold Felician Knapp (5.7.1848 - 19.3.1908), 1.Stadtpfarrer und Dekan in Ravensburg 1897 - 1908, Sigel Nr. 920,8. 1039 Pfarrbericht Isny, 1903. 1040 Pfarrbericht Isny, 1909. 273 In Leonberg wurde erst mit dem 1. April 1892 die Ausscheidung des Kirchenvermögens vollzogen, so daß der 1889 gewählte Kirchengemeinderat in den ersten Jahren wenig beschäftigt war. Im Jahre 1895 war über seine Tätigkeit folgendes zu lesen: 1. Zahl der bei der letzten Wahl (1892) stimmberechtigten Gemeindeglieder: 440. Zahl derer, die gewählt haben: 53, = 12,09 Prozent der Wahlberechtigten. 2. Der Kirchengemeinderat ist zusammengesetzt aus den beiden Ortsgeistlichen, dem Stadtschultheißen und 9 gewählten Mitgliedern, zusammen 12 Mitgliedern. Am 16. Juni 1892 wurde beschlossen, einen Verwaltungsausschuß nach Art. 26 des Gesetzes vom 14. Juni 1887 zu bestellen, mit 3 gewählten Mitgliedern neben dem Vorsitzenden und dem Kirchenpfleger, also zusammen mit 5 Mitgliedern, (genehmigt vom K. ev. Konsistorium durch Erlaß vom 1. Juli 1892, Nr. 16259). 3. Charakter, Haltung und Wandel der Mitglieder gibt zu keinem Tadel Anlaß. 4. Die Zahl der Sitzungen im Jahr 1892 7, Jahr 1893 6, Jahr 1894 7. Infolge der Übertragung der im Artikel 54, 59, 60, 69, 70 genannten Verrichtungen von dem Verwaltungsausschuß war eine kleinere Zahl von Sitzungen des Gesamtkollegiums ausreichend. Beratungsgegenstände waren: a. Wahl, Kautionsbestellung und Verpflichtung des Kirchenpflegers, Wahl des Verwaltungsausschusses, der Mitglieder zur Diözesansynode, des Verwahrens der Wertpapiere, des mit dem halbjährlichen Kassensturz und mit dem jährlichen unvermuteten Kassensturz beauftragten Mitglieds, der 2 Mitglieder für die Stürze insbesondere der Wertpapiere am Schluß der Rechnungsperiode, des Mesners nebst Festsetzung einer Dienstkaution für denselben, Leitung der Ergänzungswahl zum Kirchenrat. b. Festsetzung des Betriebskapitals, des Etats, Prüfung und Genehmigung der Kirchenrechnungen, Beantwortung der Revisionsbemerkungen, Aufnahme des Traubibelfonds in die Verwaltung des Kirchengemeinderats (stand früher in derjenigen des Pfarrgemeinderats). Einverleibung seines Fonds in das allgemeine Vermögen der Kirchenpflege gegen Übernahme der Leistungen, alljährlicher Beitrag zu der Diözesankasse, Regelung der Kirchenopfer für die hiesige Kirchenpflege und Bestimmung von Opfern für besondere Zwecke, insbesondere für Hagelbeschädigte und Rettungsanstalten. Regulierung der Gehalte und Gebühren des Kirchenpflegers, des Direktors des Kirchenchores, der Mitglieder des letzteren, des Orgeltreters, des Kapitalbriefnehmers, Art der Aufbewahrung der Wertpapiere, Verkauf einiger unbrauchbarer Musikinstrumente, Ausscheidung alter Zeitungen aus der Registratur des I. Stadtpfarrers zum Verkauf, Ausleihung eines Kapitals nach § 46, Abs. 2 der Verwaltungsvorschriften, Austeilung des Kirchenbrots. 274 c. Äußerung betr. der Wiederbesetzung der I. Stadtpfarrstelle, und betreffs der Parchialeinteilung, Beschluß betr. Einräumung der Kirche zu Vorträgen des Reisepredigers Schwenk, Beschluß über Ersetzung der Abendpredigt am Konfirmationssonntag durch eine Christenlehre mit den Neukonfirmierten. d. Beschlüsse betr. Reparaturarbeiten an der Kirche , Anschaffung von 2 Altar- leuchtern, Orgelrevisionsvertrag mit Carl G. Weigle, die alljährliche Orgelrevision festsetzend. Auf das innerkirchliche und sittliche Leben in der Gemeinde hatte der Kirchen- gemeinderat offensichtlich wenig unmittelbaren Einfluß.1041 Die spirituellen Aufgaben waren weitgehend zurückgetreten. Der Kirchengemeinderat hatte sich aber doch auch noch weiterhin mit der kirchlichen Armenpflege zu befassen: „Die kirchliche Armenpflege besteht in der Austeilung der kirchlichen Armen- stiftungen. 1. Zur Brotverteilung Kapital allgemein 5 113 M 90 Pf. auf den Dreikönigstag 85 72 Pf vor der Ernte 257 14 Pf auf 1. Januar 514 29 Pf ------------------- 5 971 M 05 Pf. 2.. in Geld zu verteilen auf 1. Oktober 750 M. -- an ältere bedürftige Personen evangelischer Konfession 500 M. -- _____________ 7 221. M 05 Pf.. =========== Im Pfarrbericht von Leutkirch aus dem Jahre 1895 wurde zur Tätigkeit und den Beratungsgegenständen des neuen Kirchengemeinderats ausführlich Stellung genommen: Bauetat: Vergabe von Arbeiten an Kirche und altem Pfarrhaus. Absetzen des alten Leichensagers und Bestellung eines neuen. Aufbewahrung der Wertpapiere des Kirchenpflegers und Anschaffung eines Kassenschrankes hierzu. Bericht über den Ertrag der Kollekte für Zwecke des Gustav-Adolf-Vereins, der Inneren und Äußeren Mission. Übertritt des katholischen Hermle zur evangelischen Kirche. Beratung des Etats 1894/95 und 1895/96. Ersatzwahl des gestorbenen Mitglieds Apotheker Heinzelmann. Verpflichtung des Gewählten, Aufsichtslehrer Grimm, .Neuwahl eines Ersatzmannes zur Diözesan-Synode. Beileidsadresse an die Hinterbliebenen des verstorbenen Stadtpfarrers Glauner (1875 - 1881). 1041 Pfarrbericht Leonberg, 1895. 275 Gutachten über die Besetzung der I.Stadtpfarrstelle. Wahl eines Orgeltreters. Kirchtag in Buchen. Gesuch um Dispensation von der Christenlehre. Begrüßungs- schreiben an den neuernannten Stadtpfarrer Kalckreuter (1894 - 1903). Gehalt des Kirchenpflegers und des Mesners. Dekoration des Stadtpfarrhauses und der Kirche für Einzug und Investitur des neuen Stadtpfarrers. Abschaffung des sogenannten Kanzelverses. Überweisung des Bibelstundenopfers an die Kirchenpflege. Verkauf alter Zeitungen. Anhalten der Christenlehrpflichtigen nicht mehr wie bisher beim Mesner, sondern beim I. Stadtpfarrer. Abschaffung von Opferbüchsen. Platz für die Braut bei Trauungen. Abschaffung des Konfirmation-Vesper-Unfugs. Gutachten betrifft Konfirmation nach nur einmaligem Unterricht. Rechenschaftsbericht über die Diaspora-Kasse. Fruchtbesoldung des I. und II. Stadtpfarrers. Ausbezahlung nicht mehr nach den wechselnden Leutkircher Schrannenpreisen, sondern nach dem Landesdurchschnittspreis. Persönliche Zulage des I. Stadtpfarrers. Begleitung bei Kindsleichen. Konfirmationssprüche. Gedanken über die Verlegung der Christenlehre und der Mittagspredigt. Mitteilungen des Rechners über den monatlichen Rechnungsabschluß. Beitritt zum christlichen Kunstverein. Anschaffung eines Harmoniums für den Kirchenchor. Neuwahl eines Kirchenpflegers Lieb, für den wegen Krankheit ausgetretenen Meusler". Durch die Jahre 1893 - 95 hindurch zog sich eine Reihe von Beratungen über Beschlüsse betreffend den Pfarrhausbau: Bauplatz, Erwerbung desselben, Bauplan, Kostenvoranschlag. Tilgung der Bauschuld durch eine Umlage und durch Überweisung der Vakaturgefälle der II. Stadtpfarrstelle an die Kirchen- pflege. Aufstellung eines Sachverständigen zur Prüfung des Plans und Überschlags. Vorlage an das K. Konsistorium, Gesuch an die Oberamtssparkasse um Vorstreckung des zum Bau nötigen Geldes zu 3,8% statt 4%. Vertrag mit dem Stadtbaumeister betr. die Belohnung für die Bauleitung. Einzug der Kirchensteuer durch den Stadtpfleger. Vom Etatjahr 1894/95 an wird auf 50 Jahre eine jährliche Umlage von 2 000 M. zur Verzinsung und Tilgung der Pfarrhausbauschuld erhoben“.1042 Die Ausführungen im Pfarrbericht von Nagold aus dem Jahre 1898 über den Kirchengemeinderat waren knapp. 1895 wurden die beiden Stadtpfarrer, der Stadtschultheiß, der Kirchenpfleger und acht gewählte Mitgliedern gewählt. „Über das innerkirchliche und sittliche Leben der Gemeinde wurde nur sehr gesprächsweise in den Sitzungen geredet; die Gegensätze in dieser Frage sind zu stark und ausgeprägt: hier schroffe Hahn´sche Gesetzlichkeit, dort etwas laxe bürgerliche Biederkeit“.1043 1042 Pfarrbericht Leutkirch, 1895. 1043 Pfarrbericht Nagold, 1898. 276 Im Pfarrbericht von Öhringen beanstandete 1877 der Pfarrer die große Umständlichkeit und Lahmheit des Stadtschultheißen Rößle, die die Durchführung aller notwendigen Reformen verhindere. Das sei auch der Grund, warum die Ausscheidung der kirchlichen Stiftungen immer wieder verzögert werde. Auch 1890 war diese Angelegenheit noch nicht erledigt. Es wurde vermerkt, daß die Kirchenpflege ein Vermögen von 19 615 Mark besitze und alle "Cultus- bedürfnisse" decken würde.1044 In Rottenburg wurde 1908 berichtet, daß bei der Kirchengemeinderatswahl am 7. Juli 1907 von 212 Wahlberechtigten 75, also 35,38%, abgestimmt hatten. "Der Kirchengemeinderat ist zusammengesetzt gemäß Artikel 8 und 9 des Gesetzes vom 14. Juni 1887: Stadtpfarrer, Kirchenpfleger und 6 weitere gewählte Mitglieder: Inspektor Greiner, Werkführer Eitel, Kaufmann Mauthe, Schrauben- meister Fluhs, Fabrikant Planck, Fabrikdirektor Hauff.1045 In Zuffenhausen wurde in den Berichten der Jahre 1891 und 1892 immer wieder auf die Ausscheidung des Kirchenvermögens und die Schwierigkeiten, die in diesem Zusammenhang auftraten, Bezug genommen. Am 15. Mai 1891 hieß es, daß gemäß einem Erlaß der Kgl. Kreisregierung vom 4. April und des Kgl. Oberamts vom 8. April die Gemeinde die Ausscheidungssache zur weiteren Behandlung zurückgegeben wurde, und daß "1. zu dem Beschluß des Stiftungsrates den Charakter der Einzelstiftung Z.36 - Danielsche Stiftung - als kirchliche zu erklären, jegliche Begründung fehle, und die bloße Tatsache, daß die Richterin eine Witwe war, die erforderliche Begründung nicht ersetzen könne. 2. der Beschluß der örtlichen Kollegien sich auch darauf zu erstrecken hat, ob die nichtkirchlichen Stiftungen in die Verwaltung der Ortsarmenbehörde übergehen werden oder bei der Stiftungspflege verbleiben sollen. Nach längerer Beratung wurde von den Stiftungskollegien beschlossen, 1. im Interesse des endlichen Abschlusses der Kirchenvermögensausscheidung den nicht kirchlichen Charakter der Einzelstiftung Z 36 - Danielsche Stiftung - nicht weiter zu bestreiten, 2. den Antrag zu stellen, daß die übrigbleibenden nicht kirchlichen Reinen- Stiftungen in die Verwaltung der Ortsarmenbehörde übergehen werden“.1046 Zur Beurkundung: Bürgerausschuß und Stiftungsrat. 1044 Pfarrbericht Öhringen, 1877. 1045 Pfarrbericht Rottenburg, 1908. 1046 Stiftungsratsprotokoll Zuffenhausen, 15.5.1891, S. 138. 277 Am 27. Juni wurde in dieser Sache wieder verhandelt. „Nach einem hohen Erlaß der K. Kreisregierung vom 20. d.M. und des Kgl. gem. Oberamts vom 22 eius kann nunmehr die Ausscheidung des Ortskirchen- vermögens in der hiesigen Gemeinde dem Abschluß zugeführt werden. Es ist deshalb gemäß § 40 der Ministerverfügung vom 25. März 1889 für die Fertigung der Ausscheidungsurkunde ein Geschäftsmann aufzustellen. Vom Ortsvorsteher wurde beantragt, dieses Geschäft dem Bürger der Gemeinde Gutekunst zu übergeben, welcher jedoch im Hinblick auf seine zur Zeit umfangreiche Beschäftigung sich hierzu nicht bereit erklären konnte. Es wird deshalb beschlossen: Die Fertigung der Ausscheidungsurkunde dem Rohleder zu übertragen, gegen das regulative Taggeld des Verwaltungs- actuars“.1047 Noch eine weitere Verhandlung war in dieser Sache am 19. Januar 1892 nötig: Nach der Ausscheidungs- und Abfindungsurkunde betrugen die der bürgerlichen Gemeinde (Armenpflege) zufallenden nichtkirchlichen Stiftungen 1 739 M 04 Pf., während die Kirchengemeinde sämtliches übrige Geldvermögen der Stiftungspflege erhielt. In Anbetracht, daß bei der Stiftungspflege etwa 4 000 Mark parat lagen, wurde beschlossen: 1. die bürgerliche Gemeinde (Armenpflege) mit ihren Ansprüchen von 1 739 M 04 Pf Stiftungskapitalien mit barem Geld abzufinden, der Kirchengemeinde dagegen sämtliche übrigen Geldvermögenswerte (Wertpapiere und bares Geld) zuzuweisen. 2. die Bestimmungen des Kg. Rats und der Ortsarmenbehörde zu diesem Beschluß herbeizuführen. 3. K. gem. Oberamt um Genehmigung dieses Beschlusses zu bitten“. Stiftungsrat. Bürgerausschuß. Pfr. Schmidgall u. a. Schultheiß Louis Bauer u. a.. Einen Abschluß fand die Ausscheidung bei einer Verhandlung am 14. März 1892 vor dem Stiftungsrat und Bürgerausschuß. Anwesend waren vom Gemeinderat beide Vorstände und 10 Mitglieder, vom Bürgerausschuß der Obmann und 9 Mitglieder. „Durch hohen Erlaß des Kgl. gemeinschaftlichen Oberamts vom 23. Januar d. Js. wurden die Beschlüsse der bürgerlichen Kollegien vom 19. Januar d. Js., wonach durch den Vollzug der Kirchenvermögensausscheidung die hiesige Armenpflege mit Geld abzufinden ist und der Kirchengemeinde die sämtlichen übrigen Wertobjekte und bares Geld überwiesen werden sollen, nicht beanstandet und es hätte nun die Ausscheidung nach §44 der Ministerial-Verfügung vom 25. März 1889 zu erfolgen, worüber Abrechnungsurkunde vorzulegen wäre. 1047 Stiftungsratsprotokoll Zuffenhausen, 27.6.1891, S. 140. 278 Das Guthaben der Armenpflege beträgt 1 739 M 04 Pf, welcher Betrag bei der Stiftungspflege zur Auszahlung parat liegt. Die Leistung sowohl für kirchliche, als auch für nichtkirchliche Zwecke erfolgten seit dem Inkrafttreten des Kirchen- vermögensausscheidungsgesetzes unbeanstandet in früherer Weise durch die Stiftungspflege. Es handelt sich nun hier um die Feststellung des Zeitpunktes, welcher an Stelle des Verkündigungstages des Gesetzes (4. Juli 1887) treten soll. Im Hinblick auf die hier obwaltenden Verhältnisse wird von den Stiftungskol- legien beschlossen 1. den Antrag zu stellen, daß an Stelle des Art. 44 Abs. 1 des Gesetzes als Zeit- punkt für die Vermögensauseinandersetzung gemäß Art. 33,3 der 1. April d. Js. festgesetzt werde, zu welchem Tage die Ausscheidung ihren Abschluß zu finden hätte. 2. sich die höhere Genehmigung hierzu zu erbitten“. Stiftungsrat und Bürgerausschuß.1048 Die Auseinandersetzungen über die Ausscheidungen der Vermögen konnte sich über einen längeren Zeitraum hinziehen, und in manchen Fällen mußten die strittigen Punkte gerichtlich geklärt werden. Natürlich sind in Zuffenhausen in diesen Sitzungen außer den Auseinander- setzungen über das Kirchenvermögen auch andere Anliegen der Gemeinde zur Sprache gekommen. Es ging beispielsweise wieder um die Bestellung einer Hebamme, nachdem eine am Ort ansässig gewesene gestorben, eine andere nach Amerika ausgewandert war, und die dritte wegen ihres Alters von 74 Jahren ihrem Dienst nicht mehr nachkommen konnte. Der Ortsvorsteher hat in diesem Zusammenhang die Frage gestellt, ob man sich nicht gleich um zwei neue Hebammen bemühen solle und hierfür die Zustimmung des Kirchengemeinderats bekommen: „die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit wurde anerkannt“. Die 16 Bewerberinnen wurden sodann „nach ihrer Tüchtigkeit und ihrem Leumund durchgegangen und hierauf in geheimer Abstimmung zur Wahl geschritten“. Es wurde beschlossen, die Ausbildung der beiden gewählten Hebammen in der Hebammen-Schule zu veranlassen“. Am 13. August 1891 wurde vermerkt, die Friedrike Pfisterer, Ehefrau des Konrad Pfisterer, Briefträgers hier, habe „den Unterrichtskurs in Hebammenkunst an der Lehranstalt in Stuttgart durchgemacht und nach dem vorgelegten Zeugnis die Prüfung am 29. Juli d.J. mit der Note II. bestanden. Dieselbe wurde heute von den beiden Vorständen des Stiftungsrates bzw. deren Amtsverweser feierlich beeidigt. Hebamme Pfisterer tritt heute den Dienst an. Friedrike Pfisterer, Schultheiß Louis Bauer, Pfarrer: Vertr. Vikar Walter“.1049 1048 Stiftungsratsprotokoll Zuffenhausen, 14.März 1892, S. 143. 1049 Stiftungsratsprotokoll 13.August 1891. 279 In Waiblingen benötigte ein "geprüfter Verwaltungskandidat" 26 Arbeitstage für das mühevolle Ausscheidungsgeschäft.1050 Es gab bei der Auseinandersetzung um die Stiftungsausscheidung vor allem Meinungsverschiedenheiten um die Kosten- übernahme für Glocken und Uhren auf den Kirchtürmen. Die Kirchenglocken, und vor allem die Uhren, waren damals für die bürgerliche Gemeinde noch von großer Wichtigkeit. In dem Gesetz von 1887 war deshalb bestimmt worden, daß die Gemeinde verpflichtet war, einen entsprechenden Anteil an den Kosten zu tragen. Die Glocken waren für die Tageseinteilung von Bedeutung. Mit dem Morgenläuten begann der Tag, das Elf-Uhr-Läuten zeigte den Bauern auf dem Felde an, zum Mittagessen nach Hause zu kommen, und den Hausfrauen, mit dem Kochen zu beginnen, damit beim Zwölf-Uhr-Läuten mit dem Essen begonnen werden konnte. Das Vier-Uhr-Läuten bedeutete für die Arbeiter auf dem Felde, daß es Zeit für ein Vesper war, die Betglocke bei Einbruch der Dämmerung war für die Kinder das Zeichen, schnellstens nach Hause zu kommen. Daneben wurde noch ein Schulläuten und ein 6-Uhr-Läuten erwähnt. Die Glocken konnten auch bei Gefahren warnen. Aus all diesen Gründen hatte die bürgerliche Gemeinde damals ein Interesse an der Erhaltung dieser kirchlichen Einrichtungen und es war deshalb notwendig, über den Grad der Beteiligung zu diskutieren. In Waiblingen einigte man sich darauf, die beiden Uhren auf der Michaels- und Nikolauskirche nocheinmal auf Kosten der Stadtpflege instandsetzen zu lassen und künftig den halben Anteil des Aufwands zu tragen.1051 In Weil im Dorf wurde in der Ausscheidungsurkunde vom 8. Juli bis 4. August 1893 über das Eigentumsrecht am Turm, den Glocken und der Uhr bestimmt, daß Eigentum, Nutzen und alle Rechte auf die Kirchengemeinde übergegangen waren, daß aber die bürgerliche Gemeinde wie bisher das Recht der Benutzung zustehen solle. Für dieses Mitbenützungsrecht hatte die bürgerliche Gemeinde an den Unterhaltskosten für Kirchturm, Uhr und Glocken jeweils die Hälfte zu tragen. Diese Beitragspflicht erstreckte sich aber nicht auf Neuanschaffungen. Dagegen beteiligte sich die Gemeinde auch an den Kosten für den Mesner, für die Bedienung der Kirchenuhr und dem Läuten der Glocken.1052 Zusammenfassend kann man sagen, daß die Entwicklung vom Kirchenkonvent des 17. Jahrhunderts zu den kirchlichen Gremien vor dem 1. Weltkrieg zeigt, daß sich ein Rückzug der Kirche in diesen behandelten Angelegenheiten auf allen Gebieten feststellen läßt. Es ist nicht zu übersehen, daß das Anliegen Andreäs, das gesellschaftliche Leben durch die Forderungen eines kirchlich-christlichen Kanons zu bestimmen, der Kirchenzucht wieder die nötige Geltung zu verschaffen, weit entfernt war von der Beschränkung kirchlicher Tätigkeit hauptsächlich auf die Verwaltung des Kirchenvermögens, das Hauptanliegen der Kirchengemeinderäte in der Zeit nach 1890. 1050 Ehmer: Wer trägt die Kosten für Kirchturm und Uhr? S. 11. 1051 Ehmer: Wer trägt die Kosten für Kirchturm und Uhr? S. 11. 1052 Ostertag: Chronik von Weil im Dorf, S. 126. 280 Der Staat, aber auch die Gemeindeverwaltungen, hatten Zug um Zug Aufgaben, die in der Anfangszeit unumstritten rein kirchlich waren, an sich gezogen und die Kirche aus diesen Gebieten verdrängt, sei es nun die Überwachung der Sittlichkeit der einzelnen Gemeindeglieder, sei es das Armenwesen in seinen vielfachen Nuancen, oder die Aufsicht über die Schulen. Das Volksschulgesetz von 1909 hob die Geistliche Schulaufsicht auf. Bisher hatte der Pfarrer mit dem Kirchenkonvent die Volksschulen beaufsichtigt, nunmehr trat an seine Stelle ein Ortsschulrat, dem allerdings der Pfarrer angehörte. Die Oberaufsicht ging vom Konsistorium auf den neugeschaffenen Evangelischen Oberschulrat über, der Religionsunterricht wurde weiterhin vom Pfarrer erteilt. Die Schule war künftig organisatorisch von der Kirche getrennt. Der Kirchenkonvent hatte keine Aufsicht mehr und damit eine Aufgabe weniger.1053 Hatte am Anfang des 19. Jahrhunderts der Geistliche noch über die öffentliche und private Lebensführung gewacht und die sozialen und geschlechterspezifischen Verhaltensweisen bestimmt, so war am Ende des Jahrhunderts die Kirchenferne des gehobenen Bürgertums und vor allem der Industriearbeiterschaft nicht zu übersehen. Vor allem in den herangewachsenen Industriestädten beklagten sich die Pfarrer über die Kirchenfeindlichkeit, oder zumindest die zunehmende Interesselosigkeit der neuen Bourgeoisie einerseits, und ganz besonders der Industriearbeiter gegenüber kirchlichen Belangen.1054 Auch die geistigen Umbrüche in dieser Zeit haben ihr Teil dazu beigetragen, die Lage grundsätzlich zu verändern. Die evangelische Landeskirche konnte in einem gemischt-konfessionellen Staat nicht mehr so agieren, wie zur Zeit Herzog Christophs oder auch noch vor der Schaffung des neuen Königreiches. Es hatten sich nicht nur die Umweltfaktoren geändert, auch die Kirche selbst hatte sich in dieser Zeit weiterentwickelt. Auf die Herausbildung des Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums und dessen Einfluß auf die allgemeinen Verhältnisse wird noch einzugehen sein. Es ist einleuchtend, daß die geänderten wirtschaftlichen Bedingungen ebenfalls nicht ohne Auswirkung auf kirchliche Belange bleiben konnten. Die Verlagerung des Arbeitsplatzes von zu Hause in Fabriken, der oft weite Weg dorthin - das alles tangierte sowohl das Familienleben, als auch die Belange der Kirchen. So bot sich am Ende ein völlig anderes Bild, als noch um 1820 oder gar am Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Überlegungen über theologischen Zeitfragen zum Jahrhundertende wiesen ebenfalls auf diese geänderte Lage hin. "Man scheidet heutzutage aus, was dem Zeitgeist nicht paßt, und wenn man dann ausgeschieden hat, dann beweist man, das Ausgeschiedene sei vorchristlich, also unchristlich, also einer geläuterten Christlichkeit unwürdig. Der Weltgeist, der große Teile unseres Volkes bereits beherrscht, der drängt auf Beseitigung des christlichen Glaubens und Geistes und richtet seine Angriffe auch besonders wider die evangelische Kirche".1055 1053 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 278. 1054 Handbuch des deutschen Bildungsbürgertums, Bd. IV, S. 71. 1055 Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg, 64.Jahrgang 1903, Nr. 25, S. 193 ff. 281 Aus einigen Pfarrberichten sprach der Wunsch, die Stärkung und Wiederbelebung der Kirche "als staatserhaltende und volkserneuernde Macht" im Auge zu behalten, und daß durch eine solch brüderliche Zusammenarbeit zur Rettung einzelner Menschen der Kirchenflucht gewehrt und ein erstarktes Gemeindeleben erbaut und bewahrt werden könne.1056 Weiter im Zentrum kirchlicher Arbeit am Ende des 19. Jahrhunderts stand die Sozialarbeit der Kirchen. Die theologische Auseinandersetzung und die Evangelisation wurde gewichtiger. Die Aufgabe, die vielfältigen Probleme der Zeit zu erkennen und zu versuchen, auf sie mit einer neuen Verkündigung des Evangeliums zu antworten, wurde durchaus gesehen. 1056 Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg, 65.Jahrgang 1904, Nr. 18, S. 137. 282 8.0. Das Verhältnis zu den anderen Konfessionen und Gemeinschaften. 8.1. Die katholische Kirche. Dem Verhältnis zu den anderen Konfessionen war ein weiteres Kapitel in den Pfarrberichten gewidmet. Es handelte sich anfangs vor allem um die Beziehungen der evangelischen zur katholischen Kirche, später aber auch zu den im Laufe dieses Jahrhunderts immer mehr sich herausbildenden Sekten aller Art. Mit dem Religionsedikt vom 15. Oktober 1806 traten neben die evangelische Kirche als bisher dominierende Landeskirche sowohl die Katholiken, als auch die Reformierten als gleichberechtigte Religionsgemeinschaften. Dabei wurde der gesamte kirchliche Bereich dem Staatszweck untergeordnet, unter die Hoheit der politischen Gewalt gestellt und von dort aus verwaltet. In der katholischen Kirche1057 übte der „Königliche Katholische Geistliche Rat“, seit 1816 der „Katholische Kirchenrat“, "zur Besorgung und Wahrnehmung der Souverainetätsrechte" das Kirchenregiment aus. Er verwaltete den Interkalarfonds, der aus den Gefällen erledigter Stellen gebildet worden war. Er war auch für die theologische Ausbildung, zunächst in Ellwangen, wo auch das Generalvikariat seinen Sitz hatte, zuständig. König Friedrich hatte dort 1812 eine katholische Landesuniversität, die "Fridericiana", die Friedrichs-Universität, ein katholisches Gegenstück zur Landesuniversität in Tübingen, gegründet, die zunächst aber auf den Status einer theologische Fakultät mit fünf Lehrstühlen beschränkt war. Die bis dahin in Rottenburg möglichen theologischen Vorlesungen fanden damit ein Ende. Ein Generalvikariat und ein Priesterseminar wurden auf dem Schöneberg eingerichtet.1058 "Am 5. März ward die wirtenbergische Hohe Schule für Katholiken zu Ellwangen mit höchster Feierlichkeit inauguriert, nachdem den dabei angestellten Professoren zuvor die Doktorwürde auf der Universität zu Freiburg erteilt worden war. Herr Rektor Cölestin Spegele schickte mir das Programm, welches er auf die Invitation zur solemnen Inauguration verfertigte. Diese neue Universität ist zugleich dem Seminar für künftige Geistliche verbunden, und die Theologen werden im Seminar erzogen und gratis verpflegt, freilich mit Beobachtung des Gesetzes der Sparsamkeit. Zugleich wird Ellwangen der Sitz eines Bischofs für einen Teil des Königreichs Württemberg. Und so zeigt sich Württembergs lutherischer König von allen übrigen Fürsten Deutschlands, auch vor katholischen, ganz vorzüglich tätig für das größte religiöse Bedürfnis seiner katholischen Untertanen". Kein Geringerer als Ignaz Speckle (1754 - 1824) hat diese Sätze im März 1813 in sein Tagebuch geschrieben.1059 1057 Golther: Der Staat und die katholische Kirche; Hagen: Staat und katholische Kirche in Württemberg. 1058 F.X.Funk: Die katholische Landesuniversität in Ellwangen. 1059 Das Tagebuch des Ignaz Speckle, Abt von St. Peter im Schwarzwald, 24. März 1813; Burkard: Ökumenische Tradition, S. 121 283 Als der letzte Erzbischof von Konstanz und Kurerzkanzler Carl Theodor von Dalberg 1817 gestorben war, hat König Wilhelm sie als "Katholisch Theologische Fakultät" von Ellwangen nach Tübingen verlegt, wo es damals nur 15 Katholiken gab1060, und dort als Theolgische Fakultät" der Landesuniversität eingegliedert.1061 Anscheinend hat ein Tübinger Weingärtner, ein Gog, dieses Ereignis mit den Worten kommentiert: "Jetzt kommt die Sekt au no".1062 Das Generalvikariat und das Priesterseminar kamen nach Rottenburg in das vormalige Jesuiten- kollegium.1063 Der König förderte in der Folgezeit vor allem auch die Ausgestaltung des katholischen Volksschulwesens.1064 Die kirchen- und staatsrechtliche Ausgestaltung der Diözese erfolgte in den kommenden Jahren. Napoleon hatte den Markgrafen von Baden zum Großherzog mit dem Recht der Anrede "Königliche Hoheit" erhoben, der Kurfürst von Württemberg wurde König. Vielleicht als Ausgleich dazu, vor allem aber, weil Baden über die Hälfte aller Katholiken in der Oberrheinischen Kirchenprovinz hatte, wurde von kirchlicher Seite der Oberhirte im Großherzogtum Baden Erzbischof, der Oberhirte im ehemals vorderösterreichischen Rottenburg, der Nachbarstadt der evangelisch-lutherischen Hochburg Tübingen, nur Bischof.1065 Die Bistumsgrenzen wurden in den Verhandlungen zur Bildung der Oberrheinischen Kirchenprovinz1066, zu der außer Baden und Württemberg Hessen-Darmstadt, Hessen-Kassel und Nassau gehörten, neu bestimmt, auch die Festlegung neuer Bischofssitze und die Dotierung der Domkapitel. Die neue Diözesaneinteilung wurde in der Zircumscriptionsbulle Pius VII. „Provida solersque“ vom 16.August 1821 bestätigt, der Modus der Bischofswahl in der Bulle Leos XII. „Ad domini gregis custodiam“ vom 11.April 1827 geregelt. Auch das Verhältnis des Staates zur katholischen Kirche wurde in einer Verordnung vom 30. Januar 1830 im einzelnen festgelegt.1067 Der Neuaufbau der kirchlichen Organisationen konnte beginnen.1068 Die feierliche Inthronisation des bisherigen Generalvikars Dr. Johann Baptist Keller (1828 - 1845) zum erstem Bischof von Rottenburg, fand am 20. Mai 1828 in Rottenburg statt. Der Bischof legte den Eid auf die württembergische Staatsverfassung ab.1069 1060 Burkard: Ökumenische Tradition, BWKG 101 (2001), S. 121. 1061 Decker-Hauff: Die Universität Tübingen in Bildern, S. 202; Hagen: Staat und katholische Kirche in Württemberg, S. 105; Quarthal: Zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, S. 367; Reinhardt: Die katholisch theologische Fakultät Tübingen, S. 22; Tiefenbacher: Das katholische Württemberg, S. 63; 1062 Reinhardt: Die katholisch-theologische Fakultät Tübingen, S. 120. 1063 Burkard: Ökumenische Tradition, BWKG 101 (2001), S. 130; Longner: Beiträge zur Geschichte der Oberrheinischen Kirchenprovinz, S. 383 - 394. 1064 Württembergische Kirchengeschichte, S. 650. 1065 Moersch: Altensteig zwischen Baden und Württemberg, S. 12. 1066 Tiefenbacher: Das katholische Württemberg, S. 52; Longner: Beiträge zur Geschichte der ober- rheinischen Kirchenprovinz, S. 22; Mann: Württemberg 1800 - 1866, S. 330; W. Müller. Katholische Kirche. In: Das Land Baden-Württemberg, S. 515. 1067 Tiefenbacher: Das Katholische Württemberg, S. 82; Köhler: Katholiken in Stuttgart, S. 29; Mann: Württemberg 1800 - 1866. In: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3, S. 286; Stärk: Die Diözese Rottenburg; Württembergische Kirchengeschichte, S. 654. 1068 Ammerich: Neuorganisation der katholischen Kirche in Südwestdeutschland, S. 11. 1069 Deifel, Barbara: Die Bischöfe der Diözese Rottenburg-Stuttgart, S. 5.: Johann Baptist Keller, geb. 16.5.1775, Priesterweihe 10.6.1797, Stadtpfarrer in Stuttgart 1808, Geistlicher Rat, Mitglied des Kirchenrats 1808, Bischofsweihe durch Papst Pius VII. 4.8.1816, gest. 17.10.1845 in Bartenstein. 284 In der Verfassung vom 25. September 1819 gewährte der § 70 den drei christlichen Konfessionen freie Religionsausübung und ungeschmälerten Besitz ihrer Stiftungen. Der § 72 allerdings wahrte ein strenges Staatskirchentum, das oberhoheitliche Schutz- und Aufsichtsrecht des Staates. Der Bischof leitete die inneren Angelegenheiten der Kirche (§ 78). Der Bischof, ein gewähltes Mitglied des Domkapitels und der älteste Dekan wurden Mitglieder der 2. Kammer.1070 Der Bischof wurde als Staatsbeamter gesehen und war in seinen Rechten weitgehend eingeschränkt. Der Staat hatte die Finanzaufsicht über das kirchliche Vermögen, das kirchliche Bauwesen wurde durch den Staat wahrgenommen. Ein landesherrlicher Kommissär überwachte alle Verfügungen und Verlautbarungen des Bischofs oder des Papstes und begleitete den Bischof sogar auf seinen Visitationen.1071 Die Pfarrer und Dekane waren Staatsdiener und, wie auch die evangelischen, zusätzlich mit verschiedenen weltlichen Aufgaben belastet. Selbst päpstliche Anordnungen bedurften vor ihrer Umsetzung der ausdrücklichen Genehmigung des Königs (placetum regium). Trotz dieser Beschränkungen stellte sich die katholische Kirche ungleich besser, als die evangelische. Ins Dogma hat der Kirchenrat nie eingegriffen, und überhaupt meist nur nach Rücksprache mit dem Ordinariat gehandelt". Die vorhandenen Anstalten sorgten für die Heranbildung eines tüchtigen Klerus, wie kaum anderswo. Die Fortbildung desselben durch Kapitelkonferenzen und Lesegesellschaften ist vom Staat, wie zuvor von Wessenberg für den Konstanzer Teil, eifrig betrieben worden. Ja selbst für die Macht des Bischofs fiel mit den Exemtionen eine bisherige Schranke weg. Auch der katholischen Kirche sollte nach § 82 der Verfassung das eingezogene Kirchengut wieder zurückgegeben werden, wie auch der evangelischen, doch blieb es auch hier beim Versprechen. In der "Württembergischen Kirchengeschichte" hieß es, die katholische Kirche habe nie über Vernachlässigung zu klagen gehabt,1072 und der Synodus behauptete schon 1818: „daß das katholische Württemberg seine Kirche großenteils auf Kosten der lutherischen erhalte“.1073 Kirchenzuchtsorgan auch der katholischen Kirche sollte das evangelische Institut des Kirchenkonvents werden, ohne sich jedoch durchsetzen zu können. Vieles ist in dieser Zeit für den Ausbau des bisherigen Pfarrsystems, vieles für Gründung neuer Pfarreien und Kirchen geschehen. Es entstanden die Kirchen in Ludwigsburg 1804, Eßlingen und Heilbronn 1806, Tübingen 1807, St. Eberhard in Stuttgart 1808 bzw. 1811.1074 Über Priestermangel gab es anfänglich schwere Klagen, doch kam schon 1832 in der katholischen Kirche ein Geistlicher auf 532 Seelen, in der evangelischen auf 1123. 1070 Württembergische Kirchengeschichte, S. 653. 1071 G.Schäfer: Katholische Kirche. In: Das Land Baden-Württemberg, S. 515. 1072 Württembergische Kirchengeschichte, S. 656. 1073 Württembergische Kirchengeschichte, S. 657, 669. 1074 Köhler: Katholiken in Stuttgart, S. 149. 285 „Unter diesem viel geschmähten und wirklich reformbedürftigen System konnte die Kirche doch nicht bloß leben, sondern auch gedeihen, bis sie kräftig genug war, als Waffen gegen den Staat die Stützen zu kehren, an denen er sie gehen gelernt hatte“.1075 Sehr viel deutlicher als in der evangelischen Kirche regte sich in der katholischen von Anfang an der Widerstand gegen die Bevormundung durch den Staat. Man war im Vatikan bestrebt, die Macht des württembergischen Herrschers auf das Notwendigste zu beschränken. Zwar hat der erste Bischof, Dr. Johann Baptist Keller, immer versucht, Konflikte mit dem Staat zu vermeiden, oder sie auf dem oft schwierigen Verhandlungsweg zu lösen. "Jede spektakuläre Auseinander- setzung mit dem Staat, die zu einem Kirchenkampf geführt, die Geistlichkeit gespalten und die Existenz des jungen Bistums gefährdet hätte, vermied er nach Kräften".1076 Aber gerade sein Bemühen um ein gutes Auskommen mit dem König, dem er ja den Treueid geschworen hatte, war ihm von gewissen "neu erstarkten katholischen Kreisen" als Mutlosigkeit und zu große Nachgiebigkeit gegenüber dem Staat vorgeworfen worden.1077 Sein Handlungsspielraum war begrenzt, das Domkapitel war ihm nicht unter-, sondern beigeordnet. Der Domdekan Ignaz von Jaumann war als Führer des aufgeklärten, staatskirchlichen Katholizismus immer ein Gegner von Keller. Die Bestrebung nach mehr kirchlicher Autonomie verlangte auch eine stärkere Bindung der Kirche an Rom. Es war eine sogenannte „jungkirchliche ultramon- tane Strömung“, welche die "libertas ecclesiae" seit 1830 einseitig als "Freiheit für die Kirche“ verstand.1078 Es ging um die freie Besetzung der Kirchenstellen, die Selbstverwaltung des Kirchenvermögens, die Errichtung von Seminaren, ein eigenes kirchlichen Prüfungswesen und die Aufhebung der Beschränkungen, denen der Kirchenrat unterworfen war. Die Subordination von Hierarchie und Klerus sollte durch eine Kooperation und Koordination der beiden Gewalten ersetzt werden.1079 Unterstützt wurden diese Bestrebungen durch massive Inerventionen aus Rom.1080 In einem Breve vom 4. Oktober 1833 forderte Papst Gregor XVI. von den Bischöfen, die Rechte der Kirche und die reine Lehre mit aller Kraft zu verteidigen, und bedauerte die Reformversuche, vor allem die Forderung nach Aufhebung des Zölibats. Nachhaltige Unterstützung fanden solche Forderungen nach Einschränkung und Aufhebung des Staatskirchentums auch in jesuitischen Kreisen, denen auch der katholische Adel zuneigte.1081 Der Streit eskalierte schließlich in der Mischehenfrage. Es gab Stellen, die Mischehen begrüßten, da sie zur Förderung der Toleranz und der Vereinigung der christlichen Bekenntnisse beitragen würden.1082 1075 Tiefenbacher: Das Katholische Württemberg, S. 159. 1076 Tiefenbacher: Das Katholische Württemberg, S. 83. 1077 Tiefenbacher: Das Katholische Württemberg, S. 83. 1078 Gutschera: Kirchengeschichte - ökumenisch, S. 116. 1079 Quarthal: Zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, S. 371. 1080 Tiefenbacher: Das Katholische Württemberg, S. 157. 1081 Württembergische Kirchengeschichte, S. 666. 1082 Hagen: Der Mischehenstreit in Württemberg, S. 35. 286 Es gab aber katholische Geistliche, die sich den gesetzlichen Vorschriften und den Anweisungen ihres Bischofs widersetzten und die Einsegnung von Mischehen ohne die Zusicherung der katholischen Kindererziehung verweigerten, „weil sie dem Geist der Lehre und den Befehlen der Kirche widerstreite“. Sie vertraten die Ansicht, die Einsegnung sei nur statthaft, wenn eine katholische Taufe und Erziehung gesichert sei.1083 Auslöser war vor allem eine Veröffentlichung des Professors Mack in Tübingen, Ordinarius für Moral: „Über die Einsegnung der gemischten Ehen“. Er verwies darauf, daß im Religionsedikt der Staat eine konfessionelle Benediktion verlange, und kam zu der Feststellung: „Die katholische Einsegnung gemischter Ehen ist mit Ausnahme desjenigen Falls, in welchem durch die Festsetzung der Erziehung sämtlicher Kinder in der katholischen Religion die Ehe einen katholischen Charakter empfängt, gegen den Geist, die Lehre und die Befehle der Kirche und kann daher von keinem Kirchenoberen erlaubt, von keinem Kirchendiener ohne Pflichtverletzung vorgenommen werden“.1084 Die Regierung des Landes, die eine Beschädigung der staatlichen Autorität befürchtete, hat sich gegen solche Versuche durch Versetzungen von Geistlichen zur Wehr gesetzt. Auch Mack kam auf die Pfarrei Ziegelbach, allerdings unter Wahrung seines Gehalts und unter Vorbehalt des Titels und Ranges eines ordentlichen Universitätsprofessors. Dem Bischof wurde von Seiten des Priesterseminars vorgeworfen, er habe das Mischehenproblem nicht in seiner vollen Bedeutung erfaßt; er sehe den Streit entweder als bloßes Parteiengezänk innerhalb der Kirche, oder aber als einen Angriff auf die öffentliche Ordnung und den konfessionellen Frieden, auch fehle ihm "die juristische Schulung, die Klarheit des Blickes und die Ausdauer im Kampfe".1085 Der Nuntius in München, Viale Prelá, drängte Keller wegen seiner unklaren Haltung schließlich im Sommer 1841 zum freiwilligen Rücktritt und drohte ihm mit der Suspendierung. Keller wehrte sich mit dem Einbringen einer Motion in der Kammer (am 13. November), in der er sich gegen gemischte Ehen überhaupt wandte, außerdem gegen Zwangsmaßnahmen, die gegen Geistliche wegen der Verweigerung der Eheschließung erhoben worden waren, und er forderte in dieser Sache Religions- und Gewissensfreiheit. Jaumann fiel mit einem Gegenantrag Keller in den Rücken.1086 In der Folge griff dann Rom in die Auseinandersetzungen ein.1087 In einem Breve von 1842 hieß es, daß „das natürliche wie das positive göttliche Sittengesetz das Eingehen gemischter Ehen wegen der Gefahr des Glaubensabfalls verbieten“.1088 1083 Köhler: Katholiken in Stuttgart, S. 34. 1084 Hagen: Der Mischehenstreit in Württemberg, S. 53. 1085 Hagen: Der Mischehenstreit in Württemberg, S. 41. 1086 Holzem: Kirchnereform und Sektenstiftung, S. 236. 1087 Breve vom 25.6.1842, 14.10.1842, 2.12.1843. 1088 Breve vom 25.6.1842. 287 Es war die Zeit, in der sich in Rom die "zentralistische Monokratie des Heiligen Stuhles" entfaltete, welche nach 1848 den "Syllabus Errorum", das Mariendogma, das Unfehlbarkeitsdogma und die reaktionären Beschlüsse des Ersten Vaticanums erst möglich machte. Diese Umwandlung der römischen Bischofsherrschaft in eine weltweit befehlende Autokratie stellte den folgenschwersten Prozeß in der Kirchengeschichte des Katholizismus im 19. Jahrhundert dar.1089 Die letzten Jahre des ersten katholischen Bischofs waren von diesem Streit getrübt. Im Februar 1845 erblindete Keller. Das gespannte Verhältnis der evangelischen Kirche zum katholischen Bischof zeigte sich in der Darstellung von Kellers Tod. Die Württembergischen Kirchengeschichte formulierte: „Der alte Bischof ist unter diesen Bürden leiblich und geistig zusammengebrochen. Er litt an Verfolgungswahn, erblindete und starb 1845, das erste Opfer Roms auf dem bischöflichen Sitze zu Rottenburg“.1090 Von katholischer Seite wurde vermerkt: „Er starb als Gast der fürstlichen Familie Hohenlohe in Bartenstein am 17. Oktober 1845 an den Folgen eines Schlaganfalls und fand seine letzte Ruhestätte auf dem Sülchenfriedhof in der Bischofsstadt“.1091 In der Zeit von 1845 bis zur Wahl eines neuen Bischofs 1848 wurde das Bistum durch das Erzbistum Freiburg mitverwaltet. Die Kurie hatte vergeblich die Einsetzung eines Koadjutors beantragt. Die Wahl des Domkapitulars Urban Ströbele war von Rom in einem "anmaßenden Schreiben" vom 14.11.1846 als unkanonisch verworfen worden.1092 In einer erneuten Wahl am 14. Juni 1847 ging der Stadtpfarrer und Dekan von Ehingen Dr. Josef Lipp als neuer Bischof hervor. Seine Konsekration erfolgte am 12.3.1848 in Freiburg, die Inthronisation am 19. März. im Dom zu Rottenburg.1093 Es ist erstaunlich, daß er das Placet aus Rom erhielt, hatte er als Dekan und Stadtpfarrer in Ehingen doch an der Gründung eines von vielen katholischen Geistlichen im Oberland unterstützten Anti-Zölibatsvereins mitgewirkt.1094 Er hatte sich während seiner Amtszeit weiter mit den Problemen seines Vorgängers auseinanderzusetzen. Es wurde ihm nachgesagt, er habe sich immer um ein gutes Verhältnis zur evangelischen Kirche und auch zum Staat bemüht.1095 Im Gegensatz zu dieser Aussage steht aber sein Kampf um kirchliche Rechte gegen diesen Staat. Die Verhandlungen wurden zunächst durch die Ereignisse der Jahre 1848/49 unterbrochen. Daß der Streit fortdauerte, ergibt sich aus einem Artikel im Evangelischen Kirchenblatt. Es wies in seiner Ausgabe vom November 1849 darauf hin, daß das bischöfliche Ordinariat in Rottenburg durch eine Anordnung vom 11. Mai 1849 tatsächlich allen katholischen Pfarrämtern seines Sprengels 1089 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgechichte, S. 471; Schatz: Das erste Vaticanum, S. 120. 1090 Württembergische Kirchengeschichte, S. 670. 1091 Tiefenbacher: Das Katholische Württemberg, S. 82. 1092 Württembergische Kirchengeschichte, S. 670. 1093 Die Bischöfe der Diözese Rottenburg-Stuttgart, S. 8: Josef Lipp, geb. 21.3.1795 in Holzhausen, Priesterweihe 1819, Wahl zum Bischof 14.6.1847, gestorben 3.5.1869; Tiefenbacher: Das Katholische Württemberg, S. 85. 1094 Moersch: Altensteig zwischen Baden und Württemberg, S. 11. 1095 Sauer: Regent mit mildem Zepter, S. 284. 288 verboten hatte, „eine gemischte Ehe feierlich einzusegnen, wenn nicht zuvor die katholische Erziehung sämtlicher zu erwartenden Kinder von den Nuptierenden zugesagt wird“.1096 Lipp verbot zudem 1853 jede Beteiligung des Staates an den Konkursprüfungen der katholischen Theologen und verweigerte den staatlich geprüften Kandidaten die kirchliche Institution. König Wilhelm wollte eine Konfrontation mit der katholischen Kirche vermeiden und entschloß sich, Verhandlungen in die Wege zu leiten. Am 31. Dezember 1853 wurde eine Einigung erzielt, die am 12. Januar 1854 ihre rechtsverbindliche Bestätigung erhielt.1097 Wurster schrieb: "1854 wurde mit dem renitenten Bischof eine Konvention geschlossen, in der ihm in fast allen Punkten nachgegeben wurde“.1098 Die Forderungen der katholischen Kirche wurden weitgehend erfüllt. Der Kirchenrat und das landesherrliche Placet als allgemeines Recht wurden zurückgenommen, die Konvikte, die den theologischen Nachwuchs heranbildeten, der Leitung des Bischofs unterstellt, die Einrichtung eigener Seminare erlaubt. Die Kirche konnte den Religionsunterricht selbst gestalten und erhielt die Freiheit ihres Ämterwesens und des geistlichen Vereinswesens.1099 Die Oberaufsicht über die Konvikte in Ehingen, Rottweil und Tübingen verblieb allerdings beim Staat. Zuletzt siegte in der Auseinandersetzung über den Mischehenstreit in Württemberg die Kirche "durch die Unbeirrbarkeit ihrer Grundsätze“ schreibt August Hagen. „Das war ein Sieg des erwachten katholischen Gewissens über die Idee des Polizeistaats“.1100 Man bemühte sich seit 1856 auch offiziell um ein Konkordat, das am 8. April 1857 schließlich auch zustande kam, und in einer Bulle „Cum in sublimi principis“ vom 22. Juni 1857 und schließlich durch eine königliche Verordnung am Thomastag 1857 verkündet wurde. Im Landtag bildete sich eine Opposition aus Demokraten und Pietisten, die die Vereinbarungen als Unterwerfung des Staates unter die Kirche und wegen der staatsrechtlichen Anerkennung des Papstes ablehnte, so daß der König genötigt war, die Beziehungen zur katholischen Kirche mit einem "Gesetz betreffend die Regelung des Verhältnisses der Staatsgewalt zur katholischen Kirche“ vom 30. Januar 1862 zu regeln, das dann auch die Zustimmung der Kammer fand.1101 Von katholischer Seite wurde die neue Vereinbarung als Stärkung des Kirchengedankens, die Annahme eines strengeren Kirchenbegriffs, und seine Anwendung auf das Familienleben gesehen.1102 Für die evangelische Seite war von Bedeutung, daß, obwohl das Gesetz inhaltlich weitgehend mit dem Konkordat übereinstimmte, hier das Verhältnis von Staat und Kirche nicht durch kirchliches Recht, sondern durch ein Staatsgesetz geordnet worden war.1103 1096 Evangelisches Kirchenblatt, Nr. 44, 10.Jahrgang, 4.11.1849, S. 688. 1097 Sauer: Reformer auf dem Königsthron, S. 417; Übereinkunft zwischen der Königlichen Regierung und dem Bischof in Rottenburg in Betreff der Regelung der Verhältnisse des Staates zur katholischen Kirche. 1098 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 340. 1099 Naujoks: Württemberg 1864 - 1916, S. 365. 1100 Hagen: Der Mischehenstreit in Württemberg, S. 231. 1101 Württembergische Kirchengeschichte, S. 680. 1102 Hagen: Der Mischehenstreit in Württemberg, S. 231. 1103 Württembergische Kirchengeschichte, S. 680; Schäfer: Das Haus Württemberg und die Evangelische 289 Möglicherweise war das Nachgeben des Königs und das so weit gehende Entgegenkommen gegenüber den Wünschen der katholischen Kirche darauf zurückzuführen, daß er seinen neuwürttembergischen katholischen Untertanen ein gewisses Heimatgefühl im Königreich Württemberg geben wollte. „Sie sollten ihre Blicke und Sympathien nicht nach Österreich kehren, dem sie früher angehörten oder eng verbunden waren. Vor allem sollten sie in ihren kirchlichen Verhältnissen keinen Grund zu einer Beschwerde finden und sich nicht durch protestantische Anschauungen majorisiert fühlen. Man müsse sie in diesen Dingen möglichst zufrieden stellen“.1104 Auf dieser gesetzlichen Grundlage, welche das Verhältnis von Staat und katholischer Kirche auf eine gute Basis stellte, war es König Karl möglich, einen Kulturkampf, wie er in Baden und Preußen tiefe Wunden riß, zu vermeiden. In Baden blieb nach dem Tod des Erzbischofs Vicari 1868 der Bischofsstuhl vierzehn Jahre lang unbesetzt. 1105 Bedrückungen und Benachteiligungen, wie in anderen Teilen des Reiches, blieben den Katholiken in Württemberg erspart. Württemberg blieb „eine Oase des Friedens“.1106 In dieser Zeit spielte der katholische Adel in Württemberg noch eine beachtliche Rolle. Seine führenden Vertreter saßen in der Kammer der Standesherren1107, der vormals reichsständischen Grafen und Fürsten, und bedeutende Männer, wie der Generaladjutant und Freund des Königs, Freiherr von Spitzemberg, der Minister Mittnacht, oder der Hofbaumeister Egle, waren katholisch. Auch während der Aufenthalte König Karls in seiner Sommerresidenz Friedrichshafen waren häufige besondere Kontakte zum oberschwäbischen katholischen Adel gegeben.1108 Die württembergischen Standesherren hatten die Mediatisierung als besondere Härte empfunden. Württemberg galt als das "purgatorium" dieser Klasse. Württembergs erster König nahm den Standesherren nicht nur die Jurisdiktion weg, er verlangte eine Residenzpflicht. Für die Huldigung war ein Zeremoniell ausgedacht, "das sich weniger nach einer persönlichen Eidesleistung von Vasallen, als vielmehr nach einer förmlichen Unterwerfung Besiegter anließ".1109 Im Hausgesetz von 1808 wurde den Standesherren nicht einmal mehr die Ebenbürtigkeit mit dem souveränen Königshaus zugestanden, in der Hofrang- ordnung wurden sie ungünstig eingestuft. Sämtliche Familienverträge und Sukzessionsordnungen wurden aufgehoben und durch die württembergische Intestaterbfolge ersetzt. Die Mediatisierten mußten beim König sogar eine Heiratserlaubnis einholen.1110 Kirche, S. 494. 1104 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 387. 1105 Sauer; Regent mit mildem Zepter, S. 286; W. Müller. Katholische Kirche. In: Das Land Baden- Württemberg, S. 519. 1106 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 341; Gall: Bürgertum, liberale Bewegung und Nation, S. 147. 1107 Gollwitzer: Die Standesherren, S. 19; Weber: Die Fürsten von Hohenlohe im Vormärz, S. 25. 1108 Sauer: Regent mit mildem Zepter, S. 284. 1109 H.B.Graf von Schweinitz und Krain: Hohenlohe und die Mediatisierung in Franken und Schwaben, Diss. phil. Tübingen, 1952, S. 161. 1110 Gollwitzer: Die Standesherren, S. 55. 290 In der Folgezeit regelte Württemberg sein Verhältnis zu den standesherrlichen Familien durch gesonderte Verhandlungen und jeweils eigene Deklarationen. Das katholische Vereinswesen erlebte in dieser Zeit einen Aufschwung. Missions- und sozial-karitative Vereine entstanden. Der erste derartige Verein war der Vincenz-Elisabethen-Verein, 1849 in Stuttgart ins Leben gerufen, getragen vom katholischen Adel, geleitet von Theodelinde von Württemberg (1814 - 1857, der ersten Frau des Grafen Wilhelm von Württemberg, des späteren Herzogs von Urach (1810 - 1869).1111 Weitere Vereine waren der Kolpingsverein, Vereine für Kirchenmusik, neue Studentenverbindungen, es entstanden Presseorgane1112 und schließlich 1895 auch als politische Partei des Zentrums in Württemberg.1113 Weibliche Orden und Kongregationen wurden wieder zugelassen, die vor allem in der Krankenpflege und Kindererziehung tätig wurden. Ohne Erfolg waren allerdings die Bemühungen um die Wiedereinrichtung eines Männerklosters in Württemberg.1114 Schon unter Bischof Lipp war der Versuch, 1857 in Ellwangen ein Kloster zu etablieren, ohne Erfolg geblieben. Auch sein Nachfolger, Bischof Hefele, hatte mit seinen Eingaben keinen Erfolg. Die Begründung der Regierung lautete, " daß in Württemberg die katholische Kirche auch ohne Männerorden ihre große Aufgabe voll erfülle und kirchlichen Sinn zu pflegen verstehe.1115 Die folgende Zeit war gekennzeichnet durch die „Rottenburger Wirren“, die von einer extrem ultramontanen Gruppe ausgelöst wurden. Ursache war die unterschiedliche Auffassung über die Theologenausbildung am Wilhelmstift in Tübingen, und dessen Direktor Dr. Ruckaber1116, auch die angebliche Nachgiebigkeit des Bischofs gegenüber der Katholisch-Theologischen Fakultät. Der langjährige Regens am Priesterseminar in Rottenburg, Joseph Mast, brach jeder Verbindung zur Fakultät ab und scheute sich auch nicht, seinen Bischof in Rom zu denunzieren. Es wurde dort 1868 sogar erwogen, diesem einen Koadjutor zur Seite zu stellen. Daß ein solches Vorgehen den Bischof zutiefst verletzen mußte, ist verständlich. Es wurde ihm aber auch seine "Geradlinigkeit und Aufrichtigkeit bescheinigt, und seine verbindliche und verbindende Art, die ihm die Herzen der Menschen gewann.1117 Er starb am 3. Mai 1869 an Lungentuberkulose, „von den Jesuiten zu Tode gehetzt“.1118 1111 Söhnke Lorenz u. a.: Das Haus Württemberg, S. 384, 385; Köhler: Katholiken in Stuttgart, S. 38. Bruns: Württemberg unter König Wilhelm II., S. 389. 1112 Deutsches Volksblatt 1848, Katholisches Sonntagsblatt 1850. 1113 Tiefenbacher: Das katholische Württemberg, S. 87. 1114 Reinhardt: Die Bemühungen um Wiederzulassung der Benediktiner, in: Germania Benedictina, S. 742. 1115 Reinhardt: Die Bemühungen um Wiederzulassung der Benediktiner, in: Germania Benedictina, S. 743 1116 Tiefenbacher: Das Katholische Württemberg, S. 85. 1117 Tiefenbacher: Das Katholische Württemberg, S. 85. 1118 Württembergische Kirchengeschichte, S. 690; Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 341. 291 Der nächste Bischof, Carl Joseph Hefele (1869 - 1893), ein "vir doctissimus",war vor allem als Kirchenhistoriker durch seine kirchengeschichtlichen Schriften, besonders eine siebenbändige "Conziliengeschichte", bekannt geworden.1119 Er legte großen Wert auf die Erhaltung des konfessionellen Friedens. Hefele entstammte einer höheren Beamtenfamilie in der ehemaligen Fürstpropstei Ellwangen. Er studierte in Tübingen Philosophie, Theologie, Philologie und Mathematik. Er war Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen. Am 29. Dezember 1869 konsekriert, gehörte er auf dem Vatikanischen Konzil, das durch Papst Pius IX. (1846 - 1878) im gleichen Jahre einberufen worden war, zu den bedeutendsten Gegnern des päpstlichen Unfehlbarkeits- anspruches. Er forderte immer wieder die sichtbare Rückbindung des Papstes an die Gesamtheit der Bischöfe.1120 Der entscheidenden Abstimmung am 18. Juli 1870 entzog er sich durch seine vorzeitige Abreise aus Rom. Als letzter Bischof anerkannte er das Infallibilitätsdogma, verkündete es aber erst in einem Hirtenbrief am 10. April 1871: „Der kirchliche Friede und die Einheit der Kirche ist ein so hohes Gut, daß dafür große und schwere persönliche Opfer gebracht werden müssen“.1121 Die geschilderten Streitpunkte fanden sich auch in den Pfarrberichten wieder. In Gmünd stellte der Pfarrer fest, daß das Unfehlbarkeitsdogma nicht in allen katholischen Kreisen auf Gegenliebe stieß. Offensichtlich ist es sogar vorgekommen, daß auf Grund von dessen Verkündigung katholische Eltern ihre Kinder evangelisch taufen ließen. Der Pfarrer nahm auch zu der Frage der Kindererziehung in gemischten Ehen Stellung und stellte hierzu fest: „Die Erziehungsreligion in gemischten Ehen war früher vorherrschend katholisch, neuerdings fehlt es jedoch nicht an solchen, in welchen die Erziehungsreligion der Kinder zu Gunsten der evangelischen Kirche durch Vertrag festgelegt wird. Auch ist es wohl als Folge des Unfehlbarkeits- dogmas anzusehen, daß in letzter Zeit mehrere Familien, welche früher ihre Kinder in der katholischen Kirche taufen ließen, dieselben nun evangelisch erziehen lassen“.1122 Es ist verständlich, daß auch die Ereignisse auf dem Vatikanischen Konzil auf evangelischer Seite aufmerksam verfolgt wurden. Das Thema wurde auch im Evanglischen Kirchenblatt behandelt. Dort wurde festgestellt: „Für Papst Leo XIII.(1878 - 1903), den Nachfolger von Pius IX. (1846 - 1878), ist die evangelische Lehre die Pestbeule am Leib der Christenheit, ein dummes, wetterwendisches, aus Hochmut und Gottlosigkeit entstandenes System, gegen das man sich folgerichtig mit allen erdenklichen Mitteln wehren, die man bekämpfen und unterdrücken soll. 1119 Die Bischöfe der Diözese Rottenburg-Stuttgart, S.12: Carl Josef Hefele, geboren 16.3.1809 in Unterkochen, Priesterweihe 15.8.1832, Professor für Kirchengeschichte in Tübingen 1836 - 69. Wahl zum Bischof am 17.6.1869, Weihe am 29.12.1869, gestorben am 5. Juni 1893; Tiefenbacher: Das katholische Württemberg, S. 86; Bruns: Württemberg unter der Regierung König Wilhelms II., S. 379. 1120 Gutschera: Kirchengeschichte - ökumenisch, II., S. 144; Hagen: Geschichte der Diözese Rottenburg; Reinhardt: Theologie zwischen Gewissen und Gehorsam, S. 431. 1121 Tiefenbacher: Das Katholische Württemberg, S. 87; Sauer: Regent mit mildem Zepter, S. 285. 1122 Pfarrbericht Gmünd, 1874. 292 Die jesuitische Schule, die zur Zeit die Macht in Händen hat, weiß von nichts anderem uns gegenüber, als von dem Willen Gottes, daß die evangelische Kirche um jeden Preis ausgerottet werden müsse, und dieser höchste, gottgefällige Zweck, heiligt für sie jedes nur erdenkliche Mittel“. 1123 Bemerkenswert ist, daß die offensichtlich sehr tolerante Haltung des Rottenburger Bischofs im Gegensatz zur Einstellung der kirchlichen Stellen in Rom durchaus ihre Anerkennung im Evangelischen Kirchenblatt fand: „Wenn z.B. der gegenwärtige Bischof von Rottenburg am liebsten mit seinen evanglischen Mitbrüdern verbunden gegen den gemeinsamen Feind, den Unglauben und Umsturz, kämpfen würde, so glaube ich nicht, daß das treulos berechnete Phrase ist, aber ebenso gewiß ist keinerlei Verlaß darauf, denn das System und die päpstliche Autorität fordern in allen entscheidenden Fragen die Trennung von den Ketzern; daher auch der Kampf des Kardinals gegen die christlichen Gewerk- schaften. Das kirchliche System verlangt totale Förderung und Organisation des Kampfes gegen unsere evangelische Kirche, die das Gift der Völker ist. Daher der Aufruf des Bischofs Keppler an seine Pflegebefohlenen, Sturmkolonnen zu bilden gegen die Evangelischen“. Wenn ein solcher Aufruf den Tatsachen entsprach, ist hier zweifellos ein Widerspruch zu der sonst so gelobten konzilianten Haltung dieses Bischofs gegeben. In dem Artikel hieß es weiter: „Aber viele Katholiken handeln durchaus nicht mit bewußter Unwahrhaftigkeit, wenn sie für den Kampf gegen den Protestantismus, zu dem sie als gläubige Glieder ihrer Kirche verpflichtet sind, vor ihrem Gewissen neben der Pflicht der Unterwerfung unter den Willen ihrer Kirche, auch den Grund geltend machen, daß sie ihre Kirche gegen die Anfeindungen seitens der Evangelischen zu verteidigen das Recht und die Pflicht haben“.1124 Auch auf katholischer Seite gab es Stimmen, die durchaus zu einer friedlichen Zusammenarbeit aufriefen: "Alle, welche noch die Liebe beseelt zu Gott und seinem Heiligtum, müssen eins werden gegen alle die, welche nur der Haß einigt, nämlich der Haß gegen Gott und seine Ordnung. Dazu wirds über kurz oder lang doch kommen, und wenn die Gläubigen beider Konfessionen es nicht einsehen wollen, dann wird Gott sie selbst dazu hintreiben, wenns not tut, selbst mit der Peitsche der höchsten Not und Gefahr".1125 Bischof Hefele war stets um Versöhnung und ein gutes Verhältnis zum Staat und besonders zu König Karl bemüht. Dieser selbst schätzte seinerseits den Kirchenführer. Er stand bei ihm in hohem Ansehen und fand auch in einer Zeit, als er von außen heftig angegriffen wurde, hier immer Unterstützung und Rückhalt. 1123 Kalb: Kirchen und Sekten der Gegenwart, S. 85; Evangelisches.Kirchenblatt für Württemberg, 65.Jg., Nr. 7, 13.2.1904, S. 53. 1124 Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg, 65.Jg., Nr. 7, 13.2.1904, S. 53. 1125 Katholisches Sonntagsblatt 1883, Nr. 4, 21.Januar, S. 25; Burkhardt: Ökumenische Tradition, S. 140. 293 Der König hat ihm mehrfach seinen besonderen menschlichen Respekt bekundet, und auch Königin Olga war ihm zugetan. Dies sollte sich auch bis zum Tod des Königspaares, das der Bischof nur um ein Jahr überlebte, nicht mehr ändern.1126 Die um die Jahrhundertwende entstandene Bewegung des Reformkatholizismus wollte vor allem den durch die Industrialisierung veränderten Verhältnissen Rechnung tragen. Durch die stärkere Mobilität der Bevölkerung, vor allem auch bewirkt durch den Eisenbahnbau, entstanden katholische Gemeinden in früher rein evangelischen Gegenden. Dem sollte durch eine verstärkte Seelsorge und den Neubau von Kirchen Rechnung getragen werden. Leben und Lehre der Kirche sollte mit dem Fortschritt in Kultur und Wissenschaft vereinbart werden, ohne jedoch das Evangelium der Kirche preiszugeben“.1127 In manchen evangelischen Kreisen tat man sich schwer mit dem Verlust der Monopolstellung der evangelischen Landeskirche im Königreich Württemberg. Von dieser Seite wurde vor allem der verstärkte katholische Kirchenbau in dieser Zeit mit Mißtrauen gesehen, ebenso wie die Tatsache, daß der Hof den Bau der zweiten katholischen Kirche in Stuttgart, der Marienkirche, tatkräftig förderte. Der verstorbene König Wilhelm hatte noch 10 000 Mark gespendet, sein Sohn Karl ebenfalls 6 000 Mark, Königin Olga 1 542,86, die übrigen Mitglieder des Hofes 7 769,42, und die Stadt Stuttgart 34 385 Mark.1128 Das Königspaar schenkte außerdem wertvolle Altargeräte und nahm an der Einweihung am 12. November 1879 persönlich teil.1129 Es gab gleichzeitig selbstverständlich auch Beispiele königlicher Freigiebigkeit zu Gunsten der evangelischen Kirche. So hat sich der König stark an den Gustav- Wernerschen Anstalten in Reutlingen engagiert, als deren Zusammenbruch bevorstand. Der König gab persönlich einen ansehnlichen Betrag zur Sanierung, und der Staat beteiligte sich an der Auffang-Gesellschaft, die es ermöglichte, den Betrieb weiterzuführen. Trotzdem blieb das Mißtrauen auf evangelischer Seite bestehen. Im „Evangelischen Kirchenblatt“ hieß es in der Ausgabe vom 15. Oktober 1875: „Die katholische Kirche wird weiterhin mit größerer Liberalität behandelt“.1130 Sauer hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß gerade in der Zeit des ausgehenden Jahrhunderts auch von manchen protestantischen Kreisen besonders in Alt-Württemberg alte Vorurteile gegenüber den Katholiken wieder wachgerufen wurden. Auch gemäßigte evangelische kirchliche Kreise, die sich um ein friedliches Miteinander der beiden großen Konfessionen bemühten, wurden wegen ihrer toleranten Haltung angefeindet.1131 1126 König Karl starb am 6.Oktober 1891, Königin Olga am 30.Oktober 1892, Bischof Hefele am 5.Juni 1893. 1127 Tiefenbacher: Das Katholische Württemberg, S. 160. 1128 Köhler: Katholiken in Stuttgart, S. 37. 1129 Sauer: Regent mit mildem Zepter, S. 287. 1130 Evangelisches Kirchenblatt, Nr. 42, vom 15.10.1875, 36.Jg., S. 331. 1131 Sauer: Regent mit mildem Zepter, S. 287. 294 Der Stuttgarter Stadtpfarrer Adolf Zahn (1834 - 1900) veröffentlichte eine Publikation über "Die ultramontane Presse", in der er schrieb: "Die Zeiten sind auch in Württemberg vorbei, wo die beiden Konfessionen noch in harmloser Friedfertigkeit nebeneinander lebten. Die heranwachsende Geistlichkeit ist vatikanisch gesonnen, die ältere, die es einmal nicht war, stirbt mehr und mehr ab.1132 In diesem Zusammenhang muß man aber auch sehen, daß einzelne Kreise der katholischen Kirche solche Befindlichkeiten geradezu provozierten und durchaus nicht nur in einem friedlichen ökumenischen Geist handelten. Wiederum im „Evangelischen Kirchenblatt“ vom 1. März 1890 wurde über die Schrift eines P. Majunke zu Luthers Lebensende berichtet, die im Rahmen einer „historischen Untersuchung“ vom 14. November 1889 bereits in 3. Auflage erschienen war.1133 In diesem Aufsatz stellte der Autor fest, daß die ganze protestantische Geschichtsdarstellung unzuverlässig und eine „Geschichtslüge“ sei. „Die mangelhafte Kenntnis der vorlutherischen Theologie, insbesondere die Unkenntnis der christlichen Dogmatik sowie der Moral“ hätten „Luther idealisieren und nicht nach der Natur malen lassen“. Zu Luthers Tod schrieb er, dieser sei eines ganz plötzlichen, unerwarteten und dabei jämmerlichen Todes gestorben. Luther aß und trank nicht nur gern, sondern er liebte „die Unmäßigkeit“ und sei an deren Folgen gestorben. Seine Leiche habe „einen pestilenzialischen Gestank verbreitet, so zwar, daß tausende von schwarzen Raben hinzugeflogen seien und die Leiche bis Wittenberg begleitet hätten“. In einem weiteren Abschnitt behandelte er weiter „Die erste authentische Nachricht über Luthers Lebensende“, von einem katholischen Historiker Bozius, auf Grund einer Aussage von Luthers persönlichem Diener, nach der Luther „sich nach üppigem Mahl in der Nacht erhängt habe, daß aber die Diener, die darum wußten, eidlich hätten Schweigen versprechen müssen, um der Ehre des Evangeliums willen“. Dazu nahm das Evangelische Kirchenblatt folgendermaßen Stellung: „Möge es dazu dienen, denen auf den richtigen Weg zu helfen, die, weil sie die katholische Bewegung unserer Tage nicht kennen oder nicht kennen wollen, auch Rom gegenüber immer nur Frieden predigen. Wem aber die protestantischen und evanglischen Güter, welche uns die Reformation errungen, wert sind, der hat auch Acht auf die gegen sie gerichteten Angriffe, um für jene Güter einzutreten, besonders nachdem er gesehen, wie bisherige Lauigkeit und Bequemlichkeit uns Abbruch genug getan hat, zumal in den Schichten der sogenannten „Gebildeten“, die freilich oft nur halbgebildet sind, und wieder bei den Massen der großen Städte. Wenn es auch noch nicht an dem ist, daß, wie Majunke triumphiert, „heute das Werk Luthers mit Riesenschritten seiner Selbstauflösung entgegengeht, während die Macht Roms gewaltiger dasteht, denn je seit 300 Jahren“, so ist es doch schon weit genug, darf man doch kaum mehr ein freies protestantisches Wort öffentlich ungestraft wagen“. 1132 Burkard: Ökumenische Tradition, S. 136. 1133 Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg, Nr. 7, 13.2.1904, S. 53. 295 Auf die Rolle des Heiligen Josef als Märzheiligen im Kampf gegen den Protestantismus wurde im Evangelischen Kirchen- und Schulblatt für Württemberg vom 5. April 1890 besonders hingewiesen. Es wurde darauf aufmerksam gemacht, daß dieser Heilige in der katholischen Kirche seit dem Tridentinum, verstärkt in den Vordergrund gerückt wurde. So, wie der Mai als Marienmonat, der Juni als Herz-Jesu-Monat, der Oktober als Rosenkranzmonat gefeiert werde, solle in Zukunft der März zum Josef-Monat erhoben werden, und der Mittwoch grundsätzlich als sein Tag gefeiert werden. Josef sei der Bräutigam der Jungfrau, der Nährvater und Beschützer Jesu, ein Beispiel der reinen Keuschheit, ein Vorbild tiefer Demut, ein Muster der heiligen Liebe, der Lehrer des Gebets, der Erhalter des Friedens, Vater der Armen, Zuflucht für Betrübte, Schutzpatron der Reisenden, Trost der Sterbenden, und nach der Enzyklika Leos XIII. vom 15. August 1889 nun auch „der Helfer im Kampf gegen die Ketzerei, gegen die Protestanten. Der Weg zu Gott und Jesus ist Maria, der Weg zu Maria aber Joseph".1134 Noch 1915, es war die Zeit, da Dr. Paul Wilhelm Keppler Bischof in Rottenburg war (1898 - 1926), wurde die feindselige Haltung von Papst Benedikt XV. hervorgehoben, der in einer Ansprache an die Mitglieder des „Werkes zur Erhaltung des Glaubens“ im Konsistorium darauf hingewiesen hatte, daß „Maßnahmen gegen die protestantische Propaganda in Rom“ ergriffen werden müßten: „Die Sendboten des Satan errichten mitten in der Heiligen Stadt ihre Tempel um von ihren Pestkanzeln aus unter dem Volk Irrlehren zu verbreiten. Solche teuflische Machenschaften müssen als das, was sie sind, nämlich als eine wahre Räubertat, bezeichnet werden. Wer würde nicht das Ärgernis beklagen, das in der katholischen Welt erregt würde, wenn Luther und Calvin es erreichten, ihre Zelte in der Stadt der Päpste dauernd zu errichten“. Das Evangelische Kirchen- und Schulblatt kommentierte diese Darstellung mit der Bemerkung: „Der Schluß der Sache pflegt allemal der zu sein, daß man uns, wenn wir nicht alles schweigend über uns ergehen lassen, in einem großen Teil der katholischen Presse als „konfessionelle Friedensstörer“ an den Pranger stellt. So war es, so ist es, und so soll es allem nach bleiben“.1135 Es ist verständlich, daß es aus der Sicht der evangelischen Kirche zu Schwierigkeiten innerhalb der Konfessionen besonders dort kommen konnte, wo der katholische Teil der Bevölkerung in der Überzahl war. Es wurde bemerkt, daß gerade dort „in steigendem Maße ein Druck auf den anderen Teil ausgeübt wurde". Die evangelischen Minderheiten in den oberschwäbischen Städten waren in den städtischen Kollegien und Beamtungen nur noch wenig oder gar nicht mehr vertreten. "Da die katholischen Vereine alles, was katholisch ist, sammeln, wird auch der gemeinsame gesellige Boden immer schmäler. Immerhin gehört auch im Oberland der äußere konfessionelle Friede noch zum guten Ton“.1136 1134 Evangelisches Kirchen- und Schulblatt, Nr. 15, 12.4.1890, 51.Jg., S. 113. 1135 Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg, Nr. 57, 18.12.1915, 76.Jg., S. 414. 1136 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 347. 296 In Biberach, dessen paritätischer Status im Westfälischen Frieden festgeschrieben worden war und der bis 1817 in Geltung blieb, wurde im Pfarrbericht von 1840 „Lobenswerte Eintracht der Konfessionen“ festgestellt. Der Stadtpfarrer und Dekan Mayer war zu dem Zeitpunkt, als er dies schrieb, 71 Jahre alt.1137 Bereits 1849 aber wurden im Pfarrbericht „Störungen durch auswärtige Katholiken“ notiert. Dann fanden sich erst 1870 wieder Bemerkungen über das Verhältnis zu den anderen Konfessionen. Es waren nun auch 3 Methodisten vorhanden, „die aber keinen Boden gewinnen können“. Die katholische Kirche versuchte in dieser Zeit, ihren Anspruch auf den Alleinbesitz des Mittelaltars in der Kirche durchzusetzen, „ist in diesem Bemühen aber gescheitert“. Das Verhältnis wurde in dieser Zeit schon als „gespannt“ bezeichnet. 1885 bemerkte der Pfarrer, daß die katholische Kirche ganz auffällig „von oben her in allem eine Trennung anstrebt“. Dies stärke aber andererseits auch wieder das Zusammengehörigkeitsgefühl der Evangelischen. „Auf der Warte zu stehen und Umschau zu halten über Lämmer und Schafe gilt jetzt mehr, als je“.1138 Der Pfarrer schrieb in dem Bericht von 1885, daß die Stadtkirche, die 1110 unter Heinrich V. erbaut und 1880/81 renoviert worden war, obwohl die Parität in den bürgerlichen Gremien streng gewahrt werde, durch den jesuitischen Stil und die katholische Ausschmückung eigentlich für die evangelische Gemeinde ungeeignet geworden sei. Und natürlich gab es in dieser Zeit mit der katholischen Kirche Spannungen in der Mischehenfrage. „Dem Zentrum gelingt es aber noch nicht, seinen Terrorismus durchzuführen“. Für die zunehmende konfessionelle Durchmischung bietet Böblingen ein gutes Beispiel. In der Pfarrbeschreibung aus dem Jahre 1828 wurde festgehalten, daß außer 2 865 Evangelischen nur ein Katholik am Ort wohnte. Der Pfarrbericht von 1845 konstatierte, daß neben nunmehr 3 550 Evangelischen und 3 Reformierten am Ort 8 Katholiken eingebürgert und nach Dätzingen eingepfarrt waren. Zu ihnen kamen 1862 noch 7 Juden. In einer solchen Gemeinde war nicht mit Schwierigkeiten zwischen den Konfessionen zu rechnen.1139 Allerdings hat der Pfarrer 1883 eine Besonderheit zu vermerken, die Wert ist, hier festgehalten zu werden. Eines seiner Gemeindeglieder war kurz vor seinem Tod in der Gegend von Ellwangen zum katholischen Glauben konvertiert, „weil evangelische gut leben, katholisch gut sterben sei“. Köhle-Hezinger hat darauf hingewiesen, daß dieser Satz kein konfessionelles Vorurteil war, sondern eine praktische Regel zum Leben und Sterben, die auf pragmatisch-realistische Weise den Umgang der Konfessionen im Alltag regeln half.1140 1137 Pfarrbericht Biberach, 1843; 450 Jahre Simultaneum; Andrea Riotte: Biberachs Konfessions- und Verfassungsentwicklung, BWKG 99 (1999), S. 51 - 80. 1138 Pfarrbericht Biberach, 1885, S.6. 1139 Pfarrbericht Böblingen, 1828, 1845, 1862. 1140 Köhle-Hezinger: Konfessionelle Vorurteile und Stereotypen, S. 161. 297 In der früheren Reichsstadt Gmünd war nach der Reformation und der Vertreibung der Protestanten im Jahre 1570 ein evangelisches Leben erst langsam wieder möglich geworden. 1864 wurde noch erwähnt, daß das konfessionelle Zusammen- leben ohne Feindseligkeit sei. Der prüfende Dekan hatte sich 1891 befriedigt darüber geäußert, daß die Zahl der Evangelischen in Gmünd rascher wuchs, als die der Katholiken. Er schrieb damals: „Das evangelische Bewußtsein belebt sich mehr und mehr, die Arbeit des Geistlichen ist anregend, dankbar, hoffnungsreich. Die Zahl der Katholiken hatte 1890/95 um 921 8,8% zugenommen, die Zahl der Evangelischen hatte um 563 11,8% zugenommen In 10 Jahren war der Zuwachs: Evangelische 1 104 = 26,2%, Katholiken 1 890 = 19,9%. Nach dem Urteil von Pfarrer Julius Abel von 1893 war das Verhältnis der Konfessionen zueinander bis daher ein außen ungestörtes geblieben, trotzdem daß katholischerseits durch die Lokalpresse, das „Gmünder Tagblatt“, wie durch persönliche Einwirkung viel gehetzt und geschürt wurde. Den Bemühungen um Erhaltung des konfessionellen Friedens ist eine wesentliche Stütze entzogen durch den im heurigen Frühjahr erfolgten Tod des katholischen Stadtpfarrers Pfizer, der für die Evangelischen eine sehr wohlwollende Gesinnung hatte und ungescheut an den Tag legte. Daß es dem evangelischen Geistlichen seitens der katholischen Geistlichkeit unmöglich gemacht wurde, am Grabe des katholischen Amtsbruders zu sprechen, und daß der katholische Dekan in seiner Grabrede sagte, daß der Verstorbene „bis an die Grenze der Toleranz gegangen sei“, Worte, die am selben Abend im „Deutschen Volksblatt“ zu lesen waren, ließ auf die Absicht schließen, daß künftig die Toleranz nicht mehr in der bisherigen Weise geübt werden sollte. „Der nunmehrige katholische Stadtpfarrer Sailer, bisher erster Kaplan hier, sucht denn auch den amtlichen und persönlichen Verkehr auf das Notwendigste zu beschränken. Eine althergebrachte Sitte, wonach jährlich die beiderseitigen Stadtpfarrämter eine gemeinsame Bitte um Gaben für unbemittelte Konfirmanten und Erstkommunikanten veröffentlichten, wurde seinerseits sofort aufgehoben". Der Pfarrer stellte fest, "daß neuerdings auf katholische Kindererziehung in gemischten Ehen, auch solchen, die bereits evangelische Kindererziehung haben, mit rücksichtsloser Schärfe gedrungen wird“. Von 171 Kindern aus gemischten Ehen waren 51 (30%) evangelisch, 120 (70%) katholisch getauft, von 44 gemischten Ehepaaren waren 11 (25%) evangelisch, 33 (75%) katholisch getraut worden“.1141 1141 Pfarrbericht Gmünd, 1893. 298 Im Pfarrbericht von Gmünd aus dem Jahre 1902 hieß es zu diesem Thema: „Versteckte Umtriebe der katholischen Geistlichkeit und ihrer Helfershelfer, nicht am wenigsten Frauen. Es gibt 635 gemischte Ehen, 404 (63,9%) mit katholischer, 231 (36,1%) mit evangelischer Kindererziehung". Es kam auch vor, daß Brautleute wünschten, sowohl in der evangelischen, als auch in der katholischen Kirche, getraut zu werden. Der Pfarrer bemerkt hierzu ein seinem Bericht von 1905: „Wenn bei gemischten Ehen die Brautleute in beiden Kirchen getraut werden wollen, so tritt der Pfarrer der Braut darüber in Kommunikation mit dem des Bräutigams, damit die zweite Trauung sogleich nach der durch den Pfarrer des Bräutigams geschehen kann". Die Trauung wurde in solchen Fällen mit Rücksicht auf den katholischen Kultus immer schon morgens vorgenommen“.1142 Die Spannungen zwischen den beiden Konfessionen, die schon 1893 registriert worden waren, verstärkten sich schwerwiegend durch eine Rede, die der Bischof Dr. Paul Wilhelm Keppler (1898 - 1926) 1902 in seiner Vaterstadt Gmünd hielt. Der Pfarrer erwähnte in seinem Bericht: „Einen unheilvollen Stoß, über den sich noch nicht sagen läßt, welche Wirkungen er haben wird, hat das bisher verhältnismäßige friedliche Zusammenleben der Konfessionen erlitten durch die bekannte Rede des Bischofs Keppler im hiesigen katholischen Vereinshaus am 30. April d. J.. Der evangelische Teil der Stadtbevölkerung war geradezu verblüfft, da man derartige herbe Auslassungen von früheren Birschofsbesuchen nicht gewöhnt war, von dem derzeitigen Bischof, einem Gmünder Sohn, aber am allerwenigsten erwartet hätte. 1143 Der katholische Teil dagegen wurde durch die Bischofsrede förmlich fanatisiert. Man spürt seitdem recht wohl im gegenseitigen Verkehr, im gesellschaftlichen Leben, in der Presse und in sonstigen Beziehungen, daß die konfessionellem Gegensätze in der Stadt Gmünd wesentlich verschärft sind“.1144 Auf den Inhalt der Rede wird in diesem Pfarrbericht nicht eingegangen, aber es ist offensichtlich, daß der Auftritt des Bischofs das friedliche Miteinander der Konfessionen nachhaltig gestört hat. Das Verhältnis zwischen den beiden Konfessionen war anscheinend auch in den folgenden Jahren noch gespannt. Dem Pfarrbericht des Jahres 1922 war noch zu entnehmen: "Die katholische Kirche tut alles, um uns zu schaden. Wir können nie auf Aufrichtigkeit und guten Willen rechnen und müssen uns eben damit abfinden, daß insgeheim gegen uns gearbeitet wird“. In Hall dagegen, einer Stadt mit einer eindeutigen protestantischen Mehrheit, war das Verhältnis zu den Katholiken friedlich. Die Evangelischen unterstützten diese sogar in ihrem Bemühen um den Bau eines eigenen Gotteshauses in der als Turnhalle genutzten früheren Johanneskirche.1145 1142 Pfarrbericht Gmünd, 1805. 1143 Bischof Keppler wurde am 28.September 1852 in Gmünd geboren. 1144 Pfarrbericht Gmünd, 1902. 1145 Pfarrbericht Hall, 1846, 1879. 299 Auch in Isny hieß es im Pfarrbericht des Jahres 1846, daß Eingriffe in die Rechte der evangelischen Kirche von Seiten der Katholiken immer wieder versucht wurden, bisher aber immer mit Erfolg abgewehrt werden konnten. Welcher Art diese Interventionen waren, wird nicht erwähnt. 1891 wurde festgehalten, daß auf Grund des neuen Unterstützungswohnsitz- gesetzes die katholische Bevölkerung nunmehr die evangelische um 462 Köpfe überstieg ( 1 068 Evangelische gegen 1 530 Katholiken), daß es aber immer noch einige evangelische Bürger mehr in der Stadt gab, und daß „das ökonomische Übergewicht nach Besitz und Gewerbe und damit ein entsprechender Einfluß im allgemeinen noch auf evangelischer Seite ist, und voraussichtlich noch ziemlich lange Zeit bleiben wird, ebenso die größere Intelligenz. Doch machen die Katholiken eine in jeder Beziehung große Anstrengung, den Evangelischen den Vorrang abzugewinnen. Ein jeder, auch der ärmste Katholik, der seine drei Jahre hier zugebracht hat, wird veranlaßt, mittels eines gedruckten, vom katholischen Kaplan ausgefüllten Formulars sein Gesuch um Aufnahme ins Bürgerrecht auf den Tag genau hier einzureichen. Die 10 Mark, welche die Aufnahme kostet, werden meistens aus einem offenbar dunklen Fonds bezahlt“. „Der Zuwachs erfolgt fast bloß von der katholischen Landbevölkerung. Der Zuzug aus evangelischer Gegend ist höchst unbedeutend und bei der Verschiedenheit der Landbauart kaum in stärkerem Maße zu hoffen. Daß zunächst meist vermögenslose Katholiken zuziehen, ist eine bedauerliche Tatsache für die Stadt und ihre Finanzlage, ein schlechter Trost für die Evangelischen. Das moralische Übergewicht der evangelischen Gemeinde dürfte aber noch auf eine gute Zeit gesichert sein“.1146 Nach der sozialen Zusammensetzung war die Mehrzahl der Fabrikarbeiter arme Katholiken, während die vermöglichen Handwerker evangelisch waren. In „aufgeregten Zeiten von Wahlen“ konnte es auch zu Boykottdrohungen gegen evangelische Geschäfte kommen, aber im allgemeinen kamen Eingriffe in die Rechte der evanglischen Kirche nicht vor. Der Pfarrer von Langenburg hatte 1871 1169 Evangelische und 18 Katholiken in seiner Gemeinde. Er freute sich über das „Dürsten nach der Gerechtigkeit des Gottesreiches und über die neuen Kräfte im religiösen Leben“. Der Besuch des Gottesdienstes hing anscheinend stark vom Wetter ab. Er war in der guten Jahreszeit gut, sogar mit den hier lebenden Katholiken, aber bei schlechtem Wetter schlecht. Auch 1879 merkte der Pfarrer noch an: „Die Katholiken sind so sehr in der Minderzahl, daß sie kaum in Betracht kommen können (26 bei 1057 Protestanten). Der Wunsch des katholischen Pfarrers, in Langenburg regelmäßig katholische Gottesdienste halten zu können, stieß bei dem evangelischen Pfarrer auf harte Ablehnung. 1146 Pfarrbericht Isny, 1885. 300 Er schrieb in seinem Pfarrbericht, daß kürzlich der katholische Pfarrer von Braunsbach den Mut hatte, den Fürsten aufzufordern, zu einem regelmäßigen Gottesdienst für die hiesigen Katholiken ihm entweder die Schloßkapelle oder den Chor der Kirche einzuräumen. "Es ist unschwer zu erraten, mit welcher Antwort der bescheidene Bittsteller heimgeschickt wurde“.1147 1882 hatte sich die Zahl der Katholiken auf 49 erhöht (bei 1105 Evangelischen). Der Pfarrer von Braunsbach bemühte sich weiter um eine Möglichkeit, in Langenburg Gottesdienst mit seinen Katholiken halten zu können. Dies war angesichts der Bedeutung von Langenburg und der Anwesenheit eines fürstlichen Hofes verständlich. „Die Katholiken haben an Zahl etwas zugenommen, und es soll, wie man hört, im neugebauten Hause des Gipsers Knapp (katholisch) ein Saal zu gottesdienstlichen Zwecken für sie eingerichtet werden, da ihr eifriger, bigotter Pfarrer (in Braunsbach) schon längst danach trachtete, in Langenburg festen Fuß zu fassen. Mit demselben steht übrigens der gemäßigte Teil der hiesigen Katholiken, der die evangelische Kirche gerne besucht, in gespanntem Verhältnis. Es gibt hier 9 gemischte Ehen, in 7 ist die Kindererziehung evangelisch“.1148 Auch in Leonberg war das Verhältnis der 2 380 Evangelischen zu den ungefähr 30 katholischen Gemeindegliedern im Jahre 1870 ungestört. Die Kindererziehung in den gemischten Ehen war rein evangelisch. „Die Katholiken besuchen die evangelische Ortskirche fleißig. Der Pfarrer war darüber erfreut. Ein Konfessions- wechsel hat in den letzten drei Jahren nicht stattgefunden“. Der von den Katholiken erbetene gemeinsame Abendmahlsbesuch mit ihren evangelischen Ehepartnern war vom Konsistorium allerdings abgelehnt worden.1149 In Leutkirch hatte das Kloster Stams das Patronatsrecht an der Martinskirche 1514 für fünfzehn Jahre an Johann Fabri1150 übertragen, 1529 um weitere 15 Jahre verlängert. Fabri war 1478 in Leutkirch geboren worden. 1518 wurde er Generalvikar des Bischofs von Konstanz, sieben Jahre später Rat und Beichtvater von König Ferdinand, 1530 Bischof von Wien. Er starb dort 1541 und wurde im Stefansdom beigesetzt. Er blieb aber auch in dieser Zeit Pfarrherr von Leutkirch. Ihm gelang es in den Dreißiger-Jahren des 16. Jahrhunderts noch, die Einführung der Reformation zu verhindern. Ein weiterer Versuch war 1546 in seiner Freien Reichsstadt noch durch den Kaiser nach dem Schmalkaldischen Krieg vereitelt worden. Im Jahre 1546 wollten die einfachen Leute einen Prädikanten als Prediger der neuen Lehre haben. "In dem Jar, da man zahlt 1546, da hat die Lautterey allhie in der Stat angefangen, und die Weber und das gemein Bobel Folck sind dem Herrn Burgermayster für das Haus zogen und hand mit Gewalt einen Bredikanten wollen haben. Und hat man doch den Herr Pfarer und die ganzen Priesterschafft aus der Stat vertriben, daß zway ganzen Jar kain Priester mehr hie gewesen ist. 1147 Pfarrbericht Langenburg, 1871, 1879. 1148 Pfarrbericht Langenburg, 1882. 1149 Pfarrbericht Leonberg, 1870. 1150 Beschreibung des Oberamts Leutkirch, S. 120. 301 Und hat man in zway ganzen Jaren nie kain Meß mer allhie gehalten, und ist der Gotsdinst zwei ganzen Jar abgethan gewesen, daß die Predikanten und Lautterischen die Pfarkierchen ingehept hand zway ganze Jar".1151 Schließlich konnte im Jahre 1558 die Reformation mit Hilfe von Herzog Christoph eingeführt werden, der 1559 den Superintendenten von Laichingen, Albert Aibelin, nach Leutkirch schickte.1152 Der Streit zwischen Leutkirch und dem Abt wurde vor den Kaiser gebracht, und 1562 kam es zu einem Vergleich. Die Pfarrkirche St.Martin blieb katholisch, den Evangelischen wurde die kleine Spitalkirche und einige Pfründen zur Pfarrbesoldung überlassen.1153 Nach dem Westfälischen Frieden war die Zahl der katholischen Familien in Leutkirch auf 25 festgeschrieben und begrenzt worden. Diese Bestimmung wurde 1810 durch König Friedrich aufgehoben. Seither war die Zahl der Katholiken ständig gestiegen, begünstigt durch das rein katholische Umland. 1828 standen noch 1 437 Evangelische 492 Katholiken gegenüber, 1883 hatten die Katholiken die Überzahl erreicht: man zählte 1 468 Katholiken gegenüber 1 412 Protestanten. Wie sehr der konfessionelle Friede zur populären Signatur jener Zeit gehörte, zeigte sich beispielsweise darin, daß beim Reformationsjubiläum 1817 in Leutkirch die Glocken sowohl der evangelischen, als auch der katholischen Kirche läuteten und sich am Festzug die Angehörigen beider Konfessionen beteiligten, namentlich die Beamten und Geistlichen, um "die Gottheit gemeinschaftlich anzubeten und zu verehren".1154 1858 wurde im Pfarrbericht noch herausgestellt: „Die evangelischen Bürger leben mit den katholischen Mitbürgern in Frieden“. 1869 ergab sich ein Konflikt aus der Tatsache, daß sich eine evangelische Bürgerstochter erst in Leutkirch evangelisch, und dann in Wurzach katholisch hatte trauen lassen, und sich außerdem auch noch für eine katholische Kindererziehung entschieden hatte. Zehn Jahre später, 1879, hatte sich unverständlicherweise ein hiesiger Beamter, Sohn eines mecklenburgischen evangelischen Pfarrers, katholisch trauen lassen1155 und einer katholischen Kindererziehung zugestimmt, was im Pfarrbericht mit Empörung zur Kenntnis genommen wurde. 1883 unterstrich der Pfarrer, daß von evangelischer Seite ängstlich alles vermieden wurde, was bei den Katholiken Anstoß erregen könnte. „Die Freundlichkeit ist aber immer mit Mißtrauen und innerem Vorbehalt verbunden. Es herrscht ein oberflächlicher Friede zwischen den Konfessionen. Die württembergische katholische Geistlichkeit ist sehr viel tüchtiger". Ein Bibelträger stellte fest, daß vor fünf Jahren an Katholiken verkaufte Bibeln an die katholischen Geistlichen abgeliefert und auf deren Befehl verbrannt worden waren. Er stand neuerdings vor verschlossenen Türen und sagte, "im Vergleich mit den Nachbarländern sei Württemberg das ultramontanste Land. 1151 Angst: Das ehemalige Frauenkloster in Leutkirch, S. 43. 1152 Gerhard Schäfer: Entwicklung und Festigung eines evangelischen Gemeinwesens in einer kleinen Reichsstadt im Allgäu. S. 224; Brecht-Ehmer: Südwestdeutsche Reformationsgeschichte, S. 391. 1153 Brecht-Ehmer: Südwestdeutsche Reformationsgeschichte, S. 391. 1154 Köhle-Hezinger: Irenik und Interkonfessionalismus, S. 1019. 1155 Pfarrbericht Leutkirch, 1858, 1869, 1879. 302 Toleranz wird nur nach außen zur Schau getragen. Der Haß gegen alles Evangelische wird geschürt“.1156 Zwei Jahre später erneuerte der Pfarrer seine Feststellung, der Friede zwischen den Konfessionen sei nur oberflächlich und häufig durch die Nachgiebigkeit der evangelischen Seite erkauft. Die Bevölkerung stehe ganz unter dem Einfluß der katholischen Geistlichkeit, mehr, als noch vor Jahren, und in höherem Maße als in Bayern oder Baden. Der Haß gegen alles Evangelische werde von katholischen Geistlichen weiterhin geflissentlich geschürt. Große Teile der Kaufmannsgeschäfte waren noch in evangelischer Hand. Von der katholischen Geistlichkeit wurden Geldmittel zur Verfügung gestellt zum Ankauf von Häusern. "Die katholischen Laien sind gefügige Werkzeuge der Priesterschaft“.1157 Es wurde der Vorwurf erhoben, daß die katholische Geistlichkeit systematisch ihren Einfluß aufbot, um fortwährend in der Stille die Katholiken in Stadt und Land gegen die Evangelischen feindselig zu stimmen, den evangelschen Gewerbetreibenden ihre Kundschaft zu verderben, sie den Katholiken zuzuwenden, katholische Gewerbetreibende als Konkurrenten der evangelischen herbeizulocken, Kapitalien zur Gründung von Geschäften oder dem Ankauf evangelischer Anwesen bereit zu stellen, ja es wurde von Seiten des katholischen Stadtpfarramtes einer ganzen Anzahl hereingezogener Katholiken das Wahl- bürgerrecht erkauft, um bald eine ultramontane Majorität in den bürgerlichen Kollegien zu gewinnen, "und selbst der jüdische Handelsmann wird gegenüber dem evangelischen bevorzugt". "Und ist dabei die Tatsache unbestreitbar, daß die höhere Bildung, die größere Tüchtigkeit und Energie, der größere Fleiß und die größere Sparsamkeit durchschnittlich auf evangelischer Seite zu finden ist, wie denn auch die evangelische Gemeinde 2/3 der Gesamtsteuer zahlt. (Die Evangelischen bezahlten 8 231 M. der städtischen Umlage, die Katholiken 4 589 M.)". Zur gleichen Zeit wurde, wie erwähnt, auch in Isny bedauert, daß die Katholiken dauernd stärker zunahmen, "da die ganze Nachschub liefernde Umgebung katholisch ist". Aber auch hier waren "der intelligentere und vermöglichere Teil immer noch die Evangelischen", die auch noch an der Bürgerzahl um weniges überwogen. Das frühere freundliche Verhältnis zur katholischen Bewohnerschaft war in Leutkirch einer reservierten Höflichkeit, die voller Mißtrauen war, gewichen. Ein friedliches Zusammengehen mit den Katholiken war auch wegen der Auseinander- setzung über die Ausscheidung des Kirchenvermögens kaum noch möglich. Die katholische Kirche hatte die Rückgabe der Spitalkirche „Hl. Margaretha“ verlangt, und, nachdem dies von den Gerichten abgelehnt worden war, zum totalen Boykott der evangelischen Geschäfte aufgerufen, der drei Jahre durchgehalten wurde. 1156 Pfarrbericht Leutkirch, 1883. 1157 Pfarrbericht Leutkirch, 1887. 303 Der katholische Kaplan hatte einen im Hospital krank liegenden Eisenbahnarbeiter zur katholischen Kindererziehung gezwungen. Die Frau weigerte sich, ihre Zustimmung zu geben, und drohte mit der Scheidung. 1158 Trotz solcher Auseinandersetzungen hoffte der Pfarrer wieder „auf eine friedliche Zusammenarbeit. Der gehässige erste katholische Geistliche hat die Gefolgschaft seiner Landgeistlichen verloren und steht isoliert“. Im Jahre 1893 kam die „Evangelische Gemeinschaft“, als neues Problem. Die Methodisten mieteten ein Lokal in Leutkirch und luden im Lokalblatt zu Versammlungen ein. Der Pfarrer war gezwungen, „gegen den im Oberland noch kaum gekannten Methodismus zu predigen“. Er erreichte auch, daß Einzelne sich von dieser Richtung wieder zurückzogen.1159 Der Pfarrer Theodor Braun1160 berichtete 1906, wie schwierig es für seinen Diakon war, alle vierzehn Tage nach Wurzach in die Diaspora zu fahren und dort Gottesdienst zu halten. „Mitten durch diese römisch-katholische Welt fährt alle vierzehn Tage ein evangelischer Geistlicher von Leutkirch zur Abhaltung evangelischer Gottesdienste nach Wurzach. Er ist Diasporapfarrer; die alteingesessene Bevölkerung geht ihn nichts an. Er predigt in Wurzach für die aus dem Unterland heraufgewanderten unter den Katholiken zerstreut wohnenden Glaubensgenossen. Auch diese leben so oft in gemischter Ehe konfessionell gleichgültig, oder aber bei aller äußeren Kirchlichkeit in einem nichtevangelischen Wandel dahin, daß sich der Diaspora-Geistliche zuweilen wie ein verlorener Posten zwischen unbesiegbaren Feindesmächten vorkommen kann.1161 Doch wenn er auf seiner Fahrt nach Wurzach auch in der Nähe von Waibels mutmaßlicher Ruhestätte vorbeifährt, muß ihm dann nicht von dort her der Geist dieses seines größten Vorgängers, des mit dem Märtyrerkranz geschmückten edlen Patrons der Leutkircher Diaspora mit erfrischender Kraft umwehen und ihm die Hoffnung einhauchen, daß Gott, wenn seine Zeit gekommen ist, mit seiner allmächtigen Gnade auch aus Totengebeinen ein freies, fröhliches, zu allem guten Werk geschicktes evangelisches Christenvolk auferstehen lassen kann“. Die "Heldengestalt" aus der Zeit der Reformation war für den Pfarrer ein Erklärungsmodell seiner eigenen Situation. Matthias Waibel war der Sohn christlicher Bauersleute aus Martinszell bei Kempten, wegen seiner ausgezeichneten Gaben vom Abt des Stiftes Kempten erzogen und ausgebildet, später als Hofmeister adliger Jünglinge und zu seiner eigenen Ausbildung nach Wien gesandt und nach seiner Heimkehr an der Kirche St. Lorenz bei Kempten tätig. Er schloß sich der Reformation und der Wiederherstellung des apostolischen Evangeliums an. Seine ausgezeichneten, zahlreich besuchten Predigten bekräftigte er durch seinen musterhaften Lebenswandel und durch seine eifrige Fürsorge für das geistliche und leibliche Wohl seiner Gemeindeglieder. 1158 Pfarrbericht Leutkirch, 1889. 1159 Pfarrbericht Leutkirch, 1893. 1160 Theodor Karl Wilhelm Braun (27.4.1866 - 22.9.1935), 1903 -1913 in Leutkirch, Sigel Nr. 655,28. 1161 Pfarrbericht Leutkirch, 1906. 304 Den aufrührerischen Bauern war er furchtlos gegenübergetreten, hatte sie im Namen des Evangeliums in die Schranken gewiesen, auf gesetzliche Reform- bestrebungen besonnen und vor Schändung des neuen Glaubens durch unbesonnenen, zügellosen Aufruhr gewarnt. Trotzdem bereiteten ihm die erbitterten katholischen Gegner, an ihrer Spitze der Fürstabt von Kempten, den Untergang, den er auch mit ahnendem Geiste voraussah und zu erdulden willens war. Seine mit schändlicher List bewerkstelligte Entführung aus dem Schutz der Reichsstadt Kempten (durch den Profoß des Schwäbischen Bundes), seine oft bis Mitternacht währenden Ansprachen aus dem Fenster seines Leutkircher Gefängnisses zu den zahlreich herbeiströmenden Bürgern, durch welche er für Leutkirch „die Morgendämmerung der reinen evangelischen Lehre“ heraufführte, seine unter abermaliger schnöder Täuschung seiner Freunde und ohne ein ordentliches Verhör vollzogene Wegführung aus Leutkirch, seine Hinrichtung (am 7. September 1525) an einer Buche in Haidschachen bei Reichenhofen, vor welcher der allzeit gottergebene Mann sterbensfreudig den Strick des Henkers geküßt hatte, das alles gehört zu den ergreifenden Ereignissen der deutschen Reformationsgeschichte“.1162 Die evangelischen Kinder in Wurzach gingen in die katholische Schule und nahmen größtenteils auch am katholischen Religionsunterricht teil. Man bemühte sich, sie, und auch andere Kinder aus der Umgebung, zum Konfirmantenunterricht in evangelischen Familien in Leutkirch unterzubringen. Sie erhielten auch Zehr- und Fahrtkostenersatz für Fahrten in benachbarte evangelische Schulen.1163 Offensichtlich waren außer den Katholiken auch einzelne Atheisten ein Problem. „Der Arzt und der Postverwalter sind in Wurzach Religionsverächter, aber ohne großen Einfluß“ war zu lesen. Positiver war die Lage in Marstetten, wo ein evangelischer Holzstoff-Fabrikant aus Geislingen den Bewohnern Arbeit und Brot gab und die evangelische Sache tatkräftig unterstützte. Marstetten war für die evangelische Sache ein Lichtblick in dem katholischen Umfeld. Es gab dort ein eigenes Gemeindehaus mit einem Betsaal, und eine einklassige evangelische Konfessionsschule, und die Kinder der umliegenden Orte erhielten für die Fahrt nach Marstetten in diese Schule eine finanzielle Unterstützung.1164 "Der evangelische Geistliche lebt in ständiger Fühlung mit der katholischen Zeitströmung. Die evangelische Bevölkerung lebt in der katholischen Umgebung wie auf vulkanischem Boden, der je und je, wenn auch nicht häufig, zum Ausbruch zu kommen droht“. Gegen Ende des Weltkrieges lobte der Pfarrer in seinem Bericht eine neuerdings wieder tolerantere Haltung der Katholiken und hob den konfessionellen Frieden seit 10 Jahren hervor. Von 63 Mischehen hatten immerhin 26 noch evangelische Kindererziehung. 1162 Schäfer: Entwicklung und Festigung eines evangelischen Gemeinwesens, S. 221; Pfarrbericht Leutkirch, S. 43. 1163 Pfarrbericht Leutkirch, 1906, S.215. 1164 Pfarrbericht Leutkirch, 1906, S.131. 305 In Öhringen wurde 1883 vermerkt, daß in 4 Fällen die Intoleranz der katholischen Geistlichen gegen Mitglieder ihrer Kirche, die in Mischehen leben, nicht zum Streit geführt habe. 1886 schrieb der Pfarrer: „In Pfedelbach ist ein katholischer Pfarrer von der Sorte der Hetzkapläne und nach dem Rezept der Jesuiten, daher gilt es ihm gegenüber toujours en vedette zu sein. "Es ist den Katholiken gestattet worden, in der Spitalkirche alle 14 Tage einen Gottesdienst zu halten. Sofort wurde die Erlaubnis mißbraucht und überschritten. Mit den katholischen Mitchristen aber lebt man in gutem Frieden. Es sind 16 ganz katholische Familien in der Pfarrei und 37 gemischte Ehen. 25 haben eine evangelische Kindererziehung, 12 eine katholische“. In Ravensburg begingen nach dem Pfarrbericht von 1827 beide Religionsteile die Feiertage gemeinsam, die Aposteltage wurden auf die Sonntage verlegt. Eigentümer des Kirchenschiffes war die Stadt, und der Chor war vom König den Evangelischen geschenkt worden. 1840 wurden aber anscheinend in der Bevölkerung Befürchtungen wegen des zunehmenden Einflusses der Katholiken laut, die in einem anonymen Brief vom 1. Juli 1840 an den zuständigen Prälaten geäußert wurden: „Hochwürdigster Herr Prälat! Das Erscheinen unseres hochverehrtesten Herren Prälaten in der Mitte unserer evangelischen Gemeinde ist gleich einem Strahl der Sonne, während der Himmel noch mit düsteren Wolken verhangen ist, und viele bange Gefühle mit froher Hoffnung belebt. Mögen aber Euer hochehrender Herr Prälat denjenigen nicht zürnen, welche, beseelt von einem Pflichtgefühl für Religion und Glauben, welche unser göttlicher Erlöser selbst in die Welt brachte, und den unsere Väter mit harten Kämpfen errangen, es wagen, im Stillen ein Wort der Wahrheit in die Hände eines treuen Oberhirten zu legen. Unsere kleine Herde, treu bewacht von drei trefflichen Hirten, welches noch unser einziges Glück ist, sieht nach reifer Überlegung und stiller Beobachtung des Ganges der Dinge einer Periode entgegen, welche jeden Einzelnen mit trüber Ahnung für sich und die Seinigen in die Zukunft blicken läßt, wenn endlich er nicht von dem falschen Schimmer und Glanz des vergänglichen Erdenglücks verblendet ist. Doch dem Allwissenden ist alles bekannt, er hat jedem Tun und Treiben sein Ziel gesetzt. Aber der Mann, dem die städtische Zeitung einer Bürgerschaft von zweierlei Konfessionen, von denen wir die kleinere sind, in die Hände gegeben ist, hat zu wenig Gefühl für seine Pflicht, die ihm obliegt, zu wenig Achtung für die Religion und den Glauben, am allerwenigsten aber gegen diejenigen, denen er nicht bekannte Menschen von keinem biederen Charakter, aber desto mehr bei ihm in Ansehen, die seine Werkzeuge sind, welche seine fanatischen Gesinnungen in Ausübung bringen müssen, während er sich im Scheine einer verstellten Toleranz zeigt. 306 Aber leider fällt nur zu oft diese Larve von ihm ab. Mit Bedauern sehen wir oft in vorkommenden Fällen, namentlich neuerer Zeit, wie hart uns manchmal zugesetzt, wie zurücksetzend wir oft behandelt werden. Mit ritterlichem Mute kämpfen zwar unsere teuren Seelsorger für jedes Recht, das man unterdrücken will, aber ihre Bemühungen bleiben fruchtlos, oder werden nur mit dem erbittertsten Kampfe errungen. Aber ist es zu wundern, wenn es so ergeht? Leider fürchten diejenigen Mitglieder des Rats, welche evangelischer Konfession sind, die verpflichtet wären, die Geistlichkeit nach Kräften zu unterstützen, ihren Glaubensgenossen ihre Rechte zu beschützen, endliche Menschen mehr als Gott. Die Verletzung dieser heiligen Pflicht scheint ihnen keine Sünde. Sie kennen nur den Eigennutz, dieses alles zerstörende Übel gegen Gott, die Religion und die Menschheit. Mögen Euer hochverehrtester Herr Prälat aus diesen wenigen Zeilen ersehen und schließen, auf welche Punkte die evangelische Gemeinde steht. Gewiß, wir sind überzeugt, liegt es an ihrem pflichterfüllten Herzen, daß keine Ihrer, Ihnen von Gott anvertrauten Herde, von einem bösartigen Verfolgungsgeiste gedrückt werde, was hiesigen Orts schon öfters der Fall war, und wir glauben unser Anliegen nächst Gott in keine sichereren Hände zu legen, als in die Eurer Hochehrwürdigsten, und der Himmel gebe Ihnen seines Geistes Kraft, diesem allmählich umgreifenden Übel Einhalt zu tun. Mit der Bitte, diese Zudringlichkeit nur als einen reinen Beweis unserer Anhänglichkeit für unsere Glaubensgenossen anzusehen, und an der Glaubwürdigkeit dieses Schreibens, obgleich ohne Unterschrift aus Furcht wegen weiterer Verfolgung, nicht zu zweifeln. In tiefer Ehrfurcht verharren gegen Euren hochehrendsten Herrn Prälaten einige evangelische Bürger.1165 Diese Grundstimmung blieb in Ravensburg wohl bestehen, denn auch im Pfarrbericht von 1864 hieß es, daß das Verhältnis zur katholischen Kirche nicht mehr so unbefangen war, wie früher. „Eine Stiftung des dermaligen katholischen Stadtpfarrers, die Verbreitung fanatischer katholischer Blätter, wie des Sonntagsblattes, auch der Piusverein, tragen das ihre dazu bei“. Das Verhältnis blieb in der folgenden Zeit immer etwas gespannt. Nach der Meinung des Dekans Karl Fauser zielte das Streben der katholischen Kirche ganz offen und zielbewußt auf Trennung und Scheidung hin. „Heute kann man die Erfahrung machen, daß die an leitender Stelle stehenden katholischen Laien gegen alles Evangelische noch schroffer und unduldsamer sind, als die Priester“.1166 Anders war die Lage in Rottenburg, Gmünd oder einer Gemeinde im katholischen Oberland. 1165 Pfarrbericht Ravensburg, 1840, Beilage. 1166 Pfarrbericht Ravensburg, 1913, S. 8. 307 In Rottenburg, dem katholischen Bischofssitz, war die Situation eine ganz besondere. Dort mußte sich die evangelische Gemeinde erst etablieren. Sie war aus der benachbarten Gemeinde Remmingsheim herausgewachsen und 1818 schließlich zu einer eigenen Pfarrei erhoben worden. Es gab einen Pfarrer, einen Meßner, einen Organisten und einen Vorsinger, aber weder einen Stiftungsrat (weil keine Stiftungen gegeben waren), noch einen Kirchenkonvent. 1828 lebten in Rottenburg 124 Evangelische, dazu im „Polizeihaus“ weitere 60. In diesem Jahr vollzog Bischof Keller eine Nachtrauung bei seiner Nichte, die zuvor vom evangelischen Pfarrer in Remmingsheim einem evangelischen Kameral- verwalter aus Münsingen angetraut worden war. Die Kinder aus dieser Ehe waren allerdings vertraglich der katholischen Kirche zugesichert.1167 1847 standen den 6 337 Katholiken 149 Protestanten gegenüber. Einmal im Monat wurde gepredigt, zweimal im Jahr Abendmahl gehalten. Der Pfarrer erhielt bei "Casualien" kein Pferd. Die Kirche der zweiten katholischen Stadtpfarrei in Rottenburg-Ehingen, St. Moritz, durfte zum evangelischen Gottesdienst Sonntags von 10 - 2 Uhr benutzt werden. Der Pfarrer, der bis 1831 immer noch seinen Sitz in Remmingsheim hatte, hatte ein Amtszimmer im Königlichen Kameralamt, für das er dem Staat 16 fl bezahlen mußte. 1841 wurde dann der erste eigene Stadtpfarrer für Rottenburg, Gustav Ludwig Hoffmann1168, ernannt und am 21. Februar investiert. Die katholische weltliche Obrigkeit zeigte zu dieser Zeit durchaus Toleranz. Der Polizeidiener sorgte beispielsweise dafür, daß auch der evangelische Gottesdienst nicht gestört wurde. 1854 wurde in Ehingen mit dem Bau einer eigenen Kirche begonnen, die am 22. Juni 1856, als die Gemeinde „68 Männer und 88 Weiber = 156 Seelen“ zählte, eingeweiht wurde. Der Pfarrer war zugleich Hausgeistlicher am Kreisgefängnis und der königlichen polizeilichen Beschäftigungsanstalt. Sein Einkommen betrug 755 fl und 52 xr. Er hatte um die Jahrhundertmitte des 19. Jahrhunderts noch versichert, daß Evangelische und Katholiken in Frieden leben, allerdings mit der Einschränkung: „Ein gut Teil ist dabei wohl auf die Nachgiebigkeit der Evangelischen zu schreiben. Bei all dem kann doch das Gefühl, daß wir hier nur die Geduldeten sind, nicht verwischt werden. Es mag uns auch nur so vorkommen, da wir Evangelischen in unserem Land gewohnt sind, die Herrschenden zu sein, und was ungewohnt ist, den Katholizismus, den wir traditionsgemäß seit der Reformation und mit den alljährlichen Reformationspredigten abgetan glaubten, als eine gewaltige Macht zu sehen.“1169 Als 1871 der sehr beliebte und tolerante evangelische Stadtpfarrer Gustav Friedrich Rösler nach Bietigheim versetzt wurde, wo er am 11. Oktober 1873 starb und von Bernhard Bauer1170 abgelöst wurde, kam es bereits in diesem Jahr wegen des Schulbesuchs an katholischen Feiertagen zum Streit. 1167 Köhle-Hezinger: Irenik und Interkonfessionalismus, S. 1020. 1168 Gustav Ludwig Hoffmann (23.5.1808 - 27.12.1885), in Rottenburg 1841 - 52, Sigel Nr. 974,1. 1169 Pfarrbericht Rottenburg, 1850. 1170 Gustav Friedrich Rösler (4.12.1820 - 11.10.1873), Stadtpfarrer in Rottenburg 1863 - 1871, Sigel Nr. 116,34; Bernhard Bauer (24.12.1823 - 22.1.1906), Sigel Nr. 271,33. 308 Der Stadtpfarrer beharrte darauf, daß die evangelischen Kinder aus gemischten Ehen an solchen Feiertagen, also beispielsweise an Fronleichnam, grundsätzlich die evangelische Schule zu besuchen hatten. Es gab 1873 in Rottenburg 8 Mischehen mit 54 Kindern. Von diesen wurden 15 evangelisch, die übrigen katholisch erzogen. Der Pfarrer beanstandete, daß von den 15 evangelischen Kindern an katholischen Feiertagen die Hälfte nicht in die Schule kam. Im Interesse des konfessionellen Friedens machten die Mitglieder des Kirchen-konvents dem Pfarrer Vorhaltungen, und die Mitglieder der Oberschul- behörde schließlich am 22. August 1873 eine Eingabe an das Königliche Konsistorium, mit der Bitte, an katholischen Feiertagen schulfrei zu geben.1171 Nach einer Feiertagsordnung für paritätische Gemeinden Oberschwabens sollten in einem solchen Fall evangelische und katholische Fest- und Feiertage zusammen gelegt werden. Da die evangelischen aber überwogen, wurden Thomas, Philippus, Jacobus und Johannes der Täufer auf den nächstfolgenden Sonntag verlegt. Matthias wurde auf Joseph, Batholomäus auf Mariä Himmelfahrt, Matthäus auf Mariä Geburt, Simon und Juda auf Allerheiligen und Andreas auf Mariä Empfängnis verlegt. Fronleichnam sollte grundsätzlich schulfrei sein. Auf die Beschwerde des Stadtpfarrers von Rottenburg wegen der oppositionellen Haltung des Kirchenkonvents in dieser Frage bemerkte der Dekan im Pfarrbericht von 1874: „Stadtpfarrer Bauer, geboren 24. Dezember 1823, in Rottenburg seit 6. Februar 1871, verheiratet und Vater von 4 Kindern, hat recht gute Gaben und vielseitige Kenntnisse, auch Interesse für wissenschaftliche Studien, soweit seine gehäuften Amtsgeschäfte es erlauben, ist ein gewandter Prediger, aber häufig aggressiv, was von den Evangelischen selbst bedauert wird. Im amtlichen Auftreten ist er schroff, persönlichen würdig, im Charakter fest, etwas hagebüchen in der Ehe, so viel man weiß nicht unfriedlich, im Wandel geordnet, von kräftiger Gesundheit. Ob die Kirchenkonventsmitglieder „ohne jeden triftigen Grund“, wie der Stadtpfarrer sagt, auf Wiedereinführung der Vakanz in der evangelischen Schule für katholische Feiertage klagten, ist mehr als zweifelhaft“. Tatsache ist: 1. daß der Stadtpfarrer formell, indem er ohne den Kirchenkonvent zu fragen, aus eigener Kompetenz, die alte Sitte aufhob. 2. daß er den Vorstellungen jener Mitglieder kein Gehör schenkte. 3. daß die Aufhebung der Vakanz materiell ein Fehler war, als die katholische Bevölkerung hierin einen weiteren Beweis der Rücksichtslosigkeit des Stadtpfarrers erkannte. 4. daß beim Durchgang Oberamtspfleger Vogt und Apotheker Baur gar nicht erschienen, weil sie mit dem Stadtpfarrer auf gespannten Fuße stehen, und daß von den 2 Anwesenden der (katholische) Stadtschultheiß neben aller Anerkennung der sonstigen Vorzüge des Stadtpfarrers doch dessen schroffe Haltung und seine unfreundliche Manier seit der letzten Kollission bedauerte.1172 1171 Pfarrbericht Rottenburg, 1873. Schreiben vom 24.Juli und 22.August 1873. 1172 Pfarrbericht Rottenburg, 1874. 309 Der Pfarrer von Rottenburg wurde von seinem Vorgesetzten, dem Generalsuperintendenten Georgii in Tübingen, mit einem Schreiben vom 15. Dezember 1873 wegen seiner unkonzilianten Haltung in dieser Frage scharf gerügt. Die Angelegenheit wurde durch einen Erlaß der Oberschulbehörde vom 31. Mai 1874 im Sinne der Feiertagsregelung für Oberschwaben erledigt.1173 Der Kirchenkonvent von Rottenburg war aber weiterhin zerstritten. Die Sitzungen wurden vom Pfarrer zu kurzfristig anberaumt. Die Mitglieder weigerten sich deshalb, die Sitzungen zu besuchen. Der Dekan vermerkte hierzu 1874: „Haupt der Agitation gegen den Pfarrer ist der Oberamtspfleger Vogt, aber nicht, ohne provoziert zu sein“. Auch zwei Jahre später lautete der Vermerk noch: „Die Mitglieder des Kirchenkonvents sind sämtliche mit dem Stadtpfarrer zerfallen. Dadurch ist ein ersprießliches Zusammenwirken unmöglich gemacht. Zu den Sitzungen im Jahr 1876 erschien fast immer nur ein Mitglied, teils aus obigem Grund, teils, weil die Sitzungen meist zu kurz vorher angesagt wurden, was jedoch der Stadtpfarrer bestreitet". Auch hier wurde wieder auf den Oberamtspfleger als Haupt der Opposition verwiesen. Zum Verhältnis der Konfessionen untereinander bemerkte 1878 der prüfende Dekan: „Verhältnis zwischen beiden Konfessionen von Seiten der Gemeinde- genossen friedlich, auch vom Stadtpfarrer in seinen Predigten nicht mehr gestört“. Zur Beurteilung von Stadtpfarrer Bauer lautete der Bescheid, daß dieser ein gewandter Prediger sei, zwar noch immer nicht ganz frei von Polemik, aber jetzt immerhin etwas gemäßigt. In der Schule war er fleißig, in der Seelsorge etwas schroff, auf Verlangen zu Besuchen bereit, in der Geschäftsführung bewandert, im amtlichen Auftreten oft rücksichtslos, im persönlichen reserviert, im Charakter knorrig, in Ehe und Wandel geordnet, in der Gesundheit kräftig, im Verhältnis zu den Behörden vielfach gestört.1174 Auch in Tuttlingen hatte es nach 1870 anscheinend Probleme zwischen den Konfessionen gegeben. Der Pfarrer schrieb in seinem Bericht von 1890: Durch den Bahnbau kamen „fremde Elemente und Katholiken“ in die Gemeinde. Sie hatten schon seit 1872 eine eigene Kirche, seit 1883 auch eine eigene Schule. Mit den Katholiken wurde auch seit eineinhalb Jahren um ein Kind gestritten, dessen Vater katholisch war, das aber evangelisch erzogen wurde. 1887 konstatierte der Pfarrbericht, daß bei der katholischen Bevölkerung ein großes Mißverhältnis der Geschlechter zu beklagen sei: 2/3 Männer, 1/3 Frauen. Deshalb gab es außergewöhnlich viele Mischehen. Die Aktivitäten des 1862 gegründeten Benediktinerklosters Beuron wurden mißfällig kommentiert: „Die Beuroner Mönche verschärfen die Reibungen im Beichtstuhl“.1175 1173 Pfarrbericht Rottenburg, 1873. 1174 Pfarrbericht Rottenburg, 1878. 1175 Pfarrbericht Tuttlingen, 1890. 310 An Hand dieser Beispiele ist zu sehen, daß das Verhältnis zwischen den Konfessionen im letzten Drittel des Jahrhunderts zunehmend schwieriger wurde. Die verstärkten Aktivitäten der katholischen Kirche, das ausgebildete Vereins- wesen, die Nachwirkungen des Konzils, die strenge Forderung nach katholischer Kindererziehung in gemischten Ehen, der verstärkte Kirchenbau, auch die Tätigkeit der Kongregationen, ebenso die Abwehrhaltung der evangelischen Kirche, all das hat die Gegensätze stärker hervortreten lassen, als dies in der ersten Hälfte des Jahrhunderts der Fall war. Sehr deutlich kam dies in Stellungsnahmen der evangelischen Landeskirche zum Ausdruck. Es wurde betont, „daß die römische Kirche unter der Herrschaft des jesuitischen Geistes“ mit allen Mitteln versuchte, ihre Herrschaft auszuweiten, und daß kein Boden mehr vorhanden war für gemeinsame Aktivitäten.1176 Sie selbst hat aber auch alles getan, um die Gegensätze klar aufzuzeigen. Das Pflanzen einer Lutherlinde vor dem katholischen Pfarrhaus in Affaltrach ist nur ein Beispiel unter vielen. Die Bemerkung im Pfarrbericht von 1884, das Lutherfest des letzten Jahres habe der Gemeinde das Kleinod des evangelischen Glaubens wieder mehr zum Bewußtsein gebracht, aber auch den Gegensatz gegen die römische Kirche geschärft, machen dies deutlich.1177 Die Bemerkung des prüfenden Dekans, die evangelische Gemeinde habe, hoffentlich nicht nur vorübergehend, an evangelischem Bewußtsein gewonnen, zeigen die Gegensätze ebenfalls auf.1178 Besonders die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, die größere Flexibilität auch durch den Eisenbahnbau, haben durch die Mischung der Konfessionen häufig zu Problemen geführt, die vorher unbekannt waren. Christel Köhle-Hezinger hat aufgezeigt, daß das Königreich Württemberg anfangs nur 20 gemischt konfessionelle Dörfer hatte, daß es im Dekanat Freudenstadt noch bis 1933 keine oder nur vereinzelte Katholiken gab, und daß es deswegen in solchen Gemeinden keinen Konflikt geben konnte.1179 Die Entwicklung in Stuttgart zeigt bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ein ständiges Anwachsen des katholischen Bevölkerungsteils: Jahr Einwohner Katholiken Protestanten 1807 22 771 140 22 253 1831 25 240 914 24 207 1839 29 413 1 224 28 025 1854 33 511 1 719 31 405 1862 41 618 3 658 37 234 1176 Württembergische Kirchengeschichte, S. 690. 1177 Köhle-Hezinger: Gemischtkonfessionelle Dörfer, S. 85. Von den 17 gemischtkonfessionellen Dörfern waren 4 Judendörfer: Affaltrach, Braunsbach, Pflaumloch und Wachback. Köhle-Hezinger: Irenik und Interkonfessionalismus, S. 1022. 1178 Köhle-Hezinger: Gemischtkonfessionelle Dörfer, S. 96. 1179 Köhle-Hezinger: Gemischtkonfessionelle Dörfer, S. 87. 311 1871 91 623 10 708 78 640 1875 107 273 13 134 91 503 1880 117 303 14 601 99 379 1890 139 817 18 935 117 070 1900 176 699 27 207 145 029 1910 286 218 48 863 230 043 1925 341 967 64 825 259 003 19,0% 75,7% 1180 Der konfessionelle Gegensatz wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wohl weniger in evangelisch und katholisch gesehen, als vielmehr in einer aufklärerisch-staatskirchlich orientierten Richtung auf der einen, und dem Pietismus und der zunehmend stärker werdenden Erweckungsbewegung auf der anderen Seite. Vielleicht hat auch die anfängliche bittere Armut das Aufbrechen von Gegensätzen und eine konfessionelle Polemik verhindert. Erst zur Jahrhundertmitte wurde man sich des "durchgreifenden Gegensatzes auf beiden Seiten" bewußt. Am Ende des Untersuchungszeitraumes war das Verhältnis zwischen den beiden Konfessionen nicht nur im allgemeinen, sondern auch, nach Ausweis der Pfarrberichte, auf der Ebene der Gemeinden, schwierig geworden. Es war aber auch die Zeit, in der entgegen dem Versuch des Pietismus, zu alten patriarchalischen Verhältnissen zurückzukehren, welche die Fragen der neuen Zeit nicht mehr berücksichtigten, junge Studenten und Pfarrer sich gegen diese Mauern wehrten und Gedanken einbrachten, die weiterführten. Die neuen Probleme wurden angesprochen und es ließ sich von seiten des Konsistoriums das Bemühen erkennen, auf diese Fragen mit einer Verkündigung des Evangeliums in neuen Formen zu antworten.1181 1180 Köhler: Katholiken in Stuttgart, S. 215. 1181 Gerhard Schäfer: Gottes Kinder. In: Glaube, Welt und Kirche, S. 193. 312 8.2. Die Reformierten. Am Ende des 17. Jahrhunderts waren die ersten Waldenser nach Württemberg gekommen, nachdem schon 1687 während der vormundschaftlichen Regierung des Herzog-Administrators ein Vortrupp auf Schweizerische Fürsprache hatte einwandern dürfen.1182 Der Hauptschar, etwa 3 000 Personen, kam in den Jahren 1698 bis 1700. Geleitet wurden sie von ihrem Pfarrer Henri Arnauld.1183 Ursprünglich waren sie in den französischen Alpen zu Hause gewesen, im Praggellatal, am Chisonefluß. Ihr Name leitete sich von Petrus Waldus her, einem Wanderprediger, der um 1160 in Lyon lebte, die Bibel ins Französische übersetzte, und schon damals von der Kirche, von Papst Alexander III., als Ketzer angefeindet und verfolgt wurde. Das Gebiet gehörte zum Herzogtum Piemont-Savoyen. Bereits 1655 hatte der dortige Herzog Karl Emanuel II. ungefähr 8 000 Waldenser niedermetzeln lassen (Piemontesische Ostern). 1685, nach der Aufhebung des Edikts von Nantes, in dem 1598 Frankreichs König Heinrich IV. den Hugenotten Religionsfreiheit gewährte, setzte unter Ludwig XIV. mit dem Edikt von Fontainebleau die neue Verfolgung ein. Die Waldenser flohen zunächst in die Schweiz, 1686 wurde ihnen die Auswanderung gestattet1184. Sie konnten kurz zurückkehren (glorieuse rentrée), wurden dann aber erneut vertrieben. Ihr Führer, Pfarrer Henri Arnaud, verhandelte mit dem Herzog von Württemberg, Eberhard Ludwig, der zusagte, sie aufzunehmen, nachdem die Regierungen von Holland und England sich bereit erklärt hatten, die Pfarrer zu besolden. Von den ungefähr 3 000 Personen kamen ungefähr 1 800 nach Württemberg. Die Übrigen fanden Aufnahme in Homburg, im Odenwald, in der Nähe von Darmstadt und Hessen-Schaumburg1185. Sie waren im Jahre 1532 auf der Synode von Chamforan der Reformation beigetreten, allerdings im Sinne Calvins.1186 Angesiedelt wurden sie in den vom Dreißigjähringen Krieg immer noch verödeten Grenzgebieten der Ämter Maulbronn (Schöneberg bei Dürrmenz, Klein- und Großvillars bei Knittlingen, Pinache und Serres bei Wiernsheim, Lucerne bei Wurmberg), Leonberg (Perouse bei Heimsheim), Calw (Neuhengstett - la colonie de Simmozheim), in Brackenheim (Nordhausen im Zabergäu), sowie den Exklaven Gochsheim und Palmbach in Baden. Die Piemontesen sprachen nicht das vornehme Französisch, sondern einen Dialekt, das Patois, währen die Schul- und Predigtsprache Französisch war. Sie waren bettelarm, und das ihnen zugewiesene Gebiet war oft seit Jahren nicht mehr kultiviert. Dementsprechend groß waren die Anfangsschwierigkeiten. 1182 Hirsch: Die Herkunft unserer Waldenser, S. 82; Lexikon für Theologie und Kirche, S. 951; 1183 Henri Arnauld (1643 - 1721), begraben in der Kirche von Schönenberg bei Maulbronn. 1184 Vertrag von Luserna 1686. 1185 Waldenservereinigung: Die Waldenser, Oetisheim 1981, S. 5. 1186 Lexikon für Theologie und Kirche, S. 952. 313 1708 fanden französische Familien, die sich ebenfalls in die Schweiz geflüchtet hatten, Aufnahme besonders in Cannstatt, wo sie das Recht erhielten, eine Kirche zu bauen.1187 Um 1732 kamen zusätzlich Flüchtlinge aus Salzburg, die der Erzbischof Firmian aus Tirol verjagt hatte, ins Land. Die Waldensergemeinden wählten bis 1823 ihre Pfarrer, die meist aus der Schweiz oder aus der Pfalz kamen, selbst. Gepredigt wurde in französischer Sprache.1188 In den ersten Jahren waren die Waldenser von Steuern und Fronen befreit. Henri Arnaud hatte sich in Schönenberg bei Mühlacker niedergelassen. Er führte 1701 den Anbau der Kartoffel in Württemberg ein. Der Kaufmann Anton Signoret aus Holland, ebenfalls ein Waldenser, hatte ihm 200 Stück geschickt, die er in seinem Pfarrgarten vermehrte.1189 Über die Waldenser wurde hier auch die Luzerne heimisch. Finanziell untersstützt wurden die Gemeinden bis 1797 aus der Schweiz, bis 1804 auch aus England, danach fehlten die Mittel für eine weitere Selbständigkeit. Die Gemeinden lebten in drückender Armut. Im Jahre 1823 wurden die Reformierten1190 nach längeren Verhandlungen mit der Landeskirche vereinigt. Schleiermacher hatte sich sehr engagiert an der Vorbereitung der "Union" beteiligt.1191 In Württemberg war bereits auf einer Kirchenversammlung vom 23. Dezember 1822 konstatiert worden, "daß in Bezug auf Glauben und Lehre durchaus kein wesentlicher Unterschied bestehe, und daß auch bisher schon gastweise Abendmahlsgemeinschaft geübt worden sei.1192 Sowohl die Geistlichen, als auch die Abgeordneten der Gemeinden, stimmten dem zu. Der König bestand darauf, daß bei der Vereinigung kein Gewissenzwang hinsichtlich des Gebrauchs des Abendmahls ausgeübt werden sollte. Am 28. Januar 1823 trat eine Synode der Reformierten zusammen, bestehend aus den geistlichen und weltlichen Vertretern der Gemeinden, sowie den Prälaten Süskind und Flatt. Am 7. September 1823 wurde mit einem Konsistorialerlaß an die betroffenen gemeinschaftlichen Oberämter das Vereinigungsdekret "der im Königreich befindlichen reformierten Glaubensverwandten in der lutherischen Kirche" beschlossen. Die Feier des Abendmahls nach den Gebräuchen der jeweiligen Kirche wurde gestattet, auch das Recht der Reformierten, am lutherischen Abendmahl teilzunehmen. Das Konsistorium formulierte das so: "Das Unterscheidende zwischen der calvinistischen und lutherischen Abendmahlslehre ist so fein, daß es den ungebildeten und ungelehrten Mitgliedern sich nicht wohl deutlich machen lasse, und in jedem Fall ohne Nachteil für den religiösen Volksglauben unberührt bleiben könne. Es möchte also am besten sein, von einem Unterschied der Glaubenslehre nichts zur Sprache zu bringen".1193 1187 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 211. 1188 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 211. 1189 Günter Bächle, Nur Namen und Kartoffeln blieben. Stuttgarter Zeitung, 3.8.1981, S. 17. 1190 RGG IV, Sp. 2109; Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Bd. XVI., S. 165; Theologische Realenzyklopädie, Bd. XXVIII., S. 404. 1191 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 462. 1192 Württembergische Kirchengeschichte, S. 642. 1193 Württembergische Kirchengeschichte, S. 642. 314 Der Gebrauch der französischen Sprache in Kirche und Schule und die freie Pfarrerwahl sollten abgeschafft werden. Es handelte sich im wesentlichen um die Waldensergemeinden Groß- und Klein- Villars bei Knittlingen, Lucerne bei Wurmberg, Perouse bei Heimsheim, Schöneberg bei Dürrmenz, Nordhausen im Zabergäu, Neuhengstett bei Calw, Pinache, Serres und Wurmberg.1194 Nur die Gemeinde Cannstatt-Stuttgart machte Vorbehalte und wollte keine Union, sondern nur eine Verbindung, die ihr die Möglichkeit ließ, auch wieder auszutreten. Doch kam auch hier eine zunächst vorläufige Vereinigung zustande.1195 Beide Teile stimmten darin überein, daß keine wesentliche Verschiedenheit des Glaubens und der Lehre zwischen ihnen vorhanden sei, und beide waren sich einig, daß allein die heilige Schrift göttliches Ansehen habe. Die erste Abendmahlsfeier der Reformierten fand in der Hospitalkirche in Stuttgart am 5. April 1827 unter Teilnahme von ungefähr 30 Lutherischen statt. Nach jahrelangen Meinungsverschiedenheiten traten die Reformierten am 12. Dezember 1844 von dem eingegangenen Provisorium zurück. Sie erlangten 1847 die Schaffung einer eigenen Pfarrei, die vom Staat unterstützt wurde, und 1848 auch die Anerkennung ihres Wahlrechts und die Befreiung von der Aufsicht des Konsistoriums. Die Seelenzahl betrug damals in Stuttgart ungefähr 130, in Cannstatt 90. Das ganze Land zählte im Jahre 1890 509 Reformierte.1196 1194 Sauer: Reformer auf dem Königsthron, S. 399; Württembergische Kirchengeschichte, S. 642, 643; Hermle: Das Ende der württembergischen Waldensergemeinden. In BWKG 101 (2001), S. 70 - 92. 1195 10. November 1826 auf dem Rathaus in Stuttgart, genehmigt vom Konsistorium am 2. Januar 1827. 1196 Württembergische Kirchengeschichte, S. 643. 315 8.3. Die Abgrenzung gegen Separatismus und Pietismus. Mit dem Überwachungsinstrument des Kirchenkonvents hatte der Staat seit 1642/1644 versucht, Einfluß auf die Sittlichkeit und Moral der Bevölkerung zu nehmen. Die Tugend sollte gefördert, die Untugend, besonders die Unkeuschheit, aber auch Störungen der Kirchlichkeit oder Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit, sollten unterdrückt und bestraft werden. Pfarrer und Schultheiß übten einen wesentlichen Einfluß aus und versuchten, das Leben innerhalb der Dorfgemein- schaft nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen und zu reglementieren. Solchen obrigkeitlichen Maßnahmen stand nun der Wunsch des Einzelnen gegenüber, sein Leben selbst zu gestalten und sich innerhalb der vorgegebenen Ordnungen einen Freiraum zu schaffen, der eine eigene Entwicklung gestattete und ermöglichte. Eine solche Entwicklung war für den Pietismus immer ein Weg hin zu Gott.1197 Die Welt wurde immer als Bahn hin zum Prinzipium primum gesehen, Natur und Geschichte als die Signatur der Kräfte Gottes, als Stufen des Lebens. Die persönliche Frömmigkeit und der feste Glaube der Väter sollte der Flachheit der eigenen Zeit gegenübergestellt werden. Das einzelne Ich stand in seiner Frömmigkeit immer in unmittelbarer Beziehung zu Gott. Diese Beziehung wurde von keiner Institution vermittelt und stand über allen Klassen und Schranken. Die communio sanctorum sollte im Pietismus sichtbar gemacht werden. "Christus ist nicht nur für uns, er ist vor allem in uns". Die Gläubigen schlossen sich in Gemeinschaften zur gegenseitigen Erbauung durch gemeinsames Lesen in der Bibel und gemeinsames Gebet zusammen. „Der Pietismus1198 hat der Theologie zu zeigen versucht, daß am Anfang im Christsein nicht ein Buch, sondern der lebendige Christus steht, der durch die viva vox evangelii, durch die Predigt, durch die Schrift, durch Lied, Kathechismus und Bekenntnis, innerhalb der Wirklichkeit der Gemeinde, zum Glauben ruft, ihn erweckt und erhält“. Er wollte die Entfaltung der Kräfte des neuen Menschen in Staat und Gesellschaft, im Bereich von Wirtschaft, Bildung und Erziehung, und er trug auch sein Teil bei zur "Wissenschaft seiner Zeit“.1199 Dem Alten, das als gut befunden wurde, sollte das Neue an die Seite treten. Weil nun aber in der Zeit der Aufklärung die Wissenschaft sich auf einen eigenen Weg und von der Theologie unabhängig gemacht hatte, war es nur folgerichtig, daß der Pietismus sich in der Folgezeit zur Wissenschaft deutlich kritisch distanzierte. Dagegen sollte beim Zusammenkommen in der Stunde, beim Lesen der Bibel, eine gegenseitige Erbauung stattfinden. Der einzelne sollte gerüstet werden für die Arbeit im Weinberg des Herrn, für den Einsatz für missionarische und diakonische Aufgaben. 1197 Schäfer: Das Gute bewahren, S. 220. 1198 Beyreuther: Geschichte des Pietismus, S. 344; Brecht: Geschichte des Pietismus, Bd. 1, S. 33; Kolb: Die Anfänge des Pietismus und Separatismus in Württemberg; Ritschl: Geschichte des Pietismus; Fritz: Die evangelische Kirche Württembergs im Zeitalter des Pietismus. BWKG 56 (1956), S. 99 - 167; Schick, Hermann: Pietismus und Sepratismus im 18.Jahrhundert, S. 28. 1199 Schäfer: Das Gute bewahren, S. 222. 316 Der Pietismus suchte mühsam nach einer Theologie der religiösen Erfahrung in der Tradition des theologischen Wissens, mit der Aufgabe, "die Dominanz des Wortes als Glaubensgrundlage mit der Vorstellung einer autonomen Sensibilität der Seele für die Gottesempfindung zu verbinden.1200 Diese Richtung zeigte sich zuerst in Holland und Norddeutschland als innerkirchliche Reformbewegung, eine das christliche Individuum betonende Frömmigkeitsbewegung, die eine Bestätigung der christlichen Lehre im praktischen Leben forderte.1201 Er wurde in der folgenden Zeit fester Bestandteil des kirchlichen Lebens. Der Pfarrer hatte nicht mehr das alleinige Verkündigungs- monopol, „die in den Gliedern der Kirche schlummernden geistigen und geistlichen Kräfte sollten eine Entfaltungsmöglichkeit haben“.1202 Oft waren es die Pfarrer, bei denen die Reformen einsetzten. Es sollte nicht nur die reine Lehre von den Kanzeln verkündet werden, es sollte auch erbaulich gepredigt werden.1203 Es wurde betont, daß Württemberg im 18. Jahrhundert noch kein pietistisches Land gewesen ist, daß die geistigen Leistungen des Pietismus zwar groß, seine politische und soziale Bedeutung dagegen gering waren, "daß die pietistischen Lehrer und Pfarrer auf der einen Seite bedeutende, über ihren engen Zirkel hinaus wirksame literarisch-theologische Werke schufen, daß auf der anderen Seite aber nur ein kleiner Teil der Ehrbarkeit zu ihnen gehörte, der weder am Hof, noch beim gemeinen Mann Einfluß besaß und nur in ganz wenigen Fällen in die Politik eingriff".1204 Neben die Prälaten Johann Albrecht Bengel (1687 - 1752) mit seiner Eschatologie und Friedrich Christoph Oetinger (1702 - 1782) mit seiner Theosophie1205, trat der Bauernsohn Michael Hahn (1739 - 1790)1206. Bei ihm zeigte sich, daß mit seiner Zentralschau von Gott als dem Ursprung allen Seins der Pietismus nunmehr zwar neben der Wissenschaft angesiedelt war, aber immer noch vermochte, die Herzen zu rühren und seine Anhänger zu finden.1207 Aber der Schock dieser Zeit, die Anfeindungen von verschiedenen Seiten, hatte den Pietismus kirchlich und theologisch konservativ werden lassen. Er lebte vor allem dem Andenken an die Zeit der Väter und an die eigene Vergangenheit. Wie aus dem Pfarrerverzeichnis Sigels hervorgeht, wurde schon 1723 ein Pfarrer strafversetzt, weil er verdächtigt wurde, dem Pietismus anzuhängen. Es war dies der Magister Johann Christoph Bauer, der in Reutlingen von 1702 - 1713 Rektor und von 1713 - 1723 Hospitalpfarrer war. Durch einen Ratsbeschluß wurde er 1723 nach Wannweil strafversetzt, weil er des Pietismus bezichtigt wurde. 1200 Schlögl: Von der gesellschaftlichen Dimension religiösen Erlebens, S. 275. 1201 Gutekunst: Das Pietisteneskript von 1743, S. 10. 1202 Gäbler: Der Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert; Schäfer: Württembergische evangelische Landeskirche. In: Das Land Baden-Württemberg, Bd. I, S. 532 ff. 1203 Schäfer: Das Gute bewahren, S. 199; BWKG 82 (1982), S.218 - 236. 1204 Köhle-Hezinger: Irenik und Interkonfessionalismus, S. 1019. 1205 Stäbler: Nürtingen als Zentrum des württembergischen Pietismus, S, 217; Schäfer: Württembergische Evangelische Landeskirche, S. 532. 1206 Brecht: Johann Michael Hahn, RGG 3, Sp. 1382; Schäfer: Michael Hahn; S. 515. Trautwein: Die Theosophie Michael Hahns; Ders.: Johann Michael Hahn, TRE XIV, S. 380. 1207 Schäfer: Das Gute bewahren, S. 231; Schicketanz: Der Pietismus, S. 143, 150, 154. 317 "Wohl wehrte er sich mit aller Entschiedenheit und vielen Gründen gegen diese Versetzung, allein es half nichts. Das Dekret des Rats wurde aufrecht erhalten". Erst 1742, immerhin noch ein Jahr vor Erlaß des Pietisten-Reskripts, wurde er als Archidiakon nach Reutlingen zurückgeholt. Er ist 1744 gestorben.1208 Trautwein begründete mit der in Württemberg üblichen Realteilung und der darin enthaltenen Gleichstellung aller Kinder, insbesondere der Frauen, eine theologische Rechtfertigung der Tüchtigkeitslehre. Für den Pietismus war klar, daß nur der, der den vorgegebenen Tugenden entsprach, wer fromm und fleißig war, wer sparsam haushaltete, es zu etwas bringen konnte.1209 Die starren Formen der alten Landeskirche, die ein aufgeklärtes, rationalistisches Christentum vertrat1210, in der der Pfarrer allein die dominierende Rolle spielte, die Gemeinde aber passiv bleiben mußte, ließ den Wunsch nach eigenständigem Denken und Handeln unbefriedigt. Da die Obrigkeit immer wußte, was für den Untertan gut war, blieb diesem kaum ein Freiraum. So entstanden Gruppen, die den Wunsch hatten, privat über die Fragen der Bibel nachzudenken, sich zu gemeinsamen Erbauungsstunden zu treffen. Solche Zusammenkünfte sollten von der Kirche nicht grundsätzlich verboten werden.1211 Das „Generalrescript betreffend die besonderen Versammlungen zu geistlichen Übungen", das „Pietistenreskript“, von dem Geheimrat und Präsidenten des württembergischen Konsistoriums Georg Bernhard Bilfinger (1693 - 1750) geschaffen, vom Herzog am 10. Oktober 1743 genehmigt, gab diesen Zusammen- künften einen gewissen rechtlichen Rahmen.1212 Hier wurden auch die Bedingungen für solche Zusammenkünfte festgelegt, die später auch noch ergänzt wurden. "Die Zusammenkünfte (der Gemeinschaften) dürfen nirgends anders als in dem Hause eines angesehenen Bürgers gehalten werden.. Die Versammlungen dürfen nie unter dem öffentlichen Gottesdienst gehalten werden".1213 Die spezifisch pietistische Gemeinschaftsform ist durch dieses Reskript in der württembergischen Kirche heimisch geworden. Der Pietismus wurde eine Reformbewegung innerhalb der Kirche.1214 Er bekam offiziell ein "Heimatrecht in der Landeskirche".1215 Zwar sollte nach den Vorschriften des Pietistenreskriptes der Ortspfarrer über alles unterrichtet werden, sollten die Zusammenkünfte, wenn sie nicht von ihm selbst gehalten wurden, wenigstens unter seiner Kontrolle stehen, sollten ortsfremde Personen nur mit Erlaubnis des Pfarrers an solchen Zusammenkünften teilnehmen dürfen, war die Teilnehmerzahl auf 15 Personen begrenzt, durften die Zusammen- künfte nicht während des Gottesdienstes oder nachts stattfinden. 1208 Johann Christoph Bauer (30.12.1677 - 7.1.1744), Sigel Nr. 939,22. 1209 Trautwein: Pietismus - ein folgenreicher Sonderfall. S. 106; Lehmann: Probleme einer Sozialgeschichte des Pietismus. BWKG 75 (1975), S. 166 - 181. 1210 Holtz: Lutherische Orthodoxie versus Pietismus. BWKG 96 (1996), S. 59 - 76. 1211 Sauer: Die Anfänge der Brüdergmeinden, S. 114. 1212 Das württembergische Pietistenreskript; Beyreuther: Geschichte des Pietismus, S. 256; Gutekunst: Das Pietistenreskript von 1743. BWKG 94 (1994), S. 9 - 26; Von Gottes Gnaden: 250 Jahre Württem bergisches Pietisten-Reskript, 1743 - 1993; Gutekunst: Das Pietistenreskript von 1743, S.10. 1213 Kurfürstliche Verordnung vom 27.Dezember 1803; Süskind: Repertorium der evangelischen Kirchengesetze, S. 253. 1214 Trautwein: Freiheitsrechte und Gemeinschaftsordnungen um 1800, S. 324. 1215 Sorg: ER das Haupt, wir seine Glieder, S. 157. 318 Es sollten auch die Geschlechter getrennt zusammenkommen, und es sollten nur anerkannte Andachtsbücher benützt werden. Es wird aus diesen Untersuchungen klar werden, daß das Aufsichtsrecht durch die Pfarrer durchaus unterschiedlich gehandhabt wurde. Es gab Pfarrer, die den Zusammenkünften dieser Gemeinschaften mit dem größten Vorbehalt gegenüber- standen, die sie schroff ablehnten oder vollständig ignorierten, weil sie in ihnen etwas Besonderes, außerhalb der Kirche Stehendes, sahen. Es gab den Pfarrer von Ludwigsburg, der 1843 sagte, die Bibel sei ihm lieber als alles Gerede in den Erbauungsstunden1216, oder den Pfarrer von Biberach, der meinte: "schon der Name Pietismus ist ein Schreckgespenst".1217 Es zeigte sich auch bald, daß die Bestimmugen des Reskriptes nicht unbedingt eingehalten wurden. Oft wurde die Zahl von 15 Personen überschritten, nicht selten fanden die Versammlungen abends, nach Einbruch der Dunkelheit, statt. Das "übers Feld gehen", der Besuch auswärtiger Stunden, war bald üblich, auch die Kommunikation mit entfernten Gruppen. Die "Brüderkonferenzen" waren eigentlich auch eine Übertretung des Verbots der überörtlichen Zusammenkünfte und Gemeinschaften.1218 Selbstverständlich hatte das Konsistorium das Bedürfnis, sich über diese Bewegung zu informieren, die ja noch lange Zeit als etwas gesehen wurde, was nicht voll in die Kirche integriert war. So wurden die württembergischen Generalsuperintendenten 1821 aufgefordert, "Bericht betreffend den Zustand der Privatversammlungen der Pietisten sowie anderer sektiererischer Gesellschaften zu geben".1219 Pietisten und Sekten standen noch auf einer Stufe. In späterer Zeit und vor allem im Kernland von Württemberg gab es auch Pfarrer, die den Gemeinschaften freundlich begegneten, die auch die neue Methode der Evangelisation als zeitgemäße Verkündigungsform würdigten, die an solchen Versammlungen teilnahmen und sich über die besprochenen Anliegen genau informierten, die anerkannten, daß die Pietisten zu den treuesten Kirchgängern zählten und - auch das - in den allermeisten Fällen „angesehene und kirchliche Leute“ waren.1220 Da der Tag der Wiederkunft des Herrn nahe war, war es die Aufgabe der wahrhaft Gläubigen, sich hierauf vorzubereiten. Bei Pfarrer Flattich (1713 - 1797) in Münchingen fragte das Konsistorium im Jahre 1771 an, wie er in seinem Bericht behaupten könne, in den Erbauungs- stunden in Münchingen geschehe nichts Ungesetzliches, wenn er sie doch gar nicht besuche. Er wurde aufgefordert, die Stunden zu besuchen, um darüber zuverlässig Bescheid geben zu können.1221 Johannes Josenhans (1822 - 1895) betonte den Primat der Landeskirche gegenüber den Gemeinschaften: „Die Kirche steht über den Stunden. Der Pietismus ist die Frucht einer gnädigen Erneuerung der evangelischen Kirche gewesen, hat in unserem Lande seine eigentümliche Gestaltung gefunden. 1216 Pfarrbericht Ludwigsburg, 1843. 1217 Pfarrbericht Biberach, 1855. 1218 Gutekunst: Das Pietistenreskript von 1843, S. 19. 1219 LKA, A26, Nr. 464. 1220 Ohlemacher: Gemeinschaftschristentum in Deutschland. In: Brecht: Geschichte des Pietismus, S. 425. 1221 Ehmer: Johann Friedrich Flattich, S. 83. 319 Er ist Hand in Hand mit der evangelischen Landeskirche gewachsen und geblieben, indem beide gegenseitig sich erfrischten und nährten. Wir dürfen den Pietismus nicht für die Kirche halten, auch nicht glauben, daß diese mit dem Zurückgehen oder gar Aufhören des Pietismus fällt".1222 Die Gruppen selbst "in ihrem soziologisch verschiedenen Milieu"1223 wechselten in ihrer Größe und sozialen Zusammensetzung, in ihrer Einstellung zu Kirche und Staat, sie verhielten sich teilweise still und ruhig, teilweise konnte es aber auch zu ausgesprochenen Konflikten kommen. Man kann deshalb eigentlich nicht von "Pietismus" sprechen. Die Bewegung war keine einheitliche, es gab verschiedene Phasen und Erscheinungsformen.1224 Es gab immer und überall eine Vielzahl pietistischer Gruppen und Gruppierungen unterschiedlichster Ausprägung. Der Hallesche Pietismus eines August Hermann Franke (1663 - 1727) war etwas völlig anderes, als beispielsweise der Herrnhuter Pietismus des Grafen Zinsendorf. 1225 Standesunterschiede spielten in den Zusammenkünften keine Rolle. In den "Stunden", die der Waisenhauspfarrer Beckh in Ludwigsburg hielt, saßen neben Bürgern und Handwerksburschen auch adlige Kammerherrn, Generäle und Geheimräte.1226 Es ist vielleicht eine Besonderheit des württembergischen Pietismus, daß er sehr stark durch Bauern, Weingärtner, Handwerker und Kaufleute geprägt war, während Zinzendorf und Schwenkfeld stärker Wert auf elitäre Zirkel legten, auf Adel und angesehenes Bürgertum.1227 Lehmann hat darauf hingewiesen, daß am Anfang, in der Zeit von 1680 bis 1720, vor allem mittlere und obere soziale Schichten einem Reformkurs zugeneigt waren, daß Spener die Antwort war auf die Herausforderungen durch die Franzosenkriege, die Etablierung des Absolutismus und barocke Lebensformen, daß aber seit ungefähr 1750 die Laienkonventikel aus den unteren Schichten tonangebend wurden und den bisher von der Ehrbarkeit geprägten Pietismus überflügelten.1228 Die Gemeinden wollten Ernst machen mit dem Priestertum der Gläubigen. Auch der Seperatismus selbst war letztlich nur ein radikaler Flügel des Pietismus. Er wollte eine noch strengere Trennung gegenüber der Kirche und dem Staat herbeiführen, und gewisse staatliche Maßnahmen, wie etwa die Eidesleistung, wurden von ihm vollständig abgelehnt. Die Übergänge zwischen Pietismus und Separatismus waren zunächst fließend, und es gab Entwicklungen in beiden Richtungen. Der Pietismus selbst war ja zumindest in der Anfangszeit ebenfalls mit dem Odium des Sektiererisch-Separatistischen-Staatsgefährdenden behaftet gewesen, und hat deshalb bei König Friedrich, weil er für ihn das Unzeitgemäß- Gestrige verkörperte, kein Vertrauen gefunden.1229 1222 Buck: Bilder aus dem christlichen Leben Württembergs, II., S. 42. 1223 Wach: Religionssoziologie, S. 122. 1224 Lehmann: Pietismus und weltliche Ordnung, S. 14. 1225 Gutekunst: Das Pietistenreskript von 1743, S.10. 1226 Haug: Reich Gottes im Schwabenland, S. 207. 1227 Scheffbuch: Sixt Carl Kapff, S. 124. 1228 Lehman: Probleme einer Sozialgeschichte des württembergischen Pietismus. BWKG 75 (1975), S. 166. Gestrich: Pietismus und ländliche Frömmigkeit, S. 345. 1229 Köhle-Hezinger: Irenik und Interkonfessionalismus, S. 1016. 320 Nach den beliebten Erbauungsbüchern des Braunschweiger Geistlichen Johann Arndt hatte jeder einzelne Christ das Recht und die Pflicht, seine Seele und die Natur zu beobachten, und außerdem die Bibel zu lesen. Aus eigener Erfahrung sollte sich der gläubige Christ orientieren, und die Gewissensfreiheit war das höchste Gut des Menschen. „Das Wissen um den Lauf der Zeit“ war den Nachfahren Bengels vertraut. Gott hatte einen Zeitplan mit der Welt, seine Wiederkunft wurde von Bengel am 18. Juni 1836 erwartet und es war klar, daß der wahre Christ den Anbruch der Herrschaft des Herrn durch die Beobachtung der Geschichte rechtzeitig wahrnehmen konnte.1230 Die Endzeiterwartung war durch die Französische Revolution und durch die ständigen Kriege genährt worden, aber auch innerhalb der Kirche durch die Einführung des neuen Gesangbuches 1791, der neuen Liturgie 1809 und vor allem durch die fehlende Absage an den Teufel im Taufbekenntnis. Dies wurde als Zeichen für die Auslieferung an das Böse gedeutet. Der Antichrist konnte nun auch von der Kirche Besitz ergreifen, weil man ihm den Eingang nicht mehr verwehrte. Es ist nun auffallend, daß die sich bildenden Gemeinschaften meist von unten her gewachsen sind. Trautwein hat sie als Emanzipation des Kleinbürgertums gesehen.1231 Sie haben „den unteren Schichten ein höheres Selbstwertgefühl vermittelt, sie mit Bildungsmöglichkeiten konfrontiert, und hierarchisch- obrigkeitliche Strukturen der institutionalisierten Kirche durch Hinweis auf die persönliche Verbindung der Gläubigen mit Gott in Frage gestellt“.1232 Nach Trautwein waren es im 18. Jahrhundert vor allem Pfarrer, welche solche Gemeinschaftsversammlungen „begonnen und geistig genährt haben". Sie hatten immer auch eine nicht geringe Zahl von Volksschullehrern unter ihren Mitgliedern und konnten so die Stunden auch ohne geistliche Leitung selbständig und dennoch im kirchlichen Rahmen mit bewußt kirchlicher Absicht gestalten. Es ist für das 19. Jahrhundert kennzeichnend, daß eine ganze Reihe von Volksschullehrern der pietistischen Bewegung nahestand. Diese konnten sowohl durch ihr persönliches Vorbild, als auch im Unterricht jene Werte weitervermitteln, die ihnen und ihren Glaubensbrüdern wichtig waren. Zusammen mit den Missionsschulen, in denen künftige Missionare ihre Ausbildung erhielten, besaß die pietistische Bewegung mit den Rettungsanstalten und den Schulen für Diakone und Diakonissen, sowie den Lehrerseminaren ein umfassendes Erziehungs- und Ausbildungssystem, mit dem sie zumindest in der Mitte und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitgehend von staatlichen und kirchlichen Schulen und Ausbildungsstätten unabhängig war.1233 Bezeichnend war ferner für die freie, auf Geisteszucht an Stelle gesetzlichen Satzungswesens gegründete süddeutsche Art, daß man keine eingeschriebenen Mitglieder und keine förmliche Aufnahme kannte.1234 1230 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg. S. 106. 1231 J. Trautwein: Religiosität und Sozialstruktur. S. 15. 1232 Schäfer: Der württembergische Pietismus, BWKG 73 (1973/74), S. 136. 1233 Lehmann: Die neue Lage. In: Brecht: Die Geschichte des Pietismus, Bd.III., S. 18. 1234 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche. S. 233. 321 Da jeder Einzelne eine solche „Gemeinschaft“ gründen konnte, gab es schon bald die verschiedensten Gruppierungen und Strömungen. Manche von ihnen wurden bekannt, viele sind auch unbekannt geblieben, oder, sei es, weil sie sich nicht behaupten konnten, sei es, weil sie ausgewandert sind, einfach auch wieder verschwanden, wie beispielsweise die Gruppe des Webers und Separatistenführers Johann Georg Rapp (1.11.1757 - 7.8.1847) aus Iptingen1235, der nicht nur der Predigt und dem Abendmahl fern blieb, sondern auch Kindertaufe, Konfirmation und Schulbesuch verweigerte. Seine Anhängerschaft wurde auf 10 bis 12 000 Personen geschätzt. Das nahe Weltende war der Grund für das Aufsuchen eines Bergungsortes, den Rapp in Amerika zu finden glaubte.1236 Er wanderte 1803 mit vier seiner Getreuen nach Amerika aus. Ihm folgten im Jahre darauf in drei Schiffsladungen 700 Anhänger, das „Leibkorps des Heilands“. Diese Gruppe gründete nördlich von Pittsburgh in Pennsylvanien eine blühende Kolonie mit dem Namen „Harmonie“, „New Harmony“ in Indiana, und „Economy“ wieder in Pennsylvanien.1237 Harmonie entwickelte sich zu einer blühenden Siedlung mit 130 Häusern, ungefähr 800 Einwohnern, vielen Wirtschaftsgebäuden und einer Kirche. Die Gottesdienste glichen den Gottesdiensten in der Heimat.1238 Da Rapp im Hinblick auf das nahe Weltende, das er auf den 29. August 1829 festgelegt hatte, 1808 die Ehelosigkeit empfohlen hatte, starben die Rappisten in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus.1239 In Iptingen holte später Johann Christoph Blumhardt die letzten Anhänger dieser Richtung zur Kirche zurück.1240 Erwähnenswert ist, daß die Siedlung New Harmonie 1824 an den Schottischen Sozialisten Robert Owen verkauft wurde, der hier ein Gemeinschaftsprojekt verwirklichen wollte. Zu den Besuchern von Ökonomie gehörte auch Friedrich List (1789 - 1846), der Württemberg aus politischen Gründen hatte verlassen müssen und 1825 seine Landsleute am Ohio besuchte, ferner Herzog Paul von Württemberg (1797 - 1860) und der Dichter Nikolaus Lenau (1802 - 1850). König Friedrich hatte 1807 die Auswanderung verboten. Neun Jahre später wurde das Gesetz wieder aufgehoben und die Auswanderungsströme nahmen drastisch zu.1241 Die größte pietistische Gruppe dieser Zeit bildete die Gemeinschaft des Michael Hahn (1758 - 1819)1242, die entschieden einen eigenen Weg ging, im Lande blieb und außerdem einen hohen Grad an Organisation aufwies. 1235 Ehmer: Johann Georg Rapp. In: Kirchengeschichte Württembergs in Porträts, S. 219; Fritz: Johann Georg Rapp. BWKG 95 (1995), S.133 - 207; Fritz: Johann Georg Rapp, S.135; Karl J. Arndt: Georg Rapps Harmony Society, Philadelphia 1965. 1236 Fritz: Johann Georg Rapp, S. 133. 1237 Trautwein: Freiheitsrechte und Gemeinschaftsordnungen, S. 330; Haug: Reich Gottes im Schwaben- land, S. 188; Wegst: New Harmony. Die Geschichte eines Siedlungsmodells in Indiana, USA. In: Beiträge zur Volkskunde in Baden-Württemberg 3, 1959, S. 80; Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, I,2, S. 1205. 1238 Fritz: Johann Georg Rapp, S. 157; Wegst: New Harmony, S. 5 - 55. 1239 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 212; Ehmer: Johann Georg Rapp. In: Hermle: Kirchen- geschichte Württembergs in Porträts, S. 232. 1240 Irsing: Johann Christoph Blumhardt. In: Hermle: Kirchengeschichte Württembergs in Porträts, S. 339. 1241 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 135. 322 Michael Hahn wurde am 2. Februar 1758 in Altdorf bei Böblingen geboren. Er verlor mit vier Jahren seine Mutter, litt unter dem Unverständnis des Vaters und der Ablehnung der Stiefmutter. Die Sehnsucht nach Liebe und Geliebtwerden bestimmten seine Jugend. Nach einer Metzgerlehre wurde er mit 20 Jahren von zu Hause fortgejagt. 1778 hatte er eine erste, 1783 eine weitere Erleuchtung - „Zentralschau in die göttliche Tiefe“, wie er es nannte. Er fühlte sich von Gott angenommen und verstanden. Er besuchte in diesem Jahr Philipp Matthäus Hahn, den bedeutenden Schüler Oetingers, ein Jahr später Johann Caspar Lavater (1741 - 1801) im Elsaß. 1794, nach dem Tod seines Vaters, zog er nach Sindlingen, wo ihm die Witwe des Herzogs Karl Eugen, Franziska von Hohenheim, auf ihrem Schloßgut einen bleibenden Aufenthalt ermöglichte und ihm bis zu seinem Tod 1819 Schutz und Ruhe bot. Unter ihrer Protektion konnte er seine schriftstellerische Tätigkeit entfalten.1243 Michael Hahn sah die Notwendigkeit von Ordnungen und Absprachen, er wollte nur „Denker“ um sich versammeln, und die Orientierung sollte ausschließlich an den „Vätern“ erfolgen. Er blieb aber ein Glied seiner Kirche. Er schrieb: „Am alleredelsten dünken mich die Gemeinschaften, in denen das Reden an gar niemand gebunden ist, wo jeder reden kann, der einen Aufschluß bekommt, wo jeder fragen darf, und wo alle antworten können, wenn ihnen Licht geschenkt ist“.1244 Dabei legte er Wert auf den Ernst der Heiligung, "das Wirken Christi in uns". Er rief auf zur praxis pietatis, zur Reformation des Lebens. Die Gemeinschaft sollte nur von Laien geleitet werden.1245 In der in der zweiten Jahrhunderthälfte gedruckten Gemeinschaftsordnung ließ sich nachweisen, daß eine gewisse Abkehr von der dörflichen Gemeinschaft nicht zu umgehen war. So vertrug sich der Wirtshausbesuch nicht mit den Erbauungs- stunden. Hochzeiten mit Spiel und Tanz waren ein Widerspruch und sollten gemieden werden. Der überzeugte Pietist löste sich aus den traditionellen Sozialbeziehungen, um ein Leben "als erweckter oder bekehrter Christ" zu führen.1246 Die Schriften Michael Hahns lassen sich in 3 Gruppen einteilen: einmal in Schriftauslegung, dann in Lieder, und schließlich in seelsorgerliche Briefe. 2 000 Lieder sind von ihm überliefert, die meisten nicht unter 20 Strophen. „Ich hatte ein gewaltiges Forschen und Treiben im Grund meiner Seele, zu wissen, wie Gott, was Gott und wo Gott sei“.1247 Michael Hahn ist am 20. Januar 1829 in Sindlingen gestorben.1248 1242 Martin Brecht: Johann Michael Hahn. RGG 3, Sp. 1382; Joachim Trautwein: Johann Michael Hahn, TRE XIV., S.380 - 383; Schäfer: Michael Hahn, S. 530; Trautwein: Die Theosophie Michael Hahns. 1243 Schäfer: Michael Hahn. S. 516. 1244 Haug: Reich Gottes im Schwabenland, S. 209. 1245 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 234; Schäfer: Michael Hahn, S. 523. 1246 Gestrich: Pietismus und ländliche Frömmigkeit, S. 355. 1247 Carla Kramer-Schlette: Michael Hahn. Lebensbilder aus Schwaben und Franken, XVI, S. 73. 1248 Die Hahnsche Gemeinschaft. Ihre Entstehung und seitherige Entwicklung. 323 Der bedeutendste Schüler Hahns und nachfolgende fähige Leiter war Immanuel Gottlieb Kolb (1784 - 1859), Schulmeister in Dagersheim1249, der die Gemein- schaft in 12 Bezirke aufteilte, das geistliche Erbe Hahns hütete und auch seine Schriften herausgab. Die Forderung nach Heiligung trat in den Vordergrund. Die Gemeinschaft unterstützte eifrig die Äußere und Innere Mission.1250 Im Jahre 1873 hat sich diese Richtung eine neue, straffe Ordnung gegeben.1251 Eine andere Gruppierung waren die Gemeinschaften der Bengelschen Richtung, die sich später „Altpietisten“ nannten und auf Bengel, Oetinger und Philipp Matthäus Hahn fußten. Sie erlebten vor allem durch die Lehrerfamilie Kullen in Hülben einen Aufschwung. Johann Kullen (1787 - 1842) wurde später der Mitbegründer und erste Institutsleiter von Korntal. Philipp Matthäus Hahn (25.11.1739 - 2.5.1790)1252, der mit den wissenschaft- lichen Kapazitäten seiner Zeit korrespondierte, der die Schriften Kants exzerpierte, den die Erkenntnisse des Schwedischen Naturforschers Emanuel Swedenborg (1688 - 1772) beschäftigten, der sich aber auch intensiv mit den Schriften Friedrich Christoph Oetingers (1702 - 1782) befaßte, forderte, „dem Tag Christi entgegenzuglauben, entgegenzusehen, entgegenzuwandeln, und mit Freudigkeit und gutem Gewissen entgegenzuhoffen.“1253 Der Schweizer Theologe und Schriftsteller Johann Caspar Lavater (1741 - 1801) würdigte das theologische und technische Schaffen Hahns gleichermaßen: "Unter allen mir bekannten Theologen, der - mit dem ich am meisten sympathisiere - oder vielmehr dessen Theologie zunächst an die meinige grenzt und der doch so unaussprechlich von mir verschieden ist, als ein Mensch sein kann. Ein ganz außerordentlich mechanisches, mathematisches und astronomisches Genie, das immer erfindet, immer schafft - mit ausharrender, allüberwindender Geduld, zum letzten Ziel alles ausführt. Er schafft Welten, und freut sich einfältig seiner stillen Schöpfungskraft".1254 Der Mensch als Ebenbild Gottes war bei Hahn hineingestellt in den Plan Gottes vom Anfang an bis in die Herrlichkeit seiner Vollendung. Es war ihm ein Anliegen, zeitgemäß und verständlich von Gott zu reden - sowohl aus der Vernunft, als auch aus dem Glauben heraus.1255 Besonders in seiner Kornwestheimer Zeit (1770 - 1781) hat er sich intensiv mit dem Aufbau der Erbauungsstunden beschäftigt. Die Gemeinschaften sollten ein „Sauerteig in der Kirche“ sein. Geleitet wurden sie später von einem Brüderrat, der zu je einem Viertel aus Pfarrern, Lehrern, Kaufleuten und Bauern bestand.1256 1249 Baun: Schulmeister Kolb von Dagersheim. 1250 Albert: Innere Mission; Gäbler: Der Pietismus im 19. und 20.Jahrhundert, S. 232; Schmidt: Die Innere Mission in Württemberg; Schütz: Innere Mission; Wurm: Die Innere Mission und Wohlfahrtspflege; Zeilfelder-Löffler: Anfänge der Inneren Mission in Württemberg. BWKG 99 (1999), S. 136 - 153; 1251 Baun: Schulmeister Kolb aus Dagersheim, S. 27. 1252 Walter Stäbler: Philipp Matthäus Hahn. RGG 3, Sp. 1383; Martin Brecht: Philipp Matthäus Hahn, TRE XIV., S. 383 - 384; Sorg: ER das Haupt, wir seine Glieder, S. 74. 1253 Haug: Reich Gottes im Schwabenland, S. 177; Hahn, Philipp Matthäus: Katalog. 1254 Stäbler: Philipp Matthäus Hahn. In: Kirchengeschichte Württembergs in Porträts, S. 200. 1255 Stäbler: Philipp Matthäus Hahn. In: Kirchengeschichte Württembergs in Porträts, S 216. 1256 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche. S. 237. 324 Eine weitere Gruppe waren die „Pregizerianer“. Christian Gottlob Pregizer1257 hatte in seiner Jugend zu einem Kreis gehört, der sich in Besigheim um den Schwiegersohn von Oetinger, Johann Ferdinand Seiz (1738 - 1793), scharte und im Rahmen von pietistischen Pfarrkonferenzen über Oetingers Theosophie diskutierte. Auch Philipp Matthäus Hahn und Johann Friedrich Flattich nahmen an diesen Zusammenkünften teil.1258 1778 wurde Pregizer Schloßprediger in Tübingen, 1783 Pfarrer in Grafenberg, und 1795 erhielt er die Pfarrei Haiterbach. Dort fand er eine Bewegung vor, die sich der Amtskirche gegenüber sehr kritisch verhielt und sich von Gott „reichlich und höchlich begnadet und beseligt“ wußte. Da schon allein mit der Taufe die Sicherheit der Gnade gegeben war, konnte man in Ruhe die Wiederkehr des Herrn erwarten. Pregizer wurde in diese schwärmerische Frömmigkeit hineingezogen. Nach einem Verhör vor dem Konsistorium 1807 löste sich Pregizer von den radikalen Mitgliedern, und die Richtung wurde zu einer kirchlich pietistischen Gemeinschaft.1259 Die Gewißheit der Erlösung, die Heilsgewißheit, gepaart mit der Fröhlichkeit hierüber, die Unabhängigkeit von der Kirche, die offensichtliche Befreiung durch den Geist, all das war Grund genug, das neue Leben fröhlich anzunehmen. Die Sicherheit, frei von Schuld und Sünde zu sein, gab dieser Gruppe Selbstvertrauen und neuen Lebensmut. In Sigels Werk „Das evangelische Württemberg“ heißt es über Pregizer: „Ein durch Witz und Feuer der Rede wie durch tiefe und lebendige Frömmigkeit und unbescholtene Amtsführung gleich ausgezeichneter Geistlicher, der im volkstümlichen Tone, mit anschaulichen, nur nicht immer würdigen, aber stets treffenden Bildern voll tiefer Begeisterung predigte. Aber durch seine einseitige Behandlung der biblischen Lehre von der Rechtfertigung wurde er der Stifter der Sekte der sogenannten Pregizianer oder Hochseligen“. „Im Unterschied zu den „Werklern“, den Michelianern, die mit Einkehr und Ausdauer das göttliche Leben finden wollten, oder den „Seufzenden“, den Altpietisten, die ihre Aufgabe in der Arbeit für das Reich Gottes sahen und hierfür unermüdlich tätig waren, die sich abmühten und nie das gesteckte Ziel erreichten, wie ihre Kritiker sagten, waren die Pregizerianer fröhlich, selig und immer heiter“. Man bezeichnete sie spöttisch als „Juchhe-Christen“ oder „Galopp-Christen“, aber sie nahmen ihre Begnadigung ernst und ein neues Leben für sich in Anspruch. Sie wollten sich von der Not und der Sünde nicht bedrücken lassen und fanden in der Fröhlichkeit einen Ausweg. 1257 Christian Gottlob Pregizer (18.3.1751 - 30.10.1824), in Haiterbach 1795 - 1824, Sigel Nr. 395,18. Frauer: Christian Gottlob Pregizer; Kolb: Pregizerianer, S. 4; Gotthold Müller: Christian Gottlob Pregizer; Raupp: Die Pregizer Gemeinschaft; Trautwein: Der Pietismus zwischen Revolution und Kooperation, S. 36. 1258 Ehmer: Johann Friedrich Flattich. In: Hermle: Kirchengeschichte Württembergs, S. 186. 1259 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 213; Palmer: Gemeinschaften und Sekten in Württemberg, S. 110 ff.; ADB 26, S. 548 f. 325 Trautwein schreibt, daß nach 1820 die Betonung der Heiterkeit in dieser Gruppe immer mehr zurückgegangen ist, eine gewisse Außenseiterrolle aufgegeben wurde, und eine Angleichung an die Ethik der übrigen Pietisten im Lande stattgefunden hat.1260 In diesem Zusammenhang muß auch die Gründung von Korntal erwähnt werden. Die Hungerjahre 1816 und 1817, radikale Gruppen des Pietismus sowie die nahe Endzeiterwartung hatten die Auswanderungsbewegung in dieser Zeit sehr aktiviert. In der Zeit von Januar bis Juli 1817 waren 17 500 Württemberger ausgewandert. Auf diese Weise konnte man zwar Unruhestifter loswerden, sah aber auch, daß dadurch die Wirtschaftskraft des Landes geschwächt wurde. So suchte man nach einer Lösung, und die Regierung bat die Oberämter um Vorschläge.1261 Der Notar und Bürgermeister von Leonberg, Gottlieb Wilhelm Hoffmann (1771 - 1846), der auch Verbindungen mit dem Pfarrer von Münchingen, Johann Friedrich Flattich, mit Michael Hahn in Sindlingen und auch mit Lavater in Zürich hatte, schlug König Wilhelm die Gründung einer Kolonie in Württemberg vor, in der sich alle die sammeln konnten, die mit der Kirchenleitung nicht einverstanden waren oder mit ihr Schwierigkeiten hatten, und hier trotzdem die Möglichkeit bekommen sollten, nach ihrem Glauben zu leben. Hoffmann sammelte für seine Eingabe rund 5 000 Unterschriften, um „die reine lutherische Lehre, von welcher der größte Teil der Geistlichen abgewichen sei, in ihrer Mitte aufrecht zu halten“. Da es ihm gelang, einen Kompromiß zwischen dem Wünschenswerten und dem Durchsetzbaren zu finden, genehmigte der König, der sich in seinen Rechten als Summus Episcopus nicht beeinträchtigt sah, und weil auch keine Verfassungsfragen berührt wurden, den Plan am 8. September 1818. Die königliche "Fundationsurkunde" datierte vom 22. August 1819. 1262 Von dem Grafen Ernst Eugen von Görlitz und dem Freiherrn Ludwig von Münchingen wurde am 12. Januar 1819 um 113 700 fl das Rittergut Korntal gekauft. Es bestand aus einem Schlößchen, zwei Wohnungen, sechs Ökonomie- gebäuden und 939 Morgen, ungefähr 300 ha., Land. Am 9. Juli 1819 wurde der Grundstein zum Bethaus gelegt, das am 7. November eingeweiht wurde. Das Privilegium des Königs vom 22. August 18191263 machten Korntal von der Aufsicht und Gerichtsbarkeit des Konsistoriums, sowie der Liturgie von 1809 frei und unterstellten es direkt dem Ministerium für das Kirchen- und Schulwesen.1264 Die Gemeinde durfte ihren Pfarrer, den Vorsteher der Gemeinde, sowie den Lehrer und Schuldiener selbst berufen.1265 1260 Trautwein: Freiheitsrechte und Gemeinschaftsordnungen um 1800, S. 333. 1261 Gestrich: Gottlieb Wilhelm Hoffmann. In: Kirchengeschichte Württembergs in Portäts, S.258. 1262 Württembergische Kirchengeschichte, S. 626; Sauer: Die Anfänge der Brüdergemeinde Korntal und Wilhelmsdorf. BWKG 99 (1999), S. 113; Sorg: ER das Haupt, S. 80. 1263 Privilegienbuch im Gemeindearchiv Korntal mit der Unterschrift König Wilhelms. 1264 Württembergische Kirchengeschichte, S. 626; Sauer: Die Anfänge der Brüdergemeinde, S. 117; Palmer: Die Gemeinschaften und Sekten Württembergs, S. 36. 1265 Gäbler: Der Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert, S. 232. 326 Da Jerusalem nicht zu erreichen war, sollte Korntal ein vorläufiger Bergungsort sein. Gottlieb Wilhelm Hoffmann wurde, da der eigentlich vorgesehene Michael Hahn 1819 starb, der erste weltliche Gemeindevorsteher. Seine Stellung war dominierend. Er war Bürgermeister, Notar, Gemeindewirt, Kaufmann, Katechet, Leiter der Privatversammlungen und zahlreicher Gemeindeeinrichtungen.1266 Der Pfarrer Johann Jakob Friedrich (1759 - 1827) von Winzerhausen, der 1810 seine Stelle wegen Differenzen mit der neuen Liturgie hatte niederlegen müssen, wurde der erste Pfarrer von Korntal. Johannes Kullen (1787 - 1842), aus der seit zwei Generationen bewährten Lehrerfamilie Kullen in Hülben, wurde der erste Lehrer. Eine "Güterkaufsgesellschaft" regelte die Verteilung des Bodens. Zunächst zogen 68 ausgewählte Familien nach Korntal. Schon 1819 entstand die erste Lateinschule, 1820 waren bereits 29 Wohngebäude für 347 Bewohner errichtet, 1821 hatte Korntal eine Mädchenschule, 1823 ein Rettungshaus und 1846 die Kleinkinderanstalt. 1830 zählte Korntal 60 Wohnhäuser und 600 Einwohner. Hier war es einer pietistischen Gruppe der Bekehrten zum erstenmal möglich, eine wirklich christliche Gemeindebildung zu erreichen. Die neue Ordnung der Gesellschaft im Tausendjährigen Reich Gottes sollte hier auf Erden vorweggenommen und den Schwestern und Brüdern eine angemessene Vorbereitung auf dieses Ereignis ermöglicht werden.1267 Die im Laufe der Jahre errichteten Erziehungsanstalten, die Rettungshäuser, die Beteiligung an den Werken der Inneren und Äußeren Mission haben die "Königlich privilegierte Gemeinde Korntal", die "Brüdergemeinde", zu einem Gewinn für die Kirche werden lassen und außerdem das Verständnis des Königs für diese Richtung geweckt. Immer war die Hinwendung zum Pietismus auch verbunden mit einer Hinwendung zu Fleiß, Arbeit und Sparsamkeit, Idealen, denen auch das sich in dieser Zeit herausbildende Bildungsbürgertum huldigte.1268 Der 1833 nach Korntal berufene Sixt Karl Kapff sah es als seine vordringliche Aufgabe an, eine Abwendung der Gemeinde von der Kirche unter allen Umständen zu verhindern. Ihm war es zu verdanken, daß das Verhältnis wieder freundlich und verbindend wurde. Er hat in der Folgezeit die Gedanken von Korntal in die Landeskirche eingebracht und die Verbindung zu ihr gestärkt. Ihm war immer auch der Zusammenhalt von Geistlichen und Laien wichtig, auch als er 1843 Dekan von Münsingen und 1847 Dekan von Herrenberg wurde. Er hat dem Pietismus zu einer Bedeutung verholfen, welche die Mitte des Jahrhunderts geprägt hat. Karl Barth hat betont, daß der Pietismus durchaus Berührungspunkte mit der so heftig bekämpften Aufklärung hatte. Beiden ging es um selbständiges Denken und die Mündigkeit des einzelnen Menschen. Beide waren sich darüber im klaren, daß der Mensch zu der Wahrheit Gottes und zu einem persönlichen Glauben nur durch die eigene Erfahrung, auch durch Zweifel hindurch, kommen konnte. 1266 Gestrich: Gottlieb Wilhelm Hoffmann. In: Kirchengeschichte Württembergs in Porträts, S. 261. 1267 Gestrich: Gottlieb Wilhelm Hoffmann. In: Kirchengeschichte Württembergs in Porträts, S. 263. 1268 Roth: Die evangelische Brüdergemeinde Korntal, S.17. 327 Aber sein Gottes- und Menschenbild war nicht von Gott und seiner Offenbarung losgelöst; allein mit Vernunft war Gott nicht zu erkennen.1269 Es wurde eingangs auf die Erbsitte der Realteilung in Württemberg hingewiesen. Nur wer fleißig war und auf die Vermehrung des ihm Gegebenen achtete, konnte seine Existenz sichern. Das Zusammenhalten, das Ausbilden seiner Fähigkeiten, das Vorwärts-kommen-wollen, war im Pietismus immer ein zentrales, zunächst religiöses Thema. Im Schutz der kleinen Gemeinschaft, im gemeinsamen Warten auf das kommende Reich, in der Bewahrung der überkommenen Tugenden, sowie in der Arbeit sah der Pietismus seine Lebensaufgabe: "wer schafft, sündigt nicht". Im Laufe der Zeit wurden Fleiß, Ordnungssinn und Sparsamkeit auch Lebens- mittelpunkt im Verhältnis zum Staat. Es war die Zeit, in der die Leistung adeln sollte. Das Ideal der Rechtschaffenheit, des Fleißes, der Sparsamkeit stand im Vordergrund. An die Stelle der angestrebten Autonomie trat der Gehorsam.1270 Hier ist dann wohl auch der Ansatzpunkt für die Tatsache, daß in allen eingesehen Pfarrberichten deutlich auf Tugenden zurückgegriffen wurde, die sich in der Praxis oft nur schwer realisieren ließen. Die katholischen wie die protestantischen Gemeindepfarrer hatten immer auch die Aufsicht über ihre Gemeinde, und die Gemeindeglieder „mußten sich mit denjenigen Vorstellungen arrangieren, welche die beamtenähnlich angestellten Geistlichen vor Ort über öffentliche wie private Lebensführung hatten. Dabei konnten manche sozial- wie geschlechtsspezifische Verhaltensweisen unter das Verdikt fallen, dadurch würden „Zucht und Ordnung“ der Anbefohlenen berührt“.1271 Da außerdem der rechte Christ immer und ruhelos im Dienst für das Reich Gottes zu sein hatte, hatte dieser auch keine Zeit für ungezwungene Lebensfreude oder gar Fröhlichkeit. Wer nichts Eigenes hatte, fiel der Verachtung anheim. Nur wer ständig sich um ein Weiterkommen bemühte, wer den vorgegebenen Anforde- rungen und Tugenden gerecht wurde, konnte für seine Tätigkeit Lob erwarten. Es war selbstverständlich, daß die Kinder entsprechend in solchen religiösen Formen und Inhalten aufwuchsen. Auch von ihnen wurde eine bewußte Hinwendung zu Gott erwartet.1272 Es galt, den Eigenwillen des Kindes zur Rettung seines Seelneheils zu brechen.1273 Für Fröhlichkeit und Lebensfreude, für Spiel und Tanz, war hier wenig oder gar kein Platz. Es ist verständlich, daß der Gruppe der Pregizerianer hier nur eine Außenseiterrolle zukommen konnte. Wie sehr das ganze Denken und Trachten in einer württembergischen Pfarrersfamilie nur auf das Jenseitige ausgerichtet war, geht auch aus einer Bemerkung hervor, die von der Witwe des Philipp Matthäus Hahn überliefert ist: "Meine Hauptsache soll nicht meine Haushaltung, sollen nicht mein Mann und meine Kinder sein, sondern der Wille Gottes, so daß das Höhere meine 1269 Barth: Die protestantische Theologie im 19.Jahrhundert, S. 130; Haug: Reich Gottes im Schwabenland, S. 92; Pfleiderer: Karl Barths praktische Theologie. 1270 Trautwein: Freiheitsrechte und Gemeinschaftsordnungen um 1800, S. 339. 1271 Christa Berg: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. IV., Von der Reichsgründung bis zum ersten Weltkrieg, S. 73. 1272 Schultz-Berg: Jugendleben zwischen Gottesfurcht und Wirklichkeit, S. 191. 1273 Gestrich: Vergesellschaftung des Menschen, S. 100. 328 Hauptsache, und das Leibliche meine Nebensache sei, und als Freude soll mir vor Augen liegen das Erbe der Verheißung und daß ich auf solches warte".1274 Durch den Sieg einer eher grüblerischen, sich quälenden und verleugnenden, den Leib und das Äußere geringschätzenden Frömmigkeit ist im Lande zwar sehr viel für das Reich Gottes gearbeitet worden, aber erlebte Heiterkeit war kaum zu sehen. Die Äußerung von Gefühlen und die Möglichkeit, das Glück spürbar werden zu lassen, sind in Württemberg häufig durch das Vorherrschen von Pflicht, Arbeit, Sitte und Sparsamkeit reglementiert worden.1275 Von der Kirchenleitung wurde sehr wohl auch gesehen, daß Wort und Sakrament mit ihrer Trostkraft manchmal gering geschätzt und durch die Erfahrung der persönlichen Heiligung ersetzt werden konnten. Die objektive Gotteserfahrung durch das Wort , sowohl der sacra scriptura, als der viva vox des Predigers, konnten geringer geachtet werden als die eigene persönliche Erfahrung.1276 Obwohl es immer nur eine begrenzte Gruppe war, die dem Pietismus nahe stand, war in der Landeskirche um die Mitte des 19. Jahrhunderts doch diese Richtung tonangebend, so daß diese Ansichten auch auf das übrige Land ausstrahlten und bestimmend wurden. Nach einer Berechnung von Prälat Kapff gehörten 1869 ungefähr 70 000 Mitglieder dem Pietismus an.1277 Durch das Fehlen einer sozialkritischen Tradition in der Landeskirche wurde seit der Jahrhundertmitte dem Bildungsbürgertum und auch den Industriearbeitern aber die Möglichkeit genommen, ihre Interessen in der Kirche und besonders im Pietismus zu vertreten. Im Folgenden sollen nun einzelne Pfarrberichte im Hinblick auf ihre Stellungsnahmen zum Pietismus untersucht werden. Bereits oben wurde der Pfarrer von Leutkirch mit seiner kritischen Einschätzung dem Katholizismus gegenüber erwähnt. Genau so skeptisch sah er aber auch den Pietismus. Er bemerkte mehrfach, daß in Leutkirch kein Boden für solche Gemeinschaften sei. Trotzdem existierte auch dort seit 1858 eine kleine religiöse Gemeinschaft mit 6 Mitgliedern, "rein zum Zwecke der Erbauung, ohne alle separatistische Beimischung". Die Teilnehmer gehörten aber zu den "kirchlichen Gemeindegliedern".1278 1885 gab es eine pietistische Gruppe, von Chrischona ausgehend, von ungefähr 25 Personen. Dem "Chrischona-Bruder" Traub, einem gelernten Schuhmacher, bescheinigt der Pfarrer sogar, daß er sich treu zur Kirche halte. Die Richtung von Chrischona war neupietistisch und von Christian Friedrich Spittler 1840 auf dem südlichsten Schwarzwaldgipfel über Riehen in der Nähe von Basel, als „Pilgermissionsanstalt“ aufgebaut worden. Sie war zunächst eine Vorschule für Basler Missionare, die vor allem zwischen Alexandria und Abessinien tätig wurden. Diese Missionstätigkeit wurde später aber aufgegeben und die Innere Mission zum Schwerpunkt der Tätigkeit gemacht. 1274 Philipp Paulus: Beate Paulus, S. 15. 1275 Trautwein: Freiheitsrechte und Gemeinschaftsordnungen um 1800, S. 340. 1276 Hermeling: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 206. 1277 Palmer: Die Gemeinschaften und Sekten Württembergs, S. 56. 1278 Pfarrbericht Leutkirch, 1858. 329 1846 wurden erste Zöglinge nach Jerusalem gesandt, die später das "Syrische Waisenhaus" gründeten. 1855 wurde eine „Freiwillige Zwangsarbeitsanstalt für Heilung suchende Trunksüchtige“ gegründet. Daneben wurden aber laufend Laienprediger als sogenannte „Evangelisten“ in die Umgebung, die Schweiz und das südliche Deutschland, zur Missionierung ausgesandt.1279 Auch 1871 stellte der Pfarrbericht von Leutkirch noch eine "eigentümliche Furcht vor allem Pietistischen" fest. Der dortige Pfarrer, Julius Kalchreuter1280, hatte für sich das Recht in Anspruch genommen, die Aufsicht über diese Versammlung auszuüben und sich sogar entschlossen, die Stunden gelegentlich zu besuchen: „Es ist keine Kleinigkeit, das öde Geschwätz Mennlers zu hören, aber ich unterziehe mich dieser Tortur um der Sache willen“. Er bescheinigte den Mitgliedern aber, daß sie die Kirche „besser als früher besuchen".1281 Über die Gemeinschaft sagte er, diese sei lange Zeit "schief angesehen worden. Man habe vielleicht versäumt, einem geistlichen Bedürfnis entgegenzukommen". Aber der Pietismus stelle kein Gegengewicht gegen den Rationalismus dar. Trotzdem konstatierte der Pfarrer, nunmehr Theodor Braun1282, noch im Bericht von 1911 in Leutkirch „einen ausgesprochenen Widerwillen gegen den Pietismus. Dieser ist mit seinem tiefen Innenleben und vor allem mit seiner asketischen Richtung völlig unverständlich und unverdaulich. Wo trotzdem der Pietismus in bürgerlichen Kreisen Eingang findet, wird er leicht zur Karikatur“. Der Gemeinschaft in Leutkirch bescheinigte der Pfarrer, daß sie von ihrem Leiter geprägt war, den „ein herbes, bitteres unbelehrbares Wesen“ kennzeichnete. Trotzdem mußte auch er zugeben, daß die Mitglieder gut kirchlich gesinnt waren. Nach dem Weltkrieg hatte die Gemeinschaft, deren Leiter inzwischen 79 Jahre alt war, zwischen 30 - 40 Mitglieder. „Sie sind nicht gegen die Kirche gestellt, haben aber auch nie eine besondere Liebe oder Freundschaft gezeigt“.1283 Schon aus diesen Bemerkungen ist zu sehen, daß die Einstellung der Pfarrer zum Pietismus an manchen Orten, und vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahr- hunderts, durchaus noch von Mißtrauen geprägt war, und die Einstufung in den Pfarrberichten in die Rubrik „Pietisten und Separatisten“ macht klar, wie auch die Kirchenleitung die Gemeinschaften immer noch einschätzte. „Das Salz der Gemeinde“ wurden sie erst später. Neben den auch noch am Ende des 19. Jahrhunderts formulierten Vorbehalten gegen den Pietismus vor allem in der Gegend um Biberach, Ravensburg und Leutkirch, hatte dieser im altwürttembergischen Gebiet aber seit der Mitte des Jahrhunderts seinen Siegeszug angetreten, obwohl es auch hier Gemeinden gab, die sich mit dieser Richtung noch nicht anfreunden konnten. So schrieb beispielsweise der Pfarrer von Kuchen, Henzler, noch im Jahre 1871: „Alles, was an Pietismus grenzt, ist unverständlich und verpönt“. 1279 Volkert: Spurensuche zwischen Lörrach und St-Chrischona; Wien: 150 Jahre Pilgermission St.Chrischona; Wien: Ein Güldner Morgenstern. 1280 Karl August Julius Kalchreuter (17.11.1857 - 9.10.1943), in Leutkirch 1881 - 1902. Sigel Nr. 384,83. 1281 Pfarrbericht Leutkirch, 1895. 1282 Theodor Braun (27.4.1868 - 22.9.1935), Stadtpfarrer. in Leutkirch 1903 - 1913. Sigel Nr. 655,28 1283 Pfarrbericht Leutkirch. 1923. 330 Der Pietismus war unter König Friedrich noch ausgesprochen als Hort der Reaktion bekämpft worden. Eine Geisteshaltung, die nicht von der Vernunft bestimmt war, war dem König unverständlich. Sie waren mit "dem Zweck des Staates und dessen Interesse unvereinbar". Eine Glaubensüberzeugung, welche die Zweckbestimmung des Staates in Frage stellte, hatte keinen Anspruch auf staatliche Duldung.1284 Im Geiste der Aufklärung sollte allem hintersinnigen Grübeln ein Ende gesetzt und die "Pest der Pietisterei" mit fortschrittlichen Gedanken überwunden werden. Auch König Wilhelm übte, wie mehrfach erwähnt, seine Majestätsrechte über die Kirche in vollem Umfang aus und war nicht bereit, diese Rechte von irgend einer Seite beschränken zu lassen. Nur wo diese seine Rechte nicht berührt wurden, konnte der König seiner Kirche einen Freiraum zugestehen, wie etwa bei der Gründung von Korntal oder bei der Erlaubnis, die Abrenuntiationsformel wieder zu gebrauchen. Die Erweckungsbewegung mit Ludwig Hofacker (1798 - 1828) als bedeutendstem Vertreter hatte nicht nur eine Beschäftigung mit der wissenschaftlichen Theologie noch strikt abgelehnt, sondern sich auch aus dem politischen Bereich weitgehend zurückgezogen. Erst mit der Annäherung von König und Pietismus nach den Ereignissen von 1848, dem Zusammengehen der konservativen Kräfte, „der ausdrücklichen Abstinenz von allen politischen Umsturzversuchen und der politischen Demagogie“, dem „Eintreten für ein geordnetes, stilles Leben, von Fleiß und Ausdauer bei der Arbeit, keiner Verzweiflung bei Rückschlägen und in Notzeiten“, im Zusammengehen dieser Kräfte und in solchen Tugenden hatten König und Pietismus eine gemeinsame Linie gefunden. Mit Hilfe solcher Tugenden sollte sich nach dem Willen des Königs ein solider Wohlstand und eine glückliche Zukunft für alle entwickeln.1285 Der Pietismus hat sich in der Landeskirche nach diesen Ereignissen vor allem mit der Person von Sixt Carl von Kapff etabliert. In den Pfarrberichten wurde er aber auch in dieser Zeit weiterhin noch unter dem Stichwort „Pietisten und Separatisten“ geführt und beschrieben, und gerade diese Berichte lassen erkennen, daß die Entwicklung im Land außerordentlich differenziert war, daß aber auch ganz unterschiedliche Richtungen auf engem Raum nebeneinander existieren konnten.1286 In Altensteig hieß es schon im Pfarrbericht von 1849, daß es zwei bis drei Versammlungen von Pietisten mit 70 bis 80 Mitgliedern gab, die den „Christboten“ und die „Süddeutsche Warte“ 1287 lasen. "Der Pfarrer Matthias Küchel1288 besucht ihre Versammlungen aber nicht". 1284 Köhle-Hezinger: Irenik und Interkonfessionalismus, S. 1016; Sauer: Der Schwäbische Zar, S. 354. 1285 Schäfer: Das Haus Württemberg und die Evangelische Kirche, S. 492. 1286 Schäfer: Das Ringen um einen christlichen Staat, S. 125. 1287 Der Christenbote: eine allgemeine christliche Zeitschrift. Stuttgart 1831; Süddeutsche Warte. Religiöses und politisches Wochenblatt für das deutsche Volk. Stuttgart 1845. 1288 Matthias Küchel (16.7.1793 - 31.5.1851), Stadtpfarrer in Altensteig 1824 - 1851, Sigel Nr. 34,30. 331 1851 war die Zahl der Mitglieder gleich geblieben. Sie galten als nicht unkirchlich, da sie keiner schwärmerischen Richtung angehörten. Im Pfarr- gemeinderat waren jedoch keine Pietisten vertreten, und der Pfarrer „besucht bis jetzt ihre Versammlungen nicht“.1289 1875 war die Mitgliederzahl der Gemein- schaft auf 4 Männer und 30 Frauen geschrumpft. Es gab zu dieser Zeit eine Filiale des Wernerschen Bruderhauses in Altensteig, das auch in der Folgezeit immer wieder erwähnt wurde. Das Bruderhaus in Reutlingen hatte zwischen 1850 und 1860 mehrere sogenannte „Zweiganstalten“ gegründet, teils durch Werner selbst, teils durch seine Anhänger. Zu dieser Zeit existierten 10 solche Filialen, eine davon in Altensteig.1290 „Die Wernerianer stellen sich freundlich zur Kirche“. Sie wurden außerdem als „eine Mauer gegen die Methodisten“ gesehen, die seit 1878 in Altensteig anzutreffen waren, aber, wie der Pfarrer vermerkte, "keinen festen Boden“ gewinnen konnten".1291 In Balingen hatten sich nach dem Pfarrbericht von 1841 eine Privatversammlung der Pietisten längst aufgelöst. Drei Jahre später war zu lesen, es gebe keine Pietisten, aber der „Vikar Werner von Reutlingen bemühe sich angelegentlich, Anhänger zu werben“, und nocheinmal drei Jahre danach, also 1847: „Eine Privatversammlung von etwa 6 Pietisten findet sich je und je zur Erbauung ein. Seit 1844 sucht der sogenannte Reiseprediger Werner aus Reutlingen Anhänger zu sammeln“. 1852 gab es in Balingen immer noch keine Pietisten oder Separatisten, dafür aber religiöse Lauheit und Gleichgültigkeit, und die Erbauungsstunden des Reise- predigers Werner fanden ihr Publikum. Erst 1883 wurde wieder eine Gemeinschaft erwähnt. „Seit 30 Jahren gibt es eine altpietistische Gemeinschaft mit 20 Frauen, die treu kirchlich sind. Sekten gibt es nicht, es wäre aber besser, wenn solche vorhanden wären“(?).1292 1840 notierte der Pfarrer von Biberach, es gebe hier keine schwärmerischen oder der Kirche nachteiligen Meinungen, auch keine Seperatisten oder Pietisten.1293 „Separatisten und Pietisten gibt es nicht“, schrieb er auch in den Jahren 1846 und 1849. „Schon der Name Pietismus ist ein Schreckgespenst“ konnte man 1855 lesen. 1862 gab es „eine freireligiöse deutsch-katholische Religionsgemeinschaft“, und 1870 auch 3 Methodisten, die aber keinen Boden gewinnen konnten. 1873 vermerkte der Pfarrer, seiner Gemeinde fehle es nicht an geistlichem Sinn, sie sei aber gegen Gemeinschaften und Stunden. 1289 Pfarrbericht Altensteig, 1851. 1290 Das Königreich Württemberg, 2. Bd., S. 224. 1291 Pfarrbericht Altensteig, 1875, 1878, 1892; Das Königreich Württemberg, 2.Bd., S.224. 1292 Pfarrbericht Balingen, 1883. 1293 Pfarrbericht Biberach, 1840. 332 1882 zählte man 6 Methodisten und 30 - 40 Deutsch-Katholiken, eine Gemein- schaft, die aus dem Streit eines schlesischen Priesters (J. Ronge) mit dem Trierer Bischof entstanden war. 1845 war von ihnen eine "allgemeine christliche Kirche" in Breslau gegründet worden. 1891 gab es in Biberach immer noch keine Gemeinschaft, „aber auch wenig Spuren eines tieferen religiösen Lebens“. Das gesellige Leben war dagegen sehr in Blüte, wovon allein die 90 Wirtshäuser bei ungefähr 9 000 Einwohnern, die in den Pfarrberichten aufgezählt wurden, zeugten. „Es gelingt dem Zentrum noch nicht, bei Wahlen seinen Terrorismus durchzuführen“.1294 Seit 1896 gab es eine kleine Gemeinschaft altpietistischer Art, mit 15 Männern und 30 Frauen, aber immer noch war der Vermerk zu finden: „Für Pietismus und Sekten ist hier kein Boden". Ein irvingianischer Prediger hielt Vorträge; zu dieser Richtung gehörte 1 Familie. Spannungen gab es mit der katholischen Kirche wegen der Mischehenfrage.1295 In Böblingen hatte die Gemeinschaft der Michelianer 1862 bereits 50 Mitglieder. "Sie stehen in gutem Ruf und halten sich fleißig zur Kirche. Die Pregizerianer sind ausgestorben".1296 Drei Jahre später gab es in Böblingen auch eine Baptistin, die später aber wieder den Weg zurück in die Landeskirche gefunden hat. "Die Religionsverächter sind selten, aber es fehlt nicht an solchen, welche die Kirche nicht besuchen oder am Abendmahl nicht teilnehmen“. 1873 beklagte der Pfarrer, daß die Gemeinschaft in den letzten 3 Jahren keinen Zuwachs zu verzeichnen hatte und in ihr „kein rechtes Leben“ sei. Die Methodisten waren "kümmerlich". Ein Kirchenaustritt war bisher nicht erfolgt. Im Pfarrbericht von 1877 schrieb er: „ die Gemeinschaft hat 50 - 60 Mitglieder. Es läßt sich eine wahrnehmbare Stagnation feststellen. Sie ist aber doch "das Salz für die Gemeinde“.1297 1910 gab es jedoch in allen umliegenden Orten Hahn´sche Gemeinschaften, in Magstadt eine Gemeinschaft Korntaler Richtung, in Schönaich auch noch die Pregizerianer mit 40 Personen, ebenso in Maichingen, wo sie aber "absterbend waren". Neupietisten waren in Döffingen und Deufringen anzutreffen. "Sie besuchen den Gottesdienst, bleiben aber dem Abendmahl fern". In Eßlingen wurden schon 1845 „die hier existierenden 6 Privatversammlungen sogenannter Pietisten“ angeführt, und zwar zusammen mit Mettingen „höchstens“ 300 Personen“. Es wurde außerdem berichtet, wie viele Mitglieder die einzelnen Versammlungen aufzuweisen hatten: 1). 30 - 40 Männer, 2). 80 - 100 Frauen, 3). 40 - 50 Männer, 4). 12 - 15 Männer, 5). 20 - 25 Personen, 6). 25 - 30 Personen, und in Mettingen 20 - 25 Männer und Frauen. 1294 Pfarrbericht Biberach, 1913, S. 6. 1295 Pfarrbericht Biberach, 1901. 1296 Pfarrbericht Böblingen, 1862. 1297 Pfarrbericht Böblingen, 1877. 333 Die Personen der 4. Gruppe gehörten zu den Michelianern, die Übrigen zur Brüdergemeinde; sie waren aber alle „redliche, achtungswürdige und kirchliche Glieder“ und hatten eine freundliche Beziehung zum Geistlichen.1298 Sie hielten ihre Versammlungen sonntags, auch donnerstags und samstags ab, und diese wurden nie ungebührlich verlängert. Eigentlich waren nur 6 Glieder Michelianer, alle übrigen gehörten zur Brüdergemeinde. Seit 1854 hielt Gustav Werner auch hier ab und zu Vorträge, vier förmliche Anhänger Werners hielten sich zur Kirche. 1860 gab es nur noch 3 Gemeinschaften in Eßlingen. Dies wurde teils auf den Tod der Leiter zurückgeführt, teils aber auch auf die nun schon über 3 000 Ortsfremden in den Fabriken und „den Geist der Zeit“. Der Pfarrer sah "eine veränderte Gestaltung des sozialen, häuslichen und kirchlichen Lebens“. Seit 1880 gab es auch schon Methodisten mit einem eigenen Lokal, sowie Baptisten und Irvingianer, die sehr aggressiv waren. Nach der Jahrhundertwende gab es in Eßlingen eine Altpietistische (früher Herrnhutische) Gemeinschaft, der ungefähr 20 Männer und 80 Frauen angehörten. Es gab daneben eine Hahn´sche Gemeinschaft, die 10 bis 15 Männer und 40 bis 50 Frauen zählte. Auch ihre Stellung zur Kirche galt als durchaus freundlich. Auch im württembergischen Kernland war das Verhalten der Pfarrer zu den Gemeinschaften oft sehr zurückhaltend. Nur wenige befaßten sich eingehender mit ihren Vorstellungen, suchten einen engeren Kontakt oder besuchten gar die Versammlungen. In der Schwarzwaldgemeinde Freudenstadt wurde 1850 von dem Stadtpfarrer und Dekan Johann Georg Baur1299, der von 1842 bis 1860 in dieser Gemeinde tätig war, angegeben, es gebe keine Seperatisten, sehr wohl aber eine Privat- versammlung von ungefähr 25 Pietisten, die fleißige Kirchgänger waren. Bis 1872 hatte die Zahl der Gemeinschaftsmitglieder nicht zugenommen. Der Reiseprediger Werner kam von Zeit zu Zeit auch hierher und hielt Vorträge, "aber seine Zeit ist vorüber“. Nach der Jahrhundertwende, 1905, zählte die Gemeinschaft mit altpietistischem Charakter 4 - 500 Personen. Sprecher war der Oberlehrer Schmid, "ein durchaus ernster, recht gut meinender Mann, aber von herbem Wesen. Während er in Betätigung christlicher Liebe viel tut, stößt er doch durch manche Härte, durch scharfe, lieblose Urteile und mehr gesetzliches, als evangelisches Wesen manche ab und beeinflußt manche seiner Anhänger ungünstig. In dem Vorhandensein dieser Gemeinschaft , die bei uns nicht so häufig sich findet wie im Unterland, dürfen die Geistlichen gewiß einen Segen für die Gemeinde sehen, wenn sie auch manches bei derselben und besonders bei ihrem Sprecher anders wünschten".1300 1298 Pfarrbericht Eßlingen, 1845. 1299 Dekan Johann Georg Baur (5.4.1800 - 24.3.1868), in Freudenstadt 1842 - 1860, in Böblingen 1860 - 1868, Sigel Nr. 131,37. 1300 Pfarrbericht Freudenstadt, 1905. 334 In Großheppach wurde schon 1841 auf eine existierende Gemeinschaft Bezug genommen und von dem Pfarrverweser Jäger1301 angefügt, "die Versammlung bei Burkhard Rommel gebraucht Schriften von Michael Hahn. Die separatistische Tendenz, zu welcher sich früher diese Versammlung etwas hinneigte, scheint sich allmählich zu verwischen".1302 1849 war zu lesen: "Privatversammlungen sogenannter Pietisten werden in Groß- und Kleinheppach gehalten. a. in Großheppach betrug die Zahl der Mitglieder ungefähr 60 Männer und 20 Weiber, und von dem ledigen Stand 4 - 5 Söhne und 36 Töchter. Sprecher waren Schmied Löffler, der jedoch von vielen Seiten wenig Zutrauen genoß, sodann Gottfried Ellwanger, Schuhmacher Batz und Johann Friedrich Deihle. Die Mitglieder waren im allgemeinen angesehene Leute. Von den Sprechern waren Ellwanger und Batz sehr ehrenwerte Männer, auch Deihle stand nicht in üblem Rufe. Sie kamen in dem Hause des Gottfried Ellwanger zwischen der Morgen- und Abendkirche zusammen, oder nach der Kinderlehre am Sonntag., die Männer allein am Sonntag-Abend und am Mittwoch-Abend. Die Töchter hatten ihre Versammlung im Hause des Johannes Ellwanger Sonntag Abends. Sie dehnten ihre Zusammenkünfte nicht über die gesetzliche Zeit aus und beschäftigten sich mit Singen aus Hiller oder dem neuen Gesangbuch, mit Herzensgebet und der Betrachtung eines biblischen Abschnittes. Die Schriften, welche bei ihnen gebraucht wurden und im Umlauf waren, waren die gewöhnlichen Erbauungsbücher. Der Geistliche besuchte die Versammlungen gewöhnlich nur bei ihren Monatsstunden und hatte nichts Gesetzwidriges oder Bedenkliches gefunden. b. in Kleinheppach bestanden die Gruppen aus etwa 10 Männern und 6 ledigen Söhnen, 10 Weibern und 20 Töchtern. Sprecher waren Johann David Ebinger, Andreas Herrmann, und der Stiftspfleger Johann Georg Sauter. Die Mitglieder und die Sprecher standen in gutem Rufe. Die Männer und Weiber kamen am Sonntag in David Aeckerles Hause zwischen der Morgen- und Abendkirche zusammen, oder nach der Kinderlehre; abends in Andreas Herrmanns Hause die Männer und Söhne. In dem Hause der Witwe Lienhardt trafen sich am Sonntag Abend die Töchter. In der Woche war am Mittwoch und Samstag eine wenig besuchte Abendstunde für alle bei Andreas Herrmann. Die Mitglieder der Gemeinschaften waren sehr kirchliche Leute. Der Pfarrer hielt auch selbst Erbauungsstunden im Pfarrhause, für jedes Geschlecht besonders, der Vikar hielt solche in Gundelsbach".1303 Am Ende des Jahrhunderts, 1897, wurde vermerkt: "Die Gemeinschaft hier ist gemischt, sie ist klein und besteht aus etwa 7 Männern und 15 - 20 Frauen,. Sprecher ist Heinrich Koch und Matthäus Friedrich Ellwanger, auch Schullehrer Bojus". 1301 Pfarrverweser Gottfried Albert Christian Jäger (5.1.1810 - 8.6.1879), in Großheppach 1841 - 1844. Sigel Nr. 80,28. 1302 Pfarrbericht Großheppach, 1841. 1303 Pfarrbericht Großheppach, 1849. 335 Ganz klein war die Gemeinschaft in Kleinheppach. Dort gab es auch einige zum Methodismus hingeneigte Personen, die - wie verlautete - manchmal von Waiblingen aus besucht wurden. 1905 bestanden die Gemeinschaften in beiden Orten weiterhin, doch hatten sie durch das Ableben der fähigen Leiter einen Verlust erlitten. In Großheppach wurde 1857 vermerkt, es bestehe eine Gemeinschaft mit Hahn´schem Charakter, 4 - 5 Männer, 8 - 10 Frauen. Der Leiter war ein 85- jähriger fast blinder Greis. Die Gemeinschaft in Kleinheppach war sehr klein, zählte 5 - 6 Mitglieder und schien auch geistig sehr unbedeutend zu sein. Sie wurde von einem Bruder des Lammwirts Kimmich gehalten. Die Stunde wurde mittags von 10 - 16, abends von 30 - 36 Personen, darunter den Schwestern der Anstalt, besucht. Der Leiter der Gemeinschaft, Ellwanger war gestorben, "ein Mann von entschieden Hahnscher Richtung"1304. 1905 war im Pfarrbericht zu lesen: "Sekten haben bis daher in Großheppach keinen Boden gefunden. Nur eine einzige Baptistin findet sich noch hier. Dagegen ist in Kleinheppach ein Mann, der sich zu den Nazarenern hält, einer Gruppe, die in Ehelosigkeit lebt und deshalb vom Aussterben bedroht ist, und eine Familie von 4 Köpfen, die zu den Baptisten übergetreten ist. Das Versammlungslokal ist in Endersbach". Insbesondere war es den Methodisten gelungen, hier Eingang zu finden, obwohl man denken sollte, die ganze Art der Kleinheppacher sei dem Eindringen derselben nicht günstig. Von den 15 Personen, die bei der Volkszählung im Jahr 1900 als Angehörige der bischöflichen Methodisten bezeichnet wurden, waren nur 8 aus der Kirche ausgetreten, ein Elternpaar mit 5 Kindern und eine Frau, die inzwischen weggezogen war. Die übrigen 7, auch eine Familie mit 5 Kindern, waren nie förmlich ausgetreten und hatten sich der Landeskirche wieder genähert. Dagegen hatte sich eine andere Familie eng an die Methodisten angeschlossen und der älteste Knabe derselben war in diesem Jahre bei ihnen konfirmiert worden. Schon im März 1902 war ein alter Mann durch einen Methodistenprediger beerdigt worden. Das war aber für die Oberkirchenbehörde kein Grund gewesen, deswegen die Ausschließung seiner Angehörigen aus der Landeskirche zu verfügen. Die Methodistenstunde wurde von 20 - 25 Personen besucht, auch von Frauen, "die dieselbe aber ansehen als eine Gelegenheit, das Wort Gottes zu hören".1305 In Hall wurden 1846 zum erstenmal Pietisten erwähnt, die mit 30 Mitgliedern eine Privatversammlung abhielten. „Sie singen aus „Hillers Schatzkästlein“1306 oder dem Herrnhuter Gesangbuch, lesen das Evangelium oder Episteln. Der Geistliche besucht ihre Versammlungen nicht“. 1304 Pfarrbericht Großheppach, 1857. 1305 Pfarrbericht Großheppach, 1905. 1306 Geistliches Liederkästlein zum Lobe Gottes, bestehend aus zweimal 366 kleinen Oden über ebensoviele Bibelsprüche; in zwei Teilen; mit dem Lebenslauf des Verfassers und mit einem Anhang von Morgen- und Abendandachten, Kinder Gottes zum Dienst aufgesetzt von Philipp Friedrich Hiller (1699 - 1769). 336 1879 wurde eine kleine Gemeinschaft von etwa 12 Personen erwähnt, besucht von Chrischonabruder Limbach aus Öhringen. Der Missionar Aldinger veranstaltete Missionsstunden. Gustav Werner hielt alle 1 bis 2 Monate eine Stunde im Haus seiner Schwester, Frau Direktor Stein, vor etwa 20 Zuhörerinnen. Alle drei Kreise standen "in engem Anschluß an die Kirche“. 1882 wurde wieder eine Gemeinschaft mit 12 Personen erwähnt und angefügt, „sonst ist das Fränkische und Hällische kein günstiger Boden für Gemeinschaften, da die Franken allem Extremen abhold sind“. Geleitet wurde diese kleine Gruppe „vom Straßenwart Odenwälder, einem armen, fleißigen, kinderreichen Familien- vater von unbescholtenem Ruf und guter Kirchlichkeit, weniger michelianisch, als altpietistisch geprägt“. Der Missionar Aldinger hielt eine Missionsstunde "in einem Kreis von Frauen und Jungfrauen". Auch Gustav Werner wurde wieder erwähnt; er hielt alle 1 bis 2 Monate eine Stunde vor 20 - 30 Frauen im Schullokal. Er hatte in Wilhelmsglück eine Anstalt, in Hall eine Schwester“. Der Pfarrer Heinrich Christlieb1307 aus Heidenheim berichtete 1839 etwas ausführlicher über seine Pietistengemeinde, zu der er ein ausgesprochen gutes Verhältnis hatte: Separatisten waren dem Referenten in der Parochie zu dieser Zeit keine bekannt. Dagegen wurde jeden Sonntag eine Versammlung sogenannter Pietisten im Hause des Kaufmanns Plouquet, eines unbescholtenen Mannes, gehalten, wobei der Kupferschmid Schloderer aus Regensburg, ein Abkömmling der Salzburger Emigranten, der gerne Theologie studiert hätte, den Sprecher machte. Der Pfarrer, der ihre Versammlungen schon besucht hatte, fand in seinen Vorträgen über die Herrnhutischen Losungen viel Erbauliches. In seinen Gebeten war, nach Ansicht des Pfarrers, Salbung, im ganzen Gottesdienst nichts Anstößiges, aber viel Steifes. Auch am Sonntag Abend, oder sonst einmal in der Woche, kamen einige Witwen bei obigem Schloderer und seiner Frau zusammen und strickten für die Kinder aus Wilhelmsdorf, während Schloderer einige Betrachtungen las, einige Bemerkungen hinzusetzte, oder ein Lied nach der Korntaler Weise gesungen wurde. Sämtliche Mitglieder, ungefähr 30, waren ehrenwerte christliche Leute, die in der Gemeinde als Menschen geachtet waren, wenngleich ihre Versammlungen bespöttelt wurden. Mit dem Geistlichen standen sie im besten Vernehmen und besuchten ihre Kirche am fleißigsten, und überstürzten sich in ihren Krankenbesuchen. Neuerdings hatte sich der Reallehrer Großmann an sie angeschlossen.1308 1923 gab es in Heidenheim neben ungefähr 300 Pietisten auch die Evangelische Gemeinschaft, die neuapostolische Gemeinschaft, Sabbatisten, Milleniumsleute, Spiritisten, Anthroposophen und die Christengemeinschaft. 1307 Heinrich Christlieb (13.1.1797 - 3.10.1873), Dekan in Heidenheim 1838 - 1844, in Ludwigsburg 1844 - 1871, Sigel Nr. 120,41. 1308 Pfarrbericht Heidenheim, 1839. 337 In Herrenberg, wo „vom Ideal einer christlichen Gemeinde aus noch viel zu wünschen übrig bleibt“, gab es 1846 immerhin vier Privatversammlungen. 1). Die Altpietisten gab es schon seit vielen Jahren. Sie umfaßten 12 männliche und 20 weibliche Mitglieder. Sie lasen Schriften von Arndt, Steinhofer, Rieger und Geßner“. 2). Die Michelianer hatten 6 männliche und 20 weibliche Mitglieder. 3). Bei Bäcker Ruthard kamen seit ½ Jahr 6 Männer zusammen. Sie lasen den Christenboten, die Missionsblätter, die Neue Zeit. 4). Eine weitere Gemeinschaft bestand mit dem Sprecher Schreiner Heckenhauer, einem sehr verständigen, durchaus gediegenen Mann. Sie lasen die Schriften von Oetinger, Pfarrer Hahn, und Michael Hahn. Sämtliche Glieder der Versammlungen standen in gutem Vernehmen miteinander. Sie hatten bei der Bürgerschaft und dem Ortsvorsteher allgemein ein gutes Lob als fleißige, geordnete, rechtschaffene Leute, die durch Erfüllung ihrer religiösen, sittlichen und bürgerlichen Pflichten, auch durch tätige Menschenliebe, das Christentum empfahlen und teilweise auch einen heilsamen Einfluß auf andere Glieder der Gemeinde übten. Der Stadtpfarrer besuchte die Versammlungen 1 - 2 mal des Jahres und hatte noch nie etwas Unrechtes wahrgenommen oder sonst gehört. Die Mitglieder der Versammlungen machten häufig Besuche beim Stadtpfarrer und zeigten dabei lebhaftes Interesse für die Fragen der Kirche und des Staates.1309 1893 hatte eine Gemeinschaft Michael Hahn´scher Richtung überlebt, deren 15 männliche und 50 weibliche Mitglieder zu den zuverlässigsten Kirchengenossen zählten. Neben der in der Gemeinde allgemein beanstandeten „Langsamkeit in der Arbeit, Schläfrigkeit und Schlaffheit im ganzen Auftreten, verbunden mit ziemlich großer Selbstzufriedenheit“, bescheinigte er den Gemeinschaftsmitgliedern „Sinn für praktisches Christentum und unanstößiges Auftreten“.1310 In der Nachbargemeinde Holzgerlingen hatte die Gemeinschaft der Michelianer 40 - 50 Mitglieder, die sich Sonntags und Mittwochs versammelten, um sich namentlich an den Werken von Arndt, Oetinger, Rieger, Hofacker I. und II., Gerok und anderen zu erbauen. Es waren meist ehrbare Leute von stillem Wandel, ein vernünftiges, praktisches Christentum suchend und lebend, fleißige Kirchgänger, die sich auch im Privatleben Achtung erwarben und solche noch mehr verdienen würden, wenn sie in der Wahl ihrer Anhänger etwas vorsichtiger wären. Sprecher war Jacob Wanner, Bauer und Wagner, 67 Jahre alt, Pfarrgemeiderat, Herbergs- vater, ein in der ganzen Gemeinde geachteter Mann, dem es wirklich um die gute Sache zu tun war. Sekten waren nicht vorhanden. Die sogenannten Methodisten (Evangelische Gemeinschaft) waren gut kirchlich und nahmen am Sonntagsgottesdienst vor- und nachmittags , wie am Abendmahl, regelmäßig teil, waren auch sonst geordnete Leute. 1309 Pfarrbericht Herrenberg, 1846. 1310 Pfarrbericht Herrenberg, 1893. 338 Ein Umsichgreifen dieser Richtung war nicht zu befürchten und ließ, nach Ansicht des Pfarrers, bei ruhiger und fester Haltung des Konvents und Pfarrgemeiderats, wie sie von Anfang an eingehalten wurde, eher ein Zurückgehen der Sache erwarten. "Spötter und Religionsverächter waren etliche da, aber sie sind gestorben und verdorben, ohne viel zu schaden, weil ihr Leben sie gerichtet hat“.1311 Ab 1873 hielten die Methodisten ihre Gottesdienste in einer eigenen Kapelle ab. Zwölf von ihnen waren formell aus der Evangelischen Kirche ausgetreten. Der Prediger war nach dem größeren Böblingen verzogen. Der Hahn´schen Gemeinschaft wurde in dieser Zeit vom Pfarrer „ein reich entwickeltes, geistiges Leben“ bestätigt.1312 In Kuchen wurden die Pietisten erstmals 1843 erwähnt: „Ein kleines Häuflein sogenannter Pietisten ist seit drei Jahren entstanden, welches 12 bis 15 Personen ausmacht. Die Bücher, die sie benutzen, sind die Heilige Schrift, Christoph Oetingers und Hosers Predigten und Schriften“. 1871 vermerkte der Pfarrer Johannes Henzler1313 zu der in Kuchen schon länger bestehenden Gemeinschaft von Altpietisten, sie seien mit „Michelianischem Einschlag", aus etwa 15 Mitgliedern bestehend. Sie waren kirchlich und führten einen ehrbaren Wandel. Ihre Versammlungen "finden nicht zur Unzeit statt“.1314 Im Pfarrbericht von Langenburg von 1868 hieß es, einige wenige Gemeindeglieder kämen bei der Lehrerin zu Gebet und Schriftlektüre zusammen. Ein Antrag auf Privaterbauungsstunden war im Pfarrgemeinderat abgelehnt worden.1315 1873 war es dann ein ganz kleiner Kreis, der sich zweimal in der Woche versammelte. Die verbreitetsten und gebräuchlichsten Bücher waren: Stark, Arndt, Brastberger, Hauber, Hofacker, Kapff und Gerok. Sekten hatten noch keinen Eingang gefunden. 1879 wurde als „Besondere Erscheinungen auf religiösem Gebiet“ wieder daran erinnert: „Sekten sind hier nicht, wohl aber findet hier nach altwürttembergischer Art alle Sonntage eine „Versammlung“ statt, bei der 10 - 12 Gemeindeglieder regelmäßig sich einfinden. Gewöhnlich wird eine Predigt vorgelesen und ein Gebet gesprochen". Alle 4 Wochen erschien der Missionsarbeiter Lienhardt von Giengen, um die Versammlung zu leiten. Derselbe wurde als aufrichtiger, ernster Christ bezeichnet, der mit dem Pfarramt immer in freundlicher Fühlung blieb“.1316 1891 wurde berichtet: „Der Pietismus hat, wie in den meisten hohenlohischen Gemeinden, beschränkten Boden. Die Gemeinschaft hat sich durch Anschluß Wirths an die Irvingianer so gut wie aufgelöst“. 1311 Pfarrbericht Holzgerlingen, 1869. 1312 Pfarrbericht Holzgerlingen, 1905. 1313 Johannes Henzler (28.3.1800 - 6.7.1872), Dekan in Kuchen 1861 - 1872, Sigel Nr. 13,26. 1314 Pfarrbericht Kuchen, 1871. 1315 Pfarrbericht Langenburg, 1868. 1316 Pfarrbericht Langenburg, 1879. 339 Auch 1903 hatte sich die Situation nicht geändert: „Für eine ausgedehnte Vereinsarbeit (des Pietismus) ist hier kein Boden“.1317 In Leonberg gab es schon früh pietistisches Gedankengut. Adam Gottlob Weigen (1677 - 1727) war dem Konsistorium deswegen unangenehm aufgefallen.1318 Im Jahre 1762 gab es eine Gemeinschaft, zunächst von etlichen Frauen. Die Leitung hatte ein Vikar Groß, der später Waisenhauspfarrer in Stuttgart wurde. Anfangs des 19. Jahrhunderts wurde Leonberg ein Brennpunkt des württem- bergischen Gemeinschaftswesens durch Gottlieb Wilhelm Hoffmann, einen pietistisch geprägten Pfarrerssohn, den späteren Notar und Bürgermeister von Korntal, und den Kaufmann Joseph Josenhans.1319 Beide waren 1812 an der Gründung der Württembergischen Bibelanstalt, 1815 der Basler Missions- gesellschaft, 1816 des Missionsvereins in Leonberg und 1825 in Calw, und 1818 an der Gründung von Korntal maßgeblich beteiligt. Josenhans stand auch in Verbindung "mit erweckten Katholiken".1320 1841 gab es in Leonberg zwei Privatversammlungen von Pietisten. "Es sind 20 Männer und 20 Frauen, die am Sonntag und einmal in der Woche eine Erbauungsstunde halten. Es wird gebetet, gesungen, es werden religiöse Gespräche geführt und der „Christenbote“ verlesen". Die Versammlung wurde ab und zu vom Pfarrer M. Ludwig Heinrich Kapff besucht, wobei von ihm nichts Bedenkliches festgestellt werden konnte. Die Mitglieder standen in gutem Ruf, waren kirchlich, und die Sprecher waren gerechte Männer.1321 1850 war die Zahl der Privatversammlungen auf drei angewachsen. Die Sprecher standen in gutem Ruf, waren besonnene christliche Männer und wichen nicht vom lutherischen Glaubensbekenntnis ab. Die Pietisten hielten sich von den Bestrebungen Christoph Hoffmanns fern. Dieser, der Sohn des Gründers von Korntal, war 1837 zusammen mit den Brüdern Paulus Begründer der Lehranstalt auf dem Salon bei Ludwigsburg. Er separierte sich von der Landeskirche und der pietistischen Richtung eines Sixt Carl von Kapff. Die von ihm gegründeten „Jerusalemfreunde“ zogen 1868 nach Palästina und gründeten dort Siedlungen in Haifa und Jaffa, in der Nähe von Jerusalem.1322 Bereits damals, in der Mitte des Jahrhunderts, wurde der Pietismus von Leonberg und Korntal als "der Diözese segensreich" gesehen.1323 1879 wurde in Leonberg aber auch die erste Zivilehe erwähnt: „ein Stuttgarter Taglöhner mit einer verkommenen Person von hier“ ließ sich nur standesamtlich trauen. 1880 hatte die altpietistische Gemeinschaft 50 - 60 Mitglieder. Sie versammelte sich im Hause des Gerbers und Pfarrgemeinderats Gottlob Josenhans, der die Stunde leitete, und der als nüchterner und einfacher evangelischen Mann 1317 Pfarrbericht Langenburg, 1891, 1903. 1318 Jung: Der Pietismus in Leonberg. BWKG 98 (1998), S. 49 - 65. Weigen hat ein Buch über den Tierschutz veröffentlicht: De jure hominis in creaturo (1761). 1319 Jung: Der Pietismus in Leonberg. BWKG 98 (1998), S. 49 - 65. 1320 Pfarrbeschreibung Leonberg, 1905; Benrath: Die Erweckung innerhalb der deutschen Landeskirche, S. 237. 1321 Ludwig Heinrich Kapff (5.9.1802 - 26.2.1869), Dekan in Leonberg 1839 - 1843. Sigel Nr. 93,4. 1322 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 266; Carmel: Christoph Hoffmann, S. 25. 1323 Pfarrbericht Leonberg, 1850. 340 beschrieben wurde. Die Mitglieder waren regelmäßige Kirchgänger und standen in der Gemeinde in gutem Ruf. Sie lasen und besprachen hauptsächlich Predigten, besonders das große Hausbuch von Bogatsky. Die Gemeinschaft war leider im Rückgang begriffen, da Gottlob Josenhans, über 70 Jahre alt, seit einiger Zeit fast nichts mehr hörte und ein tüchtiger Nachwuchs fehlte. 1895 leitete Josenhans, nunmehr 85 Jahre alt, die Gemeinschaft immer noch, und auch hier wurde wieder bedauert, daß ein tüchtiger Nachwuchs nicht vorhanden war. Allerdings gab es anscheinend wenigstens einen Stellvertreter: „Außer ihm (Josenhans) spricht in der Versammlung Gottlieb Ackermann, Weingärtner, ein sehr achtenswerter Mann“. Die Methodisten hatten 1880 schon ein eigenes Lokal gemietet. Ihr Prediger kam von Eltingen, wo sie eine Kapelle besaßen. Sie hielten regelmäßig Abendstunden, die aber nicht stark besucht wurden. Aus der Landeskirche war noch keiner ausgetreten. 1895 hatten sie nur noch einige, wenige Anhänger und machen nicht mehr von sich reden“. Sie hingen auch 1905 „noch lose mit der Kirche zusammen“. 1913 wurde die Pietistische Gemeinschaft dann im Pfarrbericht als "engherzig" bezeichnet.1324 In Nagold wurde 1841 über die bestehenden drei Privatversammlungen vermerkt, daß die Mitglieder zwar „in einem üblen Ruf“ standen, daß andererseits aber Bedenkliches oder Gesetzwidriges nicht vorkomme. Gegen Ende des Jahrhunderts waren es noch zwei Gemeinschaften, die sich in eine Hahn´sche und eine Zeller1325-Stunde aufgliederten, die sehr freundlich zueinander standen. Beide waren, „die Hahn´sche tatsächlich, die Zeller-Stunde grundsätzlich, entschieden kirchlich gesinnt“. Später waren es sogar wieder vier Gemeinschaften, die zu den treuesten Kirchenbesuchern und Gemeindegliedern gehörten.1326 Die Gemeinschaften waren in dieser Zeit ein Rückhalt im Gemeindeleben und wurden von den Pfarrern als treue Glieder ihrer Gemeinde anerkannt. Schon 1877 hatte sich in Nagold ein Methodistenprediger niedergelassen, der auch die umliegenden Gemeinden besuchte. Er hatte erreicht, daß vier Austritte aus der evangelischen Landeskirche erfolgt waren. 1898 wurde vermerkt: daß 20 bischöfliche Methodisten sich der Kirche gegenüber freundlich verhielten, allerdings aus ihr ausgetreten waren. Sie besuchten aber dennoch ab und zu die evangelischen Gottesdienste. "Sie gehen rückwärts, bauen aber trotzdem eine Kapelle, haben ihren Saal verkauft“. Die Baptisten, 12 Personen, die sonntags nach Haiterbach pilgerten, hatten dagegen mit der Kirche gründlich gebrochen. Die Katholiken hielten alle vierzehn Tage ihren Gottesdienst in einem gemieteten Betsaal. Ihr Pfarrer, der Parochus Seifried, kam aus Rohrdorf. Von Gündringen kommende Katholiken waren unter dem Einfluß ihres Pfarrers stark bigott. 1327 1324 Pfarrbericht Leonberg, 1880, 1913. 1325 Dr. Heinrich Zeller, gest. 1864. 1838 Kleinkinderpflege, 1880 Krankenpflegestiftung eingerichtet. 1326 Pfarrbericht Nagold, 1841, 1898. 1327 Pfarrbericht Nagold, 1898. 341 In Öhringen betonte der Pfarrer 1847, daß es keine „Pietistenkonventikel“ gab. Er kannte zwar einige Gemeindegenossen, die sich dieser Richtung zuzuneigen schienen, und er erwähnte auch, daß sie unbescholten waren. Drei Jahre später scheint sich aber doch eine Gemeinschaft etabliert zu haben. „Vorhandene Pietisten sind unbescholten". Die kirchlichen Stunden wurden von Emissionären der Evangelischen Gesellschaft gehalten. Die Bemerkungen waren immer sehr kurz. 1877 hieß es: „Es wird Stunde gehalten, etwa 30 Personen aus 10 Familien“. Oder 1886: „Es besteht eine kleine Gemeinschaft mit michelianischem Charakter". Die Leitung hatte der Reise- prediger Johann Friedrich Ostertag (1803 - 1885), von Chrischona bei Basel, der auch die Sonntagsschule leitete. Diese Richtung war sonst hauptsächlich im Oberland vertreten. Es bestand ein freundliches Verhältnis zur Kirche.1328 Daß es aber mit den Gemeinschaften auch Schwierigkeiten geben konnte, zeigt der Bericht des Pfarrers von Öhringen aus dem Jahre 1910. Er hatte in seiner pietistischen Gemeinschaft ungefähr 40 Personen, „meist harmlose, zum Teil höchst achtbare Leute, die voll Eifer und Opferwilligkeit eine Stütze für die Kirche und das geistliche Amt sein könnten, wenn sie anders geleitet würden“. „Ich habe in einem besonderen, ausführlichen Bericht an die K. General- Superintendenz gezeigt, wie viel die von dem altpietistischen Brüderwart in Stuttgart der hiesigen Gemeinschaft gesandten Gemeinschaftspfleger Levi und nach ihm Baumeister dem hiesigen Geistlichen und dem Kirchengemeinderat schon zu schaffen gemacht haben, wie gewaltsam Levi sich der Leitung des hiesigen Jünglingsvereines sich bemächtigte, wie er gegen den Willen des Kirchengemeinderats die Zimmermann´sche Evangelisation in hiesiger Stadt durchsetzte, mit der wir keine guten Erfahrungen gemacht haben, und wie Baumeister in die Fußstapfen seines Vorgängers trat“. Hierzu bemerkte der Superintendent: „Da keiner der Geistlichen mit dem Gemeinschaftskreise nähere Fühlung hat, so ist. es nicht zu verwundern, daß die Gemeinschaft selbständige Wege geht und ein tatkräftiger Gemeinschaftspfleger wie Baumeister einen ziemlich großen Einfluß gewinnen kann. Baumeister will das Gute, hat aber namentlich dem Dekan gegenüber durch rechthaberisches und selbstbewußtes Auftreten Fehler gemacht. Bei einem Besuch in der Gemeinschaft bin ich sehr freundlich aufgenommen worden und habe mich überzeugt, daß durchaus kein Gegensatz gegen die Kirche vorhanden ist“.1329 In Ravensburg wurde im Pfarrbericht von 1840 ein günstiges Urteil über die Pietisten abgegeben, die dort anscheinend schon seit einiger Zeit existent waren. „Die Pietisten gehen ihren stillen Gang fort. Ein Zuwachs wird nicht wahrgenommen. Die Kirche besuchen sie fleißig. Ihr stilles, ruhiges, arbeitsames Leben könnte für andere erbaulich sein, und die Genußsüchtigen dürften sich ein Beispiel an ihnen nehmen“.1330 1328 Pfarrbericht Öhringen, 1886, 1889, 1895. 1329 Pfarrbericht Öhringen, 1910, S. 15. 1330 Pfarrbericht Ravensburg, 1840, 1848. 342 1846 wurde von dem drei Jahre zuvor neugekommenen Stadtpfarrer und Dekan Johann August Beigel1331 angegeben, daß einige Pietisten vorhanden waren und gewöhnlich am Sonntag, zuweilen an einem Werktag, ihre Zusammenkünfte abhielten. „Sie enthalten sich jedoch der Proselytenmacherei, leben still und eingezogen und befleißigen sich eines guten Wandels. In ihren Zusammekünften lesen sie Abschnitte aus der Bibel, und die Schriften der Missionsanstalt in Basel“. 1858 hieß es sehr reserviert nur: „Gemeinschaften eigentlich keine, aber 15 - 20 Handwerker treffen sich zur religiösen Erbauung“. Diese Zahl wurde bis zum Ende des Jahrhunderts kaum überschritten. Auch um die Jahrhundertwende waren es 25 - 30 Leute. Schon 1867 vermerkte der Pfarrer sehr positiv, daß die Pietisten "ohne unfreundliche Haltung zur Kirche" seien. 1332 Am Dekanatssitz in Schorndorf gab es bereits im Jahre 1840 vier Privatversammlungen, die ungefähr 200 Pietisten „Herrnhuter Färbung“ umfaßten. Im Gegensatz hierzu war „in allen umliegenden Orten die michelianisch- pregizerianische Sekte vorherrschend“, von der ein Mitglied auch in Schorndorf anzutreffen war. In Grunbach existierte daneben noch eine „Neukirchliche Sekte“ mit zwölf Mitgliedern, „aus den Pietisten hervorgegangen“, bei der ein Sohn die Konfirmation verweigert hatte und wo verlautete, „daß sie sich auch der Trauung durch die Kirche entziehen wollten“. 1851 war in Schorndorf die Zahl der Pietisten, die sich das „Herrnhutische bewahrt haben“, auf 300 gestiegen, und der Kaufmann Weil, ein einflußreicher Bürger und achtungswerter Mann, welcher der Sache sein persönliches Ansehen lieh, der für Erbauungsschriften sorgte und das sittliche Verhalten überwachte, hatte der Gemeinschaft für ihre Zusammenkünfte ein eigenes Lokal erbaut. Bereits in diesem Jahr war die Einstellung des Pfarrers zu den Pietisten sehr positiv. Er schrieb: „Pietismus ist eine wohltätige Kraft“, und auch 1857 war zu lesen: „Ständig 200 Pietisten. Sind der beste Teil der Gemeinde, mit Erbauung und Besserung als Ziel“.1333 1878 gab es in der Parochie 320 bis 340 Pietisten, der Brüdergemeinde zugeneigt. Sie hatten seit 1887 einen eigenen Betsaal mit einer Predigerwohnung.1334 Daneben gab es nun aber auch schon einige Mitglieder von Sekten. Der Pfarrer von Simmersfeld erwähnte 1868, daß die Gemeinschaft in seiner Gemeinde eine „pregizerische Färbung“ habe und daß es Schwierigkeiten mit der übrigen Gemeinde gebe. „Reinhardt und seine Anhänger sehen mit Verachtung auf die Kirche herab, doch entziehen sich nicht alle dem Besuch des öffentlichen Gottesdienstes, beim Abendmahl erscheinen sie sogar miteinander“. 1331 Dekan Johann August Beigel (19.4.1796 -30.6.1862), Dekan in Ravensburg 1843-1862, Sigel Nr. 920,5. 1332 Pfarrbericht Ravensburg, 1846. 1333 Pfarrbericht Schorndorf, 1840, 1851, 1857. 1334 Pfarrbericht Schorndorf, 1878, 1887. 343 Im benachbarten Beuren gehörten im Jahre 1868 drei ältere Mädchen zu den Jerusalemfreunden. 1910 sah der Geistliche die zwei Privatversammlungen "der sogenannten Pietisten" in seinem Dorf um der Lage und um der weiten Entfernung von der Kirche willen als ein Bedürfnis, auch wegen der übergroßen Armut der Bewohner dieses Tals eine Hinneigung zu den Tröstungen christlicher Beschauung und Andachtsübung als durchaus erklärlich. Der Dekan fügte diesem Vermerk an, über die pietistischen Versammlungen im Enztal sei nichts Ungesetzliches bekannt.1335 In Stuttgart existierten bereits 1820 schon 36 Privatversammlungen „in einigen Honoratioren- und Bürgerhäusern an Sonnen- und Feiertagen nachmittags nach geendigtem Gottesdienst, zum Teil auch an Wochentagen, aber meistens nicht bis in die Nacht hinein. So viel man dies Orts weiß, ist in gesetzlicher Beziehung gegen diese Versammlungen im Ganzen nichts zu klagen, ob sie schon einander in Absicht des in ihnen waltenden Geistes, der Ansichten, denen sie folgen - es gibt auch solche, die in Hinsicht auf die Wirkungen der Begnadigung zur Lehre der sogenannten Seligen (also der Pregizerianer) sich halten - und des Charakters ihrer Oberhäupter nicht ganz gleichen".1336 Seit 1842 hielt der Predigtamtskandidat Werner aus Reutlingen von Zeit zu Zeit Vorträge. Er durfte aber seit 1851, seit er offiziell aus dem Kreis der Kandidaten gestrichen worden war, keine Kirche mehr benutzen, und 1860 wurde angemerkt, daß die Zahl seiner Anhänger abgenommen habe.1337 Paul Wurster stellte in seiner Betrachtung über das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche um 1875 fest: „Der alteingesessene Bürgerstand, auch ein guter Teil der vermöglichen Kreise, hat kirchlichen Sinn, pflegt übrigens nicht geringe Ansprüche an den Prediger zu machen. Zu beachten ist ferner die große Zahl derer, die dem stark entwickelten christlichen Vereinswesen zugehören, endlich die nicht unbeträchtlichen Besucher aus den Kreisen der Gemeinschaften. Alles dies darf jedoch nicht darüber täuschen, daß auch bei ganz vollen Kirchen das Verhältnis der Kirchenbesucher zur Gesamtbevölkerung ein sehr bescheidenes ist“. Über die Gemeinschaften in der Landeshauptstadt schrieb er: „Gemeinschaften hat Stuttgart in allen Schattierungen: lutherisch, altpietistisch, hahnisch, und seit der Ära Smith auch neupietistisch. Die letztere Gemeinschaft ist die größte, einflußreichste und bestgeleitetste, aber auch am meisten dem Methodismus zugeordnet, gegen Kirche und Geistlichkeit kritisch und neuen Heiligungsmoden und -methoden zugänglich (Enthaltsamkeitsgelübde, Weglassen des Arztes bei Krankheiten)“.1338 1335 Pfarrbericht Simmersfeld, 1905. 1336 Pfarrbericht Stiftskirche Stuttgart, 1820. 1337 Pfarrbericht Stiftskirche Stuttgart, 1860. 1338 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 83. 344 Nachdem der Pfarrer in den fünfziger und sechziger Jahren über einen Niedergang des christlichen Lebens auch in den Gemeinschaften geklagt hatte, zeigten die Jahre 1874 und vor allem 1875 eine kräftige Neubelebung des Christentums durch die „Oxfordbewegung".1339. Der Leiter dieser Bewegung, der Fabrikant Robert Pearsall Smith, kam 1875 auch nach Stuttgart und fand dort einen großen Zulauf. Er predigte in der Leonhards- kirche und in der Liederhalle, und es wurde berichtet, daß er an einem Sonntag vor über 1 200 Arbeitern über den verlorenen Sohn gesprochen habe. „Am Schluß lagen fast alle auf den Knien und sprachen nach: "Gott sei mir Sünder gnädig". Man rühmte die nicht bloß sündenvergebende, sondern von allen Sünden völlig befreiende und heiligende Kraft des Glaubens.1340 Die Gemeinschaften spalteten sich im Laufe der Jahre weiter auf. 1890 gab es „eine Hahn´sche Gemeinschaft, eine Gemeinschaft, die aus einer solchen hervorgegangen war, eine altpietistische Gemeinschaft, eine lutherische Gemeinschaft und daneben die Pregizerianer“. In einer Gemeinde im Süden des Landes, in Tuttlingen, konnte der Pfarrer 1841 berichten: „Schwärmerische, der praktischen Religion nachteilige Meinungen, werden bei der Gemeinde nicht angetroffen, aber es fehlt nicht an Aberglauben aller Art und einer zu sinnlichen Auffassung der Glaubenswahrheiten. Verwechslung von Traumgebilden und Visionen kommen besonders bei der älteren Generation nicht selten vor". Seperatisten gab es keine. Es bestanden aber drei Privatversammlungen. Die Zahl ihrer Mitglieder mochte ungefähr 65 betragen. Diese standen, wenigstens dem größten Teile nach, in gutem Rufe und gehörten zu den fleißigsten Kirchgängern. 1341 Hierzu bemerkte der Dekan, es seien hier keine Separatisten, aber etwa 65 Pietisten in 3 Versammlungen. An ihren Grundsätzen und ihrem Verhalten sei nichts zu tadeln“. Separatisten und Pietisten wurden also 1841 auch in Tuttlingen immer noch zusammenhängend erwähnt. Zu den Privatversammlungen merkte der Pfarrer an, daß er, obwohl er mit mehreren Mitgliedern in näherer Bekanntschaft und gutem Vernehmen stehe, die Versammlungen selbst noch nicht besucht habe. Dagegen habe der abgegangene Diakon die Versammlungen bisweilen besucht, aber „durchaus nichts Bedenkliches oder Gesetzwidriges darin gefunden. Wie denn auch die Mitglieder durchaus nichts Sektiererisches an sich hätten".1342 Auch 1850 hatte man „keine Widrigkeiten gegen Pietisten“ feststellen können. Der Pfarrer schrieb vielmehr, daß man in den ehrbaren Bürgerfamilien von ehemaligen rechtschaffenen Christen, die zugleich erklärte Pietisten waren, nur mit Achtung sprechen höre.1343 1339 Keller-Hüschemenger: Die Lehre der Kirche in der Oxford-Bewegung. 1340 Buck: Bilder aus dem christlichen Leben Württembergs, II., S. 44. 1341 Pfarrbericht Tuttlingen, 1841. 1342 Pfarrbericht Tuttlingen, 1841. 1343 Pfarrbericht Tuttlingen, 1850. 345 Die Gemeinschaft, die alle 14 Tage von einem Chrischona-Prediger besucht wurde, umfaßte in den achtziger Jahren ungefähr 30 bis 40 Personen. „Sie gehören zum Kern der Gemeinde, stehen aber auch in Verbindung mit den Michelianern in der Baar“. Zu dieser Zeit waren allerdings in Tuttlingen schon hundert bis zweihundert Personen zu den Methodisten übergewechselt, die eine eigene Kinder-Sonntags- schule mit ungefähr 80 Kindern unterhielten. In Winterbach, also in unmittelbarer Nähe von Schorndorf, gab es im Jahre 1850 nach Auskunft des. Pfarrberichts keine schwärmerischen oder separatistischen Neigungen. Es gab damals aber sehr wohl zwei Privatversammlungen mit 55 Mitgliedern, zwei weitere in den Filialorten Hebsack (26 Mitglieder) und Rohrbronn (28 Mitglieder). Winterbach hatte damals 2 158 Protestanten, Hebsack 808, und Rohrbronn 375. Der Anteil der Privatversammlungen war also in Winterbach 2,55%, in Hebsack 3,21% und in Rohrbronn 7,46%. Im Gegensatz zu Schorndorf waren es hier aber „Michelianer“, deren Sprecher „wackere, verständige, in der Gemeinde geachtete Leute“ waren, und die in ihren Stunden Schriften von Michael Hahn lasen. Es bestand eine Neigung zur Brüdergemeinde, deren Lieder auch gesungen wurden. 1852 hatten sich die beiden Gemeinschaften in Michelianer mit 55 Mitgliedern, und in Altpietisten mit ebenfalls 55 Mitgliedern getrennt. Auch hier galten diese Gemeinschaften als „der Kern der Gemeinde“ und ihre Mitglieder standen „in gutem Ansehen“.1344 Es galt als ein Charakteristikum Württembergs, daß es als das Land gesehen wurde, in dem der Pietismus am festesten und dauerhaftesten Wurzeln geschlagen hatte, und dies schon in einer sehr frühen Zeit.1345 Durch das am 10. Oktober 1743 erlassene „Pietistenreskript“, war die spezifisch pietistische Gemeinschaftsform in der württembergischen Landeskirche heimisch geworden.1346 Dadurch war eine Mitarbeit der Laien in der Kirche wieder möglich, die neue Initiativen entwickelten, die der Behandlung theologischer Fragen einen weiten Freiraum verschafften und der Pietät, dem religiösen Leben, mit ihrer Herzensfrömmigkeit neue Impulse verliehen, während die Amtskirche sich weitgehend darauf beschränkte, ihre überlieferten Formen zu erhalten und zu verwalten. 1344 Pfarrbericht Winterbach 1850, 1852. 1345 Wallmann: Der Pietismus, S. 123. 1346 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 204; Beyreuther: Geschichte des Pietismus, S. 256. 346 In der Person von Kapff hat der Pietismus in der Zeit nach 1848 die Verbindung zur Landeskirche nie verloren. Ihm war der Zusammenhalt von Geistlichen und Laien immer wichtig. Er hat dem Pietismus zu einer Bedeutung verholfen, welche die Mitte dieses Jahrhunderts in Württemberg geprägt hat. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß Kapff ständig im Kampf „gegen die Geister seiner Zeit“ stand. Er klagte fast die ganze gebildete Welt des Unglaubens an. Diese Männer waren für ihn "Menschen ohne Religion, ohne Gewissen, ohne Scham, Götzendiener des Bauchs und der Wollust, Prediger des Lasters und der Zerstörung aller bestehenden Verhältnisse".1347 Er hat Goethe und Schiller vorgeworfen, sich wohl um die „Verbesserung des Stils und die Veredelung des Geschmacks, doch nie um die Vorbereitung auf das ewige Leben gekümmert zu haben“.1348 Er hat auch maßgebend dazu beigetragen, daß beispielsweise ein Gustav Werner aus dem Kirchendienst entlassen wurde, weil er für dessen „Sektierertum“ kein Verständnis hatte. Durch den Pietismus wurde auch die Frau in ihrem Wert gehoben und erhielt eine größere Selbständigkeit.1349 Beate Paulus, die Tochter von Philipp Matthäus Hahn, sah es noch als ihre vordringliche Aufgabe, "danach zu trachten, daß sie ihrem Manne gefalle und er mit ihr zufrieden sein könne".1350 "Die verständige, fromme und fleißige Frau, die Seele des ganzen Hauses", war noch das Ideal der Anfangszeit.1351 Dagegen bemühte sich der Pietismus schon früh und ganz allgemein um die Verbesserung des Schulunterrichts und die Weiterbildung der Erwachsenen, und vor allem um die Mädchenerziehung und Mädchenbildung war ihm ein besonderes Anliegen. Andererseits ist unbestritten, daß der Pietismus auch seine Schwächen hatte, daß er zu einer Verengung und Verkümmerung, auch zum Hochmut anderen gegenüber führen konnte. Er fand auch keine Antwort auf die soziologischen Veränderungen seiner Zeit, und er hatte vor allem kein Verständnis für den neu erwachsenen Stand der Industriearbeiter. Kapffs Bemühen um einen christlichen Staat hat den württembergischen Pietismus in die Innerlichkeit und in ein noch stärkeres Verharren in konservativer Bürgerlichkeit geführt.1352 Als ein Beispiel darf der Pfarrer von Weil im Dorf, Dr. Johann August Friedrich Baur1353, zitiert werden, der in seinem Bericht von 1888 schrieb: "Neben dem unverkennbaren Segen (der Gemeinschaften) für das kirchliche Leben gibt es doch auch Gefahren und Schattenseiten, die öfters ziemlich scharf hervortreten: Musterfrömmigkeit, Engherzigkeit, Beschränktheit in der Beurteilung anderer, geistliche Wichtigtuerei und Eitelkeit".1354 1347 Schröder: Sixt Carl Kapff, S. 320. 1348 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 406. 1349 Beyreuther: Geschichte des Pietismus, S. 343. 1350 Philipp Paulus: Beate Paulus, S. 32. 1351 Köhle-Hezinger: Philipp Mathäus Hahn und die Frauen. S. 115. 1352 Ehmer-Sträter: Pietismus und Neuzeit, S. 307; Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 259. 1353 D. Johann August Friedrich Baur (17.12.1844 - 26.3.1926), Pfarrer in Weil im Dorf 1879 - 1890, Dekan und Stadtpfarrer in Münsingen 1890 - 1897, Sigel Nr. 751,32. 1354 Pfarrbericht Weil im Dorf, 1888. 347 Trotzdem blieben die Pietisten bis zur Jahrhundertwende und darüber hinaus der christliche Kern der Gemeinde, der zwar zunächst noch an alten Vorstellungen festhielt, aber dann doch versuchte, neue Wege zu finden und die Kirche den veränderten Gegebenheiten anzupassen. Die Pfarrberichte als einzigartige Quelle zeigen deutlich die geistige Differenziertheit der Gemeinden im 19. und frühen 20. Jahrhundert auf. Hier konnten immer exemplarisch die Berichte relevanter Gemeinden aus typischen Teilen der Landeskirche ausgewertet werden. Eine flächendeckende Auswertung konnte die Verbreitung der Gemeinschaften in Württemberg und deren Entwicklung über anderhalb Jahrhunderte, ihre geistigen Aktivitäten, ihr Verhältnis zum einzelnen Pfarrer und zur Landeskirche, sowie ihre Bedeutung für das örtliche Gemeindeleben sichtbar machen. Als wichtigste Ergebnisse lassen sich bis jetzt festhalten: Nach den noch sehr konservativen ersten drei Landessynoden zeigte die einsetzende Diskussion, daß die Landeskirche durchaus zu Neuerungen fähig war, wobei selbstverständlich die Verkündigung des Wortes weiterhin an erster Stelle stehen sollte und mußte.1355 Die große neue Entwicklung wurde dann durch Albrecht Benjamin Ritschl (1822 - 1889) eingeleitet. Er schrieb bereits 1846 ein Buch über das "Evangelium Marconis" und das kanonische "Evangelium des Lukas"". Mit seiner 1870 erschienenen "Rechtfertigung und Versöhnung" begann sein Siegeslauf. 1356 Er eröffnete mit seiner theologischen Kritik der Methaphysik der christliche Theologie die Möglichkeit, sich von der Einbettung in die Philosophie zu lösen und zu etwas Eigenem zu finden. Mit ihm hat das Zeitalter der spekulativen Theologie seinen Abschluß gefunden.1357 Die Theologengeneration, die zum Jahrhundertende heranwuchs, war von ihm geprägt. Er hat die Ethik des bürgerlichen Berufes und des Alltags betont und bei den jungen Theologen eine breite Anhängerschaft gefunden. "Wie ein überschießender Frühlingsstrom überfluteten die Ritschelschen Gedankengänge die von einer vorsichtigen Vermittlungstheologie gezogenen Grenzlinien".1358 Auch Adolf von Harnack (1851 - 1930), Professor in Gießen, Marburg und Berlin, war von Einfluß, der mit seiner Dogmengeschichte ebenfalls die Theologie endgültig von der Philosophie löste und zur Geschichte der Kirche und der Theologie zurückfinden wollte, der dann auch eine Rolle in dem beginnenden Bekenntnisstreit spielte.1359 1355 Lempp: Der württembergische Synodus. BWKG 1959, Sonderheft 12. 1356 Albrecht Ritschl: Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, 1870; Borst: Baurs Schwäbische Historische Schule, S. 338. 1357 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 279. 1358 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 429. 1359 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 279; Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche, in Württemberg, S. 434. 348 Harnack war die ideale Verbindung eines liberal denkenden Menschen, eines Kirchenhistorikers und Lutheraners, und auch er hat der jungen Generation sehr viel bedeutet.1360 Durch die Berufung Adolf Schlatters (1852 - 1938), der als ein Gegengewicht gegen den überragenden Einfluß Harnacks im Jahre 1898 auf eine neue Professur berufen wurde, wurden die neutestamentlichen und systematischen Arbeiten weiter ausgebaut, wie das in Tübingen bis dahin nicht der Fall gewesen war.1361 In dieser Zeit wurde in Tübingen sehr viel darüber diskutiert, ob man an der Orthodoxie festhalten sollte, wie weit man an ihr festhalten sollte, ob man den Pietismus in all seinen Formen in die Kirche hereinnehmen wolle, wie man allgemein mit den sozialen Fragen und Problemen der Zeit umzugehen habe. Im Streit um das Apostolikum zeigte die Kirche, daß sie für Neues aufgeschlossen war, indem sie auf der 5. Landessynode 1894 das Bekenntnis dem seelsorgerischen Gewissen des Pfarrers anheim stellte und damit, daß sie es nicht mehr als Gesetz verstanden wissen wollte, einen gewissen Freiraum für die Handhabung der Liturgie schaffte. Das Konsistorium bewies, daß es darauf bedacht war, neben der Einhaltung der agendischen Ordnung einen gewissen Spielraum zum selbständigen liturgischen Handeln freizuhalten. Neben der formell strengen Gebundenheit wurde dadurch in der Folgezeit eine gewisse Freiheit gestattet, die der Amtspflicht des einzelnen Pfarrers überlassen wurde. „Die Kirche schuf einen Rahmen, den auszufüllen dem einzelnen Pfarrer überlassen war“.1362 Die Gebete, Ansprachen und Grußformeln des Kirchenbuchs sollten als Gemeinbesitz der Landeskirche zur seelsorgerlichen Bedienung der Gemeinde und der Gemeindeglieder dargeboten werden. Aus seelsorgerlichen Gründen aber konnten Abweichungen im einzelnen sich als geboten erweisen oder sich nahe legen.1363 Daß diese Generation, die so stark durch die Jugendbewegung geprägt war, auch ganz bestimmte Berufsideale hatte, soll am Rande auch noch erwähnt werden. Das Dorf und der Beruf des Landpfarrers galten in dieser Zeit durchaus als erstrebens- wertes Ziel. Hier hatte man die Chance, eine überschaubare Menschengruppe zu führen, zu bilden, zu prägen. Die sozialen Gegensätze, die in der Stadt in immer stärkerem Maße aufbrachen, waren in dieser heilen, gewachsenen Welt noch in Ordnung und konnten hier noch überbrückt werden, und es war möglich, ein gestecktes Ziel zu erreichen. 1901 führte die Landessynode eine neue Schulbibel mit ausgewählten Texten ein, die anfangs dem Widerstand vor allem der Gemeinschaften begegnete.1364 Auf der 7. Landessynode 1907 wurde das Konfirmationsbüchlein neu gestaltet. 1360 Decker-Hauff: Ein Pfarrersleben zwischen Kaiserreich und Demokratie, Vortrag vom 10.9.1985 in Stuttgart, Umschrift G.Widmer. 1361 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 430. 1362 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 436. 1363 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 437. 1364 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 423. 349 Auch gegenüber dem Perikopenzwang wurde die freie Textwahl dem pastoralen Gewissen überlassen.1365 Die Annahme des neuen Kirchenbuchs erfolgte in voller Einstimmigkeit.1366 Die Liturgie wurde in den Jahren 1908 bis 1912 zeitgemäß umgearbeitet, 1912 die Amtsverpflichtung bei der Ordination neu geregelt. Schließlich erschien 1912 auch ein neues Gesang- und Choralbuch, in das viele Lieder des Pietismus aufgenommen wurden, das aber auch die württembergische Tradition berücksichtigte und einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Richtungen fand.1367 1365 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, S. 438. 1366 Hermelink: Geschichte der evangelischen Kirche in Württemberg, S. 421. 1367 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 284. 350 8.4. Das Verhältnis zu den Sekten. Über das langsame Vordringen der Sekten heißt es in der „Württembergischen Kirchengeschichte“, nachdem unter diesem Titel bereits die Separatisten, die Gemeinschaften, auch Korntal und Wilhelmsdorf, sowie der Swedenborgianismus abgehandelt wurden, daß vor allem zunächst das Verhältnis zu den Baptisten Störungen in der Landeskirche verursacht habe.1368 Die Mennoniten, die Taufgesinnten1369, die Herzog Christoph 1558 des Landes verwiesen hatte, waren schon 1801 in der Gegend von Neckarsulm wieder zugelassen worden, "wo sie sich still und ruhig verhalten haben". Auch in Langenburg und Öhringen waren sie vereinzelt zu finden. Ihr Gründer, Menno Simons (1492 - 1559)1370, ein friesischer Prediger, der sich 1536 den gemäßigten Täufern anschloß, forderte ein exemplarisches Leben unter der Aufsicht der Gemeinde, einer "Gemeinde der Vollkommenen“, außerdem die Erwachsenentaufe (nach dem 14. Lebensjahr) und die Verweigerung des Eides und des Kriegsdienstes.1371 Die Kirche sollte eine freie Versammlung sein, und es wurde eine Nachfolge Jesu im Sinne der Bergpredigt gefordert. Die Mennoniten waren aus norddeutschen und niederländischen Täufergruppen hervorgegangen und standen dem Kalvinismus nahe. Sie enthielten sich jeder Propaganda.1372 Im Mennoniten-Reskript vom 25.10.1801 hatte Herzog Friedrich ihnen die "devotio domestica" und die Tolerierung, allerdings ohne das Bürger- oder Beisitzerrecht, gewährt. Sie hatten ein Schutz- und Schirmgeld zu entrichten, mußten sich zum Gehorsam gegen die Staatsgesetze verpflichten, erlangten aber "die vollständige Toleranz in Ansehung ihrer religiösen Meinung und gottesdienstlicher Gebräuche, als auch der Erziehung ihrer Kinder nach ihren Religionsvorschriften".1373 1807 hatte Friedrich als König in einem Erlaß noch einmal festgelegt, daß die Mennoniten als Religionsgemeinschaft zwar toleriert und ihnen der Aufenthalt im Königreich bei Wohlverhalten gestattet werden solle, daß „ihnen aber keineswegs, wenn sie nicht persönlich im Militär dienen wollen, das Untertanen- oder Bürgerrecht erteilt werden“ dürfe, und zwar deshalb, weil für ihn die Militär- Konskribition wesentlicher Bestandteil der Staatsverwaltung war.1374 1368 Württembergische Kirchengeschichte, S. 621; Kalb: Kirchen und Sekten der Gegenwart; Palmer: Die Gemeinschaften und Sekten Württembergs. 1369 Hans Jürgen Götz: Die Mennoniten. RGG 5, Sp. 1039/1043. 1370 Cornelius J. Dyck: Menno Simons. RGG 5, Sp. 1038/1039. 1371 Palmer: Die Gemeinschaften und Sekten Württembergs, S. 156. 1372 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 326. 1373 Special-Rescript betr. die Duldung der Mennoniten; Reyscher, Kirchengesetze, Bd.VIII., S. 747. 1374 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX, Nr. 389, vom 20./30.6.1807. 351 In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts (1837) wurde „eine neue Richtung aus der Schweiz eingeschleppt“, die sich gegenüber der Kirche sehr aggressiv verhielt. Sie warfen der Kirche außer der Kindertaufe vor, daß in ihr die Sündenvergebung an Beichte und Absolution gebunden sei. Ein Schuhmacher aus Rohracker sammelte in seiner Heimatgemeinde eine kleine Gruppe um sich. Erstmals verweigerte der Instrumentenmacher Schaufler nach der Geburt eines Kindes dessen Taufe. Die Ehefrau setze aber durch, daß das Kind in der Leonhardskirche doch getauft wurde, wogegen Schaufler im „Schwäbischen Merkur“ protestierte.1375 Die erste Baptistentaufe von 22 Personen erfolgte 1838 durch den Baptisten- Prediger Johann Gerhard Oncken (1800 - 1884) aus Hamburg im Neckar bei Gaisburg. 1843 hat sich diese Gruppe dann offiziell von der Kirche losgesagt. In Weinsberg, wo die Mennoniten einen Schwerpunkt hatten, traten 1863 auf einmal 300 Personen aus der Kirche aus und zu dieser Sekte über. Auch im Remstal waren Anhänger anzutreffen.1376 Seit 1852 waren die Baptisten als Religionsgemeinschaft in Stuttgart geduldet, nach der Einführung der Not-Zivil-Ehe für Dissidenten am 1. Mai 1855 gewannen sie an Boden. 1869 zählte man in Württemberg 1 470 Baptisten, 1890 wurde die Zahl ihrer Anhänger auf etwas über 1 600 geschätzt, 1900 waren es 1 347.1377 Erstaunlicherweise wurde den Baptisten die Teilnahme am Abendmahl mit der Begründung erlaubt, weil sie sich noch nicht vollständig von der evangelischen Landeskirche getrennt hätten und auch noch nicht als besondere Kirchengemeinde anerkannt seien. 1905 wurden im "Evangelischen Kirchen- und Schulblatt für Württemberg" 1 832 Anhänger in 113 Gemeinden genannt. Sie haben sich 1941 mit den Darbisten vereinigt.1378 Die Nazarener, auch die Neukirchlichen genannt, fanden vor allem im Remstal, besonders um Waiblingen, aber auch im Schwarzwald, in der Gegend um Nagold und Neuenbürg, aber auch in Eßlingen, Herrenberg und Tübingen Anhänger. Ihr Stifter Jakob Wirz (1778 - 1858) ein Seidenweber aus Basel, war für sie eine neue göttliche Inkarnation. Er sollte der Stifter einer neuen Gemeinschaft von Christen und einer neuen Kirche sein, und für sie die gleiche Bedeutung haben, wie Christus einst für seine Gemeinde. Er war auch ihr Führer, und er wollte eine Gemeinde von Heiligen um sich sammeln. 1379 Dem Alten und Neuen Testament sollte eine „Dritte Ökonomie“ folgen, eine neue Zeitperiode, in welcher der Herr sein geistiges Reich neu aufrichten würde.1380 In ihrer Religionspraxis wurden von ihnen katholische Riten übernommen, wie die Marienverehrung und die letzte Ölung. 1375 Palmer: Die Gemeinschaften und Sekten Württembergs, S. 163; Kalb: Kirchen und Sekten der Gegenwart, S. 357. 1376 Württembergische Kirchengeschichte, S. 628. 1377 Württembergische Kirchengeschichte, S. 628. Insgesamt 1890 - 22 500, 1910 - 21 500. 1378 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 453. 1890 - 22 500, 1925 - 13 296. 1379 Palmer: Die Gemeinschaften und Sekten Württembergs, S. 148. 1380 Kalb: Kirchen und Sekten der Gegenwart, S. 244. 352 Ein Ministerialerlaß von 1858 gewährte ihnen zwar nicht die Anerkennung, aber immerhin die Duldung als Religionsgemeinschaft. 1857 waren sie in fünf Oberämtern vertreten und hatten 423 Mitglieder. Es sind ihnen sogar drei eigene Schulen eingeräumt worden, und zwar in Egenhausen, Neuenbürg und Grunbach, doch hat die Zahl ihrer Anhänger sehr bald abgenommen, 1890 auf 229. Da sie nicht zur Vermehrung des sündigen Menschengeschlechtes beitragen wollten, lebten sie in Ehelosigkeit.1381 Ihre leitenden Gemeindeglieder waren gegen die Kirche sehr schroff eingestellt, aber man hat ihnen ein fleißiges, stilles, nüchternes Leben bescheinigt. Sie waren „kranke Glieder, die der Leib der Kirche an sich duldet“.1382 In den untersuchten Pfarrberichten wurden sie nicht erwähnt. Größere Bedeutung hatten die „Jerusalemfreunde“, die „Templer“, die von Christoph Hoffmann (1815 - 1885), dem Sohn von Gottlieb Wilhelm Hoffmann, dem Gründer von Korntal, ins Leben gerufen worden waren. Sie standen zunächst in der Richtung des frühen Pietismus dem Staat, aber auch der Kirche, mit einer reservierten Haltung gegenüber. Zusammen mit den Brüdern Paulus, den Enkeln von Philipp Matthäus Hahn, strebte Hoffmann eine Sammlung von Pietisten in einer vom Staat unabhängigen Kirche an.1383 Philipp Paulus hatte im Jahre 1835 in Korntal eine "Brüder- und Kinderanstalt" eröffnet, in die ein Jahr später auch sein Bruder Immanuel eintrat. Der Erfolg blieb zunächst aus, erst im Herbst 1836 kamen die ersten 24 Zöglinge. Bald wurden aber die Räume zu klein, und Paulus entschloß sich, die Anstalt 1837 nach Ludwigsburg zu verlegen.1384 Hier hat Christoph Hoffmann, der bis 1854 noch Inspektor auf der Chrischona bei Basel war, zusammen mit den Brüdern Paulus1385, versucht, zunächst noch innerhalb der Kirche, alle Christen, ähnlich den ersten Christengemeinden, zu sammeln. Sie sollten durch voneinander und auch von der Staatskirche unabhängige, freie Gemeinden organisiert werden. Zu diesem Zweck gründete er 1848 den „Evangelischen Verein“. Seit 1854 sollten die Gläubigen, allerdings nun nicht mehr innerhalb der Kirche, sondern außerhalb derselben, zu einem besonderen "Volk Gottes", in einem Gottesstaat, an einem Platz der erhofften baldigen Wiederkehr Christi, gesammelt werden, in einer auf rein christlicher Grundlage organisierten Gesellschaft. Da nach seiner Ansicht Staat und Kirche und überhaupt die Zustände in Deutschland zu einer wirklichen Erneuerung nicht fähig waren, sollte eine Auswanderung nach Palästina vorbereitet werden, "dem wiederkehrenden Christus entgegen". 1381 Kalb: Kirchen und Sekten der Gegenwart, S. 248. 1382 Palmer: Die Gemeinschaften und Sekten Württembergs, S. 158. 1383 Benrath: Die Erweckung innerhalb der deutschen Landeskirchen. In: Brecht: Geschichte des Pietismus, Bd.III., S. 236. Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 266; Carmel: Christoph Hoffmann, S. 25. 1384 Philipp Paulus: Beate Paulus, S. 203. 1385 Philipp Paulus (1809 - 1878), Christoph Ludwig Paulus (1811-1893) und Immanuel Paulus (1814 - 1876). 353 Als erster Sammlungsort wurde 1855 der Kirschenhardthof bei Winnenden, ein Gegenstück zu Korntal, um 40 000 fl gekauft.1386 Es kam zu schweren Auseinandersetzungen mit dem Pietismus der Kapff´schen Richtung und in der Folgezeit auch mit der Landeskirche. Da Hoffmann eigenmächtig kirchliche Handlungen vornahm, wurden er 1856 von der Kandidatenliste gestrichen und schließlich 1861, mit mehreren Familien, aus der Kirche ausgeschlossen.1387 Als Folge seiner gehässigen Angriffe auf die Landeskirche wurden auch Paulus für kurze Zeit die Kandidatenrechte entzogen. 1864 wurde förmlich „Die Konfession des Tempels“ errichtet. 1868 zogen die „Templer“, Christoph Hoffmann und Georg David Hardegg, zur Errichtung eines Gottesstaates mit einer auch sozialen Neuordnung nach Palästina, zwar noch nicht nach Jerusalem, sondern zunächst einmal nach Haifa (1868), Jaffa (1869) und Sararona (1871), wo sie Kolonien gründeten. „Über der harten Arbeit des Alltags traten die eschatologischen Spekulationen langsam zurück“.1388 Innere Zerwürfnisse und die Hinneigung Hoffmanns zum Rationalismus haben zu einer Spaltung und Schwächung der Bewegung geführt. Auch fehlte es an innerem Leben und geistiger Anregung. Nach dem Tode Hoffmanns am 8. Dezember 1885 ging die Bewegung weiter zurück. Von den einstmals ungefähr 3 000 Mitgliedern, die auf der Alb, im Fränkischen, vor allem aber auf dem Schwarzwald verbreitet waren, waren 1890 noch 416 übrig geblieben.1389 Anstelle der pietistischen Schwärmerei war eine anerkannte kolonisatorische Leistung in Palästina getreten. Tempelvorsteher war dort 1885 - 1890 Christoph Paulus. Die Bewegung, in der die "Württembergischen Kirchengeschichte" „unstreitig den letzten krankhaften Ausstoß des Pietismus“ zu erkennen glaubte, war damit für die Kirche nicht mehr interessant.1390 In der gleichen Zeit hatte sich die evangelische Landeskirche gegen eine weitere Bewegung zu wehren, die sie mindestens genau so hart bedrängte, wie die Templer: den Methodismus.1391 Der Oberkonsistorialrat und Stadtdekan Dr.von Braun betonte, daß entgegen dem Irvingianismus, Darbismus oder Adventismus, die alle für die Geschichte der Landeskirche keine wesentliche Bedeutung hatten, der Methodismus eine große Bewegung war, die in der Kirche tiefe Spuren hinterlassen hat.1392 Es war die letzte, große Kirchenbildung des Protestantismus, aus der Erweckungsbewegung herausgewachsen.1393 1386 Benrath: Die Erweckung innerhalb der deutschen Landeskirchen, S. 236; Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 399. 1387 Württembergische Kirchengeschichte, S. 631; Konsistorial-Erlaß vom 30.August 1859. 1388 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 267; Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 136. 1389 Kalb: Kirchen und Sekten der Gegenwart, S. 238; Württembergische Kirchengeschichte, S. 631. 1390 Württembergische Kirchengeschichte, S. 631; Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 328. 1391 Burkhard: Christoph Gottlob Müller und der Methodismus in Württemberg; Fritz: Das Eindringen des Methodismus; Jüngst: Der Methodismus in Deutschland; Kraft: Pietismus und Methodismus. Schmidt: Methodismus, konfessionskundlich, RGG 4, Sp. 913. 1392 Kalb: Kirchen und Sekten der Gegenwart, S. 310; Fritz: Das Eindringen des Methodismus. BWKG. Sonderheft 2, 1917; Kraft: Pietismus und Methodismus, S.57. 1393 William Reginald Ward: Der Methodismus. RGG 5, Sp. 1177-1186. 354 Diese Bewegung war ursprünglich von John Wesley (17.6.1703 - 2.3.1791), dem Sohn eines Pfarrers, 1729 in Oxford als Verein zur Privaterbauung ins Leben gerufen worden. Er forderte, daß seine Prediger ständig auf Reisen, ohne festen Sitz, sein sollten. Er befaßte sich mit dem Konflikt herrnhutischer und hallescher Prägung, besuchte 1738 die Stiftungen Franckes in Halle und besuchte auch Zinzendorf in Herrnhut.1394 Während aber bei Zinzendorf die Rechtfertigung im Mittelpunkt stand, war es bei Wesley die Heiligung. Der Geist Christi bewirkte die Vollkommenheit in den Christen. Die von Wesley gebildeten „Klassen“ waren dieser Richtung nachempfunden.1395 Er begann 1739, herausgewachsen aus der anglikanischen Tradition, mit seiner selbständigen Tätigkeit. Ursprünglich wollte er keine Trennung von der offiziellen Kirche. Es sollte nur eine Organisation zur Evangelisierung aufgebaut werden, um Menschenseelen vor dem Verlorensein zu retten, „um die zu betreuen, die sich in seine Obhut begeben hatten" die sonst verloren gingen.1396 Methodist war, wer nach der Bibel lebte.1397 Das reine Leben stand im Vordergrund.1398 In der eigenen Erbauung sollte die Rettung des Menschen und seiner Seele vom Weltverderben gesucht werden.1399 In Württemberg wurden zunächst in Waiblingen und Winnenden von einem Metzger namens Christoph Gottlob Müller (1785 - 1858), der in London zum wesleyanischen Methodismus übergetreten war, seit 1832 Methodistenversamm- lungen abgehalten. Dies geschah zunächst noch voll im Rahmen der Kirche.1400 Die Missionsbehörde in London, die zunächst mit der Frage der Negerbefreiung und der Mission in der Südsee vollauf beschäftigt war, brauchte einige Zeit, bis sie Müller als Laienprediger in Württemberg anerkannte und auch besoldete. Nach Überwindung vieler behördlicher Schwierigkeiten gelang es ihm, seine Gemeindeversammlungen bis in den Schwarzwald hinein ausdehnen. Die Zahl der Anhänger wurde von den Wesleyanern selbst und der Landeskirche sehr unterschiedlich angegeben. Er selbst meldete 1839 bereits 608 Mitglieder in 41 verschiedenen Ortschaften und 33 engere Mitarbeiter, 1844 dann 700 Mitglieder und 48 Mitarbeiter.1401 Seit 1848 erfolgte eine verstärkte Missionstätigkeit von Amerika aus, auch eine Aufteilung in verschiedene Richtungen. Ein erster „bischöflicher Methodist“ in Württemberg war Wilhelm Nast, 1807 in Stuttgart geboren, ein Freund und Studienkollege von David Friedrich Strauß, der 1835 in Amerika bekehrt worden war und sich in der Folgezeit eifrig als Reiseprediger für die Mission in seiner Heimat einsetzte. 1394 Kraft: Pietismus und Methodismus, S. 58. 1395 Jüngst: Der Methodismus in Deutschland, S. 6. 1396 William Reginald Ward: Methodistische Kirchen. TRE XXII, S. 666; Kraft: Pietismus und Methodismus, S. 96. 1397 Jüngst: Der Methodismus in Deutschland, S. 6. 1398 Gutschera: Kirchengeschichte - ökumenisch, II., S. 102. 1399 Palmer: Die Gemeinschaften und Sekten Württembergs, S. 130. 1400 Württembergische Kirchengeschichte, S. 631; Georg Pfleiderer: Methodismus. RGG.3., Sp. 1177. Kalb: Kirchen und Sekten der Gegenwart, S. 333; Burkhard: Christoph Gottlob Müller und die Anfänge des Methodismus in Württemberg. 1401 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 451. 355 Bischöfliche Methodisten traten seit 1851 auch in Stuttgart auf, wo sie ihre erste Gemeinschaft gründeten. Sie hatten eine weitere „Distrikt-Niederlassung“ in Heilbronn. 1872 wurde in Stuttgart eine selbständige methodistische Kirche in Württemberg gegründet, die in Waiblingen und später in Cannstatt ein eigenes Predigerseminar eröffnete. Die aus der methodistischen Bewegung in Amerika hervorgegangene "Evangelische Gemeinschaft", die sich 1803 aus sprachlichen Gründen von der Methodistenkirche abspaltete, hat sich in Deutschland ebenfalls von Württemberg aus ausgebreitet. 1852 entstnad eine erste Gemeinde in Stuttgart, 1859 in Plochingen.1402 Seit 1898 sind mit diesen Gruppen die deutschen Wesleyaner verbunden. Eine weitere Richtung waren die „Albrechtsleute“, die ihren Namen auf einen Jakob Albrecht (1759 - 1808) zurückführten, der in Pennsylvanien geboren, Sohn eines aus Württemberg eingewanderten Lutheraners war. Sie traten seit 1816 als „Evangelische Gemeinschaft“ an die Öffentlichkeit. In ihrer Lehre, auch in ihrer Lebensordnung, zeigten sie die Art des nordamerikanischen Methodismus. Nach Württemberg kam die Evangelische Gemeinschaft durch den Bauern Sebastian Kurz aus Bonlanden, der bei einem Besuch in seiner alten Heimat 1845 eine erste Versammlung zustande brachte. Da in Amerika die Nachricht verbreitet war, die deutsche Kirche sei dem Rationalismus verfallen, wurde 1851 Konrad Link, ein Hesse, nach Württemberg geschickt, um hier zu missionieren.1403 Er ließ sich in Stuttgart nieder, das er zum Mittelpunkt seiner Tätigkeit machte. Hauptsächlich im mittleren und unteren Neckarraum war seine Aktivität erfolgreich. 1865 wurde die erste Konferenz in Anwesenheit des Bischofs Escher gehalten und die „Evangelische Gemeinschaft“ als württembergische Freikirche konstituiert. 1905 wurde in Reutlingen ein Predigerseminar für Deutschland und die Schweiz gegründet.1404 Alle diese Richtungen, die ihre Stärke in der Einzelseelsorge hatten, waren zunächst mit der Landeskirche verbunden. Es wurde versichert, daß keine eigene Kirchengründung oder Sakramentsverwaltung beabsichtigt sei. In den Jahren um 1860 kam es zur Gründung von kleineren Gemeinschaftskreisen, zur eigenen Feier des Abendmahls, zu Taufen und Trauungen, zu Versammlungen während der Zeit des landeskirchlichen Gottesdienstes. Es kam zu Massenversammlungen unter freiem Himmel. Ein Charakterzug dieser Richtung war auch die starke Mitarbeit und der Einsatz von Laien, vor allem bei Evangelisationspredigten.1405 Die Landeskirche hielt sich in ihrer Kritik lange zurück und versuchte, mit Aufklärung über die Arbeitsweise dieser Gemeinschaft deren Tätigkeit entgegen zu wirken. Aber im Laufe der Zeit, besonders seit 1870, ergaben sich erhebliche Spannungen. 1402 E. Reinhard: Sonstige Kirchen und Religionsgemeinschaften. In: Das Land Baden-Württemberg, S. 551. 1403 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 322. 1404 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 452. 1405 Georg Pfleiderer: Methodismus, RGG.5., Sp. 1177. 356 Die Bewegung hatte durch eine straffe Organisation Erfolge, auch wurde in dieser Zeit im Widerspruch zu früheren Versicherungen, an die man sich nicht mehr gebunden fühlte, immer mehr Gottesdienste während der Zeit der kirchlichen gehalten, Abendmahl ausgeteilt und die eigene Gemeindebildung forciert. Eine erste eigene Kapelle wurde 1864 in Heilbronn gebaut.1406 Das Konsistorium, in dem damals Männer wie Kapff, Hauber und Gerok saßen, sah sich 1860 veranlaßt, mit einer öffentlichen Kundgebung, aber immer noch sehr zurückhaltend, an die Öffentlichkeit zu gehen. Es wurde zunächst ein Überblick über die bisherige Entwicklung gegeben und durchaus berücksichtigt, daß der Methodismus sich noch zum überwiegenden Teil als Bewegung innerhalb der Landeskirche verstand. Das Gute wurde allgemein anerkannt und man war gewillt, zunächst einmal die weitere Entwicklung abzuwarten. Allerdings war das Konsistorium bereits ein Jahr später gezwungen, wieder einzuschreiten. Anlaß waren nächtliche Versammlungen, die nicht erlaubte Austeilung der Kommunion am Karfreitag sogar in Stuttgart, sowie die übereifrige Missionierung in einzelnen Gegenden des Königreiches. Die evangelische Kirche sah sich schließlich 1880 genötigt, in einem Synodal- Erlaß vor den „Störungen der kirchlichen Ordnung und des kirchlichen Friedens“ durch den Methodismus ausdrücklich zu warnen. Das Konsistorium beanstandete, daß von den Methodisten überall eigene Kapellen gebaut, Prediger an sämtliche Dekanatssitze berufen, ein ausgesprochenes Klassensystem organisiert und die Versammlungen auf die Zeit der öffentlichen Gottesdienste gelegt, auch daß Taufen und Trauungen vorgenommen wurden. Die Landeskirche sah sich gezwungen, Maßnahmen „zum Schutz ihrer Ordnungen und zur Wahrung ihres Hausrechtes“ zu ergreifen.1407 Wer an sich durch einen Methodistenprediger eine geistliche Amtsfunktion hatte ausüben lassen, eine Trauung, Taufe, Konfirmation, Beerdigung, sollte als aus der Landeskirche ausgetreten gesehen werden. Wer sich in eine methodistische Klaßliste hatte eintragen lassen, wer eine methodistische Abendmahlsfeier oder Sonntagsschule besucht hatte, sollte verwarnt werden.1408 Auf dem Boden des Methodismus entwickelte sich auch die von General William Booth (1829 - 1912)1409 und seiner Gattin Katharina 1865 gegründete Heilsarmee1410, die seit 1886 auch in Stuttgart tätig war. Es war eine Institution, die sich zunächst vor allem um entlassene Strafgefangene und gefallene Mädchen annahm. Hinzu kamen Asyle für Obdachlose, Suppenanstalten für Arme und Arbeitsstätten für Unbeschäftigte. Sie hat vor allem in der Bekämpfung der Trunksucht und durch die Betreuung von Obdachlosen auch in Württemberg sehr erfolgreich gewirkt, was auch von der evangelischen Kirche anerkannt wurde.1411 1406 Württembergische Kirchengeschichte, S. 632; Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 322. 1407 Synodalerlaß an sämtliche Pfarrämter, Nr. 2839 vom 12.Feburar 1880. 1408 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 324. 1409 John G. Merritt: William Booth. RGG 1, Sp. 1695. 1410 Eduard H. McKinley: Heilsarmee. RGG 3, Sp.1579. 1411 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 452. 357 Erstaunlich ist, daß der Vorsteher der Bildungsanstalt auf dem Salon in Ludwigsburg, Philipp Paulus (1809-1878), engen Kontakt zu der "Evangelischen Gemeinschaft" suchte und pflegte. Er unterstützte diese Richtung ausdrücklich und plante sogar, ein methodistisches Seminar auf dem Salon einzurichten. In der Zeit um 1880 hatte der Methodismus wohl seine größte Ausdehnung erreicht. Die Wesleyaner, die bischöflichen Methodisten und die Anhänger der Evangelischen Gemeinschaft hatten über 7 000 Mitglieder und waren außerdem in über 230 Sonntagsschulen mit über 10 000 Kindern aktiv. 1890 erbrachte die Volkszählung allerdings nur noch 3 282 Mitglieder, so daß angenommen werden kann, daß bereits zu diesem Zeitpunkt ein gewisser Höhepunkt überschritten war.1412 Als Grund für diesen Rückgang wurde angegeben, daß die Seelsorge, die in der Anfangszeit als vordringliche Aufgabe gegolten hatte, in den Hintergrund getreten war, gegenüber dem Auf- und Ausbau der Gemeinden, dem Bau von Kapellen. Von einem Zusammenwirken mit der Landeskirche konnte in dieser Zeit nicht mehr gesprochen werden. Eine weitere Gruppe, mit der sich die Landeskirche auseinanderzusetzen hatte, waren die „Irvingianer“. Ihr Gründer, Eduard Irving (4.8.1792 - 7.12.1834), in Schottland geboren, war als Erweckungsprediger besonders für die Gebildeten tätig. Er verkündete die baldige Wiederkunft des Herrn. Die übernatürliche Gnadenwirkung sollte wiederhergestellt werden, sie war aber allein in dieser Gemeinschaft schon vorhanden: Christus und die Heilige Dreifaltigkeit war allein in den Aposteln gegenwärtig. Die neue Kirche, die sich um Irving sammelte, besaß bereits diese apostolischen Geistesgaben. Im Apostel-. Hirten- und Evangelistenamt sollten die Zeichen der übernatürlichen Gnadenwirkungen, womit die apostolische Kirche, wie gesagt, schon von Anfang an gesegnet war, wiederhergestellt werden. Sie dienten der Erneuerung der Verfassung der Kirche. Oberste Autorität in allen Organisations-, Lebens- und Lehrfragen war der „Stammapostel“.1413 Die Bewegung kam über die Niederlande und das Rheingebiet nach Deutschland und fand in Hamburg, wo 1863 die „Allgemeine christliche apostolische Mission“ gegründet wurde, ein Zentrum. 1878 trennten sich die Gemeinden außerhalb Hamburgs wieder von diesem Mittelpunkt.1414 Die Gemeinschaft war streng hierarchisch aufgebaut und gegliedert. An der Spitze stand der Stammapostel, der Christus repräsentierte. Er allein konnte das volle Heil vermitteln. Er war „Inhaber der Schlüsselgewalt und Empfänger der Offenbarung Gottes“. Die Gemeinde war und ist „die Familie Gottes“, ihre Glieder sind „Gotteskinder“. 1412 Württembergische Kirchengeschichte, S .634. 1413 Palmer: Die Gemeinschaften und Sekten Württembergs, S. 194. 1414 Helmut Obst: Neuapostolische Kirche. In: TRE, Bd. XXIV., S. 286 ff.. 358 Die neuapostolische Kirche allein ist die Kirche Jesu Christi auf Erden, nur in ihr wirken die Nachfolger der Urapostel, nur durch sie kann das volle Heil vermittelt werden.1415 Während Israel in Palästina an der Spitze der Nationen steht und auf Erden herrscht, herrscht die apostolisch-irvingianische Kirche, um den Herrn versammelt, in den Wolken.1416 William Caird, ein schottischer Geistlicher, hielt sich 1855 eine Zeit lang in Ulm und Augsburg auf und sammelte dort Anhänger. Nach 1860 spaltete sich die „Neuapostolische Kirche“ von der katholisch-apostolischen Bewegung ab. Sie konnte sich in der Folgezeit rasch ausbreiten. Durch die „Weissagungen“ im Gottesdienst und durch eine spezielle Seelsorge übte die neue Richtung eine gewisse Anziehung aus. Verbreitung fand sie vor allem in unteren sozialen Schichten, die sich „an dem Mangel an Vorbildung auch ihrer höchsten Würdenträger nicht stoßen“. Sie allein kannte auch den genauen Termin der Wiederkunft Christi, der zunächst auf den 14. Juli 1835 festgelegt worden war.1417 Im Zentrum des Gottesdienstes stand die Feier des Abendmahls. Aus ihrem Verständnis heraus gab es für diese Gruppe keine ökumenischen Kontakte. Eingang fanden sie im allgemeinen weniger in Gemeinden mit altpietistischer Tradition, mehr in Industriegemeinden um Stuttgart, im Fränkischen und in Oberschwaben. 1890 zählte man 454 Mitglieder, 1900 schon 906, und 1925 ewa 18 000.1418 Neben diesen bisher beschriebenen Sekten wurden in der Pfarrbeschreibung von Stuttgart 1905 noch genannt: die Adventisten (oder Sabbatisten), in den Vereinigten Staaten gegründet, die auf eine baldige Wiederkehr Christi hofften und auf sie hinarbeiteten (1900 in Württemberg 57 Adventisten), außerdem die Darbisten, die Dowianer, Mormonen, Spiritisten und die sozialdemokratische freireligiöse Gemeinde. Die Darbisten hatten ihren bedeutendsten Vertreter in John Nelson Darby (18.11.1800 - 29.4.1882) der 1826 zum Priester geweiht wurde. Er kam in Verbindung zu den Plymouthbrüdern, einer Gemeinschaft gläubiger Christen, die sich in Privaterbauungsstunden trafen. Bereits 1828 trat er aus der Kirche aus und ging als Wanderprediger nach Irland, um die Gläubigen auf die nahe Wiederkunft des Herrn vorzubereiten. 1838 ging er für zwei Jahre nach Paris und Genf. Lebenslänglich war er auf Reisen, besuchte Frankreich, Deutschland, Amerika, sogar Neuseeland. Die Darbisten kamen im Jahre 1847 durch einen Hauslehrer Peter Nippel über Tübingen ins Land. Sie stellen sich grundsätzlich gegen jedes geistliche Amt, weil Christus kein solches geboten habe, und ersetzten es durch ein freies Wirken des Geistes. 1415 Obst: Die Neuapostolische Kirche, S. 290. 1416 Palmer: Die Gemeinschaften und Sekten Württembergs, S. 196. 1417 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 330. 1418 Württembergische Kirchengeschichte, S. 634; Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche S. 454; Palmer: Die Gemeinschaften und Sekten Württembergs, S. 192, 329; E. Reinhard: Sonstige Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 533. 359 In ihren festlichen Versammlungen, „die mit sehr ausgedehnter Wortbetrachtung verbunden waren, rechneten sie auf bibelfeste und bibelfreudige Leute“.1419 Nach dem Wegzug der Familie Nippels 1851 aus Tübingen fristete die Sekte nur noch ein kümmerliches Dasein. Im Jahre 1900 zählte man in Württemberg noch ungefähr 30 Mitglieder.1420 Die Mormonen, "die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage",1421 wurden von Joseph Smith (1805 - 1844), dem sich Gott unmittelbar offenbarte, im Jahre 1830 gegründet. Er erhielt am 22. September 1827 seine Weisungen auf goldenen Tafeln, "der Fülle des immerwährenden Evangeliums", die dann dem Engel Moroni, der sie überbracht hatte, wieder zurückgegeben wurden.1422 Smith wurde am 27. Juni 1844 ermordet und seine Anhänger, auch wegen der damals praktizierten Vielehe, verfolgt und in das unwirtliche Salzseetal vertrieben. Sie siedelten dort und gründeten die Stadt Salt Lake City. Sie sahen sich als ausgewanderter Stamm des Volkes Israel. Den Anhängern war wichtig, sich stark zu vermehren, weshalb zumindest in der Anfangszeit Vielweiberei zugelassen war. Da auch die bereits Verstorbenen in die Gemeinschaft aufgenommen werden konnten und sollten, war Ahnenforschung für diese Gruppe ein wichtiges Anliegen. Einer voll organisierten Gemeinde stand ein Bischof vor, der auch richterliche Befugnis in geistlichen Angelegenheiten hatte. Der Präsident galt als Stellvertreter Christi auf Erden. Er mußte ein Mann ohne Tadel sein, ein guter Familienvater, der seine Kinder zu Gehorsam und Anstand erzog. Die erste Missionierung im Südwesten Deutschlands erfolgte durch Georg Reiser, der am 26. März 1853 in seine Geburtsstadt Kornwestheim zurückkam, nach einem Monat aber ausgewiesen wurde. Später fanden sich Mitglieder in Aichelberg, Esslingen, Schanbach und Stuttgart.1423 Ein Missionssitz in Württemberg wurde die Villa Schoch in Feuerbach. Da viele "Heilige" aus Deutschland wieder nach Amerika auswanderten, zählte die Gemeinschaft im Jahre 1905 nur noch ungefähr 4 000 Anhänger.1424 Die Deutsch-Katholiken1425 waren der Versuch einer Reform der katholischen Kirche auf nationaler, kirchlich-liberaler Grundlage, auf einer vom Papst unabhängigen Ebene. 1419 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 332; Palmer: Die Gemeinschaften und Sekten Württembergs, S. 188. 1420 Kalb. Kirchen und Sekten der Gegenwart, S. 388. 1421 Mössner: Die Mormonen. Die Heilgen der letzten Tage, S. 12; Thiede: Die "Heiligen der letzten Tage", S.8. 1422 Thiede: Die Heiligen der letzten Tage, S. 10. 1423 Zander: Die Mormonen im Südwesten Deutschlands, S. 13. 1424 Zander: Die Mormonen im Südwesten Deutschlands, S. 21. 1425 Albrecht: Deutsch-Katholiken, RGG 2, Sp. 715; Ammerich: Zwischen Staatsanstalt und Selbstbe- stimmung; Holzem: Kirchenreform und Sektenstiftung, S 66; Kustermann: Zum Synodenwesen der Deutsch-Katholiken. 360 Als Reaktion auf den Trierer Reliquienkult um den "Heiligen Rock" des Jahres 1844 (Bischof Arnoldi) gründete der schlesische Kaplan Johannes Ronge am 12. Januar 1845 eine romfreie autonome Kirche, die sich "Deutschnationale Kirche" nannte.1426 Schon seit 1844 gab es Gemeindegründungen. In Leipzig wurde 1845 ein Konzil abgehalten und eine Verfassung in 51 Artikeln kreiert.1427 Kritisiert wurde die Engherzigkeit, die hierarchische Kirchenverwaltung, der Mangel an einem Mitspracherecht in der katholischen Kirche, der "Mißbrauch der Hierarchie, der Mißbrauch der Tradition, der Mißbrauch des Dogmatismus. Die Richtung wandte sich gegen den Ultramontanismus. Allein die Bibel sollte Grundlage des Glaubens sein. Verworfen wurden der Primat des Papstes, die Ohrenbeichte, der Zölibat, Ablaß und Fasten, Reliquiendienst, Heiligenanrufungen und Wallfahrten, auch die lateinische Sprache in der Liturgie.1428. Grundlagen waren zwei Sakramente, der Kelch und die Gemeindewahl des Geistlichen, sowie eine Synodalverfassung.1429 Beabsichtigt war eine Reinigung des bestehenden Katholizismus, eine Rückkehr zur Bibel und der Tradition der ersten drei Jahrhunderte, "unter Aufrechterhaltung der positiven Glaubenssätze, unter Bewahrung des bisherigen Kultus und der gewohnten Liturgie. Es sollte eine reformierte katholische Kirche sein, eine deutsche Kirche, die unter gegenseitiger Annäherung mit der evangelischen hätte zusammenfallen können.1430 1846 zählte sie in 200 Gemeinden 60 000 Mitglieder. zwei Jahre später in 250 Gemeinden 80 000 Mitglieder.1431 1880 wurden noch 104 Glieder dieser Gemeinschaft gezählt, 1890 nur noch 25.1432 In Württemberg gelang es nicht, reformkatholisch gesinnte Kreise für diese Bewegung zu gewinnen. In Stuttgart, Ulm und Eßlingen bildeten sich Gemeinden, die aber insgesamt 1845 nur 100 Mitglieder zählten1433, in Heilbronn gelang der Versuch nicht. Die Stuttgarter unterzeichneten zwar das Beslauer Bekenntnis, machten aber Vorbehalte bezüglich der Fortgeltung der Tradition, der Christologie, des Sakramentenverständnisses und der Heiligenverehrung. Während in Ulm die unteren Schichten und die Fremden dominierten, waren es in Stuttgart vor allem Kleinbürger, zumeist Handwerker.1434 Die Stuttgarter Ministerialbürokratie unter Innenminister Schlayer stand in einem distanzierten Verhältnis zu dieser Bewegung. 1846 wurden die Deutschkatholiken als Religionsgemeinschaft ohne Korporationsrechte anerkannt, eine Benutzung der Kirchen und Staatsgebäude wurde ihnen versagt.1435 1426 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 475. 1427 Christian Albrecht: Deutsch-Katholiken. RGG 2, Sp. 715; Ammerich: Zwischen "Staatsanstalt" und Selbstbestimmung; Kustermann: Zum Synodenwesen der Deutschkatholiken 1844 - 1847; Holzem: Kirchenreform und Sektenstiftung: Deutschkatholiken, Reformkatholiken und Ultramontane. 1428 Gervinus: Die Mission der Deutsch-Katholiken, S. 5. 1429 Christian Albrecht: Deutsch-Katholiken. RGG 2, Sp. 715. 1430 Gervinus: Die Mission der Deutsch-Katholiken, S. 14. 1431 Christian Albrecht: Deutsch-Katholiken. RGG 2, Sp. 715. 1432 Württembergische Kirchengeschichte, S. 662. 1433 Sauer: Reformer auf dem Königsthron, S. 422. 1434 Holzem: Kirchenreform und Sektenstiftung, S. 77. 1435 Ministerialverodnung vom 23.Januar 1846. 361 Im Vorfeld der Revolution von 1848 versuchten sie, auf dem Weg von Petitionen an die Kammer der Abgeordneten eine Gleichstellung mit den Rechten der anerkannten Religionen zu erreichen.1436 Lebhaft unterstützt wurde die Bewegung von der protestantischen Geistlichkeit, "die Kenntnis, Interesse, Muße und, man darf es mit Freuden anerkennen, auch Mut genug haben, ihr Urteil, ihre Wünsche, ihr Lob und ihren Tadel in Bezug auf die neue Kirche offen und freimütig auszusprechen".1437 Nach der Jahrhundertmitte wandelten sich die deutsch-katholischen Gemeinden insofern, als sie in ihren Statuten vom 28. Juni 1874 die Begriffe "Christentum" und "christlich" nicht mehr verwandten. Die Religion sollte "als Erkenntnis unserer Pflichten und als gewissenhafte Befolgung derselben" gefördert werden. Der Reformklerus versuchte, den Deutsch-Katholizismus als überspitzte Gegen- bewegung gegen den Ultramontanismus zu sehen. Die Ultramontanen wiederum forderten die frömmigkeitsgeschichtliche Ausprägung des Katholischen, die von den Deutsch-Katholiken heftig bekämpft worden war, zu verstärken.1438 Die verschiedenen Konfessionen im Königreich Württemberg verteilten sich im Jahre 1880 wie folgt: Evangelische 1 361 559 69,07% Katholiken 590 178 29,94% Andere Bekenntnisse 5 888 0,31% Israeliten 13 331 0,67% Andere Religionen 162 0,01% Die Angehörigen "anderer Bekenntnisse" setzten sich wie folgt zusammen: 1880 1907 Baptisten 1 767 1 832 Methodisten 2 085 5 442 Jerusalemfreunde 737 244 Nazarener 206 143 Neukirchler 24 Irvingianer 133 1 375 Anglikaner 66 157 Freireligiöse 98 282 Deutschkatholiken 104 11 Griechisch-Katholische 107 223 Altkatholiken 5 373 Andere 556 241 Mennoniten 272 1436 Holzem: Kirchenreform und Sektenstiftung, S. 289. 1437 Gervinus: Die Mission der Deutsch-Katholiken, S. 9. 1438 Holzem: Kirchenreform und Sektenstiftung, S. 445. 362 Adventisten 164 Heilsarmee 143 Kl. Gemeinschaften 673 ________ _____ 5 888. 11 5751439 ======= ===== Es waren 1880 also 5 888, 1907 11 575 Personen, die in Württemberg lebten, aber nicht der offiziellen Kirche angehörten. Diese Zahl stellte im Verhältnis zur Gesamtzahl der Protestanten im Land eine verschwindende Minderheit dar. Im Hinblick auf die Entwicklung an den einzelnen Orten können wir auch feststellen, daß sich kein Urteil darüber abgeben läßt, warum in einer bestimmten Gegend die Sekten leicht Eingang fanden, in einer anderen überhaupt nicht. Im folgenden werden nun exemplarisch einzelne Orte untersucht: In Altensteig wurde erstmals 1871 erwähnt, daß die Jerusalemfreunde ohne Anklang blieben. 1875 wurde neben einem Deutsch-Katholiken auch noch ein Jerusalemfreund aufgeführt. Die "Wernerianer" stellten sich freundlich zur Kirche. Die Methodisten konnten noch keinen festen Boden gewinnen. Sie traten erstmals 1878 auf, mieteten einen Betsaal und hatten einen Prediger. Ihre Anhänger zählten ungefähr 20 Personen. 1886 hatten sie eine eigene Kapelle und 20 bis 25 Mitglieder. 1892 traten erstmals 2 Methodisten aus der Kirche aus. Ihre „Wühlarbeit“ wurde auch 1902 wieder erwähnt. Später wurden sie in den Pfarrberichten nicht mehr erwähnt.1440 Die in Altensteig bestehende pietistische Gemeinschaft von 40 - 50 Mitgliedern wurde als eine „Mauer gegen den Methodismus“ gesehen.1441 In Balingen waren nach dem Bericht von Stadtpfarrer Cranz1442 1877 noch keine Sekten vorhanden, ihre Bildung wurde von ihm aber befürchtet. „Die aufdring- lichen Methodisten versuchen schon seit mehreren Jahren hier einzudringen, und seit diesem Winter probierten es verschiedene Zweige derselben, von Ebingen her die Presbyterialen, ohne Erfolg, und von Reutlingen her die sogenannten Albrechtsbrüder. Sie standen aber nach der ersten Versammlung von weiteren Vorhaben ab“.1443 Sechs Jahre später, 1883, wurde festgehalten: „Seit 30 Jahren gibt es eine altpietistische Gemeinschaft mit 20 Frauen, treu kirchlich. Sekten gibt es hier nicht. Es wäre besser, wenn solche vorhanden wären“. Eine Begründung für diese Ansicht des Pfarrers wurde nicht gegeben. 1439 Das Königreich Württemberg, II. S. 361. 1440 Pfarrbericht Altensteig, 1886, 1892, 1902. 1441 Pfarrbericht Altensteig, 1875. 1442 Karl Hermann Cranz (4.3.1824 - 18.7.1895), Dekan in Balingen 1873 - 1880. Sigel Nr. 66,32. 1443 Pfarrbericht Balingen, 1877. 363 In Böblingen gab es 1862 eine Wiedertäuferin, Berta Schaufler, mit einem Anhang von 2 bis 3 Personen, die französischen und außerdem Klavier-Unterricht erteilte. 1873 war diese Gruppe aber in die evangelische Kirche zurückgekehrt. Die Pregizerianer waren zu diesem Zeitpunkt ausgestorben, die Methodisten „kümmerlich“. Ein Kirchenaustritt von dieser Seite war noch nicht erfolgt.1444 Sie waren 1877 nach Holzgerlingen abgewandert, weil sie dort einen Betsaal hatten. Drei Jahre später verlegte der Methodistenprediger seinen Wohnsitz von Holzgerlingen nach Böblingen zurück, „ aber die Bewegung ist im Rückgang“.1445 In Eßlingen traten erstmals 1851 Baptisten auf, zwei Männer und zwei Frauen. Es handelte sich um Fabrikarbeiter. Der eine hatte sich geweigert, seinen Sohn konfirmieren zu lassen. In diesem Zusammenhang erwähnte der Pfarrer auch, daß „die Fabrikarbeiter sittlich und religiös heruntergekommen“ waren, und nur „das leitende Personal der Fabriken noch religiös und sittlich ernst“ war. 1866 gab es auch Methodisten mit einem eigenen Lokal und Irvingianer. Parallel dazu hatten sich die pietistischen Gemeinschaften von sechs auf drei vermindert, teils, weil die Leiter gestorben waren, teils durch den „Geist der Zeit“.1446 1889 hatten sich die Sekten weiter ausgebreitet. Es gab nun schon Baptisten, zweierlei Methodisten mit einer eigenen Kirche und einem Betsaal, Irvingianer, Deutschkatholiken, Nazarener und die Heilsarmee. Zwar herrschte mit dem katholischen Stadtpfarrer äußerlich Frieden, „aber er wühlt, wo er kann“. Dieser Trend hielt auch in den nächsten Jahren an.1447 1905 gab es in Eßlingen: zweierlei Methodisten, die evangelische Gemeinschaft mit 60 Mitgliedern, daneben die Wesleyaner mit 30 bis 40 Mitgliedern; eine Neuapostolische Gemeinde, die Irvingianer, die "sehr aggressiv" waren, mit 60 Mitgliedern und einer eigenen Kirche, Baptisten, Neukirchler, vereinzelte Kirschenhardthöfer (Jerusalemfreunde), Mormonen, Sieben-Tags-Adventisten, Spiritisten und Theosophen in 3 bis 4 Zirkeln und einen Freidenker-Verein. Die 1845 gegründete Deutsch-katholische Gemeinde war erloschen. 1925 wurden in Eßlingen außer den christlichen zwei altpietistischen und drei Hahn´schen Gemeinschaften, eine „Stangersche Gemeinschaft“ und eine „Pfingstgemeinschaft“ aufgeführt, außerdem aber auch die Methodisten mit einer eigenen Kirche, sowie die hierzu gehörige Evangelische Gemeinschaft, Baptisten, Adventisten, Mormonen, Neuapostolische Kirche, Ernste Bibelforscher, die Christliche Wissenschaft mit einer eigenen Kirche, die Christengemeinschaft, die Urchristen (mit dem Vermerk „sehr gehässig!“), Bahai, Spiritisten, Freidenker, Mennonisten und der kommunistische Gottlosenbund. In 12 Jahren wurden hier 12,7% Kirchenaustritte verzeichnet. 30% aller Ehen wurden nicht mehr kirchlich getraut, 48 Kinder in den Schulen waren vom Religionsunterricht abgemeldet.1448 1444 Pfarrbericht Böblingen, 1873. 1445 Pfarrbericht Böblingen, 1880. 1446 Pfarrbericht Eßlingen, 1866. 1447 Pfarrbericht Eßlingen, 1889. 1448 Pfarrbericht Eßlingen, 1925. 364 Positiv wurde gesehen, daß an der Volksschule keine kirchenfeindlichen Lehrer beschäftigt waren. Aber der Pfarrer bedauerte, daß bereits in dieser Zeit die kirchliche Gleichgültigkeit weiter Kreise und das Freidenkertum, die Sekten und die Kreise der Industrie die Arbeit des Pfarrers schwer und verantwortungsvoll machten. „Und doch stehen die gegenwärtig in Eßlingen arbeitenden Pfarrer gerne auf ihrem Posten“.1449 In Freudenstadt gab es 1872 Jerusalemfreunde, "deren Sache aber zum Stillstand gekommen war", die also den Höhepunkt ihres Wirkens zu diesem Zeitpunkt bereits überschritten hatten. Schwierig waren die Methodisten, die einen eigenen Prediger hatten. Einzelne, besonders weibliche Personen, waren schwärmerisch für diese Richtung eingenommen. Die meisten Besucher ihrer Versammlungen ließen sich aber weiterhin in der Kirche sehen. "Die Erscheinung, daß alle Arten von Sekten hier Eingang finden, nimmt diejenigen nicht wunder, welche den Charakter der hiesigen Einwohner ins Auge fassen. Die evangelische Kirche ist ihnen zu ideal. Die Religion muß für sie einen sinnlichen Beigeschmack haben; wo nicht etwas Greifbares, etwas Mark und Bein Erschütterndes, und daneben doch wieder die Sinne Kitzelndes, die Eigenliebe Schmeichelndes. Wo nicht auch nur etwas in der Form Neues ihm entgegentritt, da bleibt ihm alles fremd. Die Schule und Familie tut in ihrem hiesigen Zustand viel zu wenig an dem rohen, heranwachsenden Geschlecht, als daß ihnen die Herrlichkeit der reinen Werke Gottes aufgehen könnte. Regt sich nun doch durch irgend eine innere oder äußere Erfahrung ein höheres Bedürfnis, so zieht das trübe Gemisch von Sinnlichem und Göttlichem weit stärker an, zumal, da ein so Erweckter in den Verleumdungen der Sektierer gegen die Kirche reichliche Entschuldigung für seine bisherige Stumpfheit findet“.1450 Aber auch 1905 waren die Sekten in der Schwarzwaldgemeinde nicht sehr verbreitet. Es gab ein paar Methodisten mit einer „Friedenskirche“, ein paar Darbisten und immer auch noch ein paar Jerusalemfreunde. In Hall hatte der Stadtpfarrer und Dekan lange Zeit mit Sekten keine Probleme. Er merkte schon früh an, daß dort, im Fränkischen, auch für Gemeinschaften kein günstiger Boden sei. Eine Grundeigenschaft der Franken sei: "allem Extremen abhold". 1889 gab es dann aber doch ein paar Methodisten in seiner Gemeinde, die sich auch schon eine eigene Kapelle gebaut hatten. Ihre Zudringlichkeit war groß. Anscheinend kamen sie von Gelbingen, Weckrieden und Uttenhofen her. „Würden sie den verkommen Teil der Haller Bevölkerung aus seinem Schlaf aufwecken, so könnte man sich das eher noch gefallen lassen, aber sie machen sich mehr und mehr an die schon Erweckten heran und richten manche Verwirrung an". Die Irvingianer hielten sich noch ganz in der Stille“.1451 1449 Pfarrbericht Eßlingen, 1925. 1450 Pfarrbericht Freudenstadt, 1872. 1451 Pfarrbericht Hall, 1889. 365 Zwischen 1893 und 1896 versuchte diese Gruppe dann aber doch, verstärkt in Hall Fuß zu fassen. 1905 waren die bischöflichen Methodisten mit 40 - 50 Mitgliedern vertreten, daneben eine geringe Zahl der Evangelischen Gemeinschaft, mit einem eigenen Lokal und einem Prediger. „Die Alt-Irvingianer halten sich zur Kirche, die Neu- Irvingianer treten gegen die Kirche auf“.1452 In den nächsten Jahren wurde dieses Problem in den Pfarrberichten erstaunlicherweise nicht mehr angesprochen. In Kuchen hatte seit 1875 der Pfarrer mit dem Eindringen der Methodisten zu kämpfen, die besonders bei den Fabrikarbeitern Anhang fanden, weil diese in dieser neuen Gemeinschaft „Geborgenheit erlebten“. Und es wurde festgehalten: „Die „Albrechtsbrüder“ hielten erschütternde Bußpredigten“. Auch im pietistisch geprägten Leonberg spielten Sekten offenbar keine große Rolle. Es wurde 1889 erwähnt, daß die Methodisten ein Lokal in einem Privathaus gemietet hatten, wo regelmäßig Abendstunden gehalten wurden. „Diese sind allerdings nicht stark besucht. Der Prediger, der eigentlich für Eltingen angestellt war, bleibt in der Gemeinde immer ein Fremder. Aus der Kirche ist bis jetzt noch niemand ausgetreten“. 1907 hatten die Methodisten, „welche früher hier einzudringen versuchten, nur noch einige wenige Anhänger und machen nicht mehr viel von sich reden“.1453 In Leutkirch wurde bis 1885 immer wieder hervorgehoben, daß hier kein Boden für Gemeinschaften oder Sekten sei. Es gab keine Spötter oder Religions- verächter, sehr wohl aber Familien, die dem Abendmahl fern blieben. Viel mehr Sorge bereitete in dieser Zeit das Verhältnis zur katholischen Kirche: Der Friede zwischen den Konfessionen war nur oberflächlich. Erst 1893 hatte die „Methodistensekte als Evangelische Gemeinschaft ein Lokal gemietet und im Lokalblatt zu Versammlungen geladen. Der Pfarrer sah sich daraufhin veranlaßt, gegen den im Oberland noch kaum bekannten Methodismus zu predigen. Er hat erreicht, daß Einzelne, die bereit waren, die Versammlung zu besuchen, sich zurückgezogen haben. Der Pfarrer selbst besuchte die erste Vortragsstunde und fragte die Methodisten, woher sie sich das Recht nahmen, in die Gemeinde einzudringen. Anscheinend wurde ihm daraufhin versichert, daß sie Leutkirch verlassen wollten.1454 1906 waren dann auch die Versuche "adventistischer Frauen", in Leutkirch Boden zu gewinnen, ebenso erfolglos, wie die Versuche einer methodistischen Evangelisation.1455 1452 Pfarrbericht Hall, 1905. 1453 Pfarrbericht Leonberg, 1889, 1907. 1454 Pfarrbericht Leutkirch, 1893. 1455 Pfarrbericht Leutkirch, 1906, S. 215. 366 In Ludwigsburg wurde im Pfarrbericht von 1840 neben sechs Privat- versammlungen ein Separatist als fleißiger, ruhiger und stiller Mann charakterisiert. 1852 gab es acht Wiedertäufer und drei Deutschkatholiken, 1861 neun "Dissentierende", die zu den Baptisten zählten. Seit 1858 waren auch drei Methodisten in Ludwigsburg.1456 1905 hatte Ludwigsburg außer 170 Pietisten folgende Sekten aufzuweisen: 50 Methodisten (evangelische Gemeinschaft), 145 bischöfliche Methodisten, 15 - 20 Darbisten, 80 apostolische Irvingianer. Daneben wurden 243 Israeliten aufgeführt. 1911 wurden, ohne Angabe einer Mitgliederzahl, folgende Sekten aufgelistet: Methodisten, Alt-Irvingianer, Neu-Irvingianer, Darbisten, Adventisten, dazu Sabbatisten vom 7. Tag, Baptisten und eine Christliche Gemeinschaft unter der Leitung einer Frau Varnbühler. In Nagold wurde erstmals im Pfarrbericht von 1877 erwähnt, daß sich im Ort ein Methodistenprediger niedergelassen hatte, der auch die umliegenden Gemeinden besuchte. Der Pfarrer mußte vier Austritte aus der Landeskirche registrieren. Bis zur Jahrhundertwende gab es in Nagold 12 Baptisten, die sonntags zum Gottesdienst nach Haiterbach pilgerten. „Sie haben gründlich mit der Kirche gebrochen. Betreten keinen Gottesacker, wenn ein Pfarrer am Grabe steht, nehmen in diesem Fall also selbst an Beerdigungen von Geschwistern, Ehegatten usw. nicht teil“.1457 Von den bischöflichen Methodisten waren 20 aus der Kirche ausgetreten. „Sie sind der Kirche gegenüber freundlich, besuchen hie und da auch die Gottesdienste. Sie gehen rückwärts, haben ihren Saal verkauft, bauen aber eine Kapelle“. Der Pfarrer von Öhringen hatte 1886 schon 23 Methodisten in seiner Gemeinde, daneben 7 Darbisten, 9 Baptisten und 2 Mennoniten. „Die Sekten stagnieren". Der Ansturm gegen die Kirche hatte vor einigen Jahren die Geistlichen ernster und energischer gemacht. "Die Glieder wissen, was sie an ihrer Kirche haben“.1458 1895 waren drei Gemeindeglieder zu den Darbisten übergetreten. Es gab in diesem Jahr ungefähr 60 Sektenanhänger. Gleichzeitig wurde aber festgestellt, daß sich die Sekten „im Niedergang befinden“. Die Methodisten hatten eine eigene Kapelle, die Baptisten mit vier Familien ein Versammlungslokal. 1906 wurden die Methodisten immer noch mit einem eigenen Betsaal und einem eigenen Prediger erwähnt. „Die Darbisten, denen 22 Personen zugehören, sind am rührigsten“. Ihre Versammlungen wurden auch im nächsten Pfarrbericht wieder erwähnt. Die Baptisten versammelten sich in einem Privathaus, und die Irvingianer gingen nach Neuenstein. 1456 Pfarrbericht Ludwigsburg, 1840. 1457 Pfarrbericht Nagold, 1877. 1458 Pfarrbericht Öhringen, 1886. 367 Die damals 172 Israeliten in Öhringen, die ebenfalls unter "Sekten" geführt wurden, hatten eine eigene Synagoge und beerdigten in Affaltrach. Ihnen stellte der Pfarrer kein gutes Zeugnis aus: „Die Filialen insbesondere erfreuten sich früher meist großer Wohlhabenheit. Sind in den letzten Jahren in ihren Besitzverhältnissen durch jüdische Güterschlächtereien und andere dunkle Praktiken jüdischer Geschäftsleute zum großen Teil sehr zurückgekommen“. 1910 hatten sich die Baptisten über der Frage, ob es eine Sünde sei, einen Vollbart zu tragen, in zwei Richtungen aufgespalten. Neu hinzugekommen war die Neuapostolische Kirche. Schorndorf war auch durch pietistische Gemeinschaften geprägt, trotzdem fanden sich schon vor der Jahrhundertwende dort eine ganze Zahl von Sekten. Man kann also nicht sagen, an pietistisch geprägten Orten hätten Sekten nur schwer oder überhaupt keinen Zugang finden können. Bereits 1878 wurden im Pfarrbericht neben den 340 Pietisten auch noch 30 „Nazarener oder Neukirchler“ genannt, die in einem eigenen Haus unter einer eigentümlichen Hausordnung zusammenlebten, sowie 4 Baptisten in 3 Familien. „Die Methodisten haben vergeblich versucht, sich zu etablieren und sind im Abnehmen“. 1905 erwähnte der Dekan Gmelin1459 in Schorndorf neben 5 935 Protestanten, 313 Katholiken und 4 Israeliten, auch 45 - 50 Methodisten, die aber aus der evangeli- schen Kirche noch nicht ausgetreten waren, sowie 24 Baptisten, 12 Nazarener, 15 Irvingianer, 20 Neu-Irvingianer, die sich 1863 abgespalten hatten, daneben noch 8 Spiritisten, 15 Scientisten, sowie einige Adventisten, Neukirchler, Separatisten und Gesundbeter. 1917 wurde bemerkt, die Methodisten würden verstärkt um Anhänger werben. Der Dekan Paul Gölz1460 wies 1923 darauf hin, daß vor allem die Anhänger der Neuapostolischen Kirche „am stärksten Umtrieb machen". Ihre Versammlungen am Sonntag-Vormittag wurden von ungefähr 200 Personen besucht. "Die Mitglieder entfalten einen großen Weckeifer“ und sie warben in neuerer Zeit ebenfalls verstärkt um Anhänger". "Jungen Kriegerwitwen wurde klar gemacht, daß ihr Mann nicht gefallen wäre, wenn sie rechtzeitig der Neuapostolischen Gemeinschaft beigetreten wären. Und da nur ihre Gemeinschaft die Gewißheit der Auferstehung hätte, könnte sie das Seelenheil ihres Mannes nur noch durch einen raschen Beitritt retten."1461 Außerdem wurde noch erwähnt: „Daran, daß es bei manchen Arbeitern nur noch eines besonderen Anstoßes zum Austritt und Übertritt zu einer Sekte bedarf, ist nicht zu zweifeln. Vielfach ist es nur dem Einfluß der Frau zu verdanken, daß der Mann das Band mit der Kirche noch nicht gelöst hat“.1462 1459 Eduard Ludwig Gmelin (31.3.1859 - 1.5.1945), Dekan in Schorndorf 1902 - 1918. Sigel Nr. 351,37. 1460 Ernst Paul Gölz (7.12.1870 - 13.5.1932), Dekan in Schorndorf 1923 - 1932. Sigel Nr. 1 100,6. 1461 Pfarrbericht Schorndorf, 1917. 1462 Pfarrbericht Schorndorf, 1923. 368 Im Jahre 1904 stellte der Dekan Karl August Elsässer1463 fest, daß die soziale Struktur Tübingens nur schwer eine Beurteilung der Gemeinde zulasse. Die Hahn´sche Gemeinschaft mit 40 Personen hielt sich treu zur Kirche. Es gab aber auch 3 Darbisten (Nippelianer), 18 Baptisten, 3 Methodisten, die seit 1885 eine eigene Kapelle hatten, 4 Adventisten und 5 Angehörige der Heilsarmee.1464 In Tuttlingen gab es seit 1878 die ersten Methodisten. Etwa 100 Gemeindeglieder waren zu ihnen übergetreten. Bis dahin war aber nur einer von ihnen aus der Kirche ausgetreten. 1887 hielten sie eine Kindersonntagsschule und hatten nun schon runde 200 Anhänger. 1893 hatten sie sich außerdem "ein Heim gebaut mit Saal“. Später kamen auch noch „einige Adventisten und ernste Bibelforscher dazu, sowie einige wenige Neuapostolische“1465 . Wie aus diesen wenigen Beispielen zu ersehen ist, nahm seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Zahl der sogenannten Dissentierenden laufend zu. Es ist auffallend, daß man in den Methodisten zunächst eine Gruppe sah, die ähnlich den Pietisten ihre Tätigkeit durchaus innerhalb der Landeskirche auszuüben bereit war. Die nachsichtige und äußert vorsichtige Behandlung durch das Konsistorium in der ersten Zeit ihres Auftretens bestätigt diese Annahme. Erst der Aufbau kleiner, selbständiger Gemeinschaften und die verstärkten Kirchenaustritte machten auf die Gefahr aufmerksam, dann auch die Eigenmächtigkeiten in der Gottesdienstgestaltung. Daß diese Gruppe nach der Jahrhundertwende von der Neuapostolischen Gemeinschaft überholt werden würde, konnte sich in dieser Zeit noch niemand vorstellen. Die übrigen Sekten sind immer Minderheiten geblieben, die nie eine wirkliche ernste Gefahr für die Landeskirche bedeuteten. Trotzdem wurde ihre Entwicklung immer aufmerksam verfolgt und in den Pfarrberichten auch beschrieben. Es wurde immer auch mit großer Befriedigung registriert, wenn irgendwo die Mitgliederzahl solcher Gemeinschaften abnahm, oder deren Teilnehmer gar in die Kirche zurückfanden. Eine Gefahr für die Landeskirche sind sie nirgends geworden. 1463 Karl August Elsässer ( 17.1.1839 - 24.4.1923), Dekan in Tübingen 1890 - 1909, Sigel Nr. 764,67. 1464 Pfarrbericht Tübingen, 1898, 1904. 1465 Pfarrbericht Tuttlingen, 1905. 369 9.0. Die persönlichen Verhältnisse des Pfarrers. Selbstverständlich wurde in den Pfarrberichten der Person des Pfarrers immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Der prüfende Dekan oder Prälat hatte nicht nur die Lebensweise und das sittliche Verhalten, "die Predigt nach Gehalt und Form, die Amtsführung nach Tätigkeit und Treue und nach dem praktischen Geschick" und die sonstigen Tätigkeiten seines Kandidaten, beispielsweise die Schulaufsicht, zu überprüfen, sondern diesen auch nach einem vorgegebenen Schema zu benoten1466. So kann man sagen, daß das Leben eines Pfarrers eigentlich lebenslänglich von Prüfungen begleitet war. Das fing schon in den 1556 geschaffenen Klosterschulen1467 an, die auch schon nach diesem System aufgebaut waren. Es wurde lokiert, die Sitzordnung entsprach also immer der Tagesform, und die Rangordnung der Prüfung begleitete den Pfarrer durch sein ganzes Leben. Es ist so verständlich, daß beispielsweise ein Sixt Carl Kapff während seiner ganzen Schulzeit immer Angst hatte, den Anforderungen der Lehrer nicht gerecht zu werden. Sein Sohn erwähnt in der Lebensbeschreibung seines Vaters dessen Ausspruch: „Ich war in dieser Schule bis 1819 und ich darf fast sagen in beständiger Sorge, oder sogar Angst, doch ja alles recht zu machen“.1468 Der gemeinsame Bildungsgang, von den Klosterschulen, die seit 1806 "Niedere Seminare" genannt wurden, bis zum abgeschlossenen Theologiestudium, der einen Zeitraum von ungefähr 9 Jahren umfaßte, bildete selbstverständlich durch das gemeinsame Erleben in diesen Jahren eine homogene Gruppe der schwäbischen Bildungsschicht, häufig noch untereinander verbunden durch Heiraten, die prägend für das Land wurde.1469 Die Entlohnung des Pfarrers, die in den Pfarrberichten in der ersten Zeit immer in allen Einzelheiten angegeben werden mußte, war stets an die Pfarrei gebunden. Die Pfarrbesoldung war vom Kirchort abhängig. Jede Pfarrstelle war seit der Reformation mit einer festen Dotation, der sogenannten „Kompetenz“ ausgestattet. Da die Besoldung in den Jahren bis 1848 teils in Geld, teils in Naturalien ausbezahlt wurde, waren die Aufstellungen in der ersten Zeit immer sehr umfangreich. Es gab Pfarrstellen, die so gering besoldet waren, daß sie allenfalls für einen Berufsanfänger, der alleinstehend war oder erst eine kleine Familie hatte, ausreichten. Wollte ein Pfarrer sich finanziell verbessern, so war dies immer nur durch den Wechsel auf eine andere, besser dotierte Stelle möglich. 1466 Der Pfarrbericht, 1855. Anhang, S. 555.. 1467 Lang: Geschichte der württembergischen Klosterschulen; Wunderlich: Die ehemaligen Klosterschulen; Die württembergischen Klosterschulen und Seminare. 1468 Kapff, Carl: Lebensbild von Sixt Karl von Kapff, S. 10. 1469 Ehmer: Geschichte des württembergischen Magisterbuchs, S. 147. 370 Die Not, die häufig mit einer Pfarrstelle besonders bei einer zahlreicher werdenden Familie verbunden war, zwang den Pfarrer dann geradezu, jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen, um sein Einkommen auf irgend eine Art aufzubessern. Das Einkommen bestand grundsätzlich aus einer Geldzuwendung und den verschiedenen Naturalien, dem Roggen, Dinkel, Haber, Stroh und Holz, dem Wein, dem Gartenertrag und schließlich bis 1901 den Emolumenten, also den Einkünften aus Taufen, Trauungen und Beerdigungen. Dabei war die teilweise Naturalbesoldung in Notzeiten durchaus von Vorteil, weil durch sie die Verteuerung der Nahrungsmittel aufgefangen wurde. Der einzelne Laib Brot mußte manchmal wesentlich teurer eingekauft werden, der gelieferte Weizen oder Roggen unterlag keinen Schwankungen. Andererseits war der Geldanteil in Zeiten niedriger Fruchtpreise von Vorteil.1470 Selbstverständlich war den Pfarramtskandidaten bekannt, wie die einzelnen Pfarrstellen dotiert waren und wie es um ihre Chance stand, eine bestimmte, besser bezahlte Stelle zu erhalten. Dr. Hermann Ehmer beschreibt in seiner Flattich-Biografie, wie beispielsweise nach dem Tod des Münchinger Pfarrers Ploucquet am 18. Oktober 1759 innerhalb weniger Tage 26 Bewerbungen um die Nachfolge beim Konsistorium eingingen. Noch am Tag, an dem die Meldung des Spezials vom Markgröningen über den Tod des Pfarrers in Stuttgart eintraf, am 23. Oktober, lagen dem Konsistorium bereits zwölf neue Bewerbungen vor. Am 26. Oktober gingen beim Konsistorium weitere 10 Bewerbungen ein, darunter auch die des Magisters Flattich, bis dahin Pfarrer zu Metterzimmern.1471 Eine solche Nachricht muß sich also ungeheuer schnell verbreitet haben. Es ist bekannt, daß Herzog Karl Eugen seinen Einfluß auf das Konsistorium geltend machte, um dem von ihm bevorzugten Kandidaten Philipp Matthäus Hahn die reiche Pfarrei Echterdingen oder Kornwestheim zukommen zu lassen. Kornwestheim war im Dekanat Ludwigsburg die bestdotierte Stelle, noch besser bezahlt war allerdings Echterdingen, wo das Einkommen 450 Gulden höher als in Kornwestheim war. Hinzu kam dort die Nähe zu Hohenheim, die dem Herzog wichtig erschien. Hahn selbst schreibt in seinem Tagebuch, wie aufwendig sein Haushalt war, in dem außer der Frau und den eigenen Kindern die Brüder Hahns und die Gesellen der mechanischen Werkstatt, die er neben seinem eigentlichen Pfarrberuf betrieb, mitversorgt werden mußten, wie ihm die Arbeit oft zu viel wurde und wie er sich eine Zeit lang überlegte, ob er seinen Beruf nicht aufgeben und einem Ruf an die Universität Tübingen auf eine Professur für Mechanik folgen sollte. Allein schon seine eigentlichen kirchlichen Aufgaben waren dadurch sehr umfangreich, weil er neben seiner Pfarrei Kornwestheim auch noch das Filial Zazenhausen zu betreuen hatte. 1470 Ehmer: Johann Friedrich Flattich, S. 50. 1471 Ehmer: Johann Friedrich Flattich, S. 58; Quarthal: Öffentliche Armut, Akademikerschwemme und Massenarbeitslosigkeit im Barockzeitalter, S. 14; Rieber: Pfarrbesoldung in Laufen. S. 568. 371 Er hatte Sonntags zweimal und im allgemeinen auch noch Freitags zu predigen, dazu kamen Kathechisation und Bußgottesdienst, für die Jugend Christenlehre und Konfirmandenunterricht, dazu die üblichen Stolhandlungen, Taufen, Trauungen und Beerdigungen, Krankenbesuche, Sitzungen des Kirchenkonvents und Erbauungsstunden, außerdem noch der Religionsunterricht, die Überwachung der Schule und der Lehrer. Der Verkehr mit dem Hof, die Ansprüche seines Gönners, Herzog Karl Eugen, der umfangreiche Briefwechsel, unter anderem auch mit Lavater, waren eine zusätzliche Belastung. In seiner Werkstatt mußte er die Gesellen anlernen und beaufsichtigen, aufwendige Berechnungen anstellen, Konstruktionszeichnungen anfertigen, die Herstellung der Geräte überprüfen und sich auch noch um deren Verkauf kümmern.1472 Das alles war natürlich nur möglich, wenn eine Pfarrei so dotiert war, daß der Inhaber von materiellen Sorgen weitgehend befreit war.1473 Dies war im 17. und 18. Jahrhundert bei der Bewerbung um Staatsstellen aber nicht anders. Auch dort kamen auf eine freiwerdende Stelle bis zu fünfzehn qualifizierte Bewerbungen, wie Franz Quartal in seiner Arbeit "Öffentliche Armut, Akademikerschwemme und Massenarbeitslosigkeit im Barockzeitalter" aufgezeigt hat.1474 Zweifellos waren die Verhältnisse im württembergischen evangelischen Pfarrhaus immer sehr einfach, im Gegensatz etwa zu Norddeutschland, wo, wie berichtet wurde, die Wohlhabenheit einer Pfarrfamilie offensichtlich so verbreitet war, daß Schleiermacher dies für die Bequemlichkeit und Ungeistlichkeit in dieser Schicht verantwortlich machte.1475 Herzog Christoph wollte in der Großen Kirchenordnung von 1559 sicherstellen, daß der einzelne Pfarrer seinem Beruf und seinen weiteren Studien ohne äußere Not nachkommen konnte.1476 Die Ausstattung bestand zum Teil in landwirt- schaftlichen Gütern, die der Pfarrer oder seine Familie selbst zu bestellen hatte. Diese Nebentätigkeit in der Landwirtschaft hat sich mindestens bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gehalten. Mehrfach fanden sich Klagen über die „Verbauerung“ des Pfarrers, für die Baur und Werdermann Belege in ihren Schriften beibrachten.1477 Büchsel gab dem Geistlichen sogar ausführliche Ratschläge über die Führung einer eigenen Landwirtschaft. Er hat die Vor- und Nachteile einer Verpachtung gegeneinander abgewogen, und außerdem darauf hingewiesen, daß zu einem eigenen Wirtschaften immer auch ein gewisses Vermögen notwendig war, um eine Verschuldung zu verhindern.1478 1472 Hahn: In Erwartung der Königsherrschaft Christi, S. 35. 1473 Hermann Ehmer: Philipp Matthäus Hahn. In: Philipp Matthäus Hahn. Teil 2, S. 235. 1474 Quarthal: Öffentliche Armut, Akademikerschwemme und Massenarbeitslosigkeit, S. 168. 1475 Baur: Das deutsche evangelische Pfarrhaus, S. 374. 1476 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. VIII., S. 243. 1477 Werdermann: Der evangelische Pfarrer in Geschichte und Gegenwart, S. 107; Baur: Das deutsche evangelische Pfarrhaus, S. 375. 1478 Büchsel: Erinnerungen aus dem Leben eines Landgeistlichen, S. 125. 372 Auch Eduard Mörike (1804 - 1875) hat in einem Brief an seine Braut Luise Rau, der sonst eigentlich seine Sehnsucht nach Ruhe zum Ausdruck bringt, geschrieben: „Das Verbauern fürcht ich, das Zusammenfaulen neben einem Weibe, Siebenschläfern, Vergauchen, wenn ich heute einmal das Glück haben soll, württembergischer Pfarrer zu werden“.1479 Werdermann hat in seiner Untersuchung dargelegt, daß in der Stadt entsprechend eine Gefahr der „Verbürgerlichung“ bestehe, die ebenfalls zur Verweltlichung beitrage. Beides, so betont er, behindere die geistliche Tätigkeit und sei deshalb eine Gefahr für den Pfarrer, der seine eigentliche Aufgabe, die Predigt, die Lehre und die Seelsorge, darüber vernachlässigen könnte.1480 Auch der Unterschied in der Entlohnung, das Gefälle von Stadt und Land, spielte in diesen Betrachtungen eine Rolle. Auch beklagten sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Pfarrer immer wieder über den Streit mit der Gemeinde wegen des ihnen zustehenden Zehnten. In nicht wenigen Fällen standen sie in dieser Frage im Gegensatz zum Schultheißen, der aus seiner Sicht den Bauern riet, die Abgaben so gering wie möglich zu leisten. Ehmer hat im Vergleich zwischen der neuen Pfarrstelle von Flattich in Münchingen zu der vorherigen in Metterzimmern gezeigt, daß der Unterschied in der Entlohnung nach dem Kompetenzbuch von 1738 zwischen 230 Gulden in Münchingen zu vorher 201 Gulden nicht sehr groß war. Der wesentliche Unterschied zur Entlohnung in Metterzimmern war der, daß der Pfarrer dort nur einen Teil des Kleinen Zehnten zu beanspruchen hatte, der auf 7 Gulden veranschlagt wurde, während in Münchingen sich der Anschlag auf knapp 27 Gulden belief. Zum Großen Zehnten gehörte "alles, was der Halm trägt", also Weizen, Roggen, Dinkel, Haber, Emerkorn und Gerste. Der Kleine Zehnt war ein Zehntel des Ertrages von Obst, Kartoffeln, Linsen, Bohnen, Erbsen, Wicken, Hanf, Flachs, Kraut, Rüben und Klee, die auf bestimmten Grundstücken wuchsen.1481 Ein bedeutender Nachteil des Kleinen Zehnten war jedoch, daß der Berechtigte den Ertrag während der Ernte bei den einzelnen Abgabepflichtigen selbst einsammeln mußte. Diese Aufgabe verursachte viel Arbeit und womöglich auch Ärger mit dem Zehntpflichtigen und war deshalb für einen Pfarrer nicht einfach. "Es war zweifellos eine Probe für seine Klugheit, seine berechtigte Forderung gegenüber den Abgabepflichtigen, die ja zugleich seine Gemeindeglieder waren, in der richtigen Weise durchzusetzen. Am klügsten, wenn auch nicht am lohnendsten für den Pfarrer war es, den Ertrag des Kleinen Zehnten ganz oder teilweise zu verpachten, wie es Flattich zumindest gelegentlich getan hat“.1482 Auch um die Höhe der Pacht gab es ständig Ärger. So war der Pfarrer oft geradezu gezwungen, um solche Auseinandersetzungen zu vermeiden, wenigstens seinen Besitz selbst zu bewirtschaften. Wenn er dazu das nötige Geschick hatte, wenn er bei seiner Familie die nötige Unterstützung fand, konnte er zufrieden sein. 1479 Lahnstein: Eduard Mörike, S. 110. 1480 Werdermann: Der evangelische Pfarrer in Geschichte und Gegenwart, S. 107. 1481 Hasselhorn: Der altwürttembergische Pfarrstand im 18.Jahrhundert, S. 9; Ostertag: Chronik von Weil im Dorf, S. 104. 1482 Ehmer: Johann Friedrich Flattich, S. 61. 373 Es konnte die Legitimation und das Ansehen des Pfarrers in seiner Gemeinde durchaus stärken, wenn er mit seinen Bauern aus eigener Erfahrung über ihre Angelegenheiten sprechen, wenn er dann den guten Kontakt und die Nähe auch für seine eigentlichen seelsorgerlichen Aufgaben nutzen konnte. Er konnte weit praktischer predigen, wenn er eine vernünftige Landwirtschaft betrieb, und es war ihm auf Grund solcher Kenntnisse auch immer wieder möglich, als Vorbild und Beispiel für seine Bauern zu wirken.1483 Andere Voraussetzungen waren gegeben, wenn der Pfarrer schon in einem bestimmten Alter stand und diese Aufgaben nicht mehr allein bewältigen konnte. Die Angst, einen Vikar zuziehen und teils auf eigene Kosten verhalten zu müssen, die Angst, im Alter der niedrigen Pension wegen Not leiden zu müssen, dies alles waren Dinge, die Teile des Pfarrerstandes sorgenvoll in die Zukunft blicken ließen.1484 In keinem anderen Beruf konnte der Unterschied der Besoldung so groß sein, wie bei den Pfarrstellen. Die Ungerechtigkeit bestand vor allem darin, daß von allen Pfarrern, den gut bezahlten und den schlecht besoldeten, die gleichen Kenntnisse und Tätigkeiten verlangt wurden. Dabei konnte ein Pfarrer an einer besonders gut dotierten Stelle ein Mehrfaches dessen verdienen, was vielleicht ein Pfarrer an einer anderen Stelle erhielt, die mit viel Mühe verbunden war,. Natürlich fehlte dann bei der Erörterungen von solchen Besoldungsfragen auch der Hinweis nicht, daß man von einem Pfarrer auch verlangen könne, daß er die Armut mit fröhlichem Herzen trage.1485 Baur kannte eine große Anzahl von Pfarrern, „die noch nie von dem gelebt haben, was ihre Stelle eintrug“, was nach seiner Einschätzung eine schwere Belastung für das Amt sein konnte.1486 Büchsel schrieb in seinen Erinnerungen: „Man kann wohl leicht die Behauptung aussprechen, der Geistliche müßte seine Tüchtigkeit und seine Glaubenskraft auch dadurch beweisen, daß er wisse, Not und Armut mit ungebrochenem Mute zu tragen, aber teils ist er nicht allein, sondern Frau und Kinder müssen mit leiden, teils ist auch nicht jedem die Gnadengabe, die dazu nötig ist, gegeben“.1487 Bekannt sind, um ein außerwürttembergisches Beispiel zu zitieren, die Worte von Paul Gerhard, die er in seinem Testament seinem Sohn mit auf den Weg gab, daß er in seinem Beruf bleiben solle, auch wenn er nur wenige gute Tage habe, denn der liebe Gott wisse auch dann Rat und könne die äußerliche Trübsal „mit innerlicher Herzenslust und Freudigkeit des Geistes genugsam ersetzen“.1488 Auch Philipp Matthäus Hahn trat dafür ein, daß die Pfarrer sich nicht als Herren aufspielen sollten, die ihren Nächsten nicht mehr lieben und achten, weil sonst keine „Erbauung“ stattfinden könne.1489 1483 Köhle-Hezinger: Pfarrvolk und Pfarrersleut, in: Greiffenhagen: Das evangelische Pfarrhaus, S. 269. 1484 Grünenklee: Ein Pfarrhaus auf dem Schurwald, S. 121. 1485 Büchsel: Erinnerungen aus dem Leben eines Landgeistlichen, S. 71. 1486 Baur: Das deutsche evangelische Pfarrhaus, S. 441. 1487 Büchsel: Erinnerungen aus dem Leben eines Landgeistlichen, S. 71. 1488 Bezzenberger: Im Pfarrhaus brennt noch Licht: Paul Gerhards Testament, S. 139. 1489 Köhle-Hezinger: Pfarrvolk und Pfarrersleut, in: Greiffenhagen: Das evangelische Pfarrhaus, S. 264. 374 Bei der Höhe der Besoldung war der Unterschied der einzelnen Dotierungen schon in der Mitte, wie auch später noch am Ende des 19. Jahrhunderts, sehr beachtlich. Die durchschnittliche Höhe der Pfarrbesoldung wurde für das Jahr 1859 von Hasselhorn mit 853 fl. angegeben, was sehr niedrig erscheint. Er kommentierte diesen Wert wie folgt: „Dies darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß im ganzen gesehen, die Besoldung oft recht dürftig war. Es ist wohl kaum einer im Kirchendienst reich geworden. Ein Geistlicher mußte sein Vermögen auf Schulen, in den Klöstern, auf der Universität und in den nun so langen Vikariatsgang zusetzen. Auf dem ersten Dienst hat er von Glück zu sagen, wenn er weiter nichts zusetzen muß. Auf dem zweiten muß er Söhne in großen Kosten unterhalten, manchmal einen Vicarius halten, und hie und da noch große andere Auslagen bestreiten“.1490 Da die Zahl der nieder dotierten Stellen bei weitem überwog, konnte man diese nicht nur als Durchgangsstellen für Berufsanfänger sehen. Viele junge, begabte Pfarrer blieben auf solchen Stellen sitzen und hatten keine Chance, in ihrer Laufbahn weiter zu kommen und ihre Lebensverhältnisse aufzubessern. Mancher ältere Pfarrer gab nach mehreren gescheiterten Versuchen das Bemühen um eine höher dotierte andere Pfarrstelle auf, resignierte und fügte sich in sein Schicksal. Er harrte auf dem ihm zugewiesenen Platz bis an sein Lebensende aus. Kolb erwähnte den Pfarrer von Breitenholz, der 42 Jahre lang mit fünfzehn Kindern, acht lebenden, fünf unversorgten, auf solch einer mit 400 Gulden gering besoldeten Stelle saß und außerdem die Hälfte dieses Einkommens an den Vikar weitergeben mußte, den er altershalber zu halten gezwungen war.1491 Andererseits hatte ein Pfarrer immer auch gewisse Privilegien. Er hatte stets seine freie Wohnung und war vom Militärdienst befreit. Auch ein gewisses Maß an Unabhängigkeit konnte für ihn durchaus von Vorteil sein und ihm erlauben, sich neben seiner pfarramtlichen Tätigkeit mit anderen Dingen zu beschäftigen. Andererseits hatte er auch bestimmte Pflichten. Sein Haus war „ein offenes Haus“ und natürlich war sein Familienleben der öffentlichen Kritik immer besonders ausgesetzt. Da das Predigtamt mit dem des Hausvaters vereint war, stand der Pfarrer nicht mehr nur als Theologe, sondern immer auch als Familienvater im Blickpunkt seiner Gemeinde. Sein Privatleben hatte immer vorbildlich zu sein, und es war selbstverständlich, daß auch dieser Bereich bei der Visitation vom prüfenden Dekan immer besonders kritisch gesehen wurde. Durch die Ehe des Geistlichen war immer auch das Familienleben und der ganze Hausstand unter die Obhut des geistlichen Amtes gestellt, und so, wie jeder Christ die Aufgabe hatte, am Reiche Gottes mitzuarbeiten, war es das ganz besondere Anliegen des Pfarrhauses, auch in der Ehe Vorbild zu sein und das Wort Gottes auf allen Gebieten vorzuleben. 1490 Hasselhorn: Der altwürttembergische Pfarrstand im 18.Jahrhundert, S. 16; Schnabel-Schüle: Distanz und Nähe. S. 339. 1491 Kolb: Die Aufklärung in der Württembergischen Kirche, S. 189. 375 Der Geistliche hatte nicht mehr nur durch die Verkündigung der christlichen Botschaft allein, sondern genau so durch sein vorbildliches Leben zu dokumentieren, was unter einem christlichen Hauswesen zu verstehen sei.1492 Aber seine Hauptaufgabe blieb, auch in der Sicht des Geistlichen selbst, immer die Verkündigung des Wortes. Ernst Bizer hat das so formuliert: "Das Wort zeigt nicht einfach den Weg zur Gerechtigkeit und beschreibt diesen nicht nur, sondern es ist das Mittel, wodurch Gott den Menschen rechtfertigt, weil es den Glauben weckt. Ocularia miracula longe minora sunt quam auricularia". Das Wort Gottes wird in der Predigt viva vox, es wird gehört.1493 Eindeutig waren die Instruktionen, die der Pfarrer von seiner vorgesetzten Behörde mit auf den Weg bekam. "Vor allem sei der Geistliche seiner Gemeinde ein Vorbild in dem Gehorsam und in der ehrfurchtsvollen Treue und Liebe gegen die Landesobrigkeit, den König, und gebrauche den Einfluß, welchen der Volkslehrer hat, dem Untertanen seine Pflichten wichtig und angenehm zu machen". Ein "Hauptgeschäft" des Geistlichen war es, die Wahrheiten des Christentums in freier Rede vorzutragen. Pflicht war selbstverständlich eine sorgfältige Vorbereitung der Predigt, „welche bloß von leichtsinnigen und gewissenlosen Geistlichen hintangesetzt werden kann“. Genau so wichtig war die Kathechisation, „durch welche die Jugend eine klare und fruchtbare Erkenntnis der Wahrheiten des Christentums gewinnen soll“. Die Schule, als „Pflanzstätte alles Guten“, wurde der besonderen Aufmerksamkeit des Pfarrers empfohlen und ihm geraten, die freie Zeit, die ihm seine Amtsgeschäfte übrig ließen, „sorgfältig und zweckmäßig zu nutzen“ Es wurde gefordert, er solle sich vor allem in den Wissenschaften fortbilden, "ohne sich unangemessenen oder gar unanständigen Beschäftigungen zu widmen“. Im allgemeinen konnte der Pfarrer, sehr häufig im Rahmen seiner Großfamilie, aus der menschlichen Nähe heraus wirkend, sich der Zuneigung seiner Gemeinde sicher sein. Er sollte und mußte, auf Grund seiner Bildung und Ausbildung, vorbildlich auf seine Gemeindeglieder einwirken, seiner Gemeinde immer vorbildlich vorstehen, einerseits in Glaubens- und Sittenfragen, andererseits aber auch als Familienvater, oder auch als Fachmann, besonders bei allerlei landwirtschaftlichen Problemen.1494 Anscheinend ist das aber nicht immer und überall der Fall gewesen. Es wurde in der "Württembergischen Kirchengeschichte" ganz allgemein festgestellt, daß in dieser Zeit viele Pfarrer den Anforderungen, die an sie gestellt wurden, einfach nicht gewachsen waren und sie ihrer Aufgabe nicht mehr gerecht wurden. „Der trockene Inhalt und die steife Form ihrer Predigten“ wurden für den ständig abnehmenden Gottesdienstbesuch als Ursache gesehen.1495 1492 Baur: Das deutsche evangelische Pfarrhaus, S. 124 ff. 1493 Söhngen: Die Musik im evangelischen Pfarrhaus. In: Greiffenhagen: Das evangelische Pfarrhaus. S. 303. 1494 Lahnstein: Eduard Mörike, S. 131; Reyscher: Kirchengesetze, Bd. IX., Nr. 432, S. 152. Amtsinstruk- tionen für die evangelische Geistlichkeit. 1495 Württembergische Kirchengeschichte, S. 596. 376 Das Ministerium des Innern, dem auch die Kirchen und Schulen unterstellt waren, sah sich bereits 1822 veranlaßt, „akademische Preise zur Belebung des Studiums der Kanzelbered-samkeit und der Katechetik“ auszusetzen.1496 König Friedrich war fest entschlossen, Überholtes auch in seiner Kirche, die mit dem Staat so eng verflochten war, abzuschaffen. So wünschte er sich Theologen, die ihn hierin unterstützten, die gebildet waren und die ebenfalls den Gedanken des fortschrittlichen Staatskirchentums anhingen. Um Staatsausgaben zu verringern, wurden aber im Interesse des Staatshaushaltes auch Pfarrstellen eingespart. Eine Vermehrung wäre nötig gewesen, um eine bessere geistliche Versorgung der Gemeinden zu erreichen. 1497 Es war selbstverständlich, daß im Laufe dieses Jahrhunderts auch die Pfarrfrau ihrerseits an Bedeutung gewann, und langsam, wenn auch bis zum Ende des Jahrhunderts immer noch sehr zögernd, aus ihrer untergeordneten Rolle herauswuchs und in ihrem Dienst für die Gemeinde immer wichtiger und dann auch anerkannt wurde.1498 Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war der Pfarrer bis zu seinem Tod im Dienst, und nur ausnahmsweise kam eine Versetzung in den Ruhestand in Betracht. Karl Gerok berichtet in seinen Jugenderinnerungen von seinem Großvater, der bis zu seinem Tod im Alter von 87 Jahren in Ofterdingen sein Amt versah und seinen Aufgaben als Pfarrer bis zu seiner letzten Stunde getreulich nachkam.1499 Nach dem Pfarrbericht von Biberach aus dem Jahre 1843 bedauerte der dortige Pfarrer angesichts seine hohen Alters von 74 Jahren, daß die Weiterbildung der Lehrer, die ihm übertragen war, so schwierig sei und ihm so viel Mühe bereite, weil sie alle aus dem Handwerkerstand kamen.1500 1496 Erlaß vom 25.September 1822. 1497 G.Schäfer: Die Evangelische Landeskirche, in: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, S .321. 1498 Beys: Die Pfarrfrau, S. 48; Braun: Das Buch von der deutschen Pfarrfrau; Wahl, Johannes: Lebensläufe und Geschlechterräume im Pfarrhaus, S. 40. 1499 Gerok: Jugenderinnerungen, S. 9. 1500 Pfarrbericht Biberach, 1843. Stadtpfarrer Johann Jakob Mayer 24.5.1769 -31.8.1852, Pfarrer an Maria- Magdalena in Biberach 1795 - 1819, Hospitalpfarrer 1819 - 1826, 2. Stadtpfarrer 1826 - 1829, 1. Stadt pfarrer 1829 - 1852, Sigel Nr. 107,28. 377 Die nachstehenden Aufstellung zeigt den Altersaufbau der Pfarrer, zunächst im Jahre 1840. Geburtsjahr: Geburtsjahr: 1749 - 1754 4 1785 - 1789 77 1755 - 1759 10 1790.-.1794 103 1760 - 1764 25 1795 - 1999 155 1765 - 1769 57 1800 - 1804 252 1770 - 1774 40 1805 - 1809 244 1775 - 1779 64 1810 - 1814 218 1780 - 1784 61 1815 - 1819 105 ______ 1 415 ====== Diese 1 415 Personen hatten alle die Seminarien absolviert und eine Pfarrer- ausbildung hinter sich gebracht. Im Jahre 1840 waren 1862 Personen in höheren oder niederen Kirchenstellen beschäftigt. 95 waren in höheren oder niederen Lehrämtern angestellt, in Zivilämtern 10, und 30 standen "in ausländischen Diensten". Pensioniert waren zu diesem Zeitpunkt in Kirchenämtern 17 Personen, eine weitere Person auf einer Lehrstelle. In der Statistik weiter aufgeführt wurden 30 entlassene, sowie 370 bereits geprüfte, aber noch nicht angestellte Theologen. Zusätzlich waren 324 Seminaristen noch in der Ausbildung und nicht geprüft. 103 Pfarrer waren älter als 70, 151 Pfarrer älter als 65 Jahre. Der "Senior" der evangelischen Geistlichen war mit 91 Jahren Magister Friedrich August von Heyd,1501 geboren am 1. Dezember 1749 in Bissingen an der Enz. Er war in seiner Jugend (1779) Prediger an der Hohen Karlsschule in Stuttgart gewesen, zwei Jahre später Diakon in Calw, 1798 Stadtpfarrer und Dekan in Markgröningen und schließlich von 1812 bis 1836 Dekan und Stadtpfarrer in Weinsberg. Er ging 1836, also im Alter von 87 Jahren, in Pension und starb zwei Jahre später, am 12. März 1840 am Ort seiner letzten Tätigkeit. Der nächstälteste württembergische Pfarrer war Magister Johann Friedrich Wagner,1502 geboren am 15. Mai 1752 in Tübingen. Er hatte im Jahre 1771 seine Magisterprüfung abgelegt, war 1790 2. Diakon in Murrhardt geworden, 1808 Pfarrer in Beuren, feierte dort 1840 sein fünfzigjähriges Amtsjubiläum, erhielt aus diesem Anlaß den württembergischen Kronenorden. Er starb noch am 2. Dezember desselben Jahres. 1501 Sigel Nr. 173,51. 1502 Sigel Nr. 102,21. 378 Zum Vergleich sollen nun die im Evangelischen Kirchenblatt von 1898 aufgeführten, damals im Kirchendienst stehenden evangelischen Geistlichen, ebenfalls nach dem Jahrgang aufgelistet werden: 1820 - 1824 15 1845 - 1849 87 1825 - 1829 31 1850 - 1854 104 1830 - 1834 69 1855 - 1859 126 1835 - 1839 66 1860 - 1864 207 1840 - 1844 100 1865 - 1869 128 933 Geistliche waren zu diesem Zeitpunkt in der evangelischen Landeskirche im Dienst, darunter 2 Prälaten und 7 Dekane. Im Ruhestand wurden in diesem Jahr aber bereits 115 Geistliche geführt.1503 Wie aus dieser Aufstellung auch zu ersehen ist, war der älteste damals noch im Dienst stehende Geistliche 78 Jahre, der jüngste 28 ¾ Jahre alt. Das Durchschnittsalter betrug 46 ½ Jahre. Die Auflistung der Pfarrer nach dem Alter ergab folgendes Bild: 28 - 29 Jahre 11 30 - 34 Jahre 200 35 - 39 Jahre 187 40 - 44 Jahre 108 45 - 49 Jahre 85 50 - 54 Jahre 93 55 - 59 Jahre 99 60 - 64 Jahre 64 65 - 69 Jahre 56 70 - 74 Jahre 25 75 - 78 Jahre 5 30 der Pfarrer waren demnach älter als 70 Jahre, 86 älter als 65. In dieser Aufstellung nicht enthalten sind allerdings die Dekanatsstellen. Erst ab dem Gesetz vom 11. September 1909 konnten Pfarrer mit 65 Jahren in den Ruhestand treten.1504 1903 waren in der Landeskirche 957 Geistliche beschäftigt, also unwesentlich mehr als fünf Jahre zuvor, darunter 8 Prälaten, 1 Feldpropst und 46 Dekane. Im Ruhestand waren zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits 138 Geistliche, darunter 5 Prälaten und 11 Dekane. 23 Pfarrer waren älter als 70 Jahre, 62 älter als 65 Jahre.1505 1503 Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg. 59.Jg., 29.1.1898, Nr. 5, S. 37. 1504 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 222. 1505 Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg, 64.Jg., 24.1.1903, Nr. 4, S. 31. 379 Was die oft sehr einfachen Lebensverhältnisse betrifft, so ist der Verweis auf Christus, der das Unrecht der ganzen Welt getragen habe, und dessen Nachfolger man ja sei, und der Hinweis darauf, daß man von einem Pfarrer einen starken Glauben verlangen könne, der auch die Armut mit fröhlichem Herzen ertragen lasse, sehr oft zu finden, und auch, daß arm und niedrig sein vor Gott keine Schande sei, doch mag dies in manchen Fällen nur ein schwacher Trost gewesen sein.1506 Wenn ein Pfarrer seiner Gemeinde zeigen sollte, daß irdische Güter allein nicht immer glücklich machen und nicht unbedingt der Seele Frieden bringen, so galt ein solcher Satz natürlich auch für reichlicher dotierte Stellen entsprechend und konnte auch dort Anwendung finden. Durch die Ablösung des Zehnten 1848/491507, durch den Rückgang der eigenen landwirtschaftlichen Tätigkeit im Pfarrhof, durch die dadurch eintretende Entlastung auch der Pfarrfrau, die einen großen Teil dieser Tätigkeiten zu tragen gehabt hatte, war mehr Zeit für den eigentlichen Beruf, auch für die Familie, die Kinder vor allem, gegeben und wurde so auch in den meisten Fällen genutzt. Die Kindererziehung hatte im Familienleben der Pfarrer schon immer einen hohen Stellenwert. In vielen Pfarrfamilien wurden die Kinder bereits im frühesten Alter auf ihre künftigen Aufgaben im späteren Leben vorbereitet. Der väterliche Unterricht ab dem vierten oder fünften Lebensjahr dürfte keine Seltenheit gewesen sein. Werdermann erwähnte, daß Pfarrer sich meist sehr viel Zeit nahmen, um ihre Kinder selbst zu unterrichten. Wilhelm Hofacker hat seine Söhne ab dem 6. Lebensjahr selbst unterrichtet. Nach seiner Versetzung nach Stuttgart schickte er sie aber aufs Gymnasium, wo der Sohn Wilhelm von seinem siebten bis zum achtzehnten Lebensjahr Unterricht erhielt. Die sehr jähzornige Art des Vaters, die sich auch auf den Unterricht an den Kindern auswirkte, blieb in den Erinnerungen nicht unerwähnt: "Solche Ausbrüche der Ungeduld und des Jähzorns haben übrigens noch in den Leidenstagen und -nächten, die seinem Ende vorangingen, dem Großvater sehr zu schaffen gemacht“.1508 Der kleine Blumhardt wurde schon mit drei Jahren in die Schule gegeben. In seiner Biographie wird erwähnt, daß der Vater ihn auf dem Arm in die Schule getragen, und daß der Lehrer, der sich liebevoll um ihn bemühte, ihn ebenfalls auf dem Arm wieder ins Elternhaus zurückgebracht hat. Auch außerhalb Württembergs gab es zahlreiche Beispiele für den Unterricht der eigenen Kinder durch einen Pfarrer. Jean Paul, mit bürgerlichem Namen Johann Paul Friedrich Richter, wurde von seinem Vater selbst unterrichtet. Täglich vier Stunden vormittags und drei Stunden nachmittags mußte der Sohn nur auswendig lernen. 1506 Werdermann: Das evangelische Pfarrhaus in Geschichte und Gegenwart, S. 94; Geiger: Studienföderung in der Neuzeit. 1507 Hippel: Die Bauernbefreiung im Königreich Württemberg; Zehent-Ablösungsgesetz für das Königreich Württemberg vom 17.Juni 1849, S. 3. 1508 L. Hofacker: Wilhelm Hofacker, S. 12. 380 Sprüche und Kathechismus standen an erster Stelle, dann aber auch lateinische Wörter und Grammatik. Jean Paul erzählte später, daß er die Geschlechtsregeln jeder Deklination mit den jeweiligen Ausnahmen, dazu die beigefügten lateinischen Beispiele lernen mußte, ohne sie zu verstehen. Bei dieser persönlichen Unterrichtung der Kinder war auch gewährleistet, daß der Beruf des Vaters für sie immer Vorbild blieb. Im allgemeinen war die Berufswahl des Kindes sowieso vom väterlichen Wunschbild bestimmt, sofern der Vater nicht von vornherein den Beruf des Sohnes, der ihm ja Gehorsam in jeder Beziehung schuldig war, festlegte. Selbstverständlich waren die strenge Moral, die Einfachheit und Sparsamkeit im Pfarrhaus, die Ordnung der Lebensführung, auch für das spätere Leben der Kinder prägend. Alles war im Pfarrhaus des 19. Jahrhunderts auf das Jenseitige ausgerichtet, in Erwartung der nahen Wiederkunft des Herrn. Der Pfarrer mußte immer beweisen, daß allein ein christliches Leben Freude und Fröhlichkeit brachte, und wenn die Alltagssorgen auch drückten, so fand er in der Bibel die Antwort auf alle drängenden Fragen.1509 Er war sich immer und in allen Lagen seiner Vorbildfunktion bewußt, er wußte andererseits aber auch, daß sein Beruf ihn durch seine Ausrichtung auf das Jenseitige über seine Umgebung erhob und für ihn Verpflichtung war, auch mit den einfachen Verhältnissen fertig zu werden. Karl Gerok hat diesem Pfarrerbild in einem Gedicht Ausdruck verliehen: Wenn er mit nimmermüden Schritten als Tröster kommt in jeder Not, bringt Hilfe in der Armen Hütten an Krankenbetten Himmelsbrot, bereit am Abend, wie am Morgen, für Leib und Seel zu Rat und Tat, Sagt, welcher Stand so süße Sorgen und auch so süße Freuden hat? Angesichts der oft so armen Verhältnisse im Pfarrhaus ist es erstaunlich, daß doch der größte Teil des Pfarrernachwuchses wieder aus den eigenen Reihen kam. Fast genau ein Drittel der Kandidaten waren Pfarrersöhne, und zusammen mit dem Lehrerstand, hier aber dem gehobenen, betrug der Anteil über die Hälfte. Vor allem Präzeptoren und Professoren an Mittelschulen bildeten hier den Hauptanteil. Neher führt dies darauf zurück, daß dieser Kreis selbst wieder sehr oft aus einem Pfarrhaus stammte, und so dem evangelischen Geistlichenstand einen Teil der Söhne wieder zurückgab.1510 Dies stand im strengen Gegensatz zur katholischen Geistlichkeit, die sich angesichts des Zölibats natürlich aus anderen Schichten neu rekrutieren mußte. 1509 Baur: Das deutsche evangelische Pfarrhaus, S. 410. 1510 Hasselhorn: Der altwürttembergische Pfarrerstand, S. 30; Quarthal: Öffentliche Armut, Akademiker- -schwemme, S. 9; Geiger: Studienförderung in der Neuzeit. 381 Dies waren der sozialen Herkunft nach im 18. und 19. Jahrhundert vorwiegend der Handwerker- und Bauernstand, weniger die Schicht der Beamten.1511 Aus der Landwirtschaft kamen unter 2 024 evangelischen Geistlichen gerade 29 Bauernsöhne (1,5%), aus dem Handwerkerstand kamen 17%, während es auf katholischer Seite 30% waren. 1512 Zwischen 1871 und 1911 hatten Väter Evangelische Katholiken mit akademischer Bildung 47,02% 3,57% höhere wirtschaftl. Berufe 7,51% 1,09% niedere wirtschaftl. Berufe 45,47% 95,34%.1513 Neher sagte es sehr deutlich: „Seine Wurzeln hat der evangelische Predigerberuf im Volke nicht“, und dieser Beruf besitzt in den wichtigsten Kreisen wenig Sympathie. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß zumindest am Anfang des 19. Jahrhunderts dieser Schicht der Zugang zu einem Theologiestudium überhaupt verwehrt war. Nach 1808 war durch ein Dekret König Friedrichs Bauern- und Handwerkersöhnen grundsätzlich untersagt, in ein Seminar aufgenommen zu werden.1514 Bereits im 18. Jahrhundert waren die Verhältnisse nicht viel anders. Nach den Erkenntnissen von Hasselhorn rekrutierte sich der Pfarrerstand in dieser Zeit ebenfalls zu 44% aus den eigenen Reihen. Auch damals war die Zahl der Bauern- und Weingärtnersöhne verschwindend gering. Für die Zeit von 1763 bis 1800 war der Anteil der einzelnen Stände am Pfarrernachwuchs folgender: Honoratioren 83,4%, Bürgerliche 13,5%, Söhne von Bürgermeistern und Magistratspersonen 3,1%. Dazu kamen 1 Bauernsohn und 2 Söhne von Weingärtnern. Der Schritt vom Bauern zum Angehörigen der Honoratiorenschicht war nahezu unmöglich“.1515 Damals wurde die Zahl der Klosterschüler zusätzlich eingeengt, weil ein Überschuß an Pfarrern bestand. In Reskripten aus den Jahren 1736, 1749, 1780, 1788 und 1789 wurde versucht, den Zugang zur Universität zu beschränken.1516 In einem Generalreskript aus dem Jahre 1788 wurde es nicht nur den Handwerkern und Bauern untersagt, ihre Söhne dem geistlichen Beruf zu widmen, sondern auch den "niederen Herrschaftlichen- und Commun-Bediensteten", zum Beispiel Förstern, Dorf-Schulzen, Bürger- meistern, Schulmeistern, Krämern und überhaupt allen anderen Personen, die nicht zur eigentlichen Klasse der Honoratioren gerechnet werden konnten, "ingleichen allen denen, welchen die erforderlichen Mittel zur zweckmäßigen Vollführung der Studien für ihre Söhne ermangeln“. 1511 Neher: Die katholische und evangelische Geistlichkeit Württembergs, S. 38. 1512 Hasselhorn: Der altwürttembergische Pfarrerstand im 18. Jahrhundert, S. 31; Neher: Die katholische und evangelische Geistlichkeit Württembergs, S. 38. 1513 Wurster: Das kirchliche Leben der evangelischen Landeskirche, S. 205. 1514 Württembergische Kirchengeschichte, S. 546. 1515 Hasselhorn: Der altwürttembergische Pfarrerstand im 18.Jahrhundert, S. 32. 1516 Quarthal: Akademikerschwemme und Arbeitslosigkeit im Zeitalter des Barock, S. 9. 382 In einem Generalreskript vom 11. März 1793 brachte Herzog Karl Eugen erneut seinen Reformwillen zum Ausdruck: "Die Fortschritte des gegenwärtigen Zeitalters in der Pädagogik haben uns die Veranlassung gegeben, eine neue genaue Prüfung der lateinischen Schulanstalten vorzunehmen, um die neueren besseren Grundsätze auch in dem Vaterlande anzuwenden". Da die Trivialschulen der Unterbau der Klosterschulen seien, sollten bereits hier die Fortschritte im Unterrichts- und Erziehungswesen fruchtbar gemacht werden. In der Folgezeit wurden sowohl das Stift, als auch die Klosterschulen selbst reformiert.1517 Im Jahre 1808 wurde die gesamte württembergische Staatsdienerschaft in 13 Klassen eingeteilt, und nur die Söhne von Vätern der ersten acht Rangstufen durften in Klosterschulen aufgenommen werden. Meist war der Zugang zum Studium nur über ein Stipendium möglich, und außerdem war zu berücksichtigen, daß ein Sohn aus einer Pfarrerfamilie immer das Recht hatte, sich auf Kosten des Geistlichen Guts zum Pfarrer ausbilden zu lassen. Da die Stipendien zum ganz überwiegenden Teil in der Hand der Honoratioren waren, war es Kindern aus bürgerlichen oder gar bäuerlichen Schichten von vornherein nur möglich, in diese Kreise vorzurücken, wenn der Vater das Stadtstudium auf eigene Kosten finanzieren konnte.1518 Andererseits war aber das „Leistungsprinzip“ durchaus imstande, ständische Schranken zu durchbrechen. Begabung und Fähigkeit öffnete den Weg in höchste kirchliche Stellen. Hasselhorn erwähnt beispielsweise Georg Friedrich Closs, der es als Sohn eines Gürtelmachers zum Prälaten von Königsbronn brachte, oder Wilhelm Adam Drommer, der, als Sohn eines Sattlers, Prälat von Denkendorf wurde. Fleiß und Begabung wurden vom Konsistorium durchaus anerkannt und genutzt. Diese Möglichkeiten waren also für begabte Kinder durchaus gegeben, und solche Fälle relativieren die Ansicht, daß einzelne Familien der Ehrbarkeit sich allein in diesen bevorzugten Stellungen, die dann ja auch Sitz und Stimme im Landtag hatten, gehalten und diese immer nur innerhalb der Familie weitergegeben hätten. Solche Fälle sind bestimmt vorgekommen.1519 Verschiedentlich ging eine Prälatur oder ein anderes Kirchenamt vom Vater auf den Sohn über. Illustriert wird dies durch eine anektodenhaft überlieferte Randnotiz von Herzog Karl Eugen, als die bedeutende Theologen- und Juristen- Familie Stockmayer um die Nachfolge eines Sohnes für die Prälatur in Bebenhausen bat, weil die Familie so viel Vermögen schon in diese Sache gesteckt habe: „Ist Bebenhausen Stockmayersches Fideicommis?“ Karl Eugen verweigerte seine Zustimmung. 1517 Lang: Geschichte der württembergischen Klosterschulen, S. 271. 1518 Hasselhorn: Der altwürttembergische Pfarrerstand im 18.Jahrhundert, S. 35; Geiger: Studienförderung in der Neuzeit; Schäfer, Volker: Friedrich Hölderlin als Stipendiat einer Familienstiftung 1519 Decker-Hauff: Die Entstehung der altwürttembergischen Ehrbarkeit; Gebhard: Bürgertum in Stuttgart. Beiträge zur Ehrbarkeit; Breymayer: Von Hiller zu Hölderlin. 383 Die Familie wurde aber gewissermaßen dadurch entschädigt, daß der Stockmayersche Schwiegersohn, C. F. Wild, Prälat von Murrhardt wurde.1520 Aber es war offensichtlich auch in einer Zeit, als die württembergische Pfarrerschicht noch als sehr homogen gesehen wurde, für Fleißige und Begabte auch aus anderen Schichten durchaus immer noch möglich, vom Konsistorium angenommen zu werden und eine Pfarrstelle zu bekommen. Diese allgemeinen Bemerkungen über den württembergischen Pfarrerstand sollen nun im folgenden aus der Sicht der Pfarrberichte ergänzt werden. Inhaltlich enthalten diese Angaben zu folgenden Aspekten: Zunächst waren die Personalien des Pfarrers anzugeben. „mit Angabe seines Tauf- und Zunamens, seines Geburtstages, seiner Dienstzeit im Ganzen und auf der gegenwärtigen Stelle, seine Familienverhältnisse, sein Familienstand und die Zahl der Kinder, seine theologischen Studien und Nebenbeschäftigungen, die Schilderung seiner Predigtweise und ob er die Predigten schreibe oder aus dem Gedächtnis ablege“, ein Punkt, auf den damals viel Wert gelegt wurde. Waren mehrere Geistliche angestellt, war ein Vicar am Ort, so waren diese in gleicher Weise und zwar wortgetreu nach den von ihnen selbst gegebenen Notizen aufzuführen, "und ist letzterem ein Zeugnis zu geben“.1521 Außerdem war aufzulisten, wie die Aufgaben zwischen diesen verteilt wurden. Auch für die sogenannten „niederen Kirchendiener“, den Meßner, Organisten oder Kantor, waren Namen, Alter, Amtsführung und Wandel anzugeben, oder, weil diese Stelle meist mit der des Lehrers verbunden war, auf die entsprechende Lehrerstelle zu verweisen. Exemplarisch sei dies an der Pfarrbeschreibung von Aldingen aus dem Jahre 1828 wörtlich zitiert. Der Pfarrer von Aldingen listete sein Einkommen, das wie üblich aus einem Geld- und Naturaleinkommen bestand, wie folgt auf: Geld 52 fl 15 Schfl. Roggen a 8 fl 120 fl 15 Schfl. Dinkel a 5 fl 75 fl 15 Schfl. Haber zu 3 und 2 ¾ fl 45 fl 1 Schfl Erbsen 8 fl 2 Fuder Stroh zu 10 fl 20 fl 4 Eimer Wein 7 Imi 7 M. zu 30 fl und 16 fl 134 fl 26 xr Holz 2 Maß buchenes vom Holzgarten zu Rems 28 fl _________ 482 fl 26 xr 1520 Decker-Hauff: Die geistige Führungsschicht Württembergs, S. 60. 1521 Pfarrbericht für die ausgeschriebene Kirchen- und Schulvisitation. 1855. Nr. 8. 384 Gütergenuß 2 Küchengärten 2 Vrtl. 7 fl 30 13 Ruten Krautgarten 30 kann nicht benutzt werden Wiesen 4 fl 3/8 Acker 1 Jauchert 10 fl _________ 22 fl Zehnten Heuzehnt aus 94 ¾ Morgen a 40 xr 63 fl 10 Obst, Kraut, Hanf, Zwiebel, Flachs, Erdbirnen, Klee, Ackerbohnen 190 fl Lebender Zehnt von Kälbern, Schweinen, Zieglein, Gänsen, Enten, Hühnern 40 fl Gült aus Gartenplatz 1 ½ Ruten 30 Zehnt Surrogat aus dem Halden-, Eg- und Kirchgärtlein 13 fl __________ 306 fl 40 xr Emolumente Neujahr und Bürgermeisteramt 1 fl 30 2 Schulvisitationen 1 fl ½ Kirchenvisitation 15 Opfer von Abendmahl und Hochzeiten 8 fl Wartgeld von pio corpore 3 fl von Privatis 75 fl Ämterersetzung 30 _______ 89 fl 15 xr. Das Gesamteinkommen war nach Etatpreisen 900 fl 21 xr Nach Kompensation 775 fl 22 xr. Von Georgi 1827/28 hatte der Zehnt laut der Abrechnung, welche mit dem Kameralamt getroffen wurde, nur 287,50 betragen, weil ¼ Besoldung von demselben eingezogen wurde. Es gab dabei Anstand wegen 94 ¾ Morgen Wiesen und Heuzehnden, welche der Morgenzahl nach nicht so viel betragen sollen. Noch ist nicht ausgemacht, wer den Canon von 13 f bezahlen solle aus dem Halden-, Eg- und Kirchgärtlein. Die Besoldungsteile wurden durch das Kameralamt Ludwigsburg gereicht, das Holz von dem Holzgarten in Rems geliefert, der Wein von der nächstgelegenen Kelter in Neckarweihingen, wobei das Kameralamt auch den Fuhrlohn zahlte, da Aldingen den Zehnden abgekauft hatte. Die Pfarrgüter, Zehnden und Gülten lagen auf der Ortsmarkung. Der Jauchert Acker gab den Zehnden der Herrschaft. Die paar Wiesenplätze gehörten als sogenannte Hauslöser zum Hause, ebenso die bei den Häusern gelegenen Gärten, also dem Kirchengut. 385 Das Eigentumsrecht der Zehnden und Gülten gehörten wohl größtenteils den pio corpori nach den Heiligenrechnungen. Von Privatis wurden folgende Stolgebühren entrichtet: von einer Leiche, wenn gepredigt wird 1.30 bis 2.40 von einer ohne Predigt 30 xr Copulation 2.00 bis 2.42 Proclamation 30 xr Taufe 30 xr Tauf- und Totenschein 15 xr Confirmation 30 xr. Der Pfarrer von Altensteig gab in seiner Pfarrbeschreibung vom 10. Mai 1828 sein Einkommen wie folgt an: Besoldung 208 fl Roggen 84 fl Dinkel 100 fl Haber 30 fl Stroh 15 fl Wein 60 fl Holz 2 fl 30 xr Veränderliche Teile Garten 12 fl Neujahrsgeld 1 fl Ämterersetzung 30 xr Visitationen 1 fl 52 xr Bevölkerungsliste 4 fl Taufen 20 fl Proklamationen 5 fl Hochzeiten 15 fl Einschreibgebühr 15 fl Konfirmation 25 fl Scheine a 15 xr 2 fl __________________ 600 fl 52 xr Zulage Geld 6 fl Dinkel 80 fl Wein 30 fl __________________ 116 fl __________________ 716 fl 52 xr ================ 386 Das Einkommen bestand also zu 30% aus Geld, zu 56% aus Naturalien und zu 14% aus Sporteln. Auch hier hatte der Pfarrer Schwierigkeiten mit dem Einzug der Zehntrechte, und aus dieser Aufstellung ist ersichtlich, aus welchen kleinen Beträgen das Gesamteinkommen resultierte. Außer den Besoldungsbeispielen von Aldingen und Altensteig sollen weitere Kirchenstellen in Württemberg folgen: Am Beispiel von Böblingen, einer württembergischen Amtsstadt, und Langenburg, der Residenz der Fürsten von Hohenlohe, soll gezeigt werden, wie solch eine Einkommensaufstellung im Pfarr- bericht ausgesehen hat. Mit der Auflistung von Bronnweiler, und Metterzimmern soll diesen beiden Dekanatsstädten ein kleineres Dorf gegenüber gestellt werden, um die Unterschiede aufzuzeigen Aus der Aufstellung von Böblingen, im Anhang aufgelistet1522, ist ersichtlich, wie sich die Entlohnung in der damaligen Zeit aus verschiedensten kleinsten Posten zusammensetzte, die von den unterschiedlichsten Stellen gereicht wurden. Außer dem Kameralamt waren Heiligen- und Stadtpflege beteiligt, der Zehnte und die Stolgebühren mußten von Privatpersonen eingezogen werden. Selbstverständlich gab es auch in Böblingen Streit um Zehntrechte und verpachtete Grundstücke. Auffallend ist, daß sich Heiligen- und Stadtpflege die Kosten für die Uhr teilten. Sein Einkommen hatte der Pfarrer im Jahre 1828 auf 1 024 Gulden berechnet. Es wurde im Jahre 1863 in der Auflistung für ganz Württemberg mit 1 366 Gulden angegeben.1523 In Langenburg wurde das Gehalt der drei angestellten Kirchendiener1524 von drei verschiedenen Kassen ausbezahlt; das Gehalt des Dekans von der Kasse der Fürstlichen Standesherrschaft, das des Diakons aus der Stiftungskasse, und schließlich das des Meßners aus der Fürstlichen Domänen-Kasse. Wenn die Herrschaft kommunizierte, hatte der Meßner zusätzlich Anspruch auf einen Laib Brot. Es wird nichts gesagt, wer bei der Meßnerstelle für die Beifuhr und das Spalten des Holzes zuständig war, ein Punkt, der an anderen Orten immer wieder zu Streitigkeiten geführt hat. Während der Dekan in Böblingen ein Einkommen von 1 024 fl 7 xr bezog, erhielt der Dekan von Langenburg nur 809 fl 43 xr, also über 200 Gulden weniger (siehe Anhang, S.619). Auch bei den Entschädigungen der Diakone ist ein deutlicher Unterschied festzustellen. Der Diakon von Böblingen bezog 686 fl 33 xr, der von Langenburg nur 500 fl 57 xr. 1522 Bezüge des Pfarrers von Böblingen, S. 611. 1523 Hartmann: Die evangelische Geistlichkeit in Württemberg, S. 2, Dekanat Böblingen. 1524 Bezüge des Pfarrers von Langenburg, S. 619. 387 Böblingen hatte 1828 immerhin schon 2 865 Evangelische und einen Katholiken, der nach Ditzingen eingepfarrt war. Langenburg zählte damals 1 026 Evangelische, 2 Katholiken und 15 Mennoniten. Es war also für einen Pfarrer durchaus sinnvoll, sich um eine andere, besser dotierte Stelle zu bewerben. Als Beispiel dafür, daß die unterschiedlichsten Stellen für manche Pfarrer-Bezüge zuständig waren, sei Freudenstadt erwähnt. Dort war für die Besoldung eigentlich das Kameralamt Dornstetten zuständig, „die Besoldung erfolgt aber von Reichenbach her“ und betrug 165 fl. Dazu gab es eine Zulage „von Freudenstadt her“ in Höhe von 37 fl 30 xr. Hinzu kam das Superattendentengeld von 16 fl. Im Jahre 1827 wurde ein Neujahrsgeld von folgenden Stellen bezogen: von der Hüttenverwaltung Christophstal 4 fl 30 xr von der Hüttenverwaltung Friedrichstal 4 fl 30 xr Von der Bruder-Büchse 2 fl 24xr Von der Amtspflege Freudenstadt 5 fl 00 xr Auch in Metterzimmern1525 wurde die Entlohnung des Mesners von den verschiedensten Kassen gereicht. Auffällt, daß Gelder auch für ganz bestimmte Tätigkeiten gesondert bezahlt wurden, und zwar für die Tätigkeit als Organist, als Vorsinger, oder auch für die Kirchen- und Schulvisitation, und hier auch noch je hälftig von der Gemeindepflege und der Stiftungspflege. Es ist aber anzunehmen, daß für die Hilfe bei der Kirchen- und Schulvisitation nicht der Mesner, sondern der mit diesem identische Schullehrer diese Entlohnung erhalten hat. Wie aus dieser Aufstellung ersichtlich, wurden die Bezüge von acht verschiedenen Stellen bezahlt so daß in dieser Zeit jeder Pfarrer offensichtlich Mühe hatte, sein Einkommen immer zusammen zu bekommen.1526 Es gab aber auch andere Verhältnisse, wie wir sie beispielsweise in der Amtsstadt Böblingen gesehen haben. Die Aufstellung des Pfarrers von Bronnweiler1527 zeigt, mit welch dürftiger Ausstattung der Pfarrer dieser Gemeinde sein Dasein fristen mußte. Sie macht seine Bitte verständlich, doch gegen Abtretung seiner Besoldung ein Vikarsgehalt von wöchentlich 8 Gulden bezahlt zu bekommen, was einem Jahreseinkommen von 384 Gulden entsprechen würde. Das Konsistorium hat auf seine Eingaben nicht geantwortet. 1525 Siehe Anhang, S. 624. 1526 Pfarrbeschreibung Freudenstadt, 1827. 1527 Siehe Anhang, S. 631. 388 Der prüfende Dekan Christian Friedrich Eisenlohr1528 unterschrieb diesen Pfarrbericht sehr wohl am Schluß, nahm aber an keiner einzigen Stelle Stellung zu den angesprochenen Problemen. Das läßt Zweifel an der von Decker-Hauff in seinen Vorträgen immer wieder geäußerten These aufkommen, daß nämlich kein Land so viel für seine Pfarrer und Lehrer getan habe, wie gerade Württemberg, und daß diesem Umstand, „den Bildungsmöglichkeiten bis ins letzte Dorf und den letzten Weiler“ der hohe wirtschaftlichen Standard und die kulturelle Blüte in Württemberg im 19. und 20. Jahrhundert zu verdanken sei.1529 Offensichtlich zählte Württemberg "bezüglich der Elementarbildung zu den am weitesten entwickelten deutschen Ländern". Unter den zum Militärdienst eingezogenen Rekruten konnte nur ein verschwindender Prozentsatz nicht lesen und schreiben, nämlich 0,2%, während dieser Satz in anderen deutschen Ländern wesentlich höher lag.1530 Der Pfarrer von Bronnweiler aber hat für seine existenzbedrohenden Sorgen bei seiner vorgesetzten Behörde offensichtlich keinerlei Gehör gefunden. Er hat mühsam die Dutzende von kleinsten Beträgen für seine Einkommensaufstellung zusammen getragen, um den Anforderungen dieses Berichtes doch noch gerecht zu werden und fand dafür kein Wort der Anerkennung. Auch im Jahre 1894 lag Bronnweiler mit einer Dotierung von nunmehr 2 000 M (1 166 fl) an der untersten Grenze des gesamten Generalats Reutlingen. Zum Abschluß soll nun noch eine Gemeinde dargestellt werden, die das niederste Einkommen einer Pfarrei im Königreich Württemberg überhaupt aufzuweisen hatte. Es ist dies die Parochie Döttingen, eine kleine Gemeinde von 458 Seelen, zwischen Langenburg und Kupferzell gelegen. Sie gehörte zum Fürstentum Hohenlohe-Kirchberg. Die Gemeinde Jungholzhausen war ihr als Filial beigegeben, die ihrerseits zum Fürstentum Hohenlohe-Langenburg gehörte und 224 evangelische Einwohner hatte. Pfarrer war an der Martinskirche von 1820 bis 1829 Nikolaus Gerber1531, der am 3. Juli 1796 in Mühlhausen im Elsaß geboren wurde, wo sein Vater eine Baumwollweberei besaß. Er kam mit 24 Jahren auf die Pfarrei nach Döttingen, veränderte sich 1829 nach Buchenbach, eine Gemeinde ebenfalls im Dekanat Künzelsau, die um immerhin 150 Gulden höher dotiert war, und wo er bis zu seinem Tod am 20. April 1861 tätig war. 1528 Christian Friedrich Eisenlohr, geb. 4. Febr.1774 in Lustnau, gest. 30.12.1849 in Reutlingen, seit 1818 1. Stadtpfarrer und Dekan in Reutlingen. 1529 Decker-Hauff. Katastrophen und ihre Überwindung in der Stadtgeschichte von Bietigheim, Vortrag vom 28.6.1989, Umschrift G.Widmer, S. 22; Decker-Hauff: Schule und Kirche. Festvortrag in der P.H. Ludwigsburg am 19.6.1985 1530 Adamski: Industrieschulen und Volksschulen in Würtemberg, S. 449. 1531 Nikolaus Gerber (3.7.1796 - 20.4.1861), Sigel Nr. 164,15. 389 Laut einer Anmerkung im Magisterbuch war er ein Dichter, der „Die Linde von Criesbach“ und ein Volksstück „Das Mädchen von Orlach“ geschrieben hat.1532 Er hatte am 27. Februar 1821 in Niedernhall die Juliane Helene Beyer, die Tochter des Pfarrers Christian Karl Beyer, geheiratet, und der einzige Sohn Hermann wurde ebenfalls wieder Pfarrer.1533 Döttingen besaß bei der ersten Pfarrbeschreibung, die vom 25. April 1828 datiert, 458 Ortsangehörige, Jungholzhausen 224, alles evangelische Seelen. Es wurde angegeben, daß Döttingen ein Marktflecken war, und Sitz einer Schultheißerei. Es gehörte zum Oberamt Künzelsau, das 2 ½ Stunden entfernt war, zum Kameralamt Schöntal, 6 Stunden entfernt, und zum Forstamt Comburg, 3 Stunden entfernt. Von den Vermögens- und Einkommensverhältnissen der in der Parochie bestehenden kirchlichen Stellen wurden folgende Angaben gemacht: Das Pfarrhaus lag in der Mitte des ebenen Teils des Orts, von der Schule 30 Ruten, von der Kirche 70 Ruten entfernt. Es lag frei, gesund und angenehm an der Landstraße. Es war ziemlich alt, doch nicht baufällig, und hatte 2 heizbare Zimmer, dagegen fehlte es nicht an anderen Zimmern und Kammern und war im Ganzen geräumig und bequem, nur daß es von außen und innen die "Spuren seiner niederen Herkunft" an sich trug. Für den Pfarrer bestand kein Zweifel, daß es ursprünglich ein Bauernhaus war, welches erst später zu der Ehre eines Pfarrhauses erhoben wurde, ohne daß man ihm sein bäurisches Ansehen genommen hatte. Daher waren im Haus eine Menge Stallungen, welche dem Pfarrer nichts nützten, da keine Güter bei der Pfarrei waren. Ein guter Keller war hinter dem Haus, neben demselben war eine geräumige Scheuer. Statt einem Waschhaus befand sich ein Waschofen im Garten. Es gab in dem Anwesen keinen Brunnen. Neben und hinter dem Haus befand sich ein Gras-, Obst- und Küchengarten, welche zusammen einen Flächeninhalt von 1 Vrtl. Morgen und 92 Ruten maßen. Das Hausgerät der Pfarrei war unbedeutend und in einem doppelten Inventarium verzeichnet. Da der Pfarrer keine amtlich revidierte Besoldungsbeschreibung vorliegen hatte, so glaubte er das Diensteinkommen der Pfarrstelle am richtigsten anzugeben, wenn er aus dem Bestallungs-Dekret vom 19. Oktober 1821 die Bestandteile desselben wörtlich abschrieb. 75 f zur Geldbesoldung, 9 f für 2 Wagen Heu und 1 Wagen Öhmd 3 f 30 xr für das Grasen an den herrschaftlichen Wiesen. ________ 87 f 30 xr 1532 Gehrts, Heino: Das Mädchen von Orlach. Erlebnisse eines Besessenen. 1533 Friedrich Hermann Gerber (2.3.1825 - 17.1.1885), Sigel Nr. 164,16. 390 Fixe Naturalien: 5 Mltr. 3 Sri. Korn 10 Mltr. 6 Sri Dinkel 8 Mltr. Haber alles Öhringer Maaß, 10 Eimer Wein, kocherlich, so wie solchen ein jeder Herbst nach seiner Güte gewährt. 7 Klafter Holz, und 210 Stück Wellen aus herrschaftlicher Waldung daselbst machen zu lassen. 5 Klfter Holz, welche die Bürgerschaft in Döttingen aus ihrer Gemeinschaft jährlich beizutragen und neben vorstehendem Holz Wellen in Gemeinschaft mit den Jungholzhäusern zu führen hat. 1 Schbr. halb Roggen-, halb Haberstroh. Die Amtsakzidenzien, wie solche verordnet sind und bisher hergebracht waren, das Pfarrhaus zur Wohnung und die Scheune und das Kellerhaus zum nötigen Gebrauch. Ein Küchengarten und ein Grasgarten am Pfarrhaus. Drei (drey) Krautbeete diesseits des Kochers. Das Obst und Gras auf beiden Kirchhöfen zu Döttingen und Jungholzhausen, ferner wegen Mitinspektion des gemeinschaftlichen Hospitals zu Döttingen aus dessen Mitteln 5 fl an Geld, und 5/4 Mietfrucht, Soweit das Bestallungsdekret, wozu noch folgendes zu bemerken war: Die Emolumente betrugen: vom 1. Jan. 1825/26 vom 1. Jan. 1826/27 Taufen 38 f 35 xr 36 f 16 xr Leichen 20 f 30 xr 25 f Proklamationen und Kopulationen 11 f 3 xr 19 f 27 xr Konfirmationen 21 f 30 xr 22 f Verschiedene Kleinigkeiten 6 f 7 f 20 xr ________ ____________ 97 f 38 xr 110 f 03 xr An außerordentlichen Emolumenten bezog der Pfarrer noch folgende Kleinig- keiten, welche unter der obgenannten Rubrik enthalten waren: Für die Inspektion des Heiligen in Döttingen 45 xr in Jungholzhausen 30 xr, für das Verteilen des Gründonnerstag- Geldes unter die Armen 20 xr, für die Kirchweihpredigt in Jungholzhausen 1 f 12 xr. 391 "Freiwillige Geschenke (Akzidenzien) mögen ehemals hier von Bedeutung gewesen sein und daselbst in den ersten Amtsjahren des Verfassers kamen noch einige vor. Allein durch den Druck der Zeiten, die eingerissene Verarmung und am meisten durch die veränderte Gesinnung des Zeitalters, nämlich die Gleichgültigkeit gegen die Religion und ihre Diener, haben sie alle Jahre abgenommen und nehmen täglich so sehr ab, daß sie nicht in Berechnung zu bringen sind, denn es ist vorher zu sehen, daß in 20 Jahren gar keine mehr statt finden werden. Die s. g. Anmeldungen sind von gar keinem Wert mehr. Im Herbst beträgt das Weingeschenk höchstens 30 Maaß. Als bestehend scheint die Sitte betrachtet werden zu können, daß die Jungholzhausener im Herbst dem Pfarrer Kraut- geschenke bringen, welche ungefähr 100 Häupter betragen können. Noch besteht das alte Herkommen, daß die Jungholzhausener dem Pfarrer jährlich einige durch das Herkommen bestimmte Hilfe beim Anbau zu leisten haben. Nicht als Einkommensteil, aber als Observanz, die dem Pfarrer doch vorteilhaft ist, ist die Einrichtung zu betrachten, daß das an Sonnen- und Festtagen, mit Ausschluß der Aposteltage, anfallende Opfer dem Pfarrer zur Verteilung unter die Armen überlassen wird. Er erhält dadurch ein Mittel zur Wohltätigkeit, und wird in den Stand gesetzt, die große Menge Bettler, welche das Pfarrhaus wegen seiner Lage an der Landstraße bestürmen, zu befriedigen, ohne allein auf seine Privatkasse beschränkt zu sein. Zwar wurde dieses Herkommen von mehreren Stiftungsrevisoren, Kommissaren usw. bestritten, und auf Abänderung angetragen, da es sich aber auf eine Stelle des hiesigen Lagerbuches vom Jahre 1684 gründet, so wurde die Beibehaltung, auch der Bericht des Verfassers, vom gemeinschaftlichen Oberamt genehmigt. Größe und Lage der obgenannten, zu der Pfarrei gehörigen Güter, sind in der beiliegenden topografischen Karte bezeichnet. Die 3 s.g. Krautbeete habe ich für 1 f 54 xr, sämtliche Wasenteile nebst dem Gras des Pfarrgartens und der beiden Kirchhöfe für 5 f verpachtet. Darunter ist der Kirchhof von Kirchholzhausen begriffen, welchen seit urdenklichen Zeiten der Schulmeister daselbst in Pacht hatte, und wofür immer 1 f 30 xr bezahlt wurde. Das ganze Einkommen ließe sich etwa mit Reduzierung auf württembergische Maße und Preise auf folgende Weise berechnen: Geld 92 f 30 xr 5 Schfl. 4 Sri. Korn a 5 f 17 f 30 xr 11 Schfl. Dinkel a 3 f 33 f 8 Schfl. Haber a 3 f 24 f 3 Eimer, 3 Imi Wein a 25 f 79 f 40 xr 12 Klftr. Holz a 5 f 60 f 4 Schbr. Reisach a 3 f 30 xr 14 f Güter im Ganzen 10 f Emolumente 100 f ________ 440 f 40 xr ======== 392 Die Besoldungsteile, welche von der Grundherrschaft abgegeben werden, werden von dem hiesigen fürstlichen Rentamt abgezogen. Die Meßnerei ist in beiden Orten mit dem Schuldienst verbunden und wird daher später erwähnt. Noch kann hier erwähnt werden, daß von der Grundherrschaft immer ein Mann aufgestellt ist, welcher dem Pfarrer zu jedem Gottesdienst den Kirchenrock nach Jungholzhausen bringen muß, auch sonstige amtliche Gänge nach dort zu machen hat, und dafür 5 f Geld und 1 Mlter. Dinkel von der Grundherrschaft bezieht“.1534 In den „Nachrichten über die kirchlichen Behörden“ aus dem Jahre 1853 war Döttingen immer noch unter den am schlechtesten bezahlten Pfarrstellen Württembergs aufgeführt.1535 Auch im Magisterbuch 1894 hat sich daran nichts geändert. Im Dekanat Künzelsau erhielt ein Vikar, wie auch im übrigen Württemberg, 1 400 Mark, der Pfarrer von Dörrenzimmern, Dörzbach und Steinkirchen je 2 000 Mark. Ähnlich nieder dotiert war beispielsweise der 2. Stadtpfarrer von Marbach oder Großbottwar, während sein Kollege in Öhringen es auf 2 500 Mark bringen konnte. Der Pfarrer von Böblingen oder Sindelfingen erhielt immerhin 2 100 Mark. Genau so viel erhielt aber auch der Pfarrer der Gemeinde Rotenberg. Ebenfalls nur 2 000 Mark erhielten damals im Dekanat Leonberg die Pfarrer von Friolzheim, Gebersheim, Hausen a.d.Würm, Münklingen oder Weil der Stadt, auch von Hohenacker im Dekanat Waiblingen, oder Allmersbach im Dekanat Backnang, von Freudental oder Klein-Ingersheim im Dekanat Besigheim. Der Pfarrer von Rohr, Heumaden oder Hohenheim erhielt gerade einmal 100 Mark mehr, also immerhin 2 100 Mark. Wenn also immer wieder auf die einfachen Lebensumstände im evangelischen Pfarrhaus hingewiesen wird, so ist das angesichts der oft sehr niederen Entlohnungen nicht verwunderlich. Natürlich hat es auch an Versuchen, die materielle Situation des Pfarrstandes zu verbessern, nicht gefehlt. Man hat eingesehen, daß nur so der erstrebte größere moralische Einfluß auf das öffentliche Leben zu erreichen war, und daß vor allem nur durch ein gestärktes Standesbewußtsein und Ansehen des Pfarrers seine Aufgabe, der Verkündigung nachzukommen, gesichert wurde.1536 An den einfachen Lebensverhältnissen im überwiegenden Teil der Pfarrhäuser änderte das aber nichts, und aus unserem Beispiel ist zu erkennen, daß die Armut in Bronnweiler evident war. 1534 Pfarrbeschreibung 25.April 1828. 1535 Hartmann: Die evangelische Geistlichkeit in Württemberg, 7.Dekanat Künzelsau. 1536 Marhold: Die soziale Stellung des Pfarrers, in: Greiffenhagen: Das evangelische Pfarrhaus, S. 186. 393 Im Evangelischen Kirchenblatt für Württemberg wurden im Jahre 1848 folgende Stellen zur Neubesetzung ausgeschrieben:1537 Affaltrach 700.09 Birkach 1 155.24 Dachtel 713.49 Dettingen 1 399.29 Finsterlohr 700.50 Fluorn 1 010.40 Hepsisau 827.30 Kilchberg 1 123.42 Kirchenkirnberg 1 105.24 Lombach 700.22 Metterzimmern 642.00 Murr 859.15 Neckarrems 837.03 Niederhofen 796.18 Oberbrüden 879.53 Oberlenningen 1 184.00 Pfeffingen 700.39 Pfullingen 935.28 Pinache 789.55 Rommelshausen 852.21 Schornbach 884.35 Strümpfelbach 816.29 Stuttgart 1 148.45 Diakonat Spital-Kirche Stuttgart 1 169.45 Diakonat Leonhardskirche Tübingen 976.30 Tuttlingen 1 654.00 Dekanatsstelle Vaihingen/Enz 758.33 Die Pfarrstelle in Bopfingen setzte sich aus folgenden Teilen zusammen: 1. Geld 418 f. 04 xr 2. Naturalien 3 Schfl., 4 Sri. Roggen 22 f. 24 xr 8 Klftr.Holz 50 f. 00 xr 3 Schfl., 4 Sri. Kernen 33 f. 36 xr 3. 10 Ruthen Garten 1 f. 1 Krautgarten 1 f. ½ Morgen Wiesen 11 f. 5. Allmand 45 xr 7. Emolumente 2 f. Stolgebühren 160 f. 44 xr __________ 700 f. 33 xr ========= 1537 Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg, 9.Jg., Nr. 25, 25.6.1848. 394 Am 1. Juli 1875 wurde die Guldenwährung auf Mark umgestellt. Das Regierungsblatt für das Königreich Württemberg von 1875 legte das Verhältnis Gulden - Mark wie folgt fest:1538 7 Gulden = 12 Mark 1 Gulden = 1,71 Mark. Die neu ausgeschriebenen Stellen wurden deshalb in der neuen Währung aufgeführt. Im Jahre 1890 waren im Kirchenblatt folgende Stellen ausgeschrieben:1539 Bissingen 2 400 Mark Brackenheim 2 100 Cannstatt 4 000 Dekanat Cannstatt 2 200 Pfarrstelle Crailsheim 4 000 Dekanat Großglattbach 2 200 Heidenheim 1 718 Helferstelle Höfingen 2 500 Ludwigsburg 2 800 Möhringen/Filder 2 850 Münsingen 2 100 Onolzheim 2 000 Rommelsbach 2 200 Rommelshausen 2 500 Sindelfingen 2 100 Sulzbach 2 500 Stuttgart 3 150 Stadtpfarrst.Stiftskirche Tübingen 3 150 Tuttlingen 1 914 Unterreichenbach 2 000 Unterriexingen 2 100 Wildbad 3 300 Die Besoldung der Stadtpfarrstelle in Stuttgart setzte sich wie folgt zusammen: 1. Geld 2 347,64 2. Naturalien Kernen 21 Ztr. 134,40 Roggen 7 Ztr. 33,00 4. Emolumente 1,28 5. Stolgebühren 634,00 _______ 3 150,32 1538 Regierungsblatt für das Königreich Württemberg, 1875, S. 160. 1539 Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg, 51.Jg., 1890. 395 Erstaunlich ist, daß die Pfarrstelle in Steinheim a.d.Murr mit 3 100 M um nur 50 Mark niederer dotiert ist, als die Stelle an der Stiftskirche in Stuttgart, und die Pfarrstelle in Wildbad sogar noch um 150 Gulden höher. 1540 Ein weiteres Beispiel soll die Aufgliederung der Stelle in Heidenheim zeigen: Diese Helferstelle wurde wie folgt abgerechnet: 1. Geld 1 338,40 2. Naturalien Kernen 161.28 Roggen 44,00 3. Holz 150,00 Bürgerl. Benefizien 15,00 Emolumente 9,43 _______ 1 718,11 ======= In dieser Aufstellung sind die Stolgebühren aber noch nicht berücksichtigt, so daß sich der Gesamtbetrag noch erhöht.1541 Natürlich wurde immer wieder versucht, die materielle Stellung des Pfarrstandes zu verbessern. Nur auf einer gesicherten wirtschaftlichen Basis konnte der Pfarrer ja versuchen, einen größeren moralischen Einfluß auf das Leben der Gemeinde zu erreichen, und nur mit einem gestärkten Ansehen konnte er seine Aufgabe, das Wort Gottes zu verkünden, auch erfüllen.1542 Ein Blick auf die Höhe der Gehälter der 1 010 Pfarrstellen in Württemberg im Jahre 1853 zeigt, daß die am niedersten bezahlten Stellen die der Vikare mit durchschnittlich 400 fl und der Diakone mit 700 fl waren. Es gab aber Ausnahmen. So war das Diakonat in Nürtingen mit 775 fl veranschlagt, in Eßlingen mit 745 fl, in Urach mit 795 fl, in Ludwigsburg sogar mit 811 fl. Die Pfarrverwesereien waren meist mit 400 fl dotiert. Es fällt auf, daß in Bönnigheim sowohl der Stadtpfarrer, als auch der Diakon mit jeweils 700 fl entlohnt wurden. In den meisten Fällen waren die Gehälter der kleinen Pfarreien auch mit 700 fl angesetzt. Dies waren im Umkreis von Stuttgart beispielsweise Botnang, Uhlbach, Asperg oder Nellingen, im Dekanat Leonberg die Orte Gebersheim, Hausen a.d. Würm, Hirschlanden, Merklingen, Münklingen oder Rutesheim. Am schlechtesten bezahlt waren die Pfarrer in den Dekanaten Künzelsau, Langenburg und Weikersheim. Der Dekan von Künzelsau erhielt nur 868 fl, der 2. Stadtpfarrer dort gar nur 662 fl, der Stadtpfarrer in Ingelfingen 891 fl, der dortige Diakon 502 fl. 1540 Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg, 51.Jg., Nr. 11, 15.3.1890. S. 87. 1541 Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg, 51.Jg., Nr. 11, 15.3.1890. S. 88. 1542 Marhold: Die soziale Stellung des Pfarrers, S. 186. 396 Die am schlechtesten bezahlten Orte überhaupt waren im Dekanat Künzelsau die Orte Braunsbach mit 565 fl, Dörrenzimmern mit 526 fl, Dörzbach mit 512 fl, und Hohebach mit 485 fl; im Dekanat Langenburg Baumerlenbach mit 520 fl, Forchtenberg mit 541 fl und Langenbeutingen mit 532 fl; im Dekanat Weikersheim Münster mit 527 fl, Adolzhausen mit 584 fl und schließlich Pfizingen mit 557 fl.. Selbst in den Schwarzwald-Dekanaten Nagold, Freudenstadt oder Neuenbürg, auch Balingen, Sulz oder Tuttlingen, war keine Pfarrstelle unter 700 fl angesetzt. Am besten bezahlt war die Stelle des Oberhofpredigers in Stuttgart, damals D. Carl von Grüneisen, mit 2 000 fl, gefolgt vom Stiftsprediger D. Sixt Carl von Kapff mit einem Gehalt von 1 564 fl. 1543 Nachfolgend sollen nun die Gehälter der in dieser Arbeit besprochenen Pfarrorte im Jahre 1853 aufgeführt werden. Ort Einwohner Gehalt Altensteig, Dekanat Nagold 2 150 800.00 Dekanat Balingen 3 401 1 326.00 Dekanat Biberach 3 621 1 100.00 Dekanat Blaubeuren 2 169 1 231.00 Dekanat Böblingen 3 715 1 366.00 Dekanat Brackenheim 1 726 1 100.00 Bronnweiler 211 984.00 Dekanat Reutlingen Dekanat Eßlingen 11 569 1 325.00 Dekanat Freudenstadt 5 690 1 228.00 Dekanat Geislingen 2 408 1 100.00 Gmünd, Dekanat Aalen 910 700.00 Großheppach 2 021 814.00 Dekanat Waiblingen Dekanat Hall 6 840 1 200.00 Dekanat Heidenheim 3 046 1 272.00 Dekanat Herrenberg, 2 361 1 218.00 Hohenhaslach, Dekanat Vaihingen 1 453 814.00 Holzgerlingen, Dekanat Böblingen 1 861 1 157.00 Isny, Dekanat Ravensburg 1 374 600.00 Kuchen, Dekanat Geislingen 1 227 608.00 Dekanat Langenburg 1 203 982.00 Dekanat Leonberg 2 370 1 100.00 Leonbronn 434 810.00 Dekanat Brackenheim Leutkirch, Dekanat Ravensburg 1 575 900.00 1543 Hartmann: Die evangelische Geistlichkeit in Württemberg: 1853. 397 Dekanat Ludwigsburg 5 060 1 300.00 Metterzimmern 763 700.00 Dekanat Besigheim Dekanat Nagold 2 500 1 200.00 Dekanat Öhringen 5 426 1 111.00 Dekanat Ravensburg 1 389 1 128.00 Rottenburg 200 745.00 Dekanat Tübingen Dekanat Schorndorf 3 971 1 203.00 Simmersfeld, Dekanat Nagold 1 327 1 244.00 Stuttgart, Stadt 31 419 Stiftskirche 1 564.00 Hospitalkirche 1 465.00 Leonhardskirche 1 340.00 Dekanat Tübingen 8 002 1 500.00 Dekanat Tuttlingen 5 854 1 600.00 Vaihingen/Filder 2 009 900.00 Dekanat Stuttgart Weil im Dorf, Dekanat Leonberg 1 500 724.00 Dekanat Weinsberg 1 915 1 250.00 Winterbach 3 485 700.00 Dekanat Schorndorf Zuffenhausen, 1 946 900.00 Dekanat Ludwigsburg Auch die Entlohnung für die Dekanate war unterschiedlich hoch, nie aber geringer als 1 100 fl. Biberach, Brackenheim, Geislingen und Leonberg standen an dieser unteren Grenze, Öhringen immerhin 11 fl darüber. Bis 1848 setzte sich das Einkommen des Pfarrers, wie erwähnt, immer aus einem gewissen Geldbetrag, dazu aber immer auch noch einem beträchtlichen Anteil von Naturalleistungen zusammen. Hinzu kamen die Zehntrechte und der sogenannte „Gütergenuß“. In diesen Werten enthalten waren beispielsweise die Nutzung des Küchengartens, die Wiesennutzung, oder das Allmandrecht. Zu den Emolumenten gehörte etwa die Visitationen der Pfarrorte durch den Dekan, aber auch die Aufsicht über die Schule oder die Filialen. Hinzu kamen bis zum Jahre 1901 die Stolgebühren1544 für Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen und die Konfirmation. 1544 Bruns: Württemberg unter der Regierung König Wilhelms II., S. 362. 398 10.0. Vom Schulwesen. 10.1. Die Volksschule Die Sorge um ein gutes Schulwesen gehörte schon immer zum Kernbestand der Pflichten evangelischer Landesherrschaft. Preußen galt als Territorium, in dem die allgemeine Schulpflicht schon früh, im 18. Jahrhundert, durchgesetzt wurde. Bei den verschiedenen Edikten jener Zeit handelte es sich aber nur „um wohlgemeinte Absichtserklärungen des absolutistischen Landesherrn“, was durch die Schul- statistiken der späteren Jahre eindeutig bestätigt wurde. Im Jahre 1816 waren in den preußischen Provinzen ungefähr 2,2 Millionen Kinder schulpflichtig, von denen nicht mehr als 1,3 Millionen auf öffentlichen Schulen registriert waren. Die Schulbesuchsquote war in den einzelnen Bezirken sehr unterschiedlich. In Sachsen lag sie bei 80%, im Rheinland bei ungefähr 40%, in der Provinz Posen nicht einmal bei 20%. Noch Ende der Dreißigerjahre versäumten 40% der Berliner Kinder die Schulpflicht.1545 Allerdings sagen diese Zahlen noch nichts über den inneren Zustand des damaligen Schulwesens aus. Im 18. Jahrhundert war ein großer Teil der Kinder in der Landwirtschaft einfach nicht zu entbehren. Hinzu kam im 19. Jahrhundert "zu diesen bis dahin nur jahreszeitlich und im Rahmen der Familien bedingten Arbeiten nun die Ausbeutung der Kinder-Arbeitskraft in den Fabriken mit den grausamen Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der Kinder". Auch Wehler schrieb in seiner "Gesellschaftsgeschichte" vom "höchstent- wickelten Stand des deutschen Schulwesens" im protestantischen Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wo es trotz der 1763 wieder postulierten allgemeinen Schulpflicht nur gelungen sei, "allerhöchstens bis zu 50% der schulpflichtigen Kinder in unregelmäßigen Abständen zu unterrichten". Trotzdem hatte die Durchsetzung der Schulpflicht in Preußen bis 1846 bedeutende Fortschritte gebracht. Die durchschnittliche Schulbesuchsquote konnte auf 82% gesteigert werden, 1546 und erreichte sogar in der Provinz Posen annähernd 70%. „Insgesamt wird man (nach der Meinung von Herrlitz) davon ausgehen müssen, daß um die Jahrhundertmitte gerade im europäischen und im transatlantischen Bereich die Führungsrolle Preußens in der Bildungsentwicklung unbestritten gewesen ist“.1547 1545 Herrlitz: Deutsche Schulgeschichte, S. 52. 1546 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 478. 1547 Herrlitz: Deutsche Schulgeschichte, S. 53. 399 Dagegen hatte Bayern anno 1799 noch über 50 % Analphabeten. Es war das Verdienst des Ministers Montgelas, der eine staatliche Schulverwaltung aufbaute, über die er selbst als Innenminister die Dienstaufsicht hatte, daß im Laufe von ein oder zwei Generationen diesem Übelstand abgeholfen wurde, und daß bis 1850 diese Zahl auf ungefähr 8% sank.1548 Württemberg dagegen hatte als einziges Land in der Großen Kirchenordnung Herzog Christophs 1559 ein eigenes Kapitel über die "Teutschen Schulen". Hier war festgeschrieben, daß eine staatliche Schulpflicht bestand und die Obrigkeit für die Einhaltung verantwortlich war.1549 Die "Cynosura oeconomiae ecclesiasticae Wirtembergicae" Andreäs von 1639 sollte noch in der Not des 30-jährigen Krieges dafür sorgen, daß diese Bestim- mungen eingehalten und die verlorenen Schulen wieder eingerichtet würden. Württemberg hatte bereits im 17. Jahrhundert kaum noch Analphabeten.1550 „Württemberg stand mit dieser, seiner Schulordnung (von 1559) an der Spitze der anderen deutsch-evangelischen Länder, wie sie denn von diesen auch vielfach zum Muster genommen wurde. Zum Beispiel wurde sie wörtlich aufgenommen in die braunschweig-wolfenbüttelsche Kirchenordnung von 1569, viele Abschnitte sind wörtlich auch entlehnt in der niedersächsischen von 1580“.1551 Auch Herzog Carl Eugen hatte nach einer inkognito unternommenen Reise durch Norddeutschland feststellen können, daß die Schulen in Württemberg wesentlich fortschrittlicher waren, als in Preußen.1552 Der württembergische Innenminister Rümelin hat 1855 eine Informationsreise durch Deutschland unternommen, um Erkundigungen über den Stand des Volksschulwesens einzuholen. Er kam damals zu folgendem Ergebnis: „Wenn ich schließlich aus meinen Reiseerfahrungen und den damit zusammenhängenden Studien eine Nutzanwendung auf unser württembergisches Volksschulwesen machen soll, so bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß dasselbe im großen und ganzen hinter dem keines anderen deutschen Landes zurücksteht, vor den meisten aber große und unverkennbare Vorzüge hat. In keinem Land ist alles so vollständig gleichmäßig und unter konsequenter Voranstellung der Unterrichtszwecke geregelt; kein Land unter den besser beschulten und dichter bevölkerten hat eine so große Zahl von Lehrern; in keinem Land wird von Seiten des Staates eine gleich große Summe für das Elementarschulwesen ausgesetzt; nirgends unter den größten Ländern, außer in Baden, haben die Schulmeister die Pensionsrechte der Staatsdiener; nirgends haben die Kandidaten des Schulamts so ansehnliche Unterstützung. Überhaupt, was von Seiten des Staates für das Schulwesen geschehen kann, ist nirgends reichlicher und sorgfältiger geschehen, während die natürlichen Bedingungen einer guten Schulbildung, verbreiteter Wohlstand, gewerbliche Entwicklung, gesunde agrarische Verhältnisse in manchen Ländern günstiger sind. 1548 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 490; Decker-Hauff: Schule und Kirche, 19.6.1985. 1549 Adrion: Schul-Anfang im Herzogtum Württemberg, S. 13. 1550 Decker-Hauff: Katastrophen und ihre Überwindung, S. 77 1551 E. Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S. 26. 1552 Adrion: Schul-Anfang im Herzogtum Württemberg, S. 13. 400 Um auch die Schattenseiten aufzuzählen, so ist kein anderes Land auf den Irrweg geraten, nahezu die Hälfte aller Lehrstellen mit Hilfslehrern besetzen zu wollen; nirgends hat man bei Verfolgung der Schulzwecke auf die Verhältnisse der Gemeinden wie auf die Zukunft des Lehrerstandes so wenig Rücksicht genommen. Nirgends hat man das Schulwesen so uniformiert und zentralisiert und die Beachtung der Verschiedenheit der Volkszustände erschwert. Bei der ausschließlichen Leitung des Schulwesens durch geistliche Behörden fehlt einerseits die Vertretung der allgemeinen Regierungs- und Verwaltungsgesichts- punkte, andererseits die spezielle technische Erfahrung praktischer Schulmänner“.1553 Auch das Königliche Ministerium des Kirchen- und Schulwesens kam über das Schulwesen in Württemberg 1893 zu einem günstigen Urteil: „In Württemberg ist, wie in anderen deutschen Ländern, die Volksschule als Frucht aus der Reformation und ihren Prinzipien erwachsen, und zwar stellt sich Württemberg als dasjenige Land dar, in welchem ein eigentliches Volksschulwesen am frühesten geschaffen worden ist.1554 Die Bemerkung von Herrlitz in der „Deutschen Schulgeschichte“ über die „preußische Führungsrolle“ in der europäischen Bildungsentwicklung darf deshalb mit einiger Skepsis gesehen werden. Die Anfänge der deutschen Schulen sind in den Anstalten zu sehen, die von den Städten seit dem 13. Jahrhundert gegründet wurden: Es waren dies Kirchheim 1249, Balingen 1277, Bulach 1281, Tübingen 1301, Herrenberg 1382, Stuttgart 1387, Möckmühl, Wildberg und Sulz 1427, Schorndorf 1431, Marbach 1465, Nagold 1466, Urach 1477, Neuenstadt a.K. 1489, Brackenheim 1499, Waiblingen und Großbottwar 1496, Vaihingen/Enz und Nürtingen 1511.1555 Nach der Reformation war es vor allem nötig, die Lateinschulen des Landes wieder zu fördern, um einen guten Pfarrer- und Beamtennachwuchs zu erhalten. Brenz hat 1556 für die 13 Klosterschulen die Grundzüge der Heimordnung und den Lehrplan in einer Klosterordnung festgelegt. Der Unterricht stand unter dem Zeichen eines humanistisch-religiösen Bildungsideals.1556 Daneben aber war doch auch die Ansicht verbreitet, daß es Christenpflicht sei, die Kinder in der Religion und daneben auch den wesentlichen Elementen weltlichen Wissens auszubilden. Die Einrichtung der Elementarschulen als fest organisierte Einrichtung war deshalb sozialgeschichtlich sehr wichtig. Wenn auch religiöse Gründe im Vordergrund der Überlegungen standen, so war Brenz darüber hinaus der Ansicht, daß Volksbildung gegen Verwahrlosung und Verwilderung schütze. In der Schulordnung von Vannius und Brenz aus dem Jahre 1559 war bereits die Grundlage der gleichen Ausbildung festgelegt. Sie eröffnete auch den Mädchen den Zugang zur Schule. 1553 E. Schmid: Geschichte des württembergischen evangelischen Volksschulwesens von 1806 - 1910. 1554 WJB 1893, Heft 1, S. 96. 1555 Württembergisches Schulwochenblatt 1900, Nr. 35. 1556 Maurer: Johannes Brenz, S.160. 401 Lehrgegenstände waren Lesen, Schreiben, Bibelkunde, Katechismus und Kirchengesang.1557 Der Auftrag zur Einrichtung der Schulen, die Verantwortung und Aufsicht, wurde den Pfarrern übertragen.1558 In diesem Jahr bestanden an 190 Orten Schulen: Lateinische und gesonderte deutsche Schule 10, Lateinische und angeschlossene deutsche Schule 45 Deutscher Schulmeister ist zugleich Mesner 73 Deutscher Schulmeister, nicht zugleich Mesner 21 Pfarrer hält deutsche Schule 411559 Wenn die Gemeinden nicht die erforderlichen Mittel aufbringen konnten, war der Staat bereit, zu helfen. „Ein nicht unbeträchtlicher Teil des eingezogenen Kirchenguts wurde von der herzoglichen Regierung für Schulzwecke verwendet.1560 In der Zeit des Interims waren viele Pfarrer als Kathecheten untergekommen. Sie konnten dort weiter predigen, die Sakramente verwalten und den Kathechismus lehren.1561 Nach den Synodalberichten von 1559 bestanden im damaligen Herzogtum Württemberg 194 Schulen, davon 38, in denen Lateinisch und Deutsch gelehrt wurde, 156 ausschließlich Deutsche Schulen, die große Mehrzahl derselben auf den Dörfern.1562 Die Haupterziehungsziele waren "Furcht Gottes, rechte Lehre und gute Zucht". Daneben stand auch Lesen, Schreiben und Rechnen auf dem Stundenplan.1563 In vielen Fällen wurde der Kathechismusunterricht vom Pfarrer dem Mesner überlassen. So ist dieser Stand in den Lehrerberuf hineingewachsen. Dieser Zustand wurde durch die "Große Kirchenordnung" Herzog Christophs bestätigt. Der Lehrer in seiner gleichzeitigen Funktion als Mesner war dem Pfarrer unterstellt und wurde von ihm beaufsichtigt.1564 Durch den Einbruch des 30-jährigen Krieges wurde nicht nur das Kirchen-, sondern in Verbindung damit auch das Schulwesen auf einen Tiefstand herabgedrückt. An manchen Orten waren die Pfarrer in dieser Notzeit gezwungen, selbst Schule zu halten, teils, weil kein Lehrer vorhanden war, oder dieser, weil er nicht besoldet wurde, auf das Unterrichten verzichtete. Das Elend dieser Zeit läßt sich aus einer Notiz ersehen, die dem Schulmeister von Weil im Dorf bescheinigt, er tue das Seine, "muß sich aber in seinem Alter Armutei halber mit Besenbinden nähren". Weil er völlig verarmt war, mußte die Gemeinde einmal für ihn sammeln.1565 1557 Ehmer: 450 Jahre Kirche und Schule in Württemberg. BWKG 87 (1987), S.127 - 140. 1558 Maurer: Johannes Brenz, S.163. 1559 Adrion: Schul-Anfang im Herzogtum Württemberg, S. 30. 1560 Ruck: Das Verhältnis von Kirche und Volksschule in Württemberg, S. 23. 1561 E. Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S. 10. 1562 Ruck: Das Verhältnis von Kirche und Volksschule in Württemberg, S. 26. 1563 Ehmer: 450 Jahre Kirche und Schule in Württemberg. BWKG 87 (1987), S. 127 - 140. 1564 E. Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S. 16. 1565 Ostertag: Chronik von Weil im Dorf, S. 39. 402 Von Obertürkheim ist überliefert, daß dort kein Schulmeister war: "der Heiligenpfleger, ein Bürger, tut winters bei der Jugend das Beste". In Uhlbach "läßt sich ein Bürger zu einem Schulmeister gebrauchen, hält aber nur winters Schul und will sich nicht dazu obligieren lassen". In Zuffenhausen "versieht ein Bürger winterszeiten die Schul um einen gewissen Lohn, bis man zu besseren Zeiten einen andern bekommt". Im Gegensatz zu den Schulmeistern wurden solche Personen, die kein Examen abgelegt hatten, "Schulhalter" genannt. In manchen Orten löste man das Problem, indem man die Kinder in einen Nachbarort zur Schule schickte: von Wangen nach Untertürkheim, von Benningen nach Marbach, von Botenheim nach Brackenheim, von Unterlenningen nach Oberlenningen, von Roßwälden nach Ebersbach, von Neckarhausen und Oberboihingen nach Nürtingen, von Aich nach Grötzingen.1566 Eine erste Schulordnung hat Eberhard III. nach dem Ende des 30-jährigen Krieges in einem Generalreskript vom 16. August 1649 erlassen, in dem die Eltern verpflichtet wurden, ihre Kinder in die Schule zu schicken, und darauf hingewiesen wurde, daß diese Verpflichtung auch durchzusetzen sei. Es ging hier um ein Anliegen des Synodus, in dem Johann Valentin Andreä führend tätig war. Weil es aber noch nicht überall wieder Schulen gab, war eine allgemeine Schulpflicht nur bedingt durchführbar.1567 In Württemberg wurde 1649 bzw. 1653 erstaunlicherweise schon wieder an Schulen in 478 Orten unterrichtet.1568 Schulen fehlten damals noch in 68 Gemeinden. Oft wurden die Kinder von solchen Orten deshalb in die Schule eines Nachbardorfes geschickt.1569 Vor allem Johann Valentin Andreä1570 hat sich sehr für die Wiederaufnahme eines ordentlichen Schulbetriebes eingesetzt. In seiner Schrift „Theophilus sive de christiana Religione sanctius colenda, vita temperantius instituenda et literatura, rationabilius docenda Consilium cum paraenesi ad Ecclesiae Ministros et Nonnuuis aliis ad restituendas res lapsas pertinentibus. Stuttgardiae Anno Christi 1649“ forderte er, daß der Regel des göttlichen Wortes und der Richtschnur des Gewissens sowohl die Gesetze, als die Einrichtungen des Staates mehr angepaßt würden, daß man sich nicht auf die Verkündigung des Wortes Gottes beschränken dürfe, die nicht ausreiche, um eine selbständige Erkenntnis der Wahrheit zu begründen. Man müsse die Jugend im Kathechismus unterweisen, was die Erkenntnis der christlichen Religion befördere, und schließlich, daß es im Schulunterricht vor allem auf die Persönlichkeit des Lehrers ankomme, der seinen Kindern auch das Verständnis für das Vorgetragene öffnen, den richtigen Gebrauch lehren, und alles auf das Christum beziehen müsse. 1571 1566 G. Friedrich: Die Volksschule in Württemberg, S. 22; E. Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S. 100. 1567 Maurer: Geschichte Württembergs in Bildern, S.166. 1568 General-Synodal-Reskript vom 10.August 1649 und Synodal-Protokoll von 1653. 1569 E. Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S. 113. 1570 Fritz: Johann Valentin Andreä im Dienste der württembergischen Kirche. BWKG 32 (1928), S.37 - 126. 1571 Christliche evangelische Kinder-Lehr, aus heiliger göttlicher Schrift, für getreue Haus-Väter und -Mütter der christliche Kirchen zu Calw zusammengetragen. Stuttgart, 1656; E. Schmid: E. Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S.84. 403 Andreä ging es neben anderen Anliegen besonders um eine allgemeine Verbesserung der Bildung. Er forderte 1649 die Schulpflicht vom 7. Lebensjahr an, ohne Unterschied des Standes oder des Geschlechtes. In der "Cynosura eecclesiastica" wurden alle das Land bestimmenden Rechtsvorschriften, auch die, die die Schule betrafen, gesammelt und 1687 als Verwaltungshandbuch amtlich eingeführt.1572 Der Kirchenkonvent, 1642 für Städte und 1644 auch für alle Dörfer eingeführt, hatte zusammen mit dem Pfarrer immer die Aufsicht über die Schule, und er hatte vor allem auch die Aufgabe, den ordentlichen Schulbesuch zu überwachen.1573 Am Ende des 18. Jahrhunderts wurden Bedenken laut, die vor einer zu hohen Bildung der Lehrer warnten. In einem General-Synodal-Reskript vom 16. Januar 1799 hieß es: „Es war nie unser Wunsch, die deutschen Schullehrer eigentlich in den gelehrten Stand versetzt zu sehen. Wir erinnern daher dieselben, besonders die in ihrer Bildung am weitesten Vorgerückten, sich wohl vorzusehen, daß sie die rechte Mittelstraße nicht verfehlen, nicht über die Sphäre ihres bestimmten Wirkungskreises hinaustreten, und sich eben dadurch zu ihren eigentlichen Berufsgeschäften weniger brauchbar machen. Sie werden daher wohltun, wenn sie sich nur auf die innerhalb der Grenze ihres Berufes liegenden wissenschaftlichen Teile einschränken und sich destomehr Mühe geben, in diesen etwas Vorzügliches zu leisten und besonders die nicht leichte Kunst sich zu eigen machen, den Schulkindern das, was sie zu lehren haben, recht faßlich und verständlich zu machen. Ebensowenig wünschen wir, daß die deutschen Schulkinder, von denen weit der größte Teil zu den Feldgeschäften und Gewerben bestimmt ist, mit Kenntnissen vollgepfropft werden, die außer ihrer Sphäre liegen, die sie nicht verwenden können und die ihnen also ganz unbrauchbar sind; wir wollen bloß, daß die zarte und unverdorbene Jugend durch den öffentlichen Schulunterricht zu vernünftigen Menschen, zu guten Christen und sittlichen Bürgern des Staates gebildet werde. Die ganze Sorgfalt und Bemühung des Schullehrers muß also darauf gerichtet sein, der Jugend nicht nur alle im gemeinen Leben unentbehrlichen Kenntnisse beizubringen, sondern auch und vorzüglich bei den zartesten Kindern schon die Keime der Tugend aufzuwecken, ein Gefühl für das Gute und Sittliche in ihnen rege zu machen, ihre noch dunklen Begriffe zu entwickeln und zu bestimmen, und sie zu lehren, die ihnen beigebrachten Lebensregeln in Anwendung zu bringen“.1574 Das Ziel des Elementarunterrichts war deutlich: "der wichtigste und schwerste Teil des Unterrichts ist die Religionslehre“. Durch sie sollte Gottesfurcht und Tugend in die Herzen der Schüler gepflanzt werden. 1572 Adrion: Schul-Anfang im Herzogtum Württemberg, S. 62. 1573 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX., Nr. 1839, S. 10. 1574 E. Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S. 269. 404 Der Lehrer sollte sich deshalb bemühen, nicht nur den Verstand des Schülers von der Wahrheit der christlichen Religion zu überzeugen, "sondern auch sein Herz für die Lehren desselben empfänglich zu machen". Um diese Absicht zu erreichen, sollte neben der Württembergischen Kinderlehre der Braunschweigische Kathechismus dem Unterricht zugrunde gelegt werden.1575 Die Besoldung der Lehrer war von Anfang an sehr unterschiedlich. Es war auch nicht überall üblich, daß der Mesnerdienst mit dem des Schullehrers verbunden war. Das Einkommen der Schulmeister war auch 1797 noch recht verschieden. Der Lehramtskandidat in Hausen an der Zaber sollte 1753 die Lehrerstelle nur bekommen, wenn er eine der 4 Töchter des alten Schulmeisters heiratete. Vom Konsistorium wurde diese Abmachung wegen der treuen Dienste des alten Lehrers genehmigt. Der alte Schulmeister wurde Provisor beim neuen.1576 1820 verdienten in Preußen noch 20% der Lehrer unter 100 Gulden.1577 In Württemberg lagen die Einkommen meist zwischen 50 und 150 Gulden. Die Neuordnung des Schulwesens im neugegründeten Königreich begann 1806 mit einer Schulordnung für die katholischen Elementarschulen vom 10. November 1808, "um der großen Verschiedenheit und den Mängeln abzuhelfen".1578 Maßgeblich hieran beteiligt war der katholische Theologe Benedict Maria Leonhard Werkmeister (1745 - 1823), der 1764 als Novize in Neresheim eingetreten und 1784 unter Herzog Karl Eugen Hofprediger in Stuttgart geworden war, und den König Friedrich in den Katholischen Geistlichen Rat berufen hatte. Kinder nach dem 6. Lebensjahr waren zum Schulbesuch bis zum 14. Lebensjahr verpflichtet. Der Schulaustritt erfolgte immer nach einer vorhergehenden Prüfung. Danach folgte der Besuch der Sonntagsschule bis zum vollendeten 21. Lebensjahr. Schon im Jahre 1804 waren die Kirchenkonvente als Lokalschulbehörden auch für die katholischen Schulen bestimmt worden.1579 Im Januar 1809 waren vom Konsistorium in einem Dekret an die Dekanate Berichte über den Zustand der Schulen eingefordert worden, „zum Zwecke genauer Kenntnis des dermaligen Zustandes der deutschen Schulen“, um die herrschenden Mängel abstellen zu können. Konsistorium und Oberfinanzkammer waren bereit, eine finanzielle Unterstützung zu gewähren, sofern die betroffenen Gemeinden, die zum Bau und zur Unterhaltung der Schulen verpflichtet waren, dazu nicht in der Lage sein sollten. 1580 Das entsprechende Gesetz für die evangelischen Schulen, „die Generalverordnung betreffend das deutsche Elementarschulwesen in den evangelischen Orten des Königreichs“, wurde am 31. Dezember 1810 erlassen. 1575 Katein: Staat, Kirche und Schule in Württemberg, S. 65; E. Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S. 270. 1576 E. Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S. 405. 1577 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 487. 1578 Sauer: Der Schwäbische Zar, S. 358; Kurfess: Geschichte des katholischen Volksschulwesens. 1579 Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 95. 1580 Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 92. 405 Die einzelnen Bestimmungen betrafen die Anzahl und Arten der Schulen, die Schulgebäude, den Schulbesuch, die Schullehrer, ihre Anzahl und ihre Bildung, ihre Prüfung und ihre Anstellung, den Schulunterricht, die Schuldisziplin, die Schulinspektion und die Mittel zur Anschaffung der Schulbedürfnisse.1581 Es gab damals, 1810, in Württemberg insgesamt 2 180 Schulen, und zwar 1 400 evangelische und 780 katholische. Die Zahl erhöhte sich bis 1835 auf 2 314, bis 1845 auf 2 325. Von den 1 327 deutschen Schulen hatten nur etwa 900 eigene Schulstuben. In 400 Schulen wurde der Unterricht teils in der Wohnstube des Schulmeisters, teils in Zimmern bei Bauern oder auf dem Rathaus abgehalten. Auch mehrere Lehrer in einem Klassenzimmer waren keine Seltenheit. Diese Mißstände sollten beseitigt werden.1582 Die Schulordnungen von 1808 und 1810 waren bereits von dem Neresheimer Modell, der katholischen Schulordnung, beeinflußt, deren Ziele von Vorstellungen der Aufklärung geprägt waren. Die wesentlichen Unterrichtsfächer in dieser Zeit waren Religion, Lesen, Schreiben, Verfertigung schriftlicher Aufsätze für das bürgerliche Leben, Sittenlehre, Singen und Rechnen. Die oberste Schulaufsicht hatte nach wie vor das Konsistorium. Die unmittelbare Aufsicht aber über die Schulen der einzelnen Orte hatte der Ortsgeistliche zusammen mit dem Kirchenkonvent, sofern nicht ein Schulinspektor angestellt war. „Sie werden daher aufs ernstlichste erinnert, diesem wichtigen Teil ihres Amtes unter Erwägung ihrer großen Verantwortung, welche ihnen die Vernachlässigung desselben zuziehen muß, sowie des großen bleibenden Nutzens, den sie durch Beförderung des Schulwesens stiften, ihre gewissenhafte Tätigkeit zu widmen“.(§37)1583 Bei der Konsistorialprüfung wurde Pädagogik ein den anderen Prüfungsfächern gleichgeordneter Prüfungsgegenstand. Die Dekane wurden zugleich Bezirksschul- inspektoren, die jährlich jede Schule ihrer Diözese mindestens einmal zu visitieren hatten. Anscheinend wurden im Jahre 1811 im Rahmen einer Schulreform Gymnasien aufgehoben und dafür niedere lateinische Lehranstalten eingerichtet, wie aus dem Pfarrbericht von Schwäbisch Hall hervorgeht.1584 An der dreijährigen Lehrzeit für die Lehrerausbildung wurde festgehalten, aber die „Inzipienten“ mußten künftig entweder ein Schullehrerseminar besuchen, oder eine vom Konsistorium genehmigte Privatanstalt, oder bei einem „vorzüglich tüchtigen Schulmeister“ in die Lehre gegangen sein. 1581 Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 93. 1582 Katein: Das Verhältnis von Staat, Kirche und Volksschule, S. 13. 1583 Katein: Das Verhältnis von Staat, Kirche und Volksschule, S. 14. 1584 Sigel: Hall, S. 46. 406 Zur Verbesserung der bisher im wesentlichen handwerksmäßigen Ausbildung der Volksschullehrer wurde an Ostern 1811 in Eßlingen ein Seminar eröffnet, an dem jährlich 30 Kandidaten Unterricht erteilt werden sollte, seit 1825 ein katholisches in Gmünd. 1843 kam Nürtingen hinzu, dessen erster Leiter der Prälat Eisenlohr wurde. Die Ausbildungszeit wurde auf drei Jahre festgelegt, die Ausbildung war kostenlos. Daneben blieben das Öhringer Seminar, die Musterschule und Bildungsanstalt für Schullehrer in Heilbronn, und die Lehranstalt am Stuttgarter Waisenhaus bestehen. Es zeigte sich bald, daß dies für den Bedarf nicht ausreichte.1585 Zur Fortbildung der Lehrer wurde die Einrichtung von Diözesan-Lese- gesellschaften allgemein vorgeschrieben, an denen die Lehrer regelmäßig teilnehmen sollten.1586 Mit den beiden Schulordnungen von 1808 und 1810 hatte Württemberg erneut eine Vorreiterrolle in Deutschland übernommen und objektiv den Grundstein für einen weiteren Ausbau des Elemtarschulwesens gelegt, das zu jener Zeit ein ähnliches Beispiel suchte.1587 Die Schulpflicht wurde auf das 6. bis 14. Lebensjahr festgelegt. Knaben und Mädchen sollten möglichst getrennt unterrichtet werden. In Klassen mit über 100 Schülern konnte zusätzlich ein Provisor eingestellt werden. Erstmals gab es auch Mindestgehälter, die aber immer noch variierten. Im Volksschulgesetz vom 29. September 1836 wurden die Ziele der Schule neu formuliert: "die religiös sittliche Bildung und Unterweisung der Jugend in den für das bürgerliche Leben nötigen allgemeinen Kenntnissen und Fähigkeiten". Die konfessionell getrennte Verwaltung der Volksschulen durch des Evangelische Konsistorium und den Katholischen Kirchenrat blieb bestehen, aber es galten nunmehr gemeinsame Erziehungsgrundsätze.1588 Nach 1848 sollte die Ausbildung wieder schwerpunktmäßig auf Kathechismus, Bibelkunde, Memorieren und Musik reduziert werden.1589 Die Fortsetzung der Volksschule bildeten die Sonntagsschulen. In diesen sollten diejenigen Unterrichtsgegenstände geübt werden, "die für das bürgerliche Leben vorzugsweise von Nutzen sind“.1590 „Sie setzen die Vollendung der gewöhnlichen Schulbildung voraus und haben nur den Zweck der Fortbildung und Wiederholung“. Die Sonntagsschulpflicht wurde für evangelische Kinder auf das 18. Lebensjahr, für katholische auf das 21. Lebensjahr festgeschrieben. Hier sollte das in der Schule gelernte repetiert und geübt werden. 1585 Katein: Das Verhältnis von Staat, Kirche und Volksschule, S. 15. 1586 Dann: Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation. 1587 Adamski: Industrieschulen und Volksschulen in Württemberg, S. 149. 1588 Sauer: Reformer auf dem Königsthron, S. 384. 1589 Süddeutscher Schulbote, 1851, S. 18. 1590 Gubitz: Das Volksschulgesetz vom 29.September 1836, S. 7. 407 Die Sonntagsschule war 1739 durch ein Synodalreskript als Fortbildungsschule für konfirmierte Söhne und Töchter eingeführt worden. In Altensteig bestand sie seit 1743.1591 In einer Verordnung vom 22. September 1818 wurde der Zweck und die Aufgabe dieser Schulen wie folgt bestimmt: „In der Sonntagsschule wird diejenige Bildung, die dem Geist und dem Herzen des Kindes jüngeren Alters gegeben wurde, nach Maßgabe des gereiften Verstandes und des durch geänderte Beschaffenheit der physischen und moralischen Kräfte geänderten Bedürfnisse für die erwachsene Jugend fortgesetzt“.1592 Auch zur moralischen Besserung der Kinder sollten die Sonntagsschulen dienen. In einem Erlaß vom 13. Dezember 1825 wurde das folgendermaßen formuliert: „Da mehrere Pfarr- und Visitationsberichte die Tatsache, daß das Laster der Unzucht immer mehr überhand nehme, bekräftigt haben, so werden die Geistlichen angewiesen, daß sie besonders auch in der Sonntagsschule sich angelegen sein lassen, die Söhne und Töchter vor dem Laster der Unzucht zu warnen, wobei es sich von selbst versteht, daß dies auf eine das Schamgefühl nicht beleidigende Weise geschehe“.1593 Als Alternative traten mit einem Erlaß des Königlichen Studienrats vom 14. September 1825 „Sonntagsgewerbeschulen für junge Handwerker“ mit Zeichen- unterricht neben diese Sonntagsschulen. Die Zentralleitung des Wohltätigkeits- vereins hatte sich bereits 1818 mit der Bitte an das zuständige Ministerium gewandt, die bisherigen, hauptsächlich Kenntnisse in Religion vermittelnden Sonntagsschulen "zur Vorbildung für eine erfolgreiche Betätigung auf gewerblichem Gebiet auszugestalten, da die Volksschulen dazu wenig geeignet sind". Staat und Konsistorium hießen den Antrag gut. Der Studienrat erließ 1825 einen Erlaß an die Oberämter, solche Sonntags- Gewerbeschulen einzurichten.1594 Die bessere Förderung der Gewerbe und eine bessere Ausbildung wurden angestrebt.1595 In der neuen Gewerbeordnung von 1828 waren 13 Zünfte abgeschafft worden, 44 blieben aber weiterhin bestehen. Der Ruf nach vorgebildeten jungen Leuten war unüberhörbar. „Man war bereit, die Selbsthilfe der bildungsfähigen jungen Generation durch Handwerkerschulen und "gemeinfaßlichen Unterricht" über die Grundbegriffe der Nationalökonomie, von der jeder Kenntnis nehmen muß, zu unterstützen“.1596 Unterrichtsfächer waren Zeichnen, Rechnen, Naturlehre, Geographie, Mechanik, Anleitung zum Entwerfen von Verdienstzetteln und Überschlägen.1597 1591 Kühbauch: Aus der Geschichte Altensteigs, S. 147. 1592 Süskind: Handausgabe des Gesetzes über die Volksschulen, S. 48. 1593 Süskind: Handausgabe des Gesetzes über die Volksschulen, S. 49. 1594 Boelcke: Sozialgeschichte Baden-Württembergs, S. 48; Schmierer: Das Haus Württemberg und sein Einfluß auf die sozialpolitische Entwicklung des Landes, S. 501. 1595 Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 95. 1596 Naujoks: Stadt und Industrialisierung in Baden und Württemberg, S. 32. 1597 Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 178. 408 Im Jahre 1829 wurde auch die erste Kleinkinderschule vom 1817 von der Königin Katharina gegründeten Wohltätigkeitsverein eröffnet. 1849 waren es 99 Orte mit 6 400 Kindern, 1855 schon 149 Orte mit 10 191 Kindern. Es wurde festgelegt, daß an jedem Ort mit wenigsten 30 Familien in der Regel eine Volksschule zu bestehen hatte. Wenn jedoch der benachbarte Ort über eine Stunde entfernt oder der Weg dahin für das Leben oder die Gesundheit der Schüler gefährlich war, so konnte von der Oberschulbehörde auch bei 15 Familien die Errichtung einer eigenen Schule angeordnet werden. Deren Kosten waren nach den Bestimmungen der Artikel 18 und 23 von der Gemeinde aufzubringen“.1598 1835 hatten die Dorfschullehrer in Württemberg Gehälter zwischen 150 und 400 Gulden. Mit dem Amt des Lehrers war meist der Mesnerdienst verbunden, wobei es immer noch vorkommen konnte, daß der Kirchendienst mehr eintrug, als das Amt des Lehrers. Nach 1830 wurde auch die Forderung nach einer besseren Ausbildung der Lehrer laut, vor allem in den Fächern Mathematik, Naturkunde, Geographie, Geschichte, Zeichnen, dazu wieder in Pädagogik und Didaktik. Die Volksschule blieb aber auch nach dem Volksschulgesetz vom 29. September 1836 weiterhin eine Memorieranstalt, „ein Hort gottes- und staatsfürchtiger Erziehung“.1599 Aufsichtsbehörde war weiterhin für die evangelischen Schulen das Konsistorium, für die katholischen der Katholische Kirchenrat. Diese waren ihrerseits dem Ministerium für das Kirchen- und Schulwesens unterstellt. In der Schulordnung hieß es: „Zweck der Volksschulen ist die religiös-sittliche Bildung in den für das bürgerliche Leben nötigen allgemeinen Kenntnissen und Fertigkeiten. Wesentliche Gegenstände des Unterrichts in den Volksschulen sind Religions- und Sittenlehre, Lesen, Schreiben, deutsche Sprache, Rechnen und Singen. Der Zweck allen Unterrichts in den Elementarschulen ist, teils die geistigen Kräfte und Anlagen überhaupt und in gehöriger Harmonie mit einander zu entwickeln, zu üben, zu stärken, zu bilden, teils ihnen (den Kindern) diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten zu eigen zu machen, welche für ihr künftiges Leben in jeder Lage und in jedem Beruf die notwendigsten und nützlichsten sind, um sie hierdurch zu religiösen und moralisch guten, zu vernünftig denkenden, handelnden und empfindenden, für alle Verhältnisse der Welt brauchbaren, aber auch für die höhere Bestimmung, welche das letzte und würdigste Ziel menschlichen Daseins ist, fähigen Menschen zu bilden“.1600 Die Pflicht zum Schulbesuch bestand weiterhin vom 6. bis zum 14. Lebensjahr. Danach mußten die evangelischen Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr die Sonntagsschule besuchen. 1598 E. Schmid: Geschichte des württembergischen evangelischen Volksschulwesens, S. 146. 1599 Adamski: Industrieschulen und Volksschulen in Württemberg, S. 190. 1600 Reyscher, Kirchengesetze, Bd. IX., 1839, S. 41. 409 Nur von der Oberschulbehörde hierzu ermächtigte Schulmeister (Musterlehrer) hatten das Recht, Schulamtszöglinge für ihren Beruf auszubilden oder für die Aufnahme in eine Berufsbildungsanstalt vorzubereiten. Die Oberschulbehörde hatte die Aufgabe, „die Fortbildung der angestellten Lehrer für ihren Beruf mit allen zweckdienlichen Mitteln zu veranlassen: 1. Lehrkurse oder Unterricht über allgemeine Erziehungs- und Unterrichtslehre. 2. Ständige Einrichtung von Schullehrerkonferenzen in jedem Schulaufsichts- bezirk. 3. Ständige Einrichtung von Lesegesellschaften. 4. Zulassung zu Schullehrerbildungsanstalten des Staates. 5. Prämien für Lehrer, die sich auszeichnen". Gymnasiale Vollanstalten gab es in Stuttgart, Heilbronn, Ulm, Ehingen, Ellwangen und Rottweil, sogenannte Lyzeen in Ludwigsburg, Eßlingen, Ravensburg, Reutlingen, Tübingen und Öhringen.1601 Es soll nun noch ein kurzer Überblick veranschaulichen, wie die Vielfalt des Schulwesens am Ende des Berichtszeitraumes ausgesehen hat. Es wurde versucht, den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden, und es gab Gemeinden, die mit Schulen wohl versehen waren. Biberach hatte im Jahre 1908:1602 ein Progymnasium mit einer Vorklasse und 6 Klassen, eine Realschule mit einer Vorklasse und 7 Klassen, eine Höhere Mädchenschule mit 6 Klassen, eine Evangelische Volksschule mit 9 Klassen, eine gemischte Unterklasse, 4 Knaben- und 4 Mädchenklassen, eine Katholische Volksschule mit 10 Klassen, eine evangelische allgemeine Fortbildungsschule mit 2 Klassen, eine katholische allgemeine Fortbildungsschule mit 2 Klassen, eine städtische weibliche Fortbildungsschule, eine gewerbliche Fortbildungsschule mit 3 Kursen pro Jahr, Lehrlinge des Handelsstandes, Lehrlinge des Gewerbestandes, Kaufhandwerker und Bautechniker, eine Bauhandwerkerschule mit 2 Klassen, eine Frauenarbeitsschule mit 3 Lehrerinnen, eine Kleinkinderschule mit bis zu 120 Kindern. 1601 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 395. 1602 Pfarrbericht Biberach 1908. 410 Ludwigsburg hatte 1905 16 Schulen:1603 1. Gymnasium mit 9 Klassen, 2. Realschule mit 7 Klassen, 3. Elementarschulen mit 4 Klassen für Buben und Mädchen, 4. Ständige Gewerbeschule, 5. Handelsschule, 6. Fortbildungsschule für evangelische Jünglinge, 3 Klassen, ev. Volksschulmädchen, 3 Klassen, Mittelschülerinnen, 1 Klasse, katholische Jünglinge, 1 Klasse, katholische Mädchen, 1 Klasse, 7. Höhere Mädchenschule, 10 Klassen, 8. Frauenarbeitsschule, 5 Klassen, 9. Mädchenmittelschule, 7 Klassen, 10. Ev. Knabenvolksschule 7 Klassen, 11. Ev. Mädchenvolksschule 7 Klassen, 12. Ev. Volksschule Eglosheim 2 Klassen, 13. Ev. Volksschule Pflugfelden 2 Klassen, 14. Kath.Volksschule 2 Klassen, 15. Israelit.Religionsschule 1 Klasse, 16. Schülerwerkstätte 1 Klasse. Abschließend soll auch noch ein Blick auf die Vielfalt der Schulen in der Hauptstadt des Königreiches geworfen werden. Stuttgart hatte 1905 folgende Schulen:1604 Eberhard-Ludwig-Gymnasium: 20 Klassen, 30 Haupt-, 5 Fachlehrer, 591 Schüler. Karlsgymnasium: 20 Klassen, 30 Haupt-, 6 Fachlehrer, 687 Schüler. Realgymnasium: 26 Klassen, 36 Haupt-, 10 Fachlehrer, 974 Schüler. Friedrich-Eugen-Realschule: 25 Klassen, 35 Haupt-, 9 Fachlehrer, 840 Schüler. Wilhelms-Realschule: 24 Klassen, 42 Lehrkräfte, 856 Schüler. Neue Realschule (Rosenbergstraße): 8 Klassen, 8 Haupt-, 10 Fachlehrer, 285 Schüler. Städtische Bürgerschule (Mittelschule für Knaben): 45 Klassen, 48 Lehrer, 1981 Schüler. Städtische Elementarschulen: 29 Klassen, 33 Lehrer, 1 103 Schüler. 1603 Pfarrbeschreibung Ludwigsburg, 1905. 1604 Pfarrbeschreibung Stuttgart, Stiftskirche, 1905. 411 Königin-Katharinen-Stift: 20 Klassen, 33 Lehrer, 610 Schülerinnen. Höheres Lehrerinnen-Seminar: 3 Kurse, 9 Lehrer, 75 Schülerinnen. Königin-Olga-Stift: 14 Klassen, 22 Lehrkräfte, 410 Schülerinnen. Privat-Schulen: Höheres Töchter-Institut: 18 Klassen, 32 Lehrkräfte, 540 Schülerinnen. Von-Priesersches-Institut: 10 Klassen, 1 Seminarkurs, 30 Lehrkräfte, 210 Schülerinnen. Schubartsches Institut: 10 Klassen, 19 Lehrkräfte, 216 Schülerinnen. Mozersches Töchter-Institut: 8 Klassen, 7 Lehrkräfte, 80 Schülerinnen. Mädchengymnasium: 6 Klassen, 22 Lehrkräfte, 58 Schülerinnen. Volksschulen: Klassen, Knaben, Mädchen, 1. Jakobschule 31 683 731 2. Johannesschule 16 371 449 3. Schwabschule 14 327 379 4. Hospitalschule 14 300 287 5. Seidenschule 7 --- 297 6. Römerschule 15 339 401 7. Stöckachschule 14 254 367 8. Pragschule 18 364 527 9. Karlsvorstadt-Schule 28 659 758 __________________________________ 157 3 297 4 196 Allgemeine Fortbildungsschulen: 1. Jakobschule 14 17 250 2. Johannesschule 8 48 163 3. Schwabschule 5 27 116 4. Hospitalschule 6 59 104 5. Seidenschule 2 -- 72 6. Römerschule 5 30 105 7. Stöckachschule 4 28 88 8. Pragschule 4 16 105 9. Karlsvorstadt-Schule 6 30 173 ________________________________ 54 255 1 176 412 Dazu kamen noch die Schulen in Ostheim, Berg, Gablenberg und Gaisburg. Das Angebot war also breit gefächert. Der Unterschied zu den Schulverhältnissen am Anfang des 19. Jahrhunderts und die Verbesserungen sind deutlich zu sehen. 413 10.2. Die Realschule. Das württembergische Schulwesen war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts stark auf die klassischen Sprachen und die Vorbildung der Theologen ausgerichtet. Erst dann gewannen die Naturwissenschaften immer mehr an Gewicht. Das Bedürfnis nach einer besseren Ausbildung in praxisnäheren Fächern führte zu einem neuen Schultyp: der Realschule. Es war dann ein Mann, der aus einer sehr reichen Familie in Klosterreichenbach stammte, Friedrich Wilhelm Klumpp (1790 - 1868), der selbst eine humanistische Ausbildung erfahren und kennen gelernt, sie auch hoch geschätzt hatte, und der erkannte, daß diese seitherige Ausbildung den neuen Anforderungen nicht mehr genügte. Er war in der Zeit von 1831 - 35 in Stetten und dann Professor am Eberhard-Ludwig-Gymnasium in Stuttgart".1605 Er kam von der Richtung pietistischer Frömmigkeit her, die sich mit den klassischen Schulwissenschaften angefreundet hatte. Er sah, wie die Naturwissen- schaften in einer ungeheueren Weise vorwärts drängten, die Physik, die Chemie, auch die Forschung in der Medizin, und er wollte den neuen Fächern einen ihrer Bedeutung entsprechenden Stellenwert im Unterricht geben und sie mit dem alten Bildungsideal des Humanismus in Einklang bringen und versöhnen. Er wollte eine grundlegende wissenschaftliche und zugleich praktische Lehrerausbildung.1606 Klumpp stellte ein Reformprogramm auf, das an dem modernen Schulzentrum in Stetten realisiert wurde. Das Gut des Humanismus sollte bewahrt werden, aber die Schule sollte sich dem Neuen öffnen, und die Kinder sollten nicht mehr nur auf griechische Grammatik und lateinische Stilistik getrimmt werden. Klumpp war ein hervorragender Graecist, von dem eine bedeutende Übersetzung erhalten ist. Er meinte aber, ein rein humanistisches Studium sei keine Voraus- setzung für künftige Ärzte, Techniker, Ingenieure, die man doch auch brauchte. Er wollte die alten Ideale, die Tradition des Humanismus, herein nehmen und verschmelzen mit den neuen Notwendigkeiten. Der Fortschritt der modernen Technik benötigte ein höheres Maß an Kenntnissen und Fertigkeiten, und so trat jetzt neben das Gymnasium und die deutsche Schule die Realschule als grundlegende Schule für den gewerblichen Mittelstand, um einen "höheren Gewerbestand" heranzubilden.1607 Die realistische Elementar- bildung, "welche in unseren lateinischen Schulen überhaupt noch nicht die rechte Würdigung gefunden hat", wurde von Klumpp gefordert. 1605 Klumpp: Die gelehrten Schulen nach den Grundsätzen des wahren Humanismus; Sauer: Im Namen des Königs, S. 228. Klumpp gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Vereins für entlassene Strafgefangene 1606 Otto Borst: Schule des Schwabenlands, S. 109. 1607 Keck: Geschichte der Mittleren Schule in Württemberg, S. 183; Mayer: Geschichte des württembergi- schen Realschulwesens. 414 König Wilhelm, der von der Richtigkeit der Klumpp´schen Gedanken überzeugt werden konnte, wies die Hofkammer an, diesem Stetten gegen die symbolische Gebühr von einem Kreuzer zur Verfügung zu stellen,. Der Hofkammerdirektor von Dietersheim hatte die finanziellen Grundlagen zu schaffen. Eröffnet wurde die Internatsschule am 3. Mai 1831 mit einem Gottesdienst und 55 Zöglingen. Sie bestand bis zur Mitte der vierziger Jahre. In den Unterrichtsplan neu aufgenommen wurden die sprachlichen Fächer Deutsch, Latein, Französisch, Englisch, Italienisch, dazu Mathematik, Physik, Chemie, Handelsgeographie, außerdem Leibesübungen, Reiten und Freizeit- gestaltung. Auch das Spielen eines Instrumentes oder das Singen sollte gepflegt werden. Hier nahm das Realgymnasium zum ersten Mal Gestalt an, hier waren die besten Lehrer aus ganz Württemberg tätig, und von hier aus haben sie die neuen Gedanken in das Land hinausgetragen. Reformpädagogische Maßnahmen von Klumpp waren Ausflüge und Schulfeste. Die Kinder sollten, zu Fuß natürlich, auch ihre Umgebung kennen lernen, was der berühmte Nürtinger Schulmeister Goeßler mit seinen Schulausflügen auch schon praktizierte.1608 Es war das Verdienst von Stetten, auch Menschenfreundlichkeit und Fröhlichkeit in die Pädagogik hineingetragen zu haben. Von hier aus fand die Idee des Realgymnasiums im ganzen Königreich Württemberg Verbreitung. Selbst das Schulwesen in den Vereinigten Staaten von Amerika wurde von hier beeinflußt. So war die Zeit zwischen 1830 und 1850 für das württembergische Schulwesen prägend und hat die Ausrichtung der folgenden Jahre bestimmt.1609 Nach dem Konsistorialerlaß vom 24.10.1856 waren die Realien noch nicht in den Grundschulunterricht aufgenommen. Es sollten weiterhin 8 Stunden für Rechnen, Schönschreiben und Singen verwendet werden, 2 Stunden Religionsunterricht, 2 Stunden Memorierübung, 5 - 6 Stunden Lesen in der Bibel oder der Biblischen Geschichte, mindestens aber 4 Stunden in der Woche. Erst ab dem 13. Januar 1864 wurde auf Grund eines Ministerialerlasses die Aufnahme der Realien in den Unterricht obligatorisch. 1610 Diese setzten sich aus verschiedenen Teilen zusammen. Der geschichtliche Teil umfaßte an erster Stelle „Bilder aus der württembergischen Geschichte“: 1. Wie es in Württemberg vorzeiten aussah. 2. Graf Eberhard I.. 3. Graf Eberhard der Greiner. 4. Eberhard im Bart. 5. Herzog Ulrich. 6. Herzog Christoph. 7. Württemberg im Dreißigjährigen Krieg. 8. Franzosennot zur Zeit Ludwigs XIV.. 9. Aus der Zeit von Herzog Karl. Das 19. Jahrhundert hat in Württemberg eine eigene Geschichtskultur ausgeprägt, die nicht von der Universität in Tübingen ausging, sondern über die Realienbücher vermittelt wurde. Hier wurde Wert auf die besonderen geschichtlichen Ereignisse gelegt, die Württemberg geprägt hatten. 1608 Decker-Hauff: Lehrerbildung im 19. Jahrhundert. Vortrag vom 7.10.1987 in Nürtingen, Umschrift G. Widmer. 1609 Decker-Hauff: 600 Jahre Schloß Stetten. Vortrag vom 25.9.1987, Umschrift G. Widmer. 1610 Schreiben des Konsistoriums vom 19.Januar 1864. 415 Der nächste Abschnitt behandelte die morgenländischen Völker, die Griechen und Römer, die Völkerwanderung, das erste Christentum bis zum Konzil von Konstanz, die Reformation bis zu den Befreiungskriegen und den ersten württembergischen König. Ein weiterer Abschnitt umfaßte „die Zeit von 1815 bis zur Gegenwart“. In der Geographie waren zunächst die Landschaften Württembergs das Thema, dann aber auch das übrige Deutschland, Europa und die anderen Erdteile. In der Naturgeschichte wurden die Tiere behandelt, hier zunächst die „Tiere in Gärten und Feldern“, wozu die Fledermaus, der Maulwurf, die Amsel (Schonung der Singvögel), der Hase, der Kohlweißling, der Maikäfer, die Schnecke, der Regenwurm und die schädlichen Insekten an Obstbäumen und am Weinstock gehörten. Zu den Tieren, „die sich in der Nähe des Menschen angesiedelt haben“, gehörten die Schwalbe, der Storch, die Eule, die Kreuzspinne und die Stubenfliege. Tiere auf der Wiese, im Wasser und im Wald folgten, einschließlich den schädlichen Insekten an den Nadelbäumen. Die Gesteinskunde umfaßte die Mineralien und die Erdgeschichte. Unter dem Abschnitt „Mensch“ wurden „Gestalt und Gliederung des menschlichen Körpers“ behandelt, die Bewegung, die Ernährung, die fünf Sinne, „der eigentliche Sitz der Empfindung und Ausgangspunkt der Bewegung“. Der letzte Teil, die Naturlehre, umfaßte die einfachen Maschinen (Hebel, Rolle, Wellrad, schiefe Ebene, Keil, Schraube), den Druck von Flüssigkeiten, den Luftdruck, die Wärme, den Schall, das Licht, den Magnetismus. Die Elektrizität wurde an Hand des Gewitters erklärt, und es wurde „die erste Aufgabe des Blitzableiters“ besprochen, nach der Jahrhundertwende auch schon der Elektromagnetismus, die elektrische Beleuchtung, das Telefon und die Dynamomaschine.1611 Auch der weibliche Handarbeitsunterricht wurde nun Teil des Lehrplanes. Der erste Kurs fand am 16.3.1866 statt.1612 Da ein Streit darüber ausgebrochen war, ob denn nun die Schule eine kirchliche, oder eine staatliche Einrichtung sei, wurde im Gesetz von 1836 der Zweck der Volksschule wie folgt vermittelnd formuliert: „Zweck der Volksschulen ist die religiös-sittliche Bildung und Unterweisung der Jugend in den für das bürgerliche Leben nötigen allgemeinen Kenntnissen und Fertigkeiten“. Diese Formulierung wurde bis 1909 beibehalten. 1611 Württembergisches Realienbuch. 1912, III-VI. 1612 Schmid: Geschichte des württembergischen evangelischen Volksschulwesens, S. 440. 416 Im Bemühen um eine Hebung der Wirtschaftskraft des Landes sollte auch das Schulwesen wesentlich erweitert werden. Im November des Jahres 1818 wurde die „Landwirtschaftliche Unterrichts- und Versuchsanstalt“ in Hohenheim mit dem „Ackerbauinstitut“ gegründet, verbunden mit einem Wirtschaftsbetrieb von 318 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche, 1820 auch die Forstwirtschaftliche Anstalt, dann die „Tierarzneischule in Stuttgart (1821), die „Staatswirtschaftliche Fakultät“ an der Universität Tübingen, 1829 die Gewerbeschule, 1848 zur „Polytechnischen Anstalt“ ausgebaut, die spätere Technische Hochschule, in Stuttgart. Viele Lateinschulen wurden in dieser Zeit in Realschulen umgewandelt.1613 Eine neue Schulform, die der beginnenden Umwälzung auf wirtschaftlichem Gebiet Rechnung tragen sollte, waren auch die Fortbildungsschulen, die über den Unterricht an den Elementarschulen hinaus die Schüler auf die modernen Anforderungen im täglichen Leben vorbereiten sollten. In den Jahren 1869 - 72 wurden in Hall, Heilbronn, Ravensburg, Reutlingen und Ulm landwirtschaftliche Winterabendschulen eingerichtet. Im Jahre 1892 gab es 78 solche freiwillige landwirtschaftliche Fortbildungsschulen mit 1 825 Schülern, sowie 777 obligatorische Winterabendschulen1614 mit 17 488 Schülern, an denen vor allem die Landwirtschaft im Unterricht berücksichtigt wurde.1615 An den gewerblichen und landwirtschaftlichen Fortbildungsschulen, die oft Sonntags-Gewerbeschulen oder Winter-Abendschulen waren, sollte einerseits das in der Elementarschule gelernte gepflegt und repetiert werden, aber man wollte darüber hinaus auch dem Wunsch nach einer Erweiterung dieses Unterrichts- stoffes gerecht werden. Es sollten den Kindern Fähigkeiten vermittelt werden, die ihnen im späteren Berufsleben eine Hilfe sein würden. Die Kenntnisse dieser Schulart sollten „etwas bieten, was in engerem Zusammenhang mit der späteren Berufstätigkeit der Schüler steht, was es ihnen möglich macht, das Gelernte praktisch anzuwenden“. Daneben sollte aber auch weiterhin in sittlicher Beziehung „wohltätig auf die jungen Leute eingewirkt werden“. Auch hier stand wieder im Vordergrund die Gewöhnung an Ordnung und Fleiß, Gehorsam, Bescheidenheit, Höflichkeit, Selbständigkeit, Ehrlichkeit, Redlichkeit und Wahrheitsliebe. Geschäftsaufsätze wurden geübt, auch das orthographisch richtige Schreiben und die Übung des Ausdrucks. Das Schreiben von Briefen war ein wesentliches Fach. Beispielsweise wurde angeführt, daß der Schüler lernen müsse, eine Quittung ordnungsgemäß auszuschreiben. Im Rechnen standen Kopf- und Zahlenrechnen nebeneinander. Die Beispiele sollten aus dem Leben genommen sein. Auch die „Gewandheit im mündlichen Ausdruck“ war ein Thema der Übungen. Neben solchen Dingen stand auf dem Plan aber auch Geschichte, Geographie und Naturgeschichte. Die Bildung sollte grundsätzlich den Realitäten im täglichen Leben angepaßt werden. 1616 1613 Katein: Das Verhältnis von Staat, Kirche und Volksschule, S. 38. 1614 Maier: Die ländlichen Winterabendschulen, S. 12. 1615 Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 181. 1616 Maier: Die ländlichen Winterabendschulen, S. 3; Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 95. 417 Aus dem Formular des Pfarrberichts ersehen wir die Vielfalt der Schulformen, die sich bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts angeboten haben: „Kleinkinderschulen, Arbeits-. landwirtschaftliche und gewerbliche Fortbildungsschulen, Zeichnungs- und Baumschulen“.1617 Rümelin hat versucht, den Gegensatz zwischen Kirche und Schule zu überwinden. Grundlage des Unterrichts sollte weiterhin die religiöse Erziehung sein, aber die Lehrgebiete der Volksschule sollten auf die Realien ausgeweitet werden. Die Herrschaft der Kirche über die Schule sollte aufgehoben werden, „der Geistliche sollte weiterhin die Schule besuchen, aber nicht als Aufseher, sondern als Mitarbeiter, als Amtsgenosse des Lehrers“. Im Landtag gab es in all den Jahren immer wieder Diskussionen darüber, wie denn nun die Lehrer einzuordnen und einzustufen seien. In der Verhandlung vor der Kammer der Standesherren äußerte sich der Staatsminister Freiherr von Linden zu diesem Thema: „Ich glaube, es gibt keinen Stand, bei welchem die Disziplin von größerer Bedeutung ist, es gibt keinen Stand, möchte ich sagen, der eine schwierigere Stellung in der Gesellschaft einnimmt, als gerade der Schulstand. Er soll gebildet sein und nicht überbildet, er soll kein Bauer sein, und doch auch kein Herr, er soll mit Anstand leben, wenn aber der Anstand irgend Geld kostet, so muß er sich diesen Anstandsforderungen entziehen, er kann ihnen nicht nachkommen. Dies ist eine Aufgabe, die schwer zu lösen ist. Sie wird lediglich dadurch zu lösen sein, daß man auf das Innere der dem Schulstand angehörigen Männer gehörig wirkt, daß eine einsichtsvolle und wohlwollende Oberschulbehörde auf ihre geistige Richtung fortwährend einwirkt, fortwährend diese Männer davon abhält, zu tief hinab, oder zu hoch hinauf zu steigen, sie im Gleichgewicht hält. Daß sie ihnen nahe legt, daß es sich um den Volksschullehrerstand handelt, daß es sich darum handelt, mehr dem Volke ähnlich, mehr dem Landmann ähnlich zu leben, obgleich der betreffende Schulmann ein viel besseres Wissen im eigenen Kopfe weiß, daß es sich darum handelt, sich von allen Genüssen fern zu halten, denen er nur gewissermaßen an die Schwelle treten darf, und daß, wenn er diese übertritt, dies ihn zu einem unglücklichen Manne machen kann, daß es sich darum handelt, ihn auf dem richtigen religiösen Weg zu halten, ihn dahin zu bringen, daß er vermöge seines besseren Wissens in religiösen Dingen einen festeren Glauben bekommt, und nicht in Unglauben verfällt, wie dies so häufig geschieht“.1618 Ein Gesetz vom 17. Juli 1905 brachte die endgültige Trennung des Mesner- dienstes von dem des Lehrers. Es wurde festgelegt, daß die Trennung auf den 1. Oktober 1905 zu erfolgen hatte. 1617 Übersicht des Pfarrbericht-Formulars von 1855, § 26. 1618 Gubitz: Das Einkommen der Volksschullehrer, S. 85. 418 Weiterhin konnte aber die „Versehung des Organisten-, Kantoren-, Chordirigenten- und Vorsängerdienstes“ gegen eine „von der betreffenden Oberkirchenbehörde im Einvernehmen mit der Oberschulbehörde festzusetzende Vergütung“ durch den Lehrer bestimmt werden.1619 Solche Dienste waren, weil sie ja die Kirche betrafen, auch weiterhin der Aufsicht durch die Kirchenorgane unterstellt. In Frankfurt forderten 1905 die Demokratische Partei, die Fortschrittspartei und die Sozialdemokraten „die konfessionslose Schule“. Vor allem die Sozial- demokratie wollte „die Schule gegen die Kirche, und den Schulmeister gegen den Pfaffen mobilisieren, und durch ihre Protagonistin Klara Zetkin forderte: „Die Religion hat in der Schule nichts zu suchen, der Religionsunterricht ist unsittlich und vergiftet die Schule“.1620 Im neuen Volksschulgesetz vom 17. August 1909 wurde nach heftigen Auseinandersetzungen in den Kammern der Charakter der Volksschule als einer öffentlichen Staatsanstalt festgelegt, deren Aufgabe es war, „die für das bürgerliche und religiöse Leben notwendige Bildung zu vermitteln und damit der Jugend zu jener Stufe der geistigen Entwicklung und zur Erlangung jener Kenntnisse und Fertigkeiten zu verhelfen, welche von jedermann ohne Unterschied der Berufsklassen gefordert werden müssen und die daher Gemeinbesitz aller Volksklassen sein sollen, wie sie auch die Grundlage für die Weiterbildung in den einzelnen Berufsarten zu legen hat“. Hatten bis dahin die Pfarrer in Verbindung mit dem Kirchenkonvent die Schule beaufsichtigt, so war nun der Ortsschulrat zuständig, dem der Pfarrer als Mitglied angehörte. Die Volksschule blieb weiterhin Bekenntnisschule. Die konfessionelle Gliederung der Schulen wurde weiterhin beibehalten. An die Einführung einer Simultanschule wurde noch nicht gedacht. Die Oberleitung wurde vom Konsistorium dem neugeschaffenenen Evangelischen Oberschulrat übertragen. "Die Schule hatte für den soliden Unterricht in den einzelnen Fächern zu sorgen“. Den Religionsunterricht erteilten auch fortan die Pfarrer.1621 Privatanstalten waren weiterhin erlaubt, bedurften aber der Genehmigung der Oberschulbehörde. Der Staat behielt sich also das Aufsichtsrecht über alle Schulen vor. Immer noch hatten die Gemeinden die Kosten für die Schulunterhaltung zu tragen. Der Staat gewährte nur dort eine Unterstützung, wo eine Gemeinde finanziell zu schwach war, um die erforderlichen Mittel selbst aufzubringen. Die Erfüllung der materiellen Forderungen des Lehrerstandes bedingte deren Besserstellung und ging einher mit einer gewissen sozialen Beruhigung, es wurde aber gesehen, daß dies ein Schritt hin auf eine größere Standesautonomie sein würde. 1619 Ruck: Das Verhältnis von Kirche und Volksschule in Württemberg, S. 99. 1620 Katein: Das Verhältnis von Staat, Kirche und Volksschule. S. 62. 1621 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 278. 419 Zwar brachte das neue Besoldungsgesetz in Preußen 1909 noch nicht die angestrebte Gleichstellung mit den Sekretären der allgemeinen Staatsverwaltung, doch wurde die materielle Situation so weit verbessert, daß ein Lehrer ungefähr zweieinhalb mal so viel verdiente, wie ein Arbeiter in Industrie, Handel oder Verkehr.1622 Immer noch wurde aber der Grundsatz vertreten, daß die Volksschule ihre Erziehungsaufgabe nur erfüllen könne, wenn sie auf einer religiösen Grundlage stehe, da sie „in das politische und in das religiöse Leben des Volkes zugleich eingewoben ist".1623 Die Fortschritte im Schulwesen wurden aber allgemein anerkannt. „Der Staat, der noch während des ganzen 19. Jahrhunderts die Schule in seinem Auftrag durch das Konsistorium hatte verwalten lassen und die Pfarrer als ausführende Organe benutzte, führte, insbesondere auch dank des Aufschwungs des wirtschaftlichen Lebens im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts die Schule auf eine Höhe, welche die am Ende des 18. Jahrhunderts weit überstieg".1624 1622 Jeismann: Bildung, Staat, Gesellschaft im 19.Jahrhundert, S. 327. 1623 Katein: Das Verhältnis von Staat, Kirche und Volksschule, S. 67. 1624 E. Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S. 416. 420 10.3. Die Industrieschule. Neben die Elementarschulen traten seit 1795 und verstärkt seit 1817 die sogenannten „Industrieschulen“ als berufsvorbereitende Einheitsschulen, die neben einer elementaren Bildung Kenntnisse in haus- und landwirtschaftlichen Arbeiten vermitteln sollten.1625 Friedrich Wilhelm Kohler hatte 1795 in Birkach noch mit Unterstützung von Herzog Karl Eugen eine „Spinnanstalt“ für die Schuljugend gegründet. Mädchen sollten das Spinnen lernen und so zum Unterhalt der Familien einen Beitrag leisten können. Sie sollten vor allem auch vom Bettel abgehalten werden und sich daran gewöhnen, ihren Lebensunterhalt mit eigener Arbeit zu verdienen. Seine Vorstellungen hat er in einer Schrift von 1801 niedergelegt, in der er darauf hinwies: "Durch Industrieschulen können sogar in begüterten Oertern und Gegenden schon bekannte Nahrungszweige und Geschicklichkeiten verbessert und ausgebreitet, unbekannte eingeführt und unter beiderlei Geschlecht gangbar gemacht, Nacheiferung geweckt, und der Geist der Betriebsamkeit immer weiter ausgebreitet werden.1626 Die Kinder sollten durch diese Schulen "vor der schädlichen Vorstellung, daß die Religion mit dem Leben nichts zu tun habe", bewahrt werden, und an die Pflichten der Arbeitsamkeit, Sittsamkeit, Ordnung, Sparsamkeit und Verträglichkeit gewöhnt werden, auch daran, daß auch Arbeit ein Gottesdienst sei.1627 Die Kinder sollten "zu dem ausgebildet werden, womit sie sich zeitlebens beschäftigen und ernähren müssen". Die Industrieschulen sollten außerdem die Geisteskräfte der Kinder wecken. Den Schulversäumnissen werde gewehrt, die Frau des Schullehrers könne Industrielehrerin werden und so "das meist geringe Einkommen vergrößern". Die Idee fand bei der Regierung Unterstützung. Herzog Friedrich Eugen beispielsweise hat diese Anstalt zur Nachahmung warm empfohlen: "Um die schädlichen Schulversäumnisse noch kräftiger und zu wirklichem Nutzen besonders der armen Eltern und Kinder zu bewirken und dadurch zugleich dem Gassenbettel zu steuern, wünschen WIR, daß aller Orten dem durch Errichtung einer Spinnanstalt zu Birkach gegebenen guten Beispiel nachgefolgt werden möchte. Wir wollen daher sämtliche Geistliche auf diese der Schuljugend so heilsame Anstalt hiermit aufmerksam gemacht und ihnen zu wissen getan haben, daß, wenn sie eine ähnliche Anstalt einzuführen gedenken, sie ein Exemplar von den gedruckten Birkacher Nachrichten bei Unserem H. Kirchenrat auf ihr Anmelden unentgeldlich erhalten werden. 1625 Adamski: Industrieschulen und Volksschulen in Württemberg; Marquard: Geschichte und Struktur- analyse der Industrieschule; Friedrich: Das niedere Schulwesen. In: Handbuch der deutschen Bildungs- geschichte, S. 124. 1626 Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, I,2, S. 1220; Kohler: Gedanken über die Einführung der Industrieschulen, S. 5. 1627 Kohler: Gedanken über die Einführung der Industrieschulen, S. 11. 421 Übrigens wollen wir jedem Pfarrer überlassen haben, welche Art von Beschäftigung er nach den Lokalverhältnissen seines Orts unter vorgängiger Communikation mit den sämtlichen Ortsvorstehern und mit dem jedem Ort vorgesetzten gemeinschaftlichen Oberamt wählen will, um den gewünschten heilsamen Zweck zu erreichen. Von dem Erfolg solcher gemeinnützigen Unternehmungen haben sie dann in ihren Pastoralrelationen Nr. 21, Stat. III, Erwähnung zu tun, von der ersten wirklich zustande gebrachten Einrichtung aber ihren vorgesetzten Dekanen umständliche Anzeige zu machen, damit diese davon an Unser H. Konsistorium besonders unertänigen Bericht erstatten mögen“.1628 Auch durch ein Reskript vom 30. Januar 1796 wurde auf das Beispiel der Birkacher Spinnanstalt aufmerksam gemacht und darauf hingewiesen, daß so arme Kinder neben dem Schulunterricht an eine nützliche Beschäftigung gewöhnt werden konnten, und gewünscht, die Industrieschulen, wo immer möglich, mit den normalen Elementarschulen zu verbinden. In Nürtingen und Sulz waren es die Oberamtmänner Faber und Müller, welche ihrerseits dafür sorgten, daß den Schülern Unterricht in Baumwollspinnen gegeben und außerdem eine Strick- und Nähschule eingerichtet wurde. In Sulz wurde schon 1754 das Spinnen und Zitzenweben zur Armenbeschäftigung und zum Abstellen des Bettels eingeführt. Die Baumwollmanufaktur Sulz lieferte die Spinnräder und das Rohmaterial, nahm durch ihren Faktor, der auch die Abrechnung erledigte, die fertigen Arbeiten entgegen. In Nürtingen war 1766 eine Spinnschule gegründet worden. Vormittags war normaler Unterricht in der Elementarschule, mit Lesen, Schreiben, Religion und Rechnen, mittags erfolgte der Unterricht im Spinnen. Die Kinder von Eltern, die Almosen empfingen, waren verpflichtet, vom 7. bis zum 14. Lebensjahr die Spinnschule zu besuchen. Jedes Kind erhielt 4 xr Spinnerlohn und außerdem Samstags noch eine Prämie von ½ Kreuzer.1629 1776 wurde in Stuttgart eine Spinnanstalt gegründet, in der Kinder ab 7 Jahren beschäftigt wurden. 1796 führte Tübingen eine Industrie-Anstalt für Kinder und Erwachsene ein. Mit Wollespinnen waren 24 Personen beschäftigt, mit Flachs- und Hanfspinnen 147, mit Baumwollspinnen 44, und mit Stricken 38, zusammen hatten also 253 Personen eine Arbeit. Markgröningen folgte 1798, Degerloch 1802, Weinsberg 1807.1630 Die Arbeit erfolgte außerhalb der Schule, beeinträchtigte also den Unterricht nicht. 1800 gab es bereits acht solcher Anstalten, und zwar in Bietigheim, Birkach, Blaubeuren, Hornberg, Ludwigsburg, Marbach, Markgröningen und Weinsberg. In den Jahren 1811/12 wurden 40 neue Schulen gegründet. 1628 Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 184/185. 1629 Adamski: Industrieschulen und Volksschulen in Württemberg, S. 115. 1630 Schmidlin: Öffentliche Kinder-Industrie-Anstalten, S. 28. 422 Die Aufsicht auch über diese Schulen hatte der Kirchenkonvent zusammen mit dem Pfarrer, aber oft auch schon der Lehrer.1631 Durch die Verbindung von normalem Schulunterricht und einem Arbeitsunterricht sollten in der Industrieschule Arbeitsamkeit, Geschicklichkeit, Ordnung, Fleiß und Ausdauer, aber auch Geduld, Pünktlichkeit und Sparsamkeit gestärkt und die Kinder für ihr späteres Leben an ein ordentliches Arbeiten gewöhnt werden. „Als Teil der Aufklärungspädagogik will die Industrieschule die Mehrheit der Bevölkerung in den Genuß von Aufstiegsmöglichkeit, Reichtum und Eigentum bringen, sie formuliert sich als das notwendige Komplement zur philantropischen Erziehung des Handels- und Manufakturbourgeois und schließt damit die Erziehung des dritten Standes ab“.1632 Es ging, wie gesagt, zunächst darum, die vielen Armen an eine ordentliche Arbeit zu gewöhnen und vor allem vom Bettel abzuhalten, und die Kinder vor der Verwahrlosung zu bewahren. Im Jahre 1816 wurden in Württemberg beispielsweise 1 400 000 Einwohner gezählt, unter ihnen 633 376 Arme.1633 Häufig wurden die Industrieschulen als Teil eines Verlagsunternehmens geführt, um den Absatz zu erleichtern. Die Kinder erhielten einen Stücklohn. Um den Wohlstand im Lande zu heben, verlangte die Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins, der 1817 von Königin Katharina gegründet worden war, verstärkt die Einrichtung solcher Schulen, die Vorläufer der Fortbildungs- und Gewerbeschulen waren, mit Unterricht im Stricken, Spinnen, Flicken und Nähen. Auch das Konsistorium forderte in einem Erlaß vom 31. März 1818 die Eröffnung von Industrieschulen.1634 Noch in diesem Jahr wurden dann auch 14 neue Schulen gegründet, 1819 11, 1820 34, 1821 50. Es sollte damit vor allem der Verwahrlosung von Kindern entgegengewirkt werden.1635 Vorbildlich für den neuen Schultyp, der die Kinder zu Fleiß und Handfertigkeit erziehen sollte, war die im Frühjahr, am 4. März 1817 in Stuttgart eröffnete Katharinenschule. Dort stellten Knaben Briefkuverts her und arbeiteten in einer Druckerei.1636 1825 waren 15 000 Kinder in solchen Schulen beschäftigt, 1855 zählte man 1 414 Industrieschulen, in denen über 20 000 Kinder betreut wurden.1637 Die hauptsächlichen Tätigkeiten waren: Stricken von Strümpfen und Hand- schuhen, Weißnähen, Flicken, Stopfen, Waschzeichnen, Sticken auf Musselin, in Gold, Silber, Seide, Festonieren, Blumenmachen, Haubensticken, Spitzenwirken, Klöppeln, Flechten von Schnüren, Borten, Hüten und Schuhen, Bänderweben, Knöpfemachen, Schuhehäkeln, Zwirnen, Spulen, Baumwolle verlesen, Roßhaar- und Wollezopfen und -streichen, Kleidungsstücke zuschneiden, Kleidermachen, Schuheflicken; Wolle-, Flachs-, Hanf- und Wergspinnen; Waschen, Bügeln, Glöckeln, Kochen, Flechten von Strohhüten, Brotkörben, Bienenkörben, 1631 Adamski: Industrieschulen und Volksschulen in Württemberg, S. 219. 1632 Adamski: Industrieschulen und Volksschulen in Württemberg, S. 223. 1633 Geyer: Die Zentralleitung für Wohltätigkeit, Diss. phil. Tübingen, 1923., S. 10. 1634 Schmierer: Das Haus Württemberg und sein Einfluß auf die sozialpolitische Entwicklung, S. 506; Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 95. 1635 Schmierer: Das Haus Württemberg und sein Einfluß auf die sozialpolitische Entwicklung, S. 506; 1636 Boelcke: Sozialgeschichte Baden-Württembergs, S. 46. 1637 Schmierer: Das Haus Württemberg und sein Einfluß auf die sozialpolitische Entwicklung, S. 506; Boelcke: Sozialgeschichte Baden-Württembergs, S.46. 423 Fußmatten, Arbeiten mit gefärbtem Stroh, Flechten von Körben, Zainen und Kretzen, Schienenmachen für Siebmacher, Besenbinden, Lohkäsmachen; Holzarbeiten wie Uhren, Schachteln, Dosen, Löffel, Gabeln, Teller, Rechen, Besenstiele, hölzerne Spielsachen, Waschklammern, Papier- und Papp-Arbeiten: Anfertigung von Broschüren, Einbinden von Büchern.1638 Von König Wilhelm wurde der Bau solcher Schulen unterstützt. Er schrieb am 19. Dezember 1822 an die Zentralleitung der Wohltätigkeitsvereine: "Je mehr ich im übrigen die Ansicht der Zentralleitung teile, daß nur auf dem Wege der Erziehung und einer zweckmäßigen Beschäftigung der Jugend die noch immer vorhandene große Anzahl von Armen für die Zukunft mit Sicherheit möglichst vermindert werden könne, um so angelegentlicher muß ich derselben wiederholt empfehlen, nach Kräften auf die Vermehrung und Erweiterung für Industrieschulen für Armen-Kinder hinzuwirken, indem die 200 Anstalten dieser Art, in welchen nur 7 bis 8 000 Kinder beschäftigt und unterrichtet werden, bei einer Anzahl von ungefähr 24 000 solcher Kinder dem vorhandenen Bedürfnis noch bei weitem nicht genügen können". Kinder konnten notfalls zum Besuch der Schule gezwungen werden, sobald ihnen Müßiggang, Betteln oder ein Diebstahl nachgewiesen werden konnte. Im Jahr 1828/29 waren 9 982 arme Kinder an Industrieschulen untergebracht, davon 88% Mädchen, und 8 284 nichtarme Kinder, davon 92% Mädchen.1639 Um eine Erhöhung der Produktivität in der Landwirtschaft zu erreichen, wurde in Baumschulen und Schulgärten gearbeitet. Die Schulzeit war meist Mittwoch- und Samstag-Nachmittag und vor allem im Winter. Die ersten Lehrerinnen waren Pfarrers- und Lehrersfrauen und deren Töchter.1640 Es gab 1825 318 Schulen mit 14 989 Kindern, 1830 432 Schulen mit 19 160 Kindern 1835 613 Schulen mit 27 900 Kindern 1840 830 Schulen mit 37 300 Kindern 1845 976 Schulen mit 46 300 Kindern 1850 1 137 Schulen mit 54 700 Kindern 1853 1 298 Schulen mit 63 380 Kindern.1641 In dieser Zeit hat sich die Zahl der Industrie-Schulen also ungefähr vervierfacht. 1882 zählte man 1 626 Industrieschulen. Allerdings hatte sich die Lage gewandelt, und an den Schulen wurden jetzt vor allem weibliche Handarbeiten unterrichtet. Seit 1864 wurden „Armenindustrieschulen“ und „Kinderbeschäftigungsanstalten“ von den eigentlichen Industrieschulen abgezweigt. Für sie war künftig nicht mehr die Oberschulbehörde, sondern die Armenkommission zuständig. 1638 Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 190. 1639 Boelcke: Sozialgeschichte Baden-Württembergs, S. 47. 1640 Adamski: Industrieschulen und Volksschulen in Württemberg, S. 248. 1641 Blätter für das Armenwesen, 1855, S. 72. 424 Der weibliche Handarbeitsunterricht wurde 1864 obligatorisches, ordentliches Lehrfach an den Volksschulen. Seit 1866 wurden hierfür die Handarbeits- lehrerinnen speziell in Unterrichtskursen an den Seminaren in Markgröningen und Rottenburg ausgebildet.1642 Den Industrieschulen war seit der Jahrhundertmitte ganz allmählich die Existenzgrundlage durch die Kinderarbeit in den Fabriken und auch in der Landwirtschaft entzogen worden. Auch die beruflichen Fortbildungsschulen machten den Industrieschulen Konkurrenz. Die Verlags- oder Manufakturarbeit trat zurück, die Arbeit in den neuen Fabriken vor allem trat in den Vordergrund. In Heidenheim waren 1830 neben 1 142 erwachsenen Personen in den mechanischen Spinnereien 719 Kinder beschäftigt.1643 Hatte man in Württemberg 1830 noch 7 - 8 000 Feinspindeln gezählt, so waren es 1852 37 000, 1858 111 000, 1862 216 000. Allein die Zahl der Maschinen- fabriken war von 1852 bis 1862, also in 10 Jahren, von 17 auf 70 gestiegen, die Zahl der in ihnen beschäftigten Arbeiter von 984 auf 3 200.1644 Nach 1850 wurde der Betrieb der Industrieschulen immer schwieriger, wenn man auch jetzt noch in ihnen „ein vortreffliches Mittel sah, um die Kinder vom Betteln, vom Müßiggang, auch von Versäumnissen der Elementarschule abzuhalten, sie an Ordnung und Reinlichkeit, auch an Arbeitsamkeit, Pünktlichkeit und Ausdauer bei der Arbeit zu gewöhnen, im allgemeinen den Sinn für Religiosität, Sittlichkeit und Gewerbefleiß in ihnen anzuregen, sie für Handarbeiten geschickt zu machen und abzuhärten, wodurch sie in späteren Jahren leichter ihr Fortkommen finden oder sich sonst etwas erwerben oder zuweilen eine Ausgabe sparen können“. Die ökonomischen Grenzen zeigten sich, und der Betrieb von Industrieschulen war nur noch dort ohne staatliche Unterstützung möglich, wo auch weiterhin eine enge Zusammenarbeit mit Verlegern gegeben war. 1645 Die Knaben erhielten ihre Weiterbildung verstärkt in gewerblichen oder landwirtschaftlichen Fortbildungs- schulen, die Mädchen weiterhin in Industrie- oder Arbeitsschulen, die als Näh- oder Strickschulen einen begrenzten Absatzmarkt hatten. Um der Not zu steuern, waren bis 1850 auch 98 „Rettungsanstalten“ ins Leben gerufen worden Die erste war 1819 von Christian Heinrich Zeller in Beuggen gegründet worden. 1820 übernahm die Paulinenpflege in Stuttgart diesen Gedanken. im August 1823 folgte Winnenden1646, im November Korntal, 1825 Tuttlingen, 1826 Kirchheim u.T. und 1827 Stammheim bei Calw. 1830 gab es 14 solche Heime mit 412 Kindern, 1837 schon 17 Heime mit 600 Zöglingen.1647 An Stelle der Industrieschulen aber traten in der Folgezeit die Fabrikschulen. 1642 Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 194. 1643 WJB.1831, S. 178. 1644 WJB.1863, S. 29 + 33; Naujoks: Stadt und Industrialisierung, S. 40. 1645 Rechenschaftsbericht des Wohltätigkeitsvereins 1832/33, S. 28; Adamski: Industrieschulen und Volksschulen in Württemberg, S. 292. 1646 Gründung durch Friedrich Jakob Philipp Heim (1789 - 1850), 7.8.1823 11 Kinder, 1827 79 Kinder. 1647 Buck: Bilder aus dem christlichen Leben Württembergs, S. 7. 425 Im Folgenden sollen nun Schulen in verschiedenen Gemeinden betrachtet werden. Die Gemeinde Altensteig, die 1826 1 878 Evangelische und 11 Katholiken zählte, hatte in diesem Jahr sowohl eine lateinische Schule, die in der Kaplaneistiftung des Wilhelm von Urbach1648 1483 erstmals genannt wurde, mit einem lateinischen Provisor, der auch bei bestimmten kirchlichen Handlungen mitwirkte, als auch eine deutsche Schule mit weiteren 3 Lehrern: einem Schulmeister für die Knaben im Alter von 8 bis 14 Jahren, einem Provisor für die Mädchen von 8 bis 14 Jahren, sowie einem weiteren Provisor für die Kinder von 6 bis 8 Jahren, die täglich jeweils 5 Stunden Unterricht erteilten. Das erste Schulhaus am Stadtgraben wurde bereits 1511 erwähnt.1649 Ein neues Schulhaus wurde 1822 am unteren Stadttor gebaut. Das jährliche Schulgeld betrug 44 Kreuzer. Das Holz zur Schulheizung, 10 Klafter, wurde von der Gemeinde gestellt. Unterrichtet wurden im Jahre 1826 140 Knaben und 151 Mädchen, zusammen also 291 Kinder.1650 1849 erwähnte der Stadtpfarrer Matthias Küchel1651 in seinem Bericht über das Schulwesen nur noch die deutsche Schule. Wegen der geringen Schülerzahl hatte es immer wieder Streit um die Anstellung eines Präzeptors gegeben, und im Jahre 1792 hatte Diakon Krafft nur einen lateinischen Schüler, nämlich seinen eigenen Sohn. Der letzte Altensteiger Diakon M. Wilhelm Matthäus Hochstetter erteilte als Präzeptor seinen 6 Lateinschülern im Jahre 1802 täglich sieben Stunden Unterricht, und 1804 den neuen Schülern fünf Stunden.1652 Der Schulmeister Schuller unterrichtete 1849 in der Deutschen Schule 98 Knaben von 8 bis 14 Jahren, der Unterlehrer Bätz 112 Mädchen, ebenfalls zwischen 8 und 14 Jahren, und der Unterlehrer Bauer hatte 65 Buben und 57 Mädchen zwischen 6 und 7 Jahren, zusammen also 122 Kinder. Insgesamt gingen in diesem Jahr in Altensteig 332 Kinder bei einem Schulmeister und 2 Unterlehrern in die Schule. Es gab damals auch schon Vakanzen, vor allem in der Erntezeit: im Jahre 1847 vom 1.8. - 21.8. und vom 4.10. - 20.10., im Jahre 1848 vom 31.7. - 19.8. und vom 9.10. - 28.10. Interessant ist im Pfarrbericht von 1849 die Erwähnung, daß der Stadtrat Katz sich über den Schulmeister Schuller beklagte, weil dieser in demokratischen Versammlungen eine auffallende Rolle spiele und dort Reden hielt, "statt mit den Kindern Gottes Wort zu treiben und sie zu wahren Christen heranzuziehen". Er wünschte, daß ihm das untersagt werde und er sonst versetzt würde.1653 1851 wurde zu diesem Problem nicht mehr Stellung genommen. Es hieß, daß „nur noch wenige auf ihren verkehrten demokratischen Ansichten verharren“, so daß angenommen werden kann, daß in Altensteig, wie auch in anderen Orten Württembergs, derartige demokratischen Bestrebungen ein Ende gefunden hatten. 1648 Kühbauch: Die Kaplaneistiftung des Wilhelm von Urbach, S. 9; Bestätigung durch den Markgrafen von Baden vom 22. September 1483. 1649 Kühbauch: Aus der Geschichte Altensteigs, S. 145. 1650 Pfarrbeschreibung Altensteig, 1826. 1651 Matthias Küchel (17.7.1793 - 31.5.1851), in Altensteig 1824 - 1851, Sigel Nr. 34,30. 1652 Kühbauch: Aus der Geschichte Altensteigs, S. 144. 1653 Pfarrbericht Altensteig, 1849. 426 Körperlichen Züchtigung fand Anwendung "bei Stehlen, Lügen, Trügen, Trägheit oder gröberen Verkommenheiten". Außer den Sommer- und Herbstferien gab es nun auch noch eine „Heuvakanz“, und zwar je einen halben Tag, 1849 vom 22. - 27.6., 1850 am 25., 26. und 27. Juni. Eine Neuerung hatte Altensteig auch noch aufzuweisen: 1851 eine Strick- und Nähschule für 30 bis 40 arme Kinder, und „eine besondere Arbeitsschule mit 30 bis 40 Kindern“. Es wurden dort aber auch ältere gebrechliche Personen mit Spinnen beschäftigt, „mit gutem Erfolg“.1654 1866 wurde in der unteren Stadt ein neues Schulhaus gebaut. Außerdem war eine Lesebibliothek für die Werktags- und Sonntagsschulen eingerichtet worden, die besonders im Winter sehr regen Zuspruch fand. Die Einrichtung einer Kleinkinderschule hatte dem Pfarrer viel Mühe bereitet. Er hatte allerdings die Unterstützung des Stadtschultheißen Richter und der bürgerlichen Kollegien, nicht nur in deren Sorge für Arme, Verwahrloste, Geisteskranke und entlassene Strafgefangene, sondern eben auch in Bezug auf die Schule. 1865 hatte Altensteig 336 Schüler in weiterhin 3 Klassen:1655 I.a. Knaben 10 - 14 Jahre 64 b. Mädchen 10 - 14 Jahre 81 II.a.1. Knaben 8 - 10 Jahre 18 b.1. Mädchen 8 - 10 Jahre 22 a.2. Knaben 8 - 10 Jahre 29 b.2. Mädchen 8 - 10 Jahre 27 III.a.1. Knaben 6 - 10 Jahre 30 b.1. Mädchen 6 - 10 Jahre 19 a.2. Knaben 6 - 10 Jahre 22 b.2. Mädchen 6 - 10 Jahre 24 ____ Schüler insgesamt 336 Seit dem Jahre 1871 hat Altensteig eine Gewerbliche Fortbildungs-und Zeichen- Schule. Der Unterricht dort wurde am Sonntag von 7 - 8 Uhr gehalten. Zwei Jahre später gingen in Altensteig 440 Kinder in folgende Schulen: 1656 Elementarschule 102 Kinder, Mittelschule 90 Kinder, Mädchenschule 77 Kinder, Sonntagsschule 32 Kinder, Gewerbl.Fortbildungsschule 60 Kinder, Schüler von 14 - 18 Jahren Mädchen-Sonntagsschule 60 Kinder, Sonn- und Werktagsschule 19 Knaben 1654 Pfarrbericht Altensteig, 1851; Kühbauch: Aus der Geschichte Altensteigs, S. 176. 1655 Pfarrbericht Altensteig, 1865. 1656 Pfarrbericht Altensteig, 1872. 427 1875 wurde auch wieder eine Lateinschule mit 55 Schülern erwähnt. Der Religionsunterricht hatte folgende Themen: I.Abteilung: 1. Die Geburt Jesu. 2. Die Taufe Jesu. 3. Die Weisen aus dem Morgenland. 4. Der zwölfjährige Jesus. 5. Jesus segnet die Kinder. 6. Der Hauptmann zu Kapernaum. 7. Der Jüngling zu Nain. 8. Gethsemane. 9. Jesus vor dem hohen Rat. 10. Kreuzigung und Tod Jesu. 11. Die Auferstehung Jesu. 12. Die Himmelfahrt Christ. II. Abteilung: 13. Darstellung im Tempel. 14. Wunder zu Canaan. 15. Petri Fischzug und Sturm auf dem Meer. 16. Die zehn Aussätzigen. 17. Jairus Töchterlein. 18. Der verlorene Sohn. 19. Der barmherzige Samariter. 20. Der reiche Mann und Lazarus. 21. Judas Verrat und Ende. 22. Jesu Verurteilung. 23. Jesus am Kreuz. 24. Erste Erscheinungen. Gegenstand des Unterrichts war das Abfragen der Schüler, Nacherzählungen, Memorieren von Liedern und Sprüchen und der 10 Gebote. An Liedern wurden geübt: 1. Jesu geh voran, 2. Wach auf mein Herz und singe, 3. Sollt es gleich bisweilen scheinen, 4. Dir dankt mein Herz, dir jauchzt mein Lied, 5. Nun danket alle Gott, 6. Gott sei Dank durch alle Welt, 7. Also hat Gott die Welt geliebt, 8. Erheb, o Seele, deinen Sinn, 9. Christus der ist mein Leben, 10. Von dir, o Vater, nimmt mein Herz. Der Religionsunterricht durch den Pfarrer betrug im Jahre 1873 an der Elementarschule 98 Stunden, im Jahre 1874 106 Stunden, dazu kamen an der Lateinschule 35 und 33 Stunden, insgesamt also 272 Stunden, bei einer Unterrichtszeit von etwa 45 Wochen. Ein evangelischer Lehrer an der Lateinschule lebte in einer Mischehe und ließ seine Kinder katholisch erziehen. Diese „gröbliche Mißachtung seiner Pflichten an einer evangelischen Schule erregen Ärgernis in der Gemeinde“.1657 1657 Pfarrbericht Altensteig, 1881. 428 Die Sonntagsschule wurde von zwei christlich gesinnten Jungfrauen geleitet. Sie betreuten 150 bis 160 Kinder. Die Kleinkinderschule hatte eine Lehrerin für 100 bis 120 Kinder. Eine neue Private Töchterschule hatte 23 Schülerinnen zwischen 10 und 14 Jahren. Daneben gab es weiterhin die Mädchen-Realschule mit einer Lehrerin für 26 Schülerinnen, die Lateinschule und die Gewerbliche Fortbildungsschule mit Zeichenunterricht. In Biberach wurde bereits in der Pfarrbeschreibung von 1828 außer der Elementarschule für Knaben und für Mädchen und der Lateinischen Schule auch eine Real-Lehranstalt erwähnt, was für diese frühe Zeit erstaunlich ist. An jeder Schule war ein Hauptlehrer und ein Provisor angestellt. Der Schullehrer an der Knabenschule hatte 88 Kinder zu betreuen, der Provisor 80. Der Schullehrer an der Mädchenschule hatte 118 Mädchen Unterricht zu erteilen, der Provisor 92. Den Unterricht an der Sonntagsschule teilten sich Schullehrer und Provisor wie folgt: der Provisor unterrichtete die 14 bis 16 Jährigen, der Lehrer die Kinder zwischen 16 und 18 Jahren. Es bestand in Biberach auch eine Industrieschule, an der bereits 1828 zwei Lehrerinnen für ein Gehalt von 70 Gulden unterrichteten. Die Nachbargemeinden Attenweiler und Röhrwangen hatten zwar keine Kirche, aber eine eigene Schule mit 57 bzw. 28 Schulkindern. Auch Bergerhausen hatte eine eigene Schule. Es gab an diesen kleinen Orten keine Industrieschule, sehr wohl aber die Sonntagsschule. Die übrigen Gemeinden Birkenhardt, Burren, Guteshofen, Schrammach und Winterrentheim besaßen keine eigene Schule, die Kinder mußten den Weg nach Biberach auf sich nehmen. Der Eintritt in die Schule und die Entlassung erfolgten „ordnungsgemäß“. 1658 Alle vorgeschriebenen Lehrfächer wurden berücksichtigt, auch waren alle vorge- schriebenen Lehrbücher und Lehrmittel vorhanden, die Schuldisziplin war gut, die Schuldiarien und das Sittenregister sorgfältig geführt, und die Schulen im Mutterort gehörten zu den guten Schulen. Die Lehrer der Filialen gehörten dem Handwerkerstand an, hatten nie ein Schullehrerseminar besucht und waren durch Stadtpfarrer Meyer, der 1843 bereits 79 Jahre alt war, „mit nicht geringer Mühe durch Privat-Unterricht für den Schulstand herangezogen worden“. Infolgedessen ließ der Unterricht in den Filialen zu wünschen übrig. Schulvakanzen gab es an den 4 Jahrmärkten, bei der Fruchternte 14 Tage, sowie im Herbst 3 Wochen.1659 1864 gab es in Biberach eine Fortbildungsschule „mit vielen tüchtigen Lehrern, darunter auch einem Zeichenlehrer, außerdem eine Industrieschule für Mädchen.1660 1658 Pfarrbeschreibung Biberach, 1828. 1659 Pfarrbericht Biberach, 1843. 1660 Pfarrbericht Biberach, 1864. 429 Im Jahre 1876/77 wurden 75 Stunden Religionsunterricht gegeben, 1877/78 69 Stunden, 1878/79 78 Stunden. Die Mädchen im Alter von 14 bis 16 Jahren besuchten die Sonntagsschule, die Knaben die Gewerbliche Fortbildungsschule. Registriert wurde auch, daß bei einigen Schulkindern Fälle von Dieberei und Unzucht vorgekommen waren. Hatte Biberach 1828 noch 2 810 evangelische Einwohner gehabt, so war diese Zahl bis 1891 auf 4 305 gestiegen. Dementsprechend war auch die Zahl der Schüler wesentlich höher, als 70 Jahre zuvor. Man zählte 1891 Knabenschule Mädchenschule 6 - 8 Jahre 53 6 - 8 Jahre 54 8 - 10 Jahre 66 7 - 9 Jahre 64 10 - 12 Jahre 52 8 - 10 Jahre 67 12 - 14 Jahre 46 10 - 12 Jahre 64 12 - 14 Jahre 63 ___ ___ 217 Knaben 312 Mädchen ========= ========== Biberach war mit Schulen gut versorgt. Anscheinend wurde von der Gemeinde Wert auf eine gute Ausbildung der Kinder gelegt. Sie hatte ja die Kosten zu tragen und war auch zum Bau und Unterhalt des Schulhauses verpflichtet. 1882 wurde im Unterricht die "Zuchtlosigkeit" der Schüler beklagt, besonders bei den Buben. Das respektlose Wesen erschwere den Unterricht. Bei den Mädchen bestand eine Neigung zum Plaudern. Im allgemeinen lobte man aber deren stilles, geordnetes Verhalten.1661 Böblingen hatte 1828 2 865 evangelische Einwohner und einen Katholiken, keine Dissentierenden und keine Juden. Es hatte als Geistliche den Stadtpfarrer, der zugleich Dekan war, und außerdem einen Diakon. Die beiden Schulmeister waren zugleich Organisten, wofür sie mit je 10 Gulden entlohnt wurden. Daneben gab es in Böblingen einen Musikdirektor, einen Zinkenisten, den Mesner und den Kirchenaufseher als niedere Kirchendiener. Der Pfarrer lobte in seinem Bericht die Rechtschaffenheit vieler Familien, stellte aber auch Klatschereien, Zerrüttungen im Eheleben und verwahrloste Kinderzucht fest, mit der Folge, daß die Jugend roh und sittenlos war, was wiederum die häufigen Schwangerungsfälle lediger Mädchen zur Folge hatte. Auch gab es Kleiderluxus und "einen Hang zu sinnlicher Zerstreuung". 1661 Pfarrbericht Biberach, 1882. 430 Bereits im Jahre 1523 ist in Böblingen eine Stadtschule erwähnt.1662 Seit 1554, also seit der frühen Zeit Herzog Christophs, hatte Böblingen ein Präzeptorat. 1828 hatte Böblingen 4 deutsche Schulen. Der Unterricht werde von 2 Schulmeistern und 2 Provisoren gehalten. Im Sommer war der Unterricht mit 4 Schulstunden von 7 bis 11 Uhr, im Winter waren es 5 Schulstunden, und zwar vormittags von 8 - 11 Uhr, und mittags von 1 - 3 Uhr. Es gingen 454 Kinder zur Schule. Das Schulgeld betrug jährlich 48 Kreuzer. Der Lehrer hatte also ein Einkommen von ungefähr 360 Gulden. In der Pfarrbeschreibung aus dem Jahre 1828 hieß es über das Schulwesen: Außer einem Präzeptorat, das, wie erwähnt, schon 1554 errichtet worden war, und einer Collaboratur, deren Errichtung in das Jahr 1700 fiel, befanden sich hier 4 deutsche Schulen, von welchen die vierte erst auf Georgi 1826 eingerichtet worden war.1663 Es waren 4 Schullehrer angestellt, nämlich 2 Schulmeister und 2 Schulprovisoren, die unabhängig waren und Stadtprovisoren genannt wurden. Das Recht zur Besetzung der Schulmeisterstellen stand der Gemeinde zu. Die Stelle des Mädchenschulmeisters wurde von ihr am 18. April 1799 ohne Vorschläge, die des Knabenschulmeisters am 21. Juni 1817 mit Vorschlägen an das Königliche Evangelische Konsistorium, zum letztenmal besetzt. Die beiden Stadtprovisoren wurden von "Höchster Behörde", also unmittelbar vom Konsistorium, ernannt. Nach dem Herkommen wurden täglich im Sommer 4 Schulstunden, von 7 - 11 Uhr, gehalten, im Winter 5 Stunden vormittags 8 - 11 Uhr, nachmittags von 1 - 3 Uhr. Im Sommer erhielten die Kleinsten auch des Nachmittags von 1 - 2 Uhr eine Stunde, "was indessen freier Wille der beiden Provisoren war, künftig aber leicht bei dem anständigen Gehalt der beiden Stadtprovisoren zu einem Gesetz kirchen- konventlich erhoben werden dürfte". Ehe ein 2. Stadtprovisor im Jahre 1826 angestellt wurde, mußten die Kinder des Knaben- und Mädchen-Schulmeisters wegen ihrer großen Anzahl auch im Winter nach Abteilungen unterrichtet werden. Das war jetzt aber nicht mehr der Fall. Die Anzahl der Schulkinder war im Winter 1826 454 in der größeren Knabenschule 112 in der kleineren Knabenschule 100 in der größeren Mädchenschule 128 in der kleineren Mädchenschule 114. Das Schulgeld, das von jedem Kinde jährlich 48 xr betrug, bezogen die beiden Schulmeister von allen 4 Schulen. Es wurde von der Stadtpflege eingezogen und den Schulmeistern in ¼ jährigen Raten ausbezahlt. Andere Abgaben waren zu Gunsten der Lehrer nicht zu bezahlen.1664 Von einzelnen vermöglichen und Honoratioren-Kindern wurden an Ostern beim Austritt der Konfirmierten und an Martini den Schulmeistern einige freiwillige Geschenke gereicht. Beim Eintritt der jüngsten Kinder in die Schule erhielten die Provisoren ein kleines Geschenk. 1662 Das Land Baden-Württemberg, Band II, S. 247. 1663 Stiftungsprotokoll vom 28.2.1826 und Konsistorialdekret vom 29.3.1826. 1664 (K.C.Protokoll vom 20.Dezember 1809). 431 Seit 1839 hatte Böblingen eine Realschule, die 1897 mit der Lateinschule vereinigt wurde.1665 Das Schulgebäude befand sich im ehemaligen Schloß1666, das die Stadt im Jahre 1818 um 10 800 fl für den Zweck, ihre Gesamtschulen darin einzurichten, von der Regierung gekauft hatte. In den zwei Schloßflügeln bestanden zwei Schulen, welche durch einen, auf beiden Seiten des Eingangs offenen, geräumigen Hof getrennt waren. "Beide Flügel liegen auf dem höchsten Punkte der Stadt; durch den dazwischen liegenden Hofraum zieht deswegen fast immer ein scharfer Wind, welcher der Gesundheit der Kinder nicht zuträglich ist. Der eine Flügel ist der Länge nach gegen Süden, der andere ebenso gegen Norden gerichtet. An dem östlichen Ende des mittäglichen Flügels sind die beiden lateinischen Schulen mit ziemlich beschränktem Raume, und ein Stockwerk höher die Wohnungen der beiden lateinischen Lehrer, von reizender, die Stadt und Umgegend weithin beherrschender Aussicht, am westlichen Ende aber die beiden Schulen der älteren und jüngeren Knaben, mit der ein Stockwerk höher liegenden Wohnung des Knabenschulmeisters, da hingegen die Wohnung der beiden Stadtprovisoren auf dem nämlichen Boden der kleineren Knabenschule angebracht ist. In dem anderen nördlichen Flügel sind die beiden Schullokale für die älteren und jüngeren Mädchen, und über denselben ist die Wohnung des Mädchenschul- meisters". Die Stadt hatte die Pflicht, die Schulgebäude und die Wohnungen der Lehrer zu bauen und zu erhalten. Nach Ansicht des berichtenden Pfarrers waren "nach dem Verhältnis der von der Stadt auf Ankauf und Einrichtung des Schloßgebäudes zum Schulwesen verwendeten großen Kosten die eigentlichen Schullokale nicht, was sie sein sollten. Schwerlich würde dieses Schullokal jetzt mehr erkauft werden, wenn es nicht schon geschehen wäre". Beschwerlich war für die beiden Geistlichen, nach ihrer Meinung, der Weg zu diesen Schulen. Es war der nämliche, der auch zu der Kirche führte. Die Lehrzimmer bildeten, bis auf eins, das länglich gebaut war, regelmäßige Vierecke, die aber nur an der mitternächtlichen und südlichen Seite Fenster- öffnungen hatten, die zwar groß und breit, aber verhältnismäßig doch zu nieder waren, so daß ein großer Teil der Kinder im Dunkeln saß, besonders im Winter. "Das Lehrzimmer der ältesten Mädchen ist noch das heiterste. Die Zimmer sind auch zum Teil wegen der Stellung des Ofens, der nicht wohl anders Platz haben konnte, und wegen der zum Teil 4 - 5 Zoll dicken Mauern, schwer zu heizen, übrigens nicht ungesund und von bedeutender Höhe". 1665 Das Land Baden-Württemberg, Band II, S. 247. 1666 Von den Herzögen Ulrich und Christoph nach 1535 anstelle der mittelalterlichen Burg erbaut, am 7.Oktober 1943 durch Luftangriff völlig zerstört und nicht wieder aufgebaut. 432 "Subsellien", also Schulbänke, befanden sich in hinreichender Zahl in der größeren Mädchenschule, in der größeren Knabenschule waren neben den Subsellien auch noch Tische, und in den beiden Lehrzimmern der Provisoren lauter Tische und Schrannen. Zwischen der älteren Knaben- und den beiden lateinischen Schulen, die durch einen kurzen Gang getrennt waren, herrschten wegen ungeschickter Einrichtung "des Cloaks abscheuliche mephytische Dünste, die sich besonders in die lateinischen Schulen hineinziehen, so daß man im heißesten Sommer die Türen nicht öffnen kann". Die gute Beschaffenheit der Wohnungen der Lehrer mit meist herrlicher Aussicht wurde bereits bemerkt. Der größere Knabenlehrer hatte zwei heizbare Zimmer gegen Mittag, 3 Kammern, eine schöne, helle Küche, und Teil am Schloßkeller, "was alles in gutem Stande war". Der obere Mädchenschullehrer hatte ebenfalls zwei heizbare Zimmer, die in den Hof gingen, 2 Kammern, eine geräumige Küche, und Teil an dem Schloßkeller. Auch diese Wohnung befand sich in gutem Zustand. Die beiden Stadtprovisoren bewohnten miteinander ein heizbares, nicht großes, aber hinlänglich geräumiges Zimmer, ebenfalls mit freier, sehr schöner Aussicht, und eine daran stoßende Kammer. Auch diese Wohnung war in gutem Zustand. Es wurde noch angemerkt, daß im südlichen Flügel dieser Schulgebäude noch Raum genug zu einem 5. Schulzimmer vorhanden war, daß die steigende Schülerzahl dies bald benötigen würde, und daß der oberste, ganz unbewohnte Stock des nördlichen Flügels sich, freilich mit sehr bedeutenden Kosten, zu Zimmern für eine Industrieschule einrichten ließe. Die Stadt mußte das benötigte Holz zur Heizung der Schulzimmer in einer bestimmten Quantität liefern. Sollte dieses in einem strengen Winter nicht ausreichen, sollte nachgeliefert werden. Die Kosten der Beifuhr, des Sägens und des Spaltens bestritt die Stadtkasse, doch hatten die Schullehrer immer auch noch einige Auslagen von etwa 8 fl. Das Entbehrliche des Schulholzes wurde zwar den Lehrern zur eigenen Benutzung überlassen, aber so, "daß unter angedrohter Vindikation des Preises an die Stadtkasse nichts davon solle verkauft werden dürfen. (Kirchenkonventsprotokoll vom 20. Dezember 1809). Jedoch wird man ehrlich daran coniviert". Die Schulmobilien und sonstigen Utensilien wurden von der Stadt angeschafft. Die zum Gesangsunterricht in den Schulen erforderlichen Lehrmittel, "um nach und nach einen veredelten Kirchengesang einzuführen (General-Synodal-Reskript vom 29. November 1823, V1)", sollte die Heiligen-Kasse anschaffen.1667 Andere Bücher für die kleine Schullehrer-Bibliothek wurden von der Schulkasse gekauft. Von besonderen Schulstiftungen war nichts vorhanden, als 2 Vermächtnisse, das eine von 200 f, das andere von 50 f, wovon die Zinsen jährlich zur Erkaufung von Büchern für arme Kinder, besonders von Gesangbüchern für Konfirmanden, verwendet werden sollten, "und wirklich auch zu diesem Zwecke verwendet wurden". 1667 Kirchenkonventliche Genehmigung vom 20.Mai 1824. 433 Die Bedürfnisse armer oder unvermöglicher Kinder an Neuen Testamenten und Bibeln wurden vom Distrikts-Bibelverein besonders berücksichtigt, wenn sie von den Schullehrern gemeldet wurden. Prämien wurden alle halbe Jahre bei den Visitationen an alle Kinder ohne Ausnahme in Papier, jedem Kinde zu 6 Bogen, ausgeteilt, und zwar aus der Heiligen-Kasse. Außer diesen waren keine andern üblich. Der Schulfonds zur Zeit der Fertigung dieser Pfarrbeschreibung bestand aus Kapital 63 fl barem Geld 61 fl 57 xr 3 hl zusammen also etwas mehr als 124 fl. Das Diensteinkommen der hiesigen Schullehrer betrug: A. des Knabenschulmeisters, wie solches unter dem 20. Dezember 1809, 23. Juni 1817 und 13. Januar 1819, laut Stadtgerichtsprotokoll reguliert worden ist. I. Unveränderliche Besoldungsteile. 1. Geld Aus der Stadtkasse 160 f Aus der Heiligenkasse 15 f Neuerlich tritt für diese die Stadtkasse ein. Als Organist aus derselben Kasse die Hälfte von 20 f 10 f Durch stadträtlichen Beschluß vom 17. Juni 1817 und vom 13. Januar 1819. 2. Fixe Naturalien vom Heiligen: Dinkel 4 Schfl. 4 Sri, Haber 4 Sri. Wenn der Heilige die Frucht nicht in natura liefern kann, so wird der laufende „brodpreiß“ angenommen. Holz 4 Klftr. eichenes 2 Klftr. buchenes 200 Bschl. Reisach buchenes. Hinzu kamen für die Heizung des Schulzimmers des Stadtprovisors bei den jüngeren Knaben 1 Klftr. eichenes Holz. II. Veränderliche Diensteinkommensteile. 3. Gütergenuß. 1 Küchengarten hinten an der Wohnung 4 Rth. groß. Reiner Ertrag 30 xr 434 1 Krautgarten im Riempengäßchen 2 Rth. 3 ¼ Schuh Reiner Ertrag 15 xr Wiesen 2 ¼ Vrtl. 17 Rth. im Rank, ist trocken, trägt etwa Heu 15 Ztnr. Öhmd 5 Ztnr. 1 Erdbirnenland, auf der Kühstelle, im Meß ¼ haltend Reiner Ertrag 30 xr Die Güter sind alle zehend- und steuerfrei. 4. Emolumente. Schulgeld, s.§3, von 1 Kinde 48 xr 140 f Von Haltung der Sonntagsschule 4 f Von 1 Kirchen- und 2 Schulvisitationen a 20 xr 1 f Von Ämterersetzung 20 xr Anteil an 20 fl Honorar aus der Stadtkasse für das hiesige Musikpersonale mit 1 f 12 xr Vom Orgelspielen bei Leichen und Hochzeiten, nach stadtrechtlicher Taxe 20 xr 15 f 5. Akzidentien. 5 f 30 xr Die veränderlichen Diensteinkommensteile ertaugen infolge der Verordnung vom 11. Febr. 1825 nach den darüber geführten Verzeichnissen: Von Georgi 1825/25 Von Georgi 1826/27 Vom Küchengarten 30 xr 30 xr Vom Krautgarten 15 xr 15 xr Von Wiesen 1 f 00 xr 1 f 30 xr Vom Erdbirnenland 30 xr 30 xr Schulgeldertrag 141 f 36 xr 156 f 00 xr Vom Orgelspielen und Singen 15 f 30 xr 12 f Akzidenzien 5 f 6 f __________ _________ Veränderl. Einkommen 165 f 21 xr 176 f 45 xr =========================== B. Des Mädchenschulmeisters, nach stadtrechtlicher Regulierung unter gleichen oben bei A. angegebenen Datis. 435 I. Unveränderliche Besoldungsteile. 1. Geld Aus der Stadtkasse 160 f Aus der Heiligenkasse 6 f Diese 6 f werden jetzt ebenfalls von der Stadtkasse abgereicht; die Differenz aber hier, da der Knabenschulmeister 15 f hat, rührt daher, daß die Wiesen bei der Stelle des Mädchenschulmeisters von bedeutend besserer Beschaffenheit sind. Als Organist aus der Stadtkasse die Hälfte von 20 f 10 f 2. Fixe Naturalien vom Heiligen. Früchte. Dinkel, 4 Schfl. 4 Sri. Haber, 4 Sri. S.oben Besoldung des Knabenschulmeisters. Holz, 4 Klftr. eichenes, 2 Klftr. buchenes 200 Bschl. buchenes Reisach. Hinzu kommt, wie bei dem Knabenschulmeister 1 Klftr. eichen Holz für Heizung des Schulzimmers des Stadtprovisors bei den kleineren Mädchen. II. Veränderliche Besoldungsteile. 3. Gütergenuß. Küchengärtchen unfern der Wohnung, 4 Rth. reiner Ertrag 30 xr Krautgarten 2 Rth. 3¼ Schuh im Riempen-Gäßchen, reiner Ertrag 15 xr Wiesen 2 ½ Viertel 15 ¼ Rth. unter der Stadt Heu etwa 15 Ztr. Öhmd 3 Ztr. Hier scheint der Ertrag etwas zu gering angegeben zu sein. S.oben bei den Wiesen des Knabenschulmeisters. Erdbirnen Land 37 ½ Rth. von schlechtem Boden, reiner Ertrag 30 xr 4. Emolumente. Schulgeld 140 f S.oben bei der Besoldung des Knaben-Schulmeisters. Von Haltung der Sonntagsschule 4 f Von Kirchen- und Schul-Visitationen a 20 xr 1 f 436 Von Ämterversetzung 20 xr Anteil an 20 f Honorar aus der Stadtkasse für das Musikpersonale 1 f 12 xr Von einer Grabrede 40 xr Vom Singen dabei 30 xr Von einem Glückwunsche bei Hochzeiten 40 xr Vom Singen bei Hochzeiten und Kopulationen 15 xr zusammen etwa 20 f 5. Akzidentien 5 f 30 xr Die veränderlichen Diensteinkommensteile des Mädchen-Schulmeisters ertrugen nach den darüber geführten Verzeichnissen Von Georgi 1825/26 Von Georgi 1826/27 Vom Küchengarten 30 xr 30 xr Vom Krautgarten 15 xr 15 xr Von Wiesen 2 f 1 f 30 xr Vom Erdbirnenland 30 xr 30 xr Schulgeldertrag 141 f 36 xr 156 f Von Grabreden, Glückwünschen, Singen 23 f 20 xr 19 f 50 xr Akzidentien 6 f 6 f _________ _________ 174 f 11 xr 184 f 35 xr ========= ======== Das Diensteinkommen der beiden Stadtprovisoren ist völlig gleich und erträglich. I. An unveränderlichen Bestandteilen: a. an Geld 150 f Für die Assistenz bei den Sonntagsschulen 2 f b an Holz ¼ Klftr. Eichen- und ½ Klftr. Buchenholz, nebst 50 Bschl. Reisach etwa 12 f II. An veränderlichen Bestandteilen: Singen bei Leichen und Hochzeiten, etwa 4 f Akzidentien, etwa 10 f ____ 178 f ==== Mit dem Dienst als Lehrer in der Schule waren keine Nebenämter verbunden. 437 Die Sonntagsschule wurde in Böblingen, die Fest- und Kommuniontage ausgenommen, an jedem Sonntag nach der Kinderlehre gehalten, und zwar so, daß den einen Sonntag die jungen Leute beiderlei Geschlechts von 14 bis 16 Jahren, den andern die von 16 bis 18 Jahren diese zu besuchen hatten. Diese Ordnung richtete sich nach der, in welcher sie auch in der Kinderlehre erscheinen mußten. Die Entlassung der jungen Leute aus der Kinderlehre und Sonntagsschule erfolgte nicht genau nach dem wirklich vollendeten 18. Jahr, sondern es wurde immer diejenige Klasse, welche im laufenden Jahre das 18. Lebensjahr entweder bereits zurückgelegt hatte, oder zurücklegen würde, zur Zeit des Eintritts der Neukonfirmierten in die Sonntagsschule auf einmal entlassen, "ganz nach der Analogie, wie sie auch in ihrem 6ten Jahr alle , ihre Geburt vom 1. Januar bis 31. Dezember gerechnet, zugleich in die Elementarschule aufgenommen worden sind". Die Lehrgegenstände, im allgemeinen überall die gleichen und vorgeschriebenen, brauchten nicht besonders erwähnt zu werden. Die Provisoren assistierten den Schullehrern in der Sonntagsschule. Diese wurde je an Georgi und Martini visitiert, und zwar so, daß an Georgi die Prüfung der jungen Leute von 16 bis 18 Jahren, an Martini die der jüngeren von 14 bis 16 Jahren an die Reihe kam. An Martini 1827 betrug die Anzahl der sonntagsschulpflichtigen Söhne 62, die der Töchter 87. Die Schulmeister hatten die Sonntagsschule von ihrem Besoldungs- holze selbst zu heizen, so wie sie auch die Sonntagsschule der Handwerker davon heizen lassen mußten. Es bestand nämlich auch in Böblingen, seit den dazu ergangenen allgemeinen Aufforderungen des Königlichen Studienrats vom 14. September 1825 (vergl. Stadtratsprotokoll 1. Nov. 1825), 13. März 1826 und 10. Mai 1827 eine Handwerker-Schule, welche an Sonnen- und Feiertagen, Sommers von 6 - 8 Uhr morgens, Winters von 11 bis ½ 1 Uhr gehalten wurde. Der Unterricht wurde von den beiden Stadtprovisoren erteilt, und beschränkte sich der Zeit nach hauptsächlich aufs Zeichnen und Rechnen. Die Oberaufsicht führte das gemeinschaftliche Oberamt. Die Zahl der jungen Handwerker war 15. Eine Industrieschule war immer noch nicht zustande gekommen.1668 Eine 1841 eingerichtete Nähschule war schon bald wieder aufgehoben worden. Seit 1829 bestand eine Strickschule für 60 arme Kinder, daneben eine Kleinkinder- Bewahranstalt mit einer Aufseherin).1669 1668 Pfarrbeschreibung Böblingen, 1828. 1669 Pfarrbericht Böblingen, 1845. Stadtpfarrer und Dekan M. Jacob Immanuel Kies, Sigel Nr. 80,23. 438 In Brackenheim mit seinen 1 605 evangelischen und 4 katholischen Einwohnern war laut der Pfarrbeschreibung von 1826 der Stadtpfarrer zugleich Dekan, außerdem waren ein Diakon, ein Mesner, ein Organist und ein Stadt-Musikus am Ort beschäftigt. Brackenheim hatte 2 lateinische Schulen mit einem Präzeptor und einem Kollaborator, außerdem 3 deutsche Schulen mit 3 Lehrern und an Martini 1827 208 Schulkindern: die Knabenschule 65, die Mädchenschule 63, die Provisorenschule 80 Kinder im Rathaus. 1905 hatte die Stadt unverändert eine zweiklassige Lateinschule und eine dreiklassige Volksschule, daneben aber auch noch eine gewerbliche Fortbildungsschule. Eßlingen, eine „Gemeinde 1. Klasse“, hatte 1828 6 931 Einwohner, davon 5 929 Evangelische, weitere 812 ortsanwesende Evangelische, 94 Katholiken und 96 Juden. Die Stadt hatte einen 1. Stadtpfarrer und Dekan, einen 2. Stadtpfarrer, einen Helfer, der zugleich Garnisons- und Hospitalprediger war, einen 2. Helfer, der zugleich Filialpfarrer für die Orte Mettingen, Rüdern, Sulzgries und St. Bernhard war. Der eine war außerdem Musikdirektor und Organist an der Stadtkirche, der andere Musikdirektor am Königlichen Schullehrer-Seminar, der Organist an der unteren Kirche zugleich Knabenschulmeister. Es gab einen Vorsänger, einen Stadt-Musikus, einen Turm-Musikus, einen Tenoristen, 2 Diskantstimmen, dazu einen Mesner und Orgeltreter. Es gab in Eßlingen eine Lateinschule mit 5 Klassen. 1. Die "Muster-Schule" für Honoratioren- und Bürgertöchter hatte 2 Klassen, 180 Mädchen, einen Schulmeister und einen Provisor. 2. Die städtische Knabenschule hatte 3 Klassen mit 349 Knaben, einen Schulmeister und 2 Provisoren, 3. die städtische Mädchenschule hatte 3 Klassen für 313 Mädchen, dafür einen Schulmeister und 2 Provisoren, 4. die Filialisten-Schule für 12 Filialen 3 Klassen mit 383 Kindern, einem Schulmeister und ebenfalls 2 Provisoren. Zusammen waren also, ohne die Lateinschule, 1 225 Kinder an den Eßlinger Schulen zu unterrichten. Sie war zuständig für die Orte: Entfernung: 1. Mettingen 356 Personen 25 Minuten, 2. Rüdern 378 „ 1 kleine Stunde, 3. Sulzgries 274 „ ½ Std. unebener Weg, 439 4. Krummenacker 253 „ 25 Minuten, 5. Hohenacker 73 „ 15 Minuten, 6. S.Bernhard 155 „ anderthalb Viertelstunden, 7. Wäldenbronn 276 „ ½ Std., 8. Seerach 127 „ ½ Std., 9. Oberthal 150 „ 1 Std., 10. Liebersbronn 313 „ 1 Std., 11. Wilfingshausen 218 „ 1 Std., 12. Kennenburg 33 „ ½ Std. ________ 2 606 Personen Das Schulgeld an der Muster-Schule betrug jährlich 1 f 36 xr, das an den Volksschulen 1 f 6 xr. Die Lehrer erhielten an Martini ein Geschenk im Wert von 3 - 20 Kreuzern, dazu Naturalien in Höhe von ungefähr 10 bis 40 Kreuzern. Der tägliche Unterricht betrug 5 Stunden, mittwochs und samstags nur vormittags 3 Stunden. Sowohl das Holz für die Heizung der Schule, als auch die Schulmobilien kamen von der Stiftungspflege. Das Haupt-Schullehrer-Seminar war zusammen mit der Muster-Schule im ehemaligen Barfüßer-Kloster untergebracht, die übrigen Schulen im ehemaligen Prediger-Kloster. Die Sonntagsschule war für die konfirmierte Jugend bis 18 Jahren Pflicht und wurde sonntags von 1 bis 2 Uhr gehalten. Bereits 1816 wurde auch eine Industrieschule errichtet, in der 62 arme Kinder Tüten anfertigten, Baumwolle verlasen, sich mit Stricken und Doppelspinnen beschäftigten. Sie erhielten dafür teils Brot, teils Geld, und wurden an Weihnachten neu eingekleidet. Die fleißigsten Kinder erhielten außerdem eine Geldprämie. Die Leitung hatte der Filialisten-Schulmeister. Ihn unterstützte eine ehrbare Witwe als Lehrerin und Arbeits-Vorsteherin. Sie erhielt dafür jährlich 73 Gulden Belohnung. Für das Doppelspinnen war eine weitere Lehrerin angestellt, die pro Tag 20 Kreuzer verdiente. Eßlingen hatte zusätzlich seit dem 15. März 1821 eine Judenschule mit einem Lehrer und 23 Kindern.1670 Im Pfarrbericht der Stadt Eßlingen von 1843 wurde erwähnt, daß der Musterschullehrer Klotz, der ein vorzüglicher Pädagoge war, 44 Schülerinnen unterrichtete und dafür jährlich 626 Gulden Gehalt bezog. An der Musterschule waren auch zwei Provisoren, der Schulgehilfe Ruoff, der 56 Mädchen unterrichtete und der gute Gaben hatte, und der Schulgehilfe Wüst, der 47 Mädchen unterrichtete und ebenfalls gute Gaben hatte. 1670 Pfarrbeschreibung Eßlingen, 1828. 440 Auch der Knabenschulmeister Lumpp war ein tüchtiger Pädagoge. Er unterrichtete 89 Knaben. Der Mädchenschulmeister Johannes Feißt hatte ein gutes Lehrtalent und 90 Mädchen in seiner Klasse. An der Knabenschule hatte der Unterlehrer Heinrich Reger 123 Knaben, der Schulgehilfe Bleicher 74 Schüler. An der Mädchenschule unterrichtete der Unterlehrer Gantter 86 Mädchen, der Unterlehrer Öttle 98 Mädchen, der Schulgehilfe Binder 79 Mädchen. Der Unterlehrer Dölker unterrichtete an der Filialistenschule 187 Schüler in 2 Abteilungen, der Schulgehilfe Doll 178 Schüler, ebenfalls in 2 Abteilungen. Dem Filialisten-Schulmeister Johannes Rappold waren 95 Kinder zugeteilt.1671 Eßlingen hatte eine Weingärtnerschule mit 41 Knaben und 43 Mädchen, an welcher der Schulmeister Johann Adam Schwarz unterrichtete. Ihm bescheinigte der Pfarrer „gute Kenntnisse, Disziplin und Gewissenhaftigkeit“. An der privaten Kleinkinderanstalt betreute Anton Maier 70 Kinder. Die israelitische Schule und das israelitische Waisenhaus zählten 35 Schüler. An Georgi 1843 zählte man in Eßlingen 1 330 Kinder. Davon waren an der Musterschule 147 Mädchen Knabenschule 286 Knaben Mädchenschule 353 Mädchen Weingärtnerschule 41 Knaben 43 Mädchen Filialschule 224 Knaben 236 Mädchen ______________________________ 551 Knaben 779 Mädchen Die Unterrichtsfächer waren: Religionsunterricht, Lesen, Schreiben, Rechnen, Deutsche Sprache, Singen. Gebraucht wurde im Unterricht das Spruchbuch, das Gesangbuch, die Bibel und eine Neue Fibel, vermutlich von Christian Gottlob Barth. Unterrichtsfächer an der Knabenschule waren auch Französisch und Geometrie, an der Realschule auch Geschichte und Geographie. Für die Schulkinder bestand Schulpflicht ab dem 6. Lebensjahr, für die Kinder der Filialorte wegen der weiten Entfernung ab dem 7. Lebensjahr. Schulvisitationen fanden im Mai und Oktober statt, Ferien waren in der Ernte 14 Tage und im Herbst 3 Wochen. Die Sonntagsschule fand alle Sonntage für Kinder bis zu 18 Jahren statt und kannte keine Ferien. Sie wurde von 4 Lehrern in 4 Abteilungen gehalten.1672 Lehrer, die "das humane Züchtigungsrecht" überschritten hatten, wurden von der höheren Behörde an andere Stellen versetzt, zum Teil bestraft. 1671 Pfarrbericht Eßlingen, 1843 1672 Pfarrbericht Eßlingen, 1843. 441 1848 waren die insgesamt 1 511 Kinder wie folgt verteilt: Musterschullehrer Klotz 46 Schülerinnen Knabenschulmeister Lumpp 84 Schüler Mädchenschulmeister Faißt 84 Mädchen Weingärtnerschulmeister Schwarz 37 Knaben 44 Mädchen Filialisten-Schulmeister Rappold 85 Kinder 2.Knabenschulmeister Mönch 89 Knaben 2.Mädchenschulmeister Öttle 89 Mädchen Provisor Musterschule Aßfahl 45 Schülerinnen Provisor Musterschule Gerst 43 Mädchen Unterlehrer Knabenschule Dölker 92 Knaben Lehrgehilfe Schön 92 Knaben Lehrgehilfe Färber 87 Knaben Unterlehrer Schaal 90 Mädchen Lehrergehilfe Blaich 141 Mädchen Lehrgehilfe Haug 99 Mädchen Lehrgehilfe Hauser 70 Mädchen Filialistenschule Unterlehrer Döring 93 Schüler Lehrgehilfe Braun 101 Schüler. Neue Schulen wurden eröffnet in Mettingen und Sulzgries. In Mettingen war der Schulmeister Ludwig Sautter tätig, in Sulzgries der Schulmeister Wilhelm Dölker, sowie der Unterlehrer Rapp und der Lehrgehilfe Christoph Dölker. Daneben bestand noch eine israelitische Schule. In seiner Zusammenstellung kam der Pfarrer mit den Teilorten sogar auf 1 685 Kinder: Musterschule 134 Mädchen Knabenschule 443 Knaben Mädchenschule 503 Mädchen Weingärtnerschule 37 Knaben 44 Mädchen Filialistenschule 137 Knaben 142 Mädchen Sulzgries 91 Knaben 94 Mädchen Mettingen 25 Knaben 35 Mädchen _____________________________ 733 Knaben 952 Mädchen = 1 685 Kinder mit 22 Lehrern.1673 An der Sonntags-Gewerbeschule waren 1843 50 Söhne, 1845 60 - 70 Söhne und 1848 60 - 70 Jünglinge mit Zeichnen beschäftigt, an der 1816 gegründeten Arbeitsschule 100 Kinder, mit Korb- und Strohflechten, Spinnen, Stricken und Nähen. „Jedes Kind erhielt täglich 1 - 3 Kreuzer Lohn, abends 10 loth Brot oder eine Filialistensuppe“. 1673 Pfarrbericht Eßlingen, 1848. 442 1853 hatte Eßlingen bereits 9 039 Einwohner, und zwar 8 647 Evangelische, 270 Katholiken, 103 Israeliten, 15 Deutsch-Katholiken und auch noch 4 Baptisten, die alle Fabrikarbeiter waren und ihre Kinder nicht konfirmieren ließen. Die Filialorte Mettingen, Rüdern, Sulzgries, Krummenacker, Hohenacker, Wäldenbronn, Seerach, Obertal, St. Bernhard, Wittlingshausen, Liebenbronn und Kernenburg hatten zusammen nocheinmal 3 329 Einwohner. Die Schule hatte jetzt 6 Schulmeister, nämlich den Musterschulmeister Klotz mit 58 Schülerinnen, den 1. Knabenschulmeister Lumpp mit 103 Knaben, den 2. Knabenschulmeister Mönch mit 86 Schülern, den 1. Mädchenschulmeister Faißt mit 96 Mädchen, den 2. Mädchenschulmeister Rappold mit 84 Mädchen, sowie den Weingärtner-Schulmeister Schwarz mit 94 Knaben und Mädchen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß in Württemberg in dieser Zeit ungewöhnlich viele Provisoren beschäftigt waren. Dies war in Eßlingen nicht anders. Der Musterschul-Lehrgehilfe Merz hatte 48 Mädchen, der Lehrgehilfe Weiß 40 Mädchen der Unterlehrer Müller 100 Knaben, der Lehrgehilfe Eichler 78 Schüler, der Lehrgehilfe Seyerle 143 Knaben An der Mädchenschule hatte der Unterlehrer Zimmermann 83 Mädchen, und der Lehrgehilfe Saager 94 Mädchen. Mit den Filialorten kam der Pfarrer in diesem Jahr auf 2 046 Kinder: Musterschule 136 Knabenschule 510 Mädchenschule 647 Weingärtnerschule 94 Mettingen 111 Sulzgries 231 Wäldenbronn 217 Liebersbronn 100 Die Einschulung und die Konfirmation war im Frühjahr und im Herbst. Die Sonntagsschule für Töchter wurde in 2 Abteilungen gehalten. Die Fortbildungsschule für Söhne war am Sonntag von 5 - 7 Uhr und am Donnerstag von 8 - 10 Uhr, die Zeichenschule Mittwochs von 8 - 10 Uhr. Der Besuch war "obligatorisch", und der Kirchenkonvent verfolgte Nachlässigkeiten. Der Schulbesuch wurde also streng überwacht. Vor Giftpflanzen und dem Einfangen von Singvögeln wurde ordnungsgemäß gewarnt.1674 1674 Pfarrbericht Eßlingen, 1853. 443 Seit 1860 waren die Unterrichtsfächer nicht mehr nur Religion, Lesen, Memorieren, Schreiben, Deutsche Sprache und Singen. Es kamen hinzu: Schönschreiben, Rechtschreiben, Aufsatz und Anschauungsunterricht. Die Knabenschule in Eßlingen hatte nun 6 Klassen, die Musterschule 3 Klassen im Seminargebäude. Es gab außerdem an der Mädchenschule eine Einschulung im Frühjahr und im Herbst, eine „Frühlingsschule“ und eine „Herbstschule“ mit den Lehrern Rappold, Kusterer und Dölker. In der Klasse 1 hatte die Frühlingsschule 52, die Herbstschule 59 Kinder, in der Klasse 2 hatte die Frühlingsschule 56, die Herbstschule 55 Kinder, in der Klasse 3 hatte die Frühlingsschule 79, die Herbstschule 96 Kinder. Sulzgries hatte nun eine zweiklassige Schule und außerdem, wie auch Mettingen, eine Strickschule. Außer der Fortbildungsschule mit Zeichenuntericht gab es eine Fortbildungsschule für Weingärtnersöhne, seit 1849 auch ein „Arbeitsinstitut“ für ortsfremde, aber hier wohnende Kinder. Es wurde nicht nur vor den Giftpflanzen gewarnt, sondern auch vor dem Einfangen von Singvögeln und der Zerstörung ihrer Brut. Die Knabenschule hatte im Jahre 1860 Klasse 1 50 Schüler, Klasse 2 50 Schüler, Klasse 3 56 Schüler, Klasse 4 58 Schüler, Klasse 5 54 Schüler, und Klasse 6 87 Schüler. Die Frühjahrsschule hatte 4 Hauptlehrer, die Herbstschule nur 3. Sulzgries hatte in der 1. Klasse 46 Knaben und 45 Mädchen, in der 2. Klasse 28 Knaben und 35 Mädchen. Mettingen hatte in einer Klasse 43 Knaben und 56 Mädchen. Es wurde im Pfarrbericht in einzelnen Abschnitten auch ausführlich über den Zustand der Schule, die Visitationen, die Schulbesuche, den Religionsunterricht, die Schulversäumnisse, die Vakanzen, die Schuldiarien Bericht erstattet, aber auch, daß es nun eine Sonntagsschule und die Strickschule in Sulzgries und Mettingen gab. Der Unterrichtsstoff war Lesen, Schönschreiben, Rechtschreiben, Aufsatz, Rechnen, Anschauungsunterricht, immer noch Memorieren, Biblische Geschichte, Singen und Zeichnen. Die Einschulung war, ebenso wie die Konfirmation, sowohl im Frühjahr, als auch im Herbst.1675 1675 Pfarrbericht Eßlingen, 1860. 444 1905 wurde das Schulwesen in Eßlingen noch differenzierter gesehen. Die Stadt hatte eine Präparandenanstalt und das Schullehrerseminar, ein Gymnasium, eine Oberrealschule, eine Höhere Töchterschule, eine Mädchenmittelschule mit 8 Klassen, eine Knabenvolksschule mit 7 Klassen, eine Mädchenvolksschule mit 7 Klassen, eine Gewerbliche Fortbildungsschule, eine Allgemeine Fortbildungs- schule mit 4 Klassen für Söhne und 7 Klassen für Töchter, außerdem je einen Kurs für Bäcker- und Friseurlehrlinge. Die Weingärtnerschule war in den 80er Jahren aufgehoben worden. Die Ortsschulbehörde bestand aus dem Ortsschulinspektor (Schulrat), dem Stadtschultheißen, dem 1. und 2. evangelischen Stadtpfarrer, 3 Oberlehrern von Mittel-, Knaben- und Mädchenschule, sowie 6 gewählten Mitgliedern.1676 In Freudenstadt gab es nach der Pfarrbeschreibung von 1827 eine Lateinschule mit einem Präzeptor, außerdem eine deutsche Knaben- und eine deutsche Mädchen- schule. Eine Filialschule befand sich in Friedrichstal. Die Holzbeifuhr für die Schule erfolgte auf Kosten der Stadt. Der Lehrer mußte allerdings bei der Holzabgabe im Wald erscheinen, und die Kosten des Sägens, Spaltens und Einheizens gingen auf seine Kosten. Dafür hatte er das übrige Holz für seinen eigenen Gebrauch frei. Die Schulmobilien, Tische, Stühle, Kästchen, Tafeln und Subsellien wurden auf Kosten der Herrschaft angeschafft, Rauchpfannen und „Dinte“ aus dem Schulfonds bezahlt. Im Filialort Friedrichstal hatte jeder „Schreib-Schüler“ für die „Dinte“ jährlich 12 Kreuzer zu bezahlen. Die Schulstiftungen wurden von der Heiligenpflege verwaltet. Bei der Schulvisitation an Georgi erhielten die zwei vorzüglichsten Knaben und Mädchen jedes 30 Kreuzer Prämie, desgleichen bei der Visitation nach Martini. Aus der Stadtkasse erhielten die vorzüglichsten 15 Schüler jeder 4 Kreuzer, die übrigen Schüler aus der Abteilung des Schulmeisters 3 Kreuzer, aus der Abteilung des Provisors 2 Kreuzer. 2 Schüler und 2 Schülerinnen, die das Schulgebet verrichteten, erhielten dafür je 6 Kreuzer. Jedes Kind an der Elementarschule erhielt 2 Kreuzer.1677 An der Sonntagsschule erfolgte der Eintritt nach der Konfirmation, der Austritt nach vollendetem 18. Lebensjahr. Zum Unterrichtsstoff gehörte „das Wiederholen im Rechnen, Lesen und Schreiben, das Wiederholen der sonntäglichen Predigt. Die Geistlichen erteilten Weisung über Untertanenpflichten und warnten vor dem Laster der Unzucht“. Seit 1817 bestand in Freudenstadt eine Industrieschule, in der Mädchen Unterricht im Stricken und Nähen, in Reinlichkeit und Sittsamkeit erhielten. Die Wohnung des Lehrers war in dieser Zeit noch zugleich Unterrichtslokal. Schule wurde von 9 - 11 Uhr, und von 1 - 5 Uhr gehalten, Samstags war schulfrei. 1676 Pfarrbeschreibung Eßlingen, 1905. 1677 Pfarrbeschreibung Freudenstadt, 1827. 445 Die Lehrerin erhielt 120 Gulden, und zwar 60 Gulden vom Wohltätigkeitsverein, und 60 Gulden aus Beiträgen der Mitglieder des Wohltätigkeitsvereins. Der Dekan Zilling besuchte und visitierte die Schule.1678 1872 hatte Freudenstadt 6 Schulen, die folgendermaßen organisiert waren: „Organismus der Schule und Personalien der Lehrer:“ Knabenmittelschule, mit 54 Knaben im Alter von 10 - 14 Jahren mit 2 Stunden Abteilungsunterricht. 1. Knabenschule mit 81 Knaben im Alter von 11 - 14 Jahren, auch 10jährige sind darunter. 2. Knabenschule, 115 Knaben im Alter von 8 - 11 Jahren. 6 Stunden Abteilungs- unterricht. 2. Elementarschule: 131 Kinder, nämlich 63 Knaben und 68 Mädchen, im Alter von 8 - 9 Jahren, teilweise 7 - 8 Jahren, 6 Stunden Abteilungsunterricht. 1. Elementarschule: 121 Kinder, nämlich 60 Knaben und 61 Mädchen im Alter von 7 - 8 Jahren, teilweise 6 - 7 Jahre alt, 6 Stunden Abteilungsunterricht. Friedrichstaler Schule: 78 Kinder, nämlich 39 Knaben und 39 Mädchen im Alter von 6 - 14 Jahren, 4 Stunden Abteilungsunterricht. Die Lehrer waren: 1. Mittelschullehrer Karl Wilhelm Frech, geboren 12. September 1825, im Schuldienst seit 30 Jahren, worunter 8 ¾ als unselbständiger Lehrer. Er war seit dem 23. April 1865 als Lehrer hier, war verheiratet, Vater von 6 Kindern. Sein Charakter und Wandel waren legal und geordnet. Er hatte gute Gaben und Kenntnissen, war in der Schule fleißig, und eifrig in der Fortbildung. Seiner Lehrart fehlte es aber an Frische und Lebendigkeit. Die üble Gewohnheit, die Schüler fast immer im Chor sprechen zu lasen, war bei ihm noch immer üblich und erschwerte auch dem Geistlichen sehr das Verhältnis zu den Schülern, auch im Religionsunterricht. Frech gab am Mittwoch und Samstag je 4, an den übrigen Tagen je 6 tägliche Unterrichtsstunden. In der Kirche hat er keine Funktion. 2. Schulamtsverweser Friedrich Fuchs an der I. Knabenschule war am 13. September 1846 geboren, seit 3 Jahren im Schuldienst, hier seit dem 16. Mai d.J.. Er war ledig und gab winters täglich 5, sommers wöchentlich 26 Schulstunden. Er war religiös, führte einen stillen Wandel und war in der Kirche fleißig. In der Kirche fungierte er als Kantor, hatte aber, wie betont wurde, keine starke Stimme. 3. Schulmeister Gottfried Jakob Schweikhardt an der II. Knabenschule , geboren am 6. Januar 1833, im Schuldienst seit 23 Jahren, immer hier, früher als Lehrgehilfe und Unterlehrer, seit 1865/66 als Schulmeister, war verheiratet und Vater von 2 Kindern, gab sommers und winters täglich 6 Schulstunden. Charakter und Wandel waren rechtschaffen, durchaus geordnet, Gaben und Kenntnisse genügend, Fleiß und Lehramt recht gut, hielt gute, straffe Zucht. Kirchliche Funktionen hatte er keine. 1678 Pfarrbeschreibung Freudenstadt, 1827. 446 4. Schulmeister Karl Georg Sautter, geboren am 8. Juli 1827, war 26 Jahre im Schuldienst, hier seit dem 23. April 1872, verheiratet, Vater von 6 Kindern, gab sommers und winters täglich 6 Schulstunden. Über seinen Charakter und Wandel erlaubte man sich noch kein Urteil. In der Schule zeigte er sich fleißig und eifrig, auch fehlte es ihm nicht an Lehrgeschick. Er hat keine kirchlichen Funktionen. 5. Schulmeister Heinrich Schwarz in der I. Elementarschule, geboren am 16. August 1821, im Schuldienst seit 30 Jahren, hier seit dem 19. Dezember 1865, war verheiratet, Vater von 8 Kindern, gab sommers und winters täglich 6 Schulstunden. Sein Charakter war "durchaus wohlwollend". Er war etwas zu leicht eingeschüchtert und empfindlich. Sein Lebenswandel war ganz geordnet, aller Achtung wert. Gaben ziemlich gut - recht gut, Kenntnisse gut, voll Eifer und Gewissenhaftigkeit, Schulzucht gut, für jüngere Kinder passend. Kirchliche Funktionen hatte er keine. 6. Schulmeister Johannes Gauger in Friedrichstal, geboren am 5. September 1835, im Schuldienst als unständiger Lehrer bis zum 26 .Oktober 1865, an welchem er in Friedrichstal eintrat. Er war ledig, gab sommers und winters wöchentlich 34 Schulstunden. Sein Lebenswandel war geordnet, seine Gaben und Kenntnisse gut - recht gut, Fleiß und Lehramt recht gut, Schulzucht gut. Bei den Gottesdiensten in Friedrichstal spielte er das Harmonium gut. Die Zahl der von den Geistlichen erteilten Religionsunterrichtsstunden waren: im Schuljahr 1874 1875 1876 in der Knabenmittelschule 34 39 43 Stunden in der 1. Knabenschule 35 38 45 Stunden ____ ____ ____ zusammen 69 77 88 Stunden Friedrichstal 28 31 36 Stunden ____ ____ ____ zusammen 97 108 124 Stunden in der Latein- und Realschule hier 32 35 45 Stunden ____ ____ ____ zusammen 129 143 169 Stunden. 1679 ==== ==== ==== 1890 wurden die Schulen aufgeteilt in Schulen, die dem Konsistorium unterstanden, und Studienrätliche Schulen. Zu den ersteren gehörte: Die Knabenmittelschule unter dem Oberlehrer Schweikhardt hatte 70 Schüler von 11 - 14 Jahren. Die Mädchenmittelschule unter dem Mittelschullehrer Schmidt hatte 66 Schülerinnen von 11 - 14 Jahren. 1679 Pfarrbericht Freudenstadt, 1872. 447 Die Knabenschule hatte: 1. Klasse unter Schullehrer Kimmich 63 Schüler von 7 - 8 Jahren. 2. Klasse unter Schullehrer Griesinger 134 Schüler von 8 - 12 Jahren. 3. Klasse unter Schullehrer Kraft 87 Schüler von 12 - 14 Jahren. 4. Klasse unter Schullehrer Schulte 68 Schüler von 12 - 14 Jahren. Die Mädchenschule hatte: 1. Klasse, Schullehrer Dieterle, 60 Schülerinnen von 7 - 8 Jahren. 2. Klasse, Lehrgehilfe Jada, 76 Schülerinnen von 8 - 9 Jahren. 3. Klasse, Unterlehrer Haaf, 87 Schülerinnen von 9 - 10 Jahren, 4. Klasse, Unterlehrer Graf, 62 Schülerinnen von 10 - 11 Jahren. 5. Klasse, Schullehrer Gabelberger, 74 Schülerinnen von 11 - 12 Jahren. 6. Klasse, Schullehrer Nestel, 61 Schülerinnen von 12 - 13 Jahren. 7. Klasse, Oberlehrer Hornberger, 62 Schülerinnen von 13 - 14 Jahren. Theodor Griesinger, geb. 6.10.1870, Dienstzeit 1 Jahr, war ausgezeichnet in der Musik, besonders auch auf der Orgel, hatte sich aber auch als Lehrer sehr wacker gemacht. Zu den. Studienrätliche Schulen gehörte: 1. eine zweiklassige Lateinschule, Kollaboraturklasse Seitzer, Präzeptoralklasse Gut. 2. eine dreiklassige Realschule, 1. Klasse Bauder, 2. Klasse Brüstle, 3. Klasse Oberreallehrer Henninger.1680 1905 waren in Freudenstadt 14 Lehrkräfte tätig, und zwar für 397 Knaben und 494 Mädchen, also 891 Kinder. In Friedrichstal war 1 Lehrer, und zwar für 41 Knaben und 50 Mädchen, also 91 Kinder. Hinsichtlich des Religionsunterrichts wurde vermerkt: Memor. Bibl.Gesch Singen Zucht 1. Knabenklasse g. g g.g g.g. 2. Knabenklasse m.g. g.g. z.g. m.g. 3. Knabenklasse z.g. z.g. z.g. z.g. 4. Knabenklasse z.g. z.g. z.z. g.g. 5. Knabenklasse z.g. z.g. g. g.g. Knabenmittelschule z.g. z.g. z.g g.g. 1. Mädchenschule g. z.g. z.g. g. 2. Mädchenklasse g.g. g.g. z.g. g.g. 3. Mädchenklasse. g. z.g. z.g. s.g. 1680 Pfarrbericht Freudenstadt, 1890. 448 4. Mädchenklasse g. z.g. g. g. 5. Mädchenklasse z.g. z.g. z.g. g. 6. Mädchenklasse m.g. z.g. z.g. z.g. 7. Mädchenklasse g.g. g. g. g.g. Mädchenmittelschule z.g. g. z.g g. Friedrichstal g.g. z.g. z.g. z.g. Die Noten waren "gut", "ziemlich gut" und "ganz gut". Der Dekan vermerkte: "Vorstehende Zeugnisse sind von Stadtpfarrer Schönhuth gegeben. Er legt einen ziemlich strengeren Maßstab an, als sein Vorgänger Pfahler. Auch im Vergleich mit den bei den Prüfungen des Bezirksschulinspektors gegebenen Zeugnissen ist der Maßstab etwas strenger". Im Pfarrbericht wurde weiter vermerkt, daß es keine Sonntagsschule gab, aber eine Winterabendschule für die Knaben und die Mädchen in zwei Abteilungen. In der Gewerblichen Fortbildungsschule wurde kein Religionsunterricht gehalten". 1681 Geislingen hatte 1828 eine Knaben- und eine Mädchenschule mit jeweils 2 Klassen: Knabenschule ältere 80 Knabenschule jüngere 70 Mädchenschule ältere 107 Mädchenschule jüngere 70 Es wurde ein Schulgeld von jährlich 48 Kreuzern verlangt, dazu ein sogenanntes „Kalendergeld“ von 1 Kreuzer. Für die Tinte mußten vierteljährlich noch gesondert 3 Kreuzer bezahlt werden. An der Sonntagsschule unterrichtete der Knabenschullehrer die ledigen Söhne, der Mädchenschullehrer die ledigen Mädchen. „Es erscheint jedesmal die Gesamt- zahl“. Die Industrieschule erteilte Mittwoch- und Samstagnachmittags Unterricht in Nähen und Stricken für Mädchen, und zwar unentgeldlich. Die Lehrerin erhielt dafür 40 Gulden aus der Spitalpflege. Eine Zeichnungsschule wurde 1825 eröffnet. Elementarschüler wurden 6 Stunden, Sonntagsschüler 1 Stunde umsonst unterrichtet. Zeichnungslehrer war der Drexlermeister Frühholz. Für seinen Unterricht erhielt er Geld aus vier verschiedenen Kassen: 1681 Pfarrbericht Freudenstadt, 1905. Alexander Pfahler (28.9.1862 - 7.1.1937), in Freudenstadt 1896 - 1903, Sigel Nr. 128,38 , Ottmar Michael Karl Rudolf Ludwig Eduard Edmund Schönhuth (25.1.1872 - 13.3.1962), Sigel Nr. 326,52. 449 1. Geld aus der Stiftungskasse 75 f aus der Stadtkasse 20 f aus der Drexlerkasse 5 f 2. Naturalien Holz aus der Spitalkasse 6 f ____ 106 f Der Kreuzer wurde immer zu 8 Heller gerechnet.1682 1835 waren an der Knabenschule 137 und an der Mädchenschule 157 Kinder, zusammen also 294 Kinder, bei 2 244 Einwohnern. Der Knabenschulmeister Johann Georg Beckh, geboren am 23. April 1769, also 66 Jahre alt, unterrichtete 59 Knaben täglich 5 Stunden. Der Mädchenschulmeister Johann Georg Gottlob Heinrich Haug, geboren am 23. Mai 1791, also 44 Jahre alt, unterrichtete 94 Kinder täglich 5 Stunden. Beide Lehrer waren Mitglieder der Schulkonferenz und der Lehrerlesegesellschaft. Elementarlehrer Johann Ludwig Kölle, geboren am 19. September 1767, somit 68 Jahre alt, unterrichtete 63 Kinder 5 Stunden. Provisor der Knabenschule Johannes Hocheisen, geboren am 6. Dezember 1806, also 29 Jahre alt, unterrichtete 78 Kinder in 2 Abteilungen 6 Stunden. Die Sonntagsschule hatte 27 Söhne und 34 Mädchen und wurde nach dem Gottesdienst gehalten. Ein Teil der Söhne besuchte die Gewerbeschule. Die Visitation wurde auch hier ordnungsgemäß gehalten. Die Arbeitsschule für Mädchen, die Mittwochs- und Samstags-Mittags stattfand, unterrichtete im Nähen und Stricken.1683 1847 gab es auch eine Mädchenmittelschule, in der die Lehrfächer entsprechend der Verordnung des Volksschulgesetzes nach der neueren Methode betrieben wurden. Es wurden zusätzlich Geographie, Naturgeschichte und württembergische Geschichte unterrichtet. Über das Auswendiglernen der Sprüche und Lieder führt jedes Kind ein Verzeichnis, das sorgfältig geführt wurde. Die Schuldisziplin war vernünftig und gemäßigt. Die vorgeschriebenen Schulbücher waren vorhanden“. Die neue Liturgie und das neue Gesangbuch werden auch in der Schule nach Vorschrift gebraucht, und es hatte sich in der Gemeinde keine Abneigung dagegen gezeigt. Die General- und Spezialreskripte wurden sorgfältig aufbewahrt und vorschriftsmäßig vollständig in das Reskriptenbuch eingetragen. 1682 Pfarrbeschreibung Geislingen, 1828. 1683 Pfarrbericht Geislingen, 1835, 1843. 450 Es waren in diesem Jahr an der Knabenschule 59 Mittelschule 13 Elementarschule 45 ___ 117 Knaben Mädchenschule 77 Mittelschule 50 Elementarschule 56 ___ 183 Mädchen, zusammen 300 Kinder.1684 Drei Jahre später, 1850, waren es schon 332 Kinder. 1853 besuchten 145 Buben und 204 Mädchen, also zusammen 349 Kinder die Schule. An der Latein- und Realschule, die 1853 erstmals erwähnt wurde, waren in diesem Jahr 47 Schüler. Die Zeichnungsschule wurde Sonntags auf dem Rathaus durch den Reallehrer Fink von 10 - 12 Uhr gehalten. Auch die Fortbildungsschule hatte von 10 - 12 Uhr Unterricht, und zwar in Geographie, Geschichte und Aussägen durch den Knabenschulmeister. Die Arbeitsschule für Mädchen am Mittwoch- und Samstag-Nachmittag wurde von der ledigen Christine Margarethe Kolb gehalten, „mit guten Fortschritten“. Die Ehefrau des Buchbinders Allgöwer unterhielt zusätzlich noch eine private Strick- und Nähschule.1685 Es war noch kein geeignetes Lokal für eine Kleinkinderschule gefunden worden, obwohl ein Bedarf durch die zunehmende Zahl der "zum Teil fabrikmäßig arbeitenden Gewerbe“ bestand. Auch eine Baumschule war nicht vorhanden. 1859 wurde die Sonntagsschule der ledigen Söhne (Fortbildungsschule) durch einen Erlaß vom 18. Juli 1856 in eine Winterabendschule umgewandelt. Am Montag- und Samstag-Abend wurde jeweils von ½ 8 bis ½ 10 Uhr „praktische und gewerbliche Fortbildung in Schreiben, Rechnen und Geschäftsaufsätzen" geübt. Die Entlassung erfolgte nach 3-jährigem Besuch. Daneben gab es weiter die Sonntags-Zeichnungsschule für Gewerbelehrlinge durch Reallehrer Fink. Drechslermeister Haug unterrichtete „in Linearzeichnen und geometrischen Konstruktionen“, und zwar in 2 Abteilungen, von 10 - 12 Uhr, und von 2 - 4 Uhr in Freihandzeichnen. Werkmeister Vetter hielt Unterricht für Maurer, Zimmerleute und Schreiner von 2 - 4 Uhr, und zwar in Linearzeichnen und gewerblichen Konstruktionen. 1684 Pfarrbericht Geislingen, 1847. 1685 Pfarrbericht Geislingen, 1853. 451 Auch hier, wie in der Winterabendschule, wurde "Zwang angewendet", der Besuch also überwacht, was zur Folge hatte, daß von ungefähr 143 Lehrlingen und Gesellen durchschnittlich 125 erscheinen und großenteils "Nutzen von der Anstalt zogen, der freilich andere nur zur Last waren". Bei der Wichtigkeit, die der Sache beigemessen wurde,1686 war die Anstellung eines besonderen künstlerisch gebildeten Zeichenlehrers1687, und die Einrichtung geeigneter Lokale statt des Rathauses im oberen Stock der Stiftungspflege in Aussicht gestellt. Eine „Kollaboraturschule“ war in Vorbereitung.1688 Im Jahre 1905 hatte Geislingen folgende Schulen: ein Realprogymnasium, eine Mädchenschule mit 4 Klassen, eine Knabenvolksschule mit 7 Klassen, eine Mädchenvolksschule mit 7 Klassen, eine Allgemeine Fortbildungsschule für Söhne und Töchter mit 4 Klassen, eine Gewerbliche Fortbildungsschule für Söhne und Töchter mit 4 Klassen, eine Frauenarbeitsschule mit 2 Lehrerinnen. Der Industriestandort Geislingen war mit seinen Schulen der neuen Zeit angepaßt. Gmünd hatte der Pfarrbeschreibung von 1826 gemäß bei 5 623 Einwohnern eine Lateinschule, eine deutsche Elementarschule, sowie eine katholische Industrie- schule. Die 32 Knaben und 30 Mädchen wurden von einem Schulmeister unterrichtet, der täglich 5 Stunden Schule hielt, und zwar winters von 8 - 11 Uhr, sommers von 7 - 10 Uhr, nachmittags von 1 - 3 Uhr. Das Schulzimmer war geräumig und reichte für 80 - 90 Kinder. Das Schulgeld betrug jährlich 1 Gulden. Der Lehrer bezog also 62 fl. An Neujahrsgeschenken erhielt der Schulmeister ungefähr 8 - 10 Gulden. Er erhielt von der Stadtpflege 8 Meß Holz, mit der Verpflichtung, das Schulzimmer zu heizen. Die Stadtpflege bezahlte das Holz, die Beifuhr, das Sägen und das Spalten. Die Besoldung des Lehrers betrug: von der Stadtpflege Gmünd 150 f für Halten der Sonntagsschule 12 f 8 Meß Holz, etwa die Hälfte für ihn 30 f _____ 192 f Schulgeld 99 f 15 xr Als Mesner und Organist 67 f 12 xr Emolumente 9 f 48 xr _________ 368 f 15 xr 1686 Erlaß der Kommission für die gewerblichen Fortbildungsschulen vom 8.November vorigen Jahres, Nr. 214. 1687 Erlaß der Kommission vom 25.Juni d. J., Nr. 184. 1688 Pfarrbericht Geislingen, 1859. 452 Die Sonntagsschule wurde nach der Kinderlehre gehalten, und zwar „an einem Sonntag die ledigen Mädchen, am anderen Sonntag die ledigen Leute männlichen Geschlechts“.1689 1874 hatte Gmünd 2 967 evangelische Einwohner, denen 7 794 Katholiken gegen- überstanden, dazu 9 Dissentierende und 29 Israeliten. Die nunmehr 235 Schüler waren auf 4 Klassen verteilt: Die Knabenklasse hatte 40 Schüler, die Mädchenklasse hatte 50 Schülerinnen, weiter gab es eine Klasse des Unterlehrers mit 83 Schülern, und schließlich die Elementarklasse mit 62 Schülern. Jede Klasse hatte einen Lehrer: 1. Johann Leonhard Rau, geboren 4. Juli 1812, seit 1860 hier in Gmünd. Er war verheiratet und hatte 6 Kinder. Er gab sommers und winters täglich 5 Schulstunden, Mittwochs und Samstags je 3 Stunden. 2. Schulmeister Gottfried Seeger, geboren 11.9.1827, verheiratet, 1 Kind. Er war hier seit 1866 und gab täglich 5 Stunden Unterricht, Mittwochs und Samstags je 3 Stunden. Mittelklasse-Unterlehrer Johannes Dautel, geboren 6.2.1850, ledig, in Gmünd seit 1873. Er gab täglich 5 Schulstunden, Mittwochs und Samstags je 3 Stunden. 4. Friedrich Holzhäuser, geb. 15.4.1833, verheiratet, 4 Kinder. Er war seit 1. September 1872 hier und gab täglich 5 Schulstunden, Mittwochs und Samstags je 3. Alle 4 Lehrer waren gleichzeitig auch als Organisten tätig. Der Pfarrer urteilte, daß der Stand der Religionskenntnisse in allen Klassen ein im Ganzen befriedigender war. „Nicht zu verkennen ist, daß die Schülerinnen der Mädchenklasse, bei welchen überhaupt mehr Sinn und Interesse fürs Religiöse vorhanden ist, geförderter (also besser) sind als die Knaben". Das Verhalten der Kinder gab offensichtlich zu keinen besonderen Klagen Veranlassung, war vielmehr "ein im Allgemeinen gutes". Die evangelischen Schülerinnen des Töchter-Instituts erhielten zugleich mit denen der Mädchenklasse Religionsunterricht. Biblische Geschichte und Memorieren wurden an der genannten Anstalt von einem Schulmeister Holzhäuser erteilt. Die Religionsunterrichtsstunden waren 1872 1873 an der Knabenklasse 68 77 an der Mädchenklasse 68 77 an der Latein- und Realschule 60 71.1690 1689 Pfarrbeschreibung Gmünd, 1826. 1690 Pfarrbericht Gmünd, 1874. 453 Gmünd hatte 1874 8 Schulklassen mit 576 Schülern: Klasse 1, Banzhaf 44 Knaben, 49 Mädchen 93 Kinder Klasse 2, Müller 48 Knaben 54 Mädchen 102 Kinder Klasse 3, Beyerlein 41 Knaben 49 Mädchen 90 Kinder Klasse 4, Ulshöfer 25 Knaben 51 Mädchen 76 Kinder Klasse 5, Kühner 33 Knaben 35 Mädchen 68 Kinder Klasse 6, Brändle 45 Mädchen 45 Kinder Klasse 7, Holzhäuser 36 Mädchen 36 Kinder Klasse 8, Kaufmann 66 Knaben 66 Kinder __________ 576 Kinder Holzhäuser war Oberlehrer. Banzhaf, Brändle, Kaufmann und Müller waren Schullehrer, Beyerlein, Kühner und Ulshöfer Unterlehrer.1691 1905 hatte Gmünd 6 469 Evangelische, 14 005 Katholiken, 23 Dissentierende und 69 Israeliten, insgesamt also 20 566 Einwohner. 1822 hatte Gmünd einschließlich Gotteszell und den Diasporagemeinden 476 Evangelische gezählt, 1817 war die erste evangelische Pfarrei errichtet worden. Gotteszell, das ehemalige Dominikanerinnenkloster, war 1808 als Strafanstalt eröffnet worden und wurde von einem eigenen Hausgeistlichen betreut. Seit 1892 hatte Gmünd eine 2. Stadtpfarrstelle, seit 1905 sogar eine dritte, die nun Gotteszell mitbetreuen mußte. Gmünd hatte 1905 ein Realgymnasium, eine höhere Mädchenschule, die Erziehungsanstalt St. Ludwig, die von Franziskanerinnen betreut wurde, sowie die evangelische Volksschule mit 10 Klassen, 10 Lehrern und 605 Schülern. Der Pfarrer nahm im Bericht dieses Jahres nur noch auf den Religionsunterricht, auf "Religionskenntnisse und Zucht", Bezug und besprach diesen ausführlich. Die übrigen Fächer wurden nicht mehr erwähnt. Das Memorieren in Klasse X war von dem Lehrer Kaufmann tüchtig eingedrillt, die 2. Abteilung war allerdings ziemlich schwach. Ein Fehler war, daß auch unwichtige Teile gelernt wurden. Sehr unwürdig war das heftige und laute Schreien im Biblischen Geschichts- unterricht, weil so eine tiefere Erfassung und anschauliche Darstellung des Stoffes, ebenso die Nutzanwendung, fehlte. In der Klasse IX Banzhaf war im Memorieren das VI. Schuljahr recht schwach, auch wurde nicht immer richtig betont, nur hergesagt. Die Fragesätze z.B. traten nicht als solche hervor. Auch der Biblische Geschichtsunterricht wurde ganz mechanisch behandelt. 1691 Pfarrbericht Gmünd, 1891. 454 In Klasse VIII, von welcher die Schüler des VI. Schuljahres den Religions- unterricht des Geistlichen besuchten, bot sich ein sehr unbefriedigendes Bild dar. Dem Lehrer Schick fehlte jedes Geschick, die Schüler, wie im Unterricht überhaupt, so auch im Religionsunterricht richtig anzufassen und für den Stoff zu erwärmen. Er machte durch seine Heftigkeit, sein Schimpfen und Schreien, den Schülern das Lernen und besonders das Memorieren zur Qual. In der Biblischen Geschichte fehlte "jede innere Erfassung, Vermenschlichung und praktische Verwertung des Stoffes", es war ein bloßes Aufzählen und Abfragen der äußeren Daten. Die Mädchen in der Klasse VI, des V. und VI. Schuljahres, die im vorigen Jahr von Unterlehrer Feicht unterrichtet wurden, hatten im Memorieren und der Biblischen Geschichte bedeutende Lücken aufzuweisen, was wahrscheinlich damit zusammenhing, daß der Lehrer den Winter über sich auf das Reallehrerexamen vorbereitete. Im Gesang wurden in allen Klassen die vorgeschriebenen Choräle eingeübt. Recht befriedigend waren die Leistungen im Religionsunterricht bei Schullehrer Müller und bei Fritz. Bei Künkel gab es lautes Schreien im Memorieren. Bei Schweikhardt mechanisches Hersagen, das Fehlen einer Sinnerklärung und der Erklärung der fundamentalen religiösen Begriffe. Auch bei Fräulein Frasch verriet schon das Hersagen das Fehlen jedes Verständnisses. Oft fehlten die Antworten auf die einfachsten Fragen.1692 Aus diesen Feststellungen geht hervor, daß der Unterricht der Lehrer in dieser Zeit immer noch sehr persönlichkeitsabhängig und differenziert war. Es gab Lehrer, denen jede Fähigkeit abgesprochen wurde, die "durch Schimpfen und Schreien" den Unterricht gestalteten, die auf ein Erfassen des Stoffes überhaupt keinen Wert legten. Bei allen Lehrern war das Urteil über den Unterricht, mit einer Ausnahme, negativ. Aus den Aufzeichnungen geht auch hervor, daß die Beurteilungen der Pfarrer sich am Ende hauptsächlich nur noch auf die Religion als Unterrichtsfach konzentrierten, die übrigen Bereiche überhaupt nicht mehr in den Bericht aufgenommen wurden. Hall, das 1827 6 626 evangelische Einwohner hatte, dazu 30 Katholiken, die nach Steinbach eingepfarrt waren und 27 Juden, hatte lt. der Pfarrbeschreibung in diesem Jahr 4 deutsche Schulen mit 8 Klassen. Die alte Lateinschule der Stadt war 1655 zum Gymnasium erhoben worden. Im Jahre 1811 wurde für das bisherige Gymnasium wieder eine niedere lateinische Lehranstalten eingerichtet. Diese dreiklassige Lateinschule wurde 1872 aber wieder Lyzeum und 1877 wieder Gymnasium. 1692 Pfarrbericht Gmünd, 1906. 455 Hall hatte seit 1727 eine "Katechetenschule" für Bürgertöchter und solche Söhne, im Alter von 11 bis 14 Jahren, die das Gymnasium nicht besuchen wollten. Es war eine christliche Schule. Die Hauptfächer waren in 3 Morgenstunden Biblische Geschichte, Bibelkunde, Memorieren geistlicher Lieder und Katechismus- unterricht. Bereits 1784 war diese Schule mit einer Realschule verbunden worden. Nun wurden nachmittags Geographie, Naturgeschichte, Rechnen, Schönschreiben und Briefeschreiben gelehrt. Bei der Neuordnung des Schulwesens in Hall im Jahre 1812 war diese Schule aufgehoben worden. Seit 1838 gab es aber wieder eine Realschule, die am 16. September 1900 zur Vollanstalt ausgebaut wurde.1693 Im Jahre 1827 waren folgende Schulen in Hall: Die lateinische Lehranstalt hatte 3 Klassen mit 3 Lehrern. Die Spitalschule hatte 2 Klassen mit 74 und 92 Kindern. Die Knabenschule hatte in der 1. Klasse 113 Knaben, die Mädchenschule 123 Mädchen. In der 2. Klasse waren an der Knabenschule 61 Knaben an der Mädchenschule 99 Mädchen. In der 1. und 2. Klasse der Elemtarschule waren die jüngsten Kinder, bis sie fähig waren, die Knaben in die 2. Klasse der Knabenschule, die Mädchen in die 2. Klasse der Mädchenschule befördert zu werden. Von diesen beiden Klassen der Provisoren rückten sie dann wieder in die 1. Klasse der Schulmeister. An der Elementarschule waren in Klasse 1 94 Kinder, in Klasse 2 94 Kinder. Die Einnahmen aus dem Schulgeld betrugen 174 Gulden. Im Spital, der für Hall eine große Rolle spielte, war außer der normalen Schule mit 2 Klassen seit 1761 auch noch eine Industrieschule untergebracht, an der vor- und nachmittags zusätzlich zum Schulunterricht je eine Stunde Industrie-Unterricht für arme Kinder gegeben wurde. Die Spitalschule hatte, wie die Elementarschule, Kinder beiderlei Geschlechts, also Buben und Mädchen. Die jüngeren waren in der 2. Klasse des Provisors, die älteren in der 1. Klasse des Schulmeisters“. Es waren dort in der 1. Klasse 74, in der 2. Klasse 92 Kinder.1694 1693 Sigel: Das evangelische Württemberg: Hall, S. 46. 1694 Pfarrbeschreibung Hall, 1827. 456 An den 4 Schulen waren 4 Schulmeister und 4 Provisoren, welche Letztere ihren Gehalt von 120 fl aus der Geistlichen Verwaltung bezogen. Die Kost, die der Provisor bezahlen mußte, und die Wohnung gingen zu Lasten des Schulmeisters. Alle diese 8 Schulstellen werden "vom Königlichen Consistorio unmittelbar besetzt, zuletzt die eines Schulmeisters den 3. Mai 1826, die eines Provisors den 18. Juli 1827". Die Juden schickten ihre Kinder in die Haller Schulen. Schulstunden wurden sommers von 7 - 10 Uhr vormittags gehalten, winters von 8 - 11 Uhr, dazu nachmittags von 1 - 3 Uhr. In der Elementarschule fing sommers und winters die Schule erst um 8 Uhr an. Mittwoch-Nachmittags war nicht schulfrei, dafür am Samstag vor- und nachmittags wegen des großen Wochen-Fruchtmarktes. In der Spitalschule bestand die Einrichtung, daß die Kinder abwechselnd 1 Stunde vor- und nachmittags in der Industrieschule zubrachten und dort arbeiteten, daß also jedes Kind vor- und nachmittags 1 Stunde sich dort befand. Vormittags 2 Stunden in der Lehrschule, nachmittags dort eine Stunde, so daß immer ein Teil der Kinder in dieser anwesend war. Die Schüler verteilten sich wie folgt: Knabenschule 1. Klasse 113 2. Klasse 61 Mädchenschule 1. Klasse 123 2. Klasse 99 Elementarschule 1. Klasse 94 2. Klasse 94 Spitalschule 1. Klasse 74 2. Klasse 92 Das Schulgeld betrug von jedem Kind 1 fl. Der Spitalschulmeister bezog keines. Ein- und Ausstands-, Martini- und Neujahrsgelder wurden observanzmäßig gegeben. Der Elementarschullehrer berechnete seine neuesten Einnahmen auf 116 f, der Mädchenschullehrer auf 100 f, der Knabenschullehrer und Amtsverweser auf 27 f, der Spitalschulmeister auf 10 f. Die 1. Klasse der Knabenschule war ungefähr in der Mitte der Stadt, in dem Hause, wo auch "der quiescidente Schulmeister Hartmann" wohnte, und in das sein Amtsnachfolger zu ziehen das Recht hatte. Die besondere Schulstube war zwar seit kurzem erweitert und einigermaßen verbessert worden, war aber doch unvollkommen, sommers oft nur zu hell, ohne Schutz gegen die Sonne, und gedrängt voll. 457 Der Lehrer der 2. Klasse wohnte im Schlachthaus. Neben seiner Wohnstube war die Schulstube, geräumig und hell. Die Mädchenschule war jenseits des Kochers in der Katharinenvorstadt. Sie war heiter und zum größten Teil gedrängt voll, und in einem etwas unvollkommenen Zustand. Der Schulmeister bezog 25 fl Hauszins von der Geistlichen Verwaltung Die Mädchenschule 2. Klasse war im nämlichen Hause in der unteren Etage, zu ebener Erde, war heiter und hell, gedrängt voll, übrigens auch in einem etwas unvollkommenen Zustand. Die Elementarschule 1. und 2. Klasse war, wie die Knabenschule 2. Klasse, im Schlachthaus mitten in der Stadt. Die Stube der 2. Klasse war geräumiger und heller, als die der 1. Klasse. Beide waren so ziemlich hell, nur von einander abgesondert. Der Schulmeister an dieser Schule erhielt 50 f Hauszins von der Christlichen Verwaltung. Die Schulstuben im Schlachthaus wurden als nicht am schicklichsten Ort für die Kinder gesehen. Die Spitalschule war im Spitalgebäude unter allen die beste, geräumigste und hellste. Die 2. Klasse war durch einen Verschlag von der 1. hinreichend abgesondert. Die Schulmeisterwohnung lag ganz in der Nähe, bequem, von dem Spital abgesondert, nur fehlte es ihr an einer Küche. "Der Herd ist vor dem Ofenloch,; es ist schwer zu helfen. Diese Wohnung und Schule wird vom Spital, die übrigen von der Christlichen Verwaltung erhalten". Das Holz zur Heizung der Schulstube wurde reichlich geliefert. Für die Spital- und Armenschule reichte es das Spital, für die übrigen die Christliche Verwaltung. Es fand "kein Aversum statt". Die Kosten der Beifuhr, des Sägens und Spaltens wurden beim Spital von diesem, bei den übrigen von der Spitalpflege, so viel, als zur Schule gehörte, bestritten. Was nicht für diese erfordert war, blieb "nach der Observanz und ohne Widerspruch dem Schulmeister überlassen". Schulmobilien und -utensilien wurden für die Spitalschule vom Spital angeschafft und erhalten, für die übrigen von der Christlichen Verwaltung: sparsam, kärglich. Der reiche Spital war hier gegenüber der christlichen Verwaltung im Vorteil. "Schulstiftungen sind bei der Geistlichen Verwaltung 1 025 f, wovon die Zinsen jährlich für die Schulbücher für arme Kinder verwendet werden. Prämien wurden keine ausgeteilt. Früher wurden sie von der Stadtkasse gegeben, aber seit mehreren Jahren keine mehr". Dieser Beschreibung nach waren die Schulverhältnisse in Hall nicht sehr günstig. Übervolle Klassen, Schulstuben im Schlachthaus, die Schulzimmer nur durch einen Verschlag voneinander getrennt, eine Schulmeisterwohnung ohne Küche - das alles vermittelt keinen besonders guten Eindruck. 458 Der Elementarschullehrer bezog sein Geld aus der Geistlichen Verwaltung Besoldungsgeld 130 f Roggen 2 Schfl, 6 Sri. 16 f 30 xr Dinkel 8 Schfl 28 f Holz 14 Klafter, davon 9 zur Heizung zweier Schulstuben. Rest 5 Klafter 20 f Visitations-Diäten 40 xr Haltung der Sonntagsschule, 2 Klftr.Holz, Geld von der Kommun 5 f Schulgeld von 190 Kindern 190 f __________ 390 f 10 xr Für die Haltung des Provisors 90 f __________ 300 f 10 xr "Diese 90 f können eigentlich nicht abgezogen werden". Hauszins bezog er 50 f Seine zufälligen Einkommensteile konnte er nur auf 1 Jahr berechnen, da er noch nicht völlig 2 Jahre hier war. 1826/27 Schulgeld von 174 Kindern 174 f Martini, Neujahr, Ein- und Ausstand 117 f Nach Abzug der Gegenleistungen ist die Besoldung den 13. Oktober 1825 neu revidiert worden. Der Knabenschullehrer bezog aus der Geistlichen Verwaltung Geld 150 f darunter 50 fl persönliche Zulage. 2 Schfl, 6 Sri Roggen 16 f 30 xr 8 Schfl Dinkel 28 f 30 xr 9 Klftr Holz, für sich höchstens 5 Klftr, hat nur eine Stube zu heizen 16 f 20 xr Als Organist bei St. Katharina 43 f Akzidentien ungefähr 15 f Ein- und Ausstands-, Martini- und Neujahrs-Geld nebst dem Schulgeld bezieht Kraft als Amtsverweser. Er gibt dafür an den gegenwärtig und seit mehreren Jahren qiescierenden Schulmeister 100 f Dieser berechnet für 1825/26 Schulgeld von 80 Schülern 80 f Ein- und Ausstand, Martini, Neujahrsgeld 32 f Hochzeiten 9 f 20 xr Leichen 34 f 459 Als Läuter bei St. Katharina 3 Meß Holz 12 f Als solcher bar aus der Christlichen Verwaltung 52 f Visitations-Diäten 40 xr 1 Küchengarten 14 Rth. 5 f Von einer Stiftung aus der Oberamtspflege 60 f Für Haltung der Sonntagsschule von der Kommun 5 f ____________ 290 f =========== Von 1826/27 Schulgeld für 85 Schüler 85 f Ein- und Ausstand, Martini- und Neujahrsgeld 26 f Küchengärtchen 3 f 20 xr Als Kantor von St. Katharina Hochzeiten 7 f 48 xr Leichen 26 f 24 xr Von einer Stiftung aus der Oberamtspflege 60 f Für Haltung der Sonntagsschule 5 f Visitations-Diäten 40 f _________ 253 f 32 xr Bei der 2. Klasse der Knabenschule war angestellt, eigentlich als Provisor, der aber bis 1812 wirklich selbständiger Schulmeister war und als solcher seinen Titel und die Besoldung beibehalten hat, der 70-jährige Nieth. Er bezog aus der Geistlichen Verwaltung: Geld 90 f Roggen, 2 Schfl, 6 Sri. 16 f 30 xr Dinkel, 6 Schfl. 28 f 9 Klftr.Holz, für die Schule 5 Klftr., für sich selbst 4 Klftr. 16 f Visitations-Diäten 40 f Für die Sonntagsschule 1 Klftr. Holz von der Kommun Geld 5 f Schulgeld, da seine Schülerzahl p.Dekret den 21. Febr. 1812 gerade auf 60 Schüler bestimmt ist 60 f und freie Wohnung Akzidentien 1826/27 32 f 40 xr hat als Provisor früher nichts genau aufgeschrieben. 460 Wann mit dem 70-jährigen Mann und dem quiescierenden Schulmeister Veränderungen vorgehen, so werden sich die bisherigen amtlichen und Besoldungs-Verhältnisse merklich verändern. Ein besonderes Besoldungs-Verzeichnis ist noch nicht revidiert worden. Der Mädchen-Schulmeister bezog aus der Christlichen Verwaltung: Geld 80 f Roggen, 2 Schfl, 6 Sri. 16 f 30 xr 8 Schfl Dinkel 28 f Holz für sich, wie der Elementarschullehrer 5 Klftr. aus der Christlichen Verwaltung 20 f Visitations-Diäten 40 xr Für die Haltung der Sonntagsschule von der Kommun 5 f Eine Amtswohnung, die er nicht bezieht, und die er eine Zeit lang vermietet hat, versteuert er mit 25 f Schulgeld 1825/26 195 Kinder 195 f Schulgeld 1826/27 228 Kinder 228 f Neujahr-, Martini-, Ein- und Ausstandsgeld 1825/26 120 f 48 xr 1826/27 100 f 36 xr Gegendienstleistungen abgezogen. Von diesem Einkommen des Schulmeisters geht ab für die Haltung eines Provisors 90 f (er bezieht aber diese 90 f für die Kost des Provisors) Als Kantor von St. Michael 46 f von der Geistlichen Verwaltung 1825/26 von Leichen 29 f 24 xr Hochzeiten 3 f 20 xr 1826/27 Leichen 16 f 48 xr Hochzeiten 19 f 30 xr Aber Abzug der Gegenleistungen. Die 25 fl, die der gegenwärtige Schulmeister als Tenorist bei der Kirchenmusik von der Christlichen Verwaltung bezog, wurden als ein persönlicher Bezug hier nicht in Anrechnung gebracht. Das Besoldungsverzeichnis wurde im Januar 1823 revidiert, aber auch hier unter Rücksprache mit dem Schulmeister. 461 Der Spital- und Armen-Schulmeister bekam Geldbesoldung, da er kein Schulgeld erhielt. Von dem Spital 310 f Roggen, 1 Schfl 6 f Dinkel, 2 Schfl 7 f Holz, 14 Klftr, davon 8 zur Heizung der Schulstuben, also für sich 6 Klftr 24 f Von der Kommun Roggen, 1 Schfl, Dinkel, 2 Schfl 13 f Als Organist in der Spitalkirche vom Spital 1 Klftr.Holz 4 f Als Kantor an der Spitalkirche vom Spital 2 Klftr Holz 8 f Als Kantor an der Michaelskirche aus der Geistlichen Verwaltung, Besoldung 47 f Roggen, 1 3/8 Schfl. 8 f 15 xr Dinkel 1 19/32 Schfl 5 f 33 xr Zufällige Einnahmen: Ein- und Ausstands-, Martini- und Neujahrsgeld 10 f Von Leichen und Hochzeiten 1825/26 21 f 03 xr 1826/27 20 f 55 xr Als Inspektor und Rechnungsführer der Industrie-Anstalt erhält er vom Spital 75 f Die Kompetenz war noch nicht besonders revidiert, aber dieses Verzeichnis war auch unter Rücksprache mit dem Schulmeister verfaßt worden. Sonntagsschulen wurden gehalten sommers von 7 - 8 Uhr, winters von 1 - 2 Uhr, die für das männliche Geschlecht in 3 Abteilungen zu gleicher Zeit vom Schul- meister Barth, Provisor Nieth und Reutter, für das weibliche Geschlecht vom Schulmeister Wörthle, Schulmeister Fecht und Provisor Rupp. Auch hier ist zu sehen, daß die Gehälter von den verschiedensten Stellen bezogen wurden und immer aus Geld- und Sachzuwendungen bestanden. Eine Industrieschule bestand im Spital neben der Pflichtschule. Dabei waren angestellt: 1 Spinnmeister, der in Baumwollen- und Wollenspinnen unterrichtet: 1 Lehrerin für den Unterricht in Flachsspinnen, im Stricken und Nähen. 1 Lehrerin für den Unterricht im Strohflechten und Strohverarbeiten, bei welchem letzteren Geschäft auch andere, als nur Spitalkinder, und auch Konfirmierte mitarbeiten, und sich zum Teil über die Schulzeit verweilen, weil hierbei ein kleiner Verdienst zu erwerben ist. 462 Die wenigen Juden, die hier waren, schickten ihre Kinder in die hiesigen Schulen, "nach dem Dekret vom 12. Juli 1825". Verfertigt im Dezember 1827 von Dekan Neuffer. Aus den Aufstellungen geht hervor, daß die meisten Lehrer um 400 Gulden an Geldzuwendungen und ungefähr 60 Gulden an Naturallieferungen erhielten. Während der Elementarschullehrer aber an Martini-, Neujahr-, Ein- und Austrittgeldern 117 fl bezog, und der Mädchen-Schulmeister ebenfalls zwischen 100 und 120 fl solche Einnahmen hatte, fehlen sie beim Knabenschullehrer völlig,. Beim Schulmeister des Spitals belief sich dieser Betrag auf 10 fl. 1845 gab es in Hall, das damals 6 856 Einwohner hatte, an der Lateinschule 3 Klassen mit 3 Lehrern, außerdem einen Lehrer der französischen Sprache und 2 "Zeichnungslehrer". Die Realschule war 1838 neu eingerichtet worden. Sie wurde in der Oberamtsbeschreibung aufgeführt, im Pfarrbericht aber nicht erwähnt. Es gab dort 4 Knaben- und 6 Mädchen-Klassen mit 4 Schulmeistern, 2 Unterlehrern und 4 Gehilfen.1695 Hall hatte ein Privatschullehrerseminar und die Wilhelmsanstalt für Waisen und arme Kinder seit 1841. Die Volksschulen waren wie folgt aufgeteilt: Knabenschule Obere Knabenschule Schulmeister 86 Knaben Lehrgehilfe 87 Knaben Elementar-Schule Schulmeister 79 Knaben Lehrgehilfe 108 Knaben __________ 360 Knaben Mädchenschule Obere Mädchenschule Schulmeister 76 Mädchen Unterlehrer 72 Mädchen Lehrgehilfe 72 Mädchen Untere Mädchenschule Schulmeister 74 Mädchen Unterlehrer 66 Mädchen Lehrgehilfe 107 Mädchen ___________ 467 Mädchen zusammen 827 Kinder. 1695 Beschreibung des Oberamts Hall von 1847, S. 136. 463 Jeder Lehrer hatte eine eigene Klasse und gab 3 - 4 Schulstunden für die Kinder von 6 - 8 Jahren. Es wurde angegeben: "Die Verordnung vom 4. Februar 1826 über den Schuleintritt wird eingehalten", und "Die Lehrfächer werden gehalten nach der Generalschulordnung vom 26.12.1810". Die Sonntagsschule fand nach dem Gottesdienst statt. Die Arbeitsschule war seit 1842 neu organisiert. Die Knaben lernen Strohflechten und Solbandschuhflechten, die Mädchen Spinnen, Stricken, Nähen und Bügeln. Auch die konfirmierten Mädchen erhielten kostenlosen Unterricht. Die Freischüler, also konfirmierte Jugendliche, besuchten die Industrieschule. Sie bezahlten kein Schulgeld. Das Lokal war im Spital. Die hier angestellten 4 Lehrerinnen wurden auch vom Spital entlohnt“. Seit dem 31. Oktober 1841 gab es neben der Kleinkinderschule die "Rettungs- anstalt für verwahrloste Kinder", die „Wilhelmsanstalt“, in der Kinder zwischen 6 und 14 Jahren versorgt wurden. Hausvater war der Schulmeister von Appenweiher, seine Frau die Hausmutter. Täglich wurden 5 Stunden Schule gehalten, das Kostgeld betrug 30 bis 36 fl im Jahr. "Augenblicklich sind dort 21 Kinder, 14 Knaben und 7 Mädchen. Sie lernen Spinnen, Stricken und Nähen“.1696 Im Sommer 1845 wurde durch zwei Lehrer der Mädchenschule eine „Höhere Töchterschule“ gegründet, an der Mädchen im Alter von 11 bis 16 Jahren in zwei Abteilungen unterrichtet wurden. Wöchentlich wurden 12 Lehrstunden gehalten, sommers von 10 - 12 Uhr, winters von 3 - 5 Uhr. Es wurden Lesen, Geographie, und Literaturgeschichte gegeben, außerdem Sprachlehrer, Aufsätze, Rechnen, Schönschreiben und Zeichnen, auch Geschichte, Naturgeschichte und Gesang. Dazu gab es 2 Turnstunden. Die Schule wurde am 1 Juli 1845 mit 28 Schülerinnen eröffnet. Die Volksschule hatte im Jahre 1845 357 Knaben mit 5 Lehrern und 483 Mädchen mit 6 Lehrern, davon 27 aus Tullau. Zu diesen 840 Kindern kam noch die Wilhelmsanstalt, die „Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder“, mit 64 Kindern, und die Kleinkinderbewahranstalt mit 66 Kindern. Insgesamt zählte man in diesem Jahr also 970 Schulkinder. Hall hatte damals 6 876 Ortsangehörige. Der Anteil der Kinder war 14%. An der Knabenschule waren 5 Lehrer, und zwar 2 Schulmeister, 1 Unterlehrer und 2 Lehrgehilfen. An der Mädchenschule waren 6 Lehrer, und zwar 2 Schulmeister, 2 Unterlehrer und 2 Lehrgehilfen. Die Verordnung über den Schuleintritt vom 4. Juli 1816 wurde eingehalten, auch die im Volksschulgesetz von 1836 vorgeschriebenen Lehrfächer. 1696 Pfarrbericht Hall, 1843. 464 Neu organisiert wurde die am 1. Juli 1842 eingeführte Hospital-Industrie- und Arbeitsanstalt für arme Kinder. Diese erhielten Unterricht in 1. Spinnen von Flachs, Werg und Hanf, sowohl am Rädchen, als auch an der Spindel, 2. im Stricken von Strümpfen und Socken, 3. im Nähen, und zwar sowohl im Weißnähen, als auch im Kleidermachen, 4. im Flicken, Bügeln und Fälteln, 5. im Fertigen von Winterschuhen und Tuchleisten. Armen und Notleidenden sollte hier eine Gelegenheit für einen notdürftigen Verdienst geboten werden. Die 4 Lehrerinnen wurden vom Spital entlohnt. Die Aufsicht erfolgte durch den Spitalmeister. Die Kosten dieser Schule waren höher als die Erlöse aus den Verkäufen und wurden vom Spital getragen: Kosten für die Besoldung 505 f Ausgaben insgesamt 982 f 14 xr Materialkauf 244 f Arbeitsverdienst 184 f ___________ Ausgaben 1 915 f 14 xr ========== Erlöse aus den Fabrikaten 539 f Beiträge aus öffentlichen Kassen 500 f ______ 1 039 f ====== 1697 Das Spital war also durchaus bereit, ein Defizit zu tragen um den Preis, Kinder vom Bettel abzuhalten und an eine geordnete Arbeit zu gewöhnen. Anscheinend gab es mit der Sonntagsschule Schwierigkeiten wegen des geordneten Besuchs.1698 Nach der Oberamtsbeschreibung von Hall hatte die Stadt 1847 6 836 Einwohner, und zwar 6 783 Evangelische und 53 Katholiken. Sie wohnten in 1 340 Gebäuden. Hall hatte vier Kirchen. 1). Die Lateinschule hatte 3 Klassen und 3 Lehrer, und zwar einen Lehrer der französischen Sprache und zwei Zeichnungslehrer. Das Gymnasialgebäude war bei der Michaelskirche. Die Schule hatte 115 Schüler. 2). Die 1838 neu errichtete Realschule hatte 2 Klassen, 2 Hauptlehrer und einen Hilfslehrer. 1697 Pfarrbericht Hall, 1846. 1698 Pfarrbericht Hall, 1843 465 3). Die Deutsche Schule - Volksschule - wurde 1615 mit fünf Klassen gegründet und hatte später sechs Klassen. Im Jahre 1847 hatte sie 4 Knaben- und 6 Mädchenklassen. 2 Klassen waren im Hospital, 8 Klassen im neuerbauten Schulgebäude. Unterricht gaben 4 Schulmeister, 2 Unterlehrer und 4 Lehrgehilfen. Seit 1727 bestand eine „Katechetenschule“ für Bürgerstöchter. 4). Das Privatschullehrerseminar hatte 30 - 40 Zöglinge. Die 1841 gegründete „Wilhelmsanstalt“ befand sich im Nonnenkloster und war eine Erziehungsanstalt für Waisen. 1845 waren dort 64 Kinder. Die Industrieschule gab Unterricht im Spinnen, Nähen, Bügeln und Schuhflechten aus Tuchenden. Sie war schon 1761 als Baumwollspinnanstalt für arme Kinder gegründet worden und war später eine Strohflechtanstalt. 4 Lehrerinnen erteilten dort Unterricht. Die Kleinkinderbewahranstalt, 1834 gegründet, hatte zwischen 70 und 150 Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren.1699 1852 waren 394 Buben und 491 Mädchen an der Schule, insgesamt also 885 Kinder. 1861 waren es weniger Kinder. Man zählte 286 Buben und 393 Mädchen. Die Jungen waren nun auf 4 Klassen, die Mädchen auf 5 Klassen verteilt. Jede Klasse hatte einen eigenen Lehrer, an der Knabenschule also 4 Lehrer, an der Mädchenschule 5 Lehrer. Statt der Sonntagsschule gab es eine Winterabendschule, an der von November bis April für konfirmierte Töchter 2 Stunden, für konfirmierte Söhne 3 Stunden Unterricht erteilt wurde. Die Kinderbewahranstalten befanden sich dieseits und jenseits des Kochers. Sie wurden aus Mitteln der Hospitalverwaltung unterhalten und standen unter der Aufsicht des Stiftungsrates. Es ist nicht angegeben, welche und wieviele Kinder hier versorgt wurden. Die Industrieanstalt, ebenfalls im Hospital und von diesem verwaltet, beschäftigte 15 Knaben unter Aufsicht eines Lehrers im Korbflechten, außerdem unter der Aufsicht von 3 Lehrerinnen 103 arme Mädchen im Stricken und Häkeln. Es gab in Hall auch eine Gartenbauschule mit 18 Schülern. In der "Zeichnungsschule" wurden außer den lateinischen und den Realschülern auch 30 Volksschüler unterrichtet.1700 1879 hatte Hall ein Gymnasium und eine Realanstalt. Die Volksschule hatte 6 Klassen für 441 Knaben und 7 Klassen für 515 Mädchen. Für diese 13 Klassen gab es aber nur 11 Lehrer. Im Jahre 1879 waren in Hall also 956 Kinder in der Volksschule. In dem Filial, der Konfessionsschule Comburg, waren 1 Lehrer und 96 Schüler.1701 1699 Beschreibung des Oberamts Hall, 1847. 1700 Pfarrbericht Hall, 1861. 466 Vakanzen gab es im Jahr a.(1858) insgesamt 39 Tage, davon 30 Schultage, b.(1859) insgesamt 38 Tage, davon 29 Schultage, c.(1860) insgesamt 37 Tage, davon 29 Schultage. Im Jahre 1886 hatte Hall für jede der 14 Volksschulklassen einen Lehrer. Die 466 Knaben und 507 Mädchen, insgesamt also 973 Schüler, verteilten sich auf 14 Klassen. Im Pfarrbericht wurde außerdem vermerkt, die Haller "halten sich etwas zugute auf das blühende Unterrichtswesen".1702 Es gab seit eineinhalb Jahren in Hall, wo zu diesem Zeitpunkt 594 Katholiken wohnten, auch eine katholische Konfessionsschule. Auch stand der Bau der katholischen Kirche, die man in der Brenzstadt unbedingt haben wollte, kurz vor der Vollendung. 1898 hatte Hall 8 337 Evangelische und 674 Katholiken, 20 Angehörige einer anderen Religionsgemeinschaft und 142 Israeliten. Über die Schule wurde nur noch kurz berichtet, daß sie 14 Lehrer habe, und zwar 11 ständige und 3 unständige, und daß 851 Kinder die Schule besuchten, und zwar 405 Knaben und 446 Mädchen. Die Sonntagsschule wurde in 6 Abteilungen gehalten, entsprechend einem Gesetz vom 22. März 1895. Der Jahrgang 1883 umfaßte 72 Mädchen, der Jahrgang 1882 76 Mädchen, und der Jahrgang 1881 69 Mädchen. Für die Söhne gab es eine Fortbildungsschule, an der in 3 Abteilungen unterrichtet wurde. Es waren vom Jahrgang 1883 22 Söhne, vom Jahrgang 1882 ebenfalls 22, und vom Jahrgang 1881 35 Söhne. Für die 80er und 90er Jahre wurde bei der Besprechnung der Schule nur noch Wert auf den Religionsunterricht gelegt. Auch in der Pfarrbeschriebung des Jahres 1905 wurde unter dem Thema „Schulen“ nur der Religionsunterricht abgehandelt. Über den Religionsunterricht wurde vermerkt. Die beiden oberen Klassen der Volksschule, Knaben und Mädchen, hatten je 2 Stunden Religionsunterricht in der Woche durch den Geistlichen. An der Höheren Töchterschule wurde der Religionsunterricht an den Oberklassen durch den Rektor oder einen anderen, theologisch vorgebildeten Lehrer, gegeben. Am Gymnasium und an der Realschule gaben von der 5. Klasse an aufwärts die Geistlichen den Religionsunterricht. Zum Unterricht und der Schulaufsicht wurde angemerkt: 1. Ortsschulaufsicht hat der 2. Stadtpfarrer. 2. Derselbe hat auch 2 Stunden Religionsunterricht in der Mädchenschule, diesen im Wechsel mit dem 3. Stadtpfarrer. 1701 Pfarrbericht Hall, 1879. 1702 Pfarrbericht Hall, 1886. 467 3. Konfirmandenunterricht hat jeder Stadtpfarrer für die Konfirmanden seines Bezirks. 4. Beteiligung am Reigionsunterricht der Fortbildungsschule erfolgt je nach Bedürfnis. In Heidenheim wurde "der nicht pensionsfähige Lehrer" Johann Georg Conz (geboren am 3. November 1793, also 43 ½ Jahre alt) am 11. November 1814 als Provisor perpetuus an der Mittelschule angestellt. Er hatte 90 Kinder beiderlei Geschlechts zu unterrichten, winters und sommers jeweils 5 Stunden. Er gab nebenher noch Privatunterricht, "besonders in Musik", was ihm jährlich ungefähr 140 Gulden einbrachte. 1826 hatte er eine Prämie von 12 Gulden erhalten. Er war Mitglied der Schullehrerkonferenz und der Lesegesellschaft. Ferner wurde angemerkt, daß er zum drittenmal verheiratet war, vier wohlerzogene Kinder hatte, außerdem "ein nicht ganz geringes Vermögen". Sein Einkommen hatte abgenommen, weil er den die 90 Kinder übersteigenden Betrag an einen Elementarlehrer hatte abgeben müssen, der in Abteilungen unterrichtete. Er wurde folgendermaßen charakterisiert: "Conz ist ein Mann von hellem Kopfe, schönen Gaben und soliden Kenntnissen, ein leidenschaftlicher Freund der Musik. Er besitzt große Geschicklichkeit, die Kinder durch Freundlichkeit zu leiten und an sich zu ziehen. Er ließ sich sein Amt sehr angelegen sein, bis er diesen Winter an einer Unterleibslähmung schwer erkrankte, die ihn bis jetzt am öffentlichen und privaten Unterricht verhinderte und ihn nötigte, einen Hilfslehrer zu halten. Seine Ehe und sein Wandel sind unbescholten und er genießt in der ganzen Stadt viel Achtung und Anhänglichkeit. Über den Elementarlehrer hieß es: Der Elementarlehrer Johann Christoph Toberer ist geboren zu Unterriexingen am 20. April 1810, mithin 29 Jahre alt, und seit dem 8. März 1836 mit consist. Erlaubnis verheiratet und Vater von zwei kleinen Kindern. Durch seine Frau hat er ein ziemliches Vermögen erheiratet. Er unterrichtet seit Georgi 126 Kinder beiderlei Geschlechts im 6. und 7. Jahre in Abteilungen täglich 6 Stunden und gibt daneben wegen seiner angegriffenen Brust nur noch eine Privatstunde, die ihm jährlich 20 fl einbringt. Der Ertrag seiner Schulgelder hat zugenommen. Er hat noch keine Prämie, aber 1832 eine Belobung erhalten, welcher er jetzt wohl noch würdiger wäre. Er nimmt auch teil an der Konferenz der Lesegesellschaft. Toberer hat eine offene und einnehmende Bildung, viel natürlichen Verstand und eine ausgezeichnete Gabe, mit Kindern umzugehen und sie zu fesseln. Seine Gaben und Kenntnisse, seine Lehrart und namentlich sein Fleiß, auch seine Schulzucht, verdienen eine rühmliche und auszeichnende Erwähnung. Die ganze Gemeinde ist voll des Lobes, besonders die älteren seiner Schulkinder. 468 Sein Wandel ist unbescholten, seine Ehe aber ohne seine Schuld durch eine schlechte Schwiegermutter und eine rohe, eifersüchtige Frau, nicht glücklich. Er hat viel Geschick im Gesang, aber eine schwache Brust".1703 Neben den beiden Schulmeistern der Volksschule wurden noch die Lehrer der Mittelschule erwähnt, sodann die jeweilige Zahl der Schüler. die Verordnungen über den Schulein- und -austritt, die gegebenen Lehrfächer, die Schulzucht, die Schulbücher, das Diarium, den Zustand der Schule, die Schulversäumnisse, die Vakanzen, die Visitationen durch den Pfarrer, den Religionsunterricht, die Sonntagsschule und die Rezesse. Nach der Pfarrbeschreibung der ehemaligen Freien Reichsstadt Isny aus dem Jahre 1827, die 1803 zunächst an den Grafen von Quadt und im Oktober 1806 an Württemberg gekommen war, gab es in der Stadt „zwei schon immer bestehende Schulen, nämlich eine Knaben- und eine Mädchen-Schule, außerdem eine Elementar- oder Provisorats-Schule für Knaben und Mädchen der untersten Klassen, „die aber erst seit 2 Jahren durch einen Privaten auf seine eigenen Kosten auf das Bestehen von 10 Jahren errichtet worden ist“. In früheren Zeiten bestand hier auch eine "Rektoratsschule", die aber im Jahre 1800 aufgelöst wurde. Im Jahre 1818 übernahm der Stadtpfarrer Schönamsgruber1704, der Verfasser dieses Pfarrberichtes, neben der zweiten Stadtpfarrstelle auf Verlangen auch den Unterricht an der höheren Knabenschule und erhielt dafür eine Zulage von 20 fl aus der Kirchenpflege, die von der Königlichen Regierung bestätigt wurde, außerdem ein Schulgeld und 5 Fuder Wasen oder Torf im Wert von 8 fl. Im Jahre 1823 wurde ein zweiter Pfarrer angestellt, und man begann, eine höhere Knabenschule ins Leben zu rufen. Die Lehrerstelle dort wurde mit 100 fr honoriert. Die Königliche Regierung hatte diese Regelung bestätigt. An der Schule gab es zwei ordentliche Lehrer, einen für die Knaben-, einen für die Mädchenschule. Außer diesen gab es noch den schon erwähnten Elementarlehrer oder unabhängigen Provisor für Knaben und Mädchen zugleich. 1705 Das Vorschlagsrecht zur Besetzung der Schulstellen hatte die Stadt. Sie konnte drei Kandidaten vorschlagen, "und das Königliche hochpreisliche Ober-Konsisto- rium" hatte einen davon zu wählen. Im Juni 1822 wurde zum letztenmal eine Lehrerstelle an der Mädchenschule besetzt. An der Provisoratsschule als Privatschule hatten dieses Recht die Stifter, wenn ein Lehrer in Vorschlag zu bringen war. Die Unterrichtsstunden bestanden sommers und winters in 5 Stunden, 3 vormittags von 8 - 11 Uhr, und 2 nachmittags von 1 - 3 Uhr. 1703 Pfarrbericht Heidenheim 1839, Stadtpfarrer und Dekan M. Heinrich Christlieb, Sigel Nr. 120,41. 1704 Christian Ernst Schönamsgruber (23.10.1783 - 30.1.1846), Sigel Nr. 564,18. 1705 Pfarrbeschreibung Isny, 1827. 469 Die Kinder waren in jeder Schule in 2 Klassen aufgeteilt. Die Anzahl der Schulkinder belief sich a). in der Knabenschule auf 60 b). in der Mädchenschule auf 65 c). in der Elementarschule auf 55 ___ 180 Kinder. Das Schulgeld von jedem Kind belief sich jährlich auf 1 fl 3 xr. Sonst hatte ein Lehrer keinen Anspruch auf Geschenke oder sonstige Abgaben. Der Knabenschulmeister hatte eine von der Gemeinde gemietete Wohnung, die sowohl für die Schulkinder, als auch für seine Familie und ihn bestimmt war. Alle Baureparaturen hatte der Eigentümer des Hauses zu tragen. Die Schulstube war hell, hoch und gesund. In der Knabenschule hatte der Eigentümer die Baulichkeiten zu tragen, und es war auch der Zins in Höhe von 40 fl danach reguliert. Der Zins für das Lokal wurde von der Stadtpflege bezahlt. Für die Mädchenschule gab es ein von der Stadtgemeinde erst vor einigen Jahren angekauftes, der Stadt eigenes Haus, worin der gehörige Raum für die Haltung der Schule sowohl, als für die Wohnung der Familie des Schullehrers war. Das Lehrzimmer war hell und gesund. Es ließen sich noch mehrere Zimmer im Hause einrichten. Die Bauverbindlichkeiten in der Mädchenschule hatte die Stadtpflege zu bestreiten. Die Provisoratsschule wurde in einem Hause gehalten, das dem Gründer und Stifter dieser Schule als Eigentum gehörte. Ort und Raum waren zweckmäßig und gesund. In der Elementarschule besorgte die Stadt die Einrichtung der Schule. Es wurde außerdem festgehalten, daß der Knaben- und der Mädchen-Schullehrer jeder 12 Klafter weiches Holz als Besoldungsteil erhielten. Sie mußten davon die Lehrzimmer heizen. Auch bekamen sie noch eine Zugabe von Torf. Das Brennholz zur Elementarschule wurde ebenfalls von der Gemeinde angeschafft. Für das Sägen und Spalten des Holzes wurde dem Lehrer nichts vergütet. Die Schulmobilien und sonstigen Utensilien wurden teils aus der Schulkasse, teils von der Kirchenpflege, teils von der Reinölschen Stiftung für verwaiste Kinder angeschafft, je nachdem es der eine oder andere Fonds leichter bestreiten konnte. Sie waren großenteils noch in gutem Zustande. Zur Anschaffung einer Schulleihbibliothek, die sich in der höheren Knabenschule befand, aber auch den übrigen Lehrern zu Diensten stehen sollte, hatte ein Schulfonds 100 fl hergegeben. Als Schulstiftung wurde die oben erwähnte Reinölsche Waisenstiftung angesehen. Aus dem Schulfonds wurden am letzten Kinderfest 11 fl 27 xr für Prämien, in nützlichen Büchern und Landkarten bestehend, verwendet". 470 Der vormalige Bestand des Schulfonds war 13 f 53 xr neue Einnahme 9 f 30 xr _________ 23 f 23 xr Seitherige Ausgaben 21 f 43 xr _________ Der gegenwärtiger Kassenbestand war mehr als gering 1 f 40 xr Das Diensteinkommen des Knaben- und Mädchenschulmeisters war gleich hoch und bestand bei jedem "nach der neuesten revidierten Kompetenz und Fasson in 318 fl Besoldungsteilen: Von den 4 hiesigen Stiftungen in Geld 113 f von der Stadtpflege 19 f Naturalien 6 Schfl Roggen 30 f die Hälfte des Holzes 18 f der Gartengenuß 6 f Schulgeld ca. 132 f ____ zusammen 318 f Der Knaben-Schullehrer war zugleich auch Leichen-Kantor und hatte als solcher kein fixes Gehalt, sondern nur Anspruch auf jährliche Akzidentien in Höhe von ungefähr 12 - 15 fl. Dagegen hatte er weniger Schüler, da es mehr Mädchen als Knaben gab. Der Mädchen-Schulmeister hatte kein Nebenamt. Das Dienstein- kommen des Schulprovisors bestand in barem Geld von 300 fl und wurde von dem Stifter dieser Schule bezahlt. Die Sonntagsschule wurde vom Knaben- und Mädchen-Schullehrer vorschriftsmäßig gehalten. In der Knabenschule wurde an einem Sonntag gerechnet, am anderen diktiert geschrieben, am dritten fanden Lehrübungen statt. In der Mädchenschule wechselte der Unterricht auf folgende Art: Am ersten Sonntag wurde ½ Stunde Vorlesung und Haabs Lehrbuch vorgenommen, die andere halbe Stunde auf der Tafel gerechnet. Am zweiten Sonntag wurde Naturlehre und Kopfrechnen betrieben, am dritten. Sonntag Vaterlands- und allgemeine Geschichte mit Geographie, am vierten Sonntag Briefeschreiben und andere Aufsätze, auch wieder Kopfrechnen, am fünften Sonntag Leseübungen in der Bibel und zugleich Biblischen Geschichte, abwechselnd auch im württem- bergischen Gesangbuch "mit Rücksichtnahme des Richtig- und Schönlesens und deutscher Sprachlehre". Es wurden auch immer Hausaufgaben gemacht und mitgebracht. Juden befanden sich keine in der Parochie. Der Pfarrbericht von 1827 war unterschrieben von Stadtpfarrer Schönamsgruber 1706 und dem Dekan Landerer vom Dekanat-Amt Biberach.1707 1706 Christian Ernst Schönamsgruber (23.10.1783 - 30.1.1846), in Isny 1823 - 1846, Sigel Nr. 564,18. 471 Im Jahre 1885 schrieb der Pfarrer in seinem Bericht über die Organisation der Schule: Die Zahl der evangelischen Schüler beträgt 171 Schüler: und zwar:Knabenschule 35 Mädchenschule 52 Elementarschule 73 _____ Volksschule 160 Realschule 11 _____ 171 In der Elementarschule wurde Abteilungsunterricht gegeben. Zu den Lehrern wurden folgende Angaben gemacht: 1. Knabenschullehrer war Johann Georg Bär, geboren am 6. März 1826. Er war verheiratet und Vater von 4 Kindern. Er war seit 37 Jahren im Dienst, seit 24 Jahren definitiv, seit 8 Jahren hier in Isny. Er unterrichtete sommers und winters 30 Wochenstunden, 2 Stunden Religionsunterricht des Geistlichen eingerechnet. Bär führte einen durchaus geordneten Lebenswandel, war ein fleißiger, treuer und frommer Lehrer, auch als Organist ganz genügend, als Chordirigent willig und eifrig. 2. Röser, Carl, Mädchenlehrer, geboren am 9. August 1852, verheiratet, Vater von 3 Kindern, seit 13 Jahren definitiv, seit 3 ¾ Jahren hier als Mädchenlehrer, war ein kenntnisreicher, fleißiger, geschickter und ehrgeiziger Lehrer. Ehe und Wandel waren geordnet. Als Kantor war er nur ziemlich gut. Er unterrichtet sommers und winters in 30 Wochenstunden, 2 Stunden Religionsunterricht des Geistlichen eingerechnet. 3. Schaaf, Christian, geboren am 27. April 1860 in Aichstett O.A. Welzheim, seit 8. Januar 1885 definitiv, früher in Schramberg; hat von dort her ausgezeichnete Zeugnisse, denen er sich würdig zeigte. Er hatte keine kirchlichen Funktionen. Er gab Abteilungsunterricht in 34 Wochenstunden. Zum Zustand der Schule hinsichtlich der Religionskenntnisse und Zucht hieß es daß die Kenntnisse der Knabenschule in Biblischer Geschichte, Glaubens- und Sittenlehre "ziemlich. gut"., im Memorieren "gut" waren. Die Disziplin war mild, vielleicht zu mild, doch genoß Bär bei seinen Schülern den nötigen Respekt. Die Kenntnisse der Mädchenschule waren in allen Religionsfächern gut, die Disziplin stramm. Glaubens- und Sittenlehre wurde in den beiden Oberklassen nicht systematisch gegeben. Die Disziplin der Elementarschule war gut, wie auch die Religionskenntnisse im Memorieren und in Biblischer Geschichte.1708 1707 Pfarrbeschreibung Isny, 1827. 1708 Pfarrbericht Isny, 1885. 472 Im Jahre 1907 hatte Isny 2 881 Einwohner, und zwar 962 Evangelische und 1 917 Katholiken. Weitere 126 Evangelische wohnten in katholischen Nachbarorten, 120 befanden sich in der Lungenheilanstalt Überruh. Zum Thema Schulen schrieb der Pfarrer von Isny 1907, daß das Schulwesen in gutem Zustand war. Es waren 3 Lehrer und 121 Schüler hier. Der 1. Geistliche gab bisher in beiden Oberklassen den Religionsunterricht. Der Lehrer Karl Röser, geb. 9. August 1852, seit 1876 hier, war seit 1893 1. Lehrer und Aufsichtslehrer an der Mädchenklasse. Seine Amtsführung war gut, und lobenswert, sein Wandel geordnet, sein Wesen durch Stolz je und je unsympathisch, nicht immer verträglich. Er gab auch an der Mädchen- Fortbildungsschule Religionsunterricht, aber hier auch der 1. Geistliche. Georg Wilhelm Bauder, geb. 16. August 1869, war seit 1903 Lehrer an der Knabenklasse. Seine Amtsführung war gut und aller Anerkennung wert, sein Wandel geordnet; er war ein tüchtiger Lehrer und Mensch. Bis April 1907 war Hermann Rumpp, geb. am 7. Oktober 1873, seit Sommer 1902 hier Lehrer. Er hatte bis 1903 provisorisch Anteil am Organistendienst. 1903 wurden die kirchlichen Dienste ganz unter die drei Lehrer geteilt. Römpp war Hauptorganist. Sein Wollen war besser, als sein Können. Das Choralspiel war richtig und sicher. Rumpp war bisher Mitorganist und Kantor, als solcher stimmlich unzureichend, spielte gut und mit Kraft, aber mit zu wenig Seele. Er war aber ein tüchtiger Musikmeister und Dirigent, von gefälligem Benehmen und gutem Wandel. Bei Röser und Rumpp blieb die persönliche Tiefe zu vermissen. Der Lehrerfachstandpunkt verdarb das religiöse Empfinden und Leben. Bauder war ein redlich strebender Mensch. Persönlich standen sie äußerlich geordnet zum kirchlichen Leben, untereinander nur leidlich. Es war auch seit 1903 nicht immer so gut, wie letztmals gehofft. Der Zustand der Schule in Absicht auf Religionskenntnisse und Zucht. Stand des Memorierens lt. Georgii-Schulvisitaion in der Mädchenklasse H. Röser g./rg. in der Knabenklasse H. Bauder g./rg. Stand der Biblischen Geschichte bei Beiden g./rg. Stand des geistlichen Gesanges g./rg. Es ist auffallend, daß im Laufe der Jahre auch hier zu den eigentlichen schulischen Problemen immer weniger Stellung genommen wurde. Was bis zur Jahrhundert- wende und auch noch danach in den Pfarrberichten immer von Bedeutung war und blieb, war der erteilte Religionsunterricht, der immer in aller Ausführlichkeit beschrieben wurde. 473 An der Tatsache, daß am Ende unseres Berichtzeitraumes nur noch der Religionsunterricht eine Rolle spielte, während die Schule selbst, ihre Beschaffenheit, die Lehrer, ihre Personalien, ihre persönlichen Verhältnisse sowie die Schulfächer überhaupt nicht mehr erwähnt wurden, läßt sich der schwindende Einfluß der Kirche auf das Schulwesen ablesen. Der Unterricht, die früher so wichtige Schulzucht, die Verteilung der Fächer oder der Aufteilung der Kinder auf die einzelnen Lehre,. alle diese Dinge waren am Ende des Jahrhunderts allem Anschein nach nicht mehr wichtig und konnten übergangen werden. Auch in Langenburg wurde 1828 in dem Bericht über die Schule zunächst erwähnt, daß eine lateinische und 2 deutsche Schulen für Knaben und Mädchen vorhanden waren und die eingepfarrten Orte keine eigene Schule besaßen. Außer Mittwochs und Samstags wurden vormittags und nachmittags je 3 Stunden Schule gehalten“. Im Jahre 1828 waren 63 Knaben und 63 Mädchen zu unterrichten. Die Kinder bezahlten im Vierteljahr 8 Kreuzer Schulgeld. Ein Schulhaus mit einer Lehrerwohnung war vorhanden. Die Sonntagsschule war Sonntags von 1 - 1¾ Uhr. Der Lehrer verdiente 207 Gulden und 24 Kreuzer. Daneben hatte Langenburg noch eine Industrieschule, an der eine Lehrerin Mittwochs und Samstags von 12 - 4 Uhr Unterricht im Nähen, Stricken und Spinnen gab. Die Oberaufsicht an dieser Schule hatten „hiesige angesehene Frauen“.1709 1847 unterrichtete in Langenburg der Schulmeister Zeiher, der zugleich lateinischer Elementarlehrer war. Über ihn wurde berichtet: Schulmeister dahier ist Johann Christian Zeiher, geboren 1. August 1808, mithin bald 39 Jahre alt, auf dieser, seiner ersten Stelle, 14 ½ Jahre. Er ist verheiratet , hat keine Kinder und besitzt einiges Vermögen. Gehilfen hat er keinen". Die Zahl seiner Schulkinder betrug im letzten Winter 62, und Unterrichtsstunden gab er außer Mittwoch und Samstag, an welchen der beiden Tage der Nachmittag frei war, täglich 5. Daneben gab er noch mehrere Privatstunden, die ihm ungefähr mit 6 - 8 f bezahlt wurden, im Ganzen ca. 45 - 50 f eintragen. Er war zugleich lateinischer Elementarlehrer, erteilte aber auch den Schülern der oberen Klassen den Sing- und Rechenunterricht am Samstag- und Mittwoch- Nachmittag. Schulamtszöglinge, deren er immer welche gebildet hat, hatte er 1828 keine, der letzte trat in diesem Frühjahr in das Eßlinger Seminar über. Im Jahr 1838 hatte er wegen seinen Bemühungen um den vierstimmigen Gesang, im Jahr 1839 wegen seiner Amtsführung überhaupt eine Prämie erhalten. 1709 Pfarrbeschreibung Langenburg, 1828. 474 Er nahm an der Schulkonferenz und der Diözesan-Schullehrer-Lesegesellschaft Anteil, und war auf stetige Fortbildung eifrig, "vielseitig und umsichtig bedacht". "Sein Fleiß im Amte ist unermüdlich, nicht ohne Nachteil für seine Gesundheit. Seine Gaben und Kenntnisse sind recht gut, seine Lehrart und Behandlung der Kinder vorzüglich, sein Wandel ganz eingezogen und musterhaft im häuslichen und öffentlichen Leben. Dabei ist er wirklich ein Mann von wahrer Bildung“. Der Dekan vermerkte hierzu: "Mit dem nebenstehenden Urteil über Schulmeister Zeiher stimmt Visitator ganz überein. Zeiher ist ein sehr geschickter Lehrer, seinem Charakter nach ein gediegener Mann“. Zweiter Schulmeister war Samuel Egerer, geboren 8. November 1819, also 27 ½ Jahre alt, 2 ¾ Jahre auf der hiesigen Stelle und überhaupt im Amte seit 5 ½ Jahren. Er war verheiratet, hatte ein minderjähriges Kind und besaß ganz wenig Vermögen. Die Zahl seiner Schulkinder betrug im letzten Jahr 80. Von Schulstunden gab er die gleiche Zahl wie der erste Lehrer, daneben gab er aber mehrere Privatlektionen, welche ihm mit 6 f bezahlt wurden und jährlich ungefähr 50 f eintrugen. Prämien oder Belobungen hatte er noch nie erhalten, wiewohl seine Treue in allen Zweigen seines Amtes eine solche Anerkennung der Oberbehörde verdienen dürfte. Er nahm an der Schulkonferenz und der Diözesan- Schullehrer-Lesegesellschaft teil und war überhaupt auf eigene Fortbildung sehr fleißig bedacht. Seine Gaben waren im allgemeinen gut, seine Lehrgabe recht gut, er besaß gute Kenntnisse, übte wackere Schulzucht, war überhaupt sehr eifrig im Amte, und führte im häuslichen und öffentlichen Leben einen ganz musterhaften und eingezogenen Wandel". Die Zahl der Schulkinder betrug im letzten Winter 55 Knaben 87 Mädchen __________ 142 Kinder Jeder Lehrer hatte eine eigene Schulstube. Die des zweiten Lehrers wurde als geräumig beschrieben, "die des ersten hatte nur notdürftig Raum, und zwar so, daß der Lehrer nicht einmal Platz hatte, um einen Tisch zu stellen. Sowohl in Bezug auf den Eintritt der Kinder in die Schule, als in Betreff ihrer Entlassung daraus und der Konfirmation wurden die Verordnungen von 1810 befolgt. Die vorgeschriebenen Fächer wurden unterrichtet, die Lehrer hielten sich dabei an keine besondere Methode, sondern wendeten "im Alten und Neuen in selbständiger harmonischer Verbindung das Beste an". Das Auswendiglernen der Sprüche und Lieder wurde sorgfältig betrieben, auch mußten die Kinder Verzeichnisse über die memorierten Lieder führen. 475 Die Schuldisziplin war vortrefflich, und dabei wurde "besonders in der ersten Schule das überall wachsame und das Ganze still und kräftig beherrschende Auge des Lehrers" erwähnt, das nur selten der Beihilfe des Stockes bedurfte. Die vorgeschriebenen Schulbücher waren vorhanden, auch wurde der Unterricht in Geographie durch die Anschaffung guter Schulkarten erleichtert. Die Schuldiarien wurden nach der vorgeschriebenen neuen Form geführt, ebenso das Sittenregister, Schulrezeßbuch und das Verzeichnis der veränderlichen Einkommensteile. Der Zustand der Schule hinsichtlich der Kenntnisse und eines regen Geistes unter den Kindern konnte mit Rücksicht auf die Mehrzahl recht gut genannt werden, "wenn aber dabei eine nicht geringe Ungleichheit freilich auch nicht zu leugnen ist, und namentlich hinsichtlich der ersten Schule die Wahrnehmung ausge- sprochen werden muß, daß gerade die ältesten Jahrgänge um ein Merkliches weniger begabt sind, als die Nachrückenden: so wird der Zustand im Ganzen wenigstens gut zu prädizieren sein. Es können hierbei nicht wohl einzelne Fächer besonders hervorgehoben werden, am meisten eignen sich hierzu noch das Rechnen und das Singen". Die Schulversäumnisse hatten nicht zugenommen, wurden in der Tabelle wahrheitsgemäß verzeichnet, und die ungesetzlichen waren selten. Von Seiten des Geistlichen und des Lehrers, besonders des Kirchen- konvents, wurden alle pünktlich nach den Gesetzen geahndet. Ein Verdingen der Kinder kam hier nicht vor, doch sah man sich in Betracht der bedrängnisvollen Zeit veranlaßt, einer Familie, die sonst einen Hirtenknaben von auswärts herdingte, und hierzu dieses Jahr durchaus nicht die Mittel hatte, zu erlauben, daß ihre zwei Kinder abwechselnd in der Woche je 1 ½ Tage, zusammen also 3 Tage, um das Hirtengeschäft versehen und die Schule versäumen durften. An Schulferien wurden gegeben im Jahr Heuernte Fruchternte Herbst Zusammen 1828 8 Tage 3 Wochen 2 Wochen 6 Wochen 1829 3 Wochen 2 Wochen 1 Woche 6 Wochen 1830 2 Wochen 2 Wochen 2 Wochen 6 Wochen 1831 1 Woche 3 Wochen 2 Wochen 6 Wochen 1832 1 Woche 3 Wochen 2 Wochen 6 Wochen. Die Schulprüfungen wurden zusammen mit dem Ortsvorsteher zweimal jährlich vorgenommen, und zwar jeweils im Mai und im November. Die Schulvisitationen durch den Geistlichen und den Diakon erfolgten jährlich zwischen 80 und 100 mal. "Die Schule wird vom Geistlichen so oft besucht, als ihm die übrigen Amtsgeschäfte erlauben, und der Religionsunterricht in Gemeinschaft mit dem Diakonus erteilt". 476 Diese Geschäfte trug der Lehrer ins Diarium ein. Es hattet die Schule besucht im Jahre 1. Schule 2. Schule Zusammen a.(1828) 89 mal 91 mal 180 mal b.(1829) 85 mal 90 mal 175 mal c.(1830) 92 mal 103 mal 195 mal d.(1831) 88 mal 74 mal 162 mal e.(1832) 50 mal 38 mal 88 mal. Religionsstunden wurden vom Stadtpfarrer und Diakonus gehalten a.(1828) 65 b.(1829) 48 c.(1830) 55 d.(1831) 44 e.(1832) 38. Der Pfarrer von Langenburg entschuldigte sich für die im letzten Jahr geringere Zahl von Prüfungen: In Bezug auf die nicht genügende Zahl von Schulbesuchen und Schul-Religions-Unterrichtsstunden in den letzten 1 ½ Jahren bemerkte der Pfarrer "erläuternd und entschuldigend", daß er in dieser Zeit teils in zwei neue Ämter und damit verbunden deren Registraturen sich einleben mußte, teils öfteren und längeren gesetzlichen Urlaub genoß, der im Ganzen 11 - 12 Wochen betrug, teils durch seine im Februar d.J. vollzogene eheliche Verbindung unendlich viele unvermeidliche Nebengeschäfte bekam, teils im letzten Winter die Tätigkeit für die Armenpflege gegen sonst verzehnfacht werden mußte, und er ein Unwohlsein von 3 Wochen zu bestehen hatte. Außerdem war bezüglich der Zahl der Religionsunterrichtsstunden in Betracht zu ziehen, daß dem Herkommen gemäß der Diakonus, der die Hälfte davon zu geben hat, durch den Konfirmanden-Unterricht am Halten des Relgionsunterrichts gehindert wurde. Der Pfarrer versuchte, durch Bemerkungen, Vorschläge, Lektüre-Mitteilungen, überhaupt durch einen freundschaftlichen Umgang an der Fortbildung der Lehrer mitzuwirken. "Übrigens muß er bekennen, wenigstens von dem 1. Lehrer in Sachen der Schule lieber sich belehren zu lassen, als selbst zu belehren". Die Sonntagschule wurde bei den Mädchen von dem ersten, bei den Söhnen von dem zweiten Lehrer, also in Absonderung der Geschlechter, gehalten. Sie wurde vom Geistlichen öfters besucht und ihr Interesse mit den Lehrern vielfach beraten. Die Visiten wurden in diesen Jahren zweimal jährlich vorgenommen. 1. Schule 2. Schule a. 1828 4. Dezember 1. Mai, b. 1829 10. Dezember 8. Mai, c. 1830 8. Dezember 28. April, d. 1831 9. Dezember 24. April, e. 1832 29. November 10. Mai. Stets wurde die ganze Altersklasse gleichzeitig, und zwar am Frühlings-Visitati- ons-Tage entlassen. 477 In den letzten Jahren waren keine Spezial-Rezesse hinsichtlich des Schulwesens hierher gegeben worden. Seit 1801 bestand in Langenburg eine Arbeitsschule, worin junge Mädchen im Nähen, Stricken und Spinnen unentgeldlich unterrichtet wurden. Besondere Schulstiftungen waren hier nicht vorhanden, und zu Prämien, Schulgeldern oder Büchern war auch nichts Bestimmtes ausgesetzt. Die ärmeren Kinder wurden jedoch genügend unterstützt. Prämien wurden nie ausgeteilt. Seit dem 1. Juli 1843 war der Schulfonds getrennt von der Stiftungs-Schulkasse und befand sich in besonderer Verwaltung. Er hatte ein Vermögen von 550 f in Kapitalien. Nach dem letzten genehmigten Etat waren die Einnahmen auf 48.10 fl, die Ausgaben auf 36.00 fl berechnet (ungefähr 7 1/2%). Im letzten Sommer wurden besondere Lehrmittel, etliche Karten für den geographischen Unterricht und die Schreiberschen Bilder für den Anschauungs- unterricht angeschafft. Die Rechnungen wurden dem Kirchenkonvent vorgelegt. Der Stadtpfarrer Müller betonte, daß hier endlich eine Kleinkinderschule zustande gekommen war, deren Zustand aber teils in Rücksicht auf das Lokal, teils in Rücksicht auf die Lehre, sehr viel zu wünschen übrig ließ, ohne daß jedoch in dieser Hinsicht vorerst ein Besseres erwartet oder verlangt werden konnte. Langenburg hatte 1847 auch noch „einen vierstimmigen Kirchenchor".1710 1850 hatte Langenburg weiterhin 2 Klassen mit 2 Lehrern und 170 Kindern, 69 Knaben und 101 Mädchen. 1862 hatte die Schule 3 Lehrer und 3 Klassen mit 159 Kindern, die sich wie folgt verteilten: 1. Schulmeister - 18 Knaben und 43 Mädchen von 9 - 12 Jahren, 2. Schulmeister - 16 Knaben und 17 Mädchen von 12 - 14 Jahren, Lehrgehilfe - 36 Knaben und 29 Mädchen von 6 - 9 Jahren. Die Unterrichtsfächer waren Biblische Geschichte, Memorieren, Deutsche Sprache, Grammatik, Orthographie, Aufsatz, Lesen, Rechnen, Realien, Zeichnen, Schönschreiben und Singen. Der Geistliche hatte in den letzten drei Jahren die Schule 255, 264 und 246 mal besucht und hatte 37, 44 und 36 Stunden Religionsunterricht gegeben. 1710 Pfarrbericht Langenburg, 1847. Ferdinand Gottlob Jakob Müller (9.6.1816 - 2.2.1897), in Langenburg 1846 - 1852, Sigel Nr. 19,18; Generalsuperintendent Gebhard Mehring (3.4.1798 - 15.5.1890), in Langenburg 1822 - 1845, Prälat in Hall 1845 - 1872, Sigel Nr. 31,6. 478 Die Vakanzen betrugen: 1865 40 Tage, 1866 42 Tage, 1867 40 Tage. Neben der Sonntags- und Kleinkinderschule hatte Langenburg 1850 auch noch eine „Arbeits-Zeichenschule“.1711 1873 war die Schule wieder in 2 Hauptklassen mit 8 Jahrgängen geteilt. Jede Klasse hatte einen Schulmeister. Das Schuleintrittsalter war das 6. Lebensjahr. Der 1. Schulmeister unterrichtete die drei ältesten Jahrgänge, also die Kinder im Alter von 11, 12 und 13 Jahren, 23 Knaben und 33 Mädchen = 56 Kinder. Der 2. Schulmeister unterrichtete die 5 unteren Jahrgänge in 2 Abteilungen, a. 2 jüngste Jahrgänge, 26 Knaben, 29 Mädchen = 55 Kinder, b.3 mittlere Jahrgänge, 25 Knaben, 29 Mädchen = 54 Kinder, zusammen also 109 Kinder. Der Stadtpfarrer und Dekan Schwarzkopf beurteilte die Leistungen in den verschiedenen Klassen wie folgt: „Oberklasse: im allgemeinen sind die Religions- kenntnisse in dieser Klasse nicht unbefriedigend. Unterklasse: Das Verhalten der Kinder gibt in beiden Abteilungen keinen Grund zu Beschwerden. Die Zahl der vom Geistlichen erteilten Religions-Unterrichtsstunden: im Jahr a 1871: Stadtpfarrer 41 im Jahr b 1872: Stadtpfarrer 38 Diakon 41 Diakon 35, also ungefähr eine Wochenstunde. In der Sonntagsschule hatte der Präzeptor Egerer die Töchter, der Kantor Dürr die Söhne. Der Memorierstoff wurde teilweise repetiert, es wurden Lieder gelesen, hie und da auch ein Kapitel aus der Heiligen Schrift. Die Schulstiftungen wurden gesetzmäßig verwaltet.1712 1882 hatte Langenburg 3 Klassen mit 2 Schullehrern und einem Provisor. Der 1. Schulmeister hatte die ältesten Kinder, 35 Knaben, 32 Mädchen = 67 Kinder, und unterrichtete 26 Stunden wöchentlich, der 2. Schulmeister hatte die mittleren Kinder, 32 Knaben, 35 Mädchen = 67 Kinder, und unterrichtete 32 Wochenstunden, der Provisor hatte die jüngsten Kinder, 25 Knaben, 26 Mädchen = 51 Kinder, und unterrichtete 26 Stunden in der Woche. Der Dekan erteilte 1881 36 Stunden Religionsunterricht, der Kaplan 73. 1711 Pfarrbericht Langenburg, 1862. 1712 Pfarrbericht Langenburg, 1873. 479 1888 waren in Langenburg 171 Schüler in 3 Klassen. Das Urteil des Pfarrers Theodor Herzog über den Religionsunterricht lautete: Oberklasse Mittelklasse Unterklasse Memorieren g - rg gut gut Bibl. Geschichte gut g - rg g - rg. Betragen der Kinder gut gut gut Die erteilten Religionsunterrichtsstunden betrugen im Jahr a (1885)- 59, im Jahr b (1886)- 62, im Jahr c (1887)- 65. Der Vermerk des Pfarrers Rudolf Günther1713 war im Jahre 1893 noch kürzer. „Das Schulwesen ist geordnet und mit tüchtigen Lehrern versehen. Die Schüler werden in 2 Klassen unterrichtet, welche je mit ständigen Lehrern besetzt sind. Die Kenntnisse im Memorieren und in Biblischer Geschichte können in beiden Klassen als gut bezeichnet werden, der geistliche Gesang ebenfalls. Auch die Zucht ist in beiden Klassen gut. Der Religionsunterricht betrug durchschnittlich nur eine Wochenstunde: Im Jahr Stadtpfarrer Vikar Obere Klasse Untere Klasse 1897 47 29 36 1898 47 21 33 1899 42 22 32 1900 46 22 29 1901 48 22 40 1902 51 15 33. In der Sonntagsschule wurden 40 Stunden jährlicher Unterricht erteilt. Der vorgeschriebene Memorierstoff wurde eingeübt. Die Pflichtigkeitsdauer erstreckte sich auf 3 Jahre.1714 Es zeigt sich auch hier, daß am Ende der Berichtszeit nur noch Wert auf den Religionsunterricht gelegt und nur noch über ihn Rechenschaft gegeben wurde, während die übrigen Belange der Schule keine Erwähnung mehr fanden. In der ersten Berichtszeit spielten die persönlichen Verhältnisse des Lehrers noch eine Rolle, sein Einkommen, seine Fortbildung, eine Fähigkeiten. Dies alles wurde nach der Jahrhundertwende nicht mehr erwähnt, wobei gesehen werden muß, daß inzwischen die Entlohnung der Lehrer Aufgabe des Staates und von dort geregelt war. Vielleicht spielte auch eine Rolle, daß die Zustände an den Schulen grundsätzlich besser waren, als einige Jahrzehnte vorher. 1713 Rudolf Günther (6.10.1859 - 17.7.1936), in Langenburg 1891 - 1907, Sigel Nr. 129,65. 1714 Pfarrbericht Langenburg, 1893. 480 Leonberg hatte 1905 bei 2 624 Einwohnern eine Volksschule mit 6 Klassen, vier Lehrern und zwei Unterlehrern, eine Lateinschule und eine Realschule. Bereits 1816 war eine Handarbeitsschule für Mädchen gegründet worden. Der Besuch der Fortbildungsschule war obligatorisch. Oberschulinspektor war der 2. Stadtpfarrer. Die Oberschulbehörde hatte 11 Mitglieder: die beiden Stadtpfarrer, drei Lehrer, den Ortsvorsteher und 5 Gemeinderäte. Ein Vermögen von 1 210 M. wurde für Lehrmittel verwendet.1715 Ludwigsburg hatte 1850 7 053 Einwohner, und zwar 3 363 männliche und 3 690 weibliche. Es hatte an Lehranstalten ein Lyzeum mit 5 Klassen und 7 ordentlichen Lehrern, eine Realschule mit 4 Klassen, 4 ordentlichen und 2 Fachlehrern, eine gewerbliche Fortbildungsschule, an der englische und französische Sprache und kaufmännische Buchführung unterrichtet wurde (mit 170 Lehrlingen und Gesellen), zwei Privatanstalten für Töchter und die frühere Knaben-Erziehungs- anstalt auf dem Salon von Ph. Paulus, die jetzt in ein Alumnat von Dr. Maisch umgewandelt worden war.1716 Die Elementarschule hatte eine Klasse und einen Lehrer. Sie war Vorbereitungs- klasse für das Alumnat und die Realschule. Die deutsche Knabenschule hatte 5 Klassen und 5 Lehrer. Die ständigen Lehrer erhielten eine Entschädigung für die Mietkosten von 100 fl, die nichtständigen Lehrer von 36 fl. Die deutsche Mädchenschule hatte 7 Klassen, an denen 2 Schulmeister, drei Unterlehrer und 2 Lehrgehilfen unterrichteten. Die katholische Schule hatte eine Klasse. Der Lehrer hatte freie Wohnung im Schulhaus. Staat und Stadt unterstützten diese Konfessionsschule finanziell. Die Zöglinge des Mathildenstifts hatten eine eigene Schule. Der Mathildenhof war ursprünglich eine Stiftung der Königin Mathilde, der, 1804 erworben, mehrere Wohn- und Wirtschaftsgebäude umfaßte, nebst einem größeren Garten. Der Baumeister Paul Retti hatte das Wohngebäude für sich erbaut, es war dann unter anderem im Besitz des Grafen Zeppelin gewesen. Daneben gab es in Ludwigsburg eine Industrieschule mit 5 Klassen, an der eine Oberlehrerin und drei Lehrerinnen 300 Schülerinnen in Stricken bis Weißnähen unterrichteten, sowie eine Höhere Töchterschule mit 80 Schülerinnen und die Töchterbildungsanstalt mit 100 Schülerinnen, Kindern "aus den gebildeten Ständen".1717 Die Schulen hatten auch drei "Turnanstalten".1718 1715 Pfarrbericht Leonberg, 1905, Setzler: Leonberg, S. 202. 1716 Oberamtsbeschreibung Ludwigsburg, 1859, S. 71. 1717 Oberamtsbeschreibung Ludwigsburg, 1859, S. 71. 1718 Beschreibung des Oberamts Ludwigsburg, 1859, S. 136, 137. 481 Nagold hatte nach dem Pfarrbericht von 1855 eine lateinische Schule mit zwei Klassen, zwei Lehrern und 38 Schülern. Die Realschule war in Altensteig. Daneben gab es die Volksschule, die sich wie folgt zusammensetzte: Obere Knabenschule 11 - 14 Jahre 64 Knaben Obere Mädchenschule 11 - 14 Jahre 76 Mädchen, Obere Mittelschule 10 - 11 Jahre 16 Knaben 25 Mädchen, Untere Mittelschule 7 - 10 Jahre 24 Knaben 24 Mädchen, Untere Mittelschule 8 - 9 Jahre 16 Knaben 23 Mädchen, Elementarschule 1. Abt. 7 - 8 Jahre 30 Knaben 23 Mädchen, Elementarschule 2. Abt. 6 - 7 Jahre 25 Knaben 27 Mädchen __________________________ 175 Knaben 198 Mädchen Zusammen: 373 Kinder. Außerdem gab es in Nagold eine gewerbliche Fortbildungsschule mit 2 Klassen und 39 Schülern.1719 Es soll nun noch die Schule eines kleineren Ortes besprochen werden, um vielleicht auch einen Gegensatz zu den bisher besprochenen Stadtschulen aufzuzeigen. Nach der ersten Pfarrbeschreibung der Gemeinde Aldingen aus dem Jahre 1828 waren hier die „Kirchendiener“, der Mesner, Organist und Schullehrer eine Person. Es gab nur eine Schule im Dorf, an der ein Schulmeister tätig war, sowie ein abhängiger Provisor, den zu halten und zu verköstigen der Schulmeister verpflichtet war. Dafür erhielt er von der Gemeinde 20 fl, weitere 20 fl vom Heiligen. Am Gehalt des Provisors beteiligte sich die Gemeinde mit 16 fl. Das Recht zur Besetzung der Schulmeisterstelle hatte die Herrschaft. Das letztemal wurde dieses Recht durch das Konsistorium im Spätjahr 1809 ausgeübt. Die Anzahl der Schulstunden betrug im Sommer in 2 Abteilungen von 6 bis 10 Uhr 4 Stunden, im Winter 5, vormittags 8 - 11, nachmittags 1 - 3. Im Winter 1827/28 betrug die Anzahl der Schulkinder 176. Jedes Kind zahlte jährlich 45 Kreuzer Schulgeld; daneben keine anderen Abgaben. Es war ein eigenes Schulhaus vorhanden. In demselben befand sich auch die Wohnung des Schulmeisters. Das Schulhaus baute und unterhielt der Heilige. Es lag bei der Kirche und war, was besonders erwähnt wurde, wegen der höheren Lage der Überschwemmung nicht ausgesetzt. Der Schulmeister hatte ein heizbares Zimmer gegen Süden. 1719 Pfarrbericht Nagold, 1855. 482 Die Schulstube war durch eine bretterne Wand in Abteilungen geteilt. Sie war hell, aber niedrig, und sollte geräumiger sein. Überhaupt wurde die ganze Wohnung etwas beschränkt gesehen. Für die Heizung der Schulstube bekam der Schulmeister 24 fl je zur Hälfte von der Kommune und vom Heiligenvermögen. Die Schulmobilien und sonstigen Utensilien wurden teils vom pio corpore, teils vom Schulfonds angeschafft und waren in gutem Stand. Es war keine Schulstiftung vorhanden. Prämien wurden vom Schulfonds bestritten. Der Schulfonds betrug auf Georgii (23. April) 1828 etwa 60 Gulden: in Kapitalbriefen von Johann Jakob Traueneder 35 f Christoph Friedrich Traueneder 5 f Friedrich Häberle 18 f welche aber nicht sicher angelegt sind, in barem Gelde 2 f 14 xr ________ 60 f 14 xr Das Einkommen der Schulstelle kam von zwei Stellen, das Geld von der Gemeinde, und die Naturalien aus dem Kirchenvermögen, dem Heiligen: Geld von der Kommune 9 f für den Provisor 20 f vom Heiligen 15 f für Haltung des Provisors 20 f ______ 64 f Vom Heiligen 12 Schfl Dinkel a 3 ½ f 42 f 2 Schfl Haber a 2 ¾ f 5 f 30 xr 2 Sri Erbsen 1 f 30 xr 2 Sri Linsen 2 f 25 Bund Stroh 2 f 30 xr _________ Summa 117 f 30 xr 1 ½ Meß buchenes Brennholz im Wert von 21 fl mußte die Herrschaft liefern, zur Bewirtschaftung waren folgende Güter überlassen: 1/3 Morgen Wiesen 6 f 2 Hauslösen 3 f 1 Gärtlein am Haus 3 f 1 Krautgarten 30 xr Emolumente An Schulgeld bezog er für 174 Kinder a 45 xr 130 f 30 xr Von Privatis Taufen, Leichen, Hochzeiten 26 f 483 Ämterersetzung 15 xr Schulvisitationen 30 xr _________ 308 f 15 xr Rekapitulation des Einkommens: Als Schulmeister und Organist 308 f 15 xr Als Mesner 79 f 22 xr _________ Zusammen betrugen die Einkünfte 387 f 37 xr ========= Weiter erhielt der Schulmeister für Holz zum Einbrennen 24 fl, und für Öl zum Einschmieren der Uhr 3 fl. Dabei hatte er einen Provisor zu verköstigen und ihm 16 Gulden Salär zu geben, wobei hier die Kommune noch 8 Gulden und der Heilige ebenfalls 8 Gulden zugelegt haben. Der Schulmeister erhielt von Privatis von einer kleinen Leiche 30 xr von einer größeren 1 fl 20 xr von einer Kopulation 1 fl.20 xr bis 1.f 30 xr von einer Taufe 24 xr Die veränderlichen Teile des Einkommens waren: Georgii 1825/26 231 fl 38 xr Georgii 1826/27 238 fl 39 xr Georgii 1827/28 223 fl 13 xr In Aldingen gab es eine Sonntagsschule. In dieser fand "eine Absonderung der Geschlechter" statt, wurden die Buben und Mädchen also gesondert unterrichtet. Sie wurde Sonntags von 12 - 1 Uhr gehalten. Eine Industrieschule war nicht vorhanden. Die Juden, von denen es damals 20 gab, schickten ihre Kinder in die hiesige christliche Schule, um deutsch, lesen, schreiben und rechnen zu lernen. Ihr Vorsänger gab ihnen in Hebräisch und Religion besonderen Unterricht. "Sie haben bis jetzt bloß das gewöhnliche Schulgeld von 48 xr pro Kind bezahlt, ohne zu den übrigen Kosten beizutragen. Sie haben übrigens erst ein paar Jahre Anteil genommen, und es ist am Ganzen nichts Gesetzliches reguliert".1720 1720 Die Pfarrbeschreibung wurde verfertigt von Pfarrer M.Weihenmayer, beendigt den 10.September 1828. Die Richtigkeit der Abschrift bestätigte Dekan M. Binder. Christoph Friedrich Weihenmayer (6.6.1768 - 6.1.1845), in Aldingen 1827 - 1842, Sigel Nr. 4,4. 484 Es bleibt anzumerken, daß das Einkommen des Schullehrers in Aldingen im Jahre 1828 als überdurchschnittlich hoch gesehen werden muß. Normalerweise verdiente der größte Teil der Schulmeister in dieser Zeit noch weniger als 150 Gulden. Nur 24 kamen auf einen Betrag zwischen 250 und 400 Gulden.1721 Ein Salär von 387 Gulden kann also zu den Spitzeneinkommen gerechnet werden. Die Frage, warum ausgerechnet die kleine Gemeinde Aldingen zu einer solchen Entlohnung bereit und in der Lage war, bleibt offen.1722 Die Gemeinde lebte ganz überwiegend von der Landwirtschaft. Von dem 2 752 Morgen großen Gemeindegebiet wurden 2 509 Morgen landwirtschaftlich genutzt. Der Weinbau war mit 58 Morgen unbedeutend. Mitte des Jahrhunderts brachte der Tabakanbau ein zusätzliches Einkommen. Nach der Oberamtsbeschreibung betrug der durchschnittliche Güterbesitz 80 Morgen, der gewöhnliche 30 bis 50 Morgen. In den Jahren 1842 und 1843 hatte Aldingen keinen ständigen Pfarrer und wurde von einem Pfarrverweser betreut. Die Einwohner gliederten sich in diesem Jahr auf in 1 104 Evangelische und 116 Juden.1723 Im Pfarrbericht von 1842 wurde unter Bezugnahme auf die einklassige Schule erwähnt, daß der Schulmeister Johann Gottfried Rau, geboren in Horrheim den 7. Februar 1786, also 56 Jahre alt, hier seit 13 Jahren angestellt, im Ganzen seit 25 Jahren im Amt, verheiratet war und 9 unversorgte Kinder hatte, auch daß er ohne Vermögen war. Er unterrichtete 89 Kinder, 43 Knaben, 46 Mädchen, gab winters 5, sommers 4 öffentliche Schulstunden, keine Privatstunden. Der Ertrag des Schulgeldes blieb offensichtlich gleich. Der Lehrer Rau hatte zweimal eine Prämie erhalten, 1823 - 20 fl, und 1829 ebensoviel. Er beteiligte sich in der Ludwigsburger Schullehrer-Lesegesellschaft und nahm auch an den Schulkonferenzen teil. Über seine Amtsführung als Mesner hatte der Vikar nichts zu klagen. Über seine Amtsführung in der Schule wollte der Vikar kein Zeugnis abgeben, da er erst seit wenigen Wochen am Ort war. Er bemerkte nur, daß des Schulmeisters Kränklichkeit auch die Regsamkeit in der Schule und ein Aufblühen derselben niederzuhalten scheine. Als Schulgehilfe war hier seit dem 11.11.1840 Johann Christian Müller angestellt. Er war ledig, geboren am 12. Juni 1823, also 19 Jahre alt. Er war vom Schulmeister abhängig und hatte 86 Schüler zu unterrichten, 35 Knaben und 51 Mädchen Er gab sommers 4, winters 5 öffentliche Schulstunden, keine Privatstunden, beteiligte sich außerdem an der Konferenz und der Lesegesellschaft der Diözese. Die Zahl der Schüler war im letzten Winter insgesamt 78 Knaben und 97 Mädchen, also 175 Kinder. Schulmeister und Provisor hatten jeder eine eigene Klasse und eine eigene Schulstube. 1721 Katein: Das Verhältnis von Staat, Kirche und Volksschule, S. 47. 1722 Pfarrbeschreibung Aldingen, 1828. 1723 Pfarrbeschriebung Aldingen, 1828. 485 Die Kinder traten nach der amtlichen Verordnung im 6. Lebensjahr an Georgii in die Schule ein und wurden im 14. konfirmiert und aus der Schule entlassen. Die vorgeschriebenen Lehrfächer wurden auch betrieben. In der Klasse des Provisors wurde nach der Zellerschen Methode der Leseunterricht erteilt. Sprüche und Lieder wurden memoriert. Die Schuldisziplin wurde in den oberen Klassen als zu weich empfunden. Die vorgeschriebene Schulbücher, auch Zellers Wandtafeln zum Leseunterricht, waren vorhanden und wurden auch benützt. Ein Schuldiarium wurde, obwohl eines angeschafft worden war, nicht geführt, aber ein Rezeßbuch. Die Schulbesuche von Seiten der Vikare waren im Kirchenkalender notiert. Der Zustand der Klassen wurde als ziemlich gut gesehen, aber es fehlte an "der Erregung der Denkkraft, und darum auch an der Entwicklung der Sprechfähigkeit". "Schulversäumnissen wurde nach Möglichkeit gesteuert, sie kamen nicht häufig vor, und würden ganz wegfallen, wenn die vom Kirchenkonvent gesetzten Strafen auch vollzogen würden. Verdingen der Kinder war selten, und wenn solche an einen fremden Ort kamen, so wurde dem betreffenden Pfarramt die nötige Anzeige gemacht". In beiden Jahren wurde in der Erntezeit 14 Tage, im Herbst 3 Wochen, in der Heuernte einige Tage Schulvakanz gegeben. Die halbjährliche Schulvisitation durch die Ortsvorsteher wurde vorgenommen im Jahre a (1840) am 12. November, 28. April, im Jahre b (1841) am 18. November, 20. April. Die Schule wurde, wie im Schuldiarium (zugleich Kirchenkalender) eingetragen war, vom Vikar 119 mal besucht, der verordnete Religionsunterricht in zwei wöchentlichen Schulstunden erteilt. Die Sonntagsschule, in der die Geschlechter "abgesondert" waren, wurde sonntags von 12 bis 1 Uhr gehalten und von den Vikaren besucht. Es gab in dieser Zeit keine besonderen Visitations- oder Synodalerlasse in Beziehung auf das Schulwesen. Es waren 3 Arbeitsschulen vorhanden, mit 3 Lehrerinnen, die in Stricken und Nähen Unterricht erteilten. "Die Lehrerinnen sind geschult, der Unterricht gut". Es gab auch keine Schulstiftungen. An Prämien wurden aus dem Schulfonds ausgeteilt im Jahre a 2.59 und 2.32 im Jahre b 3.86. Der Kassenbestand 172 fl 1724 1724 Pfarrbericht Aldingen, 1842. Dekan Binder. 486 Im Jahre 1872 hatte Aldingen 1 142 evangelische Einwohner, dazu 3 Katholiken, 8 Dissentierende und noch 51 Juden, aber immer noch eine zweiklassige Schule, an der in der 1. Klasse 98 Schüler, 49 Knaben und 49 Mädchen im Alter von 10 - 14 Jahren waren, in der 2. Klasse 108 Schüler im Alter von 7 - 10 Jahren, 55 Knaben und 53 Mädchen. In beiden Klassen wurde in Abteilungen unterrichtet, in der 1. Klasse winters wöchentlich 36 Stunden, sommers 30 Stunden, in der 2. Klasse das ganze Jahr über 32 Sunden wöchentlich. Zu den Personalien der Lehrer wurden folgende Angaben gemacht: "Johann Friedrich Zeeb, Schulmeister, geboren 19. Februar 1821. Seine gesamte Dienstzeit umfaßte einen Zeitraum von 32 Jahren, hier war er seit dem 25. Januar d.J. angestellt. Er war verheiratet und hatte nur ein Kind. Die Zahl seiner täglichen Schulstunden betrug sommers 5, winters 7. Sein Lebenswandel gab bis jetzt noch zu keinen Klagen Anlaß, eher hätte der Geistliche Ursache zur Klage über ihn, indem er diesem schon auf eine Weise begegnete, die ihn schwer beleidigte. Er entbehrte, wie es scheint, jeden festen Haltes, ist fremden Einflüssen leicht zugänglich. Seine Amtsführung war bis jetzt ziemlich gut, nur hörte man schon öfters Klagen über eine zu strenge Behandlung der Kinder. Die ihm als Mesner zukommenden noch wenigen Geschäfte besorgte er so ziemlich pünktlich. Als Kantor und Organist tat er seine Schuldigkeit. August Christian Friedrich Schöngarber, 2. Schulmeister, war am 24. Mai 1867 geboren, war hier definitiv angestellt seit dem 7. Juni 1867, war verheiratet und hatte auch nur ein Kind. Die Zahl seiner täglichen Schulstunden betrug im Sommer und Winter je 6 Stunden täglich. Auch in dieser Schule wurde schon seit Jahren in Abteilungen unterrichtet. Sein Wandel war im Ganzen untadelhaft, und was seine Amtsführung betraf, so konnte ihm nur ein gutes Zeugnis gegeben werden, denn wie seine Gaben, Kenntnisse und Fleiß das Prädikat gut verdienten, so nicht minder seine Lehrart und Schulzucht. Letztere dürfte, nach Ansicht des Pfarrers, etwas zu streng gehandhabt werden. Was sein Benehmen gegen den Geistlichen betraf, so war dieses nichts weniger als freundlich, ja, er erlaubte sich hinterrücks schon Äußerungen gegen ihn, die dem Geistlichen wieder hinterbracht wurden, und die er ihm nicht hätte verzeihen können, wenn er nicht förmlich Abbitte getan hätte. Mit der Mesnerei hatte er nichts zu schaffen, dagegen tat er als Kantor und Organist seine Schuldigkeit, beteiligte sich an der Konferenz und lieferte Aufsätze, die von Fleiß und Nachdenken zeugten. 487 Der Zustand der Schule wurde in Bezug auf Religionskenntnisse und Zucht wie folgt beschrieben: Die Religionskenntnisse der Schüler, die Glaubens- und Sittenlehre betreffend, waren leider nicht so, wie man das erwartete. In der Biblischen Geschichte wie im Memorieren leisteten sie das Erforderliche. Das Verhalten der Kinder war im Allgemeinen so, daß man damit zufrieden sein konnte. Die Zahl der vom Geistlichen erteilten Religionsunterrichtsstunden betrug im Schuljahr 1870/71 - 72. Der behandelte Lehrstoff war das Alte Testament, die Biblische Geschichte, die Bücher. Im 2. Jahr erteilte der Pfarrer keinen Religionsunterricht mehr. Die Zahl der vom Vikar erteilten Religionsunterrichtsstunden betrugen im Schuljahr 1870 - 28. Gegenstände des Unterrichts waren die Kleinen Propheten. Im Schuljahr 1871 betrug die Zahl der vom Vikar gegebenen Unterrichtsstunden bis zum Abschluß des Schuljahres 78. Gegenstand des Unterrichts waren die neutestamentlichen Schriften nach der für den Religionsunterricht der Geistlichen vorgeschriebenen Auswahl. Die obligatorischen Lesestücke absolvierte der Pfarrer bis auf die Taufe Petri, Johannes, Hebräer, Jacobi und Offenbarung. "Zum vollständigen Fertigwerden mit dem Vorgeschriebenen wird es schwerlich reichen". Die Zahl der Schulbesuche betrug: im Jahr a, in der 1. Schule, vom Geistlichen 6, vom Vikar 72, in der 2. Schule, vom Geistlichen 7, vom Vikar 66, im Jahr b, in der 1. Schule, vom Geistlichen 10, vom Vikar 103, in der 2. Schule, vom Geistlichen 7, vom Vikar 66. Die Sonntagsschule wurde für die religiösen Fächer dazu benutzt, die in der Schule gelernten Lieder und Sprüche fleißig zu repetieren. Die Schulstiftungen wurden stiftungs- und gesetzmäßig verwaltet und verwendet. Der Schulfonds wurde zur Anschaffung von Lehrmitteln für kirchliche Gesangsübungen und von Lernmitteln für die Lehrer in ihrer Eigenschaft als Organisten benutzt. 1725 Die Berichte über die Schule wurden in der Folgezeit auch hier immer kürzer. Im Jahre 1886 wurde berichtet, der Schullehrer Bürkle habe die Unterklasse mit 118 Schülern im Alter von 6 - 10 Jahren. Der Schullehrer Layer hatte - ohne eine Angabe der Schülerzahl - 34 Stunden Abteilungsunterricht. Bei der Martini-Schulvisitation bekamen die Schüler vom Geistlichen folgende Noten: 1725 Pfarrbericht Aldingen, 1872. Pfarrer M. Johann August Friedrich Kemler (1.8.1799 - 23.7.1874) in Aldingen 1843 - 1874, Sigel Nr. 21,21. 488 Schüler von Bürkle Biblische Geschichte „g“, Memorieren „g“. Schüler von Layer Biblische Geschichte „g - sg“, Memorieren „g“. Die Mädchen waren lebendiger und wußten mehr als die Knaben. Auch in Glaubens- und Sittenlehre war das Zeugnis gut. "Verhalten der Kinder ist gut, doch brauchen die Knaben Strenge". Die Zahl der Religionsstunden 1884 -78 1885-78 behandelt 1884 -AT. 1885 -NT.1726 Im Pfarrbericht von 1890 wurde die Frage des Schulgebäudes thematisiert. Es hieß, daß der Schultheiß Volz „nicht immer so kann, wie er will". So war er zum Beispiel nicht imstande, die seit längerer Zeit schwebende Schulhausbaufrage zu einem Abschluß zu bringen. Unumstritten war, daß die in dem ehemaligen Schloß der Herren von Kaltental untergebrachte Schule dringend neue und größere Räume brauchte. 1890 unterrichteten 2 Lehrer und ein Lehrgehilfe 256 Schüler, die in den alten Räumen einfach keinen Platz mehr hatten. Der Gemeinderat konnte sich jahrelang über den neuen Standort der Schule nicht einigen. Erst im Jahre 1890 kam eine Übereinkunft doch noch zustande und es konnte endlich mit dem Bau des neuen Schulhauses begonnen werden.1727 Auch in Aldingen hatte der Pfarrer Probleme in seiner Gemeinde, mit denen er zu kämpfen hatte. Es waren nicht nur innerkirchliche Angelegenheiten, sondern vor allem auch die Auseinandersetzungen mit der „weltlichen Obrigkeit“, die zu Meinungsverschiedenheiten führen konnten. Hier zeigt sich auch, wie wichtig ein gutes Einvernehmen zwischen Pfarrer und Schultheiß für die Belange der Gemeinde und besonders der Schule damals war. Deshalb war diesem Anliegen in den Pfarrberichten ein eigener Abschnitt gewidmet, in dem der Pfarrer zum Verhältnis mit der "weltlichen Obrigkeit" immer ausführlich Stellung nahm. 1726 Pfarrbericht Aldingen, 1886. 1727 Pfarrbericht Aldingen, 1890. 489 10.4. Die Fabrikschule in der Baumwollspinnerei Kuchen. Als ein frühes Beispiel sowohl für die Errichtung eines Industriebetriebes, als auch einer damit zusammenhängenden besonderen Form einer Fabrikschule soll hier die im Jahre 1857 von Arnold Staub (1821 - 1882) gegründete Baumwoll- Spinnerei und -weberei Kuchen angeführt werden. Sie war, wie auch die Maschinenfabrik in Eßlingen, nicht aus einem Handwerksbetrieb hervorgegangen, sondern neu gegründet und errichtet worden.1728 Dieser Gründung vorausgegangen war 1852 die Eröffnung einer Baumwoll- spinnerei im benachbarten Altenstadt durch Johann Heinrich Staub (1781 - 1854), den Vater von Arnold Staub, der aus einer reichen Schweizer Unternehmerfamilie stammte. Eine wichtige Voraussetzung für die Errichtung eines Industriebetriebs bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Vorhandensein von Wasserkraft, als wichtigste Energiequelle für den Antrieb der Maschinen.1729 Diese Voraussetzung war in Kuchen gegeben. Auch lebten am Ort 150 Leineweber, die Staub eigentlich in seine Fabrik holen wollte. Sie weigerten sich aber, ihre Selbständigkeit aufzugeben. Sie wollten nicht in die gefürchtete und verhaßte Fabrik, die ihre Arbeitsplätze vernichtete. Die meisten hielten vielmehr zäh an der traditionellen Arbeitsmethode in ihren eigenen Stuben, kleinen Werkstätten und Haushaltungen fest, obwohl diese immer unrentabler wurden. Arnold Staub war also, da ihm Facharbeiter fehlten, auf auswärtige Arbeitskräfte angewiesen. Gute Arbeitskräfte zu rekrutieren war aber gar nicht so einfach, und so war er gezwungen, „dieselben teils aus der Landbevölkerung hereinzuholen, teils mit Mühe und Unkosten aus der Ferne herbeizuziehen". Hierzu wurden sogar Werber ausgeschickt, die Leute mit allerhand Versprechungen nach Kuchen locken sollten. Sie mußten aber, wollte man sie anwerben und halten, auch gut untergebracht werden. Deshalb mußte für die von auswärts geholten Arbeiter Wohnraum geschaffen werden. Staub errichtete schon 1858 das erste Arbeiterwohngebäude (das „Staubsche Arbeiterquartier“), 1862 zwei weitere. Es wurde eine vornehmlich für die von auswärts geholten Familien gedachte Siedlung errichtet. Sie umfaßte saubere und helle Wohnungen für 250 Personen und eine Reihe von sozialen Einrichtungen, die für die damaligen Verhältnisse ungewöhnlich waren. 1728 Boelcke: Wege und Probleme des industriellen Wachstums im Königreich Württemberg; Fischer: Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung; Loreth: Das Wachstum der württem -bergischen Wirtschaft von 1818 - 1918; Megerle: Württemberg im Industrialisierungsprozeß Deutschlands; Uhland: Gewerbeförderung in Baden und Württemberg im 19.Jahhrundert; Beschreibung des Oberamts Geislingen, S. 120. 1729 Hippel. Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 559. 490 Den Wohngebäuden war ein Kosthaus mit Speisesaal, ein Gasthaus, ein Bade- und Waschhaus angeschlossen, ein Flügelgebäude mit einer Kinderschule für Kinder von 2 bis 6 Jahren, die Fabrikschule, eine Bibliothek mit Lesesaal, ein Kranken- saal und eine Apotheke, ein Kleinkaufladen, eine Bäckerei, ein Freizeitplatz und mehrere Gartenanlagen. Dies geschah nicht nur aus christlicher Nächstenliebe und der Bereitschaft, soziale Verantwortung zu übernehmen, wie immer wieder hervorgehoben wird, sondern auch aus ganz praktischer Notwendigkeit und zum Vorteil des Unternehmens. Andererseits wirkte sich eine solche Koppelung von Arbeits- und Mietvertrag durchaus auch disziplinierend aus, drohte doch bei einem Verstoß gegen die Fabrikordnung neben dem Verlust des Arbeitsplatzes auch die Kündigung der Fabrikwohnung“.1730 Es gab auch eine Fabrik-Sparkasse, eine Pensionskasse, einen Unterstützungs- und Pensionsfonds für Witwen und Waisen. Für sein soziales Engagement erhielt Staub auf der Weltausstellung in Paris 1867 aus der Hand Napoleons eine Goldmedaille, was europaweit Aufsehen erregte. Staub sah in einer solchen Maßnahme aber auch eine Möglichkeit, die „Gesittung“ seiner Arbeiter zu heben. Die Wohnungen waren gut bürgerlich eingerichtet, und vor den Häusern gab es Gärten mit Blumen, die in Ordnung gehalten werden mußten. Staub zwang aber Arbeiter, von denen er wußte, daß sie Ersparnisse zurückgelegt hatten, seine Wohnungen zu kaufen, „wenn diese sich stets der in unserem Arbeitsquartier eingefügten Ordnung fügen“. Arbeiter, die sich dagegen wehrten, wurden als undankbar angesehen und „unbedingt entlassen“. 1881 war Kuchen die bedeutendste Baumwollspinnerei im Lande mit 32 488 Spindeln. Unter den 650 Arbeitern waren auch 84 Jugendliche zwischen 10 und 16 Jahren., darunter wegen des Verdienstes auch ungefähr 30 Kinder aus dem Dorf Kuchen und aus Gingen. Die gewöhnlichen Arbeiterkinder kamen aber auch aus Tirol, Böhmen, der Schweiz und sogar England.1731 Den von auswärts kommenden Arbeitern wurde ein wohltätiger Einfluß auf die allgemeine Entwicklung bescheinigt. Gegen die ausgeprägte Enge eines vorindustriellen Dorfes, wo das alltägliche Leben streng geregelt war, und die Erfahrungshorizonte und Erfahrungsmöglichkeiten relativ beschränkt und eingeengt waren, war in der Arbeitersiedlung ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Lebensweisen, in der die Kinder vielerlei Einflüssen ausgesetzt waren und mancherlei Anregungen aufnehmen konnten, was ihre intellektuelle Entwicklung gefördert haben mag.1732 „Auch war der Unternehmer Arnold Staub von tiefer Sorge um das körperliche und seelische Wohlergehen der Industriearbeiter erfüllt". Er war ein glühender Verehrer Friedrich Lists (1789 - 1846), der, wie sonst nur Friedrich Engels (1820 - 1895), die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen gebrandmarkt hatte, unter denen in England Millionen von Frauen, Männern und Kindern litten. 1730 Setzler: Die Arbeiterwohnsiedlung in Kuchen, S. 19. 1731 Köhle-Hezinger: Der glorreiche Lebenslauf unserer Fabrik, S. 121. 1732 Köhle-Hezinger: Der glorreiche Lebenslauf unserer Fabrik, S. 204. 491 Die Verhinderung englischer Zustände in Württemberg war für Arnold Staub nicht nur eine wirtschaftliche und soziale Notwendigkeit, sondern er sah sie auch als eine moralische Verpflichtung. Ein zwölfstündiger Arbeitstag war damals normal, und es bedurfte erster gesetzlicher Regelungen, um wenigstens die Kinderarbeit auf ein erträgliches Maß zu beschränken.1733 Mit guter Entlohnung und gewissen Wohlfahrtseinrichtungen wollte Staub zur Hebung des materiellen Wohlstandes seiner Arbeiter und Arbeiterinnen beitragen. Die Arbeiterschaft sollte sittlich und geistig veredelt werden, sich an bürgerlichen Idealen und Normen orientieren, an ihrer Erziehung zu Fleiß, Ordnung, Pünktlichkeit und Sauberkeit selbst mitarbeiten. Nicht nur in der Fabrik wurde auf Ordnung und Pünktlichkeit Wert gelegt, auch wer zu spät in die Singstunde kam, wurde bestraft und mußte 3 Kreuzer bezahlen. Die Jahresmiete für Mietwohnungen betrug 44 fl oder 44 xr pro Tag, der tägliche Lohn schwankte zwischen 48 xr und 1 fl 30 xr.1734 Frau Staub hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Arbeiterwohnungen mehrere Male in der Woche zu besuchen und mit den Frauen zu sprechen. „Sie nimmt Kenntnis von ihren Bedürfnissen und verbreitet überall durch ihre Ermutigung, durch ihre Ratschläge, durch wohlwollende Ermahnungen den Geist der Ordnung und das Gefühl christlicher Nächstenliebe“. Für ordentliche Haushaltführung wurden zusätzlich Prämien verteilt.1735 Der Lehrer der Fabrikschule hatte neben seiner eigentlichen Tätigkeit auch noch andere Aufgaben. Er war als ein Vermittler von Kultur und Bildung tätig. Er leitete beispielsweise in der Fabrik die verschiedenen Vereine, organisierte auch verschiedene Feste, beispielsweise die Weihnachtsfeier, vermittelte „Bildungs- ideale“ im Musik-, Gesang-, Lese- und Turnverein. Es gab auch einen Verein zum Erwerb nützlicher Kenntnisse, in dem Unterricht in den Fächern Mechanik, Mathematik, Physik und Zeichnen erteilt wurde. Die Schule war für die Kinder, die in der Baumwollspinnerei arbeiteten, eingerichtet. Es war die erste Schule dieser Art in Württemberg, und sie wurde von Staub finanziert. Gedacht war sie vor allem „zur Verwirklichung seiner erzieherischen und sozialreformerischen Pläne“. Sie war auch ein wichtiges Mittel, um einer neuen Generation von Arbeitern bürgerliche Wertbegriffe und Verhaltensnormen zu vermitteln und so ihre Integration in die bürgerliche Gesellschaft zu fördern. Die Kinder sollten frühzeitig an anständiges Betragen, an Ordnung und Reinlichkeit gewöhnt werden. Die größte Aufmerksamkeit hatte der Lehrer deshalb darauf zu richten, daß die Kinder mit diesen Dingen vertraut wurden.1736 An der Schule im Ort wurden im Jahre 1871 154 Kinder unterrichtet, und zwar vom Schulmeister Georg Krauß 23 Knaben und 34 Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren, vom Lehrgehilfen Gottlieb Friedrich Gaiser 49 Knaben und 48 Mädchen im Alter von 6 bis 10 Jahren. 1733 Marx: Das Kapital, S. 271. 1734 Köhle-Hezinger: Der glorreiche Lebenslauf unserer Fabrik, S. 162. 1735 Setzler: Die Arbeiterwohniedlung in Kuchen, S. 21. 1736 Köhle-Hezinger: Der glorreiche Lebenslauf unserer Fabrik, S. 201. 492 Der Schulmeister der Fabrikschule, Michael Schmidt, hatte 1871 48 Knaben und 46 Mädchen aller Altersklassen zu betreuen. In seinem Bericht beurteilte der Pfarrer auch die Kenntnisse der Schüler. Er konstatierte, daß die religiösen Kenntnisse in Betreff der Glaubens- und Sittenlehre und der biblischen Geschichte gut waren, das Memorieren der Kinder und die Sprüche ziemlich gut. Strenge Zucht und Disziplin war an dieser Schule geboten. Etwas mehr als 1/3 der Schüler, 34 unter 94 Schülern, waren Katholiken.1737 Die Schule erhielt bei offiziellen Inspektionen sehr gute Zeugnisse, was angesichts der Schwierigkeiten, mit der sie zu kämpfen hatte, erstaunlich ist. Der Bezirksschulinspektor Pressel aus Geislingen bescheinigte ihr, es handle sich um die beste Schule in seinem Bezirk, um eine wahre „Oase in der Wüste“. Die Kinder waren der doppelten Belastung durch die Schule und die Fabrikarbeit ausgesetzt, wobei die Fabrikarbeit immer Vorrang hatte. Es war Staub aber offensichtlich gelungen, diese beiden Komponenten in Einklang zu bringen: Die Arbeit der Kinder in der Fabrik und der Schulunterricht konnten anscheinend optimal aufeinander abgestimmt werden“. Extensive Ausbeutung der Kinder- arbeitskraft auf der einen und die Vermittlung einer elementaren Bildung auf der anderen Seite konnten erstaunlicherweise vereinbart werden. Die tägliche Arbeitszeit betrug zwischen sieben und zehn Stunden. Häufig wurde auch nachts bis 2 Uhr gearbeitet. Die Schülerzahl in den 1860er Jahren betrug 80 bis 100 Kinder (1871 48 Knaben und 49 Mädchen), in den 70er Jahren dann meist nur noch um 60. Der Lehrer unterrichtete die Kinder 16 Stunden in der Woche, täglich also ungefähr 3 Stunden. Im Pfarrbericht von 1871 werden aber täglich 6 Stunden Unterricht erwähnt. Der Oberschulinspektor Gaugler berichtete, die Nachtarbeit habe sehr ungünstige Auswirkungen auf die Konstitution und Aufnahmefähigkeit der Kinder. Er bescheinigt dem Fabrikschullehrer Michael Schmid, daß der sein Bestes getan habe, um den Schülern ein Mindestmaß an Kenntnissen zu vermitteln. Größter Übelstand war der sehr häufige Wechsel der Schüler durch die hohe Fluktuation der Arbeiter. Staub versuchte, dem entgegenzuwirken. Den Kindern wurden monatlich 15 - 20 Kreuzer vom Lohn einbehalten und auf ein Sparbuch einbezahlt. Kindern, welche die Schule vor einem Zeitraum von 5 Jahren verließen, wurden diese Ersparnisse nicht ausbezahlt. Da der Lehrer Schmid vom Fabrikherrn sehr gut bezahlt wurde, fühlte er sich als Angestellter der Fabrik. Er erhielt für seine Tätigkeit (1865) immerhin 600 Gulden. Wenn man bedenkt, daß damals in Württemberg 2 068 Lehrer nicht mehr als 400 Gulden erhielten und nur 22 Lehrer den Betrag von 600 Gulden erreichten, muß diese Entlohnung als sehr gut bezeichnet werden.1738 1737 Pfarrbericht Kuchen, 1871. 1738 Köhle-Hezinger: Der glorreiche Lebenslauf unserer Fabrik, S. 204. 493 Als Lehrer war er verpflichtet, seine größte Aufmerksamkeit unablässig darauf zu richten, daß die Kinder sich vor allem an Ordnung und Reinlichkeit gewöhnten. Der Pfarrer Henzler, der von 1861 bis 1872 in Kuchen tätig war, war der Vorgesetzte des Lehrers. Er war für die Schulaufsicht und den Religionsunterricht verantwortlich. Er hatte die Amtsführung des Lehrers und auch seinen Lebenswandel zu überwachen. Nun wurde aber auch der Pfarrer für seine Dienste in der Fabrik von Staub entlohnt. Staub bezahlte für die Pastoration und den Unterricht in der Fabrikschule jährlich 80 Gulden. In einer Eingabe an das Konsistorium beschwerte sich deshalb der Gemeinderat von Kuchen: „Pfarrer ist gleichsam der bezahlte Diener des Fabrikherrn“.1739 Andererseits beanstandete der Pfarrer Wilhelm Friedrich Waiblinger, der Nachfolger von Henzler, durchaus auch wieder kritisch die Unkirchlichkeit des Fabrikbesitzers und seiner Beamten. Auch in Kuchen war in der Mitte des Jahrhunderts eine Diskussion darüber entbrannt, welchen Raum die Realien im Rahmen des Unterrichts einnehmen sollten. Das Württembergische Schulblatt von 1866 führte auf, daß die höchste Stundenzahl für Realien an einer württembergischen Schule 4½ Stunden war, in einigen Gemeinden 4, sonst 2, und nur in einer einzigen Gemeinde 1 ½ Stunden in der Woche.1740 Die Unterrichtsmethoden und -inhalte der Fabrikschule stimmten weitgehend mit denen anderer Volksschulen überein: Gehorsam, Demut, Selbstlosigkeit, Fleiß, Zufriedenheit, Ein- und Unterordnung in Herrschaftsverhältnisse waren damals die bevorzugten Lerninhalte.1741 1882 wurde die Baumwollspinnerei Kuchen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Sie hieß fortan „Süddeutsche Baumwollindustrie AG Kuchen“. Das Aktienkapital betrug 2,5 Millionen Mark. Als durch die Reichsgewerbeordnung von 1871 die Höchstarbeitsdauer der Kinder begrenzt wurde, der 14 - 16 Jährigen auf 10 Stunden, der ab 12 Jährigen auf 6 Stunden täglich mit einem Verbot von Sonntags- und Nachtarbeit, verlor auch Staub sein Interesse an der weiteren Unterhaltung der Schule. Er überließ seine Fabrikschule mit dem Schullokal und der gesamten Einrichtung der Gemeinde, und ab Juli 1877 bezahlte die Gemeinde auch den Lehrer an der Schule. Dies war seit 1876 der spätere Rektor der Schule von Kuchen, Gustav Adolf Killinger. Zusammenfassend kann zu dieser Fabrikschule gesagt werden, daß um die Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Kinderarbeit in den Fabriken den bis dahin favorisierten Industrieschulen die Existenz entzogen wurde. Die Verlags- und Manufakturarbeit trat in dieser Zeit zurück. 1739 Köhle-Hezinger: Der glorreiche Lebenslauf unserer Fabrik, S. 204. 1740 Württembergisches Schulblatt 18, 1866, S. 281. 1741 Köhle-Hezinger: Der glorreiche Lebenslauf unserer Fabrik, S. 209. 494 Straub wollte nicht nur seinen Arbeitern bürgerliche Wertvorstellungen vermitteln, sondern auch schon den Schulkindern Verhaltensnormen näher- bringen, die ihnen den späteren Eintritt ins volle Arbeitsleben erleichtern sollten.. War bei der Einführung der Industrieschulen noch ein wesentlicher Gesichtspunkt gewesen, die Kinder vom Müßiggang und Bettel abzuhalten, so war das Anliegen nun, bürgerliche Vorstellungen zu vermitteln. Es war in den Fabrikschulen ein wesentlicher Gesichtspunkt, die Kinder zu Verhaltensweisen zu ermuntern, die den bürgerlichen Sozialbegriffen jener Zeit entsprachen: Ordnung und Fleiß, Gehorsam und Bescheidenheit, Ehrlichkeit und Redlichkeit, auch Reinlichkeit und Sparsamkeit, sowie weiterhin Sinn für Religiosität, Sittlichkeit und Gewerbefleiß. Durch die Vermittlung dieser Eigenschaften sollte ihnen der Eintritt in ihr Arbeits- leben und ein späteres Weiterkommen erleichtert werden. 495 10.5. Zusammenfassung Schule. Bei einem abschließenden Urteil über die Entwicklung der Schulen im 19. Jahrhundert läßt sich feststellen, daß der Stand am Ende des Jahrhunderts ein wesentlich besserer war, als in der Anfangszeit des Königreiches, wo es noch vor allem Sinn und Zweck der Volksschulen war, einen rein biblischen Stoff zu vermitteln, und die Aufgabe der neuen Industrieschulen, ganz besonders die Kinder vom Bettel abzuhalten und an ein ordentliches Leben zu gewöhnen. Während der ganzen Zeit ließ der Staat die Schule in seinem Auftrag durch das Konsistorium verwalten.1742 In der Anfangszeit hatten die Lehrer teilweise noch in der Wohnstube oder einem angemieteten Raum unterrichtet und ihr Einkommen noch von den verschiedensten Stellen bezogen, oder beispielsweise das Schulgeld noch selbst einziehen müssen. Seit der Mitte des Jahrhunderts bekamen sie ein geregeltes Gehalt, das im Laufe der Jahre immer wieder angehoben wurde. War anfangs die Schule noch ausgesprochen eine Sache der Kirche gewesen, so ging deren Einfluß auf das Schulwesen im Laufe dieser Jahre immer weiter zurück. Hatte selbst die Lehrerausbildung in der Anfangszeit noch in den Händen der Pfarrer gelegen, so übernahmen diese Aufgabe nunmehr die Lehrerseminare in Eßlingen (1811), Gmünd (1825) und Nürtingen (1843). Nur noch einzelne, vom Konsistorium bestellte Pfarrer durften diese Aufgabe noch wahrnehmen. In Eßlingen hatte auch Leopold Lammfromm, später Lehrer der jüdischen Elementarschule in Buchau, als erster Jude mit Unterstützung des Königs das Seminar besucht.1743 Auch in den späteren Jahren war es das Hauptanliegen der Schule, die Kinder auf ein Leben in einer gewandelten Gesellschaft vorzubereiten, ihnen Kenntnisse in den „Realien“ zu vermitteln, die ihnen später den problemlosen Eintritt in eine industrialisierte Lebens- und vor allem Arbeitswelt ermöglichen sollte. In all den Jahren verstärkte sich der staatliche Einfluß auf das Schulwesen. Die Ordnung, der Zwang zum regelmäßigen Besuch der Schule wurde stärker überwacht, der Lehrplan systematisch erweitert. Vor der Jahrhundertwende übernahm der Staat die Finanzierung der Schullasten und der Beiträge zum Schulhausbau.1744 Die bürgerliche Gesellschaft erkannte, daß nur über ein ausgebautes Bildungswesen die Zukunftschancen im neuen Industriezeitalter gewahrt werden konnten, und daß der wissenschaftliche und technische Fortschritt nur über ein breitgefächertes Bildungsangebot zu erreichen war. Die Schule war zwar immer noch Angelegenheit der Ortsbehörde, daß aber ein Lehrer in seiner Wohnstube Unterricht erteilen mußte, war am Ende des Zeitraumes nicht mehr denkbar. 1742 G. Friedrich: Die Volksschule in Württemberg im 19. Jahrhundert; E. Schmid: Geschichte des Volks- schulwesens in Altwürttemberg, S. 416. 1743 Sauer: Reformer auf dem Königsthron, S. 423. 1744 Mann: Württemberg 1800 bis 1866, S. 373. 496 Die Ausbildung sowohl, als auch die Entlohnung, war geregelt und geordnet, der Stand wurde sozial anerkannt. Zwar spielte die Religion als Unterrichtsfach immer noch eine bedeutende Rolle, aber sie war nicht mehr allein dominierend und hatte ihre allein bestimmende Rolle verloren. Immer noch konnte aber das Erziehungssystem nicht verhindern, daß soziale Differenzierungen erhalten blieben oder sogar noch verstärkt wurden. Bis heute hat die soziale Unterscheidungskraft von Bildungsabschlüssen eher zu- als abgenommen. Mit einer Vielzahl von Schulformen wurde versucht, den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden. Es gab am Ende des Jahrhunderts Gemeinden, die mit Schulen wohl versehen waren. Das Bildungssystem hat immer auch berufliche Qualifikationen vermittelt. Es hat außerdem der Sozialdisziplinierung gedient, indem es Ordnung, Folgsamkeit, Pünktlichkeit und Konzentrationsfähigkeit förderte und außerdem dem Untertanen, der nun Bürger wurde, Gottesfurcht, Königstreue und Gehorsam vermittelte.1745 Die Pfarrberichte, die in der Anfangszeit ausführlich über Schule und Lehrer berichtet haben, beschränkten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts darauf, die erteilten Religionsunterrichtsstunden aufzuführen, auch noch die Visitationen, zu denen die Pfarrer bis zum Jahre 1909 verpflichtet waren. Der Zustand der Klassenzimmer, die Formen des Unterrichts, das Einkommen und die Fähigkeiten der Lehrer, alle diese Dinge wurden nicht mehr erwähnt. So hatte sich auch hier deutlich ein vollständiger Wandel vollzogen, und es war dann nur noch ein letzter Schritt, als 1909 die Aufsicht über Lehrer und Schule der Kirche entzogen wurde und in die Hände des Staates überging. 1745 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 282. 497 10.6. Die weltliche Obrigkeit. Ein weiterer wesentlicher Punkt, der im Pfarrbericht angesprochen wurde, war das Verhältnis des Pfarrers und später des Kirchengemeinderats zur weltlichen Obrigkeit. Unter dem Stichwort "Verhalten des Ortsvorstehers und der bürgerlichen Kollegien" war das Verhältnis zu diesen Gremien zu behandeln. Der Pfarrer mußte darüber Auskunft geben, ob er in seinen Bemühungen von dieser Seite die nötige Unterstützung und das nötige Verständnis fand. Es ging vor allem um die Ordnung in der Gemeinde, um die Sorge für die Belange der Schule, um die gemeinsamen Bemühungen in der Armenpflege, um die Sorge für Bettler, Verwahrloste, Strafgefangene und Geisteskranke. Die Stellungsnahmen waren in den meisten Fällen nur kurz. Das Verhältnis wurde im allgemeinen durchaus positiv beurteilt. Dies ist verständlich, denn die Interessen sowohl der Kirche, als auch der bürgerlichen Gemeinde, liefen hier im allgemeinen parallel. Es konnte aber natürlich auch vorkommen, daß die Ansichten der beiden Gremien auseinandergingen, wie beispielsweise in Aldingen, wo der Pfarrer dem Schultheißen vorwarf, "kein besonderer Freund der Kirche" zu sein und sich im Trinken manchmal zu übernehmen. Auch der Nachfolger war "in Polizeisachen zu lax", und "in seiner Sorge für die Armen nicht gerade willig".1746 Der Pfarrer August Friedrich Kemler1747, der seit 1843 in der Gemeinde tätig war, schrieb 1870, der Wohlstand habe sich in den letzten Jahren merklich gehoben. Das Verhältnis „zur weltlichen Obrigkeit“ war aber in all den Jahren anscheinend etwas gespannt. Der Schultheiß Johannes Müller wurde als „von behäbigem Äußeren, und, wie man sagt, auch Inneren“ beschrieben, und er tue in seinem Amt nur, „was er ohne Nachteil nicht unterlassen darf“.1748 Auch der nachfolgende Schultheiß Kinzler, der im September 1872 sein Amt angetreten hatte, wurde im Pfarrbericht von 1874 als „kein besonderer Freund der Kirche, jedoch im übrigen als ein braver und tüchtiger Mann“ bezeichnet, der „sich aber auch im Trinken manchmal übernimmt und in solchem Zustand aller Autorität spottet“. Er mußte im Frühjahr 1875 sogar vom Oberamt ermahnt werden, „zur Erhaltung des Amtsansehens und Vertrauens sowie der amtlichen Diensttätigkeit sich eines nüchternen Wandels ernstlich zu befleißigen“.1749 Auch der Schulmeister Zeeb war auf den Schultheißen nicht gut zu sprechen. Er beklagte sich im Sommer 1873 darüber, daß dieser sich schon bei kleinsten Verbesserungsvorschlägen immer schroff ablehnend zeige. Kinzlers Tod im Jahre 1875 ließ auf eine bessere Zukunft unter dem neuen Schultheißen Jakob Volz hoffen. 1746 Pfarrbericht Aldingen, 1890. 1747 Johann August Friedrich Kemler (1.8.1799 - 23.7.1874), in Aldingen 1843 - 1874, Sigel Nr. 21,21. 1748 Pfarrbericht Aldingen, 1870. 1749 "Hie gut Württemberg", Beilage der Ludwigsburger Kreiszeitung, Nr. 2., vom 2.6.2001. 498 Aber auch diesem wurden vom im Juli 1874, nach dem Tod des langjährig hier gewesenen Pfarrers Kemler, neu nach Aldingen gekommenen Pfarrers Hermann Schmidgall1750 sein besonders freundschaftliches Verhältnis zu dem Juden Kirschbaum zum Vorwurf gemacht. Es wurde zwar darauf hingewiesen, daß er ein rechtlicher Mann sei und einen unbescholtenen Ruf genieße, aber doch eine Einflußnahme auf seine Amtsführung durch den Juden zu befürchten sei. Später, im Pfarrbericht von 1890, hatte der Pfarrer an ihm auch noch auszusetzen, daß er „in Polizeisachen lax“ und in „seiner Sorge für die Armen nicht gerade willig" sei. Zwar hatten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse gebessert, und der Pfarrer meinte schon in seinem Bericht von 1876, die Einwohner „hätten reichliche Gelegenheit zum Erwerb und Verdienst“, doch verschlinge das Wirtshausleben jedes Jahr große Summen, was eine erhöhte Inanspruchnahme der Armenkasse zur Folge habe. Der 1894 nach Aldingen gekommene Pfarrer Gottlob Friedrich Müller1751 beanstandete bitter die säumige Erledigung dringender neuer Einrichtungen, die auf dem Rathaus, sobald es um Geldsachen gehe, auf zähen Widerstand stießen. Der jahrelange Streit um ein neues Schulhaus hatte schon genug Ärger bereitet. Die Räume der Schule im Schloß waren zu klein geworden, und ein Neubau dringend erforderlich. Einen ähnlichen Streit gab es um die Einrichtung einer Kleinkinderschule zwischen dem Pfarrer und der weltlichen Obrigkeit. Der Gemeinderat leiste zähen Widerstand, obwohl für diese Einrichtung bereits ein Fond von 1 758 Mark gesammelt worden war, und im alten Schloß, in dem auch das Rathaus untergebracht war, das ehemalige Schullokal leer stand und sich ohne allzu hohe Kosten in eine Kleinkinderschule umwandeln ließ. Pfarrer Müller mußte bis 1898 noch zäh kämpfen, bis er am Ziel seiner Wünsche angelangt war. Dann endlich konnte sich die „Kinderlehrerin“ um die drei- bis siebenjährigen Kinder annehmen.1752 Die Kinderschule wurde sofort von ca. 60 Kindern besucht, was der kurz nach der Eröffnung zur Gemeindevisitation angereiste Amtmann Brodbeck vom Oberamt Ludwigsburg mit den Worten kommentierte, dies sei „der beste Beweis für die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit dieser Einrichtung“.1753 Die dadurch entstandenen fortwährende Reibereien hatten auch schon zu blutigen Händeln geführt.1754 1750 Johann August Friedrich Kemler, Sigel Nr. 21,21; Hermann Christian Schmidgall (16.4.1827 - 27.9.1896) in Aldingen 1875 - 1881, Sigel Nr. 21,22. 1751 Gottlob Friedrich Müller, (30.3.1848 - 2.2.1932), in Aldingen 1893 - 1901, Sigel Nr. 21,24. 1752 Hie gut Württemberg, Beilage der Ludwigsburger Kreiszeitung. 52.Jg., Nr. 2., vom 2.6.2001. 1753 Pfarrbericht Aldingen, 1894; Hie gut Württemberg, Beilage der Ludwigsburger Kreiszeitung, 52.Jg., Nr. 2, vom 2.6.2001. 1754 Pfarrbericht Aldingen, 1900. 499 In Altensteig bestätigt der Pfarrer Matthias Küchel1755 1849 der Obrigkeit, in Übereinstimmung mit ihm religiöse, sittliche und Schulzwecke zu fördern. Für Arme, Witwen und Waisen wurde aufmerksam gesorgt, sie erhielten Unterstützung durch Beköstigung, Bekleidung und Geldbeträge, obwohl die Kassen dadurch erschöpft waren, daß der Holzhandels stockte. Lehrlinge wurden im allgemeinen bei den Meistern untergebracht, Verwahrloste bei rechtschaffenen Familien. Hierfür wurde von der Gemeinde damals eine Summe von 2 800 fl bereitgestellt. Der Straßen- und Häuserbettel ging leider fort, und es wurde vermerkt, daß es gegenwärtig nicht möglich sei, dem entgegenzutreten. "Der Armenverein verfolgt seine Zwecke: Unterdrückung des Kinderbettels, Unterstützung einer Strick- und Nähschule für arme Kinder, Kost an Kranke, Beschäftigung von alten, gebrechlichen Personen mit Spinnen mit gutem Erfolg".1756 Diese Bemerkungen wurden im Pfarrbericht von 1851 wörtlich abgeschrieben. Es wurde noch hinzugefügt, daß die Bettler von den ärmeren umliegenden Gemeinden, vor allem von Ebhausen her kamen. Die Strick- und Nähschule beschäftigte zu dieser Zeit, also um die Jahrhundertmitte, 30 - 40 arme Kinder. 1875 bestätigte der Pfarrer Göz1757, daß der Schultheiß Richter und die bürgerlichen Kollegien "Übereinstimmung mit dem Geistlichen" suchten. Für Arme, Verwahrloste, Geisteskranke und entlassene Strafgefangene wird gesorgt. Lichtkärze sind in Altensteig nicht gebräuchlich".1758 1881 wurde beanstandet, daß die Kinder aus zwei Mischehen katholisch erzogen wurden. Es handelte sich hierbei einmal um einen königlichen Staatsbeamten, und um den evangelischen Lehrer an der Lateinschule, der wegen "der gröblichen Mißachtung seiner Pflichten an der evangelischen Schule Ärgernis in der Gemeinde erregte".1759 1888 stellte der Schultheiß Michael Walker 5 600 Mark für das Armenwesen zur Verfügung. Mit ihm herrschte ein "friedliches Auseinandersetzen". 1898 waren folgende Vergehen Gegenstand von Besprechungen: ein Fall von Bettel, zwei Diebstähle, ein Fall von Widerstand gegen die Staatsgewalt, zwei Körperverletzungen, ein Sittlichkeitsvergehen, ein Vergehen gegen § 184 des Strafgesetzbuches. Es gab in diesem Jahr in Altensteig 17 Gastwirtschaften und 12 Schankwirt- schaften, die, als allgemeiner Konfliktpunkt, immer einmal wieder für Unruhe sorgten und vor allem wegen der Tanzveranstaltungen auch immer wieder ein Eingreifen des Schultheißen nötig machten. 1755 Matthias Küchel (17.7.1793 - 31.5.1851), in Altensteig 1824 - 1851, Sigel Nr. 34,30. 1756 Pfarrbericht Altensteig, 1849. 1757 Johann Ludwig Friedrich Göz, (24.6.1826 - 7.9.1886), in Altensteig 1866 - 1876, Sigel Nr. 34,32. 1758 Pfarrbericht Altensteig, 1875. 1759 Pfarrbericht Altensteig, 1881. 500 In Biberach schrieb der bis ins hohe Alter sehr aktive Dekan und Stadtpfarrer Mayer1760 im Jahre 1840, damals bereits 71 Jahre alt, daß die Geistlichen von der weltlichen Obrigkeit in ihrer amtlichen Wirksamkeit kräftig unterstützt würden. Die Armut wurde vom gemeinschaftlichen Hospital und wohltätigen Stiftungen hinlänglich bekämpft, dadurch gab es keinen Müßiggang und Bettel". Der Dekan Mayer war 1852, damals bereits 83 Jahre alt, immer noch im Amt. Weiterhin wurde für Kirche und Schule gut gesorgt und ihre Anliegen wurden ausreichend unterstützt.1761 Auch war 1882 immer noch "ein freundliches Entgegenkommen der Gemeinde gegenüber dem Geistlichen" festzustellen. Der Vermerk im Pfarrbericht von Eßlingen des Jahres 1843 war äußerst kurz. Der Stadtpfarrer und Dekan Georg Friedrich Gundert1762 bemerkte lediglich, daß der Stadtschultheiß Weinland der Kirche wohlgesonnen war, und daß im letzten Jahr zur Unterstützung von Armen, Witwen und Waisen ein Betrag von 17 800 Gulden zur Verfügung gestellt wurde. 1845 lautete der Vermerk: "Weltliche Obrigkeit in Übereinstimmung mit dem Geistlichen mit redlichem Eifer für das Beste für Kirche und Schule. Im letzten Jahr wieder 17 121 fl für Arme, Witwen und Waisen".1763 Drei Jahre später waren es "13 - 14 000 fl aus öffentlichen Kassen, die garantieren, daß für Arme, Witwen und Waisen human gesorgt wird". Das blieb auch in den folgenden Jahren unverändert, als Eßlingen der Hauptsitz der sozialdemokratischen Bewegung wurde. Die Armenpflege wurde durch eine Armendeputation wahrgenommen, der gemeinschaftlich der Stadtschultheiß, der 1. evangelische Stadtpfarrer, der katho- lische Stadtpfarrer, der Armenverwalter und 6 gewählte Mitglieder angehörten. Daneben gab es noch eine bedeutende private Wohltätigkeit. Mittellose Kranke wurden im Spital (St.Anna-Kloster) versorgt, die Aufnahme ins Krankenhaus erfolgte gegen Bezahlung. Es gab 1905 auch einen Verein für Krankenkost- reichung und einen Verein für freiwillige Krankenpflege mit neun Diakonissen.1764 In Freudenstadt war um die Jahrhundertwende der Fremdenverkehr sehr im Aufschwung, ein Umstand, den der Pfarrer dem tüchtigen Ortsvorsteher zusprach. Es wurde auch erwähnt, daß damals der Stuttgarter Fabrikant Lechler die Kurkapelle Palmenwald gestiftet hatte.1765 Der Pfarrer war über die Zusammenarbeit mit der weltlichen Obrigkeit sehr zufrieden und lobte die Bereitschaft, in Angelegenheiten der Kirche und besonders der Schule eng zusammenzuarbeiten. 1760 M. Johann Jakob Mayer (24.5.1769 - 31.8.1852), 1.Stpfr. in Biberach 1829 - 1852, Sigel Nr. 107,28. 1761 Pfarrbericht Biberach, 1840, 1852. 1762 Stadtpfarrer und Dekan Georg Friedrich Gundert (2.2.1782 - 17.6.1858), in Eßlingen 1839 - 1858, Sigel Nr. 66,26. 1763 Pfarrbericht Eßlingen, 1843, 1845. 1764 Pfarrbeschreibung Eßlingen, 1905. 1765 Pfarrbeschreibung Freudenstadt, 1905. 501 Für die kirchliche Armenpflege, die es noch in beschränktem Maße gab, war allein der Geistliche zuständig. Und der Pfarrer rühmte, daß die Leute zusammenhielten und die Nachbarn einander in Krankheit und Not aushalfen. In Großheppach zeigt der Bericht des Pfarrers Karl August Spring1766 von 1857, daß es durchaus auch ernstere Meinungsverschiedenheiten sowohl mit dem Kirchenkonvent, als auch mit dem Schultheißen geben konnte. Inwieweit die Krankheit des Geistlichen, der schrieb, er sei "seit vollen drei Jahren krank an Unterleibsbeschwerden, dazu am Ende des verflossenen Jahres in solcher äußerster Schwäche, daß man mehrere Wochen auf sein Ende wartete, seit drei Monaten sich erholend, aber dennoch so geschwächt, und von Zeit zu Zeit wochenlang an Gehirnkrämpfen leidend", zu diesen Meinungsverschiedenheiten beigetragen hat, kann nur vermutet werden. Er kritisierte die Ortsbehörde hart. Den Ortsvorstehern und bürgerlichen Kollegien im Mutterort und Filial war nach seiner Ansicht ein kirchlicher Sinn nicht abzusprechen. Was aber die Handhabung guter Zucht und Ordnung betraf, so klagte der Ortsvorsteher von Großheppach, daß er hier von Seiten der bürgerlichen Kollegien nicht die nötige Unterstützung fand. Der Pfarrer war der Ansicht, daß die Energie des Ortsvorstehers mehr im Munde, als in der Tat vorhanden und es ihm recht war, wenn der Polizeidiener manches ignorierte, was eigentlich zur Anzeige gebracht werden sollte, und es war schon der Fall vorgekommen, "daß derselbe sich einen Zank zugezogen hat über eine Anzeige, die er zu machen für seine Amtspflicht hielt". "Daher befindet sich die Gesinnung des Ortsvorstehers und der bürgerlichen Kollegien eigentlich in keiner Differenz, und es ist nicht zu verwundern, wenn, wie oben angeführt worden ist, die Sonntagsordnung nicht gehandhabt wird, wie es sein sollte". Der Pfarrer beklagte einen weiteren Mangel an Energie des Ortsvorstehers in einem Schreiben an das Dekanatamt, "aus einer vom Schreiber dieses Berichts an das gemeinschaftliche K.Oberamt gerichteten Eingabe vom 13. April d. J. betreffend die laxe Handhabung der Polizei in Beziehung auf die Ausführung eines kirchenkonventlichen Beschlusses", in dem die Ausweisung "unzüchtiger Weibspersonen aus fremden Gemeinden" beantragt worden war, "welche ihr Wochenbett hier halten wollten, da von Angehörigen nur zu viele uneheliche Kinder in die Welt gesetzt werden". Aber das Königliche Oberamt hatte die Eingabe nicht als eine das gemeinschaftliche Oberamt angehende betrachtet, obwohl es sich doch um eine sittlich-polizeiliche Maßregel handelte, sondern es hatte auch eine für den Pfarrer "gar verwunderliche Entscheidung" getroffen, in welcher es einen in dieser Sache vor sechs Jahren gegebenen Entschluß geradezu zurücknahm, und es ging über die Tatsache, daß der Schultheiß und der Kirchenkonvent in einer Unterschrift im Kirchenkonventsprotokoll dem Pfarrer "einen Verweis zu geben sich für befugt hielten", geradezu mit völligem Stillschweigen hinweg, ungeachtet der Tatsache, daß der Pfarrer eine Erklärung in dieser Beziehung des gemeinschaftlichen K. 1766 Karl August Spring (1.5.1807 - 26.7.1857), in Großheppach 1849 - 1857, Sigel Nr. 407,46. 502 Oberamts ausdrücklich gebeten hatte. "Dieses völlig ungenügende Antwort- schreiben des K.Oberamts ist vom 22. April d.J.". Zu der Zusammenarbeit mit der weltlichen Behörde schreibt er weiter, daß in gemeinschaftlichen Amtsgeschäften der Geistliche bereitwillige Mitwirkung fand, wie auch in den selten vorkommenden Ehedissidien. Was aber die Armenpflege betraf, und die Sorge für verwahrloste Kinder, deren Anzahl in Großheppach, wie im Filial Kleinheppach, nicht unbedeutend war, so konnte der Ortsvorsteher des Mutterorts sich mit Recht beschweren, daß die bürgerlichen Kollegien gar zu wenig Bereitwilligkeit zeigten, Ausgaben zu bewilligen, wodurch dem Umsichgreifen des Übels kräftiger entgegengearbeitet hätte werden können".1767 Der Dekan bedauerte diese Ausführungen des Geistlichen und bemerkte: "Dekan bedauert diese Expertoration sehr. Der Kirchenkonvent in Großheppach ist durchaus nicht die zuständige Behörde, Mädchen, die nicht etwa unzüchtig hier lebten, sondern aufs Geratewohl dort gebären wollten, und zwar bei Schwestern ihrer Verwandten, aus dem Ort zu weisen. Und das Königliche Oberamt konnte nicht anders, als diesen Beschluß wieder aufzuheben. Dem Dekanatamt wurden übrigens sämtliche Akten in der Sache ausdrücklich mitgeteilt". Außerdem vermerkt der Dekan noch: "Es gereicht dem Pfarrer Spring zu Ehren, daß er vor seinem indessen erfolgten Ende den Ortsvorstand und überhaupt alle um Verzeihung bitten ließ. Starb am 26. Juli 1857". Pfarrer Spring war es allerdings auch, der Wilhelmine Canz (1815 - 1901) im Jahre 1855 einlud, zusammen mit ihrer Nichte in Großheppach eine Kinderschule zu errichten. Sie wurde am 17. Oktober in einem neugekauften Haus eröffnet. Bereits ein Jahr später kamen die ersten beiden Lernschwestern, um ihre einjährige Ausbildung im "Mutterhaus für evangelische Kleinkinderpflegerinnen" zu beginnen. 1859 erfolgte der Umzug ins größere frühere "Wirtshaus zum Löwen". Das besondere Anliegen dieses Hauses war, daß bereits den kleinen Kindern Geschichten aus der Bibel erzählt, und Lieder und Sprüche auswendig gelernt wurden.1768 In sehr vielen Pfarrberichten wurde aber hervorgehoben, daß in den meisten Fällen der weltliche Ortsvorsteher in Übereinstimmung mit dem Pfarrer die Interessen von Kirche und Schule wahrnahm und förderte, ob das nun in Hall, Langenburg oder Leonberg war. Anders war es vielleicht an Orten, wo die Katholiken in der Überzahl waren, wie z.B. in Leutkirch nach 1880. Dort hatte der Geistliche schon 1879 bemerkt, es sei mit dem Stadtschultheiß Bleich schwer zu arbeiten, weil er nicht die notwendige Energie entwickle und auch das Kollegium wenig Eifer zeige. Auch mache ihm das engherzige Spießbürgertum der alten Geschlechter zu schaffen. Es sei aber noch viel entschiedenes protestantisches Bewußtsein im Kleingewerbe und in der 1767 Pfarrbericht Großheppach, 1857. 1768 Carla Kramer: Wilhelmine Cranz. Lebensbilder aus Schwaben und Franken, Bd. XIV., S. 317 ff.; Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 161. 503 Kaufmannschaft zu finden. Es werde aber auch ängstlich alles vermieden, was den Katholiken einen Anstoß geben könnte. Bis 1885 hatte der evangelische Pfarrer allein den Vorsitz im Stiftungsrat, der Ortsarmenbehörde und der Studienkommission, künftig entsprechend den veränderten numerischen Verhältnissen im Wechsel mit dem katholischen Pfarrer. Aber weiterhin fand der Geistliche1769 Unterstützung beim Stadtschultheißen und im Gemeinderat. Auch im Spital sollten in Zukunft, da die Katholiken nun in der Überzahl waren, alle 8 Jahre Diakonissen und Barmherzige Schwestern wechseln. Wegen des Ausscheidens des Kirchenvermögens war seit 1889 ein friedliches Zusammenleben mit den Katholiken nicht mehr möglich. Das frühere freundschaftliche Verhalten war einer reservierten Höflichkeit, die voller Mißtrauen war, gewichen. Der Streit um die Spitalkirche, welche die Katholiken wieder für sich beanspruchten, war eskaliert.1770 Der Streit wirkte sich natürlich auch auf die Zusammenarbeit in der Ortsbehörde aus. Herausgehoben wurde vom Pfarrer aber die höhere Bildung, die größere Tüchtigkeit und Energie, der größere Fleiß und die größere Sparsamkeit, die auf evangelischer Seite immer noch zu finden seien, und die auch immer noch 2/3 der Gesamtsteuer bezahlte. Im Bürgerausschuß saßen drei evangelische und zwei katholische Mitglieder, und die evangelischen Kaufleute hatten immer noch die größere Tüchtigkeit und Leistungsfähigkeit. Und der Stadtschultheiß August Fischer, 36 Jahre alt, besuchte fast allsonntäglich die Kirche.1771 Das Spital und das Bezirkskrankenhaus wurden seit 1906 nur noch durch katholische Schwestern betreut. In Öhringen wirkten 1847 Schultheiß und die bürgerliche Obrigkeit nach Kräften zur Aufrechterhaltung der Ordnung und für das Beste der Schule und Kirche zusammen. Das Armenwesen nahm die Fürsorge des Kirchenkonvents sehr in Anspruch. Dem Bettel und Müßiggang wurde zu steuern versucht.1772 1877 schrieb der Stadtpfarrer: "Der Stadtschultheiß Rößler ist ein achtenswerter, vielbeschäftigter, für das Wohl der Stadt besorgter, durch deren ökonomische Lage aber oft gehinderter Mann, dem klare Erfassung, praktische Auffassung, energische und rasche Erledigung von Geschäften nicht gegeben ist, und der durch eine gewisse Hartnäckigkeit, mit welcher er auf vorgefaßten Meinungen beharrt, die Behandlung von Armen-, Stiftungs- und Schulsachen erschwert, aber zu den Geistlichen in persönlich freundlichem Verhältnis steht. Über Mangel an Bereitwilligkeit zur Handhabung von Zucht und Ordnung ist nicht zu klagen, aber die große Umständlichkeit und Lahmheit in seinen Entschließungen verhindert die Durchführung notwendiger Reformen. Auch die Ausscheidung der kirchlichen Stiftungen wurde bisher immer wieder verzögert".1773 1769 Gotthilf Friedrich Isaak Leube (2.10.1838 - 19.11.1893), in Leutkirch 1882 - 1893, Sigel Nr. 655,26. 1770 Pfarrbericht Leutkirch, 1879, 1885, 1889. 1771 Pfarrbericht Leutkirch, 1895. 1772 Pfarrbericht Öhringen, 1847. 1773 Pfarrbericht Öhringen, 1877. 504 In Rottenburg zeigte der Ortsvorsteher Alfons Winghofer, 38 Jahre alt, Jurist und katholisch, 1908 auch der evangelischen Gemeinde gegenüber eine wohlwollende Gesinnung. Der evangelische Pfarrer nahm regelmäßig am 1. Freitag im Monat an den Sitzungen der Ortsarmenbehörde teil. Der Pfarrer bemängelte aber, daß die Arbeit, die dort geleistet wurde, wenig befriedigend war. "Eine eigentlich vorbeugende nur weiterhin systematisch durchgebildete Armenfürsorge wird nicht getrieben, sondern die reichen Stiftungen und Erträgnisse des Spitals lediglich in der Form von Almosen verwandt. Die Verhältnisse im Armenhaus, die bis vor wenigen Jahren noch unwürdig waren, sind neuerdings etwas gebessert".1774 Nachdem in Tuttlingen der Dekan Carl Ludwig Kapff im 65. Lebensjahr gestorben war, führte nun der frühere Dekan von Brackenheim, Christian Gottlob Moser, die Geschäfte.1775 Er schrieb, daß die weltliche Obrigkeit erst auf besondere Erinnerung und Vorschläge des Geistlichen hin bereit sei, für die Erhaltung der äußeren Ordnung zu wirken, und für das Beste für Kirche und Schule zu sorgen. "Für die Emporbringung der Schulanstalten haben die städtischen Behörden seit einigen Jahren auf Veranlassung des Stadtpfarrers sehr viel getan. Ehehändel und andere gemischte Amtssachen werden nach Vorschrift und, wo nicht Zögern durch Amtsklugheit geboten ist, wie bei manchen Ehesachen, möglichst bald erledigt". Für Arme, Witwen und Waisen wurde nach Kräften gesorgt. Dem Bettel und Müßiggang wurde nicht nur durch die Polizei, sondern auch durch acht in verschiedenen Distrikten aufgestellte Armenväter gesteuert. Sie hatten die Hausarmen zu beaufsichtigen und über ihre besonderen Bedürfnisse an den Kirchenkonvent zu berichten. Dieses Institut war jedoch nie recht ins Leben getreten und erfüllt seinen Zweck keineswegs, obgleich die Hausarmen keinen bitteren Mangel litten. Auswärtige Bettler waren keine Seltenheit. Zwei Polizeidiener waren nach Ansicht des Pfarrers für die Stadt viel zu wenig.1776 Diese Berichte sind nicht besonders geeignet, eine Entwicklung der evangelischen Landeskirche aufzuzeigen. Sie sagen aber etwas aus über die persönliche Beziehung zwischen Pfarrer und Schultheiß, meist allerdings in Bezug auf die vordringlichen Aufgaben, die Schule oder die Behandlung der Armensachen. 1774 Pfarrbericht Rottenburg, 1908. 1775 Karl Friedrich Kapff (8.7.1772 - 7.4.1838), Dekan in Tuttlingen 1819 - 1838, Sigel Nr. 606,30 Christian Gottlob Moser (26.2.1799 - 8.12.1886), Dekan in Tuttlingen 1839 - 1842, Sigel Nr. 19,15. 1776 Pfarrbericht Tuttlingen, 1841. 505 Das Beispiel von Weil im Dorf, das zum Schluß noch angeführt werden soll, zeigt aber, wie auch solche Verhältnisse immer einer individuellen Beurteilung unterlagen, und wie ein anderer Pfarrer die gleiche Lage völlig anders einschätzen konnte. Der Pfarrer Dr. Johann August Friedrich Baur1777, geboren am 17. Dezember 1844 in Laichingen, von 1879 bis 1890 Pfarrer in Weil im Dorf, anschließend Dekan in Münsingen, stellte 1880 noch fest, die Ortsbehörden würden den Ausschreitungen eines frechen Proletariats entgegentreten, und der Gemeinderat sei kirchlich gesinnt. Auch wehre sich die Gemeinde bisher gegen die gemeingefährliche Neuerungssucht der Sozialdemokratie.1778 1890 kam es nach dem Tod des bisherigen Schultheißen Schäffer (am 12. Januar 1890) zur Wahl eines neuen Schultheißen, der zwar schon im Amt war, auf seine Bestätigung durch die vorgesetzte Behörde aber noch warten mußte. "Das Verhalten zum Geistlichen ist infolge der leidigen Wahlbewegung und Aufregung wegen der noch nicht bestätigten Schultheißenwahl bei einem großen Teil der Bevölkerung, der von dem gewählten Amtsverweser, bzw. seinen Agitatoren und Anhängern aufgehetzt wurde, ein sehr unleidliches geworden und spricht sich aus in der Aussprechung der gemeinsten Lügen und Verleumdungen, wozu noch am Osterfest die Übersendung eines von Beleidigungen strotzenden anonymen Briefes kam, der aber - nur am Anfang und Ende gelesen - alsbald ins Feuer geworfen wurde. Die Sucht dieser Parteimänner, dem Pfarrer etwas anhaben zu können, erstreckte sich sogar dafür, daß ihm in seinen Predigten und in den durchaus unbefangenen Konfirmationsdenksprüchen nach anzüglichen Worten gefahndet wurde, freilich alles vergeblich". Die ganze Gegnerschaft gegen sich sah der Pfarrer zusammengesetzt aus den Arbeitern (wenigstens der größten Zahl derselben), denen die Wahl des seitherigen Amtsverwesers Bock im "Schwäbischen Wochenblatt" (dem Organ der Sozial- demokraten), unter Beschimpfung des Pfarrers empfohlen wurde, "da eine Anzahl respektabler hiesiger Einwohner, welche teils aus Mißgunst gegen die anderen Bewerber, teils aus Mitleid gegen Herrn Bock, teils auf unerklärliche Weise für ihn eingenommen waren und für ihn eintraten". Doch war gerade die Majorität aus dem guten Mittelstand zusammengesetzt, und die meisten hatten nach Ansicht des Geistlichen nicht für den Arbeiterkandidaten gestimmt. Für den Pfarrer waren durch diese Vorkommnisse die Verhältnisse recht unleidlich geworden, und er hoffte, daß sich "die Gewässer bald verlaufen" würden. Denn sobald Ruhe eintreten wollte, wurde aufs Neue wieder gelogen und gehetzt. Der Pfarrer hatte aber trotzdem unentwegt seines seelsorgerlichen Amtes gewartet und in dieser Hinsicht unmittelbar keine unangenehmen Erfahrungen gemacht. 1777 D. Johann August Friedrich Baur (17.12.1844 - 26.3.1926), Sigel Nr. 751,32. 1778 Pfarrbericht Weil im Dorf, 1880. 506 Über den Ortsvorsteher und die bürgerlichen Kollegien schrieb der Pfarrer: "Die Stelle des Ortsvorstehers ist durch den Tod des Schultheißen Schäffer erledigt. Amtsvorsteher ist nun der am 22. Februar d. J. zum Schultheißen erwählte, aber noch nicht bestätigte Verwaltungskandidat E. Bock, im 26. Lebensjahr stehend. Derselbe hat sich seine anfänglichen unleugbaren Verdienste z.B. um Ausbesserung der Kirche und um anfängliche bessere Handhabung der Polizei durch eigenmächtiges Vorgehen und hochmütiges Dreinfahren selber vertan. Dem neuen Stadtschultheißen wurde vorgeworfen, einen Teil des Gemeinderats und unter der Bevölkerung vorzugsweise die Arbeiter auf seine Seite gezogen zu haben, um unter allen Umständen Schultheiß zu werden. Die öffentliche Ordnung war am Anfang unter ihm besser gehandhabt worden als jetzt. Sein Charakter sei unehrlich, sogar religiös heuchlerisch, sein Benehmen teils übermütig und großtuerisch, voll maßloser Einbildung, teils schmeichlerisch und gegen seine Gegner rachsüchtig. Ehedisssidien hatte er in letzter Zeit allein in seine Hand genommen. Gegen die Armen war er nicht rücksichtsvoll. Seine ganze Herrschaft drohte dem Ort eine auf die Länge unerträgliche, eigenmächtige Schreiberwirtschaft eines Empor- kömmlings zu werden. Der Dekan vermerkte hierzu: "Da Pfarrer Dr. theol. Baur hoffentlich bald Dekan werden wird, so kann sich der Unterzeichnende ein weiteres Zeugnis nach den vielen abgegebenen wohl ersparen. Zu wünschen wäre, daß Pfarrer Dr. Baur auf eine andere Stelle käme, denn, wie er selbst berichtet, und wie das Durchgangsprotokoll zeigt, - es herrscht Verstimmung zwischen ihm und einem großen Teil der Gemeinde". Nach seinem Weggang kam noch im Jahre 1890 der Pfarrer Hermann Lang auf diese Stelle. Er war von 1869 bis 1881 für die evangelisch-lutherischen Kirche Rußlands tätig gewesen und war Vater von 8 Kindern.1779 Er schrieb im Pfarrbericht von 1892 über den Zustand der Gemeinde: "Das Verhältnis gegen den Geistlichen war anfänglich und weiterhin in den ersten Monaten (Januar bis März 1891) ein freundliches und entgegenkommendes. Aber seitdem derselbe sich Amts und Gewissens halber genötigt sah, gegen Übergriffe, Anmaßungen, Gewalttätigkeiten und Roheiten, welche der derzeitige Schultheiß Bock sich zu Schulden kommen ließ und läßt, Zeugnis abzulegen und Beschwerde zu führen, hat der die Gunst der Mehrzahl eingebüßt und nur noch diejenigen, welche die Wahrheit lieben und das Unrecht hassen, auf seiner Seite, so daß er seit geraumer Zeit sein Amt mit viel Seufzen ausrichten muß. Der Schultheiß hält die Demokraten und Sozialdemokraten, das heißt die Leute, die ihn gewählt haben, durch Schmeicheln und Heucheln in Bann, tyrranisiert die rechtlich Denkenden und wird nicht müde, den Ortsgeistlichen zu untergraben und als den Störer des Friedens hinzustellen". 1779 Hermann Lang (23.11.1841 - 7.2.1918), 1869 - 1881 für die evang.-lutherische Kirche in Rußland, in Weil im Dorf 1890 - 1895, in Obertürkheim 1895 - 1904, Sigel Nr. 658,27. 507 Speziell über den Schultheißen schrieb er weiter: "Schultheiß ist der schon mehrfach erwähnte, am 22. Februar 1890 gewählte und etliche Monate später bestätigte Verwaltungskandidat Eduard Hugo Bock, im 28. Lebensjahr stehend. Als Gehilfe des früheren, wohlverdienten Schultheißen Schäffer, der durch Krankheit arbeitsunfähig geworden war, wußte er sich bei der Bevölkerung einzuschmeicheln. Infolge klug genutzter Parteileidenschaften, wohl auch mit Hilfe unsauberer Machinationen, die eine spätere, leider resultatlose Untersuchung zur Folge hatte, fiel die Wahl zu seinen Gunsten aus. Daß dieselbe bestätigt wurde, ist als ein Unglück für die Gemeinde zu betrachten. Sobald er das Heft in der Hand hatte, ließ er sich eine Menge von Dingen zu Schulden kommen, die seine Unfähigkeit, das Amt eines Ortsvorstehers zum Segen der Gemeinde zu bekleiden, klar beweisen. Unsägliche Rohheit im Verhalten gegen seine junge, schwerkranke Frau und gegen seine Schwiegereltern hier, Übergriffe, Eigenmächtigkeiten, Bedrückungen Einzelner, Ungebühr gegen seine Vorgesetzten und dergleichen. Dafür hat er eine Menge Verweise erhalten, auch empfindliche Geldstrafen wurden gegen ihn verhängt. Von der Anklage des Betrugs, auch der Erpressung, mit knapper Not freigesprochen, wurde er wegen "schmutziger Vorteile, die er sich verschafft", auf dem Verwaltungswege gemaßregelt. Über all das setzte er sich im Gefühl seiner Unabsetzbarkeit hinweg. Den Ortsgeistlichen beschuldigte er in gegenstandslosen Beschwerdeschriften ans K. Oberamt und Dekanatamt teils der Lüge, teils der "unverantwortlichen Nachlässigkeit im Amt", was umso empörender ist, als er es selbst mit der Wahrheit gar nicht genau nimmt, um nicht mehr zu sagen. Diesen Mann als Mitglied im Kirchengemeinderat haben zu müssen, ist unerträglich. Ein Hand-in-Hand-gehen mit ihm im "Gemeinschaftlichen Amt" ist ein Ding der Unmöglichkeit. Seit der letzten Wahl im Jahre 1891 gebietet er auch im Gemeinderat und Bürger- ausschuß über eine erdrückende Majorität, indem es ihm mit Hilfe der Demokraten und Sozialdemokraten gelang, mehrere seiner ihm blind ergebenen Kreaturen in diese Kollegien hineinzubringen. Kaum war ihm dies gelungen, als er sich sofort 400 M Gehaltszulage (wofür?) bewilligen ließ. Nun, mit einem solchen Ortsvorsteher und mit solchen Kollegien läßt sich für die Besserung und für den Ausbau des christlichen Gemeindelebens nichts Ersprießliches zustande bringen. Alle hiesigen Bürger, die noch Recht und Wahrheit lieben, seufzen unter diesem Zustand und sehen, wenn nicht baldige Abhilfe eintritt, dem völligen Ruin der Gemeinde entgegen. Ehrliche Leute schämen sich, wenn sie hinaus kommen, zu bekennen, daß sie von Weil im Dorf sind, denn manche Schandtat des Ortsvorstehers ist weit herum bekannt geworden.1780 1894 erneuerte Pfarrer Lang seine Klage, daß er sein Amt seit Jahr und Tag nur mit Seufzen ausrichten müsse. 1780 Pfarrbericht Weil im Dorf, 1892. 508 "Es geht seit der unglückseligen Schultheißenwahl, wie auch aus dem letzten Pfarrbericht ersichtlich, ein tiefer Riß durch die ganze Gemeinde, ein Riß, der nur durch Beseitigung des an Größenwahn leidenden, in mancher Hinsicht untauglichen, Ortsvorstehers geheilt werden könnte. Die rechtlich denkende Minorität leidet schwer unter diesem Mißverhältnis, und die Majorität sinkt von Jahr zu Jahr tiefer. Inzwischen hat jedoch der Pfarrer unentwegt seines seelsorgerischen Amtes gewaltet und in dieser Hinsicht keine unangenehmen Erfahrungen gemacht". Das Familienleben litt, nach Meinung des Pfarrers, infolge des leichten Geldverdienens in den Fabriken not. Die ledige Jugend, meist in Fabriken in Feuerbach und Stuttgart arbeitend, neige sich mehr und mehr einem oberflächlichen Genußleben zu. Auch der Dekan beklagte unverkennbar in der Gemeinde Weil im Dorf "eine Verschlimmerung in Beziehung auf die Kirchlichkeit, gute Sitte und religiöse Gesinnung im Vergleich zu früheren Zeiten. Daß dabei neben dem immer offener Hervortretenden der Sozialdemokratie besonders auch das Verhalten des Schultheißen Bock und sein Zwist mit Pfarrer Lang mitwirkt, kann nicht bezweifelt werden". Auch im neuen Bericht über den Ortsvorsteher und die bürgerlichen Kollegien wurden 1894 die im letzten Pfarrbericht erhobenen Beschuldigungen wieder wörtlich abgeschrieben. Wieder wurde darauf hingewiesen, daß die beklagenswerten Parteiumtriebe, auch wohl unsaubere Machinationen, die Wahl zu seinen Gunsten entschieden hatten. Daß die Wahl bestätigt wurde, wurde als Unglück für die Gemeinde gesehen. "Sein einziger Gegner, der konservativ gesinnte Adlerwirt Schaible, erst seit Herbst 1893 wieder im Gemeinderat, steht vorläufig zu isoliert und vermag wohl auch künftig an der traurigen Sachlage nicht viel zu ändern. Mit solchen, von einem Tyrannen ins Schlepptau genommenen Kollegien läßt sich für die Reinigung und für den Ausbau des Gemeindelebens nichts Ersprießliches zustande bringen". Die Anmerkung des Dekans hierzu lautete: "Schultheiß Bock ist nach den Wahrnehmungen des Unterzeichneten ein Mensch, der ein sehr großes Maß an Heuchelei und Unehrenhaftigkeit besitzt, gewandt in Verstellung, ein Gemisch aus Schlauheit und Frechheit, dabei aber von eigentümlicher Konfusion der Gedanken und des Ausdrucks, welch Letzteres es öfters schwierig macht, ihn in seinen häufig erlogenen und unverschämten Behauptungen zu packen, indem seine rege Redeweise ihm nicht selten eine Hintertür offen läßt, um zu entschlüpfen. ein streitsüchtiger, rechthaberischer herrschsüchtiger, gewalttätiger Mensch, dessen Gewissen ihn nicht hindert, eben das Mittel zu gebrauchen, das ihm zu seinen Zwecken gutdünkt, obgleich er sich fromm stellt. 509 Daß ein gewissenhafter, eifriger und energischer Pfarrer mit einem solchen Schultheißen nicht in Einigkeit zusammenwirken kann, sondern leicht in Konflikte geraten wird, liegt auf der Hand. Die Bezirksbehörden, das Oberamtsgericht und Oberamt haben ihn oft schon gestraft, aber die Möglichkeit, ihn durch amtliches Einschreiten zu beseitigen, hat sich bis jetzt noch nicht ergeben und wird bei seiner Schlauheit sich schwer finden lassen. Es ist eben der auf einen hohen Grad gestiegene Konflikt zwischen ihm und Pfarrer Lang, für den eine Heilung unmöglich erscheint, höchst verderblich, und es scheint im dienstlichen Interesse als erforderlich, daß Pfarrer Lang auf eine seinen Verhältnissen günstigere Stelle befördert werde, da angenommen werden dürfte, daß Bock einem neuen Geistlichen gegenüber sich mehr Zurückhaltung auferlegen würde".1781 1896 verließ auch Pfarrer Lang Weil im Dorf. Sein Nachfolger, Pfarrer Robert Sigmund Weigand1782, geboren in Stuttgart am 15. Dezember 1845, der nach seinen Tätigkeiten in Rohrdorf, Beinstein, Friolzheim, Langenbrand und Schlierbach am 22. April 1896 nach Weil im Dorf kam und dort bis zu seiner Pensionierung 1913 tätig war, fand nun erstaunlicherweise folgendes Urteil über den Schultheißen Bock: "Schultheiß Hugo Eduard Bock, 34 Jahre alt, ist nicht unchristlich, hat Interesse für das Kirchengebäude und was dazu gehört, und ist auch für Ordnung in kirchlichen Dingen. Die Mitglieder des bürgerlichen Kollegiums sind in ihrer Mehrzahl kirchlich gesinnte Männer. Auch sie sind für gute Zucht und Ordnung. Es herrscht ein gutes Einvernehmen bei den gemeinsamen Amtsgeschäften". Hierzu lautete der Vermerk des Dekans: "Es ist der ruhigen Besonnenheit und dem taktvollen Auftreten des Pfarrers Weigand hauptsächlich zu verdanken, daß derselbe mit dem schwer zu behandelnden, leicht aufgeregten und überspannten Schultheißen Bock friedlich auskommt, und in Angelegenheiten, bei denen ein gemeinsames Wirken geboten ist, zusammen zu arbeiten versteht. Es ist ihm gelungen, sich bei demselben in Achtung zu setzen".1783 1906 wurde erwähnt: "Schultheiß Bock schreibt Beitrag zur Kirchengeschichte von Weil im Dorf in der "Glems- und Würmgauzeitung" von 1900, Nr. 2, Nr. 4, Nr. 16 und Nr. 17". Im Pfarrbericht von 1910 war zu Person des Ortsvorstehers aufgeführt: Schultheiß und Verwaltungsakteur Hugo Eduard Bock ist seit 1. Januar 1909 suspendiert, und im letzten Herbst wegen Beihilfe zur Unterschlagung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Das Disziplinarverfahren gegen ihn ist noch nicht entschieden. 1781 Pfarrbericht Weil im Dorf, 1894. 1782 Robert Siegmund Weigand (15.12.1845 - 3.1.1927), in Weil im Dorf 1896 - 1913, Sigel Nr. 332,38. 1783 Pfarrbericht Weil im Dorf, 1898. 510 An Disziplinarsachen wurden in diesem Jahr in Weil im Dorf beanstandet: Hehlerei, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Notzucht, Sachbeschädigung, Unterschlagung, Betrug im Rückfall, eine Körperverletzung mit Todesfolge, 10 Körperverletzungen, 5 Diebstähle, 3 Sittlichkeitsverbrechen, 2 Selbstmorde. Anschließend wurde auch noch erwähnt: 50 Sozialdemokraten. Schultheißenamtsverweser Gommel, etwa 27 Jahre alt, Assistent beim K. Oberamt Leonberg, bringt den kirchlichen Angelegenheiten Interesse entgegen. Er wurde der nächste Schultheiß, war evangelisch, von kirchlichem Sinn und religiösem Interesse.1784 Die Gegensätze zwischen den Pfarrberichten von 1890 und 1898 sind so groß, daß man sich nur schwer vorstellen kann, daß es sich um dieselbe Gemeinde und denselben Schultheißen handelt. Die Verurteilung des Ortsvorstehers läßt aber doch vermuten, daß die Beschuldigungen, die von den Pfarrern Baur und Lang erhoben wurden, einer Grundlage nicht entbehrten. Sie wurden vom prüfenden Dekan und dem schließlichen Urteil ja auch bestätigt, was den beiden Pfarrern bestimmt eine späte Genugtuung war. Offensichtlich muß es an der Person des Pfarrers Weigand gelegen haben, daß er mit dem schwierigen Schultheißen von Weil im Dorf zurecht kam. An diesem Beispiel ist aber auch zu sehen, wie schwierig die Zusammenarbeit zwischen Pfarrer und der Gemeindeverwaltung bei einem Dissens sein konnte, daß jede Beurteilung in einem Pfarrbericht sehr stark von der Person des urteilenden Pfarrers abhängig war, und daß verschiedene Pfarrer bei ihrer Beurteilung einer ähnlichen Situation durchaus zu ganz verschiedenen Urteilen kommen konnten. 1784 Pfarrbericht Weil im Dorf, 1910, 1914. 511 12.0. Schlußbetrachtung. Die hier gestellte Aufgabe war, die allgemeine Entwicklung der evangelischen Landeskirche im 19. Jahrhundert an Hand der vorliegenden Pfarrberichte zu untersuchen. Diese Berichte müssen immer im Zusammenhang mit den Visitationen gesehen werden und waren, im allgemeinen alle drei Jahre, bei der Prüfung einer Pfarrei durch die vorgesetzte Behörde nach einem vorgegebenen Muster zu erstellen. Insofern ist eine Ähnlichkeit der Berichte, mindestens in der Gliederung, selbstverständlich, doch sollte natürlich immer die Möglichkeit, die Besonder- heiten der einzelnen Gemeinde zu beschreiben und herauszustellen, gewahrt werden. Verständlich ist auch, daß jeder Bericht immer auch durch den Charakter der Person bestimmt war, die ihn verfaßt hat, daß ein anderer Pfarrer die gleichen Umstände völlig anders sehen und beurteilen konnte, daß deshalb jeder Bericht einen individuellen, subjektiven Beitrag darstellte und höchst persönlich war. Über den gesamten Berichtszeitraum hinweg und an allen Orten finden sich die Klagen, daß der Kirchenbesuch besser sein könnte, daß die Kinderzucht zu nachlässig sei, daß das Gesinde nicht streng genug beaufsichtigt werde, daß Luxus und Trunksucht, Unzucht und Vergnügungssucht im Laufe der Jahre immer mehr zugenommen haben,1785 und daß vor allem der Wirtshausbesuch Unfrieden in die Familien und Unruhe in die Gemeinden getragen hat. Im Gegensatz hierzu wurde aber immer wieder auch darauf hingewiesen, daß es im Ort noch einen Kern kirchentreuer Gemeindeglieder gebe, bis zum Jahrhundertende vor allem die Mitglieder der Gemeinschaften, daß gute Werke häufig zu finden seien, daß das kirchliche Leben trotz aller Schwierigkeiten doch blühe und gedeihe. Wie aber die Gemeinde gesehen, wie die Umstände beurteilt, wie die Schwierigkeiten bewertet wurden, hing aber immer vom jeweiligen Geistlichen ab. Bei der Betrachtung der Pfarrberichte zeigte sich die Vielfalt des kirchlichen Lebens im 19. Jahrhundert. Es war zu sehen, daß die evangelische Kirche gerade in dieser Zeit außer den rein theologischen Fragen auch gesellschaftliche und soziale Aufgaben zu lösen hatte, daß sich neue Entwicklungen anbahnten, daß neue Kräfte sich entfalteten und sichtbar wurden, daß Entscheidungen auf vielen Gebieten getroffen werden mußten. Die evangelische Theologie war in der Anfangszeit noch geformt von der altprotestantischen Orthodoxie. Diese Sicherheit wurde von zwei Richtungen erschüttert: einmal von der Aufklärung, zum andern dem Pietismus. Waren in der Zeit der Aufklärung besonders rein rationale Überlegungen, vor allem die Besserung des Menschen, im Vordergrund gestanden, eine vernunft- und aufklärungsfrohe, auch gegen kirchliche Traditionen und Institutionen ziemlich kritische Theologie, so hatten in den folgenden Jahren die politischen, sozialen und geistigen Auseinandersetzungen ebenfalls Auswirkungen auf die Kirche und ihre Verfassung. 1785 Württembergische Kirchengeschichte, S. 619. 512 Im Pietismus wurde die Orthodoxie und die Kirchenleitung zunehmend der Kritik religiös-individueller Innerlichkeit ausgesetzt, es wurde aber auch versucht, den christlichen Glauben und die rationalen Überlegungen nicht auseinanderfallen zu lassen.1786 Die Bibel wurde historisch-kritisch betrachtet. Der Rationalismus gewann an Bedeutung. Das Moralisch-Praktische, aufklärerische Prinzipien, traten in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in den Kirchenleitungen in den Vordergrund. Schon in der ersten, verstärkt aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Herausbildung des Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums von großer Bedeutung für die Entwicklung der Landeskirche. Das Bürgertum war die tonangebende Schicht dieser Zeit, in der die Theologen und Juristen eine führende Rolle spielten, zu der aber auch die Mittelschicht der Kaufleute, der Fabrikanten und der Handwerker gehörten. Bildung war ein wichtiges Erziehungsziel geworden, von den bürgerlichen Geselligkeitszirkeln mit hohem ästhetischem Anspruch bis hin zu den Kreisen der Arbeiterbewegung, die ebenfalls ein Recht auf Bildung einforderten.1787 Die soziale Situation war gekennzeichnet durch das enge Nebeneinander von noch agrarisch geprägten kleinen Städten und gewerbsamen Dörfern, wenigstens im Kernbereich des Landes.1788 Die neuen Städteordnungen und das neue Gewerbe- recht lösten die alten Bindungen auf, in den fünfziger Jahren wurden in Württemberg die Handelskammern als Gegengewicht gegen die Zünfte aufgebaut, aus dem Untertan wurde der Bürger und der "Einwohner".1789 Die Theologie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts muß als bürgerlich angepaßt gesehen werden. Aber der Pfarrer war auf Grund seiner sozialen Stellung, seiner Bildung, auch auf Grund der seinen Status sichernden Verbindung von Thron und Altar, im Dorf nicht integriert, und er stand im Gegensatz zu den Arbeitern, die in ihm den bürgerlichen Gegensatz sahen. Andererseits war er immer Vorbild für christlich häusliches Leben, zum Vorbild in frommen Sitten, praktizierter Nächstenliebe und Bildungsstreben. Es zeigte sich in dieser Zeit auch der Wandel von der ständisch privilegierten hin zur Leistungsgesellschaft. Der Pietismus kam aus seiner reservierten und defensiven Haltung, die in den ersten Jahren des Jahrhunderts noch kennzeichnend für ihn gewesen war, heraus und konnte bis zur Jahrhundertmitte eine führende Stellung in der Landeskirche einnehmen. Dies ermöglichte zwar eine Zusammenarbeit mit den führenden politischen Kräften, konnte aber andererseits auf die drängenden Fragen und die veränderten Verhältnisse dieser Zeit keine Antworten finden und stand ihnen ziemlich ratlos gegenüber. Neben Kaufleuten und gehobenen Handwerkern, die sich gegen die Mitte dieses Jahrhunderts langsam zu Unternehmern entwickelten und durch die Gründung von Fabriken Bedeutung erlangten, waren schon früh die Beamten getreten, die sich in der Zeit des Absolutismus und der Aufklärung zu einer einflußreichen Schicht herausgebildet hatten und immer mehr an Einfluß gewannen. 1786 W.Müller: Die Kirche im Zeitalter des Absolutismus, S. 587, 588. 1787 Langewiesche: Bildungsbürgertum und Protestantismus, S. 63. 1788 Mann. Württemberg von 1800 - 1866, S. 330. 1789 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 133. 513 Der Begriff des „Bildungsbürgertums“ ist soziologisch sehr schwer zu fassen, besonders, wenn man ihn auch noch im Gegensatz zu dem später sich herausbildenden „Wirtschaftsbürgertum“ sehen will. Die Begriffe als solche sind zudem erst in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts geprägt worden, als die Realität des Bildungsbürgertums schon weitgehend verblaßt war.1790 Zwar standen beim Wirtschaftsbürgertum zweifellos die wirtschaftlichen Interessen immer im Vordergrund, aber auch bei dieser Schicht der Unternehmer war schon sehr früh eine akademische Ausbildung und damit ein gehobener Bildungsstand immer öfter erforderlich und auch gegeben. Die zunehmende Forderung nach einem spezialisierten Fachwissen im Zuge einer fortschreitenden Professionalisierung stellte eine solche Unterscheidung zusätzlich in Frage.1791 Aber Bildung verband und grenzte auch ab, denn nicht jeder, der um die Notwendigkeiten des täglichen Lebens kämpfen mußte, hatte auch die Möglichkeit, sich Bildung anzueignen. Dazu bedurfte es einer gewissen Entlastung von den üblichen Bedürfnissen, einer gesicherten Substanz, einer gewissen Ordnung, und es bedurfte eines planbaren Daseins.1792 In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts stand der Kampf um das tägliche Brot bei weiten Kreisen noch im Vordergrund. Noch im Jahre 1832 wurde in Schweinhausen bei Biberach im Totenbuch vermerkt, ein Mann sei verhungert.1793 Zur Schicht der Gebildeten gehörten in Württemberg um die Jahrhundertmitte des 19. Jahrhunderts etwa 5% der Bevölkerung. Zu ihnen zählten Beamte, Handwerker- und Kaufmannsfamilien, sowie ein Teil kleinbürgerlicher Familien. Gymnasium und Abitur ermöglichten einen sozialen Aufstieg.1794 Die Familien entwickelten sich in dieser Zeit weg von der bis dahin üblichen Großfamilie, hin zu einer Eltern- und Kinderfamilie. Sie grenzten sich gesellschaftlich gegenüber anderen Schichten ab. Wichtig wurde die Lektüre als Bildungselement. Damit verbunden waren die aufkommenden Lesegesellschaften, die Bildungs- und Geselligkeitsvereine. Seit 1809 wurden Liedertafeln und Liederkränze gegründet. Die Jakobinerklubs waren als die ersten politischen Vereine schon weit früher vorhanden. Mit dieser Herausbildung der besonderen Interessen des Bürgertums, zunächst des Bildungsbürgertums, war automatisch eine Abkehr von den rein religiös ausgerichteten Werten der Kirche und eine Ausdifferenzierung der Bedürfnisse hin auf neue Lebensziele gegeben.1795 Sehr früh schon wurden deshalb in den Pfarrberichten die Klagen über diese Abwendung laut, und sehr oft wurde festgestellt, daß es vor allem die Beamten waren, die sich diesen neuen Interessen zuwandten und dem Gottesdienst fernblieben. Die Mitte des 19. Jahrhunderts war aber wahrscheinlich die Zeit, in der der Pfarrer, zumindest auf dem Lande, immer noch den größten Einfluß in seiner Berufsgeschichte hatte.1796 1790 Kocka: Bildungsbürgertum, S.12. 1791 Kocka: Bildungsbürgertum, S.13. 1792 Kocka: Bildungsbürgertum, S.18. 1793 Totenbuch Schweinhausen, 1832. 1794 Bödeker: Die gebildeten Stände, S.27. 1795 Fehrenbach: Adel und Bürgertum im deutschen Vormärz. 1796 Marhold: Die soziale Stellung des Pfarrers, S. 187. 514 Der Dekan von Hall beklagte schon 1852, daß die dreizehn- bis vierzehnjährigen Turner am Sonntagmorgen, statt in die Kirche zu gehen, mit wehender Fahne zum Sport ausmarschierten. In Leutkirch registrierte der Pfarrer, daß seine Protestanten Sonntagmorgens, statt in die Kirche, lieber in die Wirtshäuser gingen, die allerdings alle, auch das war zu beachten, fest in katholischer Hand waren. Daß die unangenehmen Dinge, etwa die ledigen Kinder, immer von auswärts kamen, war für alle Pfarrberichte typisch. Nicht die meist anständigen Mädchen der Gemeinde bekamen die unehelichen Kinder, sondern die hereingekommenen Mägde und Handwerksburschen, die auch die schlechten Sitten mitgebracht hatten. Der geschiedene Mann, der in Isny eine Musikalienhandlung eröffnet hatte, war von auswärts zugezogen. Selbst der Stiftsprediger von Stuttgart weigerte sich, die Unehelichengeburten in seine Statistik aufzunehmen, weil durch die Frauenklinik am Katharinenhospital, in der die meisten ledigen Mütter von auswärts entbunden haben, seine Statistik ein völlig falsches Bild bekommen hätte. Die Unehelichengeburten konnten in der Regel auch als ein Zeichen für die Unchristlichkeit einer Gemeinde gesehen werden. Allerdings waren sie häufig auch eine Folge der Ehebeschränkungen, besonders seit 1833, und diese wiederum waren eine Folge des Pauperismus jener Jahre, wobei Massenarmut nicht erst eine Erscheinung der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war, sondern ein ausgesprochenes Strukturmerkmal vorindustrieller Wirtschaft in Südwest- deutschland.1797 Die Gemeinden waren nicht mehr imstande, die Armen ausreichend zu versorgen und versuchten, mit Heirats-verboten ihre Zahl klein zu halten. Die Folge dieser Beschränkungen war ein Anwachsen der Zahl der ledigen Kinder, auch das Ansteigen der Auswanderungen. Erst ab 1856 zeigte sich ein Wandel, und die Übernahme der Gesetze des Norddeutschen Bundes im Jahre 1870 erlaubten wieder allgemein die Eheschließung ohne Beschränkungen. Das Fehlen jeglicher sozialkritischer Tradition im Pietismus, die Weigerung, die aufbrechenden sozialen Probleme zu erkennen und zu artikulieren, hatten zur Folge, daß die Kirche in der Jahrhundertmitte den heraufkommenden Problemen der neuen bürgerlichen Schicht, der Industrialisierung und der Bildung der neuen Klasse der Industriearbeiter, ohne eine Antwort zu finden, gegenüberstand. Das konservative Programm des damals in der Kirchenleitung bedeutenden und bestimmenden Sixt Carl von Kapff hatte keinerlei Perspektiven zur Bewältigung dieser Probleme aufzuweisen. Seine konservativ-kirchliche Haltung verhinderte die Thematisierung und die eigentlich notwendig gewordene theologische Auseinandersetzung mit den Fragen der Zeit auf breiter Ebene. Sowohl die führende Schicht des Bürgertums, als auch die Klasse der Arbeiter hatten Schwierigkeiten, sich mit dieser ihrer Kirche, wie sie sich hier zeigte, zu identifizieren.1798 1797 Hippel: Am Ende des Alten Reiches, S. 207. 1798 Schäfer: Das Haus Württemberg, S. 490. 515 War man in der Zeit der Aufklärung aus der "Finsternis des Mittelalters" und "der Morgendämmerung des Humanismus und der Renaissance" in "das volle Licht der Vernunft" getreten,1799 so erhoben sich in der zweiten Jahrhunderthälfte verstärkt Klagen über "den Geist der Zeit, der keine Autorität mehr anerkennen wolle", und darüber, daß vor allem "die gebildete Bürgerschicht ganz der christlichen Sitte entschlagen" sei. 1800 Die Kirchenferne oder Kirchenfeindlichkeit, die "Entchristlichung" des Bürgertums und, mehr noch, der Industriearbeiter, wurde von allen evangelischen Pfarrern, vorwiegend in den protestantischen Großstädten, beklagt. Hier waren die Zentren des aufblühenden Bürgertums, aber auch der neuerstandenen Industrieansiedlungen. Hier zeigte sich, daß der Pietismus kaum eine Antwort auf die veränderte Situation der Gesellschaft fand. Selbstverständnis und Position der evangelischen Kirche waren zunehmend durch Widersprüche geprägt. 1801 Die Kirchen konstatierten, daß man "mehr Aufmerksamkeit für den irdischen Beruf, als für das Ewige und eine christliche Zucht" schenkte. Hauptsächlich in den Mischehen wurde immer wieder die Gleichgültigkeit gegen die eigene Konfession beklagt. "Der Zeitgeist ist ein Geist der Freiheit im schlimmen Sinn ohne Gewissensbedenken".1802 Der Pfarrbericht von Leutkirch aus dem Jahre 1889 beklagte, daß in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts ein rationalistisch gefärbter Protestantismus gepflegt wurde, daß die Kindererziehung der Zeitrichtung entsprechend weichlich war, daß die Beamten und die Taglöhner immer unkirchlicher wurden, daß es an tiefem, evangelischem Christentum fehle.1803 Neben einem Stamm religiös Lebender wurde immer auch die "religiöse Bedürfnislosigkeit gesehen, das dumpfe Hinleben, der allem Geistigen und Ewigen abgewandte Sinn".1804 Es konnte in dieser Arbeit gezeigt werden, daß materielle und geistige Enge auf der einen, großzügige Weite auf der anderen Seite sehr nahe beieinander angesiedelt sein konnten, daß aber das Bemühen um eine christlich geprägte Gesellschaft, auch das Bemühen um den Erhalt der überkommenen sittlichen Werte und Normen, die enge Verbindung von Kirche, Staat und Königshaus, das frühe Hineinwachsen des Pfarrhauses und der kirchlichen Institutionen in das sich herausbildende Bildungsbürgertum, kennzeichnend war bis weit in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts. Andererseits hatte die Weigerung, die aufbrechenden sozialen Probleme zu erkennen und zu artikulieren, zur Folge, daß die Kirche in der Jahrhundertmitte den heraufkommenden Bedürfnissen der neuen bürgerlichen Schicht, der Industrialisierung und der Bildung der neuen Klasse der Industriearbeiter, ohne eine Antwort zu finden, gegenüberstand. 1799 W. Müller: Die Kirche im Zeitalter des Absolutismus, S. 376. 1800 Pfarrbericht Biberach, 1870. 1801 Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. IV., S. 74. 1802 Pfarrbericht Biberach, 1879. 1803 Pfarrbericht Leutkirche, 1889. 1804 Pfarrbericht Böblingen, 1910. 516 Man versuchte in dieser Zeit ausdrücklich, im Pfarrhaus ein vorbildliches bürgerliches Leben zu führen, in dem Fleiß, Sparsamkeit und Genügsamkeit als besondere Tugenden sich mit Frömmigkeit und christlichem Leben verbanden.1805 Man sollte und wollte mit seinen Pfunden wuchern und für die Zukunft klug vorsorgen. Das Pfarrhaus war in dieser Zeit immer noch durch überkommene Institutionen geprägt. Man hielt sich noch an die alten Formen der Familie, auch an die Natur, in der sich das Göttliche äußerte. Alle diese Güter wurden als christlich verteidigt, jeder Angriff, von welcher Seite auch immer, wurde als Störung des göttlichen Friedens abgewehrt. Brakelmann hat darauf hingewiesen, daß die Verhaltensmuster, die die Kirche in dieser Zeit anzubieten hatte, alle vorindustriell geprägt waren, an agrarischen Strukturen orientiert und am Ideal der patriarchalischen Familie, und daß das staatliche Ordnungsdenken ein sachgerechtes Erfassen dieser neuen, dynamischen Verhältnisse verhinderte. "Der protestantische Konservativismus betrachtete die bestehenden Ordnungsformen der Gesellschaft als unantastbar". Die führenden Kreise der Kirche übersahen, daß mit dem neuen industriellen System auch eine neue gesellschaftliche Situation angebrochen war, die sich in dem massenhaften Auftreten einer neuen, sich bildenden Unterschicht ausdrückte, die sich in das alte Gefüge der Gesellschaft nicht mehr eingliedern ließ.1806 Die Zeit, in der christliche Maßstäbe als selbstverständlich für alle Gemeindeglieder, besonders für alle Familien galten, war vorüber. In dieser Zeit, beginnend bereits mit der Aufklärung, in der die Allgemein- gültigkeit einer christlichen Lebensführung, die jahrhundertelang von niemand in Zweifel gezogen worden war, verloren ging, wurde die Pfarrfamilie automatisch eine Insel.1807 Die Kirche verlor in diesem Jahrhundert ihr Monopol der Welterklärung. Eine Rückkehr zur althergebrachten Ordnung war vor allem nach dem Umbruch des Jahres 1848 aber nicht mehr möglich. Wenn man die oft sehr engen Verhaltensmuster der Pfarrer in dieser Zeit sieht, so muß zum Verständnis daran erinnert werden, daß die erwartete nahe Wiederkunft Christi keine Zeit für eine Umorientierung ließ, daß alles auf diesen Zeitpunkt hin ausgerichtet war. Auch als der von Bengel errechnete Zeitpunkt, das Jahr 1836, verstrichen war, änderte dies an der Einstellung der Pfarrer nicht viel. Christian Gottlob Barth schrieb 1843 seine Württembergische Geschichte, um nocheinmal, vor diesem Ereignis, daran zu erinnern, daß Gott es mit Württemberg doch gut gemeint habe, und Johann Christoph Blumhardt glaubte noch im Jahre 1880 nicht sterben zu müssen, ohne dieses Wunder erlebt zu haben. Das kirchlich gesinnte Bürgertum Württembergs, vor allem das sich herausbildende Bildungsbürgertum, mit seinem Ideal des kultivierten Menschen- freundes, dem die Lektüre ein wichtiges Bildungselement wurde, war immer noch protestantisch geprägt, und grenzte sich sowohl konfessionell gegen den Katholizismus, als auch sozial gegen die Arbeiter ab. 1805 Meuß: Das evangelische Pfarrhaus, S.117. 1806 Brakelmann: Die soziale Frage des 19.Jahrhunderts. S. 115. 1807 Beuys: Die Pfarrfrau. In: Greiffenhagen: Das evanglische Pfarrhaus, S. 52. 517 Diese Schicht gründete ihre gesellschaftlichen Ansprüche auf Bildungswissen und kulturelle Werte. Und genau diese Werte verloren , wie die Sozialgruppe Bildungsbürgertum überhaupt, im ausgehenden Kaiserreich die frühere Homogenität. Das neue naturwissenschaftliche Denken, vor allem in der Physik, gehörte nicht mehr zum Kanon bildungsbürgerlichen Wissens.1808 Es muß in diesem Zusammenhang aber auch gesehen werden, daß der Bildungsstand bis zum Ende des 19. Jahrhunderts eine gewaltige Ausbreitung und Vertiefung erfahren hatte. Die Trennung, die noch am Anfang des Jahrhunderts gegolten hatte, in eine Bevölkerung mit gelehrter lateinischer Bildung und die Laien mit einer dürftigen Elementarbildung, war überwunden. Die Zahl der Gebildeten war bedeutend geworden. Durch die Entfaltung der Industrie und des Handels, die Herausbildung des neuartigen ökonomischen Systems des Kapitalismus, mit durch Marktbeziehungen verbundenen Wirtschaftsunternehmen auf der Grundlage privaten Besitzes und privater Verfügungsmacht über Kapital, mit der Produktion und dem Tausch von Gütern und Leistungen auf Märkten allein mit dem Ziel, Gewinne zu erwirtschaften1809, mit technischen Innovationen, Kommerzialisierungsschüben und Marktnachfrage1810, durch das entsprechende Wachstum der Städte und auch des Wohlstandes, die langsame Mutation dessen, was einst als Luxus gegolten hatte, zur Konsumware, die Ausbildung des Volks- und Realschulwesens, die Neugestaltung des politischen Lebens, die Ausbildung der Selbstverwaltung und des Genossenschaftswesens, war eine breite, gebildete Mittelschicht entstanden, hinabreichend bis in die oberen Schichten der neuen, großstädtisch-groß- industriellen Arbeiterbevölkerung".1811 "Eine neue, von der Universitätsbildung verschiedene, allein doch ebenfalls höhere Bildung war entstanden".1812 Die neuen Erwerbsformen der Fabrikarbeit hatten nicht nur den Alltag im Kreise der Familie beeinflußt und verändert, sondern sie hatten auch Auswirkungen auf die Mentalität der Bevölkerung und berührten somit auch das kirchliche Leben. Die Haltung zur Arbeit änderte sich, die Arbeit wurde zum Beruf, "der seinen Sinn als ethische Verpflichtung in sich trägt".1813 Es kam zu einer religiösen Besetzung des Arbeitsbegriffes, Arbeit wurde eine Art Gottesdienst.1814 Die Kirche war nicht mehr auf allen Gebieten tonangebend und bestimmend, wie sie das noch am Anfang des Jahrhunderts gewesen war. Die Aufklärung hatte nicht nur die Kritik an der abendländischen Überlieferung laut werden lassen, sie stellte auch den komplexen Absolutheitsanspruch des Christentums überhaupt in Frage.1815 1808 Langewiese: Bildungsbürgertum und Liberalismus, S. 108. 1809 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 67. 1810 Wehler: Die Herausforderung der Kulturgeschichte, S. 144. 1811 Engelhardt: Bildungsbürgertum. S. 145. 1812 Mohl: Staatsrecht, S. 128. 1813 Sombart: Der Bourgeois, S. 135. 1814 Gestrich: Vergesellschaftung des Menschen, S. 101. 1815 W. Müller: Die Kirche im Zeitalter des Absolutismus, S. 374. 518 Schon 1844 hatte der Tübinger Staatsrechtler Johannes Fallati1816, Professor für Geschichte an der Universität Tübingen, eine schnelle Reform der Zustände in den Fabriken gefordert. Er verlangte neben Mitteln zur Verbesserung der äußeren Verhältnisse, wie der Versorgung mit gesunden Wohnungen, warmer Kleidung und hinreichender Ernährung, auch zu untersuchen, was "für die geistige und sittliche Veredelung der Arbeiter mit Erfolg getan werden könne".1817 Das immer mehr um sich greifende Trachten nach Erwerb und Genuß, nach irdischem Besitz, das die Pfarrer glaubten feststellten zu können, stand nach ihrem Urteil einem christlichen Leben, wie es für sie vorbildlich war, entgegen.1818 Auch andere Faktoren waren für die Veränderungen im kirchlichen Leben maßgebend. Der Eisenbahnbau in Württemberg1819 seit 1845 hatte einen erheblichen Anteil an der Industrialisierung des Landes. Er war mit steigendem Wohlstand verbunden und brachte zusätzliche Arbeit. Allerdings führte die verstärkte Mobilität auch zu einer stärkeren konfessionellen Durchmischung in bisher rein monokonfessionellen Gemeinden. Auseinandersetzungen der beiden Religionsgemeinschaften, besonders in der zweiten Jahrhunderthälfte, prägten diese Zeit. Die evangelische Kirche sah die zahlreichen katholischen Kirchenbauten teilweise als Bedrohung und hat in den Pfarrberichten von Stuttgart darauf hingewiesen, daß überall dort, wo eine evangelische Gemeinde eine Kirche baute, die Katholiken eine daneben errichteten: neben die Johanneskirche die Elisabethenkirche, neben die Friedenskirche die Nikolauskirche. Die katholische Kirche organisierte sich in dieser Zeit politisch, in Württemberg allerdings erst sehr spät, im Zentrum. Man beanstandete in frommen evangelischen Kreisen die Bildung dieses politischen Katholizismus und ganz allgemein „den römisch-jesuitischen Geist“. Schon seit der Jahrhundertmitte drängte die katholischen Kirche in ultramontaner Gesinnung verstärkt bei Mischehen auf katholische Kindererziehung, teilweise sogar unter Androhung der Exkommunikation. Unwillig registrierten populäre evangelische Zeitschriften die massiven katho- lischen Angriffe auf die evangelische Kirche. In ihnen wurde von katholischen Veröffentlichungen berichtet, die das Verhältnis der beiden Konfessionen nicht gerade im Sinne eines versöhnlichen Geistes förderten. So erschien in der katholischen Presse ein Artikel, in dem über das Lebensende Luthers gesagt wurde, dieser habe sich erhängt und sein Werk gehe mit Riesenschritten der Auflösung entgegen. 1816 Decker-Hauff: Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen, S. 291. 1817 Fallati: Das Vereinswesen, S. 5 1818 Pfarrbericht Vaihingen, 1876. 1819 Gall: Die Eisenbahn in Deutschland; Morlock: Die Königlich Württembergischen Staatseisenbahnen; Mühl: Die Württembergischen Staatseisenbahnen; Supper: Die Entwicklung des Eisenbahnwesens im- Königreich Württemberg; 519 In Gmünd wurde der alte katholische Pfarrer wegen seiner toleranten Haltung heftig angegriffen, und sogar der Bischof hielt dort eine sehr aggressive, gegen die evangelische Kirche gerichtete Rede, die nach Meinung des evangelischen Dekans zu einer gravierenden Verschlechterung des konfessionellen Verhältnisses führte. In Leutkirch, wo die expandierende Zahl der Katholiken die der stagnierenden Evangelischen 1880 erstmals überstieg, wurde ab diesem Zeitpunkt das Verhältnis der beiden Konfessionen zueinander immer kritischer. Den Jesuiten wurde vorgeworfen, sie schürten von Feldkirch her den Haß gegen alles Evangelische. Katholische Vereine wurden gegründet und aus der Umgebung hereingezogene Katholiken mit Unterstützung ihrer Kirche eingebürgert, indem die Geistlichkeit das Geld für das Wahlbürgertum bezahlte, und im Pfarrbericht hieß es: „Der Haß gegen alles Evangelische wird von der katholischen Geistlichkeit geflissentlich geschürt“. Die Zusammenarbeit im Stiftungsrat wurde verweigert, die bisherigen gemeinschaftlichen Gottesdienste an Königs Geburtstag eingestellt. Der Streit eskalierte, als die Katholiken die 1648 den Evangelischen zugesprochene Hospitalkirche zurückforderten und dies von den Gerichten zurückgewiesen wurde. Die Katholiken boykottierten daraufhin drei Jahre lang die evangelischen Geschäfte.1820 Aus der Gemeinde Böblingen wurde berichtet, kurz von seinem Tod sei dort ein Protestant zum katholischen Glauben übergetreten, „weil evangelisch gut leben, katholisch gut sterben sei“. Die Binnenwanderung, die bis 1850 kaum eine Rolle gespielt hatte, wurde in der zweiten Jahrhunderthälfte zu einem Massenphänomen, und die Verstädterung, gewann an Bedeutung.1821 Für den Bevolkerungsanstieg bis 1914 waren einerseits der Rückgang der Säuglingssterblichkeit seit 1870, aber auch bessere Ernährung, bessere private und öffentliche Hygiene, Krankheitsvorbeugung und bessere medizinische Betreuung verantwortlich. Durch das ganze Jahrhundert hat auch das sich herausbildende Vereinsleben die kirchlichen Belange berührt. Es nahm in der zweiten Jahrhunderthälfte einen immer breiteren Raum ein. Von Anfang an wurden in den Pfarrberichten selbstverständlich die christlichen Vereine gebührend gewürdigt und oft wurde berichtet, wie mühselig es manchmal war, einen solchen Verein am Leben zu erhalten. Die weltlichen Vereine dagegen wurden nur ganz vereinzelt erwähnt, und dann besonders deshalb, weil sie oft für das kirchliche Leben als störend und sogar schädigend empfunden wurden. Vereinsveranstaltungen am Wochenende beeinträchtigten den Kirchenbesuch, und die Pfarrer klagten, daß viele Bürger in mehreren Vereinen gleichzeitig tätig waren und so für kirchliche Belange überhaupt keine Zeit mehr hatten. 1820 Pfarrbericht Leutkirch, 1889. 1821 Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3, S. 505. 520 Die Vereine, besonders die Arbeiterbildungsvereine, wurden ein wichtiges Instrument auch der arbeitenden Klassen. Sie beanspruchten die Freizeit der Dorfbewohner, sie hielten vom Kirchenbesuch ab, sie signalisierten vor allem, daß die Interessen der Bürger sich nicht mehr rein kirchlich ausrichteten. Dem Versuch, dieser Abwendung mit christlichen Vereinen entgegen zu steuern, war nur ein bedingter Erfolg beschieden. Überall wurde über die Schwierigkeit, vor allem die männliche Jugend für solche christlichen Vereine zu begeistern, geklagt, während die Frauen hierfür anscheinend leichter zu gewinnen waren. Die Änderung der ganzen Haltung zeigte sich auch an der Entwicklung der Kirchenmusik, die zum Ende des Jahrhunderts ebenfalls wieder an Bedeutung gewann, nachdem sie in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts zu einem Niedergang verurteilt war. Die aufgeklärte Theologie war zu schöpferischen Taten nicht mehr in der Lage. Die Zeit eines Buxtehude, Händel oder Bach war vorüber. Das Musikleben ging von den Höfen allmählich an das Bürgertum, das mit Orchestern, Chören und Theatern und nicht zuletzt der intensiven Pflege der Hausmusik eine riesige Produktivität bei Komponisten, Interpreten, aber auch Verlagen und Instrumentenbauern auslöste. Es kam in dieser Epoche der Romantik zur Gründung des ersten evangelischen württembergischen Kirchen- gesangvereins durch Konrad Kocher. Vierstimmige Chöre und Choräle wurden gesungen. Silcher, Kocher und Frech bearbeiteten ein neues Choralbuch, das in Gemeinden und Schulen seinen Einzug hielt. Die Aufführung von Händels "Messias" in der Stuttgarter Stiftskirche im Jahre 1831 wurde von Karl Gerok als großes Erlebnis gefeiert.1822 Auch Greifenhagen weist in seinem "Evangelischen Pfarrhaus" darauf hin, daß die Pfarrfamilien mit ihren Stimmen und Instrumenten den Gottesdienst unterstützten.1823 In dieser Zeit wurden dann auch Bach und andere alte Meister, die völlig vergessen waren, wiederentdeckt, und bedeutende neue Meister wie Brahms, Bruckner und Mendelssohn fanden ihren Platz in der neuen Kirchenmusik, die auch als Gegenbewegung gegen die allgemeinen Zeiterscheinungen gesehen werden muß. Zum Jahrhundertende führte diese Entwicklung dann zur völligen Auflösung tonaler Zusammenhänge in Chromatik, Enharmonik und Modulations- harmonik. 1824 Unter dem geschlechtsspezifischen Blickwinkel betrachtet, zeigt sich, daß Frauen grundsätzlich die Hauptträger der kirchlichen Frömmigkeit in allen Bereichen und über den ganzen betrachteten Zeitraum hinweg waren. Sie stellten in den Gemeinschaften die meisten Mitglieder, sie überwogen beim Besuch der Gottesdienste und der Teilnahme am Abendmahl, oft waren sie allein in den Kathechisationen und Gebetstunden vertreten. Immer und überall hatten die Jungfrauenvereine mehr Mitglieder, als die Jünglingsvereine. 1822 Strebel: Ein musikalisches Pfarrhaus, S. 48; Gerok: Jugenderinnerungen, S. 44. 1823 Greiffenhagen: Das evangelische Pfarrhaus, S. 14. 1824 Kirchliche Sommerwoche der evangelischen Kirchengemeinde Stuttgart-Vaihingen, 4. 9. 2003. 521 Im Pfarrbericht von Großheppach aus dem Jahre 1857 hieß es hierzu, daß in dem bei weitem größten Teil der Gemeinde nicht eigentlich ein innerliches Interesse am öffentlichen Gottesdienst wahrzunehmen sei. Aber ein guter Kern etlicher Familien und mehrerer einzelner Personen war immer noch vorhanden. Dies galt ganz besonders für die weibliche erwachsene Jugend, "wo eine Herzensteilnahme am öffentlichen Gottesdienst und Lust zur Wahrheit zu finden ist".1825 In vielen Berichten wurde erwähnt, daß es zwar keine ausgesprochene Kirchenfeindlichkeit gab, daß die Abnahme des Gottesdienstbesuches ihre Ursache nicht in einer prinzipiellen Ablehnung von Religion und Kirche hatte, sondern einerseits, unter anderem, durch den Wandel der Arbeitsgewohnheiten bedingt war, andererseits sich daneben aber sehr wohl auch Gleichgültigkeit gegenüber den kirchlichen Einrichtungen und Aktivitäten zeigte, die dazu führte, daß die Verbindung zwischen der Kirche und ihren Gliedern zeitweise sehr lose wurde.1826 Die dominierende Rolle des Pfarrers, der seine Vorstellungen und Verhaltensweisen auf die einzelnen Glieder seiner Gemeinde übertragen wollte, wurde in den späteren Jahren von weiten Kreisen der Bevölkerung in Frage gestellt. Die Zeiten, in denen er in seiner Gemeinde den Ton angab und bestimmte, gehörten der Vergangenheit an. Neben die noch konventionell kirchlich eingestellten, kirchentreuen Gemeinde- glieder, vor allem die Anhänger des Pietismus, die den Alltag religiös zu deuten versuchten, die „das Salz der Gemeinde“ waren, traten solche, die das Dieseitige- Profane-Reale sehr wohl vom Religiösen trennten, die für freizügigere Lebensformen eintraten, die sich auf Konsum hin orientierten, für Freizeit, Sport und Reisen eintraten, die nur noch selten in die Kirche gingen oder ihr ganz fernblieben, und die versuchten, den Alltag ohne Hilfe des Kirchlichen zu bewältigen.1827 Der Lebenswelt des Pietismus, gebunden an die Sonntagsheiligung, ausgerichtet an die Werke der Inneren und Äußeren Mission und eine traditionelle Ethik, stand besonders schroff die Lebenswelt des aufgeklärten Bürgertums und der Sozialisten gegenüber. Dies wurde von allen Pfarrern, während des gesamten Zeitraumes und überall in Württemberg, besonders aber in der zweiten Jahrhunderthälfte, ganz gleich, ob es sich um Zentren des Pietismus im Kerngebiet des Landes, oder um Orte in der Diaspora, etwa in Neuwürttemberg, handelte, gleich auffallend registriert. Als "eine veränderte Gestaltung des sozialen, häuslichen und kirchlichen Lebens" hat der Pfarrer von Böblingen diese Situation 1860 beschrieben. 1825 Karl August Spring (1.5.1807 - 26.7.1857), Sigel Nr. 407,46. 1826 Pfarrbericht Vaihingen, 1876. 1827 Haag: Zur Anatomie ländlicher Religiosität, S. 14; Lehmann: Die neue Lage. In: Brecht: Geschichte des Pietismus, Bd. 3, S. 24. 522 Daß eine solche Kirchenferne durch die veränderten Bedingungen erklärlich und in manchen Fällen ein anderes Leben unter den gegebenen Umständen nur noch schwer möglich war, war an dem Beispiel der Arbeiter zu sehen, die während der Woche voll in das Fabrikleben eingespannt waren und denen für die Erledigung häuslicher, privater Arbeiten nur noch der Sonntag übrig blieb, wofür der Pfarrer von Vaihingen sogar Verständnis zeigte.1828 Die in den Berichten angeprangerte Erledigung weltlicher Arbeiten am Sonntag, der Versuch, freie Zeit auch zur Erholung und zum Vergnügen zu nutzen, und natürlich auch die vielen Wirtschaften trugen, nach Ansicht des Pfarrers, zur Entheiligung des Sonntages und des religiösen und kirchlichen Sinnes der Gemeindeglieder bei. All dies waren Begleitumstände einer sich wandelnden Gesellschaft.1829 In der zweiten Jahrhunderthälfte rückten aber die sozialen Probleme, die Fragen der Industrialisierung und Urbanisierung, durchaus in das Blickfeld der Pfarrberichte. Es gab verbreitet Bemühungen, die sozial Schwachen und Benachteiligten, denen ja über viele Jahrhunderte die besondere Fürsorge der Kirchen gegolten hatte, wieder in irgend einer Form in die Gemeinschaft des Volkes und auch der Kirche hereinzunehmen und zu integrieren. Es wurde gesehen, daß besonders in den größeren Städten und Industriegegenden die Kirche keine Volkskirche mehr war, und daß man seinen ganzen Einfluß aufbieten müsse, die Teile, die keine Verbindung mehr mit der Kirche hatten, durch eine verstärkte Gemeinschaftspflege wieder zurückzugewinnen.1830 In dieser Zeit wurde aber auch die Frage diskutiert, ob und wie weit am Überkommenen-Orthodoxen festgehalten werden solle, ob man nicht auch für das Neue offen sein oder sich öffnen müsse, wie denn das Neue überhaupt aussehen solle, ob beispielsweise der Pietismus in all seinen Formen in die Kirche hereinzunehmen oder grundsätzlich abzulehnen sei. Lange Zeit hielt man noch an den überkommen Formen der Familie fest, an der heilen Welt des Bildungsbürgertums, "in der neben Albert Knapp auch Friedrich Schiller gelesen wurde", die auch für das Pfarrhaus so prägend gewesen war, eventuell auch an die Natur, in der sich das Göttliche offenbarte. Alle diese Güter wurden als christlich verteidigt, und jeder Angriff, von welcher Seite auch immer, wurde als "Störung des göttlichen Friedens" abgewehrt.1831 Es war auch die Frage akut und zu prüfen, wie denn die Kirchenleitung sich zu all diesen Problemen stellte, wie sie den vielfältigen Kräften, die sich auf allen Gebieten entfalteten, gegenübertreten, wie sie auf die Fragen, die an sie herangetragen wurden, reagieren, wie sie den neuen Formen und Aktivitäten, die sich herausbildeten und zeigten, begegnen sollte. 1828 Pfarrbericht Vaihingen/F., 1880. 1829 Bührlen-Grabinger u. a.: Vaihingen, Rohr, Büsnau, S. 152. 1830 Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg, 65. Jg., Nr. 19, 7. Mai 1904, S. 145. 1831 Greiffenhagen: Pfarrerskinder, S. 22; Lehmann: Die neue Lage. In Brecht: Geschichte des Pietismus, S. 25. 523 All diese Probleme mußten überdacht, geprüft und beantwortet werden, und zwar nicht mehr im Sinne des alten Obrigkeitsstaates, sondern in Konfrontation mit neuen gesellschaftlichen Formen und veränderten sozialen Bedingungen. Synode und Konsistorium waren aber offen für die Fragen der Zeit und haben neben der Sorge um die Einhaltung der agendischen Ordnung und dem Perikopenzwang Raum gelassen auch für liturgisches Handeln in eigener Verantwortung. Auch die Gegensätze an der Universität in Tübingen zwischen der pietimuskritischen Theologie eines Johann Tobias Beck (1804 - 1878), der seine biblische Lehre als biblischen Realismus unmittelbar aus der Heiligen Schrift schöpfte, auf der einen, später eines Adolf Schlatter (1852 - 1938), der aus St. Gallen stammte und seit 1898 in Tübingen lehrte, und der sich auf die Auslegung der neutestamentlichen Schriften festlegte, auf der anderen Seite, die Frage, ob das Christentum als historisches Phänomen zu betrachten sei, oder ob das Wort Gottes allein und unbedingte Grundlage der Forschung zu bleiben habe1832, wollte beantwortet werden. Die ideale Vorstellung vieler junger Theologen am Ende dieses Jahrhunderts, in einer Gemeinde auf dem Lande, wo die Religion noch die moralische Ordnung repräsentierte, vor den Auseinandersetzungen in einer Stadt geborgen zu sein, dort noch die Möglichkeit zu haben, etwas zu bewirken, eine kleine, überschaubare Menschengruppe führen und formen zu können, war sehr verlockend und hat viele Theologen bestimmt, diesen Weg einzuschlagen. Der Dienst in einem Dorf als heiler Welt, mit einer gewachsenen Tradition, ohne die sozialen Gegensätze, die in der Stadt immer mehr aufbrachen, war für diese Generation noch durchaus erstrebenswert.1833 Noch war nicht abzusehen, daß die Entwicklung so verlaufen könnte, daß Kirche und Pfarrhaus in eine existenzielle Krise geraten, und daß die Zeit, in der die Kultur des ganzen Landes immer noch wesentlich von der Kirche geprägt wurde, der Vergangenheit angehören würde. Aber man sah und erkannte durchaus die Probleme, und man suchte eine Lösung für sie zu finden. Man registrierte außer dem nachlassenden Kirchen- und Abendmahlsbesuch, daß ganz allgemein der kirchliche Einfluß in gewissen Kreisen nachzulassen begann, und daß vor allem die eigenen kirchlichen Vorstellungen nicht mehr überall und selbstverständlich, wie noch am Anfang des Jahrhunderts, akzeptiert wurden. Man registrierte als Krisenphänomen auch die Ausbreitung gewisser Sekten und vor allem den zunehmenden Einfluß des Katholizismus in der zweiten Jahrhundert- hälfte, man sah, daß das „Jesuitentum“ seine Wirksamkeit vergrößerte und sogar von manchen offiziellen Stellen unterstützt wurde. 1832 Hermelink: Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg, S. 430. 1833 Decker-Hauff: Ein Pfarrersleben. S. 15. 524 Eine Analyse der in der Allgemeinen Deutschen Biographie behandelten Personen zeigt, daß über zwei Jahrhunderte hinweg mehr als die Hälfte der dort aufgeführten bedeutenden Männer Pfarrersöhne gewesen waren.1834 Bedeutende Dichter, wie Gryphius, Gottsched, Gellert oder Claudius, wie Lessing, Wieland, Jean Paul, Ina Seidel, Hermann Hesse oder Gottfried Benn gehörten dazu. In diesem Kreis vertreten waren auch so bedeutende Historiker wie Pufendorf, Droysen, Mommsen und Jacob Burkhardt, die Philosophen Schelling, Schleiermacher, Nietzsche, Dilthey, die Theologen Adolf von Harnack, Karl Barth, Rudolf Bultmann oder Paul Tillich. Sie alle haben das kulturelle und geistige Leben ihrer Zeit geprägt. Der Pfarrer, Historiker und Zeitgenosse Rankes, Wilhelm Zimmermann, soll hier nicht vergessen werden, und natürlich auch nicht Philipp Matthäus Hahn, aus einem Pfarrhaus in Scharnhausen. Noch bis in den Ersten Weltkrieg hinein hatte die evangelische Kirche ihre äußere Ordnung dem überwiegend wohlwollenden landesherrlichen Kirchenregiment anvertrauen können, war der Pfarrer der Wahrer der Tradition, der Wächter der reinen Lehre, der Lehrer seiner Gemeinde in einer Kirche für das Volk und einer Kirche des Volkes.1835 Aber die Urbanisierung und Säkularisierung der Gesell- schaft, die hohe Mobilität und der soziale Umbruch veränderten auch nachhaltig diese Kirche. Die Christengemeinde war seit 1887 nicht mehr identisch mit der bürgerlichen Gemeinde "in einem säkular sich verstehenden Staat und einer säkularisierten Gesellschaft",1836 und bereits hier zeigten sich erste Anzeichen hin auf die spätere Entwicklung zur "Volkskirche", die vielgestaltigen Glaubensweisen und Frömmigkeitsprägungen Raum geben sollte.1837 Der Staat hatte im Laufe dieses Jahrhunderts immer mehr Bereiche an sich gezogen, die früher einmal kirchlichen Institutionen überlassen waren. Er verstand es verstärkt als seine Aufgabe, Hüter von Moral und Sittlichkeit zu sein. Vergehen gegen diese Punkte wurden nicht mehr kirchlich gerügt, sie wurden als Gesetzesverstöße geahndet. Die Bestimmungen des neuen Strafgesetzbuches vom 1. März 1839 brachten auch hier neue Maßstäbe. Ehebruch wurde künftig mit Gefängnis bestraft, aber nur noch, wenn "der beleidigte Ehepartner Klage erhob". Eine Beurteilung kirchlicher Stellen wurde nicht mehr verlangt. Das sich entwickelnde Bürgertum, die aufkommenden politischen Parteien, eine kapitalistische, auf Gewinn ausgerichtete Wirtschaft, die heranwachsende und sich ausformende Industriearbeiterschaft, völlig veränderte Ansichten im Schulwesen, das neu sich herausbildende Vereinswesen, die stärkere Mobilität der Bevölkerung durch den Eisenbahnbau, eine sich ändernde Einstellung zu Bildung und Freizeitverhalten, all das wirkte zusammen, um den Einfluß der bis dahin allein bestimmenden Kirche zurückzudrängen. 1834 Sorg: Leben im evangelischen Pfarrhaus, S. 313. 1835 Janowski: Bürge, Bote, Begleiter, in Greiffenhagen: Das evangelische Pfaarhaus, S. 415. 1836 Janowski: Bürge, Bote, Begleiter, in Greiffenhagen: Das evangelische Pfarrhaus, S. 428. 1837 Sorg: Er das Haupt, wir seine Glieder, S. 158. 525 Die Armenfürsorge und später die Aufsicht über die Schule ging mehr und mehr aus der Hand der Kirchenkonvente in den Aufgabenkreis weltlicher Organe über. Häufig waren die bürgerlichen Gemeinden mit der Aufgabe der Armenversorgung auch überfordert und oft wurden drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Leistungen verlangt. Die Not der Gemeinden, das immer stärkere Andrängen verarmter Bevölkerungsschichten, die Überbelastung der Armenkassen hatten zur Folge, daß die Gemeinden seit 1830 Ehebeschränkungen für bestimmte Kreise forderten. Die Ehebeschränkungen bis 1871 schlugen sich in den Pfarrberichten in der größeren Zahl von Unehelichengeburten nieder, und auch die Auswanderungs- wellen dieses Jahrhunderts, die ihren Grund oft in der Armut zu suchen hatten, waren eine Folge. Man hat errechnet, daß in Württemberg zwischen 1852 und 1863 auf Grund der gesetzlichen Ehebeschränkungen ungefähr 6% aller heiratswilligen Paare abgewiesen wurden. Die Folge dieser Maßnahmen war ein geringerer Anstieg der Bevölkerung, im Durchschnitt nur etwas mehr als ein halbes Prozent, während in Baden etwa ein Prozent und in Preußen deutlich über ein Prozent erreicht wurde,1838 sowie ein Anstieg der unehelichen Geburten von 12,86% im Jahre 1851 auf 15,05% im Jahre 1856 und 17% im Jahre 1859,1839 der auch in den Berichten klar zum Ausdruck kam. Die Beschränkungen wurden nach der Übernahme der Gesetze des Norddeutschen Bundes mit einem Württembergischen Landesgesetz vom 30. Dezember 1870 wieder aufgehoben.1840 Im Zusammenhang damit muß man aber auch sehen, daß die Bevölkerung Europas, noch nie so rasch gewachsen ist, wie im 19. Jahrhundert. 1800 zählte man 180 000 000 Menschen, 1905 bereits 419 000 000, wobei berücksichtigt werden muß, daß hier die hohen Auswanderungszahlen nicht berücksichtigt sind.1841 Die Bevölkerung in Deutschland wuchs von 25 auf 65 Millionen. Angesichts dieser Zahlen ist die Aussage über volle Kirchen am Anfang und Ende des Beobachtungszeitraumes sehr relativ zu sehen. Sombart hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Wirtschaftsform sich von der Hauswirtschaft löste und einer Industrialisierung Platz machte, die von dem eindringenden ökonomischen Rationalismus bestimmt wurde. Die frei werdenden Kräfte belasteten zusätzlich den Sozialetat der Gemeinden.1842 In einem Überblick über die Entwicklung im Laufe dieser fast hundert Jahre läßt sich feststellen, daß im Leben der evangelischen Landeskirche ein völliger Umbruch stattgefunden hat. Von der im 18. Jahrhundert und noch bis 1806 wesentlich gesellschaftlich bestimmenden Kraft war ein ständiger Rückzug auf allen bis dahin von ihr bestimmten und gestalteten Gebieten festzustellen. 1838 Fischer: Die Industrialisierung und ihre Probleme, S.141. 1839 Matz: Pauperismus und Bevölkerung, S. 135. 1840 Regierungsblatt 1871, S. 24. 1841 Sombart: Der moderne Kapitalismus, Bd.III, S. 355. 1842 Sombart: Der moderne Kapitalismus, Bd.III, S .356. 526 Die Kirchen mit ihren beschränkten Mitteln spielten bei der Armenversorgung am Ende des 19. Jahrhunderts keine Rolle mehr. Sowohl die evangelische, als auch die katholische Kirche versagten vor dem Problem des Massenpauperismus, der sozialen Frage, die sich aus der sich bildenden neuen Klassengesellschaft ergab. Sie waren nicht imstande, die sozialen Folgen des gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozesses wahrzunehmen. Sie fanden auch keine Antwort auf die Entfremdung gegenüber dem religiösen Leben, wie sie sich besonders in proletarischen, aber auch in bürgerlichen Kreisen zeigte.1843 Mit einem Verwaltungsedikt vom 1. März 1822 hatte König Wilhelm die Armenfürsorge den bürgerlichen Gemeinden übertragen. In den Wohltätigkeits- vereinen war versucht worden, die staatlichen, kirchlichen und privaten Hilfsmaß- nahmen zu koordinieren, wobei besonders auf Arbeitsbeschaffung und Erziehung zur Arbeit Wert gelegt wurde.1844 Der Einfluß der Kirchenkonvente war schon sehr bald zurückgedrängt worden, und auch hier war der Staat mit seinen eigenen Organen an ihre Stelle getreten. Wehler hat darauf hingewiesen, daß die Kirche ihrem ureigensten Anspruch nach eigentlich Beistand der Entrechteten und Erniedrigten, der Elenden und Bedrückten, hätte sein müssen, daß sie aber jahrzehntelang kein Verständnis aufbrachte für die am Abgrund der Gesellschaft Lebenden, daß sie vielmehr die feindselige Haltung der bessergestellten Schichten und Klassen gegenüber diesen Benachteiligten teilte und unterstützte.1845 Später hat der Zusammenbruch des Weltkrieges, das Ende der bis dahin mit der Kirche eng verbundenen Monarchie, der Wegfall des Summepiscopats, eine Neubesinnung auf andere, neue Aufgaben erfordert. Die Trennung von Staat und Kirche wurde damit endgültig erreicht und die Landeskirche hatte mit ihrer neuen Verfassung auch einen neuen Rahmen erhalten, innerhalb dessen sie versuchen konnte, ihre neuen Aufgaben zu erfüllen. Von dem Status, in dem die evangelische Landeskirche fest in das Gefüge der Ministerien eingebunden und zu einer selbständigen Regung überhaupt nicht fähig war, bis zur weitgehenden Selbstverwaltung vor dem Ersten Weltkrieg war es ein beachtlicher Weg. War in der ersten Zeit das Konsistorium noch eine reine Verwaltungsbehörde, konnte auch der Synodus keine kirchenleitenden Funktionen mehr erfüllen, war der einzelne Pfarrer, wie jeder andere Beamte auch, überwacht und beaufsichtigt, an Gesetze und Vorschriften gebunden, so zeigten sich unter der Theologie Schleiermachers (1768 - 1834) seit der Mitte der dreißiger Jahre ein erster Ansatz zu einer Weiterentwicklung hin auf eine Landeskirchen- verfassung.1846 1843 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 459. 1844 Akten zur Wohltätigkeits- und Sozialpolitik Württembergs im 19. und 20. Jahrhundert; Maier: Zwischen Kanzel und Webstuhl, S. 23. 1845 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 468. 1846 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 225. 527 Bereits das neue Gesangbuch und das Kirchenbuch von 1842 wurde unter dem drängenden Einfluß des Pietismus von einem Gremium von Pfarrern erarbeitet, die Vorschläge prüfen und selbst Vorschläge einbringen sollten. Die im Herbst 1848 einberufene Kommission zur Ausarbeitung einer Verfassung für die Landeskirche, die ihre Angelegenheiten selbst ordnen und verwalten sollte, blieb infolge der Ereignisse von 1848/49 ohne Ergebnis. Lediglich ein Pfarrgemeinderat als Vertretung der Gemeinde 1851, und eine Diözesansynode für den Dekanatsbereich 1854, die allerdings mit recht wenigen Befugnissen ausgestattet war, kam zustande. Nach der Institutionalisierung einer Landessynode konnten dann die anstehenden Fragen der Zeit in Angriff genommen werden. Neue kirchliche Gesetze konnten mit Zustimmung der Synode erlassen werden. Das Konsistorium führte künftig im Namen des Königs die Kirchenverwaltung.1847 Die Trennung der bürgerlichen von der Kirchengemeinde trat mit dem Gesetz von 1887 in Kraft. Die Kirche besann sich auf ihre soziale Verpflichtung und erkannte, daß sie allzu lange zu den brennenden Fragen der werdenden Industriegesellschaft geschwiegen hatte. Immer und überall gesehen wurde auch die kirchenfeindliche Haltung der Sozialdemokratie, die sich vor allem in Stuttgart, Heilbronn und Eßlingen zeigte, "in der sich alle der Kirche feindlichen Kräfte nachgerade vereinigen" und der der Atheismus zur Seite gestellt wurde.1848 Es erregte Aufsehen, daß sich Christoph Friedrich Blumhardt (1842 - 1919) der Sozialdemokratie anschloß, deren sozialistische Zukunftshoffnung er mit der Reich-Gottes-Hoffnung des Christentums in Übereinstimmung sah.1849 Auf einem weiteren Gebiet ist der Unterschied zwischen dem Anfangszeitraum und der Zeit am Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls deutlich festzustellen. Waren die ersten drei Jahrzehnte noch geprägt von aufklärerischen Prinzipien, von der zum Begriff gewordenen Idee des konfessionellen Friedens, der konfessionellen Irenik als religiöser Zielvorstellung, so zeigten sich im letzten Drittel des Jahrhunderts deutlich die Betonung der Differenzen und der Gegensätze. Die 5. Landessynode befaßte sich 1894 mit der Frage, wie weit der Geistliche an die Vorschriften des Kirchenbuchs gebunden sei. Nach langen Verhandlungen einigte man sich auf die Formel, daß eine gesetzliche Bindung des Geistlichen an den Wortlaut des Kirchenbuchs nicht beabsichtigt sei, daß dagegen "von den Geistlichen im Gebrauch des Kirchenbuchs diejenige Pietät und Gewissen- haftigkeit erwartet werde, welche nicht ohne Not eigenmächtige Veränderungen vornimmt".1850 1847 Schäfer: Zu erbauen und zu erhalten, S. 277. 1848 Württembergische Kirchengeschichte, S. 619. 1849 Werner Raupp: Christoph Friedrich Blumhardt. RGG.1, Sp. 1647; Gottschick: Unerwartete Wege, S. 23. 1850 Kolb: Geschichte des Gottesdienstes, S. 28. 528 Die Landessynode führte 1901 eine neue Schulbibel mit ausgewählten Texten ein. Am 1. November 1907 kam auf der 7. Landessynode ein neues Konfirmations- büchlein in Gebrauch, die Formulare für die kirchlichen Handlungen, wie Taufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigung, wurden mit einem Synodalerlaß vom 6. Dezember 1907 neu gefaßt; 1908 kam eine neue Liturgie, und 1912 wurde die Amtsverpflichtung neu geregelt. Schließlich erschien 1912 auch das neue Gesangbuch für die Evangelische Kirche in Württemberg, das die pietistische Tradition stark berücksichtigte. Grundlage aller Arbeit blieb immer die Heilige Schrift.1851 Ein 1898 beschlossenes Gesetz regelte die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments beim Aussterben der evangelischen Linie des Hauses Württem- berg. Als König Wilhelm am 30. November 1918 die Krone niederlegte und damit das Summepiskopat wegfiel, konnte hier angeknüpft und die Leitung der Evangelischen Landeskirche weitergeführt werden. Es gab allerdings in diesem Zusammenhang viele offene Fragen, denn das Verhältnis zwischen König und Landeskirche war gut gewesen. Dies kam auch in den Abschiedworten zum Ausdruck: "Von innigem Dank erfüllt für allen Schutz und die treue Fürsorge, deren die evangelische Landeskirche von der gesegneten Regierung Euer Kgl. Hoheit sich zu erfreuen gehabt hat...." In den Pfarrberichten haben diese Ereignisse aber keinen Niederschlag gefunden. Das Ende der Staatskirche führte zu einer neuen Kirchenverfassung, die durch das Gesetz vom 3. März 1924 beschlossen, am 1. April 1924 in Kraft treten konnte.1852 Der erste Vorstand wurde der Konsistorialpräsident D. Hermann Zeller. Die Entwicklung von einer Kirche, die in einen neuabsolutistischen Staat eingebunden war, hin zu einer Volkskirche, deren Aufgabe es künftig sein sollte, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, war damit abgeschlossen. Die Landeskirche hatte mit ihrer neuen Verfassung einen Rahmen erhalten, innerhalb dessen sie versuchen konnte, ihren Auftrag weiter zu erfüllen. Dieser Auftrag war in der neuen Verfassung klar formuliert: "Die evangelisch-lutherische Kirche in Württemberg, getreu dem Erbe der Väter, steht auf dem in der Heiligen Schrift gegebenen, in den Bekenntnisssen der Reformatoren bezeugten Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn. Dieses Evangelium ist für die Arbeit und Gemeinschaft der Kirche unantastbare Grundlage. 1851 Gottschick: Unerwartete Wege, S. 77. 1852 RegBlW 1924, S. 47 - 74. Zu diesem Zeitpunkt konnte dann auch die von der Landeskirchenversamm- lung am 24.Juni 1920 verabschiedete Verfassung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg in Kraft treten: Amtsblatt des württembergischen evangelischen Konsistoriums und des Synodus Nr. 19 (1920), S. 199 - 209. 529 Wir betonen vor allem nachdrücklich, daß wir von ganzem Herzen auf dem Boden des apostolischen Glaubensbekenntnisses samt Luthers Erklärungen dazu im zweiten Hauptstück des Kathechismus stehen".1853 Bei der Ausrichtung an der reformatorischen Theologie hatte eine christliche Kirche in der heutigen Zeit einen säkularisierten Staat und eine säkularisierte Gesellschaft als Tatsache anzuerkennen. Der Kirche muß aber innerhalb dieses Staates ein Freiraum zugestanden werden "für ihre Verkündigung vom Anspruch und Zuspruch Gottes".1854 An die Stelle einer institutionellen Absicherung, aus der die Kirche ihre Kraft bezogen hatte, war zum "Priestertum aller Gläubigen" das "Diakonat aller Gläubigen" getreten, die erfahrbare Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, die Erfahrung auch, "wie aus Schuld Vergebung, aus Trauer Trost, aus Zerbrechen Neuanfang und aus Tod Leben hervorgeht"1855. Es hatte sich, trotz allem Wechsel und allen Änderungen, die in den dargestellten hundert Jahren zu verzeichnen waren, gezeigt, daß sich der Grundauftrag dieser Kirche, nämlich die Verkündigung der "veritas catholica evangelii",1856 der Wahrheit des Evangeliums, nicht geändert hat. Eindrücklich formuliert hat dies der frühere Bischofs der württembergischen Landeskirche, Martin Haug: "Die Entwicklung in den Wissenschaften und in der Philosophie, in Politik und Gesellschaft ist wachsam zu beobachten. Der Prediger hat sich aber an das Wort Gottes zu halten, um von dort her, als berufener Diener der christlichen Kirche seiner Gemeinde und der Welt den Willen Gottes zu verkünden. Er redet in Vollmacht dieses göttlichen Auftrags und hat verbindlich zu sagen, wer letzten Endes den Lauf der Welt bestimmt und welche Folgerungen sich daraus ergeben".1857 1853 Evngelisches Kirchenblatt für Württemberg, 80.Jg., Nr. 43, 25.10.1919, S. 189. 1854 Schäfer: Evangelische Landeskirche in Würtemberg, S. 322. 1855 Ehmer: Gott und Welt in Württemberg, S. 242. 1856 Jüngel: Die Katholizität der evangelischen Theologie. 1857 Haug, Martin: Von der Weltregierung Gottes. In: Schäfer: Vom Wort zur Antwort. S. 169. 530 13.0. Anhang. 13.1. Ungedruckte Quellen: Landeskirchliches Archiv, Stuttgart, Bestand A 29, Ortsakten: Pfarrberichte und Pfarrbeschreibungen. Aldingen Nr. 90 1842 - 1920 1828 + 1905 Altensteig Nr. 159 1849 - 1922 1828 + 1905 Balingen Nr. 282 1841 - 1922 1827 + 1905 Biberach Nr. 458 1834 - 1919 1828 + 1908 Blaubeuren Nr. 539 1842 - 1923 1827 + 1905 Böblingen Nr. 567 1845 - 1922 1828 + 1905 Brackenheim Nr. 657 1815 - 1922 1828 + 1905. Bronnweiler Nr. 695 1840 - 1916 1828 + 1905 Eßlingen Nr. 1191 1843 - 1892 Nr. 1192 1895 - 1913 1828 + 1905 Freudenstadt Nr. 1311 1846 - 1918 Nr. 1312 1827 + 1905 Geislingen Nr. 1436 1835 - 1913 1828 + 1905 Gmünd Nr. 1511 1835 - 1922 1828 + 1905 Großheppach Nr. 1679 1841 - 1921 1827 + 1905 Hall Nr. 1810 1843 - 1922 Nr. 1811 1827 + 1905 Heidenheim Nr. 1886 1839 - 1887 Nr. 1887 1890 - 1923 1828 + 1913 Herrenberg Nr. 1981 1846 - 1920 Nr. 1983 1828 + 1905 531 Hohenhaslach Nr. 2104 1842 - 1921 1827 + 1905 Holzgerlingen Nr. 2136 1843 - 1909 1828 + 1905 Isny Nr. 2217 1844 - 1923 1827 + 1909 Kuchen Nr. 2422 1839 - 1922 1828 + 1905 Langenburg Nr. 2479 1847 - 1921 1828 + 1913 Leonberg Nr. 2524 1841 - 1913 1828 + 1905 Leonbronn Nr. 2530 1852 - 1919 1827 + 1906 Leutkirch Nr. 2550 1858 - 1923 Nr. 2551 1827 + 1908 Ludwigsburg Nr. 2665 1840 - 1887 Nr. 2666 1890 - 1923 1828 + 1905 Metterzimmern Nr. 2822 1841 - 1920 1828 + 1905 Nagold Nr. 3012 1840 - 1886 Nr. 3013 1889 - 1923 1828 + 1905 Öhringen Nr. 3412 1847 - 1922 1828 + 1906 Ravensburg Nr. 3698 1840 + 1890 Nr. 3699 1894 - 1919 1829 + 1927 Rottenburg Nr. 3896 1840 - 1922 1828 + 1905 Schorndorf Nr. 4082 1840 - 1887 Nr. 4083 1890 - 1923 1828 + 1905 Simmersfeld Nr. 4200 1846 - 1922 1828 + 1905 Stuttgart, Stadt Nr. 4377 1820 - 1888 Nr. 4378 1891 - 1916 Stiftskirche Nr. 4380 1917 - 1923 1905 Hospitalkirche 1917 - 1923 1905 Leonhardskirche 1917 - 1923 1905 532 Erlöserkirche Nr. 4381 1918 Friedenskirche 1917 - 1923 1905 Gedächtniskirche 1916 - 1922 Heilandskirche 1918 Johanneskirche 1906 - 1923 Lukaskirche 1906 - 1918 Markuskirche 1905 - 1922 Martinskirche 1905 - 1918 Pauluskirche 1905 - 1922 Rosenbergkirche 1916 - 1922 Matthäuskirche Nr. 4382 1858 - 1922 1905 Kreuzkirche 1916 - 1922 Tübingen Nr. 4657 1842 - 1923 Nr. 4658 1828 - 1905 Tuttlingen Nr. 4691 1841 - 1887 Nr. 4692 1890 - 1923 1828 + 1905 Vaihingen/Filder Nr. 4888 1840 - 1922 1827 + 1905 Weil im Dorf Nr. 5056 1861 - 1922 1827 + 1905 Weinsberg Nr. 5121 1842 -1923 1828 + 1903 Winterbach Nr. 5260 1850 - 1922 1827 + 1911 Zuffenhausen Nr. 5395 1847 - 1923 1828 + 1905. 533 Beschreibung der katholischen Pfarrstelle in Tigerfeld, 1823. Beschreibung von Simmersfeld und seinen Filialen im Jahre 1821 Kirchenkonventsprotokolle der Kirchengemeinde Zuffenhausen, 1719 - 1933. Kirchenvisitationsakten des Hauptstaatsarchivs, Bestand A 281. Pfründbeschreibung Gmünd, Hl. Kreuz, 1892. G Ia, B375. Pfarr- und Pfründbeschreibung Leutkirch, St. Martin, 1820. Pfründbericht Ravensburg, St. Christina, 1879. Pfründbericht Ravensburg, St. Jodok, 1897. Pfarrbeschreibung Rottenburg, 1825. 534 13.2. Nachschlagewerke. Allgemeine deutsche Biographie. Hg. durch die Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1 - 56, Leipzig 1875 - 1912. Bibliographie der württembergischen Geschichte, bearb. von Wilhelm Heyd u. a.. Hg. von der Württembergischen Kommission für Landesgeschichte, 11 Bde., Stuttgart 1895 - 1974. Calwer Kirchenlexikon. Kirchlich-theologisches Handwörterbuch. Hg. von Friedrich Keppler, 2 Bde., Stuttgart 1937. Enzyklopädie Deutscher Geschichte. Hg. von Lothar Gall in Verbindung mit Peter Blickle, München 1990. 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Dezember des letzten Jahres.: a) Evangelische b) Katholiken c) Dissentierende d) Israeliten Anmerkung: Mutterort und Filialen sind je abgesondert anzugeben; hat die Parochie Eingepfarrte in katholischen Orten, so ist die Seelenzahl derselben besonders auszuheben, aber ohne die Orte namentlich aufzuführen. Zahl der Geborenen im Jahr a im Jahr b ehelich unehelich Zusammen Anm. Unter diese Zahlen sind auch die von Ortsangehörigen auswärts Geborenen einzurechnen, dagegen fällt die bisherige Angabe der von Auswärtigen im Ort Geborenen weg. 576 Zahl der Gestorbenen im Jahr a im Jahr b Anm. Auch hier sind nur die Ortsangehörigen zu rechnen. Zahl der Trauungen im Jahr a im Jahr b unter besonderer Angabe der gemischten Ehen. 2. Schilderung der Gemeinde. Als Anhaltspunke dienen hier: Teilnahme am öffentlichen Gottesdienst, Sonntgsfeier, Verhalten zum Geistlichen überhaupt und zu seiner seelsorgerlichen Tätigkeit, Familienleben, Hausgottesdienst, Ehestand, Kinderzucht, ledige Jugend, Gesindewesen, Verhalten der Gemeindeglieder zueinander; Beteiligung an allgemeinen christlichen Interessen, Bibel-, Missionssache usf., Erwerb und Gebrauch des Zeitlichen, Zusammenhang der ökonomischen mit den sittlichen Zuständen; hevorstechende Eigentümlichkeiten. 2. - 6. Visitator bestätigt oder ergänzt und berichtigt die Angaben des Berichts. 3. Besondere Erscheinungen auf religiösem Gebiet. Gemeinschaften, deren Art, Mitgliederzahl, Sprecher. Sekten, deren Art und ungefähre Mitgliederzahl. Spötter und Religionsverächter, ob es solche in der Gemeinde gebe und welchen Einfluß sie ausüben. 4. Verhältnis zu anderen Konfessionen. Ob Eingriffe in die Rechte der evangelischen Kirche stattgefunden haben. Erziehungsreligion der Kinder in gemischten Ehen. Konfessionswechsel. Evangelische Kinder in katholischen Schulen. 5. Verhalten des Ortsvorstehers und der bürgerlichen Kollegien. in kirchlicher Beziehung, in Handhabung guter Zucht und Ordnung und bei gemeinschaftlichen Amtsgeschäften, Ehedissidien, Armenpflege, Sorge für Verwahrloste, entlassene Strafgefangene, Geisteskranke, Lirchtkärze. Zahl der Sitzungen des Kirchenkonvents in den Jahren a und b nach dem Kalenderjahr. 5) Urteil des Visitators über die Tätigkeit desKirchenkonvents nach Durchsicht der Protokolle, wobei insbesondere auch nachzusehen ist, ob der Schulmeister zu den Verhandlungen über Schulsachen beigezogen wurde. 577 6. Tätigkeit des Pfarr-Gemeinderats. Zahl seiner Sitzungen in den beiden Kalenderjahren. 6) Urteil des Visitators nach Durchsicht der Protokolle der Pfarrgemeinderats- Verhandlungen. 7. Fromme Stiftungen. Einnahmen und Ausgaben nach dem neuesten Etat. Vermögensstand. Hier ist anzugeben, wenn ein Defezit vorhanden, ob dessen Deckung eingeleitet und im Gang sei. Desgleichen ist zu erwähnen, wenn irgendwo Dritte, welche zu den Kultusbedürfnissen beizutragen haben, mit ihren Leistungen im Verzuge blieben. 8. Personalien des Pfarrers. mit Angabe seines Tauf- und Zunamens, Geburtstages, seiner Dienstzeit im Ganzen und auf der gegenwärtigen Stelle, Familienverhältnisse, theologische Studien und Nebenbeschäftigungen, Schilderung seiner Predigtweise, ob er die Predigten schreibe und aus dem Gedächtnis ablege. Sind mehrere Geistliche angestellt, ist ein Vikar am Ort, so sind diese in gleicher Weise und zwar wortgetreu nach den von ihnen selbst gegebenen Notizen aufzuführen, und ist letzterem ein Zeugnis zu geben. 8) Urteil des Visitators über Gaben, Kenntnisse, Fleiß im Beruf und Studium, amtliches Benehmen und Privatleben. Beim Zeugnis über Fleiß im Beruf ist namentlich auch die Armenfürsorge zu berücksichtigen. Beurteilung der gottesdienstlichen Funktionen des Geistlichen bei der Visitation hinsichtlich des Gehalts und der Form der Predigt oder Katechisation, des Vortrags der Gebete usf. Matrikel-Zeugnis: A) Predigt: a) nach Gehalt, b) Form. B) Katechisation. C) Schulaufsicht. D) Amtsführung; a nach Tätigkeit und Treue. b) nach praktischem Geschick. E) Sittliches Benehmen: Bei A, B, C und D sind folgende Klassenzeichen zu gebrauchen: 1. „recht gut“, 2. „gut“, 3. „Ziemlich gut“, 4. „mittelmäßig“, 5. „gering“. Bei E): 1. „recht gut“, 2. „gut“, 3. „ohne Klage“, 4. nicht ohne Anstoß“. 578 Es dürfen zu dem Matrikelzeugnis keine anderen Bezeichnungen gewählt, auch sollen die Grenzen der Klassen nicht durch Bezeichnungen wie „gut bis r.gut“ verwischt werden. 9. Meßner, Organist. Namen, Alter, Amtsführung und Wandel des Meßners, beziehungsweise Verweisung auf den Schulmeister. 10. Gottesdienste. Ob und welche von den ordnungsmäßigen Gottesdiensten in den Jahren a und b eingestellt, verwechselt oder verlegt worden seien. Hat der Geistliche außerordentliche Gottesdienste gehalten, so können diese, etwaige gestiftete aber sollen hier genannt werden. 10) Visitator bemerkt hier, wenn etwa an einem Ort die Konformität im Gebrauch der Perikopen nicht eingehalten würde, und gibt nach Ansicht des Kirchen- kalenders sein Urteil über das hier angeführte ab. 11. Kommunion. Zahl der Kommunionen und der Kommunikanten in den Jahren a und b, und wenn die Pfarrei Filialen hat, an jedem Ort mit eigener Kirche besonders. Hier können vergleichende Notizen angefügt werden. 12. Liturgisches. Hier können eigentümliche Gebräuche, und sollen etwaige Mißbräuche namhaft gemacht werden. Namentlich ist es zu erwähnen, wenn an einem Ort die Anmeldung zum heiligen Abendmahl in Abgang gekommen wäre, und anzugeben, ob Beerdigungen ohne Zuziehung des Geistlichen stattfinden. 13. Katechisation. Welches Lehrbuch zu den Kathechisationen gebraucht und in wieviel Zeit dasselbe absolviert wird. Ob die ledigen Leute ordnungsmäßig bei den Katechisationen erscheinen, ob in Abteilungen und in welchen. 14. Konfirmation. Datum des Anfangs des Konfirmanten-Unterrichts. Zahl der in den Jahren a und b gegebenen Unterrichtsstunden. Welches Lehrbuch dabei gebraucht wird. An welchem Tag die Konfirmation stattgefunden. Ob und wie viele Kinder zu ihrer Konfirmation Dispensation nötig hatten, und von wem sie dieselbe erlangt haben. Wird im Filial ein eigener Unterricht gegeben, so sind die darauf verwandten Stunden je besonders auszuwerfen. Auch ist es zu bemerken, wenn der Unterricht mit getrennten Geschlechtern gehalten wird. 579 15. Stand des Kirchengesangs. Beteiligung von Singchören. Kirchenmusik. 15) Visitator bemerkt, wie der Gesang u.s.f. beim Visitations-Gottesdienst erfunden worden sei. 16. Kirchenbücher. Ob alle vorgeschriebenen Kirchenbücher vorhanden und die Vorschriften wegen doppelter Führung und Aufbewahrung befolgt werden? Pfarr-Registratur und Inventarium in Ordnung, die Pfarrbeschreibung auf das Laufende nachgeführt sei? 16) Urteil des Visitators. 17. Kirchengegenstände. Ob Kirchengebäude, Orgel, die kirchlichen Gefäße den Bedürfnissen entsprechen, in gutem Zustand und reinlich gehalten werden. Zustand des Gottesackers. 17) Urteil des Visitators. 18. Rezesse. Angabe der etwa aus Anlaß der letzt vorhergegangenen Visitation erhaltenen Rezesse in Kirchen-Sachen und ihre Erledigung. II. Vom Schulwesen. 19. Organisation der Schule und Personalien der Lehrer. Hier ist zuerst die Schülerzahl, und wo mehrere Schulklassen bestehen, sind diese der Reihe nach aufzuführen mit Angabe von Zahl, Geschlecht, Alter der Kinder, unter Bemerkung, wo Abteilungsunterricht stattfindet. Bei jeder Schulklasse wird der Lehrer benannt mit Angabe des Tauf- und Zunamens, Geburtstags, der Dienstzeit überhaupt und des Datums des Eintritts in die gegenwärtige Stelle; Zahl der täglichen Schulstunden Sommers und Winters. Hierauf Zeugnis des Ortsschulinspektors über Gaben, Kenntnisse, Fleiß, Lehrart Schulzucht, Fortbildung, Ehe und Wandel, Amtsführung als Meßner, Organist und in sonstigen Nebenämtern; Beteiligung bei der Konferenz; Aufsatzlieferung. Erhaltene Prämien. Anm. Ist der Parochus, welcher den Pfarrbericht abfaßt, nicht zugleich Orts- Schulinspektor, oder teilt er sich in dieses Geschäft mit einem oder mehreren Kollegen, so hat je der betreffende Inspektor über die bezüglichen Nummern sich zu äußern. Dieser Teilbericht ist aber in der Form des Pfarrberichts abzufassen. 20. Zustand der einzelnen Schulklassen in Absicht auf Kenntnisse und Zucht. Angabe. ob die vorgeschriebenen Lehrbücher gebraucht werden. Ob die halbjährlichen Visitationen stattgefunden haben. 580 Anm. Jeder Lehrer hat auf einem besonderen Bogen den Stand seiner Schule nach den einzelnen Fächern zu schildern, und ist dieser Rechenschaftsbericht samt den Schultabellen dem Pfarrbericht beizulegen. 20) Hier kann, wo es nötig erscheint, das bei Nr. 19 gegebene Zeugnis, im Einzelnen motiviert, und sollen etwaige wesentliche Abweichungen des Visitationserfundes von der Schilderung des Pfarrberichts unter Berücksichtigung der Rechenschaftsberichte der Lehrer angemerkt werden. 21. Zahl der Schulbesuche und der Religions-Unterrichtsstunden des Geistlichen in den beiden Schuljahren und in den einzelnen Klassen. Die Tätigkeit in den Filialschulen ist besonders anzugeben, auch wenn ein Vikar vorhanden, so sind die beiderseitigen Leistungen getrennt aufzuführen. Hat der Geistliche auch noch in andern Fächern oder an anderen Anstalten unterrichtet, so kann auch hierfür die Stundenzahl ausgeworfen, darf aber nicht mit den gesetzlichen Religionsstunden zusammengeworfen werden. Angabe des in den Religionsstunden behandelten Lehrstoffs. 22. Äußerung über Schulversäumnisse. deren Ursachen, und wie ihnen entgegengewirkt wird. Ob Schulkinder verdingt werden und mit welchen Vorsichtsmaßregeln wegen des Schulbesuchs. Anm. Die Schultabellen für die Visitation sind von dem Inspektor zu kontrollieren und zu beglaubigen, und es müssen die Versäumnisse nach ihren Rubriken 1. Er- laubt, 2. Wegen Krankheit, 3. Gesetzwidrig, 4. Zusammen - auf jeder Seite besonders und am Schluß alle von dem Lehrer zusammengerechnet werden. Unter die Rubrik „Erlaubt“ fallen auch diejenigen, welche in Verhinderung durch Witterungsverhältnisse ihren Grund haben. 22) Wo die Zahl der Schulversäumnisse unverhältnismäßig ist, oder wo ihnen nicht mit gehörigem Nachdruck gesteuert wird, ordnet Visitator für sich und nötigenfalls unter Zuziehung des Oberamts das Erforderliche sogleich an und bemerkt dies hierher. 23. Angabe der Schulvakanzen mit Datum des Anfangs und Endes jeder derselben und Berechnung der Gesamtzahl der Tage in jedem Schuljahr. 24. Zustand der Sonntagsschule. Ob sie von dem Geistlichen, sowie von Mitgliedern der kirchlichen Ortskollegien fleißig besucht, ordnungsmäßig visitiert und die pflichtige Jugend zu ihrer Benützung angehalten werde. 25. Zustand der Schuldiarien, Reglektenzettel, Inventarium, Rezeßbuch. 581 26. Nachrichten über Kleinkinder-, Arbeits-, Fortbildungs-, Zeichnungs-, Baum- Schulen. 27. Ob die Schullokale geräumig, zweckmäßig, gesund seien, und für Reinlichkeit, Lüftung und Schonung der Augen gesorgt werde. Von solchen Lokalen, deren Raum zu beengt erscheint, ist Länge, Breite und Höhe nach Schuhen anzugeben. 28. Ob die Schulstiftungen und der Schulfonds stiftungs- und gesetzmäßig verwaltet und verwendet werden und genügend Lehrmittel vorhanden sind. Angabe des Vermögensstandes und neuesten Etats. 28) Visitator prüft die Zweckmäßigkeit der angeschafften Bücher und bemerkt dies hier. 29. Warnung vor Giftpflanzen und vor Einfangung von Singvögeln und Zerstörung ihrer Brut, mit Angabe des Datums, wann solche geschehen. 29) Bestätigung aus dem Diarium. 30. Angabe der aus Anlaß der letzt vorhergegangenen Visitation erhaltenen Rezesse in Schulsachen und ihre Erledigung. Anhang. In demselben können Wünsche, Vorschläge und Beschwerden, soweit sie nicht besondere Eingaben erfordern, angeführt, und es kann auch sonst hier niedergelegt werden, was der Geistliche Bemerkenswertes zu bringen für dienlich hält.. Unterschrift des Visitators: Unterschrift des Verfassers: 582 13.7. Pfarrbeschreibung von der Parochie Langenburg 1828 Dekanats Langenburg. Generalats Hall. I. Abschnitt: Von der Parochie im Allgemeinen. § 1. Ein von M. Johann Christian Wibel1858 verfaßtes und auf Befehl Graf Ludwigs d. 16. Mai 1752 bei der hiesigen Prädikatur aufbewahrtes Manuskript unter dem Titel Langenburgische Acta eclesiastica, das größtenteils aus Documenten geschöpft ist, so wie desselben Verfassers Hohenloh´sche Kirchen Geschichte K.1 p.480, enthalten über den Ursprung der hiesigen Pfarrei und der geistlichen Amtsstellen im Wesentlichen folgendes: In alten Zeiten war Langenburg nach Bächlingen viele 100 Jahre hindurch eingepfarrt und, als ums Jahr 1502 eine Capelle zum Heil.Blut hier errichtet worden, dieselbe von Bächlingen aus versehen. Um die Zeit der Reformation wurde hier eine besondere Pfarre errichtet und Bächlingen eine geraume Zeit von hier aus versehen. Im Jahre 1568, wo Graf Wolfgang seine Hofhaltung hierher verlegte, wurde eine Hof- Prädicatur errichtet, welche aber anfangs von der Stadtpfarrei gesondert gewesen zu sein scheint. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts aber wurden beide Stellen vereinigt. Im Jahre 1578 wurde Bächlingen mit den ihm jetzt noch zugehörigen Orten von Langenburg getrennt und mit einem eigenen Geistlichen versehen, der in vorkommenden Fällen die Stelle eines Caplans dahier zu vertreten hatte. Da endlich die Gemeinden allzu sehr anwuchsen, wurden, und zwar schon im Anfang des 17. Jahrhunderts, besondere Diaconi dahier bestellt. § 2. Bestandteile der Parochie hier: 1. Langenburg, 2 .Atzenrod, nebst den herrschaftl. Höfen, 3. Ludwigsruhe und 4. Neuhof. Anfangs gehörte hierher auch noch Binzelberg (s.Wibels acta eccles.p.51), welches aber bald zur Pfarrei Michelbach a.d.Haide geschlagen wurde. 1858 Wibel: "Hohenlohische Kirchen- und Reformationshistorie", 1752, 583 § 3. Für den Kirchendienst dahier jetzt bestehende Ämter sind: 1. Stadtpfarrer. 2 .Diaconus (zugleich Präceptor der lat. Schule). 3.Organist. 4. Cantor. 5. Meßner. § 4. Es findet sich in der Pfarrei nur ein Stiftungsrat und ein Kirchenkonvent. § 5. Vor dem Jahr 1806 war der jeweilige hiesige Hof- und Stadt-Prediger zugleich Superintendent der zu dem hiesigen Stammesteil des Fürstentums Hohenlohe gehörigen Pfarreien. Nach dem Jahre 1806 wurde dahier das K. Württembergisches Dekanat eingerichtet und zur General-Superintendenz Heilbronn, späterhin Öhringen gezogen, - 1822 wurde das Dekanat dahier aufgehoben und Langenburg zur Diözese Blaufelden und dem Generalat Hall geschlagen. Das Episcopat über die Pfarrei, das vor 1806 das Haus Hohenlohe hatte, nahm von da an die Krone Württemberg nebst dem darunter begriffenen Rechte der Confirmation der vom Fürstl. Haus Hohenlohe-Langenburg patronatisch präsentierten Geistlichen an sich. § 6. Unter Graf Wolfgang, der 1530 nebst Grafen Albrecht selbst auf dem Reichstag zu Augsburg gegenwärtig war, wurden zwischen 1530 - 1540 die Reformation im Hohenlohischen begonnen und unter Graf Ludwig Casimir (starb 1568) beendigt. (S.Wibels Kirchen-Gesch p.316 u.nam. p.319 und p.339) Über die Einführung der Reformation in hiesigem Orte konnte keine nähere Nachricht aufgefunden werden. § 7. Das Patronats- und Nominationsrecht auf die hiesige Kirchenstelle hat das Fürstliche Haus Hohenlohe Langenburg und wurde dasselbe ihnen auch von der Krone Württemberg vorbehalten ohne Zweifel mit Berücksichtigung der früheren staatsrechtl. Verhältnisse des Hauses Hohenlohe im teutschen Reichsverbande. II.Abschnitt. Statistisch-topographische Verhältnisse der zur Parochie gehörigen Orte. 584 § 8. Langenburg ist ein Städtchen, Sitz einer Schultheißerei und eines Oberamts- Gerichts. Gehört zum Oberamt Gerabronn und Cameralamt Rot am See. Die Entfernung vom Dekanats-Sitze beträgt 3 Stunden, vom Oberamts-Sitze 1 ½ Stunden, und von dem Cameral-Amt 3 Stunden. § 9. Die Patrimonial-Herrschaft hat das Haus Hohenlohe-Langenburg und es wird dieselbe ausgeübt durch die hiesige Fürstliche Domunial-Kanzlei. § 10. Die Staatsrechtlichen Verhältnisse der Grundherrschaft sind durch einen Vertrag mit der Krone Württemberg festgestellt (S.Reg.Bl. 1825, Nro. 41, p.623 f und namentlich was die kirchenrechtlichen Verhältnisse anbelangt Abschn.IV. § 41 f p.635 f). § 11. Die Pfarrei stand früher unter Fürstl. Hohenlohe-Langenburgischer Herrschaft und wurde bei der Auflösung der teutschen Reichsverfassung a 1806 zum Königreich Württemberg geschlagen. § 12. Ortsangehörige der hiesigen Pfarrei sind nach der neuesten Berechnung a. Evangelische 1 026 b. Katholiken 2 c. von sonstigen dissentierenden Christen 15 Mennoniten, d. Juden - keine. § 13. Atzenrod ist ein Dorf mit 197 Ortsangehörigen und ist den gleichen amtlichen Stellen zugeteilt, wie der Mutterort, und steht auch in denselben grund- und zehntherrschaftlichen, auch ehemals landeshoheitlichen Verhältnissen. Ist ¼ Stunde von Langenburg entfernt, und der Weg dahin ist eben und gut erhalten. § 14. 585 Ludwigsruhe, ein fürstliches Lustschloß, nebst Hofgut mit 10 Einwohnern in gleichen amtlichen Verhältnissen, wie das vorhergehende, ist ¾ Stunden von Langenburg entfernt, und der Weg dahin eben und gut erhalten. § 15. Neuhof, ein Fürstliches Hofgut mit 9 Einwohnern, in gleichen amtlichen Verhältnissen wie das vorhergehende, ist 5/4 Stunden von Langenburg entfernt, und der Weg dahin ist eben und gut erhalten. § 16. Langenburg liegt auf einem Bergrücken, ist, wenn nicht außerordentliche Dürre eintritt, namentlich in neuerer Zeit, hinlänglich mit Trinkwasser versehen, hat eine reine, gesunde, aber etwas scharfe Bergluft. Die Gegend hat hauptsächlich Getreide-, auch etwas Wein- und Obstbau. Hervorstechende intellektuelle oder sittliche Eigenschaften konnten bis jetzt nicht bemerkt werden, indessen mag Langenburg wenigstens komperativ immer zu denjenigen Städtchen der Umgegend gehören, wo noch mehr auf öffentliche Sittlichkeit und Religiosität gehalten wird, was unstreitig wohltätige Folge des Beispiels der bis jetzt dahier wohnenden ersten Familien ist. - Blödsinn oder förmlicher Cretinismus ist hier eine Seltenheit. Besonderer Reichtum findet sich in der Pfarrei nicht, hingegen gibt es nicht wenige Arme, obgleich verhältnismäßig nicht mehr, als bei der allgemeinen Verarmung in anderen Orten der Umgegend. § 17. Die nächstgelegenen Pfarrsitze sind Bächlingen (1/4 Stunde), Michelbach an der Heide (3/4 Stunden), Unter-Regenbach (Dekanats Künzelsau ¾ Stunden). Nach den ersten beiden Orten ist der Weg gut, nach dem letzteren aber sehr bergigt und zum Teil ungebahnt. III:Abschnitt. Von gottesdienstlichen Einrichtungen, kirchlichen Geschäfts-Verhältnissen und besonderen Obliegenheiten der Geistlichen in der Parochie. § 18. Die Gottesdienste werden gemäß den bestehenden Anordnungen am Sonntag, Mittwoch, Freitag und Samstag gehalten. Observanzmäßig wird Beicht und Abendmahl alle 14 Tage von dem jeweiligen Stadtpfarrer gehalten. Die Wochenbetstunden und Kinderlehren, die kurze Erklärung der Epistel, oder, wo über diese gepredigt wird, das Evangelium, am Sonntag früh die Predigten, an den Apostel-Tagen und an den Festtagen sowie bei der Communion der Fürstlichen Familie nachmittags gehören zum Geschäftskreis des jeweiligen Diaconus. Alle übrigen pfarramtlichen Geschäfte , namentlich Predigt und Kinderlehre am Sonntage, Beicht, alle Casualien, Privatseelsorge, Führung der öffentlichen 586 Bücher, Auszüge aus denselben, Fertigung der Bevölkerungslisten, Schulbesuche, steht dem Stadtpfarrer zu. - Der Früh-Gottesdienst an Sonn- und Feiertagen fängt Winters um 9 ½ Uhr, Sommers um 9 Uhr an, der Nachmittags-Gottesdienst durchs ganze Jahr um 2 Uhr. Die Wochenbetstunde wird Mittwochs, die Catechisation Freitags um 10 Uhr gehalten, die Beicht je am 2. Sonnabend Nachmittags 1 Uhr. Von Gottesdiensten sind in den eingepfarrten Orten nur die gewöhnlichen Haustaufen zu halten, hierzu wird aber dem Geistlichen weder ein Pferd noch sonstige Entschädigung gereicht. - Es wird dahier noch das Hohenlohische Gesangbuch gebraucht. § 19. Mit dem Diaconat ist regelmäßig das Präceptorat der lateinischen Schule verbunden. Schon im Anfang des 17. Jahrhunderts finden sich beide Ämter verbunden. Späterhin werden sie einigemal getrennt, bis sie vom Anfang des 18. Jahrhunderts ununterbrochen vereinigt bleiben. (S.Wibels K.Hist.B 1 p.382 coll p.485 f. und Langenb. acta eccles. p.151). IV.Abschnitt. Von Kirchen, Gottesäckern, Kirchenvermögen. § 20. Die Kirche ist ungefähr in der Mitte des Städtchens, und nicht weit von der Wohnung des Geistlichen. Die Kapelle zum heiligen Blute, die noch den östlichen Teil der jetzigen Kirche ausmacht, wurde erbaut a.1502. Als um die Zeit der Reformation Langenburg von Bächlingen separiert wurde, erweiterte man jene Kapelle zu einer Pfarrkirche. (S.Langenb.acta eccl. p.52). Anno 1680 wurde sie abermals erneuert und erweitert. (S.Wibels K.Gesch.B a p.480). Da sie so aus zwei Teilen von verschiedenem Alter zusammengesetzt ist, läßt sich von einem eigentlichen Stile, in welchem sie erbaut wäre, nicht sprechen. Indessen scheint doch der ältere Teil vom besseren Geschmacke. Sie wird in gutem Zustand erhalten, und ist hinreichend geräumig und hell. Es ist nicht beschwerlich, in ihr zu predigen, sie ist mit einer heizbaren Sakristei, mit Turm und Uhr versehen. Das Eigentum der Kirche steht der Patronats-Herrschaft zu, welcher auch die Verbindlichkeit zur Bestreitung der Bau- und Reparations-Kosten an Kirche und Turm obliegt. § 21. Die vasa sacra sind in befriedigender Beschaffenheit vorhanden. Die Verbindlichkeit zur Anschaffung und Erhaltung derselben, sowie der anderen kirchlichen Erfordernisse, als des Nachtmahlweins, der Kirchenbücher, der Heizung der Sakristei liegt der Patronats-Herrschaft ob. Ein Kirchengerät- Inventarium ist vorhanden. § 22. 587 Es befindet sich dahier, außerhalb der Stadt, ein Begräbnisplatz, dessen Meßgehalt unbekannt ist, und zu dessen Unterhaltung die Patronats-Herrschaft die Verbindlichkeit hat. § 23. Es ist ein eigener Fonds zur Bestreitung gewisser Ausgaben für kirchlich Zwecke, das Almosen, vorhanden, und wird über denselben eigene Rechnung geführt. Nach dem neuesten Revenüen-Etat betragen seine Einnahmen 1 450 f., die Ausgaben 1167 f. 45 kr. Die Verwaltung ist verbunden mit der der übrigen Stiftungs-Kassen. - Die Stiftung ist für die ganze hiesige Gemeind, was einzelne Ausgaben betrifft, auch für die Pfarreien, die zum Langenburgischen Stammesteile des Fürstentums Hohenlohe gehören. V.Abschnitt. Von den Vermögens- und Einkommens-Verhältnissen der in der Parochie bestehenden kirchlichen Stellen. A. Amtsstellen der Geistlichen. § 24. Eigene Wohnungen für die beiden Geistlichen sind vorhanden, die der Patronats- Herrschaft eigentümlich zustehen, und von derselben auch gebaut und im Bau erhalten werden müssen. Beide Wohnungen liegen im inneren Teil des Städtchens, haben eine gesunde und angenehme Lage und werden gut erhalten. Jede hat 4 heizbare Zimmer und einen guten Keller. Zur Wohnung des Stadt- Pfarrers gehört auch Anteil an einer Scheuer und Waschküche, sowie Stallung zu einigen Pferden und ein Hausgärtchen. § 26. Das Einkommen der Stadtpfarrei beträgt nach der letzten Fasssion vom Sept.1822 A. Fixierte. Geld (von der Fürstlichen Standesherrschaft) 200 fl Aus der Almosenkasse für die Inspektion, den Kinderunterricht und das Schulexamen 9 fl. 30 kr. Naturalien (von der fürstl. Standesherrschaft) glatte Früchte 13 Schfl. 2 Sr. 8 Ms. 66 fl 33 kr 6 Heller Sogenannte Küchenspeise 3 Sr. 2 fl 15 kr Dinkel 11 Schfl. 3 Sr. 9 Ms. 34 fl 20 kr 1 Hlr. Stroh 2 Schober (halb Roggen, Halb Haberstroh) 6 fl Wein 4 Eim. 5 Imi. 107 fl 48 kr. 5 Hlr 588 Bier 1 Eim. 7 Imi 11 fl 58 kr 5 Hlr. Holz 19 Klafter Scheitholz 133 fl Wellen 350 14 fl B. Nicht Fixierte. Wohnung 50 fl 4 Gärten 5 fl 18 kr 5 Morgen Wiesen 10 fl ½ Morgen Acker von der Kommun 48 kr Grundgefälle. Zehnten und Teilgebühren. Kleiner Zehnten an Flachs 2/3 zu Atzenrod 4 fl. Lebendiger Zehnten an Schweinen zu Atzenrod 1 fl 15 kr Kommun- oder bürgerliche Benefizien, Viehweide in das Geäcker 36 kr 12 Schafe zur Weide 3 fl Jura Stolae und Geschenke 147 fl Die veränderlichen Einkommensteile haben nach dem Ergebnis der in Folge der Verordnung vom 11. Febr. 1825 darüber zu führende Verzeichnisse in Jahren 1825/26 zbd 1826/27 betragen I.Gütergenuß. I. Wiesen a 18 fl 30 kr b 18 fl 34 kr II.Zehnten Flachszehnten a. 11 fl 19 b. 11 fl 32 Blutzehnten 589 a. 3 fl 18 b. 1 fl 28 III. Bürgerliche Benefizien. Allmand, Teil a 9 fl b 7 fl 30 xr IV.Emolumente Taufen a 30 61 fl 2 kr b 29 49 fl 50 kr Hochzeiten a 9 21 fl 4 kr b 11 49 fl 39 kr Leichen a 35 78 fl 21 kr b 24 26 fl 33 kr Konfirmation a 17 25 fl 3 kr b 21 34 fl 36 kr Wer die verschiedenen Besoldungsteile abzurechnen habe, ist schon bemerkt worden. Die Wiesen sind auf der Atzenroder Markung gelegen, die übrigen Güterstücke auf der hiesigen. Die Güter sind zehentfrei und seht das Eigentum derselben teils der Fürstlichen Standesherrschaft, teils der Kommun zu. Den Flachszehnten hat die Stelle gemeinschaftlich mit der Pfarrei Michelbach an der Heide, nach dem oben angegebenen Verhältnisse. Das Holz wird von den Handfrohnde-Pflichtigen im Dienste gehauen und von den Möhnpflichtigen im Dienste angefahren, es muß aber denselben dafür die herkömmliche Gebühr und zwar den ersten 4 kr. Hauerlohn für die Klafter und den letzteren 8 kr Fuhrlohn für die Klafter nebst ½ Maß Wein und 1 Pfd.Brot verabreicht werden. Bei den Emolumenten von Privaten findet keine herkömmliche Taxe statt, doch sind dieselben im Allgemeinen im Vergleich mit benachbarten Pfarreien gering. Das ganze Einkommen des Stadtpfarrers beträgt also nach den obigen Angaben 809 fl 43 kr und die jährliche Einlage in den Witwen-Fiskus ist 7 fl 48 kr. 590 § 27. Das Einkommen der Diakonats-Stelle, womit zugleich das Präzeptorat verbunden ist, beträgt nach der letzten Fassion Geld aus der Stiftungskasse 160 fl Von der Standesherrschaft 6 Malter Korn 30 fl 9 Malter Dinkel 27 fl 4 Malter Haber 12 fl 3 Sri. Küchenspeise 2 fl 15 kr 2 Eimer 128 Ms Wein 65 fl 98 Ms Bier 5 fl 14 Klfter Holz 98 fl 350 Wellen 14 fl Freie Wohnung 50 fl 3 Gärten 2 fl 24 kr ½ Morgen Acker von der Commun 40 kr Bürgerliche Benefizien 2 Schweine ins Geäcker 36 kr Jura stola 34 fl 2 kr für Begleitung bei Leichen und Hochzeiten. Wegen des Hauens und Anfahren des Holzes ist dasselbe zu bemerken, wie zu § 26. Nach der Bestallungsurkunde gebührt dem Diaconus von jeder Hochzeit und Leiche 30 kr. und vierteljährig von 1 Schüler 24 kr. Schulgeld nebst 16 kr aus der Schulkasse. Die veränderlichen Einkommensteile haben im Jahr 1825/26 und 1826/27 betragen: 1. Gütergenuß a 1 fl. b. 1 fl. 2, Bürgerliche Benefizien Allmandteile a. 0 fl b. 1 fl. 591 3. Emolumente Hochzeiten a. 2 fl 57 kr b. 2 fl 57 kr Leichen a 15 fl 30 kr b. 15 fl 30 kr Schulgeld a. 42 fl 51 kr b. 43 fl 34 kr Das ganze Einkommen des Diaconats also nach obigen Angaben 500 fl 57 kr und die jährlichen Einlagen in die Witwenkasse 3 fl 41 kr B. Von den Stellen der niederen Kirchendiener. § 28. Meßmer. Aus der Fürstlichen Domanical-Kasse 4 fl 46 xr. für allerlei Dienstverrichtungen. Ordinäre Bestallung 6 fl 36 xr Zins aus gestifteten 100 fl Kapital 5 fl Zulage weg. Reinigung der Kirche 3 fl 24 xr Aus der Bürger-Kasse 4 fl 25 xr ___________________ 24 fl 1 xr Ferner an Naturalien von Fürstlicher Herrschaft 3 Sri Korn 2 fl 24 kr 592 6 Sri Dinkel 3 fl 2 Mltr. 6 ½ Sri Raugemischtes 18 fl 1 Mltr. Spitzen 2 fl 1 Klftr. Holz 5 fl 100 Bd. Wellen 1 fl 1 Ms Wein 18 kr 1 Laib Brot an den 3 hohen Festen und wenn die Fürstliche Herrschaft kommuniziert 12 kr 1 Schwein ins Geäcker 24 Laib Brot in verschiedenen Häusern dahier und zu Atzendorf, auf welchen diese Abgabe haftet 4 fl 3 ½ Frucht und 1 fl 3 ½ Haber Garben von dahier __________________ 60 fl 55 kr Ferner sind für die Obliegenheiten eines jeweiligen Kirchners als Kalkanten noch besonders ausgesetzt 2 Mlter gemischte Frucht 8 fl 24 ¾ Ms Wein Kocheraich oder die gewöhnliche Vergütung an Bier und 2 Klfter Holz von Fürstl. Herrschaft 10 fl § 29. Die Stelle eines Organisten ist mit der eines jeweiligen Knaben-Schullehrers verbunden VI. Abschnitt. Vom Schulwesen. § 30. Es befinden sich im Mutterorte 3 öffentliche Schulen, nämlich eine lateinische und 2 deutsche (Knaben- und Mädchen-) Schulen. Die eingepfarrten Orte haben keine eigenen Schulen, aber der Weg dahin ist gut, nur für Kinder nach Neuhof, namentlich in Wintertagen, etwas weit. § 31 593 An jeder Schule ist ein Lehrer angestellt. Das Recht zur Besetzung der Stellen steht dem Fürstlichen Hause Hohenlohe-Langenburg zu. § 32. Sommer und Winter werden am Vormittag 3 Stunden Schule gehalten, außer am Mittwoch und Samstag, wo die Nachmittagsstunden wegfallen. Es sind die Kinder nach den Geschlechtern gesondert. Die Anzahl der Knaben betrug diesen Winter 63, der Mädchen ebenso viel. Jedes Kind hat vierteljährlich 8 kr zu bezahlen. § 33. Es ist ein eigenes Schulhaus vorhanden, worin zugleich die Wohnungen der Schullehrer sich befinden. Die Fürstliche Standesherrschaft hat das Schulhaus zu bauen und zu unterhalten. Das Schulhaus ist vor ungefähr 36 Jahren neu gebaut worden und ist in gutem Stande. Die Schulstuben haben eine hinreichende Höhe und Umfang, sind (namentlich die Knaben, weniger die Mädchen) hell und gesund. Auch die Wohnungen der Schullehrer haben hinreichende Räume. § 34. Die Fürstliche Standesherrschaft reicht zur Heizung der Schulstuben jedem der Lehrer ein jährliches Aversum, dem Knabenschullehrer 3, dem Mädchenschul- lehrer 4 Klafter, jener erhält 50 Wellen, dieser 75. Beigefahren wird es auf dieselbe Weise, wie das der Geistlichen, für das Sägen und Spalten haben die Lehrer selbst zu sorgen. Die Schulmobilien werden von der Fürstlichen Standesherrschaft angeschafft und sind in gutem Stande, die kleineren Bedürfnisse als Kreide, Tinte usw. von der Schulkasse. § 35. Besondere Schulstiftungen sind nicht vorhanden, Prämien werden nicht ausgeteilt. Der Stand des Schulfonds beträgt gegenwärtig 3 949 fl. § 36. Der jeweilige Knabenschullehrer hat zu beziehen: aus dem Almosen 44 fl Zulagen 25 fl für das Orgelspiel in der Schloßkapelle 5 fl Anteil an der ehemaligen Provisorats-Besoldung 6 fl Aus der Stiftung der Gräfin Eleonore 5 fl ____ 85 fl 594 Von der Fürstlichen Herrschaft Roggen 5 Mltr 25 fl Dinkel 8 Mltr 24 fl Haber 1 Mltr 3 fl Küchenspeis 3 Sri 2 fl. 15 xr 9 Klftr Holz 63 fl 250 Buschel Reisig 10 fl 1 Eim. 3 Imi 2 Ms Wein 30 fl 1 Eim. 1 Imi 2 Ms Bier 8 fl. 57 xr __________ 166 fl. 12 xr Von einzelnen Häusern in der Gemeinde 27 Garben, zur Hälfte Haber und zur Hälfte gemischte Frucht und sonst gewöhnlich 15 Laib Brot. Für das Singen an Weihnachten 37 fl. 12 kr Für das Halten der Sonntagsschule aus dem Almosen 4 fl _____________ 207 fl. 24 kr Der jeweilige Mädchen-Schullehrer hat zu beziehen aus dem Almosen 42 fl. 30 kr aus der Schulkasse 42 fl. 30 kr Für die Sonntagsschule 4 fl Von der Fürstlichen Standesherrschaft 4 Mltr Korn 20 fl 6 Mltr Dinkel 18 fl 1 Mltr Haber 3 fl 595 3 Sri Küchenspeis 2 fl. 45 xr 12 Imi 8 Ms Wein 22 fl 12 Imi 2 Ms Bier 7 fl. 18 xr 7 Klftr Holz 49 fl 175 Wellen 7 fl ___________ 218 fl. 3 xr Für das ehemalige Weihnachtssingen (wie oben) 24 fl. 48 kr Die veränderlichen Einkommensteile haben von 1825 - 27 betragen bei dem Knabenschullehrer Gütergenuß Jahr a 1 fl 21 kr Jahr b 1 fl 21 kr 27 Garben und 15 Laib Brot a. 4 fl 30 kr b. 3 fl 25 kr Leichen a. 27 10 fl 5 xr b. 12 4 fl 30 xr Hochzeiten a. 3 1 fl 30 xr b. 2 1 fl Schulgeld a. 67 38 fl 24 xr b. 64 37 fl 20 xr Accidenzen a. 8 fl b. 6 fl 596 Bei dem Mädchenschullehrer Gütergenuß a. 3 fl 21 xr b. 1 fl 29 xr Schulgeld a. 54 fl 11 xr b. 32 fl 22 xr Hochzeiten a. 1 fl 32 xr b. 1 fl 12 xr Leichen a. 14 fl 14 xr b. 7 fl 30 xr Accidenzen a. 11 fl 7 xr b. 8 fl 55 xr Das Nebenamt für den Knaben-Schullehrer ist die Organisten-, sowie des Mädchen-Schullehrers die Cantorats-Stelle. Das Einkommen für diese Stellen ist nicht besonders ausgesetzt. § 37. Die Sonntagsschule wird nach der Vorschrift Nachmittags von 1 bis 1 ¾ Uhr gehalten. Eine Industrie-Schule ist vorhanden und werden in derselben am Mittwoch und Samstag Nachmittags von 12 - 4 Uhr die Mädchen im Nähen, Stricken und Spinnen von einer eigenen aus dem Almosen besoldeten Lehrerin unter Oberaufsicht angesehener hiesiger Frauen unterrichtet. Gefertigt Langenburg, auf den 1. Jan 1828 M. Mehring, Stadtpfarrer. Die Übereinstimmung mit den Originalen: A.Decker. 597 13.8. Pfarrbericht 1849 Weikersheim. In: LKA. A 29, Nr. 5047 Weikersheim Dekanat Weikersheim Oberamt Mergentheim Jagstkreis. Pfarrbericht für die auf den 27. u(nd) ff Aug(ust) ausgeschriebene Kirchen- und Schulvisitation verfaßt von Diakonus Demmler. I. Vom Kirchenwesen. 1.a. Weikersheim mit Hofaischland und Carlsberg 1917 Einwohner, darunter 1754 Evangelische, 30 Katholiken, 133 Juden. b. Queckbronn 214 Seelen c. Hohnsbronn 135 Evangelische, überdies 61 Katholiken d .Bronn 72 Seelen 2.Geboren wurden Jahr A. 1. Ortsangehörige a. in der Parochie 67 b.auswärts 1 darunter uneheliche 5 2.Fremde in der Parochie 2 darunter uneheliche 1 598 Jahr B.1. Ortsangehörige a. in der Parochie selbst 71 b. auswärts 2 darunter uneheliche 12 2. Fremde in der Parochie 6 Jahr C.1. Ortsangehörige a. in der Parochie selbst 71 b. auswärts 2 darunter uneheliche 10 2. Fremde in der Parochie 2 darunter uneheliche 1 Verhältnis der unehelichen Geburten zu den ehelichen wie 1:8. Getraut wurden Jahr A 17 Jahr B 7 Jahr C 15 Paare darunter gemischte Ehen 1 Gestorben sind a. Ortsangehörige Jahr A 53 Jahr B 55 Jahr C 48 b. Fremde Jahr A 3, Jahr B 0, Jahr C 2. 3. Einnahmen der Heiligen- und Stiftungspflege nach dem Etat von 1848/49 ca. 1211 fl 43 xr Ausgaben ca. 1224 fl. 30 xr Das Defezit trägt die Stadtpflege. 599 4. Der sittlich religiöse Zustand der Gemeinde hat sich unter den Stürmen der Zeit nicht verschlimmert. Die Herzen der Gemeindeglieder in Stadt und Filialen sind zum weit größten Theile für ihre Seelsorger geöffnet und mit der großen Willigkeit, welche jederzeit auf das Wort des Geistlichen achtet, verbindet sich mehr und mehr ein schulisches Verlangen mit der Wahrheit des Evangeliums inniger und lebenskräftiger vertraut zu werden. Die Theilnahme am öffentlichen Gottesdienst ist im Wachsen, die Zahl der Abendmahlsgenossen mehrt sich, für die Privatseelsorge hat es, das ist die Erfahrung des Schreibers, seit Jahren nicht an empfänglichen Seelen, recht aber zu lange an Arbeitern auf diesem Felde gefehlt. ad 4.) Ob der sittlich religiöse Zustand der Gemeinde Weikersheim sich unter den Stürmen der Zeit nicht verschlimmert hat, ist eine Frage, deren Beantwortung von dem politischen Gesichtspunkte des Beurtheilenden abhängt. Wenn man vor Diac(onus) Demmler das aufgeregte Treiben eines Volksvereins, das stürmische Obenanstellen politischer Fragen vor jeder andern für eben so viele Zeichen „sittlicher Ermannung“ aus einer heillosen Apathie ansieht, so müßte man konsequent sogar ein Wachstum der Gemeinde Weikersheim annehmen. Wenn man aber der Meinung ist, daß das Überschreiten des Maaßes nicht blos unklug, sondern auch unsittlich ist, so fällt freilich das Urtheil in allgemein sittlicher Beziehung anders aus, indem nirgends die Leidenschaften in der Diöcese so aufgeregt u(nd) wild waren, als in Weikersheim, wobei nicht zu verkennen ist, daß Diaconus Demmler nach einer Seite hin, sie unter die Zucht seines Geistes zu bannen, bestrebt war, während die Religion im argen liegt. Namentlich klagen solche, die nicht zum Volksverein gehören, über die Ausdehnung von dessen Sonntagszusammenkünften bis in die tiefe Nacht hinein. Das Religiöse insbesondere betreffend, so ist vielleicht keine Gemeinde des Bezirks seit vielen Jahren so trostlos versorgt gewesen, als diese. Kein Wunder, daß diejenigen, welche früher schon ein Verlangen nach kräftigerer Nahrung hatten, dieses entweder durch laufen in auswärtige Kirchen oder durch converticula pietas befriedigen. Diejenigen aber, denen eine Ahnung von eigentlich geistlicher Wirksamkeit erst durch Demmlers Thätigkeit aufging, nun auf ihn als Ideal ihrer Wünsche blicken, zumal er kirchliche u(nd) politische Tätigkeit, ich will nicht sagen, zu vereinigen weiß, ohne die Kirche bloszustellen, aber doch jedenfalls beides nebeneinander gleich eifrig treibt. Es fehlt aber nicht an Leuten, die dieses in solcher Weise unerträglich miteinander zu betrachten, verständig u(nd) kirchlich genug sind. 5. Seperatisten giebt es nicht. 6. Etliche stille Familien, an die sich einige junge Leute beiderlei Geschlechts anschließen, versammeln sich seit Jahren meist Sonntag Abend zu einer Privaterbauungsstunde. Gesetzwidriges ist dabei noch nicht vorgekommen. 600 7. Nein. 8. Ja 9. Stadtpfarrer Meister ist d(en) 13. Febr(uar) 1849 gestorben. 10. Carl Friedrich Wilhelm Demmler, geboren zu Göppingen 5. Nov(em)b(er) 1816, ist seit 7 Jahren im Amte, seit 3 ¼ Jahren auf der hiesigen Stelle eines Diacons und Präceptors. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und besitzt ein kleines Vermögen. Die Studien setzt er fort und bemüht sich mit der Wissenschaft auf dem Laufenden zu bleiben soweit dies in seinem doppelten Amte und der Entfernung hiesigen Orts von allem gelehrten Verkehre möglich ist. Gelesen hat er in letzter Zeit von größeren wissenschaftlichen Werken theologischer Fachwissenschaft: Nitzsch, Pract(ische) Theologie, Band I, Rothe, Theologische Ethik, Band I, den Propheten Jeremias nach dem Commentar von Hitzig, den ersten Petribrief mit dem Commentar Staigers und den ersten Corintherbrief mit Dr.Wette. Er steht in der Diözesanlesegesellschaft. Von seinen Predigten schreibt er meistens blos die Dispositionen, bisweilen einzelne Teile ganz ad 10.) Diac(onus) Demmler, 33 J(ahre) alt, ist zugleich Praeceptor der Latein(ischen) Schule u(nd) entwickelt in beiden Eigenschaften angemessene Energie. Er hat sehr gute Gaben u(nd) Kenntnisse, außerordentlichen Eifer, dessen Triebfedern von mir nicht näher angegeben werden können, sich zu weiterem zu bilden u(nd) führt daher sein Amt ganz pünktlich. Ausgehend jedoch von der Auffassung kirchlicher Thätigkeit, daß die Kirche mit ihren sittlichen Forderungen an Einzelne u(nd) ganze Völker nicht neben dem Staat stehen dürfe, sondern sich seines Gebiets zu bemächtigen habe, hat er in Ausübung dieses an sich gewiß unverfänglichen Grundsatzes wohl kaum immer die dem Geistlichen gezogene Grenzlinie zu treffen gewußt, sondern wie so viele andere erfahren müssen, daß es leichter ist, Geister in Volksvereinen heraufzubeschwören, als sie zu bannen, so wenig er selbst iß glaubt, zumal wenn man es für klüger hält, es nicht mit der Volksgunst zu verderben. Sein Lebensgang ist beim Durchgang unanfechtbar genannt worden. Am Tage der Visitation predigte er über Jes. 62,6,7 „Jerusalem, ich will Wächter auf deine Mauern bestellen, die den ganzen Tag nimmer schweigen sollen u.s.w. Thema: Ziel, Leben und Hülfe einer christlichen Gemeinde. Mit wohlgelungener Textbenutzung werden diese drei Punkte erschöpfend ausgeführt. Wenn man auf das blose Hören oder Lesen glauben möchte, die ersten 2 Punkte fallen zusammen, indem doch das Ziel der Gemeinde eben das nach dem christlichen Geist oder final gestaltete Leben sein muß, so dient zur Erläuterung, daß das Leben eben als Regsamkeit aller Kräfte in der Gemeinde erscheint, wobei dann freilich erster u(nd) 2. Theil mir wie Theorie und Anwendung da stehen, weshalb auch der 1. Theil weniger ansprach. Dem Ganzen fehlte nur etwas mehr Individualisierung, um recht gut genannt zu werden. Da er seine Predigten nach einer ausführlichen Disposition hält, so ist wohl eine gewisse Frische bemerkbar, andererseits aber oft ein Ringen mit der Form, welche in zu eingeschachtelten Sätzen sich ergeht, um volksthümlich zu sein. 601 Matrikelzeugnis A.) Predigt a.) nach Gehalt g(anz) gut b.)Form g(anz) gut-gut. B.) Catechisation kam nicht vor. C.) Schulaufsicht fällt dem Vikar hauptsächlich zu. D.) Amtsführung nach Thätigkeit u(nd) Treue, wie nach praktischem Geschick: gut E.) Sittliches Benehmen: gut. 11. Stadtvikar Elwert, geboren zu Waldorf O(ber)Amt) Tübingen 20. Febr(uar) 1821, seit Herbst 1842 in Kirchendiensten, seit Ende Februar d(ieses) J(ahres) hier. Setzt mit Hülfe der Diöcesanlesegesellschaft seine Studien fort. Er hat seit seinem Hiersein einen Theil von Rankes Reformationsgeschichte gelesen und ist gegenwärtig mit „Der deutsche Protestantismus von einem deutschen Theologen“ beschäftigt. Auch gibt er hier wöchentlich 4 Kindern theils im Griechischen, theils im Französischen Unterricht. Seine Predigten schreibt er mit seltenen Ausnahmen wörtlich und legt sie memorita ab. ad 11.) Stadtvikar Elwert ist durch seine einfache Predigtweise beim größten Theil der Gemeinde wohl angeschrieben. Am Tage der Visitation fungierte er nicht. Sein Benehmen ist still u(nd) eingezogen. Gegenüber dem Diaconus hält er ein friedfertiges, manchen will es bedünken, nur allzu unselbständiges Verfahren ein, während er wieder nach anderen Seiten oft ins Kleinlichste am vermeintlichen Rechte festhält. Für Schulen ist er thätig. 12. Meßner ist Sigmund Heinrich Kraut, 65 Jahre alt, der sein Amt sehr gut versieht und einen ganz geordneten Wandel führt. 13. Eingestellte Gottesdienste. Jahr A. 29. April 1846. Eine Betstunde wegen Schulvisitation. 17., 19. Juni. Die Wochenkirchen wegen der Heuernte. 1., 8. Juli wegen der Conferenz. 22., 24., 29., 31. Juli wegen der Ernte. 29. Aug(ust) wegen der Conferenz. 11., 25. Sept(ember) 30. Sept(ember) wegen der Visitation. 7., 9., 14. Oct(ober) wegen des Herbstes. 20. Nov(ember) wegen einer Leichen. 25. Nov(ember) wegen der Schulvisitation 4. Dez(ember) wegen 2 Leichen. 13., 15. Januar 1847 wegen großer Kälte. 602 26. Febr(uar), 12. Maerz Jahr B. 28. Mai 16. Juni wegen Visitation. 2. Juli 7. Juli wegen Vacanzreise des Diakonus. 30. Juli 4., 6., 11., 13. Aug(ust) wegen der Ernte. 8. Sept(ember) wegen der Disputation. 15. Sept(ember) 22., 24., 28. Oct(ober) mit Ausnahme der Predigt des Sonntags wegen dringender Herbstgeschäfte kirchenkonventl(ich) eingestellt. 3., 5. Nov(ember) wegen des Herbstes. 17. Nov(ember) wegen der Visitation. 12. Jan(uar) 1848 wegen Kälte. 28. Januar 15. März wegen einer Reise. Jahr C. 10. Mai 31. Mai, 7. Juni wegen Krankheit des Diakonus. 21. Juni wegen der Heuernte. 19., 21., 26., 28. Juli, 2. Aug(ust) wegen der Ernte. 6. Sept(ember) wegen Conferenz. 11., 13., 18., 20. Oct(ober) wegen des Herbstes. 1. Nov(ember) wegen Krankencommunion im Filiale. 13. Nov(ember) wegen Visitation. Die außerordentlichen Kasualpredigten werden der Vorschrift gemäß gehalten. Im Jahre 1848 war Diakonus Demmler drei Wochen krank und nachher 14 Tage zur Erholung verreist. In dieser Zeit hat den 28. Mai, 1. Juni, 11. Juni, 9. Juli Vicar Mosapp für den Diaconus Kinderlehre gehalten, den Juni für ihn gepredigt, ebenso den 12. Juni Pfarrer Beckh von Schäftersheim und d(en) 29. Juni und 2. Juli Pf(arre)r Roser von Elpersheim. Die Wochengottesdienste anlangend, so wird jeden Mittwoch eine Bet- und Bibelstunde vom Diaconus gehalten, der in der vorliegenden Periode den Propheten Jesaias erklärt hat und gegenwärtig den ersten Korintherbrief auslegt. Am Freitag ist, wenn kein Bußtag einfällt, Kinderlehre, welche der Stadtpfarrer, gegenwärtig der Stadtvikar zu halten hat, worin der Kathechismus erklärt wird. 603 14. Es wird abwechslungsweise über Evangelium und Episteln des ersten und zweiten Jahrgangs gepredigt, auch je im andern Jahre ausführlich über die Leidensgeschichte, gegenwärtig wird über die Ep.(istel) des ersten Jahrgangs gepredigt. 15. Die württembergische Kinderlehre ist nicht eingeführt. In der Sonntagskinder- lehre, welche zwischen den beiden Geistlichen abwechselt, wird vom Diaconus der erste Brief Petri, vom Stadtvikar die Bergpredigt erklärt. 16. Feier des heiligen Abendmahls Jahr A 19 mal Jahr B 18 mal Jahr C 19 mal 17. Die Confirmationshandlung wurde vorgenommen Jahr A mit 18 Knaben, 15 Mädchen Jahr B mit 20 Knaben, 17 Mädchen Jahr C mit 10 Knaben, 11 Mädchen alle im gesetzlichen Alter, nach empfangenem zweimaligem Vorbereitungs- unterricht, der hier so gegeben wird, daß der erste Geistliche die Confirmation, der zweite die sogenannten Zuhörer unterrichtet. Jahr A wurden gegeben 68 Confirmationsunterrichtsstunden Jahr B „ „ 67 „ Jahr C „ „ 76 „ 18. Das neue Gesangbuch ist in der Gemeinde immer noch nicht eingeführt. Die Gemeinde hat sich jetzt dazu verstanden, bis Neujahr 1850 dasselbe einzuführen. In der Schulen ist es längst im Gebrauch, für Arme wird seit 1 Jahr auf Anschaffung aus örtlichen Mitteln Bedacht genommen. Der Widerstand gegen das Gesangbuch ist gebrochen und eine Abneigung dagegen nicht mehr vorhanden. Verfasser des Berichts thut was möglich ist, um dasselbe zu erreichen. 19. Der Kirchengesang läßt sehr viel zu wünschen übrig. ad 19) Der Kirchengesang ist am Tage der Visitation nicht gerade schlecht gewesen, weil, da das alte Gesangbuch noch existiert, die altbekannte Melodie: O Gott, Du frommer Gott, gesungen werden mußte. Das Orgelspiel ist nicht kirchlich zu nennen. 604 20. Confirmantenregister und Verkündigungsbuch hat der Schreiber dieses erst seit dem Tode des Dekans Meister einzuführen vermocht. ad 20) Die Kirchenbücher sind theilweise unpünktlich geführt aus der Zeit des (verstorbenen) Decans u(nd) mit dessen schwer leserlicher Handschrift geschrieben. Seitdem sie vom Diac(onus) u(nd) Vicar geführt werden, sind sie ganz gut geschrieben u(nd) die Einträge pünktlich. 21. Die Pfarregistratur ist nicht in Ordnung. Ein Conzept des letzten Pfarrberichts ist vergeblich gesucht worden. Ein Inventar und Verzeichnis der veränderlichen Einkommensteile der Stadtpfarrei scheint auch nicht vorhanden zu sein. Die Diaconatsregistratur, welche ohne Amtskasten bei den Privatpapieren des jeweiligen Diaconus liegt und sehr klein ist, ist in Ordnung. ad 21) Die Stadtpfarrei-Registratur ist in Unordnung u(nd) wird es bleiben, bis ein neuer Stadtpfarrer die Mühe der Scheidung übernehmen wird. 22. Kirchenconventssitzungen Jahr A 23 Jahr B 20 Jahr C 9 Die Gegenstände der Verhandlung sind vorherrschend Armensachen. Über Störung der Sonntagsfeier ist einmal verhandelt worden. ad 22.) Der Zahl nach sind die Kirchenkonvente genügend; was aber hauptsächlich auffällt, ist, daß nur eine einzige Verhandlung zur Abwägung der Schulversäumnisse vorkommt, u(nd) diese eine stammt aus jüngster Zeit. 23. Ein Rescripten- und Receßbuch hat Schreiber dieses in der Registratur nicht vorgefunden. Er fertigt gegenwärtig ein solches an. Ein Visitationsreceß die hiesigen Kirchen- und Schulverhältnisse betreffend etc. von H(errn) Prälat Mehring d(en) 8. Jan(uar) 1847 erlassen, ist erst im März 1848 zur Kenntnis der betreffenden Stellen gekommen und wird jetzt befolgt. II. Vom Schulwesen. 24a. Knabenschulmeister, Organist, Johann Peter Brecht, geb(oren) 25. Oct(ober) 1785, 39 2/3 Jahre im Amt, 38 Jahre hier, verheiratet, kinderlos, vermöglich, hat seit einem Jahre einen Provisor, mit dem er sich in die tägliche Schulzeit von 5 Stunden hälftig theilt, so daß jeder alle Schulkinder in seinen Schulstunden unterrichtete, giebt keine Privatstunden. Das Schulgeld nimmt ab. Belobt wurde er 1815 und 1823, erhielt 1816 ein Prämium, nimmt an der Conferenz der Diöcesan- Schullehrer-Lesegesellschaft theil. Die Gaben und Kenntnisse des Organisten Brecht sind mittelmäßig, er ist fleißig in seinem Amte, geht seinen alten Gang fort, seine Lehrart ist sehr wenig anregend. Die Lehrgabe der Mitteilung fehlt ihm fast ganz, die Schulzucht ist streng, fast unfreundlich. Ehe und Wandel musterhaft. 605 ad 24a. Knabenschulmeister Brecht, 64 Jahre alt, hat mittelm(äßige) Gaben u(nd) Kenntnisse, wenig Lehrgabe, leistet aber, was er eben vermag. Er hat einen Hilfslehrer. Sein Wandel ist musterhaft. 24b. Mädchenschulmeister Cantor Johann Martin Wiegner, geb(oren) 10. Febr(uar) 1812, seit Martini 1841 auf dieser seiner ersten Stelle, Wittwer, kinderlos, nicht ohne Vermögen, giebt täglich 6 Stunden Abteilungsunterricht, 2-3 Privatstunden täglich a 6 xr., Schulgeld nimmt ab, hat 1836/37 zu Schrozberg ein Prämium, 1844 hier eine Belobung erhalten, nimmt an Conferenz und Lesegesellschaft Anteil, verdient nach Gaben, Kenntnissen, Fleiß im Amt, Schulzucht und Wandel ein gutes Zeugniß. ad 24b. Mädchenschulmeister Wiegner, 37 Jahre alt, hat gute Gaben, sehr gute Kenntnisse, lebt u(nd) webt in seinem Amte, führt einen durchaus sittlichen Lebenswandel, hat sich zwar bestimmen lassen, an einem Volksverein theilzunehmen, sieht aber selber ein, daß dabei Extravaganzen vorkommen, die mit dem reinen Patriotismus, der ihn durchglüht, nicht übereinstimmen. 24c. Israelitischer Schullehrer Jacob Adler, geb(oren) 16. September 1811, ist seit 14 Jahren auf dieser, seiner ersten Stelle, verheirathet, Vater von 6 Kindern, giebt täglich 5 Schulstunden und einige Privatstunden, welche ihm jährlich 30 fl abwerfen, bezieht kein Schulgeld, steht in Conferenz und Lesegesellschaft. Er hat gute Gaben und Kenntnisse, ist fleißig in seinem Amte, neben dem er das eines Vorsängers und Kirchenvorstehers versieht, was viel Zeit in Anspruch nimmt. Lehrart und Schulzucht sind nicht zu tadeln. Eheliches Leben und Wandel ist gut. ad 24c. Judenschulmeister Adler, 34 J(ahre) alt, hat gute Gaben u(nd) Kenntnisse, ist nach dem pfarramtlichen Zeugnisse fleißig, hat aber keine dementsprechende Schule. Wandel u(nd) Ehe sind gut. 25a. Provisor Feuerlein, Georg Michael, geb(oren) 18. Mai 1822, ledig, hier angestellt als Provisor mit einer eigenen Schulklasse seit 18. Oct(ober) 1841, giebt täglich 5 Schulstunden und 2 Privatstunden a 6 xr., unterrichtet 93 Schüler, ist auf den Schuldienst Neunkirchen nominiert, nimmt Theil an Conferenz und Lesegesellschaft, hat sehr gute Gaben u(nd) Kenntnisse, einen vortrefflichen Charakter, ausgezeichnete Amtsführung und untadelhaftes Verhalten. ad 25a. Lehrgehilfe Feuerlein, 27 J(ahre) alt, hat gute Gaben, sehr gute Kenntnisse, außerordentlichen Fleiß, vortreffliche Amtsführung, sehr guten Charakter u(nd) eine Lehrgabe, die namentlich bei Jüngeren sehr ansprechend ist. Sein sittliches Verhalten ist ganz gut. 25b. Provisor Murr, Johann Carl, geb(oren) 6. Febr(uar) 1827, seit einem Jahr hier in der Schule des Organisten Brecht, unterrichtet die Schülerzahl der Organistenschule in der in der oberen pro 24a angegebenen Zeit, giebt keine Privatstunden, nimmt an Conferenz und Lesegesellschaft Antheil, hat mittelmäßige Anlagen, sucht seine ordentlichen Kenntnisse durch großen Fleiß zu vermehren, hat einen stillen und verschlossenen Charakter, eine gute Amtsführung und ein ganz gutes Verhalten. 606 ad 25b. Hilfslehrer Murr, 22 J(ahre) alt, hat mittelmäßige Gaben, sehr großen Fleiß, durch den er seine Kenntnisse immer noch vermehrt, einen eingezogenen Wandel u(nd) stillen Charakter. Der Umstand, daß er ein geborener Weikersheimer ist, wirkt für sein Ansehen in der Gemeinde nicht günstig, zumal er wenig Gabe hat, sich selbst im öffentlichen Leben Geltung zu verschaffen. 26. Filialschullehrer Christian Gottlieb Kammerer zu Hohnsbronn, geb(oren) 18. Jan(uar) 1819, ist seit 5 Jahren auf dieser seiner ersten Stelle, verheiratet, Vater von 2 Kindern, hat ein bescheidenes Vermögen, giebt Winters 5, Sommers 4 Schulstunden, keine Privatstunden, bezieht kein Schulgeld, nimmt theil an Conferenz und Lesegesellschaft und verdient durchaus ein gutes Zeugnis. ad 26. Filialschulmeister Cammerer, 31 J(ahre) alt, hat g(anz) gute Gaben, gute Kenntnisse, vielen Fleiß, Treue im Amte, einen musterhaften Wandel in aller Stille u(nd) Ehrbarkeit. 27. Schülerzahl in der Organistenschule 71 Knaben in der Cantorschule 104 Mädchen in der Israelitenschule 8 Knaben und 8 Mädchen bei Provisor Feuerlein 93 Kinder in Hohnsbronn 29 Kinder. In Weikersheim ist durch die Zahl der Kinder in der Cantorsschule Abteilungsunterricht nötig geworden, der seit 1 Jahr eingerichtet ist. Es ist bald dringendes Bedürfnis, daß hier eine 4te Schule eingerichtet wird, die Gemeinde hat darüber auch schon - aus Gelegenheit der Ablösungen - ihre Stimme abgegeben. Die eigenthümlichen Übergangsverhältnisse, in welchen wir leben, werden keine baldige Entscheidung in dieser Frage hoffen lassen. Die Schullokale des Cantors und Provisors Feuerlein sind zu klein, in der Cantorsschule sind überdies Fenster und Schulbänke morgens und mittags stark dem Sonnenlicht ausgesetzt, deshalb wurde seit Jahren, selbst von Seiten des Oberamtsphysikalrats wenigstens Vorhänge desideriert, bis jetzt ohne Erfolg. 28. Der Eintritt in die Schule und der Austritt aus derselben ist gesetzmäßig. 29. Die meisten Lehrer haben eine gute Lehrmethode, bei dem Organisten Brecht fehlt es daran, wie auch an genügender Erklärung des Memorierstoffes. 30. Die Schuldisciplin ist gut, sanft und freundlich, außer in der Schule des Organisten Brecht, wo auch schon über Provisor Murr hin und her Klage geführt wurde. Murr ist etwas hitzig und finster, aber nach der über die angeklagten Fälle geführten Untersuchung ist auf Murr bisher immer weniger Schuld gefallen, als auf die Kläger. Murr hat als hiesiger Bürgersohn in dieser Beziehung eine doppelt schwere Stellung, findet aber bei der Schulbehörde gehörige Unterstützung. 607 ad 30. Beim Durchgang kam keine Klage wegen der Schuldisciplin vor, auch nicht über Murr, wohl aber der Wunsch, daß statt des letzteren ein Provisor komme, der mehr musikalische Kenntnisse habe, wobei man Murr`s sonst in allen Ehren gedachte. 31. Schulmittel und Lehrbücher sind da. 32. Schuldiarium und Receßbuch sind da. Ob die veränderlichen Einkommenstheile der Schullehrer in der Stadtpfarreiregistratur sind, konnte bisher noch nicht aufgefunden werden. 33. Die Organistenschule ist mittelmäßig, aber besser als früher, was dem Provisor Murr und einer regelmäßigen Thätigkeit der Vicare an derselben zu bedanken ist. Die Cantorsschule ist sehr gut, doch gereicht der Abteilungsunterricht trotzdem, daß der Lehrer außerordentlichen Fleiß aufwendet, nicht zur Förderung der Kenntnisse der Schülerinnen. Die Schule des Provisors Feuerlein ist sehr gut. Die Filialschule des Schullehrers Kammerer ist gut. Die Israelitische Schule ist ziemlich gut. Fortschritte haben gemacht die Knaben der Organistenschule in deutscher Sprache, Geographie, Geschichte, Schönschreiben und Rechnen, die Mädchen der Cantorsschule im Gesang, hierin zeichnet sich aber vor allen Schulen hiesiger Parochie die Filialschule zu Hohnsbronn aus. Im Memorieren, besonders aber in der Biblischen Geschichte, sind die Schüler der Organistenschule noch sehr zurück. ad 33. Die Schule des Organisten Brecht ist mittelmäßig. Es ist kein Fach besonders glänzend bestellt, obwohl im Rechnen durch Provisor Murr Einsicht in die Schlußrechnung geweckt, im Kopfrechnen einige Fertigkeit bei den Brüchen herbeigeführt worden ist. Deutsche Sprache dictiert, Schreiben, Memorieren, sind am wenigsten gut bestellt. Die Schule des Cantors Wiegner ist recht gut, im Rechnen vorzüglich, im Rechtschreiben r(echt) gut, im Lesen sehr gut, Geographie s(ehr) gut. Die obere Abth(eilung) zeigt eine Gewecktheit der Denkkraft, ab der die richtige Methode des Lehrers leicht erkannt wird. Die untere Abth(eilung) ist weniger lebhaft u(nd) kenntnisreich. Die Schule des Provisors Feuerlein ist gut. Bei 93 Kindern ist außerordentlicher Fleiß erforderlich, um Lesen, Schreiben, namentlich auch Rechtschreiben so weit zu bewegen, als man es in dieser Schule trifft, zumal, wenn man erwägt, daß er eine ziemliche Zahl sehr unbegabter, einige fast simpelhafte Kinder, noch mehr solche hat, die von Haus sehr verwahrlost werden. Die jüdische Schule ist mittelmäßig, selbst im Rechnen, diesem jüdischen Paradepferde; Rechnen im Kopfe geht besser. Aber auch was man gut zu nennen versucht sein könnte, wie das Lesen, macht in der Betonung den Eindruck unnatürlichen Gekünsteltseins. Dem Juden fehlt das Gemüth, u(nd) was damit zusammenhängt, bringt er nur affectirt zu Stande; Singen geht deswegen schlecht. 608 Die Schule in Honsbronn ist in der unteren Abth(eilung) gut durch sämtliche Fächer; die obere ist weniger lebendig, verdient durch alle Fächer das Zeugnis z(iemlich) gut, ausgenommen das Dictatschreiben, das gering ist, u(nd) das Singen, welches sehr gut ist. Man merkt dieser Abth(eilung) eine größere Zahl von Versäumnissen an, welche namentlich die Kinder von Bronn sich zu Schulden kommen lassen. 34. Die Schulversäumnisse sind sehr gleich geblieben. Die Lehrer thun alles, um diesem Übelstand vorzubeugen. Die Leichtigkeit, mit der man in den letzten Jahren des Herrn Dekans Meister zur Erlaubnis kommen konnte, deren Ertheilung trotz mancher Bitten nicht in die Hände des die Schulen fast allein besuchenden Vicars gelegt war, hat zu derselben fast das meiste beigetragen. Jetzt ordnet sich die Sache. Ein Verdingen der Kinder ist nicht gesichtet. ad 34. Die Versäumnisse in sämtlichen Schulen sind sehr bedeutend, u(nd) wurde leider bisher nicht energisch genug dagegen eingeschritten, was anders werden wird, sobald erst die pfarrlichen Verhältnisse geordnet sein werden. 35. Ferien: Jahr A 19. Juli - , 2. Aug(ust), 4. - 17. Oktober 1846. Jahr B 25. Juli - ,11. Aug(ust), 21. Oct(ober) -1. Nov(ember) 1847. Jahr C 17. Juli -, 2. Aug(ust), 14. - 28. Oct(ober) 1848. 36. Schulvisitationen 27./29. April, 23./25. November 1846 26./28. April, 16./18. Nov(ember) 1847 8./10. Mai, 14./16. Nov(ember) 1848. 37. Schulbesuche jährlich 68 Religionsunterrichtsstunden jährlich 71 Beides ist Sache des Stadtvikars. ad 37. Die Schulbesuche sind meist ausreichend, wenn man bedenkt, daß Weikersheim 4 Schulen hat. 38. Die Sonntagsschule wird vom Organisten mit den Knaben, vom Cantor mit den Mädchen regelmäßig gehalten, und sie ist visitiert worden 14. Juni u(nd)...6. Dez(ember) 1845, 27. Juni und 12. Dez(ember) 1846, 21. Mai 1848 bei den Söhnen, und den Sonntag darauf bei den Töchtern. 39. Das Betreffende ist unter N(umme)ro 22 bemerkt. Giftpflanzen wurden vorgezeigt 21. Mai, 1. Oct(ober) 1846 15. Mai, 28. Sept(ember) 1847, 24./31. Mai, 24./30. Sept(ember) 1848. ad 39. Giftpflanzenwarnung ist geschehen. 609 40. Es besteht hier eine Industrie- und Kleinkinderschule, von fürstlicher Herrschaft eingerichtet und erhalten. Die Kleinkinderschule wird bis 1. Sept(ember) geschlossen werden. 41. Es sind Schulstiftungen für Bücher, Papier und Brod vorhanden, aus denselben und aus dem Schulfonds werden ungefähr 30 fl für arme Kinder für Schulgewerk verwendet. Besonderer Berücksichtigung sind für die nächste Zeit die Queckbronner Schulverhältnisse zu unterstellen, so wie die Geschäftsabtheilung zwischen der ersten u(nd) 2ten Pfarrstelle hier. Vorstehenden Bericht verantwortet Weikersheim, d(en) 5. Juli 1849 Diakon Demmler. Anhang. Die Schulverhältnisse von Weikersheim brauchen eine gründliche Reform. Zuerst was die Zahl der Schüler betrifft, so sollte nach der Zahl derselben ein zweiter Lehrer angestellt werden, diß umso mehr, als worüber ich auf die Randbemerkungen zum Pfarrbericht von Neubronn verweise, das Mißverhältnis gehoben werden sollte, daß die Kinder von Filial Queckbronn nach Neubronn in die Schule gehen, dort eine Menge Schulversäumnisse machen, welche, weil hierfür bisher kein Kirchenkonvent bestimmt war, meist gar nicht gerügt werden, welche aber ferner theilweise unvermeidlich sind und gar zur Zeit des Comfirmationsunterrichts, wo diese Kinder nicht zuerst nach Neubronn in die Schule gehen können, um dann wieder zurück einen Weg vom 1 ½ Stunden nach Weikersheim zu machen. Würde nun eine 4te Schule in Weikersheim errichtet, so könnten die ½ St(unde) entfernten Queckbronner Kinder darin Platz finden. Jedenfalls aber könnte, bis hier Rath geschafft ist, eine andere Einrichtung Platz greifen. Es ist beim Durchgang, ohne daß man es zu Protokoll genommen wünschte, davon die Rede gewesen, daß die Knabenschule dem Schullehrer Wiegner zugewiesen werden sollte. Damit wäre allerdings so viel geholfen, daß die Knaben, die es mehr brauchen, einen besseren Unterricht erhielten, aber dafür würden die Mädchen verkürzt. Deshalb könnte auch hier die Abtheilung nach Altersklassen statt nach Geschlechtern gemacht u(nd) und die obersten dem Wiegner übertragen werden, wodurch sich einigermaßen auch die Zahl der Schüler ausgleichen würde, sofern sie nach Jahrgängen das eine oder andere Geschlecht vorschlägt, jedenfalls aber die Knabenschule wegen des Übertritts in die latein(ische) Schule immer weniger Kinder zählt. Würde endlich eine obere Volksschule im Sinne des neuen Schulgesetzes nach u(nd) nach eingerichtet, so könnte der Diaconus von seinem Präceptorat wesentlich erleichtert werden. 610 Eine Seelenzahl von mehr als 2 000 Seelen kann wohl zwei Geistliche brauchen, ohne daß der eine noch das Blei einer Schule nachschleppen muß. So wars auch früher und sollte auch wieder so werden, wenigstens so, daß der Helfer nur etliche Stunden an der oberen Volks- oder Real-, oder wie sonst benannten Schule zu geben hätte. T(estatur) Dek(anats) Ver(weser) Wüst.1859 1859 Karl Edmund Albert Wüst, geb.Murrhardt 17.01.1810, gest.1882. 611 14.0. Aufstellung der Bezüge des Pfarrers von Böblingen im Jahre 1828: Pfarrbeschreibung von Böblingen, auf den 1. März 1828. V. Abschnitt. Von den Vermögens- und Einkommensverhältnissen der in der Parochie bestehenden kirchlichen Stellen. Ein Pfarr- und Diakonat-Haus sind vorhanden, beide ein Eigentum des Kirchenguts des ehemaligen Herzogtums Württembergs. Das Kameralamt Sindelfingen hat die Verbindlichkeit, dieselben zu bauen und im Bau zu unterhalten. Das Hausgerät der Pfarrstelle, mit welcher das Dekanat verbunden ist, besteht aus zwei alten, gefüllten Registraturkästen, und einem neuen mit der Einrichtung, daß bei drohender Feuersgefahr die 12 Schubladen schnell herausgenommen, und die Registratur in Sicherheit gebracht werden kann; aus einem Bücherschrank, der zu allmählicher Sammlung einer Diözesan-Bibliothek gebraucht wird, Tisch, Amtssigill, vollständiger Sammlung des Regierungsblattes, aus älteren Gesetzbüchern eine Kirchenordnung, Hartmanns, Reuchlins Sammlung von Kirchengesetzen und dergleichen. Das Hausgeräte der Diakonatsstelle enthält nichts besonderes und kein Regierungsblatt. 4. Diensteinkommen der beiden geistlichen Stellen, a. der Pfarrstelle. In der revidierten Besoldungsbeschreibung vom 4. Februar 1793 - eine neuere gibt es nicht - ist dasselbe im Einzelnen eingesetzt: I. Unveränderliche Besoldungsteile: 1. Geld 83 fl für den kleinen Zehnten 200 fl Hellerzins für den Heuzehnten 16 f 27 xr ____________ 299 fl 27 xr Papiergeld 1 fl 20 xr 2. Fixe Naturalien1860 6 Schfl Roggen a 6 fl 36 fl 34 Schfl Dinkel a 3 ½ fl 119 fl 20 Schfl.Haber a 2 ¾ fl 55 fl 1860 1 Scheffel - 8 Simri - 32 Vierling - 256 Ecklein - 1 024 Viertelein 1 Eimer - 16 Imi - 160 Maas - 640 Quart-Schoppen. 1 Morgen = 4 Viertel = 384 Quadratruten; Reyscher, Regierungsgesetze, Bd. XV, Nr. 1717. 612 4 Fuder halb Dinkel- halb Haberstroh a 7 fl 13 xr 28 fl 52 xr 8 Säcke Brühts a 10 xr 1 fl 20 xr 8 Eimer 6 Imi Wein a 16 fl 128 fl Die 6 Imi gehen als Altarwein auf, der Fuhrlohn wird von der Herrschaft ganz bezahlt. 16 Klafter buchenes und birkenes Holz, wie es der Schlag gibt, von der Stadt auf dem Stamm, wovon das Entbehrliche an Holz und Reisach verkauft werden kann. 16 Klafter a 7 fl 30 xr 120 fl 600 Büschel Reisach a 3 fl. 18 fl __________ 506 fl 12 xr Vom Klafter Holz muß Pfarrer Macherlohn bezahlen 1 fl 14 xr, von 100 Reisach 1 fl 8 xr. Fahrlohn frei, auf den Wagen 1 Maß Wein. II. Veränderliche Besoldungsteile. 3. Gütergenuß. Küchengarten ½ Vrtl. hinter dem ehemaligen Dekanshaus 1 fl Krautgarten zu 200 Szl. 8 ¾ Ruth in dem sogenannten Riemzengäßlein 1 fl 30 xr Wiesen 7 ¼ Morgen 8 ½ Ruth. im sogenannten Brühl 101 fl 30 xr 4. Zehnten und Gülten, Heu- und Öhmdzehnten aus 15 ¾ Morgen Wiesen, an Geld und Frucht 9 fl 28 xr 5. Bürgerliche Benefizien 4 Pferchnächte a 2 fl 8 fl 6. Rechte und Gerechtigkeiten 0 fl __________ 121 fl 28 xr 7. Emolumente Neujahr 22 fl 30 xr Kirchen- und Schul-Visitationen 5 fl 15 xr Honorar von Visitationen in den Diözesanorten 42 fl Ämterersetzung 45 xr Vom Schloßgut Mauren 1 fl 30 xr Iura Stolae 25 fl __________ 97 fl 00 xr ========= Accidenzien 30 - 40 fl 613 Die Besoldung der Stadtpfarrei in Verbindung mit dem Dekanat ist also nach der neuesten Kompetenz von 1793 folgende: Unveränderliche Teile 299 fl 27 xr Naturalien 506 fl 12 xr Veränderliche Teile 218 fl 28 xr Summa _____________ 1 024 fl 07 xr. ============ Bemerkungen: Geld, mit Ausnahme des Hellerzinses 16 fl 27 xr, der von der Stadtpflege resortiert, und fixe Naturalien, mit Ausnahme der 16 Klftr Laubholz und 600 Bschl. Reisach, als welche von der Stadt sind, reicht die Königliche Kameral- verwaltung Sindelfingen ab. Vom Klftr Holz muß Macherlohn bezahlt werden 1 fl 14 xr, vom 100 Reisach 1 fl 8 xr. Die Beifuhr ist zwar insofern frei, als von dem Wagen, der höchstens ein halbes Klftr. Holz oder 50 Bschl Reisach führt, gewöhnlich nur ein Maß Wein oder einem Knechte 24 xr gegeben werden, dies ist aber guter Wille der Bauern, welcher aufhören kann, wenn er will. Die Güter sind alle zehnt- und steuerfrei. Der kleine Zehnten wurde im Jahr 1772 dem Kirchenrat auf immer für 200 fl abgetreten. Er trägt wohl jetzt das Doppelte und Dreifache. Mit den Zehnten und Gülten hat es diese Bewandnis: Heuzehnten aus 10 ½ Mannsmahd Gärten, wovon ungefähr 1 ½ Mannsmahd zu Äckern umgebrochen sind. Von den Gärten wird, statt des Graszehnten, von vielen Jahren her ein Hellerzins eingezogen mit 3 fl 55 xr, was manchen Streit gibt. Von den zu Äckern umgebrochenen wird der große Fruchtzehnte abgereicht, und mag ein Jahr ins andere ertragen Dinkel 1 Schfl. Haber 4 - 5 Sri. Güter und Zehnten stehen alle dem Kirchengut zu. Das Dekanatsgeld beträgt nur 16 fl. Das Papiergeld wird in Zukunft von 1 fl 20 xr auf 12 fl erhöht werden. Durch die Pachtung des Großen Zehnten sind der Stadtpfarrei seit 1821 die 8 Säcke Brühts a 10 xr weggefallen, durch ein höchstes Dekret der Kön. Finanzkammer aber dieselbe wieder, und zwar auch rückwärts, für die 6 Jahre 1821/27, doch nur im Wert von jährlich 18 xr, zuerkannt worden. Dekret der Kön.Finanzkammer vom 25. September, des Königl. Evangelischen Konsistoriums vom 5. Oktober 1827. 614 Die Stadtpfarrei hat in neuerer Zeit auch ein Allmandstückchen auf der sogenannten Kühstelle, ¼ im Maß enthaltend, zu genießen, aus dem der Stadtpflege jährlich 22 xr zu entrichten sind, und das kleine Gärtchen am jetzigen Dekanatshaus, steuerfrei. Auch hat dieselbe 10 Freischafe anzusprechen. Die 4 Pferchnächte werden jedesmal in den Wiesenbestand mit einbedungen. Honorarien, die in obenstehender Kompetenz zu 42 fl berechnet sind, hat ein jeweiliger Dekan von keiner einzigen Visitation, und von Investituren nur bei einzelnen Gemeinden anzusprechen. Das Übrige sind Diäten. Die veränderlichen Diensteinkommensteile ertrugen, nach den in Folge der Verordnung vom 11. Februar 1825 darüber geführten Verzeichnissen, Folgendes: von Georgi 1825/26 und von Georgi 1826/27 von Gärten nach Abzug der Unkosten 3 fl 24 xr 3 fl 24 xr Wiesen verpachtet und die 4 Pferchnächte einbedungen 110 fl 00 xr 110 fl 00 xr Allmandstückchen verliehen 2 fl 20 xr 2 fl 20 xr nach Abzug von 22 xr Zehnten und Gülten 9 fl 15 xr 9 fl 27 xr 10 Freischafe 12 fl 00 xr 13 fl 00 xr Emolumente 76 fl 24 xr 79 fl 05 xr Accidenzien 50 fl 00 xr 45 fl 00 xr ______________ _________ 263 fl 23 xr 263 fl 16 xr ===================== Die Taxe ist hier: Von einem Konfirmanden 30 xr Von einer Leichenpredigt 1 fl 00 xr Von einer Proklamation mit Einschluß des Proklamationsbriefes 1 fl 00 xr Von einer Privatkommunion 24 xr Von beiden Geistlichen wird aber nichts für dieselbe angenommen. Bei Vermöglichen und Honoratioren ertragen allerdings die iura stolae mehr, wobei dann aber auch die Gegenleistungen und Trinkgelder wieder abzurechnen sind. b. Diensteinkommen des Diakonats. Nach der neuesten, den 18. August 1810 revidierten Besoldungsbeschreibung besteht dasselbe in Folgendem: 615 I. Unveränderliche Teile, welche von der Kön. Kameralverwaltung Sindelfingen abgereicht werden. 1. Geld, inklusive einer Addition von 8 fl 60 fl 2. Naturalien: Roggen 6 Schfl. a 7 fl 4 xr 42 fl 24 xr Dinkel 26 Schfl. a 3 fl 51 xr 100 fl 6 xr worunter 6 Schfl. Addition sind. Haber 6 Schfl. a 3 f 2 xr 18 fl 12 xr Stroh 2 Fuder, halb Dinkel-, halb Haberstroh a 7 fl 13 xr 14 fl 26 xr Wein, 4 Eimer, worunter 1 Eimer Addition ist, von welchem der Fuhrlohn zu bezahlen ist, a 16 fl 64 fl Holz, von der Stadt auf dem Stamm, wovon das Entbehrliche an Holz und Reisach verkauft werden darf, 12 Klftr buchenes oder birkenes, wie es der Schlag gibt, a 15 fl 180 fl 500 Bschl Reisach a 5 fl 25 fl Von beiden Teilen wird das Machen und Setzerlohn bezahlt, Fuhrlohn 1 Ms. Wein, oder auch Geld. von 36 xr bis 1 fl 30 xr. II. Veränderliche Teile des Einkommens. 3. Gütergenuß. Küchengärtchen, im Zwinger gelegen, 2 Rth.im Maß 30 xr Kraut- und Hanfgarten, am oberen See 15 ¾ Rth. 2 fl 40 xr Wiesen im Maß 7 Mrg 1 Vrtl 9 ½ Rth 90 fl nämlich 1 Morgen, 1 ½ Vrtl, 11 Rth. neu Maß an dem Ehninger Weg, 2 Vrtl., 1 Rth, n. M. im untern Brühl, 3 Vrtl., 8 Rth., n. M. im Hummelklee, 1 Mrg., 7 ½ Rth. n. M. im Stockach, 1 Vrtl. n. M. im unteren Brühl oder leeren Wasen, 1 ½ Vrtl.7 R., n. M. auf der Inzinger Wiese, 3 Vrtl.n. M. im Zimmerschlag neben dem Talbach, 1 Mrg., 3 ½ Vrtl., 3 ½ Rth.n. M. im Zimmerschlag, 1 Vrtl. 9 R. unter der Stadt legiert. 616 .4. Bürgerliche Benefizien: 4 Pferchnächte a 3 fl 12 fl 5. Emolumente: Neujahrsgeschenk von der Stadtpflege 1 fl Kirchen- und Schulvisitationen 3 fl 30 xr Ämterersetzung 30 xr Von Privaten für Kindstaufen, 67 fl 15 xr Proklamationen, Hochzeiten, Leichen 6. Accidenzien 5 fl Bemerkungen: In der neuesten, revidierten Besoldungsbeschreibung des Diakonats ist Einiges zu hoch berechnet. So z.B. das Klftr. Holz zu 15 fl, da es gegenwärtig nur noch 14 fl im höchsten Preise gilt, und wahrscheinlich bald im Preise noch weiter herabsinken dürfte, auch muß der Macherlohn 1 fl 14 xr sowie der Fuhrlohn, vom Wagen ½ Klftr. 1 Ms. Wein oder Geld von 36 bis 1 f 30 davon noch abgezogen werden. Ferner die Wiesen, deren Pachtgeld zu 90 fl berechnet, seit 1824 aber auf 75 fl herabgekommen ist. Die Güter sind alle zehnt- und steuerfrei bis auf 1 Vrtl 9 Rth. Wiesen, welche zur Stadtkasse steuern. Die 4 Pferchnächte werden immer in den Wiesenbestand einbedungen, können also nicht besonders angeschlagen werden. Die veränderlichen Diensteinkommensteile ertrugen nach den darüber geführten Verzeichnissen Folgendes: Von Georgi 1825/26 Von Georgi 1826/27 Von Gärten nach Abzug der Baukosten Von Wiesen, lt. Pachtbrief auf 6 Jahre 75 fl 00 xr 75 fl 00 xr Von Allmandstückchen, etwa 1 Vrtl auf der Kuhstelle, nach Abzug einer Steuer von 20 xr 2 fl 22 xr 2 fl 22 xr Von 10 Stück Freischafen 12 fl 00 xr 12 fl 00 xr Von 4 Pferchnächten, die aber in den Wiesenbestand mit einbedungen werden 0 xr 0 xr Emolumente 152 fl 28 xr 143 fl 09 xr Bevölkerungstabelle 4 fl 41 xr 5 fl 46 xr Accidentien 12 fl 00 xr 12 fl 00 xr _________ ________ 258 fl 31 xr 250 fl 17 xr ========================== 617 Taxen: Für eine Kindstaufe 15 xr, Konfirmationsunterricht 30 xr, Leichenpredigt für Erwachsene 1 fl, Kindsleiche mit Rede (selten) 30 xr, Hochzeitspredigt mit Kopulation 1 fl 30 xr, ohne Predigt und Rede 30 xr, für Auszüge aus den öffentlichen Büchern 15 xr. B. Von den Stellen der niederen Kirchendiener. a). Meßner. Dieser hat Geld als Besoldung vom Heiligen 6 fl 00 xr Von der Stadtpflege 7 fl 00 xr Für Reinigung der Chorhemder, der Altar- und Taufabdeckung, und des Leichengeräts 7 fl 30 xr Für Reinigung der vasa sacra 2 fl 30 xr Für Dinte und Federn in die Sakristei 1 fl 00 xr Für Führung des Ablese-Registers 1 fl 30 xr Für das Läuten der Betglocke 2 fl 00 xr Für das Läuten der Schulglocke 4 fl 30 xr Für das Glockenschmieren 15 xr Für Wacholderholz und Besen 1 fl 25 xr Für das Besorgen der Uhr samt Baumel von der Heiligenpflege 12 fl 24 xr von der Stadtpflege 9 fl 24 xr ___________ 55 fl 18 xr Früchte Dinkel 3 Schfl. a 3f 30xr 10 fl 30 xr Haber 1 ½ Schfl. a 2f 45xr 4 fl 06 xr Emolumente bei den Schulvisitationen 20 xr 1 fl 20 xr Kirchenvisitationen 0 xr Bei Dienst- und Ämterersetzung 20 xr Von einer Taufe 15 xr, sie sei in der Kirche oder in Häusern 25 fl 00 xr Von einer Hochzeit 24xr 7 fl 00 xr Von Leichen bei Erwachsenen 18 fl 00 xr 1f 30xr bei Kindern 18 xr 7 fl 00 xr Von Privatkommunionen 12 xr 1 fl 00 xr Bei der jährlichen Austeilung von 12 Brotgestiften je 12 Pfd. 1 fl 12 xr Von einer Geldstiftung 36 - 40 xr 36 xr __________ 136 fl 53 xr 618 Zu bemerken ist, daß bei der Geringhaltigkeit des Kirchenvermögens die Stadtpflege den bedeutendsten Teil der Besoldung des Meßners freiwillig übernommen hat. b). Des Musikdirektors und Organisten Gehalt kommt unten VI.Abschnitt, §7 vor, weil diese beiden Stellen mit den Schullehrerstellen verbunden sind. c). Das übrige Musik-Personale mit den Stadtzinkenisten besteht gegenwärtig aus 6 Personen, die Instrumente spielen, und einer Sängerin. Diese beziehen Besoldung und Gehalt von der Stadtkasse, nämlich Der Zinkenist Geld Von der Stadtpflege 88 fl 24 xr von der Heiligenpflege 25f 113 fl 24 xr Holz, Buchen, 2 Klftr.a 10f 20 fl 00 xr Reisach, buchen, 200 Büschel a 5f 10 fl 00 xr beides nach Abzug des Macher- und Fuhrlohns. Die 6 angestellten Musiker je 5f 30 fl 00 xr Die Sängerin 5 fl 00 xr Der Orgeltreter wird belohnt mit 7 fl 00 xr der Aufseher in der Kirche mit 2 Schfl. Dinkel vom Heiligen 7 fl 00 xr 619 14.1. Aufstellung der Bezüge des Pfarrers von Langenburg. Als weiteres Beispiel sei nun in Langenburg, dem Sitz des Fürstenhauses Hohenlohe, das Einkommen der „Kirchendiener“ untersucht. Folgende Kirchenämter waren zu diesem Zeitpunkt dort vorhanden: an erster Stelle stand der Stadtpfarrer und Dekan, unterstützt von einem Diakon. Die niederen Kirchendiener waren ein Organist, ein Kantor und der Meßner. Das Geld und die Naturalien wurden hier nicht von der Kameralverwaltung gereicht, sondern von der „Fürstlichen Standesherrschaft“, die hier das Patronats- und Nominationsrecht hatte. Amtsstellen der Geistlichen. § 24. „Eigene Wohnungen für die beiden Geistlichen sind vorhanden, die der Patronats-Herrschaft eigentümlich zustehen, und von derselben auch gebaut und im Bau erhalten werden müssen. Beide Wohnungen liegen im innern Teil des Städtchens, haben eine gesunde und angenehme Lage und werden gut erhalten. Jede hat vier heizbare Zimmer und einen guten Keller. Zur Wohnung des Stadtpfarrers gehört auch der Anteil an einer Scheune und Waschküche, sowie Stallung zu einigen Pferden und ein Haus-Gärtchen. § 25. Besonderes Hausgeräte ist bei den Amtsstellen nicht vorhanden, und das Gewöhnliche in dem Inventarium verzeichnet. § 26. Das Einkommen der Stadtpfarrei beträgt nach der letzten Fassion vom September 1822: A. Fixierte: Gulden Kreuzer Heller Geld (von der Fürstlichen Standesherrschaft) 200 Aus der Almosenkasse für die Inspektion, den Kinder-Unterricht und das Schulexamen 9 30 Naturalien (von der Fürstlichen Standesherrschaft) Glatte Früchte 13 Schfl. 2 Sri. 8 Ms. 66 33 6 Sogenannte Küchenspeise 3 Sri. 2 15 Dinkel 11 Schfl. 3 Sri. 9 Ms. 34 20 1 Stroh 2 Schober, halb Roggen-, halb Haber-Stroh 6 Wein, 4 Eimer, 5 Imi 107 48 5 Bier, 1 Eimer, 7 Imi 11 58 5 Holz 19 Klafter Scheitholz, 133 Wellen, 350 14 620 B. Nicht Fixierte. Wohnung 50 4 Gärten 5 18 5 Morgen Wiesen 10 1 ½ Morgen Acker von der Kommun 48 Grundgefälle: Zehnten und Teilgebühren Kleiner Zehnten an Flachs zu Atzenrod 4 Lebendiger Zehnten an Schweinen, Gänsen und Hühnern zu Atzenrod 1 15 Kommun oder bürgerliche Benefizien Viehweide in das Geäcker 36 12 Schafe zur Weide 3 Jura Stolae und Geschenke 147 Die veränderlichen Einkommensteile haben nach dem Ergebnis der in Folge der Verordnung vom 11. Februar 1825 darüber zu führenden Verzeichnisse in den Jahren 1825/26 und 1826/27 ertragen: I. Gütergenuß 1825/26 1826/27 Wiesen 18.30 18.34 II. Zehnten Flachszehnten 11.19 11.52 Blutzehnten 3.18 1.28 III. Bürgerliche Benefizien Allmand 9.00 7.30 IV. Emolumente Taufen 30 61.02 29 49.50 Hochzeiten 9 21.04 11 49.39 Leichen 35 78.21 24 26.33 Konfirmation 17 Kinder 25.03 21 Kinder 34.36 Wer die verschiedenen Besoldungsteile abzurechnen habe, ist schon bemerkt worden. Die Wiesen sind auf der Atzenroder Markung gelegen, die übrigen Güter- stücke auf der hiesigen. Die Güter sind zehntfrei, und steht das Eigentum derselben teils der Fürstlichen Standesherrschaft, teils der Kommun zu. Den Flachszehnten hat die Stelle gemeinschaftlich mit der Pfarrei Michelbach an der Heide, nach dem oben angegebenen Verhältnisse. 621 Das Holz wird von den Handfrohndepflichtigen im Dienste gehauen und von den Möhnpflichtigen im Dienste angefahren. Es muß aber denselben für die herkömmliche Gebühr und zwar den ersten 4 xr Hauerlohn für die Klafter, und den letzteren 8 xr Fuhrlohn für die Klafter nebst ½ Maas Wein und 1 Pfund Brot verabreicht werden. Bei den Emolumenten von den Privaten findet keine herkömmliche Taxe statt, doch sind dieselben im allgemeinen im Vergleich mit benachbarten Pfarreien gering. Das gesamte Einkommen der Stadtpfarrei beträgt also nach den obigen Angaben 809 f 43 xr, und die jährliche Einlage in den Witwen-Fiskus ist 7 f 48 xr. § 27. Das Einkommen der Diakonatsstelle, womit zugleich das Präzeptorat verbunden ist, beträgt nach der letzten Fassion vom September 1822: Geld aus der Stiftungskasse 160 Von der Standesherrschaft 6 Malter Korn 30 9 Malter Dinkel 27 4 Malter Haber 12 3 Sri Küchenspeise 2 15 2 Eimer, 128 Ms Wein 65 98 Ms Bier 5 14 Klftr Holz 98 350 Wellen 14 Freie Wohnung 50 3 Gärten 2 24 ½ Morgen Acker von der Kommun 0 Bürgerliche Benefizien 2 Schweine ins Geäcker 36 Jura Stolae 34 02 für Begleitung bei Leichen und Hochzeiten. Wegen des Hauens und Anfahren des Holzes ist dasselbe zu bemerken wie bei §26. Nach der Bestallungsurkunde gebührt dem Diakonus von jeder Hochzeit und Leiche 30 xr und vierteljährig von 1 Schüler 24 xr Schulgeld nebst 16 xr aus der Schulkasse. 622 Die veränderlichen Einkommensteile haben im Jahr 1825/26 und 1826/27 ertragen: 1825/26 1826/27 1. Gütergenuß 1 1 2. Bürgerliche Benefizien Allmandteile 0 1 3 Emolumente Hochzeiten 2.57 2.57 Leichen 15.30 15.30 Schulgeld 42.51 43.34 Das ganze Einkommen des Diakonats beträgt also nach obigen Angaben 500 f 57 xr, und die jährliche Einlage in die Witwenkasse ist 3 f 41 xr. B. Von den Stellen der niederen Kirchendiener. § 28. Meßner. Aus der Fürstlichen Domanial-Kasse für allerlei Dienstverrichtungen 4 f 46 xr Ordinäre Bestallung 6 f 36 xr Zins aus gestifteten 100 f Kapital 5 f Zulage wegen Reinigung der Kirche 3 f 24 xr Aus der Bürger-Kasse 4 f 15 xr ________ 24 f 01 xr Ferner in Naturalien von der Fürstlichen Herrschaft Simri. Korn 2 f 24 xr 6 Sri. Dinkel 3 f 2 Mltr., 6 ½ Sri. Raugemischtes 18 f 1 Mltr. Spitzen 2 f 1 Klftr. Holz 5 f 100 Bd. Wellen 1 f 1 Ms. Wein 18 xr 1 Laib Brot an den 3 hohen Festen, und wenn die Fürstliche Herrschaft kommuniziert 2 xr 1 Schwein ins Geäcker 24 Laib Brot in verschiedenen Häusern dahier und zu Atzenrod, auf welchen diese Abgabe lastet 4 f 3 ½ Frucht und 3 ½ Haber- Garben von dahier 1 f ________ 60 f 55 xr 623 Ferner sind für die Obliegenheiten eines jeweiligen Kirchners als Kalkanten noch besonders ausgesetzt. 2 Mltr. gemischte Frucht 8 f 24 ¾ Ms. Wein Kocheraich oder die gewöhnliche Vergütung an Bier 2 f 28xr 2 Klftr. Holz von Fürstl.Herrschaft 10 f § 29. Die Stelle eines Organisten ist mit der eines jeweiligen Knaben-Schullehrers verbunden. 624 14.2. Einkommen des Pfarrers von Metterzimmern. Es sollen nun noch die Angaben einer dörflichen Gemeinde für den Überblick herangezogen werden. Es ist der Pfarrort Metterzimmern, ein Dorf mit 609 Ortsangehörigen, die 1827 alle evangelisch waren. Zuständig für die Pfarrbeschreibung von 1828 war M. Christian Ludwig Liesching,1861 der nach einer Tätigkeit in Weinsberg und Maienfels von 1814 bis 1829 Pfarrer in Metterzimmern war. Von den Vermögens- und Einkommensverhältnissen der kirchlichen Stellen. A. Pfarrei. § 16. „Das Pfarrhaus ist Eigentum der Königlichen Finanzkammer. Diese hat die Verbindlichkeit, es zu erbauen und im Bau zu unterhalten. § 17. Das Pfarrhaus liegt am südlichen Teil des Orts, ganz nahe bei der Kirche und Schule, ist gesund und angenehm, ist gut erhalten, hat 3 heizbare Zimmer, der Keller in demselben ist wenig geräumig und zu niedrig gewölbt, daher für die Erhaltung des Weins und der Fässer ungünstig. Bei dem Pfarrhause befindet sich ein Hofplatz, Scheuer mit Stallung, Waschküche, Garten im Meßgehalt von 2 Vrtl. mit Brunnen. § 18. Das Hausgeräte der Pfarrstelle besteht aus 2 Registratur-Kästen , Amtssigill, Regierungsblatt, und ist ein Inventarium darüber vorhanden. § 19. Das Diensteinkommen der Pfarrstelle besteht aus I. Unveränderliche Teile des Einkommens. 1. Geld 64 2. Fixe Naturalien a. Früchte 4 Schfl. Roggen a 6 fl 24 30 Schfl. Dinkel a 3fl 30xr 105 8 Schfl. Haber a 2fl 45xr 22 b. 2 Fdr. Stroh samt Brüts 2 Säck a 7fl, 6xr 14 12 c. Wein, 6 Aym. a 16fl 96 d. Holz _______________ 261 fl 12 xr 1861 Christian Ludwig Ehregott Liesching (18.9.1785 - 7.2.1866), Sigel Nr. 556,26. 625 II. Veränderliche Teile des Einkommens 3. Gütergenuß a. Küchen- nebst Beum- und Grasgarten 2 Vrtl. a 24fl 12 b Acker, 1 Vrtl. a 12fl 3 ____ 15 4. Zehnten a 5/12 Heuzehnten aus 40 Mrg. vom 1. Schnit 27 30 b Klein-Zehnt 53 c. Lebendiger Zehent 1 ______________ 81 fl 30 xr ______________ 421 fl 42 xr ============= 5. Bürgerliche Benefizien Holz, Bürgerabgabe 30 6. Rechte und Gerechtigkeiten 0 7. Emolumente a. Von öffentlichen Kassen Neujahr 1 Bevölkerungsliste 1 Kirchen- und Schulvisitation 1 30 Ämter-Ersetzung 30 b. Von Privatis 15 ______________ 19 fl 30 xr _______________ 441 fl 12 xr ============= 6. Akzidentien: Herbsttrunk 5 bis 6 Ii. nach Abzug der Unkosten 2 Hinzu kommt Entschädigung für entzogene Holzbelohnung von der Gemeindepflege, jedoch bloß persönlich, jährlich 12 Ein jährliches Zehent-Surrogat-Geld von 3 wird von dem Kameralamt von der Besoldung abgezogen. Der jährliche Beitrag in den Witwen-Fiskus beträgt 5 16. 626 Rekapitulation des Einkommens: 1. Geld 64 2. Fixe Naturalien 26 12 3. Gütergenuß 15 4. Zehenden 81 30 5. Bürgerl. Benefizien 30 6. Rechte und Gerechtigkeiten 0 7. Emolumente 19 _____________ 441 fl 12 xr ============ Akzidentien innerhalb Falzes 2 fl Die veränderlichen Teile des Einkommens haben nach Abzug der Unkosten betragen von Georgi 1825/26 1. Gütergenuß 19 2. Zehenden 78 45 3. Bürgerl. Benefizien 30 4. Rechte und Gerechtigkeiten 0 5. Emolumente 12 30 6. Akzidentien 3 ______________ 113 fl 45 xr ============= Von Georgi 1826/27 1. Gütergenuß 15 2. Zehenden 91 30 xr 3. Bürgerl. Benefizien 30 xr 4. Rechte und Gerechtigkeiten 0 5. Emolumente 25 6. Akzidentien 2 ______________ 134 fl 00 xr ============= § 20. Die herkömmliche Orts-Taxe von Stol-Gebühren ist von einer Trauung mit oder ohne Predigt 3 Leichenpredigt 2 Konfirmandenunterricht von jedem Kind 36 Taufscheine 15 Von Taufen bei einem ehelichen Kinde vier sogenannte Taufwecken, von einem unehelichen 15 xr. Von Kindsleichen, da solche ohne Rede gehalten werden, wird nichts bezahlt. 627 Von Proklamationen, wenn die Trauung an einem andern Orte ist, wird je von einer bezahlt 15 xr. Das Einkommen hat also zusammen mit den veränderlichen Teilen zwischen 555 und 575 Gulden betragen. § 21. Die Pfarrei hat sowohl den Heu- als auch den Kleinen Zehenden nach allen Rubriken als Klee (in der Brache und in den Weinbergen), Angerschen, Rüben, Hanf, Flachs, Welschkorn, Raps, Ackerbohnen, Erbsen, Linsen, Wicken, Obst, gemeinschaftlich mit der Königlichen Finanzkammer dergestalt zu beziehen, daß Letzterer 7/12, der Pfarrei hingegen oder dem Kirchengut 5/12 zustehen. Aus 4 Morgen Wiesen hat die Pfarrei den Heu-Zehenden unter dem Namen Vor- Zehenden allein zu beziehen. (Anmerkung des Dekans: „und aus 62 Morgen Acker den Kleinen Zehenden"). § 22. Der Finanzkammer-Anteil von 7/12 ist früher gewöhnlich der Pfarrei auf jedesmaliges Ansuchen des Pfarrers je auf 3 Jahre gegen ein jährliches Lokarium von 36 - 40 fl überlassen, in der Folge ungefähr vom Jahre 1810 an, durch alljährliche Verleihung zugelegt, aber, und zwar im Jahre 1821, vermittelst eines auf 9 Jahre geschlossenen Kontraktes an die Pfarrei verpachtet worden, wonach die Pfarrei dem Königlichen Kameralamt für seinen Anteil von 7/12 am gemeinschaftlichen Heu- und Kleinen Zehenden jährlich 114 fl 48 xr zu bezahlen hat. § 23. Nach dieser bei dem Pacht-Kontrakt zu Grunde gelegten Durchschnitts- Berechnung ist auch der Ertrag des Zehenden, nämlich der Heu-Zehenden aus 40 Mrg. zu 5/12 nebst 4 Mrg. Vorzehenden, also aus 20 2/5 Mrg. a 1 fl 12 xr, Mrg. zu 27 fl 30 xr und der Klein-Zehend zu 53 fl berechnet worden. § 24. Die fixen Besoldungsteile an Geld, Früchten, Wein, Stroh werden von dem Königlichen Kameralamt abgereicht, und zwar der Wein aus den von dem Königlichen Kameralamt nach Rauem eingezogenen Weingefällen aus den Bütten unter der Kelter mit 2/3 Vorlaß und 1/3 Druck. § 25. Der Gütergenuß besteht in dem Ertrag eines Ackers 1 Vrtl., welcher auf der Ortsmarkung liegt, und zehendfrei und Eigentum des Kirchenguts ist, und eines Gartens von 2 Vrtl. im Meßgehalt am Haus, welcher hälftig Baum- und Gras-, und hälftig Küchengarten ist, der Herrschaft gehört und zehendfrei ist. § 26. Auf dem lebendigen Zehenden, welcher ebenfalls gemeinschaftlich ist, an Schweinen, Gänsen, Enten, Hühnern ruht die Haltung des Zuchtschweines bei der Pfarrei, von welcher sich aber die Pfarrei observanzmäßig durch stillschweigende Übereinkunft mit der Gemeinde unter Verzichtleistung auf den Zehenden von den Schweinen entledigt hat. § 27. Die unter dem Namen „Entschädigung für entzogene Holzbelohnung“ aufgeführten jährlichen 12 fl, welche von der Gemeinde-Pflege bezahlt werden, sind mit der Pfarrstelle nur persönlich verbunden. 628 § 28. Die Bürgergabe an Holz, welche die Pfarrei unter dem Namen „Waldgabe“ gemeinschaftlich mit dem Schultheiß alljährlich im Dezember aus dem Gemeinde-Wald erhält, besteht in 150 - 200 Büscheln Reisach, und beträgt nach Abzug der darauf ruhenden, von der Pfarrei zu bestreitenden Kosten mit Fällen und Beiführen nicht mehr als etwa 30 xr. § 30. Die Akzidentien als freiwillige Geschenke bestehen in 5 - 6 Imi Herbsttrunk, welche nach Abzug der Unkosten im Durchschnitt nicht höher als auf 2 f berechnet werden können. B. Meßnerei. § 31. Das Dienst-Einkommen der Meßner-Stelle, welche immer zugleich mit der Schullehrer-Stelle verbunden ist, besteht bloß in Emolumenten, und zwar I. Von öffentlichen Kassen 1. Von der Gemeinde-Pflege a). für das Läuten der Rathaus-Glocke 4 fl b). Besorgung des Kirchengeräts 1 fl 30 xr 2. Von der Stiftungs-Pflege a). für das Besorgen der Kirchen-Uhr 4 fl 30 xr b). Einschmieren derselben 1 fl 30 xr c). Ausputzen 2 fl d). Einschmieren des Glockenseils 36 xr e). Waschung des Kirchengeräts 2 fl f). Aufstellen der Opferbecken 30 xr g). Klingelbeutel 30 xr _________ 17 fl 06 xr II. Von Privatis. Taufen, 24 a 15 xr 6 fl Leichen, 8 a 2 f 16 fl Hochzeiten, 6 a 1 f 6 fl _________ 28 fl Meßner-Garben, von 100 Bürgern je eine a 20 xr 33 fl 20 xr Meßner-Laibe, 100 a 12 xr 20 fl ________ 53 fl 20 xr Unveränderliche Teile des Einkommens. 1. Geld von der Gemeindekasse 25 fl 2. Fixe Naturalien a). vom Kameralamt 2 Schfl., 2 Sri. Roggen a 6 f 13 fl 30 xr 2 Schfl., 5 Sri. Dinkel a 3 f 30 9 fl 11 xr 629 2 Schfl., 7 Sri. Haber a 2 f 45 8 fl b). von der Gemeinde-Pflege 1 Schfl. Dinkel 3 fl 30 xr ________ 34 fl 11 xr II. Veränderliche Teile des Einkommens. 3. Gütergenuß von der Kommun a). Küchengarten 9 Rt. 4 fl b). Baum- und Grasgarten, 1 Vrtl. 5 fl c). Kirchhof 2 fl d). Acker, 1 Mrg. 8 fl ___ 19 fl 4. Zehenten und Gülten 0 fl 5. Bürgerliche Benefizien Holzgabe 1 fl 6. Rechte und Gerechtigkeiten 0 fl 7. Emolumente 1. Von öffentlichen Kassen Von der Gemeinde-Pflege a). Als Organist 2 fl b). Für den aufgehobenen Weihnachtsges. 4 fl c). Für die Sonntagsschule 1 fl 30 xr d). Für Vorsingen 1 fl 30 xr e). Kirchen- und Schul-Visitation 24 xr f). Ämterersetzung 15 xr g). Scheuer-Zins 2 fl 2. Von der Stiftungs-Pflege a). Als Organist 2 fl b). Für Vorsingen 1 fl 30 xr c). Für die Sonntagsschule 1 fl 30 xr d). Kirchen- und Schul-Visitation 25 xr e). Schul-Tabelle zu fertigen 33 xr 3. Von Privatis Schulgeld 42 fl 30 xr 60 fl 07 xr _________ 139 fl 18 xr ========= 630 Rekapitulation des Einkommens 1. Geld 25 fl 2. Fixe Naturalien 34 fl 11 xr 3. Gütergenuß 19 fl 4. Zehenden und Gülten 0 fl 5. Bürgerliche Benefizien 1 fl 6. Rechte und Gerechtigkeiten 0 fl 7. Emolumente 60 fl 7 xr _________ 139 fl 18 xr Dazu das Einkommen der Meßner-Stelle mit 98 fl 26 xr __________ 237 fl 44 xr ========= Akzidentien - 0 - Die veränderlichen Einkommensteile der kombinierten Meßner- und Schullehrer- Besoldung haben betragen: Von Georgi 1825/26 I. Von der Meßnerei a) aus öffentlichen Kassen 17 fl 06 xr b). von Privatis Taufen, 11 24 fl 48 xr Meßnergarben 35 fl 40 xr Meßner-Laibe 24 fl 20 xr __________ 101 fl 54 xr ========= 1862 1862 Pfarrbeschreibung Metterzimmern, 13.Mai 1828. 631 14.3. Einkommen des Pfarrers von Bronnweiler. Eine weitere, sehr kleine Gemeinde im Dekanat Reutlingen war Bronnweiler bei Gomaringen. Die Gemeinde zählte 1827 119 Einwohner, die alle evangelisch waren. Pfarrer war in diesem Jahr M. Karl Ludwig Ehmann, der von 1823 bis 1840 diese Gemeinde betreute.1863 Er schrieb in der Pfarrbeschreibung von 1827: „Der Ort ist ein Weiler, gehört zum Oberamt und Oberamtsgericht Reutlingen, ist Sitz einer Schultheißerei, gehört zum Kameralamt Pfullingen,, Forstamt Urach, Revier Gönningen, und ist 1 ½ Std. vom Kameralamt entfernt, kam 1437 von den Herren von Stöffeln, die auf der benachbarten Burg saßen, an Reutlingen“. Anschließend nahm der Pfarrer zu seinem Einkommen Stellung: „Das Diensteinkommen der Pfarrstelle sollte nach der 1825 revidierten Kompetenz, von der weder in der Pfarr-, noch in der dekanatamtlichen Registratur eine Abschrift befindlich ist, lt. eines Königlichen Konsistorialreskripts vom 11./14. April jenes Jahres 600 fl 41 xr betragen. Es hat sich jedoch in den 4 Jahren 1824/28 im Durchschnitt nicht höher als 250 fl belaufen, wodurch sich der Pfarrer Ehmann bewogen gesehen hat, in drei Bittschriften vom 30. November 1826, 23. März und 3. Juni 1827 darum einzukommen, daß ihm gegen Abtretung seiner Besoldung nach allen ihren Teilen ein Vikariats-Gehalt von wöchentlich 8 fl ausgesetzt werden möchte, ohne daß aber seiner Bitte entsprochen wurde. Der Ertrag der Pfarrgüter sollte nämlich 2/3 der Besoldung bilden. Nun sind aber diese Güter von einer natürlich schlechten Beschaffenheit, mager und steinicht, wie die meisten hießigen Felder, und zudem waren sie während der vierjährigen Vakatur der Pfarrei an 9 hießige Bürger und später auch an einige Bürger von Gomaringen einzeln verpachtet, welche ihren Ertrag nur dazu benutzten, ihre eigenen damit zu verbessern, jeselbst aber ungedüngt ließen und aussogen, so daß sie in den oben bezeichneten Jahren. während welcher der Pfarrer Ehmann in ihrem Genuß ist, ihm ganz keinen reinen Ertrag gewährten, sondern nur Kosten verursachten, durch deren Aufwendungen sie nun doch vielleicht dafür gebracht werden, daß sie künftig einigen reinen Ertrag hoffen lassen, nur keinen solchen, der den jetzigen Nutznießer für die darauf verwendeten Kosten entschädigte, die, weil die Feldarbeiter, in denen es in den kleinen Orten von nur 25 Bürgern mangelt, von anderen Orten herbeigerufen werden müssen, um so bedeutender sind. Der Meßgehalt der Pfarrgüter ist nach dem neuen Landmeß, das aber nicht immer richtig sein möchte, dieser 1863 Karl Ludwig Ehmann, geb.4.Febr.1790 in Pappelau, gest. 9.Jan.1873 in Marbach, Sigel Nr. 162,18. 632 Wiesen: auf der Ortsmarkung zehendfrei - der Taubbronnen, 2 1/8 Morgen, 44 Ruten, die Wasser- und Brentelis-Wiese, welche letztere, als zu Wieswacht nicht geeignet, wegen ihrer trockenen Lage, umgeackert wurde, von 4 3/8 Morgen, 36 Ruten, (diese Angabe ist augenscheinlich unrichtig, und um 1 Morgen ungefähr zu hoch). Riethwiese 1 4/8 Morgen Vorderes Erlach 1 Morgen, 26 Ruthen Hinteres Erlach 5/8 Morgen, 12 Ruthen Kohlengrube 3/8 Morgen Dabei Raimen 6/8 Morgen Stegland 1/8 Morgen, 20 Ruthen Steinwiese 6/8 Morgen, 19 Ruthen Auf der Gomaringer Markung, dem Kameralamt Pfullingen, und der Pfarrei Gomaringen zehendbar, das Gräblen 4/8 Morgen, 45 Ruthen _____________________ 12 5/8 Morgen 10 Ruthen Acker: auf der Markung zehendfrei Braike 9 7/8 Morgen, 15 Ruthen Kohlengrube 7/8 Morgen, 40 Ruthen (offenbar unrichtig) Dachberg 2 2/8 Morgen, 22 Ruthen (wird nicht gebaut) Guckithal 1 6/8 Morgen, Raith 3 7/8 Morgen, 7 Ruthen (liegt zum Teil wüst) Steigland 2/8 Morgen, 12 Ruthen Neuwiese 2 2/8 Morgen, 10 Ruthen auf Gomaringer Markung und dahin zehendbar Kreuzle 1 1/8 Morgen, 35 Ruthen Dabei Gebüsch 2/8 Morgen, 43 Ruthen auf Gönninger Markung und dahin zehendbar Blattach 3 6/8 Morgen (wird nicht gebaut) Dazu kommen 3 Allmandteile, welche einem Bürger des Orts gegen Bezahlung des Zehenden an das Kameralamt Pfullingen mit 24 xr und des Grundzinses an die hießige Kommun Kasse mit 40 xr zu benutzen überlassen worden, und messen 4/8 Morgen. Sämtliche Pfarrgüter ohne Einrechnung der Allmandteile, aber mit Einrechnung der Gärten, würden, wenn das Landmeß immer richtig wäre, messen: 39 Morgen, 3 ½ Viertel, 13 Ruthen. 633 Sonst hat der Pfarrer einzunehmen an unveränderlichen Teilen an Geld von der Kirchenpflege Reutlingen 12 fl 36 xr von derselben für ein Klafter Holz 12 fl Hellerzinse von der Kommun Bronnweiler 2 fl 7 xr von mehreren Bürgern daselbst 1 fl 48 xr Nämlich von Martin Schäfer aus ein Haus 30 xr aus ein Garten dabei 30 xr Friedrich Renz 3 xr Georg Nägele 3 xr Martin Kemmler 6 xr aus 1 Garten am Bach nach der Behauptung der Debenten, nach dem Lagerbuch aus ihrem Hofgut, da dem Martin Kemmler nur 3 xr und die weiteren 3 xr Friedrich Kemmler zu bezahlen hätte. Johann Georg Staiger, Johann Georg Schäfer, Friedrich Kemmler, Jakob Krumm, aus ihrem Hofgut 6 Schilling 14 xr (sollten 15 xr sein) Eben dieselben auch aus ihrem Hofgut 1 Schulterblatt von 1 Schwein, dafür 22 xr von der Stadtpflege Reutlingen 13 xr von mehreren einzelnen Bürgern daselbst sollten an ewigen Zinsen ungefähr 49 xr die jedoch im Ausstand sind, weil Pfarrer nicht erfahren kann, wer die Debenten seien. Von Gönningen von der Kommun daselbst 4 xr, 2 Hlr von vielen Bürgern daselbst 1 fl 51 xr, 2 Hlr Die Träger sind Johann Georg Zimmermann, Wagner, aus Haus und Scheune in der Metzgergaß, Lb.Fol.13 2 xr, 1 Hlr Jg.Johann Martin Wagner, Weber, für Hans Martin Haubensack, Schneiders Sohn, aus Haus und Scheune, auf dem Stadtgraben, Lb.Fol.13 2 xr 1 Hlr Johann Martin Haubensack, Ludwigs Sohn, aus dem Haus bei der Kirch, Lb.Fol.14 7 xr Jakob Hoch, Metzger Wittib, aus 6 Viertel Wiesen in der Wasserschopf, Lb.Fol.14b 10 xr 5 Hlr 634 Alt Johann Georg Haubensack, Metzger, aus ¾ Wiesen in Wasserwiesen, Lb.Fol.15b 21 xr 4 Hlr Jg. Matthäus Herrmann, Bauer, aus 1 Mannsmad Wiesen in der Waserschopf, Lb.Fol.15 5 xr Jg. Matthäus Herrmann, Bauer, aus 3 Viertel Wiesen, so jetzt Hanfländer im Schäferbühl, Lb.Fol.16 1 xr 3 Hlr Georg Martin Grauer, aus 3 Viertel Wiesen im Oerlach, Lb.Fol.17 3 xr Jg. Jakob Vater, Wagners Sohn, aus ½ Mannsmad Baumgarten, jetzt im Acker in Grunbach, Lb.Fol.17b 4 Hlr Schulmeister Ruckaberle, aus 1 ½ Mannsmad Wiesen zu Winterloch, nächst bei der Mühle, Lb.Fol.18 3 xr Winterlochen-Mühle, Inhaber Conrad Eißler, aus 1 ½ Mannsmad Wiesen in Winterloch, Lb.Fol.18b 5 xr Andreas Dürr, Feldmesser, aus 1 Mannsmad Wiesen, so geackert, im Loch, Lb.Fol.19b 2 xr 3 Hlr Christoph Friedrich Locher, Barbier, aus 1 Mannsmad Baumgarten, in Unterhöfen, LB.Fol. 20 5 xr Johann Martin Diegel, Bauer, aus 9 Sri.Hanfland in Unterhöfen, Lb.Fol.21 8 xr 10 Hlr Johann Martin Kuttler, Glaser, aus 2 Mannsmad Baumgarten, so meistens Hanfländer, die krumme Wies genannt, Lb.Fol.21b 10 xr 5 Hlr Amtsschultheiß Etter, aus 1 Mannsmad Baumgarten, in der Bizen, hinter den Häusern, LB.Fol.23 3 xr 3 Hlr Caspar Ziegler, Schreiner, aus 1 Viertel Baumgarten, in der Bizen, Lb.Fol.24 7 xr 1 Hlr Georg Grauer, beim Schulhaus, aus 2 Jauchert Acker unter Bauern, Lb.Fol.24 1 xr Johann Martin Wagner, Antons Sohn, aus 1 Sri. Hanfland zu Oberhöfen. Lb.Fol.24b 3 Hlr Jakob Dürr, Beck, Jakobs Sohn, aus 1 Sri.Hanfland zu Oberhöfen, Lb.Fol.25 3 Hlr 635 Andreas Martin Kemmler, Metzger, aus 1 Sri. Hanfland zu Oberhöfen, Lb.Fol.25b 6 xr 3 Hlr Johann Georg Herrmann, Schmid, aus 1 Mannsmad Wiesen, so meist geackert, beim armen Häuslen, oder auf der Lindenwies, Lb.Fol.26 3 xr 1 Hlr _________________ 1 fl 51 xr 2 Hlr ============== wovon die verhältnismäßig großen Einzugskosten abgehen. Es sind die einzelnen Debenten in einem in der Pfarr-Registratur befindlichen Haischbüchlein verzeichnet. Summe der unveränderlichen Teile an Geld, worunter doch, wie schon bemerkt, 12 f für Holz, 30 fl 39 xr 4 Hlr Fruchtgülten nach Zelg von Gönningen: von Friedrich Clumpp und Consorten aus 2 Jauchert Acker auf Raith im Winteräsch 2 Sri. Dinkel, im Sommeräsch 2 Sri. Dinkel, in der Brach -0-. von Johann Martin Reiber, Träger, aus 3 Viertel Wiesen, jetzt Acker, im Oerlach, im Winteräsch, 1 Sri. Dinkel, im Sommeräsch 1 Sri.Haber, in der Brach -0-. welche Gülten zusammen im Durchschnitt von 3 Jahren 1 Schfl.Dinkel a 3f 30xr, 1 Schfl.Haber a 2f 24xr berechnet, auf 1 Jahr, auf das 1 Sri.Dinkel a 26 ¼ xr, und 1 Sri. Haber a 20 ½ xr kommen, machen zusammen 46 ¾ xr. Wein von der Kirchenpflege Reutlingen 1 Eimer 16 fl __________ Unveränderliche Naturalien 16 fl 46 ¾ xr ========= Der reine Ertrag der Pfarrgüter ist bereits oben zu -0- angegeben. Auch das Fischwasser, das heißt alle Bäche der Markung, in welchen der Pfarrer das Recht zu fischen hat, wovon er aber keinen Gebrauch macht, hat in den Jahren 1826/27 nichts abgeworfen. Die Zehnden, sowie die Güter, die ohne Zweifel vor Zeiten zu der Pfarrei gestiftet worden sind, und daher, wie diese, als deren Eigentum angesehen werden durften, haben ertragen laut. der eingereichten Besoldungs-Fassion 636 Im Jahr 1825/26 Roggen 3/8 Schfl. a 6 f 2 fl 15 xr Gerste 1 3/8 Schfl. a 5 f 6 fl 52 ½ xr __________ 9 fl 7 ½ xr Dinkel 23 Schfl. a 3 f 30 xr 80 fl 30 xr Haber 3 ½ Schfl. a 2 f 45 xr 9 fl 37 ½ xr Der Heuzehnd war verliehen 36 fl der Kleine Zehnd in natura eingeheimst, war wert 60 fl _________ 195 fl 15 xr ========= Im Jahr 1826/27 war der große Zehnd verpachtet. 90 fl der Heuzehnd 36 fl der kleine Zehndertrag 30 fl _____ 176 fl Es wird hierbei bemerkt, daß vom Jahre 1825/26 der Brutto-Ertrag des großen Zehnden hier angegeben worden; wenn jedoch angenommen wird, was man allenfalls kann, daß durch das Stroh die Kosten der Einheimsung und des Ausdreschens vergütet werden, so ist jene Ausgabe auch für den Sponso-Ertrag zu beziehen. Beim kleinen Zehnden ist nach Abzug 1/10 der reine Ertrag berechnet. Die Pfarrei hat die Zehnden auf den alten Gütern von allen Produkten, die Kirschen und das Öhmd ausgenommen, zu beziehen. Die Weinberge sind aber ganz in Abgang gekommen. Auch reicht ein Jauchert Acker auf der Markung Gönningen im Reimsenbach, Lb.Fol.27b, der Pfarrei den großen Zehnden und wäre ihr vielleicht auch den kleinen schuldig. Die Ortsmarkung ist sehr klein. Die Äcker, Wiesen und Baumgüter, die der Pfarrei den großen und kleinen Zehnden reichen, messen 197 1/8 Morgen. 13 Morgen Novalien geben den Zehnden dem Kameralamt Pfullingen. Von Johann Georg Staiger, Johann Georg Schäfer, Jakob Schäfers Kinder, Jakob Krimm sollen der Pfarrei laut Lagerbuchs 120 Eier, 1 altes Huhn und 2 junge Hühner geliefert werden. Es werden jedoch nur 100 Eier und nur selten Hühner geliefert. Der Pfarrer hat das Recht, so viel er will, Vieh auf die Weide zu treiben, kann es aber nun nicht mehr ausüben, da die Weideplätze einem Schäfer verpachtet sind. 637 Sonst hat die Pfarrei keine bürgerlichen Benefizien zu genießen, außer bisweilen etwas eichenes Holz, dessen Aufmachen aber so viel kostet, als es wert ist. Im Jahr 1825/26 wurden 7 Kinder getauft und 2 konfirmiert. 2 Paare wurden getraut und 8 Personen beerdigt. Die Einnahmen beliefen von Taufen 2 fl 48 xr von der Konfirmation 48 xr von Trauungen 3 fl von Leichen 6 fl 20 xr ________ 12 fl 56 xr wovon jedoch für Gegenleistungen bei Wöchnerinnen, Kranken, Brautleuten usw. wohl 1/3 abzuziehen ist. Im Jahr 1826/27 wurden 4 Kinder getauft und 3 konfirmiert, 2 Paare getraut und 2 Personen beerdigt. Die Stolgebühren betrugen von Taufen 1 fl 36 xr Konfirmation 1 fl 30 xr Trauungen 1 fl 30 xr Leichen 3 fl _______ 7 fl 36 xr Es werden gewöhnlich bezahlt für eine Taufe 24 xr Proklamation nebst Trauung 1 fl 30 xr Bei Beerdigungen von Erwachsenen 1 fl 30 xr von Kindern 30 - 40 xr Für die Konfirmation eines Kindes 30 xr, von manchen Eltern auch weniger. Für 2 Schulvisitationen bezahlt die Kommun-Kasse 30 xr - 1 fl. Akzidentien gibt es durchaus nicht. B. Stellen der niederen Kirchendiener. Der Meßner ist zugleich Schulmeister und genießt 9 Morgen auf Gomaringer Markung gelegener Güter an einem Stück, die nach Gomaringen den großen und kleinen Zehnden geben, und zwar im Jahr 1825/26 26 fl im Jahr 1826/27 30 fl ertragen haben. 638 Der Organist, zugleich Schulmeister, hat von der Kirchenpflege Reutlingen jährlich 10 f zu beziehen als Besoldung. Von Taufen hat er im Jahre 1825/26 2 fl, von Trauungen 1 fl eingenommen. Im Jahre 1826/27 betrugen seine Einnahmen von Taufen 1 fl 40 xr von Trauungen 00.1864 1864 Pfarrbeschreibung Bronnweiler, 1.November 1827. 639 14.4. Die Lehrerbezüge. Von Anfang an waren die Bezüge der Lehrer, oft, aber nicht immer, mit dem Mesnerdienst verbunden, sehr unterschiedlich. Der Schulmeister von Weil im Schönbuch berichtete, daß er "seine Besoldung an Früchten und Heuzehnt mit großer Müh, Angst und erschrockenen Herzens auf dem Felde sammeln müsse"1865. Das Einkommen der meisten Schullehrer lag zwischen 50 und 150 Gulden. In Echterdingen verdiente der Schulmeister 150 Gulden, in Plattenhardt 84, Bonlanden 101, Sielmingen 116, Harthausen 7 fl und freie Kost, Bernhausen 146, Plieningen 225 und 2 Klafter Holz, Kemnat 66, Nellingen 92, Berkheim 86, Botnang 103, Scharnhausen 49, Denkendorf 119, Plochingen 137, Obereßlingen 90, Ruit 40, Heumaden 65, Gaisburg 72, Feuerbach 158, Steinebronn 78, darunter 4 Klftr.Holz a 40 xr, Degerloch 129, worunter 5 Klftr.Holz a 10 fl, Waldenbuch 150, Musberg 119, Rohr 60, worunter 3 Klftr.Holz zu 6 fl gerechnet, Birkach 26 fl. Weniger als 50 fl hatten über 100 Schulmeister, der in Schlichten 44, Mannolzweiler 20, Rohrbronn 48, Althütte 40, Mannenberg 27, Großdeinbach 28, Cronhütte 43, Hinterlintal 41 einschließlich des Hirtendienstes. Der Lehrer in Oberschlechtbach bekam außer Holz und Schulgeld nichts und mußte noch die Bänke anschaffen.1866 Eine größere Zahl bekam nur freie Kost und wurde „umgeäzt“, erhielt also das Essen jeden Tag in einem anderen Bauernhaus. Der „Stürmlins- und der Krähenschulmeister“ in Stuttgart kam allerdings schon damals auf 420 Gulden, der Armenkastenschulmeister dort aber auch nur auf 290 Gulden. Von Weil im Dorf ist das Einkommen des Schulmeisters im Jahre 1787 festgehalten: Schulgeld von 170 Kindern a 40 xr 113 fl. 20 xr als Organist 6 fl. für Säubern des Kirchenornats 30 xr 1 Maß Wein 6 xr Holz 4 Klafter a 3 fl 12 fl. Reisach 200 Wellen a 6 f 3 fl. nach Abzug der Unkosten 9 fl 6 fl. Gärtlein hinter der Kirche 1 fl. 30 xr Kirchen- und Schulvisitationen 1 fl. Accidentien Hochzeiten 5 fl. Leichen 9 fl. Halten der Sonntagsschule 2 fl. __________ 144 fl. 26 kr. 1865 E.Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S. 61. 1866 E.Schmid: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, S. 401. 640 Hinzu kamen noch Gelder und Naturalien für den Mesnerdienst und das Glocken- läuten in Höhe von 77 fl. 11 xr. Abgezogen wurden die Kosten für den Provisor in Höhe von 40 fl. 1867 1808 und 1810 wurden für die katholischen und evangelischen Volksschulen neue Ordnungen erlassen. 1811 wurde das erste Lehrerseminar in Eßlingen eröffnet, an dem künftig die Lehrer eine vorgeschriebene Ausbildung erhalten sollten. Die Ausbildung zum Schul-Meister durch die Pfarrer sollte langsam abgelöst werden. Hier wurden dann auch zum erstenmal Mindestgehälter festgelegt, für Lehrmeister 150 Gulden, wobei es möglich war, diesen Betrag bis auf 300 Gulden anzuheben, für Provisoren 120 Gulden. Trotzdem entsprachen die Lebensbedingungen eines Volksschullehrers immer noch nur etwa denjenigen eines Taglöhners, die mit ungefähr 200 Gulden veranschlagt wurden.1868 1835 hatten württembergischen Dorfschullehrer folgendes Einkommen: 333 unter 150 Gulden, 203 150 - 200 Gulden, 64 200 - 250 Gulden, 24 250 - 400 Gulden, 1 über 400 Gulden. Ein Provisor verdiente zwischen 120 und 130 Gulden. Es wurde beklagt, daß er meist 35 Jahre alt war, bis ihm eine ordentliche Lehrstelle zugeteilt wurde. Er hatte bis zu diesem Alter mit einer schlecht besoldeten Stelle auszukommen. Da die neueingeführte Pension nur nach Schulmeisterjahren berechnet wurde, stellte er sich auch hier sehr schlecht. Im Neuen Volksschulgesetz vom 29. September 1836 wurden die Ziele der Schule neu festgelegt. Orte mit mehr als 30 Familien sollten grundsätzlich eine Schule erhalten. War der nächste Schulort mehr als eine Stunde entfernt, konnte bereits ab 15 Familien eine Schule eingerichtet werden. Die Kosten waren von der Gemeinde zu tragen.1869 Nach 1836 betrug das Gehalt eines Volkschullehrers, der wöchentlich mindestens 30 Stunden Unterricht neben der Sonntagsschule zu halten hatte: in Orten über 4 000 Einwohnern 350 Gulden, weniger als 4 000, mehr als 2 000 300 Gulden, Orte, mit mehr als 60 Kindern 250 Gulden, Orte mit 60 oder weniger Kindern 200 Gulden, neben freier Wohnung für sich und seine Familie.1870 Unterlehrer hatten Anspruch auf ein heizbares Zimmer und 150 Gulden, Lehrgehilfen konnten 120 Gulden beanspruchen. 1867 Ostertag: Chronik von Weil im Dorf, S. 137/138. 1868 Katein: Das Verhältnis von Staat, Kirche und Volksschule, S. 14. 1869 Schmid: Geschichte des württembergischen evangelischen Volksschulwesens, S. 146. 1870 Gubitz: Das Einkommen der Volksschullehrer, S. 15 641 Immer war als Nebenbeschäftigung des Lehrers noch der Mesnerdienst, aus dem der Lehrerstand ja einmal hervorgegangen war, das Läuten der Glocken, die Reinigung der Kirche, und außerdem das Begleiten von Hochzeiten und Beerdigungen zu berücksichtigen. Oft kamen auch noch Schreiberdienste auf dem Rathaus dazu. Die Besoldung der Lehrer war teilweise immer noch so niedrig, daß es Fälle gab, in denen „der niedere Kirchendienst dem Lehrer mehr eintrug, als sein Schulamt“. Dies war auch der Grund, warum die Trennung von Schul- und Kirchendienst im Schulgesetz von 1836 noch nicht durchgeführt wurde.1871 Bei Dienstunfähigkeit hatte der Schulmeister einen Hilfslehrer anzustellen und dafür den vierten Teil seines Diensteinkommens abzugeben, außerdem erhielt der Schulmeister seit 1836 ab dem 70. Lebensjahr ein Ruhegehalt aus der Pensions- kasse.1872 Es wurden nun Schulmeister, Unterlehrer und Lehrgehilfen unterschieden. Ein Lehrer hatte mindestens 90 Schüler zu betreuen, in Ausnahmefällen bis 120 Schüler. Das Mißverhältnis von Schulmeistern zu Unterlehrern hatte sich in den zurückliegenden Jahren immer mehr vergrößert. Nach einer Erhebung von 1855 waren von 3 948 Lehrern für 290 448 Schüler 2 202 Schulmeister, also ständige Lehrer, und 1 746 unständige, die oft bis zu einem Alter von 36 Jahren auf eine feste Anstellung warten mußten.1873 Nach der Gesetzesnovelle vom 6. November 1858 unter dem Departementschef von Rümelin wurden folgende neue Gehälter festgelegt: Eine Schulmeisterstelle mindestens 300 Gulden, in Städten mit 3 Lehrstellen und nicht mehr als 2 000 Einwohnern 350 Gulden, Städte mit 4 000 bis 6 000 Einwohner 400 Gulden, Städte mit mehr als 6 000 Einwohner 450 Gulden. Entsprechend wurden die Gehälter der Unterlehrer und Lehrgehilfen angehoben. Die ständigen Lehrer erhielten nach dem Artikel 41 die Rechte der Staatsdiener. Das Gesetz vom 6. November 1858 bestimmte erstmals auch, wie Lehrerinnen an den Schulen eingesetzt werden konnten. An Mädchenschulen und an den unteren Knabenklassen, sowie an den unteren gemischten Schulklassen konnten mit Zustimmung der Gemeindebehörden und Genehmigung der Oberschulbehörde an der Stelle von Unterlehrern und Lehrgehilfen auch Lehrerinnen angestellt werden.1874 Die Lehrerinnen mußten aber der Oberschulbehörde ihre Befähigung dazu nachgewiesen haben“. 1871 Katein: Das Verhältnis von Staat, Kirche und Volksschule, S. 47. 1872 Schmid: Geschichte des württembergischen evangelischen Volksschulwesens, S. 154. 1873 Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 111. 1874 Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 113. 642 Noch im Gesetz von 1878 heißt es: „Vorschriftsmäßig geprüfte Lehrerinnen können auf jederzeitigen Widerruf von den Oberschulbehörden an Mädchen- schulen, an den unteren Knabenklassen und an den unteren gemischten Schulklassen an der Stelle von Unterlehrern und Lehrgehilfen eingestellt werden“. Sie konnten also immer nur einen Hilfslehrer ersetzen. Im Falle einer Heirat konnte die Genehmigung widerrufen werden.1875 Gab es an einer Volksschule nur eine Lehrerstelle, so war diese grundsätzlich mit einem Schulmeister zu besetzen. Da den Gemeinden keine zusätzlichen Kosten aufgebürdet werden sollten, kürzte man die Schulzeit, indem man das Schuleintrittsalter auf 7 Jahre heraufsetzte, stellte vermehrt Lehrerinnen ein und erhöhte die Zahl der Kinder, die der einzelne Lehrer zu unterrichten hatte. Nach dem Gesetz vom 25. Mai 1865 wurde das Mindestgehalt der Schulmeister auf 400 Gulden aufgebessert. Die Lehrer waren jetzt vollberechtigte Mitglieder der Ortsschulbehörde. In dieser Zeit wurden auch die bestehenden Lehrerseminare verbessert, neue kamen hinzu, weil der Bedarf an Schullehrern nicht mehr gedeckt werden konnte. Es waren dies: Künzelsau 1873, Markgröningen für Lehrerinnen 1873, Saulgau 1877, Nagold 1881, Backnang 1909 und Rottweil 1912. Seit dem 18.4.1872 wurde den Lehrern eine Alterszulage gewährt. Der Anzeige mußte aber eine „Äußerung ihrer Würdigung“ beigefügt werden, was im Landtag zu heftigen Debatten führte. Die Zulage betrug ab dem 18.4.1872, Mit 40 Lebensjahren 50 fl, mit 45 Lebensjahren 70 fl, mit 50 Lebensjahren 100 fl. Ab dem 22.1.1874 wurde die Alterszulage wie folgt angehoben: nach zurückgelegtem 40. Lebensjahr 235 Lehrer 58 f 20 xr oder 100 Mark nach zurückgelegtem 45. Lebensjahr 238 Lehrer 81 f 40 xr oder 140 Mark nach zurückgelegtem 50. Lebensjahr 1 242 Lehrer 116 f 40 xr oder 200 Mark Am 1. Januar 1889 verteilten sich die Gehälter der 3 270 Schullehrerstellen wie folgt: 2 377 ein Gehalt von 900 - 1 299 Mark 154 ein Gehalt von 1 300 - 1 500 Mark 82 ein Gehalt von 1 600 - 1 700 Mark 12 ein Gehalt von 1800 - 1 900 Mark 1 ein Gehalt von 2 000 Mark 1875 Gubitz: Das Einkommen der Volksschullehrer, S. 2. 643 Die Mehrbeträge durch etwaigen Gütergenuß oder Emolumente sind hierbei nicht berücksichtigt.1876 Infolge eines Bittgesuches des Lehrervereins hat die Ständekammer am 12. Mai 1891 folgende neue Einteilung der Zulagen beschlossen: bei unständigen Lehrern vom 25. Lebensjahr an 150 Mark, bei ständigen Lehrern von der ersten definitiven Anstellung an 150 Mark, nach zurückgelegtem 35. Lebensjahr 200 Mark, nach zurückgelegtem 40. Lebensjahr 250 Mark, nach zurückgelegtem 45. Lebensjahr 300 Mark, nach zurückgelegtem 50. Lebensjahr 400 Mark, nach zurückgelegtem 55. Lebensjahr 500 Mark. Die Lehrerinnen zählten immer noch unter das unständige Personal im Volksschuldienst, wurden aber im Gesetz vom 30. Dezember 1877 trotz ihrer „beschränkten Verwendbarkeit“ bei den Alterszulagen berücksichtigt, weil sie, wenn überhaupt, immer nur sehr spät in den Gehalt eines Unterlehrers kommen konnten. Sie erhielten nach zurückgelegtem 25. Lebensjahr 50 Mark, nach zurückgelegtem 30. Lebensjahr 100 Mark, nach zurückgelegtem 35. Lebensjahr 150 Mark, nach zurückgelegtem 40. Lebensjahr 200 Mark. Auch die Pensionsansprüche der Witwen wurden neu geregelt.1877 1876 Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 331. 1877 Kaißer: Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg, S. 332. 644 15.0. Die evangelische Geistlichkeit in Württemberg. Nachrichten über die kirchlichen Behörden, die kirchliche Einteilung des Landes, die einzelnen Kirchenstellen und deren Besetzung, sowie über die persönlichen Verhältnisse der Geistlichen und Kandidaten. Herausgegeben von Heinrich Hartmann Pfarrer in Steinenberg. Stuttgart. 1853. 645 Die evangelischen Kirchenstellen. Das Generalat Ludwigsburg. Generalsuperintendent Prälat M. Christoph Friedrich von Gerok. 1. Hauptstadt Stuttgart. Gesamtzahl der Zivil-Bevölkerung 31 419 I. Hofkirche Oberhofprediger 2 000 Hofkaplan 950 II. Stiftskirche Stiftsprediger 1 564 1. Diakon 1 161 2. Diakon 1 150 III. Hospital-Kirche St.Pfr.zugleich Stadt-Dekan 1 465 1. Diakon 1 152 2. Diakon 900 IV. St.Leonhards-Kirche Stadtpfarrer 1 340 1. Diakon 1 169 2. Diakon 950 V. Garnisons-Kirche 1 203 VI. Waisenhaus-Kirche 1 200 VII. Catharinen-Hosp.Pfr. 900 Berg 465 Gablenberg 494 Heslach 700 646 2. Dekanat Böblingen. Böblingen Einwohner Gehalt Dekan und St.Pfr. 3 715 1 366 Diakonus 828 Aidlingen 1 890 1 131 Altdorf 1 176 1 087 Dagersheim 1 186 738 Darmsheim 973 975 Döffingen 1 162 798 Ehningen 1 650 1 208 Holzgerlingen 1 861 1 157 Magstadt 2 232 1 229 Maichingen 1 152 798 Schafhausen 744 1 040 Schönaich 2 103 1 150 Sindelfingen St.Pfarrer 4 402 982 Diakonus 746 Teufringen 714 769 Weil im Schönbuch 3 164 1 003 3. Dekanat Cannstatt. Cannstatt Dekan und St.Pfr. 5 786 1 200 Diakonus 716 Fellbach 3 033 1 101 Hedelfingen 1 342 740 Mühlhausen 873 908 Münster 707 754 Obertürkheim 927 799 Rohracker 1 312 810 Rommelshausen 1 288 852 Rothenberg 587 525 Schmiden 795 808 Stetten 2 010 1 000 Uhlbach 1 028 700 Untertürkheim 2 227 1 129 Wangen 1 555 920 Zazenhausen 417 405 647 4. Dekanat Eßlingen. Eßlingen. Dekan und 1. St.Pfr. 11 569 1 325 2. St.Pfr. 649 1. Diakonus 745 2. Diakonus 744 Stadtvikar 400 Aichschieß 284 1 081 Berkheim 732 423 Deizisau 1 222 1 001 Denkendorf 1 547 759 Köngen 2 248 1 301 Nellingen 1 150 700 Ober-Eßlingen 911 920 Plochingen 1 987 1 136 Wendlingen 1 322 1 127 Zell u.Altbach 1 469 703 5. Dekanat Leonberg. Leonberg Dekan u.St.Pfr. 2 370 1 100 Diakonus 700 Ditzingen 1 425 1 066 Eltingen 1 760 823 Flacht 876 784 Friolzheim 740 719 Gebersheim 473 700 Gerlingen 1 735 956 Hausen a.d.W. 365 700 Heimerdingen 928 942 Heimsheim 1 284 878 Hemmingen 1 044 1 816 Hirschlanden 396 700 Höfingen 959 767 Malmsheim 1 000 910 Merklingen 1 409 700 Mönsheim 1 150 997 Münchingen 1 530 1 117 Münklingen 437 700 Perouse 701 Renningen 1 810 1 192 Rutesheim 1 133 700 648 Schöckingen 546 796 Warmbronn 743 1 149 Weil im Dorf 1 500 724 Wimsheim 750 902 6. Dekanat Ludwigsburg. Ludwigsburg Dekan und Stpfr. 5 060 1 300 Diakonus 811 Stadt-Vikar 400 Garnisonsprediger 942 1 000 Arbeitshaus-Pfr. 800 Aldingen 1 166 911 Asperg 1 864 700 Beihingen 882 782 Benningen 1 015 893 Bissingen 2 014 705 Eglosheim 670 746 Heutingsheim 1 495 730 Hohen-Asperg 250 819 Hoheneck 713 700 Kornwestheim 1 498 1 141 Markgröningen Stadt-Pfr. 3 154 801 Diakonus 877 Möglingen 1 182 822 Neckargröningen 554 712 Neckarweihingen 1 151 1 034 Oßweil 1 791 1 144 Pflugfelden 364 723 Poppenweiler 1 367 996 Schwieberdingen 1 625 973 Stammheim 780 819 Tamm 1 235 786 Zuffenhausen 1 946 900 649 7. Amts-Dekanat Stuttgart Amts-Dekan: Carl Friedrich Gerok. Bernhausen 1 712 1 502 Birkach 1 105 955 Bonlanden 1 905 1 108 Botnang 1 378 700 Degerloch 1 450 931 Echterdingen 2 536 1 592 Feuerbach 2 820 738 Gaisburg 907 750 Heumaden 485 714 Kemnat 908 983 Möhringen 2 536 820 Musberg 1 396 874 Plattenhard 1 490 1 439 Plieningen Pfr. 2 436 1 291 Diakonus 700 Rohr 548 400 Ruit 855 942 Scharnhausen 917 740 Steinenbronn 1 095 901 Untersielmingen 1 330 963 Vaihingen 2 009 1 438 Waldenbuch 2 100 1 438 8. Dekanat Waiblingen. Waiblingen Dekan und St.Pfr. 3 376 1 200 Diakonus 700 Beinstein 1 064 700 Birkmannsweiler 715 390 Bittenfeld 1 286 1 367 Buoch 1 248 700 Endersbach 1 109 707 Großheppach 2 021 814 Hegnach 589 700 Hardtmannsweiler 782 425 Hochberg 478 700 Hochdorf 452 833 Hohenacker 584 700 650 Korb 1 975 700 Neckarrems 812 837 Neustadt 1 026 713 Oppelsbohm 3 570 928 Schwaikheim 1 584 1 027 Strümpfelbach 1 400 816 Winnenden St.pfr. 6 346 871 1. Diakonus 870 2. Diakonus 700 651 II. Das Generalat Heilbronn. General Superintendent Prälat Edmund von Sigel. 1. Dekanat Backnang. Backnang Dekanat und St.pfr. 5 761 1 400 Diakonus 757 Stadt-Vikar 400 Allmersbach 842 470 Althütte 850 400 Grab 450 Groß-Aspach 1 582 941 Murrhardt St.Pfr. 7 202 1 033 Diakonus 700 Oberbrüden 1 107 879 Oppenweiler 1 678 747 Rietenau 682 983 Spiegelberg 2 293 734 Sulzbach 4 269 1 100 Unterweissach 4 803 976 2. Dekanat Besigheim. Besigheim Dekanat und St.pfr. 2 600 1 200 Diakonus 700 Bietigheim St.Pfr. 3 106 763 Diakonus 700 Bönnigheim St.Pfr. 2 436 700 Diakonus 700 Erligheim 832 721 Freudental 488 717 Gemmrigheim 1 049 942 Großingersheim 1 452 1 040 Hessigheim 965 809 652 Hofen 840 903 Ilsfeld 2 445 987 Kaltenwesten 1 531 866 Kirchheim 1 718 942 Kleiningersheim 617 700 Lauffen St.Pfr. 4 238 760 Diakonus 760 Löchgau 1 752 1 232 Metterzimmern 763 700 Wahlheim 1 212 1 135 3. Dekanat Brackenheim. Brackenheim Dekanat und St.Pfr. 1 726 1 100 Diakonus 700 Botenheim 974 700 Dürrenzimmern 804 731 Eibensbach 416 700 Frauenzimmern 690 700 Güglingen 1 561 830 Haberschlacht 719 700 Häfnerhaslach 745 700 Hausen a.d.Z. 1 015 700 Kleebronn 1 412 732 Kleingartach 1 000 693 Klingenberg 350 785 Leonbronn 434 826 Massenbach 804 700 Meimsheim 1 120 778 Neipperg 625 571 Niederhofen 770 796 Nordhausen 365 700 Nordheim 1 353 984 Ochsenbach 1 054 709 Ochsenberg 564 739 Pfaffenhofen 1 090 700 Schwaigern St.Pfr. 1 947 785 Diakonus 709 Stetten 1 007 550 Weiler 400 700 Zaberfeld 1 166 1 054 653 4. Dekanat Heilbronn. Heilbronn 9 500 1. Frühprediger Dekan und St.Pfr. 1 200 2. St.Pfr. 1 113 3. St.Pfr. 930 Stadt-Vikar 400 Biberach 903 700 Böckingen 1 624 858 Bonfeld 1 371 1 250 Flein 1 766 735 Frankenbach 986 774 Fürfeld 866 983 Groß-Gartach 1 815 879 Horkheim 644 888 Neckar-Gartach 1 330 754 Ober-Eisisheim 712 882 Talheim 606 556 Unter-Eisisheim 554 902 Untergruppenbach 1 726 845 5. Dekanat Knittlingen. Knittlingen Dekanat und St.Pfr. 2 388 1 100 Diakonus 700 Derdingen 1 991 1 277 Diefenbach 843 836 Dürrmenz 2 397 1 135 Enzberg 1 240 700 Freudenstein 868 835 Groß-Villars 492 700 Gündelbach 820 700 Illingen 1 474 814 Lienzingen 966 996 Lomersheim 839 700 Maulbronn 819 400 Oelbronn 1 176 700 Oetisheim 1 580 992 Pinache 662 789 654 Schmie 517 405 Schützingen 867 825 Sternenfels 1 025 485 Wiernsheim 1 139 770 Wurmberg 1 036 737 Zaisersweiler 778 779 6. Dekanat Marbach. Marbach Dek.u.St.Pfr. 2 541 1 200 Diakonus 717 Affalterbach 1 438 1 273 Auenstein 2 080 700 Beilstein 2 231 864 Diakonus -.-- Burgstall 542 850 Erbstetten 855 969 Erdmannhausen 1 045 1 416 Gronau 1 275 799 Groß-Bottwar 3 095 1 059 Diakonus 716 Höpfigheim 1 071 712 Kirchberg 1 704 1 180 Klein-Asbach 1 983 1 082 Klein-Bottwar 1 094 701 Mundelsheim 1 926 789 Murr 983 959 Oerstenfeld 1 643 1 359 Ottmarsheim 884 995 Pleidelsheim 1 635 903 Rielingshausen 1 150 855 Steinheim 1 300 755 Weiler zum Stein 872 833 Winzerhausen 1 166 725 7. Dekanat Neuenstadt. Neuenstadt Dekan und St.Pfr. 1 510 1 234 Diakonus 700 Assumstadt 675 792 655 Brettach 408 765 Bürg 235 814 Gochsen 845 812 Jagsthausen 1 378 1 078 Kleversulzbach 729 700 Kochendorf 2 730 931 Kochersteinsfeld 714 1 175 Lampoldshausen 710 700 Möckmühl 1 840 797 Diakonus 700 Neckarsulm 230 440 Roigheim 830 700 Siglingen 1 025 772 Widdern 1 411 780 8. Dekanat Vaihingen. Vaihingen Dekan und St.Pfr. 3 316 1 383 Diakon zgl. Pfr.in Klein-Glattbach 343 758 Aurich 680 747 Eberdingen 763 889 Ensingen 876 1 157 Enzweihingen 1 749 792 Großglattbach 878 1 362 Großsachsenheim 1 377 1 063 Hochdorf 650 1 165 Hohenhaslach 1 453 814 Horrheim 1 526 946 Iptingen 936 1 050 Kl.Sachsenheim 1 154 1 086 Mühlhausen1 033 818 Nußdorf 1 050 1 251 Oberriexingen 1 189 820 Rieth 408 700 Roßwag 900 1 197 Sersheim 1 151 897 Unterrriexingen 1 103 700 Weissach 1 284 1 337 656 9. Dekanat Weinsberg. Weinsberg Dekan und St.Pfr. 1 915 1 250 Diakon, zgl.Pfr.in Ellhofen 740 700 Affaltrach 512 700 Bitzfeld 1 604 834 Eberstadt 1 512 1 058 Eschenau 1 085 487 Finsterroth 1 596 450 Gellmersbach 459 400 Lehrensteinsfeld 770 624 Löwenstein 2 872 820 Diakonus 622 Maienfels 2 252 1 135 Mainhardt 4 470 695 Neulautern 400 Schwabbach 728 796 Sülzbach 769 700 Unterheimbach 1 308 579 Unterheinrieth 1 288 700 Waldbach 1 531 904 Weiler 515 474 Willsbach 1 168 700 Wüstenroth 2 517 855 657 III. Generalat Reutlingen. General-Superintendent Prälat Dr.Christian Friedrich von Dettinger. 1. Dekanat Balingen. Balingen Dekan und St.Pfr. 3 401 1 326 Diakon und Pfr. in Heselwangen 602 762 Bitz 942 405 Dürrwangen 928 890 Ebingen 4 608 886 Diakonus 700 Endingen 803 827 Engstlatt 870 737 Erzingen 754 775 Flözlingen 667 928 Frommern 2 163 860 Laufen 1 015 445 Meßstetten 1 213 974 Onstmettingen 1 974 847 Ostdorf 1 097 1 253 Pfeffingen 1 247 813 Rottweil 400 975 Täbingen 608 712 Tailfingen 1 901 921 Tieringen 1 245 936 Truchtelfingen 964 770 Winterlingen 1 993 805 Zillhausen 1 182 Pf.verw. 2. Dekanat Nürtingen. Nürtingen Dekan und St.Pfr. 4 541 1 308 Diakonus 775 Aich 850 1 138 Beuren 2 269 924 Erkenbrechtsweiler 746 701 Frickenhausen 1 766 1 114 658 Grafenberg 879 775 Großbettlingen 698 855 Grözingen 1 115 700 Kohlberg 882 754 Linsenhofen 1 209 810 Neckarhausen 1 471 740 Neckartenzlingen 1 097 947 Neckartailfingen 1 661 1 277 Neuenhaus 780 700 Neuffen 2 017 1 268 Oberboihingen 1 226 981 Oberensingen 1 557 762 Unterensingen 943 1 122 Wolfschlugen 1 357 730 3. Dekanat Reutlingen. Reutlingen Dekan und St.Pfr. 12 062 1 303 2. St.Pfr. 768 1. Diakonus 770 2. Diakonus 761 Bezingen 1 448 845 Bronnweiler 211 944 Eningen u. A. 4 777 1 151 Erpfingen 211 828 Genkingen 1 970 1 508 Gomaringen 1 970 1 508 Hausen a. d. L. 439 885 Holzelfingen 536 1 187 Honau 579 700 Mägerkingen 707 955 Ohmenhausen 1 102 748 Pfullingen 1 102 748 Diakonus 700 Unterhausen 1 425 1 090 Wannweil 722 864 Willmadingen 859 1 068 659 4. Dekanat Sulz. Sulz Dekan und St.Pfr. 2 220 1 251 Diakonus und Pf.in Holzhausen 492 700 Aistaig 949 745 Alpirsbach 3 050 917 Bergelden 1 037 700 Bickelsberg 1 003 946 Dornhan 2 762 854 Fluorn 1 240 1 010 Fürnsal 1 101 837 Hofau 1 120 932 Leidringen 1 503 731 Marschalkenzimmern 732 700 Mühlen a.N. 459 729 Mühlheim 1 179 749 Oberndorf 707 739 Peterzell 886 920 Rosenfeld 1 275 750 Diakon zgl. Pfr.in Jesingen 1 323 1 210 Röteberg 1 323 1 210 Schönbronn 700 400 Sigmarswangen 674 370 Trichtingen 710 700 Vöhringen 1 641 712 Wittershausen 651 700 5. Dekanat Tuttlingen. Tuttlingen Dekan und St.Pfr. 5 854 1 600 Diakonus 954 Stadt-Vikar 400 Aldingen 1 678 1 204 Hausen o.V. 885 700 Hohentwiel 62 491 Neuhausen o.E. 1 168 2 119 Rietheim 852 440 Schura 575 446 Schwenningen 4 216 1 851 Diakonus 1 039 660 Talheim 1 305 1 070 Thuningen 2 100 1 600 Trossingen 2 440 1 423 6. Dekanat Urach. Urach Dekan und St.Pfr. 3 270 1 200 Diakonus 795 Bempflingen 982 1 046 Böhringen 948 1 303 Dettingen 3 261 737 Diakonus 700 Donnstetten 640 984 Gächingen 999 1 054 Grabenstetten 1 085 1 425 Gruorn 1 250 976 Hengen 367 1 042 Metzingen 4 675 820 Diakonus 700 Mittelstadt 1 337 1 209 Neuhausen 2 008 1 392 Ohnastetten 233 700 Riederich 784 400 Seeburg 659 700 Sondelfingen 1 037 828 Upfingen 450 841 Wittlingen 792 1 072 Würtingen 1 169 969 Zainingen 1 085 995 661 IV. Generalat Tübingen. General-Superintend Prälat Christian Gottlob von Moser. 1. Dekanat Calw. Calw Dekan und St.Pfr. 4 279 1 195 Diakonus 700 Altburg 2 311 857 Althengstett 985 835 Breitenberg 648 700 Dachtel 481 700 Deckenpfronn 1 348 826 Gechingen 1 218 895 Hirsau 1 140 792 Liebenzell Stpf. 2 406 967 Diakonus 700 Möttlingen 959 720 Neubulach 2 410 1 588 Neuhengstett 450 700 Neuweiler 948 898 Ostelsheim 767 752 Simmozheim 1 152 845 Stammheim 1 222 789 Unterreichenbach 715 700 Zavelstein 2 015 1 264 Zwerenberg 1 598 953 2. Dekanat Freudenstadt. Freudenstadt Dekan und St.Pfr. 5 690 1 228 Diakonus 760 Baiersbronn 4 617 793 Dornstetten 1 201 891 Glatten 1 464 722 Göttelfingen 1 517 1 159 Grömbach 1 364 901 Grüntal 2 753 989 662 Lombach 1 752 700 Neuneck 720 894 Ober-Iflingen 800 825 Pfalzgrafenweiler 2 853 832 Reichenbach 1 693 700 Reinerzau 392 700 Schömberg 552 861 Schwarzenberg 1 269 717 Tummlingen 1 140 736 Wittendorf 706 895 3. Dekanat Herrenberg. Herrenberg Dekan und St.Pfr. 2 361 1 218 Diakon und Pfr.in Haslach 356 730 Bondorf 1 488 1 405 Breitenholz 633 700 Entringen 1 455 994 Gärtringen 1 593 925 Gültstein 1 072 848 Hildrizhausen 1 104 888 Kay 1 682 798 Kuppingen 2 402 1 244 Mötzingen 1 044 1 227 Nufringen 1 831 872 Oberjettingen 960 919 Pfeffingen 490 700 Reusten 696 768 Tailfingen 1 105 892 Unterjesingen 1 322 764 Unterjettingen 851 714 Öschelbronn 873 1 022 663 4. Dekanat Nagold. Nagold Dekan und St.Pfr. 2 500 1 200 Diakonus 700 Altenstaig Stadt 2 150 800 Altenstaig Dorf 628 700 Berneck 590 705 Bösingen 955 630 Ebhausen 2 470 1 095 Effringen 1 207 720 Enztal 1 015 458 Gültlingen 1 517 972 Haiterbach 2 050 1 106 Hochdorf 1 242 1 076 Pfrondorf 1 483 433 Rotfelden 963 788 Simmersfeld 1 327 1 244 Spielberg 708 953 Sulz 872 906 Walddorf 981 Warth 760 Wildberg 1 810 767 5. Dekanat Neuenbürg. Neuenbürg Dekan und St.Pfr. 1 887 1 100 Birkenfeld 1 131 822 Calmbach 2 200 700 Dobel 2 128 1 132 Feldrennach 891 Gräfenhausen 2 134 1 178 Herrenalb 872 Langenbrand 848 Loffenau 1 251 1 100 Ottenhausen 821 700 Schömberg 2 030 1 097 Wildbad 2 428 913 664 6. Dekanat Tübingen. Tübingen 1. Frühprediger 8 002 2. Frühprediger 3. Frühprediger 4. Frühprediger Dekan und St.pfr. 1 500 Archidiakonus 976 Diakonus 926 Altenburg 414 638 Belsen 1 151 438 Bodelshausen 1 794 981 Degerschlacht 855 1 272 Derendingen 751 1 237 Dettenhausen 1 078 735 Dußlingen 2 675 1 335 Gniebel 1 147 433 Gönningen 2 583 1 234 Hagelloch 654 750 Kilchberg 360 1 123 Kirchentellinsfurt 1 598 1 095 Kusterdingen 1 339 863 Lustnau 1 878 1 292 Mähringen 1 428 1 099 Mössingen 3 063 1 419 Nehren 1 480 921 Oferdingen 483 1 268 Ofterdingen 1 750 905 Oeschingen 1 014 1 026 Pfondorf 856 700 Pliezhausen 1 684 977 Remmingsheim 621 998 Rommelsbach 653 1 329 Rottenburg 200 745 Schlaitdorf 1 388 1 477 Talheim 1 270 1 175 Walddorf 2 000 1 513 Wankheim 805 1 227 Weilheim 502 1 071 Wolfenhausen 800 1 012 665 V. Generalat Hall. General-Superintendent Prälat M. Gebhard von Mehring. 1. Dekanat Aalen. Aalen Dekan und St.Pfr. 3 670 1 200 Diakonus 700 Adelmannsfelden 2 173 1 327 Batholomä 450 531 Benzenzimmern 310 552 Bopfingen St.Pfr. 3 150 1 086 Diakonus 700 Degenfeld 334 711 Ellwangen 740 803 Essingen 2 139 874 Fachsenfeld 1 118 805 Gmünd 910 700 Goldburghausen 512 971 Gotteszell 825 Heubach 1 300 962 Kapfenburg 400 Kirchheim 530 1 087 Lauterburg 708 600 Neubronn 321 526 Oberböbingen 417 757 Oberkochen 424 701 Schweindorf 428 652 Trochtelfingen 1 93 1 062 Walxheim 250 550 666 2. Dekanat Blaufelden. Blaufelden Dekan 1 015 1 200 Amlishagen 606 680 Beimbach 660 400 Brettheim 943 1 114 Gamesfeld 484 963 Gerabronn 720 747 Hausen a.B. 410 710 Hengstfeld 833 877 Leuzendorf 542 719 Niederstetten 1 187 978 Oberstetten 805 859 Reubach 1 081 836 Roth am See 1 256 732 Scheinbach 247 435 Spielbach 830 700 Wallhausen 572 710 Wiesenbach 1 161 700 Wildentierbach 419 1 318 3. Dekanat Crailsheim. Crailsheim Dekan und St.Pfr. 3 000 1 535 Diakonus 810 Altenmünster 240 700 Ellrichshausen 909 1 213 Goldbach 400 700 Gröningen 1 037 943 Gründelhard 2 160 1 069 Honhard 2 147 904 Jagstheim 1 072 578 Leukershausen 566 700 Marien-Kapell 575 700 Markt Lustenau 893 700 Onolzheim 780 740 Rechenberg 605 700 Roßfeld 534 1 288 Satteldorf 1 121 795 667 Tiefenbach 603 700 Triensbach 756 711 Waldtann 535 730 Westgartshausen 529 743 Wildenstein 780 677 4. Dekanat Gaildorf. Gaildorf Dekan und St.Pfr. 1 650 919 Dakonus Eschach 1 272 1 032 Eutendorf 860 1 335 Frickenhofen 1 948 917 Geifertshofen 630 1 152 Gschwend 1 820 902 Michelbach 998 825 Mittelfischach 800 762 Münster 385 780 Oberfischach 684 734 Obergröningen 1 428 805 Oberrot 2 000 990 Obersontheim 1 325 945 Oedendorf 849 mit Westheim Sulzbach a.Kocher 2 248 1 137 Ruppertshofen 779 452 Vichberg 2 142 2 108 5. Dekanat Hall. Hall Dekan und St.Pfr. 6 840 1 200 1. Diakonus 1 133 2. Diakonus 850 Pfr.zu St.Katharina 700 Bibersfeld 575 1 169 Enslingen 750 597 Gailenkirchen 886 887 Geislingen 671 700 Gelbingen 958 721 Groß-Altdorf 580 820 Haßfelden 170 952 668 Ilshofen 809 700 Lorenzenzimmern 194 700 Michelfeld 1 714 865 Oberasbach 637 777 Orlach 312 973 Reinsberg 745 815 Rieden 539 487 Stöckenburg 1 223 1 165 Sulzdorf 830 844 Tüngental 716 768 Untermünkheim 1 250 770 Untersontheim 640 700 Westheim 1 323 1 063 6. Dekanat Heidenheim. Heidenheim Dekan und St.Pfr. 3 046 1 272 Diakonus 726 Bergenweiler 215 454 Bolheim 1 082 894 Brenz 888 700 Dettingen 1 460 1 203 Fleinheim 585 882 Gerstetten 1 780 1 305 Giengen St.Pfr. 3 320 1 266 Diakon 726 Gussenstadt 1 123 821 Hausen o.L. 115 700 Heldenfingen 736 1 204 Herbrechtingen 1 895 700 Hermaringen 963 1 231 Heuchlingen 874 747 Hohenmemmingen 738 1 213 Hürben 787 475 Königsbronn 2 061 713 Mergelstetten 924 768 Nattheim 1 194 909 Oggenhausen 655 415 Schnaitheim 1 843 1 202 Söhnstetten 1 176 850 Sontheim 1 332 1 215 Steinheim 2 355 1 035 Zang 727 430 669 7. Dekanat Künzelsau. Künzelsau Dekan und St.Pfr. 4 416 868 2. St.Pfr. 662 Belsenberg 969 651 Braunsbach 1 047 565 Buchenbach 1 317 668 Crispenhofen 852 573 Dörrenzimmern 863 526 Dörzbach 1 474 612 Döttingen 740 512 Ettenhausen 1 151 722 Hohebach 887 485 Hollenbach 680 953 Ingelfingen Pfr. 2 271 891 Diakonus 502 Kocherstetten 1 185 800 Niedernhall 1 648 706 Schöntal 342 400 Steinkirchen 490 694 8. Dekanat Langenburg. Langenburg Dekan und St.Pfr. 1 203 982 Diakonus 522 Altenberg 161 556 Bächlingen 700 500 Billingsbach 747 620 Dünsbach 822 654 Gaggstadt 702 715 Herrenthiersbach 697 764 Kirchberg, St.Pfr. 1 345 799 Diakonus 433 Lendsiedel 1 123 959 Michelbach a.d.H. 798 1 070 Obersteinach 482 782 Riedbach 277 628 Rupertshofen 549 685 670 Schmalfelden 398 1 059 Schrozberg 1 346 850 Unterregenbach 877 584 9. Dekanat Öhringen. Öhringen Dekan und Stifts.Pfr. 5 426 1 111 Stadtpfarrer 1 035 Diakonus 666 Adolzfurt 762 553 Baumerlenbach 815 520 Ernsbach 620 522 Eschelbach 527 717 Eschental 1 185 957 Forchtenberg 1 230 541 Gnadental 867 544 Kirchensall 1 261 545 Kupferzell 1 933 1 288 Langenbeutingen 1 003 532 Michelbach .W. 877 736 Neuenstein St.Pfr. 2 756 707 Diakonus 590 Ohrnberg 1 030 594 Orendelsall 1 015 601 Pfedelbach Pfr. 1 718 732 Diakonus -.- Sindringen 918 876 Untersteinbach 2 580 1 069 Waldenburg 1. Stadtpfr. 1 774 813 2. Stadtpfr. 627 10. Dekanat Schorndorf. Schorndorf Dekan und St.Pfr. 3 971 1 203 Diakonus 700 Adelberg 1 493 724 Aichelberg 1 265 823 Baltmannsweiler 940 727 671 Beutelsbach 1 777 992 Geradstetten 1 877 865 Grunbach 1 349 707 Haubersbronn 975 738 Hegenlohe 799 757 Hößlinswarth 631 413 Hohengehren 784 1 093 Oberurbach 3 638 882 Schlichten 640 402 Schnaith 2 042 756 Schornbach 819 884 Steinenberg 2 767 1 032 Weiler 1 056 700 Winterbach 3 485 700 11. Dekanat Weikersheim. Weikersheim Dekan und St.Pfr. 2 261 860 Diakonus 839 Adolzhausen 548 584 Archshofen 463 700 Creglingen, St.Pfr. 1 883 1 100 Diakonus zgl. Pfr. in Elpersheim 1 000 634 Erelfingen 946 673 Finsterlohr 664 700 Freudenbach 687 1 125 Lichtel 382 700 Mergentheim 481 755 Münster 561 527 Nassau 690 579 Neubronn 332 634 Neunkirchen 991 741 Niederrimbach 359 700 Pfitzingen 784 557 Reinsbronn 562 700 Rinderfeld 467 571 Schäftersheim 652 588 Schmerbach 387 700 Vorbachzimmern 811 601 Wachbach 1 150 802 Waldmannshofen 490 817 Wermutshausen 382 440 672 12. Dekanat Welzheim. Welzheim Dekan und St.Pfr. 6 050 1 475 Diakonus 500 Parochie-Vikar 500 Alfdorf 3 366 1 254 Althütte 850 400 Kirchenkirnberg 1 970 1 105 Lorch, Pfr. 4 880 917 Diakonus 725 Paroch.Vikar 400 Plüderhausen 1 739 717 Rudersberg 4 584 958 Tägerrot 2 024 1 142 673 VI. Generalat Ulm. General-Superintendent Prälat Friedrich von Hauber. 1. Dekanat Biberach. Biberach Dekan und 1. St.Pfr. 3 621 1 100 2. St.Pfr. 856 3. St.Pfr. 854 Attenweiler 290 400 Ersingen 372 1 114 Oberholzheim 490 741 Ochsenhausen 500 Pflummern 700 700 Rothenacker 1 320 556 Schussenriet 400 Unterbalzheim 1 000 920 Wain 923 886 2.Dekanat Blaubeuren. Blaubeuren Dekan und St.Pfr. 2 169 1 231 Diakon und Pfr. in Weiler 723 Asch 653 1 027 Berghülen 901 965 Bermaringen 1 269 970 Ehingen 400 Gerhausen 690 475 Machtolsheim 710 858 Merklingen 780 938 Nellingen 1 202 1 163 Pappelau 962 832 Scharenstetten 677 879 Seissen 659 972 Suppingen 480 825 Weilersteußlingen 720 700 Wippingen 471 711 674 3. Dekanat Geislingen. Geislingen Dekan und St.Pfr. 2 408 1 100 Diakonus 847 Altenstadt 1 183 Amstetten 354 905 Aufhausen 510 780 Bräunisheim 244 730 Eybach 300 272 Gingen 1 459 1 082 Groß-Süssen 1 314 1 530 Kuchen 1 227 1 093 Schalkstetten 435 748 Steinenkirch 349 974 Stötten 233 789 Stubersheim 497 764 Türkheim 499 770 Überkingen 537 893 Unterböhringen 1 174 789 Wiesensteig 450 4. Dekanat Göppingen. Göppingen Dekan und St.Pfr. 5 750 1 462 Archidiakonus 719 Diakonus 704 Albershausen 1 563 763 Auendorf 550 700 Bezgenried 659 914 Boll 1 601 776 Börtlingen 896 487 Dürnau 1 007 993 Ebersbach 2 170 896 Eschenbach 549 700 Faurndau 784 773 Gruibingen 1 280 700 Hattenhofen 1 263 728 Heiningen 1 269 840 Hohenstaufen 1 800 835 Holzheim 2 491 700 675 Jebenhausen 666 854 Oberwälden 306 744 Reichenbach 978 825 Salach 167 Schlatt 1 003 779 Schlierbach 1 897 753 Uihingen 1 889 1 040 Wangen 649 732 5. Dekanat Kirchheim. Kirchheim Dekan und St.Pfr. 5 870 1 259 Diakonus 722 Stadtvikar 400 Bissingen 1 726 943 Dettingen 2 450 971 Gutenberg 949 700 Hepsisau 574 827 Hochdorf 1 092 1 588 Holzmaden 640 883 Jesingen 994 943 Nabern 569 1 102 Neidlingen 1 076 1 035 Notzingen 1 290 700 Oberlenningen 898 1 124 Ochsenwang 382 424 Oetlingen 1 219 700 Ohmden 734 769 Owen, St.Pfr. 2 314 1 201 Diakonus 700 Roßwälden 640 975 Schopfloch 641 700 Unterlenningen 832 840 Weilheim, St.Pfr. 3 839 1 216 Diakonus 707 Zell u.Aichelberg 1 502 961 676 6.Dekanat Münsingen. Münsingen Dekan und St.Pfr. 1 571 1 107 Diakonus 700 Bernloch 693 964 Böttingen 794 785 Buttenhausen 912 655 Dapfen 560 1 064 Ennabeuren 411 830 Feldstetten 884 837 Gomadingen 577 872 Hundersingen 334 721 Kohlstetten 885 889 Laichingen 2 083 1 258 Mehrstetten 895 1 079 Mundingen 226 700 Oedenwaldstetten 340 984 Sontheim 603 700 Steingebronn 633 805 Zwiefalten 400 7. Dekanat Ravensburg. Ravensburg Dekan und St.Pfr. 1 389 1 128 1. Diakonus 1 017 2. Diakonus 846 Altdorf 400 Friedrichshafen 268 800 Isny 1. St.Pfr. 1 374 609 2. St.Pfr. 600 Leutkirch, St.Pfr. 1 575 900 Diakonus 700 Wangen --.-- Pfarrverweserei 677 8. Dekanat Ulm. Ulm, Münster 1. Frühprediger 14 002 Dekan und St.Pfr. 1 476 2. St.Pfr. 900 Diakonus 800 Dreifaltigkeitsk., St.Pfr. 994 Diakonus 840 Altheim 1 113 1 014 Asselfingen 604 750 Ballendorf 657 980 Bernstadt 1 194 1 424 Bissingen 195 802 Etlenschieß 294 700 Göttingen 845 1 016 Grimmelfingen 245 700 Hervelsingen 390 793 Holzkirch 457 940 Jungingen 629 700 Langenau, Pfr. 3 657 730 Diakonus 717 Lonsee 621 901 Luizhausen 244 730 Mähringen u.Lehr 442 725 Neenstetten 526 899 Niederstotzingen 697 819 Oellingen 378 798 Sezingen 520 872 Urspring 503 1 154 Weidenstetten 710 731 VII. Feldpropstei-Sprengel. Comburg 2. Diak.von Hall Hohen-Asperg 819 Ludwigsburg 1 000 Stuttgart Feldprediger der Garde Hofkaplan Garnisons-Pfr. 1 203 Pred.d.Militär-Sträflinge Pfr.von Heslach Ulm 616 678 Erziehungshäuser. Stuttgart, Waisenhaus-Pfr. 1 200 Weingarten Strafanstalten. Gotteszell, Zuchthaus Geistl. 825 Hall, Kreisgefängnis 450 Ludwigsburg, Arbeitshaus 800 Geistliche der Brüdergemeinde. Korntal 870 Wilhelmsdorf 280 679 15.1. Summary. In this thesis shall be attempted to show the evolution and expansion of the Protestant National Church of Württemberg in the time between 1827 until some years after the turn of the century, a period of approximately one hundred years, based on parish reports and parish descriptions in this time. It will be necessary to include in this description the political and historical events as well as the church history and the spiritual point of view; only by taking all these influences into consideration it is possible, to understand the changes that came up in this time. A family father, who worked in the environment of his home, had to deal with different circumstances than a factory worker, who had to leave home early in the morning, and came back late in the evening. It is easily comprehensible, that the church had a much bigger influence in the context of a small village community, than later in a workers settlement on the outskirts of an urban community. Parish reports and parish descriptions had been introduced based on a "Konsistorialerlaß", a degree of a higher administrative body of the church, in the Württemberg national church of June 15th 1827, and had to be updated in approximately every three years until the time after World War I., when a parish was checked by the dean, or, if it was a deanary, by the next higher authority (Prälat). All events, which concerned the parish as well as the school system, had to be described in detail for the fist time on Georgi 1827, which was April 23rd, and had to be submitted to the knowledge of the higher authority. The structure was demanded by the "Konsistorium". In the first part the parish had to be described generally, and the number and the particulars of the pastors, the sexton and organist, the foundation conceals and members of the church convention had to be declared. It also had to be indicated, to which deanery and higher authority, as well as to which ministry the congregate belonged. In addition statistic details were asked for. At first had to be listed whether the parish lay in a town, a village or small market town. The number of the Protestant and Roman Catholic Christians as well as the Jews had to be indicated, the number of the members of the municipality altogether, and it was distinguished between locals from birth and locals that lived there. Farm hands and maids, which were in service elsewhere, were not counted. Later so called "Dissentierende" (non-believers), were mentioned, which belonged to none of these communities, were not baptized, married or buried ecclesiastically, or were a member of one of the sects, that showed up during the course of the century in larger numbers. 680 Births, marriage ceremonies and deaths, which had to be included also in the church registers, had to be listed for the examination time period. In the course of the report it was of importance, how high the number of the mixed marriages was. Mixed marriage ceremonies, births and baptisms as well as confirmations from mixed marriages were included separately. A further section accounted for the church, its location, the distance to the vicarage, its age, its structural condition, its quality of light and sound, the heating system of the vestry, and who was responsible for the maintenance of the church and tower. Included was the location and size of the graveyard, and, who had to pay for the maintenance. In the description of the congregation its Christian attitude was of interest, which might have been discovered mainly by the number of visitors of the services. Of course it also had to be indicated, how many different kinds of services and other church events, for example catechism instruction or prayer meetings, were held in the congregation in the course of a week. When there were deficiencies in the congregate, the pastor of the parish also had to inform the higher authorities and let them know, what he had undertaken in order to improve the situation and if he had been successful in doing so. The income and expenses of the church maintenance had to be listed. There were congregates, whose "Saints" hardly were able to satisfy the most necessary needs, and these were then dependent on the support from the municipality register. Some congregations, on the other hand, like approximately in Hall, were very well equipped with estates and financial resources, and the population, according to the pastors opinion, was entitled to expect support from them. Church, vicarage and school had to be described in detail as well. It always was important to whom these facilities belonged, and who was responsible for maintenance and the overhaul of possible damages. In a detailed description the income of the sextons had to be disclosed; first, of course, the income of the pastor, but also exactly the one of the server, the organist or the cantor. It had to be stated, which components the salary consisted of, which cashier it had to be paid from, and where the locations of the parishes were. As the payments consisted mainly of natural products or monetary values, it had to be disclosed, in what way they were put together. If there had been variable payments, an average value of the last three years was required. The pastor also had to account for his personal conditions. He had to say when he was born, where he was born, when he had passed his exam, when he had begun his first job, when he got married and to whom, how many children he had, since when he had taken up place in the office, which studies he pursued, how he worked on his further education, and how his pecuniary circumstances were. The charges for baptisms, marriage ceremonies and funerals also had to be listed. They were components of the variable income, which the kitchen garden for example also was part of. 681 The fourth extensive section finally dealt with the school-system. Until the abolition of the spiritual supervision of schools in 1909 the schools were subordinated to the supervision of the church. The pastors were responsible for the school and the teachers and therefore all parish reports give information in detail about this. Until the introduction of teacher seminars the pastors also had to train and supervise the teachers; he had to judge their performance and to give them feedback. There were teacher seminars starting from 1811 in Esslingen, in 1825 Gmünd and in 1843 Nürtingen followed. In the twenties the first female teachers were hired at industrial schools, where they taught children in needle work. In the elementary school law of 1836, which was legal and in use until 1909, it was determined, that all places with more than 30 families had to build their own school. The school attendance was mandatory between ages 6 and 14. A special interest was paid to the Sundayschools and Industryschools in existence since 1818, and the Commercial schools since 1825, also especially because of the spiritual and religious instruction. First and above all the only schoolbook was the Bible or a biblical history in addition to the hymnbook. In the people´s education act the purpose of the primary schools was the religious moral education and instruction of the youth in general knowledge and skills, that were necessary for every day life.. Only since 1854 the Protestant schools published a reading book with realistic contents, which was met by intense resistance from several sides. It was debated, that the knowledge of natural sciences as well as history could be learned through the Bible. In the parish report the schools at the location had to be listed, whether it was a German or a Latin School, for which other places they perhaps were competent, and how far and how convenient the way to school was for the children. It had to be indicated whether the teacher was a school-master or a provisor, who was entitled, to distribute the teacher places, further the number of the lessons, which could vary in length between summer and winter, the number of the school- children, separated into girls and boys, further the school tuition and also, whether special taxes had to be paid, such as gifts at Martini, or entrance fees, or a tax for leaving the school. The rooms of the school were to be described, if they were located in a separate house, if they were spacious, bright and healthy, if there was an apartment for the teacher included, who had to pay for the renovation of the building, who had to supply the heating with wood, and who had to saw and to split it. It was determined, that a teacher had to look after one hundred children. When this number was reached, he was entitled, to take a provisor, and a further one, when the number of two hundred schoolboys or -girls was reached. Regularly connected to the duties of the teacher was the service in church, possibly also the service of the organist. 682 Then the income of the teacher had to be listed in all detail, possibly private lessons as well, and which ones were paid for, and which different amounts the salary was made up of, and whether it was a fixed or variable income, like for example the charge for school, which was different according to the number of school children. Various changes have come up throughout the years, which will be looked at later on. The pastor for his part had to judge the state of knowledge of the children, the teaching methods, the further education of the teachers, their pecuniary circumstances as well as the knowledge of the school boys and -girls and the discipline and order. The main concern of the Protestant church, for throughout the middle of the 19th century, was to christianize every single member of a community up until the christianization of the whole state. According to the church constitution of Duke Christoph, the Great Church Order of 1559, Württemberg was meant to be a preliminary stage of the Empire of God. During the time of Enlightenment (Aufklärung) the main focus of the pastoral work had been de-emphasized somewhat in favour of worldly tasks, it became important again in the course of the century by the revivalist movement and the strengthening of Pietism. According to the ideas the Christianity in the congregation became the most important point, which had to be described in the parish conscription. This Christian Spirit could be moved by the number of the church goers. Now there is a problem, that comes up in all reports throughout the country and the entire time: if church attendance was not good in a congregation, it was evident that the pastor didn´t justice his foremost duty, and who would have liked to have such a bad reputation. If it was noticed at the first examination of a parish, that the church registers for example were incomplete, the pastor could hold the antecessor responsible. If the church pews however were empty, then this was undoubtedly an omission of the present pastor. Therefore phrases can be found frequently such as: "The participation in the public service is relatively satisfactory". It also was pointed out often that the participation at festival services was better and it also was praised, that the women outnumbered by far the men, and that in the hours of prayer women often were present alone. In some congregations it was deplored, that weddings with a festive church service became rarer and rarer, and that the celebrations didn´t take place in the family circle, but were transfered to a restaurant. Over a period of time people went to church less frequently. It was talked about "sporadic church goers" and also "church despisers". In most congregations the lack of child discipline was lamented, which was too weak and had considerable consequences for the moral of the youth, criticized were also worldliness, greed, avarice and graving hedonism. 683 On the other hand the respect for God´s word was pointed out, the validity of the mercy means, the frequent church going and the willingness to make sacrifices, for example for the Basler Mission, as well as for other works. In the middle of the century the circles -"Gemeinschaften"- Old-Pietists and Michelianer, have been looked at less with the initial distrust, even if they still fell under the category of "sects". It was attested, that the leaders of these communities were respectable, honourable men who faithfully stood by the church, and it has been written that they were "the salt of the congregation and an example for so many other members of the congregate". It was possible that the pastor behaved very distantly towards such communities, and emphasized, that in his congregation was fortunately no ground for such facilities. However it could happen in a municipality, that four or five such communities of different directions existed, and the pastor reported, that he had been invited, had gone to the "hour", which usually took place on Sunday evening or an evening in the week, and that he could state no offence. Basically there were two services on Sunday, one in the morning, the other in the afternoon, often another one during the week. On Wednesdays there was a Bible- study, on Fridays a "Kathechisation", on Saturdays the confession, in addition to repentance services and childrensschool. However, this had been varying in the different communities. Regarding this accumulation of church events, in addition to accounting for the church registers, the lecture for confirmands, religious instruction in different schools, the supervision of the teachers, as well as baptisms, marriage ceremonies and burials, and also, very important, the visit of each single parishioner at home, possible a job in a branch office, it is surprising that, for example Philipp Matthäus Hahn, still had time to develop mechanical tools, to supervise his workshop and to take care of the sale of his products. A farther possibility to look at the Christian spirit of a community was also the visit of the Holy Communion. Now there were pastors, for whom it was important and satisfying to note, how often communion had been held in a period of time. Later, since 1855, it was mandatory to note the number of the members going to the Holy communion, separated in genders, the women always were in the majority. Toward the end of the century it was asked for the percentage of the visitors of Holy Communion in proportion to the number of the parishioners. It also could be seen here, that the number of visitors became lower in the course of the years. At the beginning of World War I this changed briefly, but then the numbers dropped again in the following years. It is noticeable, with a few exceptions, that the diminishing of participants was accepted without comment, and it was not asked for reasons or the causes. In the first half of the century it was still the custom that one had to register with the pastor for the Holy Communion, who then used such an opportunity to a pastoral conversation, as this used to do Johann Friedrich Flattich for example. 684 It also was the custom, that the parishioners brought a little present when they registered, some flour, some honey, an old hen. It even was said to have happened, that a pastors wife pressed her husband, to hold a Holy Communion to fill up her pantry. It goes without saying, that the positive events were always mentioned and emphasized with pleasure in the parish reports. The advantages of the Protestant church and the ecclesiastiality of the congregation were compared to the also existing faults. Especially in congregations, in which Roman Catholics were at home, the bright sides had to be pointed out separately. In the parish report of Gmünd 1872 for example could be read: "Concerning the acquisition of temporal goods, it is unmistakable that the Protestant citizens are the diligent, hard working and active busy men in the city, and therefore many of them also have been very successful economically. In Leutkirch it is marked, that after 1880, when the number of the Roman Catholic inhabitants exceeded for the first time the Protestants, the revenue of the Protestant citizens was twice as big as that of the Roman Catholics, simply because the Protestants were "more hardworking from nature". Finally in Rottenburg the Christian spirit of the Protestant congregation had to be announced on a higher level, because the Catholic carnival hustle and bustle was an annoyance of the first order and besides a sign, that the religious needs of the Roman Catholics lay on lower standards. Looking at the visit of the services the question of the observance of the Sunday ceremony was regarded. The complaints because the non-retention were heard more loudly in the course of the years. It was not only because of the working in the fields, which maybe even could have been permitted, when ever the weather required it. Especially in the bigger towns it was definitely normal, to keep the businesses open on Sunday, to make it possible for the farmers, who had come to town especially on this day, to go shopping. There were craftsmen, who went to Stuttgart on Sunday, with the new railway, to conclude their business there, to deliver their accomplished work, to accept new orders; and the pastors were thankful, when the businesses were closed during the service. Only in 1871 an order was given, which forbade working on Sunday and religious holidays. It was also put down in writing here, on which holidays work was permitted with some limitations: on Maria Lichtmeß, Maria Proclamation, Peter and Paul, Stephanus and Maria conception, primarily on Catholic holidays. In connection with this it may be pointed out, that there were much more Protestant than Roman Catholic holidays, and that these were cancelled in only 1912. However there were congregations, which adhered to the celebration of these days even beyond this point. 685 It is worth mentioning, that until this time the Protestant church also celebrated Maria Lichtmeß on February 2nd and Maria Proclamation on March 25th, as well as the days of the Saints, Matthias on February 25th, Philippus and Jakobus on May 1st, Johannes Baptism on June 24th, Bartholomäus on August 24th, Matthäus on September 21st, Simon and Juda on October 28th, Thomas on December 21st and Johannes Evangelist on December 27th. The holiday question could bring quarrels in mixed Protestant-Catholic congregations, if for example, the Protestant pastor required of the children from mixed marriages to come to school on Roman Catholic holidays. The Konsistorium was forced to occupy itself with this question and to come to an agreement which satisfied both parts. Protestant and Roman Catholic holidays were put together, or put on a Sunday. These were Thomas, Philippus, Jacobus and Johannes. If Corpus Christi fell on a weekday, the Protestant children in mixed municipalities had a day off. When we now look at the development of the Protestant national church during our report period, we can state that there was a change in politics, as well as in the spiritual and church history. The time of "enlightenment" and absolutism, manifested in the person of king Friedrich I., found its result also in the church. It had been natural for a pastor, to place himself in the service of the new ideas in this time. He also felt obliged to take care of not only the spiritual salvation of his parishioners, but to improve their conditions of life, to broaden their abilities and to increase their prosperity. All along pastors have had interest for things, which lay beyond their actual business, and they had accomplished in other fields astonishing and welcome progress, if it was improvement of the field work or fruit crop, or progressive ideas for the school. Between 1820 and 1845 a formation named "Erweckungsbewegung" (revivalist movement) protested strongly against such worldly endeavours. In conscious contrast to the spirit of the age and progressive thinking in accordance with the older Pietism they wanted to prevent man away from his sinful existence and lead him to God. It was a request of this movement, to live out Gods plan, in expectation of the coming empire. In 1812 the Bible institution was founded, which was meant to provide primarily the poorer population with Bibles. The first rescue houses were built in the hard years after the Napoleonic wars. Queen Katharina arranged the foundation of the charitable organizations, which had their regional headquarter in Stuttgart, whose district organisations were however distributed over the whole country. Deans and pastors played a determined role in them. From these institutions were founded other institutions for the poor, the sick and the handicapped for example, 1841 the first German children´s hospital in Ludwigsburg, which was 1876 remodelled to the "Protestant Kinder- and Brüderanstalt Karlshöhe", and in 1848 the first care institution for the mentally deficient in Vaihingen/Enz, which later was transfered to Stetten. 686 A first women organization was founded in Stuttgart in 1834, with the aim of taking care of needy children, and in 1856 in Großheppach was built a training center for child nurses, which influenced Württemberg up to today. In 1849 the course of this expansion lead to the foundation of the "Inside Mission" in Germany, under the chairmanship of Johann Heinrich Wichern (1808 - 1881), which then played an important role in all parish reports because of the generous donations. In Württemberg. Sixt Carl von Kapff (1805 - 1879) was particularly engaged for this concern. Let us now take a closer look at the development of the educated and economically powerful bourgeoisie which was of great importance for the development of the Protestant national church in the first half and even more so in the second half of the 19th century. Side by side with the merchants and the skilled craftsmen, which slowly turned into entrepreneurs toward the middle of this century and gained influence through the foundation of factories, there were government officials coming up, who had turned into an influential class and had accumulated more and more power in the time of absolutism and enlightenment. The concept of the "educated bourgeoisie", is sociologically very hard to explain, especially if one wants to set it against the "economic-bourgeoisie", which developed later. The concepts as such have moreover been defined only in the twenties of the 20th century. Without a doubt the economic interests have always played the most important role in the economic bourgeoisie, but very early it was required, that the businessmen in this class had an academic education, which was very often the case. Moreover the increasing demand for special knowledge in the course of a higher level professionality makes the distinction between the two concepts more difficult. The acquisition of education connected and bordered also off, because not everybody, who had to fight for the heavy necessity of daily life also had the possibility to acquire education. For this a protected substance, a certain order, and a planable existence was required. We mustn´t forget, that the fight for the daily bread still played a vital role in wide circles in the first half of the century. I found a note in the death book, that even in 1822 a man had starved to death, in Schweinhausen near Biberach. About 5% of the population in the middle of the 19th century were part of the educated people. Officials, craftsmen, merchant families as well as a part of bourgeois families belonged to them. High school and college examination made possible a social advancement. The family drifted away from the extended family to a parents- and child-family at this time. A demarcation toward the social range also took place. Reading became important as an element of education. Reading clubs, education- and sociability- societies were arising. Since 1809 we can also notice the foundation of societies for songs and song-clubs, and the Jacobin clubs were the first political organizations. 687 A turning away from the world, with a purely religiously orientation by the church, was given automatically with the education of the special interests of the bourgeoisie, at first by the educated classes. Very early the complaints about this turning away got loud in the parish reports. Very often it was noticed that it was primarily the officials, who remained absent from the service. In Langenburg the princely family always set an example and was of great influence, but when the court went to Straßburg, the church visits plunged down to the country average. The dean of Hall complained already in 1852, that the thirteen or fourteen year old gymnasts marched out with blowing flag to do sports on Sunday morning instead of going to church. And the pastor in Leutkirch registered, that his Protestants, instead of going to church on Sunday morning, prefered to go to the pubs, which actually were all in firm hands of Roman Catholics. It is typical for all parish reports, that the unpleasant things always came from the outside. Not the always decent girls of the municipality got the illegitimate children, but the maids coming from outside had also brought in the bad customs. The divorced man, who had opened a musical shop in Isny, had moved in from somewhere else. Even the preacher of the Stiftskirche in Stuttgart refused to mention in his statistics the illegitimate births of the maternity clinic of the Katharinenhospital, where most unmarried mothers from the outside had delivered, because then his statistic would have mirrored a complete wrong image. I would like to make an annotation to the problem of the illegitimate births right here. By a "Generalrescript" of 1807 king Friedrich I of Württemberg had guaranteed the complete liberty of marriage. In this time farming and the cycle of nature largely determined the work rhythm and life in the families. Indisputable centre of the social life was the church with her rules of behaviour. The need of the coming years asked for a restriction of the marriage-possibilities louder and louder. The municipalities were not able to provide the receivers of social security sufficiently any more. The material need of the municipalities, the stronger and stronger demands of poor classes, the overburdening of the monetary aid for the poor, all that came together. Finally in a law of 1833 marriage was refused to a defined section of the population. At first these were criminals, as well as the drawers of social security, and finally the unfit to work. Over the years these definitions were even tightened. Not only had to be proved the ability to feed a family, but now the means, which were available, had to be shown. In 1852 a certain minimum of possessions was required. The marriage permission already could be denied to industry workers with the reason that at any time they could lose their job. It has been calculated, that within the years 1852 - 1865 about 6% of the marriages were prevented this way. The population in Württemberg increased only on approximately 120% for that reason within the years of 1834 - 1860, whereas the increase in Bavaria, Baden and Hessen was learly higher. 688 From 1856 onwards a change in the attitude of the authorities could be seen also because of the increasing industrialization anyway, but it took until Dezember 1870, when the regulations of the North German Federation became country law also in Württemberg and permitted the marriage ceremony for every body again. The consequence and result of these year long restrictions was a rise of illegitimate births. In 1862 in Böblingen every fifth child was born illegitimately. A result of these restrictions was also the increase of the emigrations, which were partly even promoted and financed by the municipalities. In 1854 the municipality of Vaihingen/Filder paid the passage to America for 156 people willing to emigrate, because these costs were still lower, than the support lasting for years. Primarily the pastors fought against the marriage restrictions early on, and, for religious and moral reasons, demanded their abolition. On the other hand the municipalities fought against a loosening, because they didn´t see a possibility to comply with their obligations for social security. For them lay in the restrictions the only possibility to deal with this problem. In the higher classes this question was also eagerly discussed, and the ideas of Thomas Robert Malthus (1766 - 1834) for example played an essential role. It was natural, that the number of illegitimate births after 1870 declined drastically and fell back to normal again, which was registered by the pastors with satisfaction. In the second half of the 19th century the activities of the Roman Catholic church were registered attentively in the parish reports. The Protestant church complained that wide circles turned away from her, "that a bad time of misunderstandings, of distrust, even of hate has come", that even family life was no longer determined by Christian values. The bad influence of the city culture was lamented, but it was stressed simultaneously that Stuttgart was the only capital in Germany, which still gave the impression of a Christian town as it appeared on Sundays. However, one also saw an amplified activity of the Roman Catholic church, which among other things was seen in numerous church buildings. One even pointed out in the parish reports of Stuttgart, that whenever a Protestant parish built a church, the Roman Catholics set one beside it: the Elisabethenkirche next to the Johanneskirche, the Nicolauskirche next to the Friedenskirche. One recognized that the Roman Catholic church organized also politically in this time in the "Zentrum", there were complaints about the "Roman Jesuit spirit" in general. And since the middle of the century, the Roman Catholic church in their papist spirit pressed Roman Catholics in mixed marriages to bring up children as Catholics, partly under the threat of the excommunication. It was also a time of heavy Roman Catholic attacks on the Protestant church. Announcements were published, which didn´t exactly promote the relationship of the two denominations according to a conciliatory spirit. An article was published in the Roman Catholic press, in which it was said about the end of Luther´s life, that he had hung himself, and his work was dissolving in giant strides. 689 In Gmünd the old parish priest was attacked intensely because of his tolerant attitude, and even the Catholic bishop held a very aggressive speech against the Protestant church, to which the Protestant dean noted that the situation here was very serious. In Leutkirch, where the number of the Roman Catholics exceeded that of the stagnating Protestant in 1880, for the first time the relationship of the two denominations became more critically from then on. It was reproached, that the Jesuits stirred up the hate against all Protestant matters from Feldkirch. Catholic organisations and societies were founded, from the environment retracted Catholics were naturalized with the support of their church and attracted into town, by the clergy pay in the money for becoming bourgeois (Wahlbürgertum). "The hate against Protestants is stirred up by the Roman Catholic clergy deliberately". The cooperation in the primary foundation counsel was refused, the unified service at kings birthday cancelled. The fight escalated, when the Roman Catholics claimed back the Hospital church, which had been given to the Protestants in 1648, and the claim was rejected by the courts. Thereafter the Roman Catholics boycotted the Protestant businesses for three years. From the municipality of Böblingen it was reported, that a Protestant had converted to the Roman Catholic faith shortly before his death, because "it is good to live as a Protestant, and good to die as a Catholic". Since 1845 the development of the railway system in Württemberg caused a stronger fluctuation of the population. Municipalities, that had been purely Protestant, primarily in districts with growing industrial potential, suddenly had Roman Catholic residents. The railway construction was described in the parish reports in great detail, because it was connected to an increasing prosperity for the population. The construction workers needed food, and the haulage business experienced an upswing. In 1846, one year after the opening of the railroad construction, there were already 10 000 men engaged, at first for the distance Stuttgart - Friedrichshafen. When the company Kessler in Eßlingen, the later "engineering works Eßlingen", started its operation, it wasn´t a company which had grown out of a smaller workshop, rather 500 workers were employed over night. They had to be fed and needed to sleep and live someplace. So the construction of the railway had quite a considerable share at the industrialization of the country. When the construction teams moved on, the pastors complained about accumulated debts and illegitimate children. Of course the negative consequences of the railroad development did not remain unmentioned. At the end of the century on Sundays the population went out for leisure, visiting relatives into the surrounding villages, also for hiking, with an increasing visit of restaurants, with went along with dancing and singing and the thus unavoidable unrest. 690 Apart from this development the social clubs in the second half of the century took on a more and more important role. From the beginning, the Christian organizations were honourably mentioned in the parish reports, and it was stressed how difficult it was at times to keep such an organization alive. The worldly organizations were mentioned only occasionally, because for the church life they were often perceived as disturbing and even damaging. Of course events on the weekend diminished the church visits, and it was reported, that many citizens were working in several organisations simultaneously, and had no more time for church events. One could still take a closer look at the political parties and point out that especially the social democracy, with their partly heavy attacks on all ecclesiastical matters, particularly in definite worker municipalities, had very negative effects on community life. On the other hand, one should not forget the young Christoph Blumhardt, the son of Johann Christoph, the founder of Bad Boll, who saw in the labour movement the right way towards the destination of an Empire of God, who believed in the deep connection of the Christian Hope of an Empire of God to the social democratic future hope. He renounced the title of pastor, entered the party, and was elected as a representative for this party into the "Landtag" in 1900. He saw the rising of something new, that he wanted to be a part of, but he soon retired from political life, because he recognized, that it was not possible to gain acceptance of what he was striving for. If we want to attempt a summary of the development in the course of almost one hundred years, we can notice, that a complete makeover has taken place in the life of the Protestant national church. From all determining strength at the beginning of the 19th century, a permanent retreat can be witnessed in all fields, which until then were determined and formed by her. Middle class, political parties, the newly rising industrial workership, completely chanced views in the school system, the transition of social security and the supervision of the schools from the church to the government, the formation of the social clubs and societies, the increasing mobility of the population, new adjustments regarding education and vacation, all of the above came together in diminishing the influence of the church. Later the collapse of the world war, the end of the monarchy, which was until then closely connected to the church, and the cessation of the Summepiscopate, demanded a new attitude with other, new tasks. The separation of state and church was thus definitely reached, and the national church with its constitution had received a frame, within which she could try to accomplish her new tasks. 691 15.2. Erklärung. Hiermit erkläre ich, daß ich diese Arbeit selbständig und nur mit den angegebenen Hilfsmitteln angefertigt habe, und daß alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken entnommen sind, durch Angabe der Quellen als Entlehnungen kenntlich gemacht wurden. Stuttgart, den 19. Mai 2003. 692 Lebenslauf: Personalangaben: Günther Widmer. Libellenweg 3, 70569 Stuttgart-Vaihingen. Sohn des Gottlob Widmer und der Klara Anna Maria, geb. Schönafsky. Geburtstag: 12. Februar 1928. Geburtsort: Stuttgart. Staatsangehörigkeit: Deutsch. Beruf: Diplomvolkswirt, Magister Artium. Heirat: 29. September 1951 mit Elfriede, geb. Zell. Schulen: 1934 - 1938 Volksschule Stuttgart-Weil im Dorf. 1938 - 1946 Oberschule für Jungen, Stuttgart-Feuerbach. Januar 1944 - März 1945 Luftwaffenhelfer. 22.4.1945 - 28.6.1945 Französische Gefangenschaft. 20.Juli 1946 Reifezeugnis mit Großem Latinum. W.S.1946/47 - W.S.1949/50 Studium an der Technischen Hochschule Stuttgart 25. April 1950 Diplom-Volkswirt. Berufstätigkeit: 1.7.1950 - 28.2.1991 Kaufmännischer Angestellter der Firma Schauz, Autozubehör-Großhandel, Stuttgart, mit 7 Filialen in Baden-Württemberg und 300 Mitarbeitern. Kaufmännischer Leiter, Leiter der Buchhaltung, des Rechnungswesens und des Personalwesens. Ruhestand: SS.1991 - 2.2.1998 Studium der Geschichte an der Universität Stgt. 15.4.1993 Prüfung in Neuerer Geschichte. 24.9.1993 Prüfung in Mittlerer Geschichte. 20.4.1994 Prüfung in Alter Geschichte. 5.12.1997 Magisterprüfung im Hauptfach Geschichte. 28.3.1998 Magister Artium. 22.12.2003 Rigorosum.