Technische Dokumentation: Technikvermittlung zwischen Hersteller und Anwender Christian Kerst* Nr. 60 / Oktober 1996 Arbeitsbericht ISBN 3-930241-68-4 ISSN 0945-9553 ___________________ * Dr. Christian Kerst • Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg • Bereich Technik, Organisation, Arbeit Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg Industriestr. 5, 70565 Stuttgart Tel.: 0711/9063 - 0, Fax: 0711/9063 - 299 Die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg gibt in loser Folge Aufsätze und Vorträge von Mitarbeitern sowie ausgewählte Zwi- schen- und Abschlußberichte von durchgeführten Forschungsprojekten als Arbeitsberichte der Akademie heraus. Diese Reihe hat das Ziel, der jeweils interessierenden Fachöffentlichkeit und dem breiteren Publikum Gelegenheit zu kritischer Würdigung und Begleitung der Arbeit der Akademie zu geben. Anregungen und Kommentare zu den publizierten Arbeiten sind deshalb je- derzeit willkommen. Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 3 Inhalt Verzeichnis der Tabellen und Übersichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5 1 . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .7 2 . Technikdokumentation als Vermittlung komplexer Technik – Annahmen und Fragestellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8 3 . Vorgehensweise und verwendete Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 4 . Technische Dokumentation bei Technikherstellern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 4.1. Gestiegene Bedeutung der Technischen Dokumentation – quantitativ. . . . . . . . 18 4.2. Gestiegene Bedeutung der Technischen Dokumentation – qualitativ. . . . . . . . . 19 4.3. Die Kosten der Technischen Dokumentation.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 4.4. Organisatorische Zuordnung der Technischen Dokumentation.. . . . . . . . . . . . . . . 24 4.5. Die Kooperation der Technischen Dokumentation mit der Entwicklung und anderen betrieblichen Funktionsbereichen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 5 . Die Bedeutung der Technischen Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 5.1. Kriterien für die Erstellung der Technischen Dokumentation aus Sicht der Technikredakteure .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 5.1.1. Der Nutzungsbezug der Technischen Dokumentation .. . . . . . . . . . . . . . 38 5.1.2. Kriterium Regelungsangemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 5.1.3. Kriterium Technikangemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 5.2. Qualitätssicherung in der Technischen Dokumentation.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 5.3. Die Bedeutung der Technischen Dokumentation für die Techniknutzung. . . . 49 5.4. Die Bedeutung der Technischen Dokumentation für die Technikhersteller. .53 4 Christian Kerst 6 . Strukturelle und technische Entwicklungen in der Technischen Dokumentation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 6.1. Technische Dokumentation als externe unternehmensbezogene Dienstleistung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 6.2. Einsatz von Informations– und Kommunikationstechniken in der Technischen Dokumentation.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 7 . Verberuflichung und Arbeitsmarkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 7.1. Exkurs über die im Rahmen des Projekts durchgeführte Absolventenanalyse bei Fortbildungsträgern.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 7.2. Qualifikationen der Technikredakteure.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 7.3. Berufliche Tätigkeitsfelder in der Technischen Dokumentation .. . . . . . . . . . . . . 71 7.4. Aus– und Weiterbildung in der Technischen Dokumentation: Die Situation in Baden-Württemberg.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 7.5. Verberuflichung der Technischen Dokumentation?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 8 . Schlußfolgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 5 Verzeichnis der Tabellen und Übersichten Tabelle 1: Vorqualifikation der Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Tabelle 2: Vorqualifikationen der Teilnehmer in den verschiedenen Kursen. . . . . . . . . . . 70 Tabelle 3: Vermittlung in eine Tätigkeit in der Technischen Dokumentation. . . . . . . . . . . 72 Tabelle 4: Tätigkeitsfelder der Fortbildungsabsolventen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Tabelle 5: Beruflicher Status .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Tabelle 6: Regionaler Verbleib der vermittelten Absolventen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Übersicht 1: Zwei Modelle zur Erstellung Technischer Dokumentationen .. . . . . . . . . . . . . . . 28 Übersicht 2: Initiativen und Angebote zur Aus– und Fortbildung in der Technischen Dokumentation in Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 7 1 . Einleitung In diesem Text stellen wir die Ergebnisse einer Studie über die Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung vor. Technische Dokumentation (abgekürzt: TD) ist – jedenfalls in ihrer sich abzeichnenden verberuflichten Form – eine relativ neue Funktion im Kontext der Produkt– und Technikentwicklung. Ihr Gegenstand ist die mediatisierte Kommunikation über Technik. Zur technischen Dokumentation zählen neben Handbü- chern, Bedienungs– und Reparaturanleitungen, Ersatzteilkatalogen und Systemreferenzen auch Schulungs– und Vertriebsunterlagen. Diese Dokumente werden vielfach noch in gedruckter Form vertrieben. Daneben werden in zunehmenden Maß auch elektronische Medien in der Technischen Dokumentation genutzt. Zur Technischen Dokumentation zählen deshalb inzwischen auch Online-Hilfen, Online-Dokumentationen oder interaktive Anleitungen. Uns interessierte, wie und warum sich diese neue berufliche Funktion entwickelt hat, nach welchen Kriterien sie ihre Aufgabe erfüllt und welche Bedeutung sie für die Tech- nikherstellung und die Technikanwendung spielt. Dabei standen Produkte mittlerer Se- riengröße im Vordergrund, die für die baden-württembergische Industrie bedeutsam sind: Maschinen und Software. Vorgegangen wurde vorwiegend qualitativ, indem betriebliche Experten und Praktiker sowie Vertreter von Bildungseinrichtungen in offenen Interviews befragt wurden. Nicht zuletzt die Kooperationsbereitschaft des tekom-Vorstandes und der tekom-Regionalgruppe Stuttgart haben zum Erfolg des Projekts beigetragen. Allen, die sich für ein Interview zur Verfügung gestellt haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Ein Projektbeirat hat die Arbeiten des Projekts hilfreich und kritisch begleitet. Dafür dan- ken wir den Mitgliedern Hans-Hinrich Dölle, Zürich, Prof. Dr. Jörg Hennig, Hamburg, Prof. Dr. Gerhard Krüger, Karlsruhe und Prof. Dr. Britta Schinzel, Freiburg. Im Rahmen des Projekts fand am 10. Mai 1996 ein Workshop zum Thema "Technische Dokumentation in Industrie und Handwerk nutzen" statt. Den ca. 50 Teilnehmern und Teilnehmerinnen wurden dort die Ergebnisse des Projekts vorgestellt. Außerdem erläu- terten Vertreter baden-württembergischer Technikhersteller, wie und warum sie Nutzen aus einer nutzergerechten Technischen Dokumentation ziehen. Die Beiträge dieses Work- shops sind in schriftlicher Form zugänglich. Die Präsentation "Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung" kann bei der Akademie bestellt werden. 8 Christian Kerst 2 . Technikdokumentation als Vermittlung komplexer Technik – Annahmen und Frage- stellungen Die Technische Dokumentation ist eine neue, auf die Vermittlung von Technik in Nut- zungskontexte gerichtete Funktion. Technikhersteller beschäftigen in zunehmendem Maße Spezialisten (z.B. Technikredakteure), die technische Produkte beschreiben und deren Handhabung erklären. Diese Funktion, die sich zu einem eigenständigen Berufsbild zu verdichten scheint, ist in doppelter Weise auf Technik bezogen und damit aus der Per- spektive der Technikfolgenabschätzung interessant. Zum einen kann ihre Herausbildung selbst als eine Technikfolge gelten. Denn komplexe technische Geräte, vielfach pro- grammgesteuert, stellen höhere Anforderungen an die Vermittlungsleistungen der Her- steller. Zum anderen ist die Arbeit der technischen Redakteure auf Folgen und Vorausset- zungen des Technikeinsatzes bezogen. Maßstab für technische Dokumentationen ist u.a. ihre Nutzungsangemessenheit. Die Anleitungen und Beschreibungen sollen sich an den Bedingungen der erwartbaren Nutzungskontexte orientieren und auf verschiedene Nutzergruppen abgestellt sein. In dieser knappen These liegen eine Reihe von Annahmen und Fragen verborgen, die zu erläutern sind, bevor ich die Ergebnisse der Untersuchung vorstellen kann. Eine erste Annahme besteht darin, daß es ein Vermittlungsproblem von Technik gibt. Dieses Problem hängt ursächlich damit zusammen, daß Technik nie gänzlich autonom funktionieren und wirken kann, sondern immer auf menschliche Intervention angewiesen ist und dabei verschiedene Nutzungsmöglichkeiten bietet (Mayntz 1991: 48), zwischen denen Technikhersteller wie Anwender zu wählen haben. Der Gebrauch von Technik konstituiert somit unvermeidlich ein soziales Verhältnis, denn Technik ist immer Träger von Erwartungen und Erwartungserwartungen. Der Technikhersteller geht von bestimm- ten Nutzungswünschen und -vorstellungen aus, die Techniknutzer wiederum besitzen Erwartungen an die Technik. "Der reale Betrieb von Maschinen basiert auf technischen Reziprozitäten: In jeder Maschinerie sind 'Modelle' von Nutzern und Betreibern realisiert, und umgekehrt" (Joerges 1989: 71). Daraus leitet sich ein Bedarf an Vermittlung ab: ver- mittelt werden müssen die jeweiligen Modelle, die wechselseitige Erwartungen von Nut- zern und Herstellern implizieren. Zu vermitteln sind ebenso Kenntnisse über Vorausset- zungen und Folgen der Techniknutzung. Auf die Lösung und Bearbeitung des Vermitt- lungsproblems sind eine Vielzahl gesellschaftlich-institutioneller, organisationaler und Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 9 individueller Prozesse und Strukturen gerichtet. Nur ein Teil der Vermittlungsprozesse ist in "reiner" Form auf die Technikvermittlung gerichtet, etwa in Form der direkten Unter- weisung in der Handhabung eines Geräts, die das Ergebnis der Arbeit technische Redak- teure ist. Ein anderer Teil der Vermittlungsleistung wird als intendierte oder nicht- intendierte Folge in anderen Zusammenhängen erbracht – etwa im Bildungssystem, in der Familie oder durch die Massenmedien. Die gesellschaftlich etablierten Vermittlungsstrukturen und -prozesse sind Gegenstand des sozialen Wandels, wobei Veränderungen der Technik einerseits (also: Innovationen), gewandelte Nutzungsformen und -bedürfnisse andererseits Auslöser und Antreiber sol- chen Wandels sind. Insofern gilt uns die Etablierung der Technischen Dokumentation als ein Hinweis auf geänderte Vermittlungserfordernisse von Technik. Für die Anbieter von Technik bedeutet das, erhöhte Aufwendungen zur Technikvermittlung zu erbringen. Die erbrachten Vermittlungsleistungen werden für ihre Produkte und deren Vermarktung be- deutsamer. Die Qualität der Vermittlung wird zu einem der Maßstäbe für die Qualität des Produkts. Technikvermittlung kann so zu einem Faktor im Wettbewerb und für den Er- folg von Innovationen werden. Eine zweite Annahme für die Untersuchung der technischen Dokumentation liegt darin, daß das Vermittlungsproblem mit den Merkmalen der Technik variiert. Technik ist in un- terschiedlicher Weise erklärungsbedürftig. Wir gehen davon aus, daß besondere Vermitt- lungsbemühungen in solchen Fällen erforderlich sind, in denen ein Benutzer mit compu- tertechnisch erzeugten Informationen oder einer Programmsteuerung konfrontiert wird und/oder vom Benutzer erzeugte Informationen in einem Computersystem weiterverar- beitet werden. Mit dieser Definition wird eine große Gruppe von Techniken abgegrenzt, zu der etwa Textverarbeitungs– und andere Anwendersoftware, CNC-gesteuerte Laser- schneidmaschinen und andere Werkzeugmaschinen, Telefonanlagen, BDE– oder PPS- Systeme, gehören. Man kann sie zusammenfassend als programmgesteuerte Techniken bezeichen. Es gehören sowohl Stand-alone-Lösungen dazu, die häufig prinzipiell Be- standteil größerer datentechnischer Systeme sein können wie beispielsweise eine CNC- gesteuerte Werkzeugmaschine, als auch vernetzte informationstechnische Systeme. Wir nehmen an, daß gerade derartige Technik besonders erklärungsbedürftig ist. Die Begründung dafür lautet, daß die von der Technik repräsentierte Handlungsorientie- rung sich nicht von selbst erschließt. Joerges weist (unter Bezug auf Tolman und Bruns- wik) darauf hin, daß "jede Sache prinzipiell mehrdeutig" ist, indem sie auf verschiedene in sie hinein und aus ihr heraus weisende Kausalbeziehungen bezogen werden kann (1989: 61). Für programmierbare Techniken gilt, daß sie auf weitaus mehr (potentiell 10 Christian Kerst realisierbare) Kausalbeziehungen verweisen als traditionelle Techniken. Sie verlangen daher vom Nutzer "in der Regel mehr praktische und interpretative Anschlußleistungen" (ebd.: 79). Dies kann als eine Situation des Erklärungsbedarfs und erhöhter Kommunika- tionsanforderungen gedeutet werden (vgl. auch Braczyk 1993; Tacke/Borchers 1993). Der notwendige Erklärungsbedarf bedeutet, daß die Nutzung der Technik auf begleitende Kommunikation angewiesen ist. Diese Kommunikation kann direkt mit dem Produkt ver- bunden sein und entweder mediatisiert oder unmittelbar verlaufen (Beispiel für ersteres: Handbuch, für letzteres: Schulung). Neben diesen relativ produktnahen Formen ist noch auf Kommunikation über Technik in einem weiteren Sinne hinzuweisen, wie sie etwa im Bildungssystem, unabhängig von einem konkreten Produkt stattfindet. Auch die Kom- munikation in den Massenmedien und innerhalb sozialer Bewegungen leistet einen, aller- dings schwer meßbaren Beitrag zur Vermittlung und Erklärung von Technik. Welche Merkmale sind es, die für die programmgesteuerten Techniken das Vermittlungs- problem besonders akzentuieren? Einschränkend ist hinzuzufügen, daß es hier vor allem um den Technikeinsatz in Arbeitssituationen geht. • Anwendungsoffenheit und Flexibilität: Für die Technik gilt dies Merkmal in be- sonderem Maße aufgrund ihrer Programmierbarkeit. Nicht nur lassen sich pro- grammgesteuerte Technikkomponenten in bestehende Techniken integrieren, sondern in vielen Fällen bieten sie dem Anwender auch die Option individueller Konfiguration und Anpassung. Programmgesteuerte Artefakte determinieren – wie andere Technik auch – ihre Nutzungsformen nicht. Sie sind flexibel einsetz- bar und werden in verschiedenen Organisationen unterschiedlich genutzt (Lutz 1983: 172f; Schmidt 1989: 239f). Zahlreiche industriesoziologische Studien zei- gen, daß ihre Nutzung in hohem Maße organisationsspezifische Lösungen und Adaptionsbemühungen hervorbringen (muß) (vgl. z.B. Behr u.a. 1991; Ort- mann u.a. 1990; Bergstermann/Brandherm-Böhmker 1991). Ihre Flexibilität kann sich im Hinblick auf das Produkt ebenso erweisen wie auf den Prozeß. Sie bieten damit die Möglichkeit, früher für unvereinbar gehaltene Anforderungen gleichzeitig zu verfolgen, z.B. flexible und kundennahe Fertigung im industriel- len Maßstab (vgl. Rammert/Wehrsig 1988) als "Maßanfertigung in der Massen- fertigung" (Haberer 1989). • Vernetzung: Einzelne Anwendungen können zu komplexen vernetzten Systemen kombiniert werden, die betriebsweit, unternehmens- oder konzernweit, regional, national oder international gespannt sind und Individuen oder Organisationen Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 11 miteinander verbinden. Dadurch erweitert sich der Bereich, innerhalb dessen In- formationen prozessiert werden, mit den Folgeproblemen der Formalisierung und Mediatisierung (Braczyk 1993; Tacke/Wehrsig 1992). Die Planung der Ver- netzung und ihre Handhabung bedeuten eine eigenständige Herausforderung für Organisationen (Sydow/Windeler 1994). • Eng damit zusammen hängt die Integration verschiedener Anwendungen: Durch die digitale Basis der Technik ist es möglich, Informationen aus sehr unter- schiedlichen Bereichen miteinander zu verknüpfen (z.B. Maschinendaten, Auf- tragsdaten und Personalinformationen in der fertigenden Industrie; Texte, Grafi- ken und Bilder in der Druckindustrie; Sprachinformation und Bilddaten bei ISDN-Anwendungen; Texte und kaufmännische Daten in einer integrierten An- wendungssoftware). Das erhöht die Komplexität der Technik, weil eine größere Zahl von Informationen aus unterschiedlichen Quellen verarbeitet wird. Ihr Lei- stungs- und Funktionsumfang kann dadurch zunehmen. Zugleich ergibt sich der auf den ersten Blick paradoxe Effekt, daß trotz einer zunehmenden Technisie- rung der Kommunikation die Bedeutung personaler Kommunikation nicht ab-, sondern zunimmt (Braczyk 1993). Komplexe technisierte Kommunikationszu- sammenhänge sind mit einem "erhöhten Deutungs- und Kommunikationsbedarf über die rationalisierte Arbeit und über die Funktionsvoraussetzungen und - weisen von IuK-Technologien selbst" verbunden (ebd.: 321). Die informations- technische Integration unterschiedlicher Anwendungsfelder steigert den Deu- tungsbedarf ebenfalls. • Ein weiteres Merkmal besteht darin, daß sich programmgesteuerte Techniken nicht nur in quantitativer Hinsicht stark verbreiten und verschiedenste Anwen- dungsfelder erobern, sondern daß es innerhalb der Organisationen zu einer Durchdringung aller Hierarchieebenen und Funktionsbereiche mit Information- stechnik kommt. Ein großer Teil aller Arbeitsplätze ist mit programmgesteuerten Applikationen ausgestattet (was die Tätigkeitsanalysen des IAB auf einer sehr allgemeinen Ebene seit Jahren erweisen; vgl. z.B. Stooß/Weidig 1986). Das be- deutet eine große Bandbreite an Nutzern mit unterschiedlichen Qualifikationen, die die Technik erlernen und handhaben müssen. Zielgruppen für die technische Dokumentation differenzieren sich aus. Diese Merkmale der Technik schärfen das Vermittlungsproblem von Technikherstellung und Nutzung in sachlicher wie sozialer Hinsicht. Wegen der Komplexität der Produkte und zum Teil auch aufgrund der Neuheit der Technik und der noch nicht erfolgten Reakti- on gesellschaftlicher Institutionen (etwa des Bildungssystems) ist von einem erhöhten 12 Christian Kerst Erklärungsbedarf bei der Nutzung von Informationstechnik auszugehen. Anwendungsof- fenheit und Vernetzbarkeit lassen die Vielfalt der programmgesteuerten Komponenten, mit denen Techniknutzer in Berührung kommen, ansteigen. Die Technik ist nicht, oder allen- falls zum Teil selbsterklärend. Auch wenn durch die Vereinfachung der Bedieneroberflä- che oder des Produktdesigns der explizite Erklärungsbedarf sinkt, bleibt doch der in der Oberfläche oder dem Design enthaltene Aufwand an Vermittlung zu leisten, durch den der Benutzer – bis auf Ausnahmesituationen wie z.B. Störungen – in vielen Situationen entla- stet wird. Außerdem geht vereinfachte Bedienung nicht selten mit einer Zunahme der Ge- rätefunktionen einher, wodurch erneut Erklärungsbedarf entsteht. Der Erklärungsbedarf für programmgesteuerte Produkte ist beim beruflich-gewerblichen Einsatz solcher Technik ebenso gegeben wie bei ihrer privaten Nutzung, z.B. von Gerä- ten der Unterhaltungselektronik. Im Projekt stand allerdings Technik im Vordergrund, die vorrangig in Arbeitssituationen eingesetzt wird, wo der Druck auf eine erfolgreiche Tech- niknutzung sicherlich am stärksten ist. Technik wird hier zum Gegenstand von Kommu- nikation, wenn es um Neuanschaffung, Implementation und Anpassung von Konfigura- tionen, um die Techniknutzung im Produktions- oder Dienstleistungsalltag oder die Stö- rungsbeseitigung geht. Die Technische Dokumentation entwickelt sich, so die Annahme, in bezug auf den Erklä- rungsbedarf und das Vermittlungsproblem von Technik. Dies wirkt sich einerseits in der konkreten Tätigkeit der Technikredakteure aus, die ihren Platz in den Organisationen der Technikhersteller finden müssen. Andererseits bekommt die Technische Dokumentation für die technikherstellenden Unternehmen insgesamt eine höhere Bedeutung. Die Ver- marktung der Technik ist ohne produktbezogene Dienstleistungen wie die Technische Dokumentation schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Damit ist das Innovations- und Vermarktungsproblem für die Hersteller angesprochen. Der Technikeinsatz beim Anwen- der ist von einem erhöhten Bedarf an organisationaler Flexibilität geprägt, dem die Her- steller durch komplexere Produkte nachkommen, mit der Folge einer Verschärfung des Vermittlungsproblems. Zugleich sind die Hersteller mit der Anforderung konfrontiert, schnell und innovativ auf sich wandelnde Marktumwelten zu reagieren. Mithin steigen die Anforderungen an rasche, zuverlässige und korrekte Einführung und Handhabung von Technik. Über die Relevanz der Technischen Dokumentation für die Anwender bekommt sie somit eine bedeutsamere Position in den Entwicklungsprozessen der Hersteller, da sie einen essentiell gewordenen Produktbestandteil beisteuert. Es müßte sich also eine Verän- derung des Status der Technischen Dokumentation bei den Technikherstellern beobachten lassen. Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 13 Schließlich ist auf eine herstellerexterne Quelle für den Bedeutungszuwachs der Techni- schen Dokumentation zu verweisen, nämlich Regulierung durch Gesetze, Verordnungen und Normen. Hierbei stehen allerdings weniger die Besonderheiten programmgesteuerter Arbeitsmittel im Vordergrund, sondern Aspekte der Produkthaftung und des Arbeits- schutzes. Damit sind die Elemente einer dritten Annahme umrissen. Technische Dokumentation findet in einem mehrdimensionalen Raum statt. Technikredakteure sind Akteure in einem ökonomischen Umfeld, die sich unter dem Einfluß von staatlicher und verbandlicher Re- gulierung um die nutzergerechte Gestaltung der Technischen Dokumentation bemühen. Dementsprechend können die Dimensionen der Technikangemessenheit, der Nutzungsan- gemessenheit und der Regelungsangemessenheit der Technische Dokumentation unter- schieden werden. Damit ist die Qualität der Technischen Dokumentation von mehreren Kriterien abhängig. Aus diesen Überlegungen ergeben sich eine Reihe von Fragen, denen wir in dem Projekt nachgegangen sind. Allgemein ist zu prüfen, ob es Belege für die Hypothese zunehmen- den Erklärungsbedarfs komplexer Technik gibt und ob sich ein Zusammenhang zum Ausbau der Technischen Dokumentation feststellen läßt. Weiterhin stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis Vermittlungsproblem, Markt- und Innovationsproblem sowie der Aspekt der Regulierung empirisch stehen, welche Bedeutung ihnen für die Technische Dokumentation beizumessen ist. Und schließlich stellen sich die Fragen nach Folgen und Voraussetzungen des Ausbaus der Technischen Dokumentation im Hinblick auf die Quali- fizierung und das quantitative Ausmaß dieser Dienstleistung, sowohl innerbetrieblich als auch bezüglich des Beschäftigungspotentials. Die Fragestellungen lassen sich somit drei Komplexen zuordnen, die mit den Begriffen Organisation, Techniknutzung und Techni- sche Dokumentation sowie Verberuflichung, Qualifizierung und Arbeitsmarkt überschrie- ben sind. Organisation: Technische Dokumentation ist eine Funktion, die Technikhersteller im Kontext der Pro- duktentwicklung organisatorisch verankern müssen. Welche Aufgaben übernimmt die Technische Dokumentation und wieviel Ressourcen werden in diese Funktion gesteckt? Wer arbeitet in der Technischen Dokumentation, welche Qualifikationen haben die Be- schäftigten dort? In welcher Weise ist die Technische Dokumentation auf die Produktent- wicklung bezogen? Wird die Technische Dokumentation in die Produktentwicklung inte- griert oder bleibt sie nachgeordnete Aufgabe? Welches Verhältnis besteht zwischen Tech- nischer Dokumentation und Entwicklung, zwischen Technischer Dokumentation und an- 14 Christian Kerst deren betrieblichen Funktionsbereichen? Gibt es Wechselwirkungen und gegenseitige Beeinflussung oder wird das dokumentiert, was an anderer Stelle entwickelt wurde? Techniknutzung und Technische Dokumentation: Letztlich stellt sich für die Hersteller die Frage nach der Wettbewerbs- und Marketingrele- vanz der Technischen Dokumentation. Um dies abzuschätzen, sind sowohl die Erstellung der Technischen Dokumentation als auch ihre Rezeption zu berücksichtigen. Vermittlung, Markt bzw. Innovation und Regulierung als unterschiedliche Referenzpunkte für die Technische Dokumentation werfen die Frage danach auf, welche Kriterien für die TD- Erstellung relevant sind und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Welche Rele- vanz- und Qualitätskriterien bringt die Technische Dokumentation in den Prozeß der Pro- duktentwicklung ein? Von Interesse ist, ob sich in der Technischen Dokumentation bereits ein berufliches Selbstverständnis institutionalisiert hat, das nach dem Selbstverständnis der tekom in Richtung "Technische Dokumentation als Anwalt des Nutzers" gehen müßte. Was läßt sich über die Bedeutung der Technischen Dokumentation für die Nutzer sagen, auch im Vergleich mit anderen Vermittlungsformen? Haben die Akteure in der Techni- schen Dokumentation hierüber Wissen? Wie gelangen Sie an Erkenntnisse über die Tech- niknutzung und welche Rolle spielen diese dann für die Technische Dokumentation und die Produktentwicklung? Verberuflichung, Qualifizierung, Arbeitsmarkt: In diesem Fragenkomplex stellen sich zum einen Fragen nach der Entstehung eines neuen Berufs Technikredakteur, wobei vor allem interessiert, ob man von einer neuen berufli- chen Funktion sprechen kann und aus welchen Qualifikationsbeständen sie gespeist wird. Zum anderen richten sich Fragen auf den Stand der Aus- und Weiterbildung in der Tech- nischen Dokumentation. Hierbei spielen regionale Aspekte eine Rolle. Beides kann dazu beitragen, das Beschäftigungspotential der neuen Funktion zumindest grob abzuschätzen. Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 15 3 . Vorgehensweise und verwendete Daten Die Studie sollte ein neues Themenfeld aufschließen. Aus diesem Grund wurde vorwie- gend qualitativ vorgegangen1, d.h., Interviews mit Experten und betrieblichen Akteuren durchgeführt. Damit lassen sich selbstverständlich keine repräsentativen Aussagen tref- fen. Wohl aber können typische Situationen, Argumentationen und Konstellationen iden- tifiziert werden. Und nicht zuletzt können unsere Annahmen und Fragen einem Plausibi- litätstest unterzogen werden2. Die trotz dieser Einschränkungen erwartbaren Ergebnisse geben damit eher eine Richtung an, weniger die konkrete Ausprägung von Merkmalen. Sie könnten nun in einem nächsten Schritt durch ein Repräsentativität anstrebendes Vor- gehen verfeinert und überprüft werden. Den Ausführungen liegen 34 Interviews zugrunde. In acht Unternehmen des Maschinen- baus und vier Unternehmen der Branchen Software und Telekommunikation wurde re- cherchiert. Dazu fanden zehn Interviews mit Dienstleistern aus der Technischen Doku- mentation (TD-Dienstleister) statt. Acht Gespräche beschäftigten sich mit der Aus- und Weiterbildung, eines mit der Zertifizierung Technischer Dokumentationen. Außerdem wurden sechs Technikanwender von drei Herstellern (Software, Maschinenbau und Ma- schinenkomponenten) befragt, je zwei pro Hersteller3. Eine tabellarische Übersicht der Interviews befindet sich im Anhang. In den Herstellerunternehmen und bei den Dienstlei- stern sind insgesamt mehr als 250 Beschäftigte in der Technischen Dokumentation tätig. Die Hersteller und TD-Dienstleister sind mit je zwei Ausnahmen in Baden-Württemberg angesiedelt. Das Sample umfaßt größere und kleinere Hersteller sowie Unternehmen und Selbständige als Dienstleister. Abgesehen davon, daß mit einem qualitativen Vorgehen Repräsentativität nicht angestrebt werden soll, wäre angesichts des Informationsstandes 1 Die ursprünglich geplante schriftliche Befragung von Technikredakteuren wurde, auch auf den Rat des tekom-Vertreters im Projektbeirat hin, erst einmal nicht durchgeführt. Insbesondere die Mitglie- der der tekom sind in den letzten Jahren mehrfach um die Beantwortung von Interviewbögen gebe- ten worden, vor allem für studentische Abschlußarbeiten (z.B. Alexa 1989), was die erwartbare Rücklaufquote sicherlich gesenkt hätte. Daneben gibt es bereits eine größere quantitative Untersu- chung (Befragung von Unternehmen) an der TU Berlin, deren Ergebnisse bisher leider nur aus- schnitthaft veröffentlicht wurden (Bock 1994). 2 Dazu trägt in einem zweiten Schritt auch die Präsentation und Diskussion der Ergebnisse mit Ver- tretern von Technikherstellern und aus der Technischen Dokumentation bei. 3 Das ergibt zusammen 37. In drei Gesprächen ging es um zwei Themen: Technische Dokumentation als Dienstleistung und Qualifizierung. 16 Christian Kerst über die Technische Dokumentation auch eine geschichtete Stichprobe schwierig zu kon- struieren gewesen. Wir haben uns lediglich auf die beiden Wirtschaftszweige Maschinen- bau und Software beschränkt sowie die Berücksichtigung verschiedener Betriebsgrößen angestrebt. Ziel bei der Auswahl der Interviewpersonen war es, sowohl den Alltag der Technischen Dokumentation zu erfassen als auch, Informationen über innovative TD- Konzepte zu erhalten. Letzteres macht eine gezielte und bewußte Auswahl nötig. Im Schneeballverfahren wurde daher versucht, Hinweise auf Redaktionen zu bekommen, die dem zweiten Kriterium entsprechen. Darüber hinaus wurden Mitglieder der tekom- Regionalgruppe Stuttgart zur Beteiligung aufgefordert. Mit den dadurch zustandegekom- menen Interviews wurden auch weniger elaborierte, zum Teil gerade in der Entwicklung steckende Dokumentations-Abteilungen in das Sample aufgenommen. Durch diese Vorgehensweise ist zu vermuten, daß die Situation in der Technischen Do- kumentation positiv überschätzt dargestellt wird. Die meisten Interviewpartner waren über ihre betriebliche Funktion hinaus in ihrem Beruf engagiert, sind etwa als Mitglieder in der tekom präsent. Zum Teil war dieser Bias erwünscht, soweit es um die Identifikation zu- kunftsweisender TD-Konzepte ging. Bei der Interpretation von Aussagen ist er zu be- rücksichtigen. Eine Ausgangsannahme war, daß sich die Technische Dokumentation für verschiedene Seriengrößen unterscheidet. Die Produkte der einbezogenen Technikhersteller umfassen eine Bandbreite von kleinen bis großen Serien. Auch die kundenindividuellen Maschinen und Anlagen bestehen aus einer Reihe von Modulen, die jeweils in kleinen Serien herge- stellt werden. Produkte aus der Massenfertigung werden nur von einem Komponenten- hersteller gefertigt, die interessanten und anspruchsvollen Dokumentationen werden aber auch hier eher im Bereich kleiner und mittlerer Stückzahlen von besonders komplexen Komponenten erstellt. Großserien- und Massenproduzenten gehören außerdem zu den Auftraggebern einiger befragter Dienstleister. Die Produkte, die Thema in den Interviews waren, werden überwiegend in Arbeitskontexten eingesetzt. Soweit es sich um Maschi- nen und Anlagen dreht, besitzen fast alle eine elektronische Steuerung und eine Software- Schnittstelle gegenüber dem Nutzer. Eine zweite Datenquelle bilden die Teilnehmerunterlagen von zwei Fortbildungsanbietern im Bereich der Technischen Dokumentation. Die Akten von ca. 350 Fortbildungs- absolventen (zum Technischen Redakteur, Technischen Illustrator und zum "Informationstechnologen Multimedia") zwischen Ende der 80er Jahre und 1995 werden analysiert. Die Daten geben Auskunft über: die Vermittlungsquote, die regionale Herkunft Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 17 und den regionalen Verbleib der Absolventen, ihre berufliche Vorqualifikation sowie ih- ren beruflichen Verbleib nach Branchen bzw. Status. Natürlich wurden auch vorhandene Studien zur Technischen Dokumentation, relevante Literatur und andere schriftliche Materialien zur Kenntnis genommen und auf unsere Fra- gestellungen hin ausgewertet. 18 Christian Kerst 4 . Technische Dokumentation bei Technikherstellern 4.1 . Gestiegene Bedeutung der Technischen Dokumentation – quantitativ Die These, daß sich die Bedeutung der Technischen Dokumentation in den letzten Jahren erhöht hat, bestätigen die durchgeführten Gespräche in quantitativer wie qualitativer Hin- sicht. Übereinstimmend berichten alle befragten Experten, daß der betriebliche Stellenwert der Technischen Dokumentation in den letzten Jahren zugenommen hat. Es waren die achtzi- ger Jahre, in denen sich in den Hersteller-Unternehmen etwas getan hat. In den meisten Firmen hat es in dieser Zeit eine Umstrukturierung gegeben, mit der die Neugründung einer TD-Abteilung verbunden war. Dies läutete in der Regel den Abschied vom nebenbei schreibenden Konstrukteur oder Entwickler ein. Seitdem haben sich die Abteilungen per- sonell deutlich vergrößert. In größeren Maschinenbauunternehmen, mit mehr als 1000 Beschäftigten, existieren heute Abteilungen von mehr als 20 Beschäftigten, die mit Tech- nischer Dokumentation befaßt sind. In keinem Fall wird davon berichtet, daß der Auf- wand für die Dokumentation gesunken ist. Zwar wurden einige Abteilungen bei Herstel- lern im Laufe der Zeit wieder umorganisiert und dabei teilweise auch verkleinert. Zu be- rücksichtigen ist dabei aber, daß in diesen Fällen verstärkt auf Technische Dokumentation als externe Dienstleistung gesetzt wird. Der Aufwand insgesamt ist also auch in diesen Fällen gestiegen. Einen ähnlichen Aufschwung haben die für TD-Dienstleister zu verzeichnen. Zwei größe- re dieser Unternehmen, gegründet 1987 und 1983, beschäftigen inzwischen über 30 Mit- arbeiter. Übereinstimmend stellen alle befragten Dienstleister fest, daß die Geschäftsent- wicklung in den letzten Jahren relativ positiv war. Sie blieb relativ zufriedenstellend auch während der Rezession Anfang der neunziger Jahre. Bisher sind die Zuwächse bei den Dienstleistern nur zum Teil auf Outsourcing bei den Herstellern zurückzuführen. Beide Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 19 Seiten, Hersteller und TD-Dienstleister, verzeichnen einen realen Beschäftigungszuwachs in den letzten 10 Jahren. Auf den Personalbedarf in der Technischen Dokumentation weisen indirekt zwei weitere Entwicklungen hin. Zum einen sind die guten Vermittlungschancen für Absolventen von Fortbildungskursen zum Technikredakteure und Technikillustrator zu erwähnen. Etwa zwei Drittel der Absolventen werden nach Abschluß der Maßnahmen auf dem Gebiete der Technischen Dokumentation tätig (vgl. dazu unten Kap. 7.3). Zum anderen zeigt die ständig steigende Mitgliederzahl der tekom auf inzwischen mehr als 2.500, daß sich im- mer mehr Personen dem Berufsfeld der Technischen Dokumentation zurechnen. Die absolute Zahl der in Deutschland in der Technischen Dokumentation Beschäftigten zu bestimmen, ist hier nicht möglich. Als eine Größenordnung bietet sich an, das Verhältnis von Entwicklungs- bzw. Konstruktionspersonal und TD-Personal zu betrachten. In den befragten Unternehmen stellt die Technische Dokumentation zur Zeit einen Anteil zwi- schen 5 und 15 % am Entwicklungspersonal, wobei die Mehrzahl Anteile zwischen 7 und 12 % angibt. Die Schwankungsbreite hängt vor allem mit dem Aufgabenumfang der Technischen Dokumentation zusammen. Werden etwa von einer Redaktion ausschließlich die Benutzerhandbücher geschrieben, während die Systemhandbücher weitgehend von den Entwicklern verfaßt werden, so liegt der Personalanteil an der unteren Grenze. Ein größerer Aufgabenumfang korreliert dementsprechend mit einem höheren Anteil. Insge- samt steht die Technische Dokumentation damit für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Ausgaben in den konstruierenden und entwickelnden Bereichen. Hierzu lassen sich aller- dings keine Verlaufsaussagen machen (dazu wären umfangreiche Recherchen in Perso- nalabteilungen nötig gewesen). 4 .2 . Gestiegene Bedeutung der Technischen Dokumentation – qualitativ Das offenkundige Wachstum der mit der Technischen Dokumentation befaßten Zahl von Personen findet seine Entsprechung in der Ausdehnung der Aufgabenfelder. Längst wer- den nicht allein Bedienungsanleitungen und nutzerorientierte Handbücher von den Tech- nikredakteuren konzipiert, geschrieben und redigiert. Andere Aufgaben und Dokument- Arten, die in Technischen Redaktionen erstellt werden, umfassen: 20 Christian Kerst • Ersatzteil- und Produktkataloge • Aufbau- und Aufbauvorbereitungsanweisungen • Schulungsunterlagen • Vertriebsunterlagen, z.B. Angebote • Produktinformationen • Wartungs- und instandhaltungsrelevante Dokumente • Online-Hilfen • Gestaltung von interaktiven Anleitungen und Lernmitteln (CD-ROM) • Bezeichnungen auf Benutzeroberflächen und Menüs festlegen • Kooperation mit Übersetzern und externen Dienstleistern • Entwicklung von Konzepten zur modularen Dokumentation. Bei den TD-Dienstleistern kommen weitere Aufgaben hinzu, wie die Beratung von Kun- den beim Aufbau und der technischen Ausstattung einer eigenen Dokumentation, die Be- ratung von Kunden bezüglich der Umsetzung gesetzlicher Anforderungen oder die Erar- beitung von Redaktionskonzepten. Der Zuschnitt der Aufgaben ist in den verschiedenen Unternehmen sehr unterschiedlich, ebenso wie die Spannweite des Aufgabenumfangs. Der Aufbau von mehr TD-Kapazitäten hängt in der Wahrnehmung der Praktiker in der Technischen Dokumentation eng mit dem allgemein umfangreicher gewordenen Aufgabenkanon zusammen. Mit zwei Argumenten begründen die Redakteure den Ausbau der Technischen Dokumentation: zum einen Kun- denanforderungen an bessere Dokumentation, zum anderen die erhöhten gesetzlichen Anforderungen. Beides wird etwa gleich häufig genannt. Es sind also nicht nur verbindli- che rechtliche Anforderungen, die wirksam werden. Diese haben aber zweifellos eine starke Wirkung und werden vor allem im Maschinenbau als Ursache verstärkter Bemü- hungen um die Technische Dokumentation genannt. In fast jedem Gespräch wurde über Fälle berichtet, in denen Anwender wegen mangelhafter oder fehlender Dokumentation nicht gezahlt oder mit der Zahlungszurückhaltung gedroht haben. Insbesondere die seit Januar 1995 geltende EG-Maschinenrichtlinie und die CE-Kennzeichnungspflicht für Maschinen und Anlagen haben die Anforderungen an die Hersteller erhöht und den Tech- nikanwendern mehr Rechte gegeben. Viele TD-Dienstleister haben davon profitiert, weil zahlreiche kleinere und mittlere Maschinenbauunternehmen ohne eigene Kompetenz in der Technischen Dokumentation dadurch ihren plötzlichen Bedarf an professionell erstellter Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 21 Dokumentation befriedigen konnten. Die herstellerinternen TD-Abteilungen sind mit dem Inkrafttreten dieser Regelungen ebenfalls verpflichtet, die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Auf der anderen Seite wird vielfach auf wahrgenommene Kundenanforderungen hinge- wiesen, die – ohne auf rechtliche Regelungen zu rekurrieren – den Ausbau der Techni- schen Dokumentation befördert haben. Dieses Argument spielt nicht nur in den Unter- nehmen eine Rolle, die von den rechtlichen Regulierungen nicht oder nur am Rande be- troffen sind, z.B. Komponentenhersteller oder Software-Firmen. Auch im Maschinenbau werden Kundenwünsche nach verständlicher Dokumentation registriert. Die gestiegene Komplexität der Produkte, im Maschinenbau vor allem der Steuerungen, wird als weiterer Grund für erhöhte Anstrengungen in der Technischen Dokumentation genannt. Schließ- lich sind die Vermeidung von Schäden und Gefährdungen zu nennen, denen mit einer verbesserten Dokumentation begegnet werden soll, wobei sowohl artikulierte Anforde- rungen von Kunden als auch der prophylaktische Schutz vor den Folgen der Produkthaf- tung eine Rolle spielt. Aber nicht nur äußerer Druck, sei es durch Kundenanforderungen oder Regulation, führt zum Ausbau der Technischen Dokumentation. Auch herstellerinterne Faktoren spielen eine Rolle. Dies zeigt sich daran, daß die Technische Dokumentation in starkem Maße auch herstellerinterne Zielgruppen anspricht. Service und Vertrieb sind die wichtigsten internen Leser der Dokumente, teilweise werden auch Schulungsunterlagen von der Technischen Dokumentation erstellt. In einigen Fällen sind die internen Zielgruppen sogar deutlich wichtiger als die externen. Dies ist dann der Fall, wenn es sich um komplexe Produkte handelt, bei denen bereits der kundenspezifische Vertrieb und die kundenspezifische Installation entscheidend sind. Hier erfolgt eine intensive Betreuung des Beschaffungsprozesses und der Inbetriebnahme durch den Hersteller. Seitens des Anwenders kommen in der Implementationsphase und im späteren Betrieb nur wenige Systembetreuer mit der komplexen Steuerungsebene des Produkts in Kontakt (z.B. bei großen Telekommunikationsanlagen oder umfangreichen betriebswirtschaftlichen Softwareinstallationen). Erste Adressaten der Technischen Do- kumentation sind das Vertriebspersonal und die Kundenbetreuer. Erstere müssen nicht nur über den Leistungsumfang informiert werden, sondern auch in der Lage sein, den Anwender bei der Konzeption zu unterstützen sowie frühzeitig über technische Details geplanter Neuerungen zu informieren. Zu diesem Zweck werden teilweise von der Tech- nischen Dokumentation technische Produktinformationen für den Vertrieb erstellt. Die Anwendungsbetreuer erhalten die notwendigen Informationen zur Inbetriebnahme, Pro- 22 Christian Kerst grammierung und Fehlersuche aus der meist umfangreichen Technischen Dokumentation. Zusammen mit den Systembetreuern des Anwenders bilden sie die Benutzergruppe mit den komplexen Bedienungsaufgaben. Die Technische Dokumentation für die einfachen Nutzer ist hingegen wesentlich dünner; bei den betriebswirtschaftlichen Softwarepaketen erstellen die Anwender sogar oft eigene Dokumentationen für ihre Nutzer, weil hier bis hin zur Oberflächengestaltung vieles individuell eingestellt werden kann. Die Technische Dokumentation des Herstellers dringt deshalb bis zum einfachen Nutzer gar nicht vor. Eine weitere wichtige interne Zielgruppe sind schließlich die Service-Techniker, die für Wartung oder Instandhaltung auf Informationen angewiesen sind. Wo interne Zielgruppen für die Technische Dokumentation eine wichtige Rolle spielen, gerät diese häufig zugleich in eine zentrale betriebliche Position, gemäß der hohen Be- deutung der Technischen Dokumentation für den Vertrieb und die Inbetriebnahme der Produkte. 4 .3 . Die Kosten der Technischen Dokumentation Welcher Ressourcenaufwand wird für die Technische Dokumentation betrieben? Zu die- sem Aspekt lassen sich kaum gesicherte und einfach zu vergleichende Aussagen treffen. Die Bandbreite der Berechnungen und Schätzungen schwankt sehr stark, ebenso die her- angezogenen Vergleichsmaßstäbe und Berechnungsgrundlagen. Typisch ist, daß in den meisten Fällen lediglich Schätzungen über die Kosten der Techni- schen Dokumentation vorliegen. Von den internen Abteilungen arbeitet keine als Profit- Center. In einigen Fällen werden die geschätzten Aufwendungen für Technische Doku- mentation als Kosten in den Entwicklungsantrag eingestellt, aber auch dann erfolgt nicht unbedingt eine strenge Nachkalkulation des tatsächlichen Aufwandes. Das entscheidende Kriterium für die Technische Dokumentation ist ganz eindeutig ihre rechtzeitige Fertig- stellung. Die meisten Schätzungen der internen TD-Abteilungen nehmen die Entwicklungskosten zum Vergleichsmaßstab. Hier schwanken die geschätzten Anteilswerte zwischen 5 und 30 % an den Entwicklungskosten, wobei meistens der Anteil am Entwicklungspersonal als Schätzgröße dient. In einigen Fällen läßt sich auch der Anteil an den Produktkosten bezif- Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 23 fern. So hat in einem kleinen Maschinenbauunternehmen der Technikredakteur einmal versucht, die Dokumentationskosten pro Maschine zu berechnen. Für sämtliche mitgelie- ferten Dokumente kommt er bei vorsichtiger Schätzung, einem Maschinenpreis von 50.000 DM und einigen hundert produzierten Maschinen während des Produktlebenszy- klus auf mehr als 1.000 DM, also mindestens 2 % des Verkaufspreises. Bei einem Soft- warehersteller werden die Handbücher seit einiger Zeit nur noch als kompletter Satz abge- geben. Der Preis dafür beträgt ca. 1.000 DM und ist nach Ansicht des Technikredakteurs eher "ein politischer Preis", der unter den faktischen Kosten liegt. Das Basismodul der Software kostet 10.000 DM, voll ausgebaute Versionen kommen auf einige 10.000 DM. Im ungünstigsten Fall zahlt der Kunde also 10 % des Anschaffungspreises für die Doku- mentation (alternativ können die Dokumente aber auch selbst ausgedruckt werden, aller- dings nicht in der Handbuchqualität). Wie wenig klare Vorstellungen über die Kosten der Dokumentation bei Herstellern mit- unter bestehen, zeigt ein weiteres Beispiel, das von einem TD-Dienstleister berichtet wird: In einem Maschinenbaubetrieb meinte der Inhaber, daß die in der Maschinenkalkulation angesetzte Summe für die maschinenspezifische Anpassung der Dokumentation (4.000 DM) zu hoch sei. Eine vom Dienstleister durchgeführte Analyse ergab jedoch, daß in der Vergangenheit pro Maschine mehr als das Zehnfache, nämlich 50.000 DM aufgewendet worden waren. Die Tendenzen zum Outsourcing der Technischen Dokumentation haben die herstellerex- ternen TD-Dienstleister stark begünstigt. Diese sehen ihren Vorteil in der Zulieferbezie- hung darin, daß sie den Hersteller mit klar kalkulierten Kosten konfrontieren. Nachforde- rungen lassen sich dann jedoch nur schwer durchsetzen. Es entsteht das in interaktiven Entwicklungsprozessen typische Zurechnungsproblem: welcher Anteil der eventuell zu- sätzlich entstehenden Kosten liegt in der Verantwortung des Kunden, welcher in der des Dienstleisters. Meist mischen sich intern und extern erbrachte TD-Leistungen, so daß auch bei Inanspruchnahme eines Dienstleisters die Interviewpartner bei den Herstellern den Gesamtanteil der Technischen Dokumentation an der Entwicklung nur schätzen kön- nen. Trotzdem zeigt sich auch ohne genaue, vielfach ja auch nur scheingenaue Kosten- rechnungen, daß bereits erhebliche Ressourcen in die Technische Dokumentation fließen (müssen). Indirekt zeigt sich dies auch an der Entwicklung der Personalbestände. Interne Abteilun- gen und Dienstleister zeigen einen relativ starken Zuwachs während der letzten Jahre, der auch in der Rezession allenfalls zu einer Stagnierung geführt hat. Bemerkenswert ist 24 Christian Kerst auch, daß in den Rezessionsjahren die Vermittlungsquote fortgebildeter Technikredakteu- re nur wenig zurückging (dazu ausführlich unten Kapitel 7.3). Ähnlich schwierig wie der Kostenaufwand ist der Nutzen der Technischen Dokumentati- on zu schätzen. Harte, quantifizierbare Zahlen lassen sich hier nur selten nennen. In eini- gen Fällen ließen sich sehr starke Rückgänge (um 70 bis 90 %) bei der Nutzung der Hot- line beobachten, nachdem die Technische Dokumentation überarbeitet worden war. Ande- re Nutzenpotentiale für Hersteller (etwa Einsparungen bei Garantieleistungen) und Kun- den (bessere Nutzung der Leistungspotentiale, schnellere Implementation, Qualifizierung, Fehlersuche oder Reparatur) sind hingegen weitaus schwieriger zu beziffern. Dies ist nicht nur bei den hier befragten Unternehmen zu beobachten, sondern auch das Ergebnis einer Studie der amerikanischen STC (Society for Technical Documentation). Dort wer- den zur Bestimmung des Nutzens als wichtig angeführt: "Kosteneinsparungen beim Sup- port, Aussagen der Anwender über die Zufriedenheit mit spezifischen Informationspro- dukten, nachweisliche Leistungssteigerung der Anwender dank besserer Informations- produkte" (Krause 1995: 67). Den vielfach nur qualitativ interpretierbaren Anwenderaus- sagen kommt also zentrale Bedeutung zu. 4 .4 . Organisatorische Zuordnung der Technischen Dokumen- tation Bei einer neu entstehenden beruflichen Funktion ist mit einer Vielzahl an Modellen für ihre organisatorische Integration zu rechnen. Verschiedene Aspekte der Technischen Do- kumentation lassen sich unterschiedlichen, bereits bestehenden Bereichen zuordnen, was einer eindeutigen organisatorischen Einbindung entgegensteht. Zum einen besteht eine starke prozessuale Bindung an den Entwicklungsprozeß, zum anderen beinhalten die er- stellten Dokumente Aspekte des Marketing und der Unternehmensdarstellung, zum dritten sind sie vielfach für die Vertriebsaktivitäten von Bedeutung. Ebenso wie in der Untersu- chung von Bock (1994) zeigt sich deshalb die erwartete Mannigfaltigkeit in der organisa- torischen Zuordnung der Technischen Dokumentation bei den untersuchten Herstellern. In den Maschinenbauunternehmen bildet die Technische Dokumentation mit zwei Aus- nahmen jeweils eine eigene Abteilung. Diese TD-Abteilungen wiederum gehören mehr- heitlich zu technischen Bereichen, in manchen Fällen direkt zum Entwicklungsbereich, in Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 25 andern zu den technischen Diensten. In einem Fall (Int. 20) hat die Technische Doku- mentation im Laufe ihres Bestehens den Bereich gewechselt und gehört nunmehr zum Vertrieb. Das spiegelt nach Ansicht der Technikredakteure den Wandel ihres Selbstver- ständnisses mit dem Übergang von der Entwickler- zur Anwenderdokumentation wider. Zwar beschreiben Redakteure aus anderen Betrieben ebenfalls einen solchen Wandel im Selbstverständnis, der jedoch nicht zu organisatorischen Umstrukturierungsmaßnahmen führte. Nur in zwei kleineren Maschinenbaubetrieben bildet die Technische Dokumentati- on keine eigene organisatorische Einheit. In einem Fall (Int. 16) ist sie gerade dabei, sich als eigene Funktion aus der Softwareentwicklung "herauszuentwickeln". In einem ande- ren gehört die Technische Dokumentation zum technischen Büro. Es ist deutlich erkenn- bar, daß in den Maschinenbauunternehmen die Tendenz besteht, die Technische Doku- mentation in die bestehende organisatorische Gliederung als eine weitere Funktion einzu- bauen. Damit wird dazu beigetragen, das Muster fachlich-funktionaler Versäulung in den Unternehmen zu reproduzieren. Wir werden sehen, welche Folgen dies für die Integration der Technischen Dokumentation in die Entwicklungsprozesse haben kann. In den Unternehmen aus der Softwareherstellung ist die Situation anders. Dort sind die Technikredakteure wesentlich stärker in die Entwicklungsabteilungen integriert. In zwei Fällen sogar soweit, daß sie keine eigenständige organisatorische Einheit mehr bilden, sondern permanent einem Kreis von Entwicklern zugeordnet sind. Zwar gibt es gelegent- liche Treffen aller Technikredakteure, auf denen etwa Redaktionsrichtlinien festgelegt werden oder über verwendete Tools informiert wird. Kleine Stabsabteilungen für Techni- sche Dokumentation bereiten die notwendigen Vereinbarungen vor, entscheiden über Tools und unterstützen die Redakteure fachlich durch Qualifizierung und Informationen. Die Technische Dokumentation wird hier also als ausdifferenzierte Entwicklungsfunktion betrachtet. Die meisten der befragten Dienstleister berichten ebenfalls, daß ihre Ansprechpartner in den Entwicklungsbereichen angesiedelt sind, wenn nicht eine eigene Redaktion die Ko- operation mit dem Dienstleister organisiert. Auf unterschiedliche Weise ist somit eine Nähe der Technischen Dokumentation zu den Entwicklungsbereichen festzustellen. Dies spiegelt sicherlich auch noch die Tatsache wi- der, daß in den meisten Unternehmen die Technische Dokumentation vor ihrer Verselb- ständigung Aufgabe des Entwicklungsbereichs war und sie sich von dort aus entwickelt hat. 26 Christian Kerst 4 .5 . Die Kooperation der Technischen Dokumentation mit der Entwicklung und anderen betrieblichen Funktions- bereichen Während die strukturelle organisatorische Einbindung der Technischen Dokumentation für die Gesprächspartner kein besonders wichtiges oder konfliktuelles Thema ist, kommt der Einbettung der Technischen Dokumentation in die betrieblichen Prozesse entscheiden- de Bedeutung zu. Welche Folgen hat die festgestellte organisatorische Nähe der Techni- schen Dokumentation zum Entwicklungsbereich? Wie ausgeprägt ist die Integration der Technischen Dokumentation in die Entwicklungsprozesse? Vor allem die Kooperation der Technischen Dokumentation mit den Entwicklungs- und Konstruktionsabteilungen ist eine der Schlüsselfragen, denn Entwickler bzw. Konstrukteure bilden die wichtigste In- formationsquelle für die Technische Dokumentation. Die Restrukturierung von Entwicklungprozessen wird derzeit als ein wichtiger Beitrag für den Anstoß und die Effektivierung von Innovationsprozessen gesehen. Verbesserte Auf- nahme von Kundenwünschen und Entwicklung neuer Anwendungen, die Zusammenfüh- rung bisher getrennter Wissenbestände und die Kooperation verschiedener unterneh- mensinterner wie -externer Akteure in den Entwicklungsvorhaben (Stichwort: Simultane- ous Engineering) sollen über erfolgreiche Innovationen den Markterfolg von Unterneh- men sichern. Wie wird hiervon die Technische Dokumentation berührt? Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß wir es bei der Fokussierung auf die Technische Dokumentation durchweg mit einer sehr anwendungs- und produktnahen Form der Ent- wicklung zu tun haben. Die Technische Dokumentation beschreibt vielfach gar keine gänzlich neuen Produkte, sondern Varianten oder Weiterentwicklungen bereits bestehen- der Produkte. Die Arbeit der Redakteure ist meistens auf einen permanent laufenden Ent- wicklungsprozeß bezogen, der sich in einzelne Aufträge, Produkte, Module, Releases oder Projekte gliedert. Nur selten müssen vollkommen neue Produkte dokumentiert wer- den. Dies gilt eingeschränkt auch für die Dienstleister, denn diese etablieren zum einen längerfristige Kooperationen mit einzelnen Kunden, sind also in deren inkrementale Ent- wicklung des Produktprogramms einbezogen. Zum anderen spezialisieren sie sich oft auf einzelne Technikbereiche. Man kann also davon ausgehen, daß die Technikredakteure im Laufe der Zeit – vergleichbar den Entwicklern – eine gewisse Affinität und Vertrautheit mit den zu dokumentierenden Gegenständen gewinnen. Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 27 Technische Dokumentation und Entwicklung: Separation oder Integration? Die Rolle der Technischen Dokumentation im Entwicklungsprozeß kann man zwischen zwei idealtypisch überspitzten Modellen angesiedelt sehen. Auf der einen Seite steht die streng funktional gegliederte Form der Entwicklung, die man etwa als Separationsmodell bezeichnen könnte. Die einzelnen Funktionsbereiche, wie Vertrieb, Marketing, Software- entwicklung, Konstruktion, Fertigung und Technische Dokumentation, arbeiten nachein- ander oder nebeneinander an Entwicklungsprojekten. Ein Masterplan bestimmt festgelegte Schnittstellen für Informationen. Die Technische Dokumentation erhält hier Kenntnis vom fast fertigen Produkt und beschreibt dieses. Sie ist der Entwicklung zeitlich nachgeordnet. Je nach Art des Produkts ist der Anteil der in der Technischen Dokumentation selbst er- stellten Dokumente eher gering. Vor allem bei komplexen Techniken gehen von den Ent- wicklern erstellte Teile in die Technische Dokumentation ein (etwa in den Ersatzteilkatalog oder den "Referenzteil" des Handbuchs), die dort auf die Einhaltung der gesetzlichen An- forderungen und betrieblicher Vorgaben kontrolliert werden und ggfs. durch weitere, anwendungsnahe und nutzerorientierte Dokumente ergänzt werden. Die Technische Do- kumentation bleibt eine der Entwicklung äußerliche Dienstleistungsfunktion, die für die Erfüllung ihrer Aufgaben auf dem Wege der Einweg-Kommunikation mit Informationen versorgt wird. Für das andere Extrem böte sich das Label des Integrationsmodells an. Zwar beruht auch dieses Modell auf einer Funktionsspezialisierung, Unterschiede liegen aber in der Organisation der Kommunikationsflüsse und der zeitlichen Strukturierung des Prozesses. Der Entwicklungsprozeß ist stärker projektförmig organisiert. Die beteiligten Funktionsbereiche definieren das Entwicklungsprojekt aus vorgegebenen Rahmenzielen und etablieren einen für Rückkopplungen offenen Prozeß. Insbesondere bringen sie ihre jeweiligen Umweltwahrnehmungen (des Marktes bzw. der Kunden, der rechtlichen Si- tuation usw.) in das Projekt ein, die dann gemeinsam kommuniziert und auf ihre Relevanz hin befragt werden. Außerdem findet ein ständiges Prozeßmonitoring durch die Beteilig- ten statt. Der Technischen Dokumentation kommt in dem Modell nicht nur die Dokumen- tation vorgegebener Technik zu, sondern auch die vermittelnde Rückkopplung zwischen Anwendern und Entwicklern, die Beratung der Entwickler hinsichtlich vermittlungs- freundlicher Technikgestaltung oder die Kooperation mit anderen Dienstleistungsberei- chen wie Schulung oder Vertrieb. Entwicklungsverläufe, die denen des Separationsmodells stark ähneln, lassen sich in den Daten kaum auffinden. Keine der herstellerinternen TD-Abteilungen ist in dieser Weise nachrangig an den Entwicklungen beteiligt. Dienstleister berichten allerdings darüber, daß vor allem kleinere Maschinenbauunternehmen, die nicht durchgehend entwickeln, son- dern lediglich in Abständen mit neuen oder veränderten Produkten auf den Markt kommen 28 Christian Kerst und deshalb keine eigene Technische Dokumentation vorhalten, in der Tendenz diesem Typ zuneigen. Überrascht stellt man in diesen Unternehmen fest, meist am Ende einer Produktentwicklung, kurz vor Auslieferung der Maschine, daß die Technische Doku- mentation bislang vergessen oder vernachlässigt wurde und möglichst schnell zu erstellen sei. Mit möglichst wenig Aufwand soll dann eine regelungskonforme Technische Doku- mentation erstellt werden, wobei ein expliziter Anwenderbezug vom Technikhersteller oftmals als überflüssig betrachtet wird, was die Erstellung einer CE-gerechten Dokumen- tation erschwert. Ein Dienstleister berichtete von handfesten Konflikten, die seine Vor- schläge hinsichtlich Produktsicherheit und TD-Gestaltung in Einzelfällen auslösen. Übersicht 1: Zwei Modelle zur Erstellung Technischer Dokumentationen Bei den meisten TD-Dienstleistern und in den Herstellerunternehmen kommen solche krassen Konflikte nicht vor. Allerdings bedeutet dies nicht, daß sich hier bereits einhellig der Integrationstyp von Entwicklung durchgesetzt hat. Aber die meisten der Hersteller scheinen auf dem – mitunter steinigen – Wege zu einer stärker integrativen Produktent- wicklung zu sein. Voraussetzung und Folge gleichermaßen ist die Aufwertung der Funk- tion Technische Dokumentation. Dabei meint Aufwertung nicht allein die Anerkennung der Wichtigkeit der Technischen Dokumentation, etwa durch konstruierende Ingenieure, sondern auch die selbstbewußte Aufwertung der eigenen Position durch die Technische Dokumentation selbst. Am Beispiel des Informationsflusses läßt sich dieser parallele Pro- zeß der Bedeutungsaufwertung verdeutlichen. Informationen fließen reibungsloser, wenn der informierende Teil eine sinnvolle Verwen- dung erkennen kann. Nur unter dieser Voraussetzung wird der erforderliche Aufwand Separationsmodell Integrationsmodell • Arbeitsfunktionen sind sequentiell angeordnet. • Projektförmige Organisation mit zeitli- cher Überlappung der verschiedenen Arbeitsfunktionen. • Technische Dokumentation ist der Ent- wicklung nachgeordnet. • Technische Dokumentation wird früh- zeitig in die Entwicklung einbezogen. • Einweg-Kommunikation von der Ent- wicklung zur Dokumentation • Rückkopplung zwischen den verschie- denen beteiligten Bereichen. • geringer Nutzerbezug • hoher Nutzerbezug Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 29 betrieben; das Informieren abteilungsexterner Akteure (wie z.B. der Technischen Doku- mentation) kostet Ressourcen und erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit von Nachfragen und Diskussionen oder läßt Vorschläge entstehen, die wiederum Arbeit machen usf. Die Restrukturierung des Informationsflusses kann jedoch die Technische Dokumentation nur begrenzt in den Entwicklungsprozeß einbinden. Grund dafür ist das, was F. Weltz als "Doppelwirklichkeit" des Unternehmens bezeichnet (Weltz 1991). Die formalen und die informalen Strukturen eines Unternehmens, etwa im Hinblick auf den Informationsfluß, sind nicht eindeutig aufeinander bezogen. Das bedeutet, "moderne", auf Transparenz und Synergie angelegte Informationsstrukturen der ersten, formalen Ebene der organisatori- schen Realität werden nur dann auf der zweiten, informalen Ebene widergespiegelt, wenn die erwartete Verhaltensumstellung Legitimation besitzt. Für die Technische Dokumenta- tion ist es daher notwendig, nicht nur als notwendiges Übel anerkannt zu werden (dabei hilft sicherlich der Zwang der gesetzlichen Regelungen), sondern darüber hinaus als sinn- volle produktbezogene Dienstleistung. Dafür kommt es entscheidend darauf an, ob ande- ren Akteuren im Unternehmen verdeutlicht werden kann, welchen Nutzen sie aus der Arbeit der TD-Abteilung und den ihnen abverlangten Beiträgen beziehen können. Auf dem Wege dazu sind die TD-Abteilungen in den befragten Unternehmen sehr unter- schiedlich weit fortgeschritten, so daß von einer generellen, selbstverständlichen Integra- tion der Technischen Dokumentation in den Entwicklungsablauf noch keine Rede sein kann. Ein von den Technikredakteuren betontes Mittel zur Aufwertung ihrer innerbetrieblichen Position besteht darin, die selbstbewußte Beschaffung von Informationen zum Bestandteil ihres Selbstverständnisses zu machen. Viele Technikredakteure sehen, daß sie sich aktiv in die Informationsbeschaffung einmischen müssen, um ein Produkt nutzerangemessen, technisch korrekt und gemäß den geltenden Gesetzen und Vorschriften beschreiben zu können, mithin einen eigenständigen Beitrag zum Produkterfolg zu leisten. Diese Tech- nikredakteure berichten darüber, daß die professionelle Konzeption der Technischen Do- kumentation, Erhebung der Informationen und Umsetzung in die Dokumente, basierend auf beruflich angeeigneten Kenntnissen der Technik und/oder langjähriger Erfahrung mit dem Produkt den Respekt von Konstrukteuren und Entwicklern einbringt, die dann be- reitwilliger kooperieren. Entscheidend sei aber – neben technischem Sachverstand und Interesse – die eigene Bereitschaft, sich Informationen zu verschaffen und nicht auf die Informationsleistungen anderer zu warten. 30 Christian Kerst Betriebliche Beispiele und Erfahrungen Ausdruck des noch längst nicht abgeschlossenen Wandels in der Organisation der Pro- duktentwicklung ist, daß sich die Technikredakteure in sehr verschiedenen Positionen im Entwicklungsprozeß befinden. Einige sind bereits sehr weitgehend integriert, andere ha- ben eine Teilintegration erreicht, die vielleicht mit dem Einbahnstraßenbegriff treffend belegt werden kann. Der Informationsfluß von der Entwicklung funktioniert mehr oder weniger gut, eine Wechselseitigkeit in den Beziehungen der Funktionen ist jedoch zumeist nicht erreicht. Es muß hier offenbleiben, ob dies nur ein Durchgangsstadium ist auf dem Wege zum integrativen Typ der Entwicklung. Einige Beispiele verdeutlichen die weitgehende Einbindung der Technischen Dokumenta- tion in die Entwicklung: In einem der Softwareunternehmen (Fall 14) ist die Integration der Technischen Dokumentation in die Entwicklung weit fortgeschritten. Hier sind die Technikredakteure direkt den Entwicklungsteams zugeordnet. Eine eigene organisatori- sche Einheit Technische Dokumentation besteht nicht, mit Ausnahme einer kleinen Sup- port-Einheit, die neue Tools testet und einführt, die Technikredakteure entsprechend schult und für den Redaktionsleitfaden zuständig ist. Die Redakteure in den Entwick- lungsteams sind von Beginn an in die Entwicklung eingebunden. Sie arbeiten bereits sehr früh mit dem sich langsam entwickelnden System und sind somit die ersten beta-Tester4 der Software. Dabei achten sie auch darauf, daß die Oberfläche einheitlich gestaltet wird, zum Beispiel im Hinblick auf die verwendeten Begriffe. Ebenso können sie frühzeitig auf Abläufe hinweisen, die umständlich und schlecht zu beschreiben sind. Im Gegensatz zu den Entwicklern, die meist nur ihren speziellen Teil des Programms im Blick haben, überschauen die Technikredakteure das gesamte Programm. Durch die Vielfalt ihrer Auf- gaben kommen die Redakteure in eine zentrale Position. Sie erstellen nicht nur die Doku- mentation und die Online-Hilfe, sondern dokumentieren den Fortgang der Entwicklung, was etwa für den Vertrieb oder die Schulungsreferenten von großem Interesse ist. Diese kommen über die Technische Dokumentation rechtzeitig an wichtige Informationen für ihre Aufgaben heran. Ein solch hoher Status der Technischen Dokumentation hängt für die befragten Technikredakteure von zwei Faktoren ab: Zum einen ist wichtig, welchen Stellenwert der jeweilige Leiter der Entwicklergruppe der Technischen Dokumentation beimißt. Zum anderen ist entscheidend, ob es den Technikredakteuren gelingt, "kommunikative Kompetenz" zu zeigen. Das bedeutet, den Stellenwert der Technischen 4 Als beta-Tester werden in der Softwareentwicklung die ersten Anwender eines neuen Programms außerhalb der Entwicklung bezeichnet. Im Gegenzug zur frühen Verfügung über das Programm wird erwartet, daß die beta-Tester Fehler und Mängel an die Entwickler zurückmelden. Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 31 Dokumentation klarzumachen, nicht zuletzt, indem ein klares Konzept von Technischer Dokumentation entwickelt, kommuniziert und umgesetzt wird. Bei einem Maschinenhersteller hat sich der Stellenwert der Technischen Dokumentation im Zuge des gesamten Entwicklungsprozesses gewandelt. Der Leiter der Redaktion be- schreibt die Situation so: "Es ist inzwischen völlig selbstverständlich, daß bei Entwick- lungsgesprächen ein Technikredakteur mit am Tisch sitzt und sich entwicklungsbegleitend informiert. Dadurch wird gewährleistet, daß dann, wenn die erste Maschine in den Markt geht, die Kundendokumentation vorliegt und im Vorfeld bereits eine Vertriebsinformation stattgefunden hat. Heute ist das selbstverständlich und wird als sehr hilfreich von den Entwicklern angesehen, was vor fünf oder sechs Jahren noch nicht der Fall war. Ich möchte mal sagen: Da war für die Mehrzahl der Entwickler noch gar nicht klar, wo ei- gentlich die Technische Dokumentation sitzt und was sie genau macht. Um diesen Wandel zu erreichen kam es zunächst darauf an, sich in die Informationswege einzuschalten. Weiterhin war zu zeigen, daß es zum Selbstverständnis der Abteilung gehört, terminge- recht eine gute Arbeitsgrundlage abzuliefern. Und natürlich spielt der Bedarf der Kunden, des Vertriebs oder des Service an Informationen eine wichtige Rolle, mundgerecht aufbe- reitete Informationen, so wie sie der Kundenmitarbeiter oder der Vertriebsmann benöti- gen." Er betont, daß diese Entwicklung Folge eines wesentlich veränderten Entwick- lungsprozesses ist. "Statt einer Folge von Nacheinander-Entwicklungen haben wir jetzt von Beginn an ein Entwicklungsteam, in dem neben dem mechanischen Konstrukteur auch der Softwareentwickler, der Experte für Programmiersysteme, die Technische Do- kumentation und die Fertigung mit am Tisch sitzen" (Int. 11). Dies ist auch formal fest- gelegt in den Ablaufschemata für die Produktentwicklung im Hardware- wie im Soft- warebereich. Die Technische Dokumentation ist aber nicht nur in die einzelnen Entwick- lungsvorhaben eingebunden, sondern in die Produktplanung und Produktbeobachtung. Dafür bestehen regelmäßig tagende Produktteams, die sich generell mit der Weiterent- wicklung einer Produktgruppe befassen. Ein drittes Beispiel bietet ein mittelständischer Anlagenbauer. Dort ist die Technische Do- kumentation Bestandteil der Unternehmens-EDV, gehört also nicht zur Entwicklung. Die dahinter stehende, zum Teil bereits realisiert Idee ist es, die Technische Dokumentation zur zentralen betrieblichen Informationsbasis zu machen. Diese bereits deutlich erkennba- re zentrale Position bedeutet, daß die TD-Abteilung die sehr umfangreichen Angebote für die Anlagen erstellt. Diese Angebote wiederum dienen anschließend dazu, die Arbeitsplä- ne für die verschiedenen Abteilungen abzuleiten. Der allergrößte Teil des Angebots ist bereits so gestaltet, daß er auch in die Technische Dokumentation der fertigen Anlage in- tegriert werden kann. Zugleich dient das Angebot dem Kunden bereits als erste Hand- 32 Christian Kerst buch-Version, mit der zum Beispiel schon Schulungen durchgeführt werden können. Die engültige Dokumentation, die durchschnittlich etwa 30 Ordner umfaßt, soll dann parallel zum Konstruktionsverlauf der Anlage erstellt werden. Voraussetzung für die Umsetzung dieser TD-Konzeption ist die konsequente Modularisierung der Informationseinheiten, zu denen nicht nur die TD-Texte gehören, sondern auch CAD-Zeichnungen und Stücklisten. Diese Module müssen dann in der EDV miteinander kompatibel sein, um problemlos zur Technischen Dokumentation montiert werden zu können. An der Realisierung dieser EDV-Basis wird zur Zeit noch gearbeitet. Immerhin kann bereits 95 % der Technischen Dokumentation aus Modulen zusammengestellt werden. Bei der ersten Erstellung und Pflege der Module ist die Kooperation mit der Entwicklung entscheidend, wobei noch Probleme der rechtzeitigen, automatischen Information der TD-Abteilung durch Kon- struktion und Entwicklung bei Veränderungen einzelner Module zu bewältigen sind. Insgesamt zeigen die wenigen untersuchten Betriebe, daß die Integration der Technischen Dokumentation in der Softwareherstellung einfacher und wohl auch weiter verbreitet ist. Einer der Gründe: Die Bedingungen in der Softwareentwicklung erlauben bereits rein technisch, daß die Technikredakteure sich früh mit dem Produkt beschäftigen und daran arbeiten. Es fällt ihnen daher leichter, die Entwicklung des Produkts zu verfolgen und Änderungen zu registrieren. Mit Hilfe EDV-gestützter Dokumentations-Tools und auf- grund der wachsenden Bedeutung von Online-Hilfen und immaterieller Dokumentation auf CD-ROM kann das Problem der zeitlich verzögerten Fertigstellung der Technischen Dokumentation wenn nicht beseitigt, so doch entschärft werden. Im Gegensatz zum Ma- schinenbau ist es in der Softwareentwicklung leichter möglich, die Technische Doku- mentation weitgehend parallel zur Entwicklung zu erstellen. Im Softwarebereich haben die Technikredakteure bereits einige Funktionen übernommen, die früher der Entwicklung zugeordnet waren, etwa die Verantwortung für Menü- und Button-Bezeichnungen oder die Formulierung von Hilfe-Texten, Fehlermeldungen und Warnungen. Daneben machen sie auf unlogische Abläufe aufmerksam und prüfen bei der Arbeit mit dem Programm zugleich dessen Fehlerfreiheit. Im Maschinenbau hingegen scheint die unsystematische und zufällige Bezugnahme auf Schwächen oder Fehler häufiger zu sein. Für beide Berei- che ist jedoch eine oftmals insofern asymmetrische Kooperation zu verzeichnen, als die Entwickler definieren, welche Anregungen und Kritikpunkte sie aufzunehmen bereit sind. Die TD-Abteilung ist dann nicht in der Rolle eines Akteurs mit eigenen Rechten, sondern in der Rolle eines mehr oder weniger akzeptierten Beraters, eines Produkttesters zu einem frühen Zeitpunkt, dessen Anregungen von der Entwicklung aufgenommen werden oder auch nicht. Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 33 Da in keinem Fall die Technische Dokumentation in der Art des Separationsmodells auf die Entwicklung bezogen war, läßt sich auch kein eindeutiges Gegenbeispiel in den Be- trieben anführen. Es gab aber eine Reihe von Kritiken der Technikredakteure an den Ent- wicklern, die dem Tenor folgen: Eigentlich ist eine enge Kooperation mit der Entwicklung vorgesehen, aber deren praktische Realisierung ist mit Problemen behaftet. Dabei liegen die Probleme weniger in der initiativen Informationsphase der TD-Erstellung. Es ist weit- gehend üblich, daß sich in einer relativ frühen Phase der Entwicklung Projektleiter und Technische Dokumentation an einen Tisch setzen und das weitere Vorgehen (Zeitplan und TD-Konzept) abstimmen. In dieser Phase fließen auch erste Informationen von der Ent- wicklung an die Technische Dokumentation, die diese benötigt, um die weiteren Arbeiten vorzubereiten. Schwierigkeiten setzen häufig im Anschluß an diese Phase ein. Diese Pro- bleme gehen auf die Besonderheit des Maschinenbaus zurück, daß nämlich die Maschine erst ganz am Schluß der Entwicklung verfügbar ist und vor allem bei kundenindividuell abgewandelten Einzel- und Sondermaschinen Änderungen noch in letzter Minute vor- kommen können, zum Beispiel in der Montagephase oder während der Abnahme durch den Auftraggeber. Das macht eine prozeßbegleitende Dokumentation ausgesprochen schwierig. Sämtliche Änderungen nachzuvollziehen, ist teuer, zumal oft nicht nur Texte, sondern auch aufwendige Strich- oder Explosionszeichnungen erstellt werden müssen. Pragmatisch behilft man sich damit, die TD-Arbeit auf zwei Zeitpunkte oder Phasen zu konzentrieren: erstens die Entwurfsphase, in der über die Konzeption der Technischen Dokumentation entschieden werden, der absehbare Aufwand geschätzt und die Informati- onssammlung vorbereitet werden kann. Danach ruhen die TD-Arbeiten, bis die Maschine einen sehr weitgehenden Stand erreicht hat. Die Abfassung und Gestaltung der Techni- schen Dokumentation erfolgt dann unter Konzentration der Ressourcen in der letzten Pha- se. Damit besteht das Risiko, daß die Technische Dokumentation nicht zeitgleich mit der Maschine fertig wird, sondern erst später. Da dies wiederum aus ökonomischen und rechtlichen Gründen für den Hersteller nachteilig ist, wird starker Termindruck zum be- herrschenden Kennzeichen der TD-Erstellung im Maschinenbau. Zugleich zeigt sich, warum die Technische Dokumentation in diesem Bereich gegenüber Kommunikations- und Informationsproblemen besonders anfällig ist. Vor dem Hintergrund dieser Situation artikulieren Technikredakteure deutlich vernehmba- re Kritik an der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsabteilungen. Diese bringen gerade für die zwangsläufig am Ende des Entwicklungsprozesses kulminierende Arbeit der Technischen Dokumentation vielfach noch zu wenig Verständnis auf. Kritisiert wird so- wohl der Input der Entwickler in die Technische Dokumentation als auch deren Reaktion auf Anforderungen der Redakteure. Häufig wird angeführt, daß die Entwickler über Än- derungen am Produkt nicht von sich aus informieren. Das konstruktionsbedingte Auswei- 34 Christian Kerst chen auf eine andere Baugruppe als ursprünglich vorgesehen hat etwa Konsequenzen für die Ersatzteilliste. Andere kurzfristig vorgenommene Änderungen sind sogar bedienungs- oder wartungsrelevant und müßten daher in das Bedienungshandbuch aufgenommen werden. Auch die Zusammenstellung wichtiger Informationen für die Technische Doku- mentation und die spätere sachliche Korrektur der Dokumente durch die Entwickler wird von diesen oftmals als ungeliebte zusätzliche Belastung empfunden. Das Vernachlässigen oder gar Ignorieren solcher Pflichten bedeutet für die Technikredakteure wiederum er- höhten Kommunikationsaufwand in einer Phase des Zeitdrucks. Maßnahmen zur Verbesserung der TD-Erstellung Ein deutlich erkennbarer Strang der Diskussion und der Aktivitäten in der Technischen Dokumentation richtet sich aus diesen Gründen darauf, die Organisation des Erstellungs- prozesses der Technischen Dokumentation zu verbessern. Dafür kommen verschiedene Mittel in Betracht: • Avancierte Konzepte versuchen, die Modularisierung der Technischen Doku- mentation voranzutreiben, um vor allem dem Zeitdruck zu begegnen. Vorausset- zung dafür ist zum einen die konsequente Modularisierung der Produkte. Zum anderen kommt einer einheitlichen Informationsbasis in einem Rechnersystem große Bedeutung zu. Allerdings ist zu beachten, daß aufgrund von Wechselwir- kungen zwischen den Modulen der Modularisierung Grenzen gesetzt sind. Au- ßerdem bleibt das Problem der Abhängigkeit der Technischen Dokumentation von der korrekten Information, welche Bauteile und/oder Module verwendet wurden, weiterhin bestehen. • Die Verbesserung der Techniken der Informationserhebung kann über geeignete Frageinstrumente geschehen, läßt sich aber auch computerunterstützt bewerk- stelligen. • Der Einsatz neuer Medien kann ebenfalls die TD-Erstellung in der kritischen Phase der Produktfertigstellung beschleunigen. So lassen sich etwa Videobilder der fertigen Maschine digitalisieren und anstelle von Strichzeichnungen im Handbuch verwenden. Damit können bebilderte Dokumente wesentlich schneller erstellt werden. • In manchen Unternehmen wird versucht, den Entwicklungs- und Produktlebens- zyklus organisatorisch stärker mit der Technischen Dokumentation zu verzah- Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 35 nen, zum Beispiel über definierte Meilensteine. Es bleibt natürlich das Problem, die beteiligten Akteure auf den festgelegten Abstimmungsprozeß zu verpflichten. • Eine andere Möglichkeit dazu besteht darin, Produktverantwortliche zu benen- nen, die verschiedene Aspekte der Produktentwicklung und -vermarktung be- treuen und organisieren. Diese Produktverantwortlichen stammen nicht unbe- dingt aus der Entwicklung und müssen neben der Entwicklung auch deren vor-, neben- und nachgelagerte Umwelt, darunter die Technische Dokumentation, be- achten. Dies kann die Bedingungen für die TD-Erstellung verbessern. • Weitergehende Konzepte sehen vor, bereits in der frühen Phase einer Entwick- lung eine Oberfläche verbindlich zu definieren, von der ausgehend entwickelt wird. Dies wird vor allem für die Steuerungen der Maschinen diskutiert, aber auch für die Gestaltung von Endgeräten der Telekommunikation. Die letzten drei Vorschläge zielen alle darauf, im Sinne des Integrationsmodells die Entwicklung in Abstimmungsprozesse mit anderen Bereichen einzubinden. Ihre Umsetzung bedarf in vielen Fällen des Organisationswandels bzw. des organisatorischen Lernens. Als formale Maßnahmen allein vermögen sie nur wenig auszurichten, um die Qualität der Technischen Dokumentation deutlich zu verbessern. Am Ende dieses Abschnitts ist auf weitere innerbetriebliche Kooperationsbeziehungen der TD-Abteilungen hinzuweisen. Denn neben der Entwicklung arbeiten sie mit weiteren Funktionsbereichen zusammen. In den Maschinenbauunternehmen sind es vor allem die kundennahen Inbetriebnahme- und Service-Techniker, die den Technikredakteuren wich- tige Informationen über die Handhabung der Maschine in der Praxis und auftretende Fehler geben. Mit den Vertriebsabteilungen besteht ebenfalls gelegentlich Kontakt, ebenso wie in die Schulungsbereiche hinein. In einem der befragten Unternehmen des Maschi- nenbaus ist die Technische Dokumentation inzwischen neben der Anwenderdokumentati- on auch für die Service-, Vertriebs- und Schulungsdokumentation komplett zuständig. Auch in der Softwarebranche gibt es derartige Beziehungen zu den kundennahen Funk- tionen. In einer der Firmen bilden die sehr entwicklungsnah agierenden Redakteure für die Kundenberater und Schulungsreferenten die wichtigste Informationsquelle über die neuen Programmversionen. Gerade weil die Technikredakteure noch am ehesten den Überblick über den Gesamtstand der Entwicklungsarbeiten besitzen, werden sie selbst zu wichtigen Informanten für andere. Die Pflege der entsprechenden Informationsbasis könnte sogar zu einer zusätzlichen Aufgabe für die Technische Dokumentation werden. In einigen der Maschinenbauunternehmen sind die TD-Abteilungen mit Projekten zur Neu- gestaltung der Serviceunterlagen beschäftigt. Dabei schlagen sie häufig die Nutzung neuer Medien vor. Mehrfach wurde über die Erprobung von CD-ROM-basierten Service- 36 Christian Kerst Handbüchern berichtet. Diese lassen sich wesentlich leichter aktualisieren und vom Ser- vicetechniker transportieren. Insgesamt werden die Beziehungen zu den kundennahen Abteilungen mehrheitlich positiv geschildert. Man ist weniger aufeinander angewiesen als die Technische Dokumentation auf die Entwicklung, und die Technische Dokumentation befindet sich eher in der Rolle des informationsgebenden Teils. Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 37 5 . Die Bedeutung der Technischen Dokumen- tation als produktbezogene Dienstleistung 5.1 . Kriterien für die Erstellung der Technischen Dokumen- tation aus Sicht der Technikredakteure Bock (1990) unterscheidet zwei Ansätze in der Technischen Dokumentation: "Während beim normativen Ansatz nach der Prüfung auf Vollständigkeit, Korrektheit, Verständlich- keit und der entsprechenden Überarbeitung die Endfassung verabschiedet wird, wird nach dem benutzerorientierten Ansatz die Gebrauchsanleitung durch Benutzertests überprüft und gegebenenfalls mehrfach überarbeitet" (Bock 1990: 9). Der wichtige Unterschied beider Ansätze liegt in dem Stellenwert, der der Rückkopplung zwischen Technischer Dokumentation und Techniknutzern zugewiesen wird. Nach dem häufig zitierten Selbstverständnis der Technikredakteure als "Anwälte der Be- nutzer" wäre zu erwarten, daß der benutzerorientierte Ansatz eine prominente Rolle in der TD-Praxis spielt. In der Berufung auf die Figur des Anwalts drückt sich aus, wo die Technikredakteure ihre besondere Rolle bei der Technikentwicklung sehen. Dies wird auch im Berufsbild der Technikredakteure betont: "Die technische Dokumentation muß für den Anwender verständlich (zielgruppengerecht) abgefaßt sein". Daraus leitet sich ein starker Nutzungsbezug der Technischen Dokumentation her. Wie bedeutsam ist der Nut- zerbezug und welche anderen Kriterien legen die Technikredakteure an ihre Arbeit an? Wir hatten unterschieden zwischen Nutzungsangemessenheit, Regelungsangemessenheit und Technikangemessenheit als Dimensionen technischer Dokumentation. In welchem Verhältnis stehen die Kriterien zueinander? 38 Christian Kerst 5.1 .1 . Der Nutzungsbezug der Technischen Dokumentation Rückt man das Kriterium der Nutzungsangemessenheit in den Vordergrund, so wäre eine besonders intensive Beschäftigung der Technikredakteure mit der Techniknutzung zu erwarten, etwa durch sorgfältige Zielgruppenanalyse oder durch systematische Evaluation der Nutzungsvoraussetzungen und der Nutzungspraxis von Dokumenten. Auch die Ein- bettung der Technischen Dokumentation in den Entwicklungsprozeß wäre für dieses Kri- terium relevant. Als Nutzeranwälte, so lautet dann die Annahme, sind die Technikredak- teure Experten für Nutzungskontexte und besitzen die Fähigkeit, den Aspekt der Nutzer- freundlichkeit auch in den Entwicklungsprozeß einzubringen, ausgehend von der Maxi- me, daß nicht benutzerfreundlich gestaltete Produkte auch durch eine gute Beschreibung nicht besser bedienbar werden. Auch die Tatsache, daß viele Redakteure sich selbst di- stanziert vom Entwicklungsprozeß verorten – sei es von der Ausbildung her, vom berufli- chen Verlauf oder rein funktional -, betont die Orientierung am Nutzer. Die Realisierung eines solchen starken und akzentuierten Nutzerbezugs wird in der Tech- nischen Dokumentation selbst bezweifelt. Und dies nicht nur wegen der geringen Mög- lichkeiten der Technikredakteure, auf die Produktentwicklung selbst zurückzuwirken. Eine deutliche Einschätzung bringt einer der befragten Dienstleister vor: "Die Redakteure sind Anwälte von Leuten, die sie nie gesehen haben. Sie sitzen meistens im Elfenbein- turm" (Int. 5). Die Schilderungen in den Gesprächen mit Technikredakteuren unterstützen dies apodiktische Urteil aber nur zum Teil. Es lassen sich durchaus Bemühungen ver- zeichnen, die Technische Dokumentation den Nutzerbedürfnissen besser anzupassen und den Nutzerbezug als eigenständiges Qualitätskriterium der Technischen Dokumentation zu etablieren. Zuzutreffen scheint aber, daß tatsächlich viele Technikredakteure selten oder gar keinen Zugang zur Techniknutzung haben und nicht wissen, wie die Nutzer mit dem Produkt und der Technischen Dokumentation arbeiten5. Die Nutzungsangemessenheit wird allgemein gefördert dadurch, daß im Umfeld der Technikentwicklung ein Erwartungsdruck hinsichtlich verbesserter Technischer Doku- mentation entsteht. Dem Nutzerbezug kommt etwa in den gesetzlichen Regelungen ein gewisser Stellenwert zu. Denn die EG-Maschinenrichtlinie sieht z.B. vor, daß die Bedie- 5 Auch die Untersuchungen von Alexa (1989) und Gebert (1988) kommen hinsichtlich der Häufigkeit von Nutzungstests zu ähnlichen Ergebnissen. Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 39 nungsanleitung nicht nur in der Sprache des Einsatzlandes abgefaßt sein muß, sondern sich auch in der Verständlichkeit am Bildungsniveau des Adressaten orientieren muß. Auch die für die Erklärung des Ausbaus der Technischen Dokumentation vielfach heran- gezogene Einschätzung, daß viele Kunden der Technikhersteller bessere Technische Do- kumentation verlangten, könnte dem Kriterium der Nutzungsangemessenheit höheren Stellenwert verschaffen. Hingewiesen wird immer wieder auch auf den schlechten Ruf von Bedienungsanleitungen in der öffentlichen Wahrnehmung, der für Hersteller Ansporn ist, es besser zu machen. Die Frage nach dem Nutzungsbezug der Technischen Dokumentation läßt sich jedoch nicht einheitlich beantworten. Denn die Produkte sind verschieden, und damit auch die Zielgruppen der Technischen Dokumentation, wovon wiederum die Verständlichkeit der Texte abhängt (vgl. z.B. Groeben/Christmann 1989). Erste Voraussetzung für den Nut- zungsbezug der Technischen Dokumentation wäre demnach, daß die Technikredakteure ihre Zielgruppen kennen. Die meisten befragten Redakteure bejahen dies. Dabei fällt auf, daß nicht nur externe Nutzergruppen, sondern ebenso interne Zielgruppen der Techni- schen Dokumentation benannt werden. In manchen Fällen dominiert die Bedeutung der internen Zielgruppen der Technischen Dokumentation deutlich (etwa bei dem Hersteller von Telekommunikationseinrichtungen: dort sind es Vertrieb und Service der Großanla- gen, für die hauptsächlich dokumentiert wird). Meist werden verschiedene "Ebenen" oder "Level" der Nutzung unterschieden, für die jeweils besonderes Wissen vermittelt werden muß: einfache Bedienung oder Handhabung auf der ersten Ebene, Einrichten, Einstellen, Konfigurieren, Programmieren, Warten und Instandhalten auf einer zweiten Ebene, In- stallieren, Aufbauen und Montieren auf der dritten. Systematische Zielgruppenanalysen sind jedoch selten. Die Kenntnisse über Zielgruppen stammen entweder aus den Kontakten zu Service– oder Vertriebsleuten, die einen direkten Kundenkontakt haben, oder aus hypothetischen Überlegungen. In einigen Fällen verfü- gen Technikredakteure über Erfahrungen aus früheren Tätigkeiten, etwa in der Schulung oder der Entwicklung, und beziehen von dort Wissen über die Adressaten. Die Verläß- lichkeit des Adressatenwissens ist jedoch zu bezweifeln, denn die meisten der Redakteure geben an, nie oder nur in seltenen Ausnahmen Kontakt zu den Nutzern zu haben. Sie sehen meist nicht, unter welchen Bedingungen die von ihnen erstellten Anleitungen einge- setzt werden und ob ihre Annahmen über die Nutzergruppen zutreffen. Häufig wird zwar der Wunsch geäußert, mehr unmittelbare Eindrücke zu bekommen, was zeitliche und/oder ökonomische Restriktionen oft verhindern. Von den Redakteuren wird dies als ein Defizit ihrer Arbeit gesehen. Viele äußerten den Wunsch, diesbezüglich mehr Möglichkeiten zu bekommen. 40 Christian Kerst Nur in wenigen Unternehmen werden Nutzertests durchgeführt. Sie werden vor allem dann eingesetzt, wenn es sich um eine neue Produktlinie handelt. Dabei reicht die Spann- weite von einfachen "Praxistests", zu denen Kolleginnen, Kollegen, Bekannte und Ver- wandte herangezogen werden, über selbst organisierte Tests und Beobachtungen beim Kunden bis zu Aufträgen an Wissenschaftler. Auch die Prüfungen für das seit kurzem etablierte DOCcert-Gütesiegel von tüv-Südwest und tekom beinhalten einen praktischen Test der Anleitung durch den Gutachter (vgl. z.B. Schock 1994). In Unternehmen, deren TD-Abteilung Nutzertests durchgeführt hat, zeigen sich meist Auswirkungen auf die Technische Dokumentation, insbesondere dann, wenn Externe (Dienstleister, Wissen- schaftler oder DOCcert) beteiligt waren. Die getesteten Anleitungen werden dann zusam- men mit den Verbesserungsanregungen als Muster für die übrigen Anleitungen genom- men, die allmählich umgestellt werden. In mehreren Fällen, sowohl im Maschinenbau als auch in der Softwareherstellung, wur- den Versuche gemacht, die Nutzer zu Rückmeldungen über die Technische Dokumentati- on zu bewegen. Dazu wurden Feed-Back-Formulare in die Handbücher integriert, mit denen Fehler in der Technischen Dokumentation kritisiert und Anregungen gegeben wer- den konnten. Ohne Ausnahme verliefen diese Versuche erfolglos. In keinem Fall kam eine nennenswerte Anzahl von Bögen zurück. Dieser passive Weg, die Qualität der eige- nen Arbeit einschätzen zu lassen, erscheint also nicht gangbar. Eigenes, aktives Testen und Prüfen der Anleitungen ist dadurch nicht zu ersetzen. Im Hinblick auf den Aspekt des nutzungsbezogenen Wissens zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zu den Aus- und Fortbildungskonzeptionen für Technikredakteure. Während der Nutzerbezug, etwa durch Anwendertests und Methoden der Zielgruppenanalyse, in der Aus- und Fortbildung eine wichtige Rolle spielt, spielt dies in der beruflichen Praxis offenbar nur eine untergeordnete Rolle. Wie wird die Technische Dokumentation nutzerbezogen gestaltet? Sie wird vor allem durch Zergliederung auf die verschiedenen Adressaten zugeschnitten. Zumeist wird zwi- schen Bedienungsanleitungen oder Anwenderhandbüchern und den weiteren technischen Dokumenten unterschieden (etwa durch farbliche Trennung oder Aufteilung in verschie- dene Bände). Ein anderer Ansatz, den Nutzerbezug zu erhöhen, besteht im Übergang von einer funktionsorientierten Beschreibung zu einer aufgabenorientierten (vgl. auch Hacker 1990, der von Anleitungen als "tätigkeitsleitenden Texten" spricht). Zumindest die Ein- führungsbücher werden anhand von Beispielaufgaben strukturiert, die so gewählt sein müssen, daß dem Nutzer der Transfer auf die eigene Situation möglich wird. Die Funk- tionen eines Produkts werden also nicht mehr nur isoliert voneinander in Form einer Re- Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 41 ferenz beschrieben (prototypisch hierfür: die Systemreferenz-Handbücher aus der Soft- ware), sondern einem beispielhaften Ablauf zugeordnet. Das Problem besteht darin, ge- eignete Beispiele auszuwählen, denn jeder Nutzer erwartet solche Beispiele, die seine Situation treffen. Hierfür sind Kontakte zu den Nutzern unerläßlich. Die wenigen Gesprä- che mit Nutzern erbrachten, daß gerade diese Teile der Dokumentation – neben den aus- schließlich als Nachschlagewerken fungierenden – intensiv genutzt werden. Wenn Redakteure in der benutzerfreundlichen Gestaltung von Handbüchern einen Schwerpunkt setzen wollten, berichten sie nicht selten von Konflikten. Vertreter anderer Funktionsbereiche oder der Geschäftsleitung stellen den Aufwand in Frage und finden die Handbücher zu umfangreich, mit zuviel Überflüssigem ausgestattet. Die Technikredakteu- re wiederum kritisieren diese Haltung als kurzsichtig, weil damit eine Marketing-Chance verschenkt werde. Die Kritik richtet sich meist auf solche Elemente in den Dokumentatio- nen, die über die Bedienung im engeren Sinne hinausgehen, zum Beispiel in Form tech- nologischer Hintergrundinformationen oder Glossare, die das Produkt und seine Hand- habung in einem weiteren Kontext thematisieren. Die Redakteure argumentieren hier mit dem Zusatznutzen für den Kunden, während Entwicklungsleiter oder Produktverantwort- liche solche ausführlichen Informationen oft für überflüssig halten. Ein Beispiel aus der Meßtechnik verdeutlicht den Konflikt: Hier hatte ein Technikredak- teur, der als Dienstleister mit der Dokumentation betraut war, relativ ausführliche Hinter- grundinformationen und Begriffsklärungen aus der Meßtechnik in die Anleitung eines Meßgerätes integriert. Zwar gehören gerade Ingenieure als Techniknutzer nach den Erfah- rungen des Dienstleisters vielfach zu denen, die lieber ohne Anleitung ausprobieren und die deshalb vorrangig nur die Grenzen des Geräts und die wichtigsten technischen Daten interessieren. Er wisse aber aus Erfahrung auch, daß in manchen Fällen auch Ingenieure die Grundlagen der Meßtechnik nicht beherrschten. Ein ungetrübtes Selbstbild führt aber dazu, daß solche Passagen vom Lektor beim Hersteller, einem Entwickler, aus der Tech- nischen Dokumentation herausgestrichen werden, die manchem Nutzer vielleicht sehr nützlich wären. Aber der Lektor gehe von seinem Ingenieurbild und seinem eigenen Sachverstand aus. Auf diesem Wege wird über das Lektorat der Technischen Dokumen- tation doch wieder eine entwicklungsdominierte Sichtweise übergestülpt. Aus Sicht des Dienstleisters ist in diesem Fall zu empfehlen, das Lektorat in die Hände des Marketings oder des Gesamtprojektleiters zu legen. Auch länder- oder kulturspezifische Anpassungen der Technischen Dokumentation müs- sen die Technikredakteure – sofern sie diesbezüglich überhaupt Handlungsbedarf sehen, was nicht immer der Fall ist – mitunter mühsam durchsetzen. Vielfach verhelfen erst Pro- 42 Christian Kerst bleme beim Kunden und Berichte des Vertriebs solchen Anpassungen zum Durchbruch. Solche Probleme können sich auf ganz einfache Dinge wie die manchmal sehr niedrigen Umgebungstemperaturen in chinesischen Werkhallen mit ihren Folgen für die Schmier- vorschriften beziehen. Insgesamt ist das Bewußtsein für solche kulturellen Unterschiede jedoch eher wenig ausgeprägt. Eine in der Technischen Dokumentation langsam beginnende Diskussion richtet sich auf die Gestaltung der Produkte selbst. Im Design der Schnittstelle zwischen Technik und Benutzer liegt ein großes Potential zur Steigerung der Nutzungsangemessenheit. Zugleich erleichtert ein nutzerorientiertes Design die Dokumentation gerade auch bei komplexen Produkten. Es sind TD-Dienstleister, die diese Einsicht in ihr Angebot integrieren und beginnen, Industriedesign und Produktgestaltung sowie Simulation und Test von Ober- flächen anzubieten. Damit erweitern sie den Bezugsrahmen der Nutzungsangemessenheit, indem konsequent von der Benutzerschnittstelle her entwickelt wird. Diese Ansätze befin- den sich allerdings erst im Anfangsstadium und müssen – aus Sicht der Dienstleister – am Markt erst noch verankert werden. Zusammenfassend: Nutzungsangemessenheit ist für die Technikredakteure ein formulier- tes Kriterium, das jedoch in der Praxis nicht immer durchgesetzt werden kann. Explizit nutzerfreundliche Gestaltung von Technischer Dokumentation muß mitunter gegen öko- nomische Vorbehalte durchgesetzt werden. Verbesserter Kundennutzen und die Marke- tingwirkung nutzungsangemessener Technischer Dokumentation werden in den Herstel- lerunternehmen vielfach nicht gesehen. Dementsprechend bleibt den Technikredakteuren selten Gelegenheit zu gründlichen Zielgruppenanalysen und Tests ihrer Produkte. 5.1 .2 . Kriterium Regelungsangemessenheit Bezüglich der Rechtslage haben sich in den letzten Jahren für die Technische Dokumenta- tion mehrere wesentliche Veränderungen ergeben. Zu nennen sind hier zum einen das 1990 geänderte Produkthaftungsgesetz und zum anderen die EG-Maschinenrichtlinie, die seit Anfang 1995 auch in Deutschland gilt6. Während das Produkthaftungsgesetz alle Produkte betrifft, bezieht sich die Maschinenrichtlinie nur auf Maschinen. Das Gesetz und 6 Auch andere Branchen sind betroffen. So wird das Medizinproduktegesetz in der Zukunft ebenfalls Auswirkungen auf die Dokumentation haben. Technische Dokumentation als produktbezogene Dienstleistung 43 die Richtlinie stellen Anforderungen auch an die Form und Qualität der benutzerrelevanten Technischen Dokumentation. Denn auch die "Darbietung" eines Produkts (z.B. in der Bedienungsanleitung) kann dazu führen, den Hersteller in die Produkthaftung zu nehmen. Anfang der neunziger Jahre führte das zu einer ersten intensiven Befassung der Technik- hersteller mit der Rolle und dem Nutzen der Technischen Dokumentation. Dazu trugen neben einigen spektakulären Prozessen (z.B. gegen Lederimprägniermittel), auch wenn diese gar nicht auf der juristischen Basis des Produkthaftungsgesetzes geführt wurden, Vertreter der Technischen Dokumentation selbst bei, die über das Thema Produkthaftung die Dienstleistung Technische Dokumentation stärker im Markt zu verankern suchten. Von der EG-Maschinenrichtlinie mit ihrer CE-Kennzeichnungspflicht sind allerdings nur die Maschinenbau-Unternehmen betroffen. Die Richtlinie stellt sicher, daß Maschinen gemäß den Sicherheitsmaßgaben der einschlägigen Normen gebaut werden. Bei den Ma- schinen wird die Technische Dokumentation zum integralen Bestandteil des Produkts. Ohne Technische Dokumentation, d.h. vor allem: ohne Bedienungsanleitung, dürfen Ma- schinen in der EG nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Die Sicherheit der Maschine muß vom Hersteller durch eine Gefährdungsanalyse dokumentiert werden. Auf Basis dieser Analyse sind dann konstruktive Änderungen (vorrangig) vorzunehmen oder Warn- hinweise in der Anleitung und/oder an der Maschine zu plazieren. In den betroffenen Unternehmen hat diese Richtlinie zu vielfältigen Aktivitäten geführt, v.a. auch im Jahr 1994, dem letzten Jahr der Übergangsfrist. Eine komplette Umstellung ist in vielen Unternehmen offenbar noch nicht erreicht. Einige Technikredakteure berich- teten, daß immer noch Maschinen mit dem CE-Zeichen ausgerüstet werden, ohne daß vor allem die Technische Dokumentation den Anforderungen bereits voll genügt. Fehlende oder unzureichende Bedienungsanleitungen haben bereits auf Messen zu ersten Bußgel- dern geführt, denn auch ausgestellte Maschinen müssen CE-gerecht zertifiziert sein (oder es ist ausdrücklich zu vermerken, daß die Maschine geltendem EG-Recht widerspricht). Bei vielen Herstellern waren es die Kunden, die die CE-Kennzeichnung verstärkt nach- fragten und so Nachbesserungen an der Technischen Dokumentation erforderlich mach- ten. Für interne TD-Abteilungen und TD-Dienstleister bedeuten die verschärften Anforderun- gen eine Aufwertung ihrer Arbeit. Der Regelungsangemessenheit mußte nun durch die Maschinenbauhersteller verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet werden, was insbesondere die klei