STUTTGARTER BEITRÄGE ZUR PRODUKTIONSFORSCHUNG DAVID STRAUB Methode zur technischen Auslegung von Vakuumgreifsystemen mit einer Mindesthalte- dauer auf Basis fluidischer Untersuchungen STUTTGARTER BEITRÄGE ZUR PRODUKTIONSFORSCHUNG David Straub Methode zur technischen Auslegung von Vakuumgreifsystemen mit einer Mindesthaltedauer Herausgeber: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl Univ.-Prof. Dr.-Ing. Kai Peter Birke Univ.-Prof. Dr.-Ing. Marco Huber Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Alexander Sauer Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Alexander Verl Univ.-Prof. a. D. Dr.-Ing. Prof. E.h. Dr.-Ing. E.h. Dr. h.c. mult. Engelbert Westkämper FRAUNHOFER VERLAG Kontaktadresse: Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart Nobelstraße 12, 70569 Stuttgart Telefon 07 11/ 9 70-11 01 info@ipa.fraunhofer.de; www.ipa.fraunhofer.de STUTTGARTER BEITRÄGE ZUR PRODUKTIONSFORSCHUNG Herausgeber: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl1,2 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Kai Peter Birke1,4 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Marco Huber1,2 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Alexander Sauer1,5 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Alexander Verl3 Univ.-Prof. a. D. Dr.-Ing. Prof. E.h. Dr.-Ing. E.h. Dr. h.c. mult. Engelbert Westkämper1,2 1 Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart 2 Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart 3 Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Universität Stuttgart 4 Institut für Photovoltaik (IPV) der Universität Stuttgart 5 Institut für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart Titelbild: © J. Schmalz GmbH, Glatten Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. ISBN: 978-3-8396-1666-6 D 93 Zugl.: Stuttgart, Univ., Diss., 2020 Druck: Fraunhofer Verlag, Mediendienstleistungen Für den Druck des Buches wurde chlor- und säurefreies Papier verwendet. © FRAUNHOFER VERLAG, 2020 Fraunhofer-Informationszentrum Raum und Bau IRB Postfach 800469, 70504 Stuttgart Nobelstraße 12, 70569 Stuttgart Telefon 0711 970-2500 E-Mail verlag@fraunhofer.de URL http://verlag.fraunhofer.de Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Ver wertung, die über die engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes hinausgeht, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro ver filmungen sowie die Speiche rung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der An nahme, dass solche Bezeichnungen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz- Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und deshalb von jedermann benutzt werden dürften. Soweit in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z.B. DIN, VDI) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden ist, kann der Verlag keine Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität übernehmen. Methode zur technischen Auslegung von Vakuumgreifsystemen mit einer Mindesthaltedauer auf Basis fluidischer Untersuchungen Von der Graduate School of Excellence advanced Manufacturing Engineering der Universität Stuttgart zur Erlangung der Würde eines Doktor-Ingenieurs (Dr.-Ing.) genehmigte Abhandlung vorgelegt von David Straub aus Tübingen Hauptberichter: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Alexander Verl Mitberichter: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Katharina Schmitz (RWTH Aachen) Tag der mündlichen Prüfung: 16. Juni 2020 Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Universität Stuttgart. 2020 Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als Doktorand der Gra- duate School of Excellence advanced Manufacturing Engineering (GSaME) der Universität Stuttgart in Kooperation mit einem Unternehmen der Vakuumhand- habungstechnik. Herrn Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Alexander Verl danke ich für die wissenschaftli- che Betreuung und Förderung der Arbeit sowie die Übernahme des Hauptberichts. In gleicher Weise danke ich Frau Prof. Dr.-Ing. Katharina Schmitz für die Übernah- me des Mitberichts sowie die Unterstützung und Beratung während der Arbeit. Bei Herrn Dr. Kurt Schmalz bedanke ich mich dafür, dass er es mir ermöglicht hat, die Arbeit in seinem Unternehmen zu verfassen. Bedanken möchte ich mich auch bei allen Kolleginnen und Kollegen für die angenehme Zusammenarbeit. Ins- besondere danke ich Herrn Dr.-Ing. Walter Schaaf für die stetige und zielführende Diskussionsbereitschaft, die vielen Anregungen und die wertvolle Unterstützung bei der Strukturierung der Arbeit sowie für das stetige Vertrauen und die intensi- ven Fachgespräche. Herrn Dr.-Ing. Harald Kuolt danke ich für die organisatorische Unterstützung, die Durchsicht der Arbeit und die hilfreichen Rückmeldungen. Wei- terer Dank gilt allen Studenten für deren kontinuierliche Unterstützung. Seitens der GSaME gilt mein besonderer Dank Herrn Hans Friedrich Jacobi für seine Hilfsbereitschaft, die wertvolle Anregungen, die konstruktive Kritik bei der Erstellung der Arbeit und die kritische Durchsicht des Manuskripts. Meinen Eltern danke ich für ihre Förderung und Unterstützung, welche die Vor- aussetzung für meinen Werdegang bildeten. i Kurzfassung Der Trend der Robotisierung zeigt sich unter anderem darin, dass neben den Indus- trierobotern, die hinter Schutzzäunen zum Einsatz kommen, immer mehr Roboter für kollaborative Anwendungen herangezogen werden. Da ein großer Teil aller In- dustrieroboter für Handhabungsaufgaben verwendet wird, entstehen durch den schutzzaunlosen Betrieb der Roboter neue Herausforderungen für die Auslegung von für diese Handhabungsaufgaben verwendeten Greifsysteme. Sicherheitseinrich- tungen formschlüssiger mechanischer Greifsysteme sind bekannt, wirken sich je- doch aufgrund der mit dem umschließenden Griff einhergehenden vergrößerten äu- ßeren Abmaße nachteilig auf den Handhabungsvorgang aus. Vakuumgreifsysteme sind hier infolge des einseitigen Griffs im Vorteil, verfügen dadurch jedoch über kei- ne Sicherheitseinrichtungen, die einen Verlust des Werkstücks bei Auftreten eines Energieausfalls, zumindest temporär, verhindern. Um diesen Zielkonflikt zu lösen, wird in dieser Arbeit eine Methode für die technische Auslegung von Vakuum- greifsystemen mit einer Mindesthaltedauer auf Basis fluidischer Untersuchungen entwickelt. Die dafür relevanten fluidischen Vorgänge, insbesondere die Leckage, werden ausführlich untersucht. Die entwickelte Methode nutzt die Kenntnisse der Leckage eines Referenzsystems und erlaubt es, Aussagen darüber zu treffen, wie sich Anpassungen des Referenzsystems an die jeweilige Handhabungsaufgabe auf die Haltedauer des Werkstücks auswirken. Durch die Methode ist es daher möglich, aufbauend auf dem bekannten Vorgehen zur Auslegung von Vakuumgreifsystemen zur Aufbringung einer erforderlichen Mindestgreifkraft, eine zusätzliche Auslegung zur Erreichung einer Mindesthaltedauer im Auftreten eines Energieausfalls durch- zuführen. iii Executive Summary The trend towards robotization is reflected, among other things, in the fact that more and more robots are being used for collaborative applications in addition to industrial robots, which are used behind protective fences. Since a large propor- tion of all industrial robots are used for handling tasks, the fenceless operation of robots creates new challenges for the design of gripping systems used for these handling tasks. Safety devices for positive-locking mechanical gripping systems are well known, but have a negative effect on the handling process due to the increased external dimensions associated with the encompassing grip. Here vacuum gripping systems have an advantage due to the one-sided grip, but do not have any safety devices that at least temporarily prevent the loss of the workpiece in the event of a power failure. In order to solve this conflict of objectives, a method for the technical design of vacuum gripping systems with a minimum holding time ba- sed on fluidic investigations is developed in this dissertation. The relevant fluidic processes, in particular leakage, are investigated in detail. The developed method uses the knowledge of the leakage of a reference system and allows statements to be made about how adaptations of the reference system to the respective handling task affect the holding time of the workpiece. The method therefore makes it pos- sible to carry out an additional design process to achieve a minimum holding time in the event of a power failure. It is based on the known procedure for designing vacuum gripping systems for applying a required minimum gripping force. v Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis xi Tabellenverzeichnis xvii Abkürzungsverzeichnis xix 1 Einleitung 1 1.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.3 Zielsetzung und Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2 Theoretischer Hintergrund 7 2.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2.1.1 Handhabung, Greifeinrichtungen und –technik . . . . . . . . 7 2.1.2 Vakuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.2.1 Aufbau von Vakuumgreifsystemen . . . . . . . . . . . . . . 10 2.2.2 Fluidische Kenngrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2.3 Vorgehen zur technischen Auslegung von Handhabungsein- richtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.2.4 Steuerung und Sicherheit von Vakuumgreifsystemen . . . . . 27 2.2.5 Greifsysteme mit ortsungebundener Vakuumerzeugung . . . 32 2.2.6 Mensch-Roboter-Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.2.7 Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3 Analyse der Randbedingungen und Ableitung von Anforderungen 39 3.1 Handhabungsprozess und Vakuumsystem . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.2 Fluidische Vorgänge in Vakuumgreifsystemen . . . . . . . . . . . . 42 3.2.1 Evakuierungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.2.2 Haltevorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.2.3 Leckage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.3 Autarkie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.4 Ausfallszenarien und deren Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . 48 3.5 Definition von Teilsystemen und –funktionen . . . . . . . . . . . . . 50 vii Inhaltsverzeichnis 3.6 Mögliches Anwendungsszenario kollaborative Batteriehandhabung . 51 3.7 Anforderungen und Untersuchungsgegenstände . . . . . . . . . . . . 52 4 Konzipierung von Systemlayouts und Verfahrensabläufen 57 4.1 Konzipierung eines elementaren Systemlayouts und Verfahrensablaufs 58 4.1.1 Elementares Systemlayout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4.1.2 Elementarer Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4.2 Konzipierung eines erweiterten Systemlayouts und Verfahrensablaufs 65 4.2.1 Erweitertes Systemlayout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.2.2 Erweiterter Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 5 Theoretische und experimentelle Untersuchung fluidischer Vorgänge 71 5.1 Untersuchung der Temperaturänderung . . . . . . . . . . . . . . . . 71 5.1.1 Versuchsdesign und -aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 5.1.2 Versuchsergebnisse und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . 73 5.2 Untersuchung des Evakuierungsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . 74 5.2.1 Versuchsdesign und -aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 5.2.2 Versuchsergebnisse und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . 76 5.3 Untersuchung des Anhebevorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5.3.1 Versuchsdesign und –aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 5.3.2 Versuchsergebnisse und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . 82 5.4 Untersuchung der Leckage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 5.4.1 Versuchsdesign und -aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5.4.2 Versuchsergebnisse und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . 90 5.5 Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Evakuierungszeit und Leckage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 6 Entwicklung einer Methode zur technischen Auslegung von Vakuumgreifsystemen mit einer Mindesthaltedauer 105 6.1 Vorgehen zur Bestimmung des Auslegungsverfahrens . . . . . . . . 105 6.2 Detaillierung der Auslegungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6.2.1 Ausreichender Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6.2.2 Geringfügige Anpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6.2.3 Redundanzvakuumsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 6.3 Bewertung der Auslegungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 6.4 Validierung anhand des Anwendungsszenarios . . . . . . . . . . . . 117 6.4.1 Anpassung des Referenzsystems . . . . . . . . . . . . . . . . 118 6.4.2 Auswahl und Ausarbeitung des Auslegungsverfahrens . . . . 118 6.4.3 Systemlayout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 6.4.4 Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 viii Inhaltsverzeichnis 6.4.5 Funktionsmuster und Reaktion auf Störfälle . . . . . . . . . 122 6.4.6 Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 7 Zusammenfassung und Ausblick 127 Literatur 129 ix Abbildungsverzeichnis 1.1 Prognostizierte Entwicklung der Bevölkerung im Erwerbsalter von 20 bis 64 Jahren in Deutschland (links, (Statistisches Bundesamt 2018)) sowie prozentuale Entwicklung der Lohn- und Roboterkosten von 2006 bis 2016 (rechts (Korus 2017; OECD 2018)) . . . . . . . . 2 1.2 (Prognostizierte) Verkaufszahlen von Kollaborationsrobotern (links) sowie Anzahl der für die Vakuumgreiftechnik eingesetzten Roboter (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2.1 Beispielhafter Aufbau eines Vakuumgreifsystems mit Handhabungs- objekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.2 passives (links) und aktives (rechts) Vakuumerzeugungsprinzip . . . 14 2.3 Schematische Darstellungen verschiedener Vakuumerzeuger (J. Schmalz GmbH 2018a; J. Schmalz GmbH 2018b) . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.4 Leistungsvergleich typischer Sauglufterzeuger nach (Fritz 2017; Hes- se 1997) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.5 Beispiele für einen Ejektor (links), eine elektrische Verdrängerva- kuumpumpe (Mitte) und ein Radialventilator (rechts) (J. Schmalz GmbH 2016b; J. Schmalz GmbH 2018c; J. Schmalz GmbH 2017d) . 17 2.6 Flach- (links) und Balgsauger (rechts) (J. Schmalz GmbH 2017c) . 18 2.7 Darstellung der Leckage erster (links), zweiter (mittig) und dritter (rechts) Ordnung nach (Fritz 2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.8 Berechnung der theoretischen Haltekraft für den senkrechten (links) und parallelen Lastfall (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.9 Schaltbild eines pneumatisch vorgesteuerten Ejektors (links) (J. Schmalz GmbH 2016b) und eines Ejektors mit pneumatischer Re- gelung (rechts) (J. Schmalz GmbH 2015a) . . . . . . . . . . . . . . 27 2.10 Qualitativer Druckverlauf während des Evakuierungsvorgangs mit auftretender Leckage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.11 Schematische Darstellung pneumatisch-mechanischer Spanner in An- lehnung an (SAS Automation 2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.12 Anwendungsbeispiel einer passiven Vakuumerzeugung (J. Schmalz GmbH 2017b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.13 Vakuum-Lagengreifsystem am Gabelstapler (J. Schmalz GmbH 2013) 33 xi Abbildungsverzeichnis 2.14 Ausprägungen der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter nach (Bauer et al. 2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.15 Beispiel einer Vakuumpumpe an einem kollaborativen Roboter (J. Schmalz GmbH 2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3.1 Phasen eines mittels eines Vakuumgreifsystems durchgeführten Hand- habungsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3.2 Ablaufdiagramm eines störungsfreien Handhabungsvorgangs . . . . 41 3.3 Betriebszustände der Vakuumerzeugung während eines störungs- freien Handhabungsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3.4 Verlauf des Rechenfaktors der Belüftungszeit χ (links) und lineare Näherung des Rechenfaktors der Belüftungszeit für 800 mbar (rechts) 45 3.5 Leckage aufgrund von Randspaltbildung . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.6 Gehalt unterschiedlicher Formen von Umgebungsenergien in Anleh- nung an (Straub et al. 2018a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3.7 Hierarchie und Funktionen der beteiligten Systeme eines Handha- bungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4.1 Funktionsstruktur des elementaren Systemlayouts eines Vakuum- greifsystems mit einer Mindesthaltedauer . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.2 Schaltbilder der Varianten zur Anordnung der Komponenten im elementarem Systemlayout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4.3 Ablauf des Handhabungsvorgangs eines Systems mit elementaren Layout mit Störfall während der Transportphase . . . . . . . . . . . 63 4.4 Einsatz von Arbeits- und Redundanzvakuumerzeugung während ei- nes Störfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4.5 Funktionsstruktur des erweiterten Systemlayouts eines Vakuum- greifsystems mit einer Mindesthaltedauer . . . . . . . . . . . . . . . 66 4.6 Schaltbilder der Varianten zur Anordnung der Teilsysteme im er- weiterten Systemlayout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 4.7 Ablauf des Handhabungsvorgangs eines Systems mit erweitertem Layout mit Störfall während der Transportphase . . . . . . . . . . . 69 5.1 Aufbau (links) und Schaltbilder (rechts) des Versuchsstandes zur Messung der Temperaturabhängigkeit des Drucks . . . . . . . . . . 72 5.2 Berechneter und gemessener Temperaturverlauf während des Eva- kuierungsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5.3 Aufbau (links) und Schaltbild zur Messung der Evakuierungszeit (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 xii Abbildungsverzeichnis 5.4 Gemessene (links) und mit einfacher (Mitte) sowie erweiterter Nä- herung (rechts) berechnete Evakuierungszeiten für unterschiedliche Enddrücke bei unterschiedlichen Speichervolumina für einen Ejek- tor mit einem maximalen Saugvermögen von 16 l min (oben), 36 l min (Mitte) und 65,5 l min (unten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 5.5 Gemessene (links) und mit einfacher (Mitte) sowie erweiterter Nä- herung (rechts) berechnete Evakuierungszeiten für unterschiedliche Enddrücke bei unterschiedlichen Speichervolumina für einen Ejek- tor mit einem maximalen Saugvermögen von 75 l min (oben), 135 l min (Mitte) und 185 l min (unten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 5.6 Quotient aus mit einfacher und erweiterter Näherung berechne- ter und gemessener Evakuierungszeit für die Ejektoren mit einem Saugvolumenstrom von 16 l min (oben links), 36 l min (oben Mitte), 65,5 l min (oben rechts), 75 l min (unten links), 135 l min (unten Mitte) sowie 185 l min (unten rechts) bei unterschiedlichen Speichervolumina 79 5.7 Abweichung über Saugvermögen (links), Volumen (Mitte) und Druck- niveau (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5.8 Versuchsaufbau im neutralen (links) und angesaugten Zustand (rechts) 82 5.9 Repräsentativer Kraft- und Druckverlauf des Referenzversuchs . . . 82 5.10 Mittelwert und Streuung der Druckdifferenz bei der Variation der Saugerdurchmesser (oben links), der Speichervolumina (oben rechts), des Saugerwerkstoffs (unten links) sowie des Druckniveaus (unten rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 5.11 Formänderung des Saugers mit 80 mm Durchmesser vor (links) und während des Zugversuchs (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 5.12 Einflussgrößen der Leckage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 5.13 Prüfstand zur Leckagemessung (links) sowie pneumatischer Schalt- plan (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5.14 Prüfstand zur dynamischen Leckagemessung (links) und zur Mes- sung der maximal auftretenden Beschleunigung (rechts) . . . . . . . 90 5.15 Mittelwerte und Streuung der Dauer bis 800 mbar erreicht sind so- wie lineare Regression bei unterschiedlichen Anfangsdrücken (oben links), unterschiedlichen Volumina (oben rechts), des Werkstückge- wichts (unten links) sowie des Verhältnisses von Volumen zu Um- fang (unten rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5.16 Prüfkörper mit geschliffener (links), geschlichteter (Mitte) und ge- schruppte Oberfläche (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 xiii Abbildungsverzeichnis 5.17 Mittelwerte und Streuung der Dauer bis 800 mbar erreicht ist bei unterschiedlichen Oberflächenrauigkeiten des Werkstücks (links), Abnutzungszuständen des Saugers (Mitte) sowie Saugerwerkstoffen (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 5.18 Die verwendeten Platten mit unterschiedlichen Oberflächenrauheiten 95 5.19 Aufbau zur Aufprägung unterschiedlicher Verschleißzustände auf die Sauger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 5.20 Zusammenhang zwischen Zeit bis zum Erreichen von 800 mbar und Rauheit des Werkstücks bei unterschiedlichen Lastspielzyklen der Sauger aus Naturkautschuk (NR) (oben) und zwischen Leckage und Lastspielzyklen bei unterschiedlicher Rauheit der Werkstücke (unten) 97 5.21 Zusammenhang zwischen Zeit bis zum Erreichen von 800 mbar und Rauheit des Werkstücks bei unterschiedlichen Lastspielzyklen der Sauger aus Acrylnitril-Butadien-Kautschuk (NBR) (oben) und zwi- schen Leckage und Lastspielzyklen bei unterschiedlicher Rauheit der Werkstücke (unten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 5.22 Zusammenhang zwischen Zeit bis zum Erreichen von 800 mbar und Rauheit des Werkstücks bei unterschiedlichen Lastspielzyklen der Sauger aus Polyesther-Urethan-Kautschuk (AU) (oben) und zwi- schen Leckage und Lastspielzyklen bei unterschiedlicher Rauheit der Werkstücke (unten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5.23 Druckverlauf während des Verzögerungsvorgangs . . . . . . . . . . . 101 5.24 Vergleich von ¯̇pS,gemessen und ¯̇pL,gemessen sowie ¯̇pS,berechnet für Sauger aus NR (oben), NBR (Mitte) und AU (unten) . . . . . . . . . . . . 103 5.25 Übersicht über die mittlere Evakuierungsrate und die Leckagespan- ne der einzelnen Werkstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 6.1 Übersicht über die Methodenbausteine . . . . . . . . . . . . . . . . 106 6.2 Vorgehen zur Bestimmung eines passenden Verfahrens zur Ausle- gung von Vakuumgreifsystemen mit einer definierten Mindesthal- tedauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 6.3 Ablauf des Designprozesses auf Basis des quantitativen Ansatzes . . 111 6.4 Auswirkungen einer Änderung eines Parameters auf die Haltedauer (links) und die Leckage (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 6.5 Quotient aus mittlerer Leckage der einzelnen Lastspielzyklen und Leckage bei 100 Lastspielzyklen für NR (links), NBR (Mitte) und AU (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 6.6 Schaltplan des Vakuumgreifsystems mit Fluidspeicher und sensori- scher Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 6.7 Ablaufdiagramm mit Initial- und Prüfzyklus sowie Reaktion auf Druckluftausfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 xiv Abbildungsverzeichnis 6.8 Realisiertes Funktionsmuster des Vakuumgreifsystems mit Mindest- haltedauer für das Anwendungsszenario kollaborative Batteriehand- habung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6.9 Initialvorgang mit Ventilprüfung (links) und Druckverlauf des Va- kuumgreifsystems für den auftretenden Störfall Ausfall der elektri- schen Spannungsversorgung (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 6.10 Druckverlauf des Vakuumgreifsystems für die auftretenden Störfäl- le Ausfall der Druckluftversorgung (abrupt, links) und Ausfall der Druckluftversorgung (graduell, rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . 124 6.11 Druckverlauf des Vakuumgreifsystems für die auftretenden Stör- fälle Ausfall der Druckluft- (abrupt) und elektrischen Stromversor- gung (links) sowie Ausfall der Druckluft- (graduell) und elektrischen Spannungsversorgung (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 xv Tabellenverzeichnis 2.1 Unterschiedliche Unterteilung der Phasen eines Greifprozesses . . . 8 2.2 Prinzipien der Vakuumerzeugung in Vakuumgreifsystemen . . . . . 15 2.3 Übersicht über relevante Arbeiten und deren Betrachtungsgegen- stände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.1 Zuordnung der Phasen des Handhabungsprozesses zu den relevan- ten fluidischen Vorgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3.2 Systemzustand eines Vakuumgreifsystems in Abhängigkeit der Le- ckage (J. Schmalz GmbH 2016b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3.3 Quantifizierung des Anwendungsszenarios . . . . . . . . . . . . . . 52 4.1 Morphologischer Kasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 5.1 Faktoren und Stufen der Evakuierungszeitmessung . . . . . . . . . 75 5.2 Faktoren und Stufen der Untersuchung des Anhebevorgangs . . . . 81 5.3 Faktoren und Stufen des one-factor-at-a-time Versuchsdesigns . . . 88 5.4 Faktoren und Stufen des vollständig faktoriellen Versuchsdesigns . . 89 5.5 Zusätzliche Faktoren und Stufen der dynamischen Leckagemessung 90 5.6 Ergebnisse des one-factor-at-a-time Versuchsdesigns . . . . . . . . . 94 6.1 Übersicht über die Bewertung der Auslegungsverfahren anhand des Erfüllungsgrades der Bewertungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . 115 6.2 Gesamterfüllungsgrad der einzelnen Auslegungsverfahren . . . . . . 116 xvii Abkürzungsverzeichnis AU . . . . . . . . . . . . . . Polyester-Urethan-Kautschuk NBR . . . . . . . . . . . . . . Acrylnitril-Butadien-Kautschuk NC . . . . . . . . . . . . . . Normally closed NO . . . . . . . . . . . . . . Normally open NR . . . . . . . . . . . . . . Naturkautschuk xix 1 Einleitung Vakuumhandhabungstechnik kommt in der Automatisierung in Endeffektoren an Industrierobotern vermehrt zum Einsatz. Insbesondere bei kollaborativen Greifan- wendungen führt dies zu neuen Herausforderungen. 1.1 Motivation Gemäß dem Megatrend Robotisierung stieg die Anzahl der verkauften Roboter in den vergangenen Jahren pro Jahr im Schnitt um 19 % (Barsch et al. 2018; Interna- tional Federation of Robotics 2018). Dies führt unter anderem dazu, dass immer mehr Arbeitsstunden von Maschinen und weniger von Menschen geleistet werden (Weltwirtschaftsforum 2018). Automatisierung kann dabei helfen, die trotz Zuwan- derung rückläufige Erwerbsquote (vgl. Abbildung 1.1, links) zumindest teilweise zu kompensieren, damit in Deutschland die unternehmensspezifische Produktivität erhalten bzw. erhöht wird (Amlinger et al. 2017; Slupina et al. 2018; Vogler-Ludwig et al. 2016). Hierfür muss der Automatisierungsgrad zunehmen (altii 2016; Fuchs et al. 2019). Diese Entwicklung wird unter anderem dadurch begünstigt, dass der Lohnkosten-Betrag weiter anwächst, wohingegen Industrieroboter kostengünstiger werden (Korus 2017; OECD 2018) (vgl. Abbildung 1.1, rechts). So auch die so- genannten Kollaborationsroboter, die im Vergleich zu Industrierobotern flexibler eingesetzt werden können, jedoch ein besonderes Maß an Sicherheitsvorkehrun- gen erfordern und dadurch noch einen kleinen Marktanteil aufweisen (Kukhnin et al. 2017; Norm DIN ISO/TS 15066; Sowa 2019). Da neue Sicherheitskonzepte und Steuerungen die Wirtschaftlichkeit erhöhen, wird dieser Art von Industriero- botern eine starke Zunahme der Verkaufszahlen bescheinigt (vgl. Abbildung 1.2, 1 1 Einleitung 2020 2030 2040 2050 2060 30 35 40 45 50 B ev öl ke ru ng in M ill io ne n bei schwächerer Zuwanderung bei stärkerer Zuwanderung 2006 2008 2010 2012 2014 2016 40 60 80 100 120 140 En tw ic kl un g in % Lohnkosten Roboterkosten Abbildung 1.1: Prognostizierte Entwicklung der Bevölkerung im Erwerbsalter von 20 bis 64 Jahren in Deutschland (links, (Statistisches Bundesamt 2018)) sowie prozentuale Entwicklung der Lohn- und Roboterkos- ten von 2006 bis 2016 (rechts (Korus 2017; OECD 2018)) links). Die Verwendung kollaborativer Roboter kann in arbeitsintensiven Umge- bungen zu einer Steigerung der Produktivität von bis zu 50 % führen (Brorson et al. 2015; Harrington 17. 10. 2019; Wolf et al. 2016). Allgemein wird das The- ma kollaborativer Roboter in den vergangenen Jahren immer präsenter (Google Trends 2019). So auch in der Handhabungstechnik. Hier kommt in Endeffekto- ren oft Vakuumtechnik zum Einsatz (Ector 2017; Hesse 2012; Kuolt et al. 2016; Wolf et al. 2016). So werden ungefähr 20 % der Handhabungsaufgaben mittels Va- kuumgreiftechnik durchgeführt (MarketsandMarkets 2019). Allgemein wird etwa die Hälfte der Industrieroboter für Handhabungsaufgaben eingesetzt, davon mehr als ein Fünftel für die Materialhandhabung (International Federation of Robotics 2018). Ein zunehmender Einsatz von Robotern (vgl. Abbildung 1.2, rechts) bedeu- tet einen zunehmenden Einsatz der Vakuumgreiftechnik. Diese umfasst nicht eine spezielle Anwendung, vielmehr finden Vakuumgreifsysteme Verwendung in einem breiten Anwendungsgebiet (Bauer 2010; Kuolt et al. 2016; Schaaf et al. 2006). Da- zu gehören unter anderem die Intralogistik, Solar-, Verpackungs-, Automobil- und Holzindustrie sowie die Baustoff-, Halbleiter- und Pharmaindustrie (Callies et al. 2008; Chen et al. 2015; Gengenbach 1996; Hesse 2011; J. Schmalz GmbH 2016a; Kippels 2010; Murrenhoff et al. 2014; Schaaf 2007; Schaaf 2010; Schaaf et al. 2006; 2 1.2 Problemstellung 2013 2015 2017 2019 2021 2023 2025 0 200.000 400.000 600.000 (p ro gn os tiz ie rt e) ve rk au ft e Ei nh ei te n (Brorson et al. 2015) (Murphy 2017) 2012 2013 2014 2015 2016 2017 100.000 200.000 300.000 A nz ah lI nd us tr ie ro bo te r gesamt davon Handling davon Vakuum Abbildung 1.2: (Prognostizierte) Verkaufszahlen von Kollaborationsrobotern (links) sowie Anzahl der für die Vakuumgreiftechnik eingesetzten Roboter (rechts) Seegräber 1993; Weck 2005). Auch in anderen Bereichen wie in Greifhänden, die sich der Kontur des Handhabungsobjektes anpassen oder bei Ernteversuchen kom- men Vakuumgreifer zum Einsatz (Al-Hujazi et al. 1990; Monta et al. 1998). Ist die Fläche des Handhabungsobjektes ausreichend groß, kann die Vakuumgreiftechnik praktisch überall eingesetzt werden (Warnecke et al. 1973). 1.2 Problemstellung Der Vorteil in der Verwendung von Vakuumgreiftechnik besteht darin, dass Vaku- umgreifsysteme aufgrund ihres konstruktiven Aufbaus, verglichen mit Konkurrenz- technologien, in vielen Standardausführungen preiswerter sowie robust und dabei einfach zu implementieren und zu nutzen sind (Becker 1993; Hesse 2011; Kuolt et al. 2016). Sie bilden die Kernelemente einer individuellen flexiblen Material- flusslösung, bestehend aus Standardkomponenten mit geringen Anpassungskosten (Callies et al. 2008; Day 2014). Vakuumgreiftechnik ermöglicht durch den einsei- tigen Greifvorgang die Handhabung von Handhabungsobjekten unterschiedlicher Form, Größe und Masse mit wenigen oder keinen Anpassungen des Greifsystems (Callies et al. 2008). Der bauartbedingte Vorteil des einseitigen Griffs bei Hand- habungsaufgaben mit Vakuumgreifsystemen kann bei bestehenden Systemen zu 3 1 Einleitung einem Nachteil, einem Sicherheitsrisiko werden, wenn eine Störung in Form ei- nes Energieausfalls eintritt. Dies kommt besonders bei den erwähnten Kollabora- tionsrobotern aufgrund fehlender räumlicher Trennung zum Tragen, da hier ein besonderes Augenmerk auf der Sicherheit liegt (VDMA 2016; DGUV 2017; We- ber et al. 2018). Für Greifsysteme gilt allgemein, dass in sämtlichen Anwendungen Energieschwankungen und –Ausfälle sowie der Verlust oder die Veränderung von Vakuumenergie zu keiner Gefährdung führen dürfen (Norm DIN EN ISO 10218-1). Außerdem ist bei Vakuumgreifsystemen ein Schaden aufgrund der Unterbrechung der Vakuumversorgung zu vermeiden. Zudem ist gefordert, dass im Fall einer Stö- rung der Haupt- oder Hilfsenergieversorgung, das die Pumpe umfassende System, in einen sicheren Zustand zu bringen ist (Norm DIN EN 1012-2). Dabei kann in allen Systemen eine Gefährdung auftreten, spätestens dann, wenn sämtliche Versorgungsenergieträger ausfallen, wodurch keine Kompensation der auftreten- den Leckage mehr erfolgt (Defranceski et al. 2018). Dies hat zur Folge, dass das Handhabungsobjekt schlussendlich nicht mehr gegriffen werden kann und abfällt. Dieses Problem ist innerhalb des Systems Vakuumgreifer noch nicht gelöst. Folg- lich herrscht eine Wissenslücke bei der Auslegung von Vakuumgreifsystemen, die über eine gewisse Mindestdauer den Griff aufrechterhalten können. 1.3 Zielsetzung und Vorgehensweise Ziel der Arbeit ist es, eine Methode zur technischen Auslegung von Vakuumgreif- systemen mit einer Mindesthaltedauer zu entwickeln. Dazu bedarf es der Schaffung wissenschaftlicher Grundlagen zu den fluidischen Vorgängen in Vakuumgreifsyste- men und deren Auswirkung auf die geforderte Haltedauer. Hierfür sind die Einfluss- faktoren zu bestimmen und deren Auswirkung zu ermitteln. Auf Basis dessen ist eine Methode zu entwickeln und zu validieren, die die Festlegung der technischen Auslegung von Vakuumgreifsystemen mit einer Mindesthaltedauer ermöglicht. Die Darstellung des Standes der Wissenschaft und Technik zeigt den Aufbau aktuel- ler Vakuumgreifsysteme sowie Verfahren für deren Auslegung und Betrieb. Dabei werden Defizite bei der methodischen Auslegung von Vakuumgreifsystemen iden- tifiziert, die eine Mindesthaltedauer aufweisen. Die Analyse der Randbedingungen 4 1.3 Zielsetzung und Vorgehensweise erlaubt das Ableiten von Anforderungen an eine derartige Methode und grenzt dabei den für die Untersuchungen gültigen Gegenstandsbereich ab. Die Anforde- rungen bilden die Grundlage für die Konzeption von Systemlayouts und davon abhängigen Verfahrensabläufen. Umfangreichen theoretischen und experimentel- len Untersuchungen der zuvor abgegrenzten Gegenstandsbereiche ermöglichen die Ableitung von Zusammenhängen und Einflussfaktoren fluidischer Vorgänge. Dar- auf aufbauend erfolgt die Entwicklung der Methode zur technischen Auslegung von Vakuumgreifsystemen mit einer Mindesthaltedauer. Die Validierung erfolgt anschließend anhand eines Anwendungsszenarios. Hierfür wird ein Vakuumgreif- system mit den erforderlichen Teilsystemen realisiert und dessen Reaktion auf mögliche Störfälle untersucht. 5 2 Theoretischer Hintergrund Der theoretische Hintergrund der Arbeit umfasst die Grundlagen der Handha- bungstechnik sowie der physikalischen Beschreibung des Vakuums. Darauf aufbau- end wird im Stand der Wissenschaft und Technik auf die Auslegung, den Betrieb und die Anwenundungsgebiete von Vakuugmreifsystemen eingegangen. Der Fokus liegt dabei auf den in der Problemstellung identifizierten Herausforderungen und den daran beteiligten Systemen. 2.1 Grundlagen Die Grundlagen beinhalten den Handhabungsvorgang, die Definition und die Be- grifflichkeiten des Vakuums sowie die Verwendung der Vakuumtechnologie in Hand- habungsaufgaben. 2.1.1 Handhabung, Greifeinrichtungen und –technik Unter Handhabung wird das „Greifen, Manipulieren und Positionieren von Ob- jekten“ bzw. das Aufnehmen, Halten, Lage bestimmen, Bewegen und Ablegen eines Handhabungsobjektes verstanden, wobei Greifen speziell den Vorgang der Schaffung einer festen oder aber einer in ausgewählten Freiheitsgraden beweglichen Verbindung eines Bezugssystems mit dem zu bewegenden Handhabungsobjekt be- schreibt (Hesse 2006; Straßer 2011). Der Ablauf eines Handhabungsprozesses lässt sich in die drei Phasen Greifen, Halten und Lösen bzw. in Greifen, Bewegen und Ablegen unterteilen (Grubba 2002; Wolf et al. 2016). Eine feinere Abstufung un- tergliedert den Prozess in die Phasen Greifen in Anfahren, Auf- bzw. Ansetzen 7 2 Theoretischer Hintergrund Tabelle 2.1: Unterschiedliche Unterteilung der Phasen eines Greifprozesses Autoren Grubba 2002 Wolf et al. 2016 Schaaf et al. 2010 Ph as en de s G re ifp ro ze ss es Greifen Greifen Anfahren Auf- bzw. Ansetzen Greifkraft aufbringen Halten Bewegen Anheben Transport Lösen Ablegen Ablegen bzw. Abheben und Greifkraft aufbringen. Unter Halten fällt sowohl das Anheben als auch der Transport. Lösen wird beschrieben durch das Ablegen des Handhabungsobjektes und das Wegfahren bzw. Abheben des Greifers vom Handhabungsobjekt (Schaaf et al. 2010). Eine Übersicht der unterschiedlichen Unterteilungen zeigt Tabelle 2.1. Üblicherweise findet der Begriff Greifer auch Anwendung, wenn nicht gegriffen, sondern mittels flächig wirkenden Kräften durch ein Vakuum oder Magnetfeld die Haltefunktion realisiert wird (Hesse 2011). Der Begriff Greifer oder auch Greif- system bezeichnet somit eine Einrichtung zum Greifen, die Teil eines Handha- bungsgeräts ist. Die Positionierung und Orientierung der Greifer erfolgt mit Hilfe dieses Handhabungsgerätes, auch Greiferführungsgetriebe genannt. Dies geschieht durch allgemeine räumliche Bewegungen (Norm VDI 2740). Das Handhabungsge- rät verfügt über eine charakteristische Kinematik, die die Ausführung definierter Bewegungen erlaubt. Zusammen mit dem Handhabungsgerät bildet der Greifer ein Handhabungssystem, das einen Handhabungsvorgang ausübt (Giesen 2017). Die Greifer nehmen als Schnittstelle zwischen Handhabungsgerät (Industrieroboter) und Handhabungsobjekt eine Schlüsselstellung im Zusammenhang mit der Fle- xibilisierung von Verpackungs-, Fertigungs- und Handhabungseinrichtungen ein (Grubba 2002; Braun 1989). Dabei sind die Hauptaufgaben des Greifers das Her- stellen sowie Aufrechterhalten und Lösen einer Verbindung zwischen Greifobjekt und Handhabungsgerät. Zusätzlich können, abhängig vom Anwendungsfall, Son- derfunktionen hinzukommen. Dazu zählen unter anderem die Änderung der Posi- tion des Handhabungsobjektes, die Änderung der Orientierung des Handhabungs- 8 2.1 Grundlagen objektes und die Aufnahme von Informationen. Dabei muss der Greifer statische und dynamische Kräfte und Momente für die Erfassung des Handhabungsobjektes aufbringen sowie solche, die durch die Handhabung auftreten, aufnehmen (Norm VDI 2740). 2.1.2 Vakuum Als Vakuum wird der Bereich bezeichnet, in dem der Absolutdruck unter dem Atmosphärendruck liegt (Norm DIN EN 1012-2). Der (physikalischen) Druck p ist dabei definiert als der Quotienten aus Normalkraft FN auf die Fläche A und ebendieser Fläche: p = FN A (2.1) Der Druck tritt in folgenden Bezeichnungen auf: Absolutdruck pabs: Druck gegenüber dem Nulldruck im leeren Raum Differenzdruck ∆p: Differenzdruck zwischen zwei Drücken p1 und p2, ∆p = p2 − p1 Überdruck pe: Differenz zwischen Absolutdruck pabs und Atmosphärendruck pamb, pe = pabs − pamb Der Bereich pe < pamb wird als Vakuum bezeichnet und ständig als absoluter Druck angegeben (Norm DIN 28400-1; Norm DIN 1314). Die Angabe des Drucks erfolgt in der Einheit Pascal bzw. in der weiteren Einheit bar, nicht zulässig sind die physikalische oder technischer Atmosphäre atm und at (Norm DIN 1301-1; Norm DIN 1301-2; Norm DIN 28402). Der Bereich des Vakuums ist in unter- schiedliche Druckbereiche untergliedert (Norm DIN 28400-1). Der Druckbereich von 1000 mbar bis 1 mbar absolut wird dabei als Grobvakuum bezeichnet. Neben der Angabe des Absolutdrucks erfolgt häufig die Angabe des Vakuums prozen- tual auf den Referenzatmosphärendruck bezogen. 0 % Vakuum entsprechen dabei dem absoluten Umgebungsdruck von 1000 mbar, 100 % Vakuum dem Absolutdruck von 0 mbar (Murrenhoff et al. 2014). Wobei in der Praxis ein Vakuum von 10 % 9 2 Theoretischer Hintergrund (900 mbar) bis 90 % (100 mbar) Anwendung findet, da dieser Bereich für Hand- habungsaufgaben ausreichend ist. Ein Vakuum größer 60 % ist jedoch mit über- proportional hohem Energieaufwand verbunden (Hesse 2011; Götz 1991). In der Fluidtechnik werden Größen häufig bezogen auf den Normzustand angegeben. Der Normzustand bezeichnet denjenigen Referenzzustand, welcher durch die Normtem- peratur Tn (Tn = 273,1 K) und den Normdruck pn (pn = 101 325 Pa) festgelegt ist (Norm DIN 1343). Zusätzlich relevant für fluidtechnische Anwendungen sind der definierten Standard-Referenzatmosphärendruck von 1 bar und die Standard–Re- ferenztemperatur von 20 ◦C (Norm ISO 8778). Für eine ausführliche Auseinander- setzung bezüglich der Normen und Empfehlungen für die Vakuumtechnik, die über den Gegenstandsbereich dieser Arbeit hinausgehen, siehe (Schubert 1991). Weiter- hin sind die genauen Definitionen der Formelzeichen in den Normen DIN 1304, DIN 1314 und DIN 1345 beschrieben (Norm DIN 1304; Norm DIN 1314; Norm DIN 1345). 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik Vakuumgreifsysteme umfassen eine Mindestanzahl an erforderlichen Komponen- ten, darunter die Vakuumerzeuger und die Schnittstelle zum Handhabungsobjekt in Form von Saugern. Diese Komponenten sind entscheidend an den im Vakuum- greifsystem auftretenden fluidischen Vorgängen beteiligt. Des Weiteren gibt es un- terschiedliche Ansätze, wie ein aus diesen Komponenten bestehendes Vakuumgreif- system für eine Handhabungsaufgabe ausgelegt und betrieben wird. Zum Einsatz können Vakuumgreifsysteme neben den klassischen Handhabungsaufgaben auch ortungebunden und in unterschiedlichen kollaborativen Ausprägungen kommen. 2.2.1 Aufbau von Vakuumgreifsystemen Der Handhabungsprozess lässt sich allgemein durch fünf Domänen beschreiben, die alle miteinander interagieren (Pham et al. 1991; Schmalz et al. 2014). Diese sind die Umgebung, die Handhabungseinrichtung, das Handhabungsobjekt, die Aufgabe 10 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik und der Greifer. Das Gesamtsystem Handhabungseinrichtung besteht aus einem Handhabungsgerät (1), beispielsweise einem Roboter, in Kombination mit einem Vakuumgreifer (vgl. Abbildung 2.1). Letzterer wiederum setzt sich aus einem oder mehreren Vakuumsystemen zusammen, die jeweils aus einem Vakuumerzeuger mit optional integrierter Sensorik (2), einem oder mehreren Saugern (3) und den flui- dischen Verbindungen (4) ebendieser bestehen, die an einer Tragestruktur (5) be- festigt werden. Der Kontakt zum Handhabungsobjekt wird dabei über den Sauger hergestellt (Kuolt et al. 2016; Patentschrift US 6,817,639 B2 2003b). Abbildung 2.1: Beispielhafter Aufbau eines Vakuumgreifsystems mit Handha- bungsobjekt Vakuumerzeuger in Vakuumgreifsystemen Das Wirkprinzip der Vakuumsauggreifsysteme beruht auf einer Druckdifferenz zwi- schen dem Umgebungsdruck und dem Innenvolumen des Saugers, der dicht auf der Oberfläche des Handhabungsobjektes positioniert ist. Das Handhabungsob- jekt wird folglich durch den Umgebungsdruck gegen die Dichtlippe des Saugers gepresst, was einen Kraftschluss bewirkt. Da im Normalfall unter Umgebungs- bedingungen gearbeitet wird, ist im Innenraum des Saugers die Erzeugung eines 11 2 Theoretischer Hintergrund Unterdrucks notwendig (Hesse 2011; Seegräber 1993). Grundsätzlich kann diese Erzeugung des Unterdrucks auf zwei unterschiedliche Prinzipien erfolgen (Tomo- kazu et al. 2015). Das erste Prinzip beschreibt die Vakuumerzeugung in einem ge- schlossenen System, was bedeutet, dass die Masse im Sauger konstant ist (passiver Sauger (Chen et al. 2015)). So auch bei in der Natur vorkommenden Haftmechanis- men, etwa bei der Miesmuschel, bei der das Vakuum durch Volumenvergrößerung des Saugnapfes durch Muskelkraft erzeugt wird (Rischka et al. 2004). Das gleiche Prinzip tritt beispielsweise auch beim Tintenfisch und der Napfschnecke sowie dem Seestern und dem Seeigel auf (Piatkowski et al. 2017; Müller 2017a; Müller 2017b). Als Vorbereitung werden dabei die Sauger auf eine Oberfläche gedrückt (Yoshida et al. 2010). Das Vakuum wird dann durch Aufwendung einer Kraft erzeugt, die zu einer Vergrößerung des inneren Volumens führt (vergleichbar etwa mit einer Spritze). Das bedeutet, dass für das innere Volumen des Saugers V gilt: V1 < V2. Gemäß der idealen Gasgleichung sinkt dadurch in einem geschlossenen, isothermen System der absolute Druck p, für den gilt p1 > p2. Der Zusammenhang zwischen Druck und innerem Volumen des Saugers lässt sich dadurch mit p ∼ V −1 (2.2) beschreiben. Es gilt für die Änderung des Drucks ∆p in Abhängigkeit der Änderung des inneren Volumens des Saugers ∆V , die wiederum durch eine Änderung der Kraft ∆F hervorgerufen wird, folgender Zusammenhang: ∆p = f(∆V ) (2.3) wobei ∆V = f(∆F ) (2.4) und m = konst. (2.5) Dieser Zusammenhang fußt auf der Annahme, dass die Leckage an der Schnittstelle zwischen Sauger und Handhabungsobjekt vernachlässigbar ist. Dies gilt nicht für Anwendungen mit saugdurchlässigen Handhabungsobjekten und Handhabungs- 12 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik objekte mit unebener Oberfläche. Der hier beschriebene Prozess der Vakuumer- zeugung ist passiv und kann dadurch keinen Druckanstieg im Sauger kompensie- ren, der durch unzureichende Abdichtung des Vakuumraumes hervorgerufen wird. Passiv heißt auch, dass die benötigte Kraft durch das Handhabungsgerät auf- gebracht wird und das Vakuumsystem keine eigene Energieversorgung benötigt (Kuolt 2013). Das zweite Prinzip ist ein offenes System. Hierbei ist die Erzeugung des Vaku- ums aktiv (aktiver Sauger (Chen et al. 2015)). Das heißt, es gibt entweder einen elektrischen oder pneumatischen Vakuumerzeuger (Murrenhoff et al. 2014). Besag- te Vakuumerzeuger reduzieren die Gasmasse innerhalb des inneren Volumens des Saugers und dadurch den Druck innerhalb des Saugers. Je nach Ausgestaltung des Saugers kann zudem dessen inneres Volumen während des Evakuierens reduziert werden. Wenn der Sauger als Saugplatte ausgeführt ist, bleibt dessen inneres Vo- lumen konstant. Dies bedeutet, dass für das innere Volumen des Saugers V1 ≥ V2 und den absoluten Druck p1 > p2 gilt. Der Zusammenhang zwischen Druck und innerem Volumen des Saugers lässt sich dadurch mit p ∼ V (2.6) beschreiben. Die Änderung des absoluten Drucks lässt sich durch folgenden Zu- sammenhang beschreiben: ∆p = f(∆V ) (2.7) wobei ∆V = f(∆m) (2.8) Für Saugplatten gilt ∆p = f(∆m), V = konst. (2.9) Im geschlossenen System wird die Druckänderung durch eine Volumenänderung hervorgerufen, während im offenen System, je nach Geometrie des Saugers, die Druckänderung eine Volumenänderung verursachen kann (vgl. Abbildung 2.2). Die Druckänderung wird dabei durch eine Änderung der Masse innerhalb des Systems verursacht. Dies bedeutet, dass bei der pneumatischen Vakuumerzeugung keine 13 2 Theoretischer Hintergrund Wandlung der Energieformen innerhalb des Vakuumgreifsystems stattfindet. Bei der aktiven Vakuumerzeugung hingegen findet eine Wandlung der Energieformen statt. So wird bei einer Pumpe die elektrische in (mechanische) kinetische Energie und beim Ejektor die innere Energie in (fluidische) kinetische Energie gewandelt. Unter aktiver Vakuumerzeugung wird folglich der Vorgang verstanden, bei dem F ṁ Abbildung 2.2: passives (links) und aktives (rechts) Vakuumerzeugungsprinzip Gas aus einem Behälter mit Hilfe einer Pumpe an eine Stelle transportiert wird, an der ein höherer Gasdruck vorliegt. Während dieses Vorgangs passiert das Gas die Pumpe (Edelmann 1998). Diese Pumpe oder auch Vakuumpumpe beschreibt eine Komponente für die Erzeugung, Verbesserung oder/und Aufrechterhaltung eines Vakuums und kann auf unterschiedliche Arten ausgeführt werden (Norm DIN EN 1012-2). Hier findet keine bzw. eine intermittierender Volumenänderung (in der Va- kuumpumpe) statt. Passive Vakuumerzeugung beruht auf einer einmaligen Volu- menänderung (im Sauger). Die unterschiedlichen Prinzipien der Vakuumerzeugung innerhalb des Systems Vakuumgreifer sind in Tabelle 2.2 in Abhängigkeit der En- ergiezufuhr und den daraus resultierenden Bewegungsformen sowie Volumenände- rungen klassifiziert. In der Handhabungstechnik werden Vakuumpumpen vor allem aus der Gruppe der Gastransferpumpen eingesetzt, insbesondere Verdrängervaku- umpumpen und Gasstrahlvakuumpumpen (sog. Ejektoren) als Ausprägungen der kinetischen Vakuumpumpen. Bei der Treibmittelvakuumpumpe wird in ihrer Aus- führung als Gasstrahl- bzw. Luftstrahlpumpe ein schnell bewegtes gasförmiges Me- dium benutzt, um abzupumpendes Gas zum Pumpenauslass zu fördern (Jousten 2013; Norm DIN EN 1012-2). Verdrängervakuumpumpen saugen das zu fördernde Gas an, verdichten und stoßen es aus. Dabei wird das mit Gas gefüllte Volumen 14 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik Tabelle 2.2: Prinzipien der Vakuumerzeugung in Vakuumgreifsystemen Energiezufuhr Bewegungsform Volumenänderung Ausführung Va ku um er ze ug un g im G re ifs ys te m mechanisch translatorisch einmalig Hubkolben (vgl. z.B. (Kuolt 2013)) intermittierend Doppelhubkolben rotatorsich intermittierend mechanische Vakuumpumpe elektrisch translatorisch einmalig Hubkolben (vgl. z.B. (eta|opt GmbH 2018b)) intermittierend Doppelhubkolben (vgl. z.B. (eta|opt GmbH 2018a)) rotatorisch intermittierend elektrische Vakuumpumpe (�) keine Kompressor und Ejektor pneumatisch Strömung keine Ejektor (�) intermittierend Druckluftmotor und Vakuumpumpe (�)=gängig in der Handhabungstechnik periodisch von der Ansaugöffnung abgetrennt und zum Auslass befördert. Diese Pumpen sind entweder als oszillierende oder rotatorische Verdrängervakuumpum- pen ausgeführt (Norm DIN 28400-2; Norm DIN EN 1012-2). Weiterhin können für geringe Vakuumwerte Ventilatoren verwendet werden (Norm DIN EN ISO 13349). Schematische Darstellungen dieser Vakuumerzeuger sind in Abbildung 2.3 dar- gestellt. Typische Kennfelder eines pneumatischen Vakuumerzeugers am Beispiel eines Ejektors und zweier elektrischer Vakuumerzeuger am Beispiel einer Verdrän- gervakuumpumpe sowie eines Vakuumgebläses zeigt Abbildung 2.4. Dabei handelt es sich um Komponenten, die in der Vakuumhandhabungstechnik eingesetzt wer- den (Day 2014). Zu erkennen ist dabei, dass das Gebläse zwar einen sehr hohen Volumenstrom bereitstellt, aber nur ein vergleichsweise geringes Vakuum erzeugen kann. Damit eignet es sich besonders für luftdurchlässige Handhabungsobjekte, wohingegen Verdrängervakuumpumpen und Ejektoren auf Grund ihres minimal er- 15 2 Theoretischer Hintergrund Treibmittelvakuumpumpe rotatorische Verdrängervakuumpumpe oszillierende Verdrängervakuumpumpe Radialventilator Abbildung 2.3: Schematische Darstellungen verschiedener Vakuumerzeuger (J. Schmalz GmbH 2018a; J. Schmalz GmbH 2018b) reichbaren Drucks und niedrigeren Volumenstroms für luftundurchlässige Handha- bungsobjekte mit höherer Masse geeignet sind. Beispiele für Vakuumerzeuger sind in Abbildung 2.5 dargestellt. Diese verfügen über eine Zustandsüberwachung, die unter anderem eine Kontrolle der Dichtigkeit des Systems ermöglicht (J. Schmalz GmbH 2016b). Ejektoren weisen dabei wegen des Fehlens beweglicher Teile im Vergleich zu Verdrängervakuumpumpen eine hohe Betriebssicherheit auf. Darüber hinaus lassen sich die Ejektoren durch geringe Herstellkosten sowie eine kompakte Bauweise charakterisieren. Insbesondere aufgrund dieser Eigenschaft werden Ejek- toren häufig in der Handhabungstechnik eingesetzt (Götz 1991). 16 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik 200 400 600 800 1.000 0 50 100 150 200 250 Absolutdruck in mbar N or m vo lu m en st ro m in m 3 h Gebläse Verdrängervakuumpumpe Ejektor Abbildung 2.4: Leistungsvergleich typischer Sauglufterzeuger nach (Fritz 2017; Hesse 1997) Abbildung 2.5: Beispiele für einen Ejektor (links), eine elektrische Verdrängerva- kuumpumpe (Mitte) und ein Radialventilator (rechts) (J. Schmalz GmbH 2016b; J. Schmalz GmbH 2018c; J. Schmalz GmbH 2017d) Nachteilig sind jedoch der geringe Wirkungsgrad (vgl. dazu Fritz et al. (2013)) und die hohe Geräuschentwicklung. Mit handelsüblichen Ejektoren lässt sich ein Vakuum von bis zu 90 % erzeugen (Murrenhoff et al. 2014). Um den Saugvolu- 17 2 Theoretischer Hintergrund menstrom von Ejektoren zu erhöhen, können diese mehrstufig ausgeführt werden (Hesse 2011). Sauger Sauger sind Hilfsmittel zur Abgrenzung eines Druckraumes. Da die Dichtwirkung der Sauger von der Oberfläche des Werkstücks abhängt, sind glatte, flache und sauberen Oberfläche besonders geeignet (Teichert 2012; Weck 2005). Durch ihren Aufbau können sie sich an Oberfläche und Kontur des Werkstücks anpassen (Tella et al. 1982). Sauger werden generell in Flach- und Balgsauger (auch: Teleskop- sauger) eingeteilt (vgl. Abbildung 2.6) und entsprechend nach der Beschaffenheit der Oberfläche des Werkstücks ausgewählt (Hesse 1997; Murrenhoff et al. 2014; Seegräber 1993). Flachsauger haben keinen Balg und somit wenig bis gar keine Möglichkeit zum Höhenausgleich. Balgsauger mit mehreren Bälgen (auch: Falten) bieten die Möglichkeit zum Höhen- und Winkelausgleich (Hesse 2011). Allerdings weisen diese dadurch ein höheres inneres Volumen auf, was zu einer höheren Evaku- ierungszeit, verglichen mit Flachsaugern, führt. Allgemein bekannte Werkstoffe für Sauger sind Kautschuk in unterschiedlichen Ausführungen, Hochtemperaturwerk- stoffe wie beispielsweise Hochtemperatur-Silikon, Elastodur, Polyurethan, Polyvi- nylchlorid und Moosgummi sowie Chloropren (Hesse et al. 2016; J. Schmalz GmbH 2017c; Hesse et al. 2004). Abbildung 2.6: Flach- (links) und Balgsauger (rechts) (J. Schmalz GmbH 2017c) 18 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik Sensorik Sensoren sind für automatisierte Prozessaufgaben unentbehrlich und kommen in Vakuumgreifsystemen zum Einsatz, um das System, insbesondere den Druck, wäh- rend des Handhabungsprozesses zu überwachen (Heinrich et al. 2015; Schaaf et al. 2010). Diese Sensoren können außerdem dafür genutzt werden, den Vakuumer- zeuger bei gewünschtem Vakuumwert abzuschalten und somit die Betriebskosten niedrig zu halten (Murrenhoff et al. 2014). 2.2.2 Fluidische Kenngrößen Prozessrelevant für Handhabungsprozesse mit Vakuumgreifsystemen sind die Zeit, bis der gewünschte Druck erreicht ist (sogenannte Evakuierungszeit) sowie Leckage in Form von einströmender Luft. Evakuierungszeit Im Bereich des Saugvermögens der Vakuumpumpe SV von SV ≈ 0 gilt für Vakuum- pumpen, dass dSV/dp deutlich größer ist als im restlichen Verlauf. Das heißt gegen Erreichen des minimal erreichbaren Drucks des Vakuumerzeugers pend bricht dessen Saugleistung merklich ein. Für Drücke kleiner 10 mbar nimmt die Kennlinie einen hyperbolischen Verlauf ein (Wutz et al. 1992). Je nach Größe und Ausführung des Vakuumerzeugers kann dessen Kennlinie auch den näherungsweisen Verlauf einer Polynomfunktion aufweisen (siehe z.B. (J. Schmalz GmbH 2017c) bei mehrstufi- gen Ejektoren). Der Evakuierungsvorgang lässt sich mit dem Volumendurchsatz für ausströmende Gase SA durch die Grundgleichung für den Evakuierungsprozess beschreiben (Edelmann 1998; Jousten 2013): V · dp dt + p · SA(p) = IE (2.10) 19 2 Theoretischer Hintergrund Die Größe des ausströmenden Anteils IA = p · SA(p) ist begrenzt durch das Saug- vermögen SV der Pumpe. SA entspricht dabei dem Saugvermögen des Vakuumer- zeugers SV , angegeben in l min oder m3 h : SV = dV dt (2.11) dV/dt beschreibt den Volumendurchfluss an der Ansaugöffnung der Pumpe. Das Produkt aus Saugvermögen SV und Druck p ergibt die Saugleistung SL. Sie ist definiert als Gasmenge, die durch den Pumpeneinlass strömt, angegeben in hPa l s (Demtröder 2018; Norm DIN EN 1012-2): SL = p · SV = p · dV dt (2.12) Das effektive Saugvermögen SV,eff bezeichnet das an der Ansaugöffnung des Rezi- pienten verfügbare Saugvermögen. Dies entspricht dem Saugvermögen der Pumpe SV , vermindert um die Verluste des Verbindungselements zwischen Pumpe und Rezipient. Analog steht SL,eff für die effektive Saugleistung (Demtröder 2018). Mit dem Saugvermögen lässt sich auf Basis der Grundgleichung des Evakuierungs- vorgangs (Gleichung (2.10)) die Zeit t bestimmen, bis im Rezipienten der Druck p erreicht ist. Für SA = konst. und IE = 0 ergibt sich mit der Anfangsbedin- gung p(t = 0) = p0 die Lösung der homogenen linearen Differentialgleichung erster Ordnung: p(t) = p0 · e− SA V ·t (2.13) Für den Fall, dass IE = konst. 6= 0 ergibt sich mit der Anfangsbedingung p(t = 0) = p0 die Lösung der inhomogenen linearen Differentialgleichung erster Ord- nung: p(t) = ( p0 − IE SA ) · e− SA V ·t + IE SA (2.14) Für die Berechnung der Zeit bis ein gewünschter Enddruck pend erreicht ist, ge- nügt im Grobvakuum meist die Umkehrfunktion von Gleichung (2.13) mit der maximalen effektiven Saugleistung der Pumpe Seff,max: t(p) = − V Seff,max · ln p p0 (2.15) 20 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik In der Praxis wird zur Sicherheit mit dem Faktor 1,2 oder größer multipliziert (Wutz et al. 1992). Leckage Da ein Vakuumsystem aus verschiedenen Komponenten besteht, die zueinander abgedichtet werden müssen, können sogenannte Lecks auftreten, die eine Gas- einströmung verursachen und unterschiedlich geometrisch ausgeprägt sein können (Norm EN 1330-8; Demtröder 2018). Diese treten in Vakuumgreifsystemen insbe- sondere dann auf, wenn keine vollständig geschlossene Dichtlippe vorhanden ist. Diese unvollständige Dichtung kann beispielsweise durch unebene und raue Werk- stückoberflächen hervorgerufen werden (Festo 2010). Außerdem kann die Form des Saugers Einfluss auf die Leckage nehmen (Jodin 1991). Allgemein lässt sich die Gaseinströmung IE auf mehrere Einströmungskomponenten zurückführen: IE = IL + ID + IP + IV (2.16) Diese teilen sich wie folgt auf (Edelmann 1998): IL beschreibt die Einströmung aufgrund von Öffnungen zwischen dem Va- kuumsystem und der Umgebung ID beschreibt den Gasstrom, der aufgrund der induzierten oder thermischen Desorption, dem Vorgang bei dem Atome oder Moleküle an der Oberfläche eines Festkörpers in die Gasphase übergehen, auftritt. IP beschreibt den Gasstrom durch völlig dichte Teile, die sogenannte Perme- ation, ein Diffusionprozess aufgrund eines Druckgefälles. IV beschreibt den Prozessstrom, der im Vakuumsystem auf Grund eines va- kuumtechnischen Prozesses wie Sublimieren oder Verdampfen von Substan- zen unter Vakuum entsteht. Die für Vakuumgreifsysteme relevante Leckage aufgrund von Öffnungen zwischen Sauger und Umgebung lässt sich in drei Kategorien einteilen (vgl. Abbildung 2.7) (Fritz 2017): 21 2 Theoretischer Hintergrund Abbildung 2.7: Darstellung der Leckage erster (links), zweiter (mittig) und dritter (rechts) Ordnung nach (Fritz 2017) Die Leckage erster Ordnung tritt innerhalb der Saugfläche an einer Öffnung des Werkstücks auf. Diese ist etwa bei Lochblechen anzutreffen. Die Leckage zweiter Ordnung resultiert aus Undichtigkeiten zwischen der Kontaktfläche des Saugers und des Werkstücks. Dies kann z.B. bei unebenen Werkstücken wie geriffelten Blechen auftreten. Folglich hat die Oberflächen- rauheit des Werkstücks einen Einfluss auf die Leckage (Tiwari et al. 2019b; Tiwari et al. 2019a). Die Leckage dritter Ordnung beruht auf einer Luftdurchlässigkeit des Werk- stücks. So sind z.B. Holz oder Karton keine saugdichten Materialien. Das heißt, diese Art der Leckage tritt bei besagten Werkstoffen kontinuierlich auf. Die dabei auftretende Einströmkomponente IL lässt sich durch: IL = V · dp dt + p · dV dt (2.17) beschreiben (Li et al. 2015). Unter der Annahme, dass sich das Produkt aus Druck p und Volumen V ändert, folgt: IL = ∆(p · V ) ∆t (2.18) 22 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik (Umrath 2016). Bei konstantem Volumen ergibt sich: IL(t) = V · dp dt (2.19) Mit diesem Zusammenhang lässt sich über die Messung des Druckanstiegs ∆p bei bekanntem Volumen V bestimmen (sog. Druckanstiegsprüfung (Norm EN 1779)). Der Druckanstieg wird durch eine Öffnung zwischen dem Vakuumsystem und der Umgebung hervorgerufen. Es liegt ein sogenanntes Leck vor und der einströmende Gasstrom ist zeitlich konstant: IL(t) = V · ∆p ∆t = konst. (2.20) (Edelmann 1998; Jousten 2013; Li et al. 2015). Damit lässt sich die Leckage be- schreiben als: L = IL V = ∆p ∆t = konst., [L] = mbar s (2.21) womit sich die Leckage mittels der Druckzunahme über der Zeit bestimmen lässt (Norm DIN EN 13184). Die Konstanz gilt jedoch nur für einen bestimmten Druck- bereich. Bei abgestelltem Vakuumerzeuger und konstanter Temperatur gilt nach Gleichung (2.19): t = p1∫ p2 V IL dp (2.22) für den Zusammenhang zwischen Zeit und Druck im System im Bereich des Drucks p unterhalb des kritischen Drucks pkr, hier ist der einströmende Gasstrom konstant. Der kritische Druck pkr wird durch pkr p0 = ( 2 κ + 1 ) κ κ−1 (2.23) beschrieben (Wutz et al. 1992). Sobald der kritische Druck pkr überschritten ist, sinkt der einströmende Gasstrom mit zunehmendem Druck. Allgemein lässt sich der Zusammenhang zwischen Zeit und Druck über den gesamten Unterdruckbe- reich durch grafische oder numerische Integration (Gleichung (2.22)) für die Tem- peratur T = 20 ◦C und den Bereich pend < pkr bis p > pkr wie folgt beschreiben 23 2 Theoretischer Hintergrund (Wutz et al. 1992) (für die Werte χ (p/p0) im Bereich pkr ≤ p siehe ebenfalls (Wutz et al. 1992)): t(p) = 6, 42 · 10−2 V d2 · [ χ ( p p0 ) − χ ( pend p0 )] (2.24) 2.2.3 Vorgehen zur technischen Auslegung von Handhabungseinrichtungen Für die Auslegung und Gestaltung technischer Systeme gibt es allgemeingültige Richtlinien und Vorgehensweisen für Gesamtsysteme sowie greifsystem-, vakuum- greifsystem- und vakuumgreifsystemkomponentenspezifische Vorgehensweisen. Gesamtsysteme Der Gestaltungsprozess eines Produktes lässt sich in acht Hauptschritte gliedern, beginnend mit der abstrakten Beschreibung des Wirkprinzips hin zur konkreten Realisierung. Die Grundregeln, die es in jedem Gestaltungsprozess anzuwenden gilt, sind als „eindeutig, einfach, sicher“ definiert (Feldhusen et al. 2013). Weiterhin gibt es eine allgemeine Vorgehensweise für den Produktentstehungsprozess (Norm VDI 2221). Dieses Vorgehen für die methodische Entwicklung von Lösungsprinzi- pien beinhaltet ein Vorgehen, das in sieben Arbeitsabschnitte aufgeteilt wird, die entsprechend sieben Arbeitsergebnisse hervorbringen. Diese Arbeitsschritte wer- den entweder vollständig, teilweise oder auch mehrmals iterativ durchlaufen (Norm VDI 2222-1). Zudem existiert ein generelles Vorgehen, das auf die Phase des Ge- staltens fokussiert ist (Norm VDI 2223). Greifsysteme Bezogen auf Greifsysteme existiert ein Verfahren für die Auswahl eines Greifkon- zepts. Hierbei wird die Greifaufgabe anhand von vier Merkmalen charakterisiert und in eine Merkmalliste überführt. Daraus werden Anforderungen an Teilsysteme des Endeffektors abgeleitet. Aus diesen Anforderungen heraus resultiert wiederum 24 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik eine Merkmalliste für den Endeffektor, die zu einem Leistungsprofil für den Greifer führt (Norm VDI 2740). Weiterhin lassen sich Greifprinzipien auf unterschiedlichen Parametern des Werkstücks, der Handhabungseinrichtung und der Umgebung oder auf Basis eines CAD-Modells auswählen (Agrawal et al. 2007; Cardaun 1981; Hesse et al. 2004; Pham et al. 1991; Schmalz et al. 2014; Tuleja et al. 2013; Fantoni et al. 2014a; Feldmann et al. 2014). Vakuumgreifsysteme Trotz der Ansicht, dass die Auswahl der Größe und Anzahl von Saugelementen mehr eine Kunst als eine Wissenschaft ist, gibt es bezogen auf Vakuumgreifsyste- me eine grundlegende Vorgehensweise zur Auslegung derartiger Systeme (Phillips 2013). Bei bekannter Position der Sauger wird deren erforderlicher Durchmesser und die damit zusammenhängende Fläche Ages (wobei Ages = A · z mit Anzahl der Sauger z und Fmax die maximale Haltekraft) über folgenden Zusammenhang beschrieben (Hesse 2011): Fmax = ∆p · A · z (2.25) Für die theoretische Haltekraft FT H gilt auf Basis der Coulomb‘schen Reibung (Popov 2015) FT H = m · µ∗ ·  ax ay + g  (2.26) Abhängig vom Lastfall (vgl. Abbildung 2.8) gilt für µ∗: µ∗ =  µ⊥ = ( 1 µ 1 ) µ‖ = ( 1 1 µ ) (2.27) Für einen dreidimensionalen Lastfall lässt sich der obige Ansatz entsprechend um eine z-Komponente erweitern. Vakuumsauggreifsysteme sind dabei mit Sicherheits- faktoren von 2 bis 5 zu versehen. Dies rührt aus einer Abweichung der realen von der theoretischen Haltekraft von bis zu 50 % (Becker 1993; Seegräber 1993). Für die Positionierung der Greifpunkte können Vorgehensweisen herangezogen werden, 25 2 Theoretischer Hintergrund x y µ FT H⊥ m · ax m · (ay + g) m · (ay + g) FT H‖ m · ax µ Abbildung 2.8: Berechnung der theoretischen Haltekraft für den senkrechten (links) und parallelen Lastfall (rechts) die auf einem Suchalgorithmus, der sich auf die Parameter des Werkstücks stützt, basieren. Zusätzlich dazu kann eine Berechnung, basierend auf einem Kräftemo- dell, genutzt werden (Grubba 2002; Schmalz et al. 2016; Schmierer 2001; Sdahl 2006). Einzelkomponenten Auswahl- und Dimensionierungshilfen von Komponenten beschreiben das Verhal- ten eines Saugers und das daraus resultierende Bewegungsverhalten des Werk- stücks sowie die Verformung der Sauger in Folge dynamischer Beanspruchung und deren Reibeigenschaften (Horák et al. 2002; Liu et al. 2006; Liu et al. 2002; Rad- tke 1992). Weitere Ansätze legen dar, wie die tangentiale Belastung von Saugern erhöht werden kann (Horák et al. 2012). Gelenkige Sauger weisen bei bestimmten Anordnungen und Lastfällen eine Ähnlichkeit zu Schrauben-Mutter-Baugruppen auf und lassen dadurch Rückschlüsse auf das Versagensmoment zu (Rutkowski et al. 2009). Für die Gestaltung der Saugerform gilt, dass diese strömungsgünstig ausgeführt werden sollten, um die Leckage so gering wie möglich zu halten (Jodin 1991; Schumann 1995). 26 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik Abbildung 2.9: Schaltbild eines pneumatisch vorgesteuerten Ejektors (links) (J. Schmalz GmbH 2016b) und eines Ejektors mit pneumatischer Re- gelung (rechts) (J. Schmalz GmbH 2015a) 2.2.4 Steuerung und Sicherheit von Vakuumgreifsystemen Abhängig vom Aufbau des Vakuumgreifsytems und dessen Komponenten sowie der Handhabungsaufgabe ergeben sich entsprechende Steuerungskonzepte und Si- cherheitsvorgaben. Steuerung im Normalbetrieb Die Steuerung von Vakuumsauggreifsystemen erfolgt durch Zu- und Abschalten des Vakuumerzeugers, basierend auf Sensoren, Steuerventilen und programmier- baren Steuerungen (Patentschrift DE 102004013058 B4 2005). Für die Steuerung der Zustandsgrößen von Vakuumsauggreifsystemen können dabei Steuerventile in Vakuumerzeugern oder ein Belüftungsventil verwendet werden (vgl. Abbildung 2.9, links) (Patentschrift DE 10151883 B4 2003a). Die Steuerung des Vakuumerzeugers 27 2 Theoretischer Hintergrund bzw. der Steuerventile kann entweder ausschließlich pneumatisch erfolgen (dafür bedarf es allerdings eines zweiten Druckluftanschlusses, um das Werkstück abzu- legen (vgl. Abbildung 2.9, rechts)) oder auf unterschiedlichen Schaltzuständen ba- sieren (vgl. Abbildung 2.10). So wird nach dem Erreichen eines Schwellwerts (H1) die Vakuumerzeugung abgeschaltet. Dies geschieht während des Evakuierungsvor- gangs im Zeitraum von t0 bis t1. Die Vakuumerzeugung wird wieder eingeschaltet, wenn eine Überschreitung der definierte Druckdifferenz h1 aufgrund von Lecka- ge auftritt. Die Steuerung erlaubt außerdem, die Schaltzyklen der verwendeten Komponenten zu erfassen, zu überwachen und auszuwerten. Dies ermöglicht eine Überwachung der Dichtigkeit des Vakuumsauggreifsystems und dessen Verschlei- ßes (Patentschrift EP 1781559 B1 2009; Patentschrift DE 10 2007 058 114 A1 2009a; Patentschrift EP 2815132 B1 2016c). Selbiges kann auch durch die Mes- sung und einen Vergleich der Evakuierungszeit mit einem Referenzwert durchge- führt werden (Patentschrift US 5,617,338 1997; Patentschrift DE 102004047853 A1 2006; Patentschrift DE 102007061820 A1 2009b). Das Erreichen eines zweiten Schwellwerts (H2, im Absolutdruckbereich oberhalb des vorherigen) signalisiert, dass das Werkstück gegriffen ist (Patentschrift US 9,707,686 B2 2015b). Weitere Rückschlüsse über die Effizienz und Qualität der Strömung des Systems lassen sich durch freies Ansaugen, also Aktivierung des Vakuumerzeugers ohne an den Saugern anliegendes Werkstück, gewinnen. Dieser Vorgang dient als Referenz, um die Präsenz von Werkstücken zuverlässig zu detektieren. Eine weitere Möglichkeit der Präsenzerkennung ist der Vergleich des aktuellen mit einem voreingestellten Druckwert (Patentschrift US 9,707,686 B2 2015b; Patentschrift DE 4229834 C2 1993). Zudem besteht die Möglichkeit, dass die Regelung auf Basis der Leckage erfolgt. Dies geschieht durch einen Vergleich der Druckzunahme über einen gewis- sen Zeitraum mit einem Schwellwert Llim. Eine Überschreitung des Schwellwerts Llim hat eine Aktivierung der Vakuumerzeugung zur Folge, auch wenn der Schwell- wert H1 − h1 noch nicht erreicht ist. Der Schwellwert H1 − h1 führt dann zu einer Aktivierung der Vakuumerzeugung, wenn die Leckage geringer ist als Llim. Bei einer zu häufigen Überschreitung von Llim wechselt der Vakuumerzeuger vom Re- gelbetrieb zu dauerhaftem Saugen. Ebenso bei zu häufiger An- und Abschaltung des Vakuumerzeugers. Um hier die Lebensdauer des Steuerventils nicht zu sehr zu 28 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik H1 H1 + h1 H2 H2 + h2 p0 p tt1 t2t0 t3 t4 Evakuieren Leckage Abblasen Abbildung 2.10: Qualitativer Druckverlauf während des Evakuierungsvorgangs mit auftretender Leckage beeinträchtigen, erfolgt ein Wechsel vom Energiesparbetrieb in den kontinuierli- chen Saugbetrieb (J. Schmalz GmbH 2016b). Der Druckverlauf ermöglicht zudem Rückschlüsse über die Kraft, die dem Greifer durch das handzuhabende Werkstück entgegengesetzt wird. Ebenso haben die sich über die Zeit ändernde Werkstoffpa- rameter Einfluss auf die Vakuumkennlinie. Dadurch lassen sich Rückschlüsse auf den Alterungsprozess des Saugers ziehen (Defranceski et al. 2016). Sicherheitsanforderungen und -einrichtungen Normative Anforderungen an die Funktionen von Handhabungssystemen an In- dustrierobotern sind im Folgenden aufgeführt. Durch einen Energieausfall (sowohl elektrisch als auch pneumatisch) darf keine Gefährdung entstehen (Norm DIN EN ISO 10218-1). 29 2 Theoretischer Hintergrund Eine Trennung der Anlage von den Energiequellen muss sicher möglich sein (Norm DIN EN ISO 4414). Nach Wiederkehren der Energieversorgung kann die Vakuumerzeugung in den Normalbetrieb zurückkehren (Norm DIN EN ISO 10218-1), wodurch jedoch keine Gefährdung, wie etwa durch Hineinziehen von Objekten in das Vakuumsystem, auftreten darf (Norm DIN EN ISO 12100; Norm DIN EN 1012-2). Leckage, sowohl intern als auch extern, darf zu keiner Gefährdung führen (Norm DIN EN ISO 4414). Der Verlust des Werkstücks stellt eine Gefährdung dar (Norm DIN ISO/TS 15066). Zudem gibt es im Bereich der manuellen Schlauchheber und Vakuumhebegeräte Vorgaben, die als Orientierung dienen. Dazu gehören: Eine Warneinrichtung, die anzeigt, wenn sich der Vakuumwert in einem Ge- fahrenbereich befindet. Ist es nicht möglich, den Vakuumverlust zu kompen- sieren, bedarf es einer optischen oder akustischen Warnung (Norm DIN EN 14238). Die vorgegebene Mindeesthaltedauer tmin bei Eintreten eines Energieausfalls liegt je nach Ausführung des Vakuumhebegeräts bei 2 oder 5 Minuten. Ist das System mit einem Speicher ausgestattet, muss die Haltedauer ausreichend lang sein, um den Gefahrenbereich zu verlassen (Norm DIN EN 13155; Norm DIN EN 14238). Allgemein müssen Steuerungen so ausgelegt sein, dass während des gesamten Be- triebsablaufs keine unbeabsichtigten gefährdenden Bewegungen auftreten (Norm DIN EN ISO 4414). Um dies zu vermeiden, muss die Steuerung den Grundsätzen und Verfahren bezüglich inhärent sicherer Konstruktionen sowie Minimierung ei- nes Ausfalls von Sicherheitsfunktionen entsprechen (Norm DIN EN ISO 12100). Eine fehlerfreie Funktion eines technischen Gerätes kann nur dann erwartet wer- den, wenn der Betrieb unter zulässigen Bedingungen erfolgt und kein Bedienfeh- ler vorliegt. Ist dies der Fall, ist es möglich eine Abweichung vom spezifizierten 30 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik Betrieb sicher als Fehler zu detektieren (Eberlin et al. 2014). Ein Ausfall der Ver- sorgungseinrichtungen muss daher vom Konstrukteur als Gefahr identifiziert und berücksichtigt werden, da dies eine typische Ursache für gefährdendes Maschi- nenverhalten darstellt. Typische Beispiele hierfür sind das Herabfallen oder Weg- schleudern von Werkstücken (Norm DIN EN ISO 12100). Fehler an technischen Geräten können zu jeder Zeit auftreten und lassen sich in frühe Fehler, zufällige Fehler und Verschleißfehler unterteilen. Zufällige Fehler treten dabei, im Gegen- satz zu frühen Fehlern und Verschleißfehlern, unabhängig von Betriebsdauer und Alter des Systems auf, sind also nicht vorhersehbar. Die Auftretenswahrscheinlich- keit dieser Fehler ist über die gesamte Lebensdauer des Systems konstant (Eber- lin et al. 2014). Vakuumlastaufnahmemittel mit manuellen Hebeeinrichtungen wie etwa Schlauch- oder Kranheber müssen so beschaffen sein, dass ein Heben der Last nur dann möglich ist, wenn der Druck ausreichend gering ist und aufrecht erhalten werden kann (Norm DIN EN 14238). Zudem muss die Möglichkeit be- stehen, bei Eintritt eines Energieausfalls die Last sicher abzusenken bevor diese sich löst. Dies bedeutet u.a., dass in einem Fall der Unterbrechung der Energie- versorgung die Maschine so konstruiert sein muss, dass keine Gefährdungssitua- tionen eintreten. Das heißt, dass Werkstücke so lange gehalten werden müssen, bis sie in einen sicheren Zustand, etwa durch Ablegen, überführt werden können (Norm DIN EN ISO 12100). Die Energieversorgung kann dabei durch Ausschalten und Abtrennen bzw. durch einen Ausfall getrennt oder reduziert werden. Dadurch darf keine Gefährdung auftreten. Eine Anlage muss daher eine sichere Trennung der Energiequelle ermöglichen und entsprechende Vorkehrungen aufweisen, wenn die Energieversorgung wiederkehrt (Norm DIN EN ISO 4414). So können elek- trisch gesteuerte Ejektoren über eine Spannungsüberwachung verfügen, die für den Fall eines Abfalls der Spannung unterhalb eines Schwellwerts den Ejektor in den Betriebszustand Saugen ohne Regelung versetzt (J. Schmalz GmbH 2017a). Somit entsteht in diesem Fehlerfall keine Gefährdung. Eine weitere Möglichkeit ist der Einsatz von pneumatisch-mechanischen Spannern (vgl. Abbildung 2.11). Diese schließen im Falle eines Ausfalls der Druckluftversorgung (p < plim) und greifen das Werkstück. Zudem gibt es die Möglichkeit, mittels Rückschlagventilen das Nach- strömen von Luft durch den Ejektor in das System zu verhindern. Dieses System 31 2 Theoretischer Hintergrund p ≥ plim p < plim Abbildung 2.11: Schematische Darstellung pneumatisch-mechanischer Spanner in Anlehnung an (SAS Automation 2014) ermöglicht es jedoch nicht, auftretende Leckage zu kompensieren und funktioniert somit nur bei nahezu absolut dichten Anwendungen (Piab AB 2018). 2.2.5 Greifsysteme mit ortsungebundener Vakuumerzeugung Unterdruckhandhabungseinrichtungen können über eine Energiewandlungseinrich- tung verfügen, die an einer mechanisch bewegten Komponente des Systems ange- ordnet ist und diese Bewegungsenergie und andere Energieformen in elektrische Energie wandelt (Patentschrift DE 102005047385 B4 2007). In Verbindung mit einer Batterie kann ein Greifer realisiert werden, der eine ortsunabhängig Ver- wendung erlaubt (Patentschrift GB2337982A 1999). Weiterhin besteht die Mög- lichkeit, druckluftaktuierte Handhabungseinrichtungen mit einer Druckluftmotor- Generator-Einheit auszustatten. Die Kombination mit einem nachgelagerten Ener- giemanagement erlaubt so die Versorgung einer Aktor-, Sensor- und Sensor-Aktor- Einheit (Haase et al. 2009). Außerdem existieren für saugdichte Materialien Hand- habungsgeräte mit passiver Vakuumerzeugung (vgl. Abbildung 2.12). Diese ver- fügen über eine batteriebetriebene Kontroll- und Warneinrichtung, die den Druck im System überwacht und bei kritischem Anstieg den Nutzer akustisch warnt (J. Schmalz GmbH 2017b). Weiterhin gibt es Vakuumhebegeräte mit elektrischem 32 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik Abbildung 2.12: Anwendungsbeispiel einer passiven Vakuumerzeugung (J. Schmalz GmbH 2017b) Antrieb oder Verbrennungsmotor, die temporär energieautark z.B. an einem Kran oder Gabelstapler betrieben werden können (vgl. Abbildung 2.13). Abbildung 2.13: Vakuum-Lagengreifsystem am Gabelstapler (J. Schmalz GmbH 2013) 33 2 Theoretischer Hintergrund 2.2.6 Mensch-Roboter-Interaktion Die Ausprägungen der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter unterschei- den sich neben ihrer räumlichen auch durch eine zeitliche Trennung oder Über- schneidung des Arbeitsraums und des Aufenthalts in diesem Arbeitsraum (vgl. Abbildung 2.14). Dabei muss der Roboter nicht ortsfest sein, sondern kann bei- Zelle Koexistenz Synchronisiert Kooperation Kollaboration Abbildung 2.14: Ausprägungen der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Robo- ter nach (Bauer et al. 2016) spielsweise auch auf einer mobilen Plattform montiert werden (Kuolt 2018). Das Design des Systems, in dem Mensch und Roboter gemeinsam arbeiten, hängt dabei davon ab, welche Aufgabe sie jeweils erledigen (Yanco et al. 2004). Ziel dabei ist es, die komplementären Stärken zusammenzuführen (Wang et al. 2017). Roboter sind besonders produktiv, wenn es um einfache Montageaufgaben geht, wohingegen komplexere Aufgaben einen hohen Programmieraufwand erfordern. Der Mensch ist auf Grund seiner Intelligenz dem Roboter überlegen, wenn es um Anpassung an eine neue Prozesssequenz geht. Die Synergie entfaltet im Bereich der Produktion kleiner Stückzahlen, die ein hohes Maß an Anpassbarkeit und Rekonfigurations- fähigkeit erfordert, die größte Wirkung. Die Arbeitsteilung kann beispielsweise so aussehen, dass der Roboter für das Anheben der Last verantwortlich ist, während der Mensch die komplexen Aufgaben, wie etwa die Installation eines Kabelbaums, übernimmt. Generell umfasst das Aufgabegebiet der Roboter in den meisten Fäl- len das Anheben und Halten von Objekten für den Menschen sowie das Ablegen, jeweils auf Anforderung des Bedieners (Krüger et al. 2009; Makris et al. 2017; Mi- 34 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik chalos et al. 2014). Vakuumgreifsysteme können dabei in allen Formen der Zusam- menarbeit Anwendung finden. Sowohl an einem Roboter in einer separaten Zelle als auch in einer kollaborierenden Anwendung (vgl. Abbildung 2.15). Abbildung 2.15: Beispiel einer Vakuumpumpe an einem kollaborativen Roboter (J. Schmalz GmbH 2019) 2.2.7 Zusammenfassung und Fazit Bezüglich der Zielsetzung lässt sich feststellen, dass im Bereich der technischen Auslegung von Vakuumgreifsystemen mit einer Mindesthaltedauer sowie der Un- tersuchung von Einflussfaktoren und deren Auswirkungen auf fluidische Vorgänge in Vakuumgreifsystemen eine Wissenslücke vorliegt. Die betrachteten Arbeiten be- schäftigen sich mit Methoden für die Auswahl des Greifprinzips sowie des Designs von Vakuumgreifern und deren Einzelkomponenten. Fluidische Untersuchungen beschränken sich auf biegeschlaffe Werkstücke und Hohlkörper. Tabelle 2.3 gibt ei- ne Übersicht über die Inhalte der Arbeiten, die sich mit Vakuumgreifsystemen und deren Komponenten befassen. Die Untersuchungen beziehen sich dabei auf Kräf- temodelle des Saugers (Becker 1993; Braun 1989; Callies et al. 2008; Schmierer 35 2 Theoretischer Hintergrund Tabelle 2.3: Übersicht über relevante Arbeiten und deren Betrachtungsgegenstände Auslegung Prozesssicherheit Autor/Herausgeber Modell- bildung Last- aufnahme Energie- ausfall Fluidische Vorgänge Last- aufnahme Energie- ausfall Becker 1993 • • Böger 1998 • • Braun 1989 • • • Callies et al. 2008 • • Fritz 2017 • • • Götz 1991 • • Grubba 2002 • • Horák et al. 2002 • • Kern 2017 • • Jodin 1991 • • Liu et al. 2002 • • Liu et al. 2006 • • Mantriota 2007a • • Norm DIN EN ISO 4414 • Norm DIN EN ISO 10218-1 • Norm DIN EN ISO 12100 • Novotný et al. 2009 Radtke 1992 • • Schmalz 2018 • • Schmierer 2001 • • Sdahl 2006 • • Simons 2006 • • Tuleja et al. 2013 • • 2001; Tuleja et al. 2014) bzw. der Wechselwirkung an der Kontaktfläche Sauger- Werkstück (Kern 2017; Simons 2006; Novotný et al. 2009) oder auf eine Model- lierung des Saugers und dessen Verformung aufgrund von Kräften, die während des Handhabungsvorgangs auftreten (Horák et al. 2002; Liu et al. 2002; Radtke 1992). Weitere Untersuchungen beschäftigen sich mit der Positionierung von Sau- gern auf Werkstücken (Mantriota 2007a; Mantriota 2007b; Mantriota et al. 2011; Schmalz et al. 2016; Sdahl 2006). Alle Arbeiten mit Ausnahme von (Fritz 2017) beschäftigen sich bezüglich der Prozesssicherheit mit der Lastaufnahme des Va- kuumgreifsystems oder einzelner Komponenten. Das Thema Energieausfall bzw. Mindesthaltedauer wird in keinem dieser Beitrag thematisiert. Bei bestehenden technischen Lösungen wie mechanisch-pneumatische Spanner geht der entschei- 36 2.2 Stand der Wissenschaft und Technik dende Vorteil von Vakuumgreifern gegenüber Greifern auf Basis von Form- bzw. Reibschluss verloren. Werden Spanner eingesetzt, sind die Abmaße des Greifsys- tems entweder in der Breite, der Höhe oder in beiden Richtungen größer als die des Werkstücks. Zudem erhöhen sie die Masse des Greifsystems und verringern da- durch (möglicherweise) die maximale Zuladung oder maximale Verfahrgeschwin- digkeit bzw. Beschleunigung des Handhabungssystems, was in erhöhten Taktzei- ten resultiert. Weiterhin sind die Investitionskosten derartiger Spanner, vor allem bei großer zulässiger Traglast, nicht zu vernachlässigen. Weiterhin können diese mechanisch-pneumatischen Sicherheitsspanner nur in Systemen mit pneumatischer Vakuumerzeugung eingesetzt werden. In druckluftfreien Systemen mit elektrischer Vakuumerzeugung ist kein System bekannt, das im Fall eines Spannungsabfalls in der Lage ist, Leckage zu kompensieren. Die Übersichtstabelle zeigt, dass so- wohl Untersuchungen und Beschreibungen von Vakuumgreifsystemen und deren fluidischen Vorgängen, deren Auslegung und deren Verhalten beim Auftreten ei- nes Energieausfalls existieren. Jedoch werden diese Gegenstände in den meisten Fällen isoliert betrachtet. Eine Arbeit, die diese drei Bereiche kombiniert, existiert nicht. Die Wissenslücke besteht daher in der Auslegung von Vakuumgreifsystemen unter Einbeziehung fluidischer Vorgänge, deren Verhalten beim Auftreten eines Energieausfalls bekannt ist. Basierend auf den Betrachtungen des Standes der Wissenschaft und Technik lassen sich zudem nachstehende Folgerungen ziehen: Der relevante Druckbereich für die Handhabungstechnik ist der Bereich ober- halb 100 mbar und hier aus energetischen Gründen insbesondere oberhalb 400 mbar sowie unterhalb 900 mbar. Ausgehend von einem Differenzdruck von 100 mbar und einem Sicherheitsfaktor ≥ 2 liegt die Obergrenze des für die Handhabungstechnik relevanten Druckbereichs bei 800 mbar. Nachfol- gende Untersuchungen fokussieren sich auf diesen Druckbereich. Jedes Vakuumgreifsystem ist leckagebehaftet. Dies führt im Falle eines En- ergieausfalls zu einem undefinierten Zustand. Folglich fällt das Werkstück, wenn es zu einem unbekannten Zeitpunkt nicht mehr gegriffen wird, ab und stellt dadurch eine Gefährdung dar. 37 2 Theoretischer Hintergrund Um diese Gefährdung zu verhindern, muss dass das Werkstück über einen definierten Mindestzeitraum gegriffen werden. Ist die Leckage im nach dem Stand der Technik ausgelegten Greifsystem zu hoch, um das Vakuum über einen definierten Zeitraum aufrechterhalten zu können, müssen zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden. Die dafür benö- tigte Energie muss autark verfügbar sein. Es gibt keine Methode zur definierten Vorhersage der Mindesthaltedauer. Diese gilt es, unter Berücksichtigung der relevanten fluidischen Parameter, zu entwickeln. 38 3 Analyse der Randbedingungen und Ableitung von Anforderungen Für eine Methode zur Auslegung von Vakuumgreifsystemen mit einer Mindesthal- tedauer auf Basis fluidischer Untersuchungen bedarf es einer Analyse der Rand- bedingungen. Randbedingungen beschreiben dabei sich aus der Problemstellung ergebende nicht veränderliche Abläufe, Parameter und Systeme. Basierend darauf werden die relevanten fluidischen Vorgänge identifiziert und die Untersuchungs- schwerpunkte festgelegt. Zudem lassen sich anhand von auftretenden Störfällen und eines Anwendungsszenarios Anforderungen an die zu entwickelnde Methode ableiten. 3.1 Handhabungsprozess und Vakuumsystem Als Referenz für den Ablauf eines Handhabungsprozesses unter Einsatz eines Va- kuumgreifsystems dient die in Abbildung 3.1 dargestellte siebenphasige Sequenz. Dabei besteht die erste Phase aus dem Anfahren des Vakuumgreifers an das Werk- stück, gefolgt von der zweiten Phase mit dem Aufsetzen. Bedingt durch die im Normalfall einseitige Aufbringung der Greifkraft durch Evakuieren des Greifsys- tems erfolgt in Phase drei das Ansaugen des Werkstücks. Ist der Druck im System niedrig genug, wird in Phase vier das Werkstück angehoben und in Phase fünf zum Zielort transportiert. Dort kommt es durch einen, entweder durch atmosphärisches Belüften oder durch Abblasen mittels Überdruck, eingeleiteten Druckanstieg zum Ablegen (Phase sechs). Ist das Werkstück vom Greifer getrennt, folgt in Pha- se sieben das Abheben des Greifsystems. Es gibt somit sieben Phasen, in denen 39 3 Analyse der Randbedingungen und Ableitung von Anforderungen 1 Aufsetzen2 Aufsetzen 3 Ansaugen 4 Anheben 5 Transport 6 Ablegen 7 Abheben1 Anfahren Abbildung 3.1: Phasen eines mittels eines Vakuumgreifsystems durchgeführten Handhabungsvorgangs die Versorgungsenergieträger entweder komplett oder teilweise ausfallen können. Der Ablauf eines störungsfreien Prozesses auf Basis des beschriebenen Handha- bungsprozesses sieht wie in Abbildung 3.2 dargestellt aus. Die beteiligten Sys- teme sind das Handhabungsgerät, das Vakuumgreifsystem sowie die Steuerung. Wird entweder durch eine externe Eingabe oder durch einen sich wiederholenden Zyklus der Handhabungsprozess initiiert, fährt die Handhabungseinrichtung das Werkstück an und setzt das Vakuumgreifsystem auf diesem auf. Sobald der Kon- takt zwischen Vakuumgreifsystem und Werkstück ausreichend gering ist, folgt der Evakuierungsvorgang. Während des Ansaugvorgangs verweilt das Gesamtsystem in seiner Position bis die Steuerung die Freigabe, dass das Greifsystem inklusive Werkstück angehoben werden kann, an die Handhabungseinrichtung sendet (sog. Verfahrfreigabe). Sowohl während des Anhebens als auch des Transports wird das Vakuumsystem durch eine Zwei-Punkt-Regelung betrieben. Ist die Zielposition erreicht, verweilt das Gesamtsystem in seiner Position und das Werkstück wird entweder durch atmosphärisches Belüften oder Abblasen mittels Überdruck abge- legt. Ist mindestens der Umgebungsdruck erreicht, hebt das Gesamtsystem ab und verfährt zu der Position, an der der nachfolgende Handhabungsprozess stattfindet. Je nach Handhabungsaufgabe kann zwischen den einzelnen Schritten zudem eine Verweilzeit bestehen. Das Verhalten des Vakuumerzeugers basierend auf der in Abschnitt 2.2.4 beschriebenen Regelung während des Handhabungsvorgangs ist in Abbildung 3.3 dargestellt. 40 3.1 Handhabungsprozess und Vakuumsystem Handhabungsgerät Vakuumgreifsystem Steuerung Anfahren Aufsetzen Ansaugen Anheben Transport Ablegen Vakuumerzeugung aktivieren Regelbetrieb Anheben Verfahrfreigabe Regelbetrieb Transport Halt Ende Start Abblasen/Belüften Anfahren Aufsetzen Halt Abheben Ablegevorgang initiieren Handhabungsprozess initiieren Abheben Evakuierungsvorgang initiieren Umgebungsdruck erreicht Zielvakuumwert erreicht Zielposition erreicht Abbildung 3.2: Ablaufdiagramm eines störungsfreien Handhabungsvorgangs 41 3 Analyse der Randbedingungen und Ableitung von Anforderungen Phase Anfahren Aufsetzen Ansaugen Abheben Transport Ablegen Abheben Zustand Standby Standby aktiv aktiv Regelung Abblasen Standby Abbildung 3.3: Betriebszustände der Vakuumerzeugung während eines störungs- freien Handhabungsvorgangs 3.2 Fluidische Vorgänge in Vakuumgreifsystemen Thermodynamisch betrachtet handelt es sich bei Vakuumgreifsystemen um of- fene Systeme, die eine Ausströmkomponente IA sowie eine Einströmkomponente IE aufweisen. Basierend auf dem in Abschnitt 3.1 beschriebenen siebenphasigen Handhabungsprozess lassen sich die fluidischen Vorgänge wie in Tabelle 3.1 darge- stellt zuordnen. Das Vakuumgreifsystem ist dabei nicht adiabat, da auf Grund des großen Verhältnisses von Oberfläche zu Volumen, insbesondere in den fluidischen Verbindungen, ein Wärmeaustausch mit der Umgebung stattfinden kann (Spurk et al. 2019). Weiterhin sind die hier auftretenden fluidischen Vorgänge nicht re- versibel (Sandmaier 2019). Dadurch liegt keine isentrope Zustandsänderung vor (Baehr et al. 2012). Tabelle 3.1: Zuordnung der Phasen des Handhabungsprozesses zu den relevanten fluidischen Vorgängen Phase fluidische Vorgänge 1 Anfahren - 2 Aufsetzen - 3 Ansaugen Evakuieren und Leckage 4 Anheben Expansion und Leckage 5 Transport Leckage 6 Ablegen Belüften/Abblasen 7 Abheben - 42 3.2 Fluidische Vorgänge in Vakuumgreifsystemen 3.2.1 Evakuierungsvorgang Wird die aus dem Stand der Wissenschaft und Technik bekannte Gleichung (2.15) zur Berechnung der Evakuierungszeit herangezogen, werden hier weder nichtli- nearen Leckageeinflüsse noch Puffervolumina oder Druckverluste im System sowie eventuelle Volumenänderungen des Greifers berücksichtigt (Götz 1991). Um den Zusammenhang zwischen Zeit und Druck im Vakuumsystem während des Evaku- ierungsvorgangs zu beschreiben, wird eine über den Druck konstante Saugleistung der Pumpe angenommen (Edelmann 1998). Untersuchungen zeigen jedoch, dass bei in der Vakuumhandhabungstechnik verwendeten Vakuumerzeugern ein linea- rer Zusammenhang zwischen diesen Größen besteht (Fritz 2017; Hesse et al. 2004) (vgl. Abbildung 2.4). Die Lösung der Gleichung (2.10) mit einem variablen Saug- vermögen existiert in der Literatur nicht. Weiterhin basiert die Gleichung auf einer isothermen Zustandsänderung während des Evakuierungsvorgangs. 3.2.2 Haltevorgang Dadurch, dass es sich bei den Saugern um elastische Elemente handelt, werden diese, nachdem sie während des Evakuierungsvorgangs komprimiert werden, beim Anheben der Last aufgrund der Gewichtskraft wieder gedehnt. Dies hat zur Folge, dass sich der thermodynamische Zustand im Sauger ändern kann, was wiederum den Druck im System beeinflusst. 3.2.3 Leckage Die Gasabgaberate, die die Einströmkomponente ID beschreibt, liegt eine bis meh- rere Größenordnungen darunter (vgl. (Jousten 2013), Beispiel Vulkollan mit ei- ner Gasabgabestromdichte von ≈ 10−1 mbar cm3 s cm2 ). Der Einfluss von Desorption von Wasserdampf auf den Druck im System wird im Folgenden beschrieben. Für den Dampfdruck von Wasser ps w gilt (Baehr et al. 2012): ps w(T ) = ptr · e17,2799− 4102,99 T +237,431 (3.1) 43 3 Analyse der Randbedingungen und Ableitung von Anforderungen Mit ptr = 6,116 57 mbar für 0,01 ◦C ≤ T ≤ 60 ◦C folgt für die Referenztemperatur von 20 ◦C: ps w = 23,4 mbar (3.2) Dies liegt deutlich unter dem Druckbereich von Vakuumhandhabungssystemen, d.h., die Desorption muss im Folgenden nicht berücksichtigt werden. Noch größer sind die Differenzen in den Größenordnungen bei der Einströmkom- ponente IP (vgl. (Edelmann 1998), Beispiel für die Permeationsstromdichte von Stickstoff durch Gummi von ≤ 6, 5 ·10−11 mbar cm3 s cm3 ). Da im Vakuumsauggreifer kein vakuumtechnischer Prozess stattfindet, tritt hier die Einströmkomponente IV nicht auf. Als Faustregel gilt dabei, dass für die Gaseinströmung IE > 10−1 mbar cm3 s cm2 die Strömung durch das Leck praktisch vollständig laminar ist (Jousten 2013). Aus Gleichung (2.24) ist der Zusammenhang zwischen der Zeit t vom Druck nach Abschluss des Evakuierungsvorgangs pend bis zum durch Leckage ansteigenden Druck p in einem geschlossenen Behälter mit kreisrunder Öffnung mit dem Durch- messer d bekannt. Es gilt für den Rechenfaktor χ: χ ( p p0 ) =  p p0 für 0 < p ≤ pkr χ̃ für pkr < p ≤ 1000 mbar (3.3) Für den Verlauf des Rechenfaktor χ über das Druckverhältnis p/p0 siehe Abbil- dung 3.4 (links). Wobei nach Gleichung (2.23) gilt pkrit = 528 mbar. Weiterhin lässt sich χ durch eine Polynomfunktion 5. Grades nähern: χ̃ = 151, 04 ( p p0 )5 − 529, 58 ( p p0 )4 + 737, 69 ( p p0 )3 − 509, 9 ( p p0 )2 + 175, 83 p p0 − 23, 785 (3.4) Die lineare Beziehung gilt also im Bereich p < 528 mbar. Wird die Funktion χ ( p p0 ) genauer betrachtet, ist der Bereich p ≤ 800 mbar näherungsweise linear (vgl. Ab- bildung 3.4 rechts), mit folgendem Zusammenhang: χ̄ ( p p0 ) = 1, 025 p p0 (3.5) Je nach Anwendungsfall kann auch bewusst eine gewisse Leckage zugelassen wer- den. Voraussetzung hierbei ist jedoch, dass der Vakuumerzeuger trotz Leckage 44 3.2 Fluidische Vorgänge in Vakuumgreifsystemen 0 0,2 0,4 0,6 0,8 10 0,2 0,4 0,6 0,8 1 1,2 p p0 χ ( p p 0 ) p p0 χ̃ 0 0,2 0,4 0,6 0,8 10 0,2 0,4 0,6 0,8 1 1,2 p p0 χ ( p p 0 ) Verlauf nach (Wutz et al. 1992) lineare Näherung Abbildung 3.4: Verlauf des Rechenfaktors der Belüftungszeit χ (links) und linea- re Näherung des Rechenfaktors der Belüftungszeit für 800 mbar (rechts) einen ausreichend niedrigen Druck sicherstellt (Seegräber 1993). Maßnahmen zur Reduktion bzw. Kompensation der Leckage sind die Verwendung von Saugern mit geringerem Umfang bzw. von leistungsstärkeren Vakuumerzeugern (Festo 2010; Götz 1991). Für den Anwendungsbereich der saugdichten Bleche gibt es, abhän- gig von der Leckage, die in Tabelle 3.2 dargestellten Systemzustände (J. Schmalz GmbH 2016b). Zudem ist die Haltedauer des Werkstücks aufgeführt, bei dem das Werkstück nicht mehr gegriffen werden kann. Dabei wird von einem Enddruck bei Abschluss des Evakuierungsvorgangs von 400 mbar, einem Druck von 800 mbar und davon, dass die Leckage nicht kompensiert wird, ausgegangen. Tabelle 3.2: Systemzustand eines Vakuumgreifsystems in Abhängigkeit der Lecka- ge (J. Schmalz GmbH 2016b) Systemzustand Leckage in mbar s Haltedauer in s dicht < 67 > 6 geringe Leckage 67..133 3..6 starke Lecakge 134..200 2..3 undicht > 200 < 2 45 3 Analyse der Randbedingungen und Ableitung von Anforderungen V̇Leckage Abbildung 3.5: Leckage aufgrund von Randspaltbildung Die Bereiche der hier auftretenden Leckage zeigen, dass die Druckanstiegsprüfung (vgl. Gleichung (2.21)) für deren Messung ausreichend ist, da mit anderen Verfah- ren Leckage die mehrere Größenordnungen darunter liegt, gemessen werden kann (Norm EN 1779; Norm EN 13185). Weiterhin stellt die Handhabung biegeschlaf- fer Werkstücke eine Gefahr dar, da diese während des Handhabungsprozesses ihre Form signifikant ändern (Fantoni et al. 2014b; Shchekutin et al. 2014). Wenn die- se über die Sauger des Greifsystems hinausragen, besteht das Risiko, dass durch die Durchbiegung des Werkstücks eine Randspaltbildung auftritt, die die Lecka- ge zweiter Ordnung begünstigt und schlussendlich zum Abreißen des Werkstücks führt (vgl. Abbildung 3.5) (Götz 1991). 3.3 Autarkie Dauerhafte Unabhängigkeit von einer Versorgung aus dem elektrischen Stromnetz lässt sich nur durch die Nutzung von Umgebungsenergien und deren Wandlung in elektrischen Strom (sog. Energy Harvesting) erreichen (Diskus 2010; Wallaschek 2018). Abbildung 3.6 zeigt die Energieausbeute unterschiedlicher Formen von Um- gebungsenergien (Alvarado et al. 2012; Büttgenbach 2016; Di Paolo Emilio 2017; Paradiso et al. 2005; Steingart 2009). Werden diese Werte in Bezug zum Ener- gieverbrauch von elektrischen Vakuumpumpen im unteren Leistungsspektrum ge- setzt, ist ersichtlich, dass eine dauerhafte elektrische Autarkie nicht realisierbar ist (Straub et al. 2018b). So ergibt sich für das Beispiel der Evakuierung eines Spei- chers mit einem Volumen von 0,15 l auf 400 mbar durch eine elektrische Vakuum- pumpe mit einer Saugleistung von 34 l min ein Leistungsbedarf von 3,9 W. Bei einer 46 3.3 Autarkie maximalen Leistungsausbeute von künstlichem Licht von 10 mW cm2 und einem ma- ximalen Wirkungsgrad von 17 % führt dies zu einer benötigten Fläche von rund 2300 cm2 (Bollin 2015). Bei der mittleren Leistungsausbeute von 2,2 mW cm2 ist die benötigte Fläche rund 10 400 cm2 groß. Dies reduziert sich entsprechend der Ein- schaltdauer der Vakuumpumpe. Die Leistungsaufnahme von etwaiger Steuerung und Sensorik ist hier noch nicht mitberücksichtigt, ebenso wenig die Wirkungsgra- de der benötigten Spannungswandler und möglicher Energiespeicher. 1 2 3 4 5 6 7 10−1 100 101 102 103 µ W /c m 2 od er µ W /c m 3 1 Funkwellen 5 Industrielle Bewegung 2 Schallwellen 6 Industrielle Temperaturdifferenz 3 Wi-Fi 7 Künstliches Licht 4 Sonnenlicht (geschlossener Raum) Abbildung 3.6: Gehalt unterschiedlicher Formen von Umgebungsenergien in An- lehnung an (Straub et al. 2018a) 47 3 Analyse der Randbedingungen und Ableitung von Anforderungen 3.4 Ausfallszenarien und deren Auswirkungen Die Reaktion des Systems und sein weiteres Verhalten für den Fall, dass einer oder mehrere Versorgungsenergieträger abrupt oder graduell ausfallen, wird im Folgenden beschrieben. Dabei sind die für die in Abschnitt 2.2.1 beschriebenen Vakuumerzeuger benötigten und damit am Handhabungsprozess beteiligten Ener- gieformen entscheidend. Wird eine elektrisch betriebene Handhabungseinrichtung eingesetzt, steht dem Vakuumgreifsystem ebenfalls elektrische Energie zur Verfü- gung. Eine zusätzliche Druckluftversorgung ist dann vorhanden, wenn pneumati- sche Vakuumerzeuger zum Einsatz kommen. Dabei können folgende Auswirkungen durch eine Änderung der Verfügbarkeit der Versorgungsenergieträger sowohl vor als auch während des Handhabungsprozesses auftreten: Ausfall der Spannungsversorgung (als Konsequenz eines Ausfalls der Span- nungsversorgung fällt, abhängig von der Kapazität des Kompressors, zeit- versetzt auch die Druckluftversorgung aus) Wiederkehr der Spannungsversorgung Ausfall der Druckluftversorgung Wiederkehr der Druckluftversorgung Ausfall der Spannungsversorgung und der Druckluftversorgung Wiederkehr der Spannungsversorgung und der Druckluftversorgung Dabei sind die Störfälle vor dem Handhabungsprozess unkritischer, da das Werk- stück hier noch nicht in angehobener Position ist und somit keine Gefährdung durch ein Herabfallen des Werkstücks entsteht. Die Auswirkungen der Ausfallsze- narien während des Handhabungsvorgangs können hingegen in einer gefahrbrin- genden Situation resultieren und sind im Folgenden aufgeführt Ausfall der Spannungsversorgung: Für den Fall eines Ausfalls der Span- nungsversorgung stoppt die Handhabungseinrichtung durch ein Schließen der Bremsen, da durch einen Energieausfall keine Gefährdung entstehen darf (Ponn et al. 2008; Norm DIN EN ISO 10218-1). Ist die Vakuumerzeugung 48 3.4 Ausfallszenarien und deren Auswirkungen pneumatisch ausgeführt, fällt zwar deren Steuerung aus, doch sind diese Va- kuumerzeuger so konzipiert, dass in diesem Fall kontinuierlich das Vakuum erzeugt wird. Bei einer elektrischen Vakuumerzeugung steht diese nicht mehr zur Verfügung, was zu einer Gefährdung führen kann. Wiederkehr der Spannungsversorgung: Kehrt die Spannu