Gentechnologie bei Pflanzen Herausforderungen für den Schulunterricht Herausgegeben von: Albrecht Müller, Julia Dietrich, Frank-Thomas Hellwig Dezember 1998 ISBN: 3-932013-66-2 ISSN: 0945-9553 Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg Industriestr. 5, 70565 Stuttgart Tel.: 0711 • 9063-0, Fax: 0711 • 9063-299 E-Mail: info@afta-bw.de http://www.afta-bw.de Die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg gibt in loser Folge Aufsätze und Vorträge von Mitarbeitern sowie ausgewählte Zwischen- und Abschlußberichte von durchgeführten Forschungsprojekten als Arbeitsberichte der Akademie oder Materialien heraus. Diese Reihen haben das Ziel, der jeweils interessierten Fachöffentlichkeit und dem breiten Publikum Gelegenheit zu kritischer Würdigung und Begleitung der Arbeit der Akademie zu geben. Anregungen und Kommentare zu den publizierten Arbeiten sind deshalb jederzeit willkommen. mailto:info@afta-bw.de http://www.afta-bw.de Inhalt Vorwort Ethische Fragen der Biotechnologie 1 Prof. Dr. Dietmar Mieth Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Universität Tübingen Gentechnik und Lebensmittel 14 Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany Molekularbiologisches Zentrum der Bundesforschungs- anstalt für Ernährung, Karlsruhe Risikowahrnehmung und Risikobewertung von Umweltwirkungen gentechnisch veränderter Pflanzen 36 Dr. Beatrix Tappeser Öko-Institut e. V., Freiburg Gentechnik aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern 59 Gerhard Keck Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Stuttgart Erfahrungen mit der Unterrichtseinheit: “Moderne Biotechnologie in der Pflanzenproduktion: Grünes Gold der Zukunft?” 74 Dr. Thomas von Schell Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Stuttgart Dr. Birgit Poggendorf ehemals: Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Stuttgart Leitideen für die Behandlung wissenschaftsethischer Themen in der Schule am Beispiel “Gentechnik bei Pflanzen” 80 Julia Dietrich, M.A. Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Universität Tübingen Weiterführende Literatur 104 zusammengestellt von Frank-Thomas Hellwig, M.A. Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Universität Tübingen Adressen 106 Vorwort Die vorliegende Publikation versammelt Vorträge, die im Rahmen einer Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufe II am 3. und 4. April 1998 zum Thema “Gentechnik bei Pflanzen am Beispiel der Tomate” gehalten wurden. Diese Veran- staltung wurde von der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württem- berg zusammen mit dem Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen konzipiert und durchgeführt. Die Veranstaltung war interdisziplinär angelegt und richtete sich an Lehrer und Lehrerinnen aller einschlägigen Fächer wie Biologie, Chemie, Ethik, Religion u. a. Damit sollte eine fächerübergreifende Zusammenarbeit angeregt werden, die im Schulalltag allzuhäufig zu kurz kommt. Sie ist aber für die Behandlung von Problemen moderner Technologien unentbehrlich: Fragen aus dem Bereich der Technikfolgenabschätzung und der Wissenschaftsethik sind stets interdisziplinäre Fragen, insofern ihre Beantwortung auf verschiedene Disziplinen empirischer Forschung und auf ethische Grundlagen angewiesen ist. Außerdem legt es die Idee einer Ethik in den Wissenschaften nahe, wissenschaftsethische Themen nicht ausschließlich an die Fächer Religion oder Ethik u. a. zu delegieren, sondern gerade auch in den naturwissenschaftlichen Fächern anzusiedeln. Die fächerübergreifende Struktur der Veranstaltung wurde insbesondere im Hinblick auf die ethische Debatte von den Teilnehmenden äußerst positiv aufgenommen. In bezug auf die naturwissenschaftlichen Grundlagen erwies es sich dagegen als schwie- rig, einen gemeinsamen Wissensstand herzustellen, ohne die einen zu unterfordern und die anderen zu überfordern. Es wurde daher darauf verzichtet, hier nochmals die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Gentechnik vorzustellen. Statt dessen wurde von Frank-Thomas Hellwig, M.A., (ZEW) Literatur zusammengestellt, die einen fundierten und aktuellen Einstieg ermöglicht. Gemäß den Kompetenzen der beteiligten Institutionen konzentrierte sich die Fort- bildungsveranstaltung hauptsächlich auf die Entfaltung des Sachstands und der ethischen Problemlage und weniger auf didaktisch-methodische Fragen im engeren Sinne. Diese Gewichtung prägt dementsprechend auch die Veröffentlichung: Der Beitrag von Prof. Dr. Dietmar Mieth (Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Tübingen) gibt einen Überblick über die mit der Biotechnologie und Gentechnik ver- bundenen ethischen Fragen. Er läßt die Eigenständigkeit der ethischen Debatte, deren Abgrenzung von der Moralsoziologie und insgesamt die Komplexität der Problematik deutlich werden und kann von Lehrenden geradezu als ein “Steinbruch” für ethische Aspekte der Gentechnik genutzt werden. Wie unterschiedlich die Risikowahrnehmung bzw. die Risikobewertung von Umweltwirkungen gentechnisch veränderter Pflanzen sein können, zeigen die Ausführungen von Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany (Bundesforschungsanstalt für Ernährung, Karlsruhe) und Dr. Beatrix Tappeser (Öko-Institut e.V., Freiburg). Die Auseinandersetzung mit beiden Sichtweisen fordert dazu heraus, die eigenen (Vor-) Einstellungen zu klären und das Verhältnis von empirischen und ethischen Fragen zu bedenken. Auf diesem Hintergrund unmittelbar brisant sind die Ergebnisse einer Studie über Biotechnologie und Gentechnik aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern, die Gerhard Keck (Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Stuttgart) durchgeführt hat: Entgegen einer weit verbreiteten Meinung scheinen nämlich die Einstellungen von Schülerinnen und Schülern zur Gentechnik nicht vom Stand des Fachwissens, sondern von den moralischen Grundüberzeugungen der Schüler und Schülerinnen abhängig zu sein. Über konkrete Erfahrungen mit dem Unterrichtsprojekt “Moderne Biotechnologie in der Pflanzenproduktion”, das 1996 im Rahmen der Landesgartenschau durchgeführt wurde, berichten Dr. Thomas von Schell und Dr. Birgit Poggendorf (Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Stuttgart). Abschließend stellt Julia Dietrich M.A. (Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Tübingen) am Beispiel der “FlavrSavr-Tomate” allgemeine Leitideen für die Behandlung wissen- schaftsethischer Themen im Unterricht vor, die Lehrer und Lehrerinnen bei der inhaltlichen Konzeption ihres Unterrichts anleiten bzw. unterstützen sollen. Wir hoffen, daß wir mit der vorliegenden Publikation einen kleinen Beitrag zu einem unmittelbaren Austausch zwischen Forschung bzw. Universität und Schule leisten können. Albrecht Müller (Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Stuttgart) Julia Dietrich Frank-Thomas Hellwig (Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Tübingen) Ethische Fragen der Biotechnologie 1 Ethische Fragen der Biotechnologie1 Dietmar Mieth 1 Ethische Grenzen der Gentechnik im allgemeinen Der Mensch hat mit dem Eintreten in neue technologische Dimensionen mit hohem Risiko bisher immer wieder zwei Erfahrungen gemacht: allzu euphorische Erwartun- gen sind trügerisch; alle Resultate sind zweideutig. Die Frage stellt sich damit immer wieder, wie lange der Mensch noch den Entwicklungen, die er selber setzt, als Mensch in ihren Folgen gewachsen ist. Ohne Frage nimmt die Anforderung an die menschliche Verantwortung in einem Ausmaße zu, daß wir die menschliche Kontin- genz beachten müssen: während die Produkte des Menschen immer “besser”, d. h. komplexer und effizienter werden, wird der Mensch nicht besser. Aber selbst wo das Nachdenken über ethische Grenzen frühzeitig einsetzt, entstehen für die Ethik in der derzeitigen Weltlage doch drei schwierige Probleme: 1. das Problem des Überblicks angesichts der Komplexität der Zusammenhänge und der Spezialisierung bzw. Ausdifferenzierungen der Wissenschaft und Technik; 2. das Problem des Konsensmangels in ethischen Kriterien; ein Beispiel dafür ist die Diskussion über den Schutz des Lebens und seiner Integrität bei Entwick- lungsformen menschlicher Subjekte; auch ökologisch-ethische und wirtschafts- ethische Voraussetzungen sind weltweit noch unterschiedlicher als in unseren Breitengraden; 3. das Problem der Durchsetzbarkeit der ethischen Verantwortung gegenüber anders orientierten Interessengruppen, vor allem gegenüber scheinbar selbsttäti- gen Entwicklungen: Was man weiß, das kann man bald, und was man kann, das macht man bald, und wenn es so weit ist, kommt die Ethik zu spät, d. h. sie kann bestenfalls kompensatorisch eingreifen. Das Argument mit der normativen Kraft des Faktischen bzw. der Tendenzbewegung wird gern als Machtmittel benutzt. Aber das faktische Verhalten der Menschen ist kein ethisches Kriterium. Auch abfragbare Bewußtseinszustände und spontane Urteile sind noch einmal auf ethische Richtigkeit hin hinterfragbar. Daher können Akzeptanzen in der Gesellschaft, bezogen auf gesellschaftlich signifikante und verhaltensprägende Gruppen zwar Hinweise auf Moralfragen geben, aber sie können solche Fragen nicht entscheiden. Ansonsten würde sich normatives Denken in Moralsoziologie auflösen, und politi- sche Pragmatik reduzierte sich auf Akzeptanzstrategien (wie sind Akzeptanz bzw. 1 Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen leicht überarbeiteten Ausschnitt aus: Mieth, Dietmar (1994): “Ethische Evaluierung der Biotechnologie.” In: Schell, Thomas von / Mohr, Hans (Hg.): Biotechnologie - Gentechnik: eine Chance für neue Industrien. Berlin: Springer. S. 505-530. 2 Dietmar Mieth Nicht-Akzeptanz zu berücksichtigen, wie sind sie zu stabilisieren bzw. zu destabili- sieren, zu erhalten, zu verändern usw.). Wer nach dem ethisch Richtigen fragt, akzeptiert eine Bindung seiner Handlungen an Prinzipien, Werte, Güter und Normen, d. h. an präskriptive Urteile, die dem anthropologischen Grunddatum der Unter- scheidungsfähigkeit von gut und böse, richtig und falsch entsprechen. Das ethische Urteil ist dabei in bereichspezifischen Zusammenhängen immer ein gemischtes Urteil. Es enthält nämlich auch beschreibende Elemente oder Sachurteile, die über die Einschlägigkeit und die Gültigkeit der Norm mit entscheiden (Die Geltung einer Norm in abstracto oder unter standardisierten Umständen bleibt davon unberührt.). Durch Veränderung z. B. Weiterentwicklung der Sachurteile wird daher auch die konkrete Norm berührt und u. U. verändert. Ethische Richtigkeit steht zudem unter den Bedingungen des gesellschaftlichen Diskurses, in welchem sie sich nicht nur nach den Regeln freier und fairer Verständigung ausweisen muß, sondern auch mit Aneignungsprozessen zu tun hat, die u. U. nur eine graduelle Verwirklichung zulassen. Die ethische Bewertung kann in diesem Sinne als fortlaufender Prozeß angesehen werden, der, so paradox dies klingen mag, um seiner Flexibilität willen stabiler Institutionen bedarf, die begleitend reagieren können. Als Maßnahme empfiehlt sich die Institutionalisierung der Ethik in den Bereichen von Naturwissenschaft/Medizin und Technik/Ökonomie. Dabei bedarf es einer inter- disziplinären ethischen Diskussion über die Grenzen von Anwendungen gentechni- scher Methoden in verschiedenen Bereichen, die die folgenden zehn Fragen zu beantworten versucht: 1. Sind die Zielvorstellungen und Entwicklungsmöglichkeiten zu euphorisch in der einzelwissenschaftlichen Bewertung? 2. Wie kann die Isolation spezialisierter angewandter Forschung verringert werden? 3. Wie ist die Verantwortung für vormenschliche Umwelt, menschliche Mitwelt und Nachwelt einzubringen? 4. Wie können einzelne Probleme (der Ernährung, der Umwelt) so gelöst werden, daß die Probleme, die durch die Problemlösung entstehen, nicht größer sind als die Probleme, die gelöst werden? 5. Welche Risiken können in Kauf genommen werden, welche Sicherheitsvorkeh- rungen sind nötig? 6. Verringert nicht der größere technische Sicherheitsbedarf die soziale Sicherheit und Freiheit? 7. Verlängert oder verschärft die Gentechnologie ein Fortschritts- und Wachstums- problem, das uns bisher schon erkennbar ist (z. B. Grenzen der “grünen” Revolu- tion)? 8. Greifen alternative Techniken nicht besser und verursachen weniger Probleme? Ethische Fragen der Biotechnologie 3 9. Inwiefern treten wir in eine neue Dimension des Menschen als verantwortlicher Gestalter der Welt ein, und inwieweit taugen wir als Menschen dafür? (Die Frage nach der Endlichkeit des Menschen.) 10. Welche Chancen hat die Ethik in einer scheinbar selbsttätigen Entwicklung? Eine der konventionellen Formeln in der Debatte um die Gentechnik ist “die Abwä- gung von Chancen und Risiken”. Diese Rede von Chancen und Risiken ist jedoch oft nicht zutreffend. Sie gilt nicht, wo Schadensgröße und Eintrittswahrscheinlichkeit nicht bekannt und nicht quantifizierbar sind. In der spieltheoretischen Terminologie handelt es sich also um Entscheidungen unter Ungewißheit. Qualitative Unterschiede sind aber durchaus formulierbar, Szenarien unerwünschter Folgen sind beschreibbar. Auf diesem Hintergrund sind folgende Voraussetzungen für Bewertungsverfahren und Entscheidungen notwendig: • Ungewißheitsmomente sind an den Anfang von Überlegungen zu stellen, um soweit wie möglich Unsicherheiten zu verringern; • eine Einzelfallbetrachtung ist beizubehalten; • Schadensqualitäten müssen politisch-ethisch vertretbar sein, d. h. Entscheidun- gen müssen durch ein politisches und rechtliches Verfahren hindurch, das sich an moralischen Grundsätzen und z. B. an den vorgestellten Leitfragen orientiert; • ein Verfahren muß eine Ziel-, Folgen- und Alternativenbewertung umfassen. Empirische Technikfolgenabschätzung als Verträglichkeitsprüfung bedarf der normativen ethischen Orientierung als Teil einer Ethik der Technik; • im Rahmen diskursiver Verfahren besteht im Sinne einer Beweislastverteilung eine Begründungspflicht von Argumenten; • aufgrund der Verflochtenheit von Wissenschaft mit Technologie und Ökonomie stellt sich die Frage nach der Verantwortung bereits am Entstehungsort der wissenschaftlichen Erkenntnis. Es geht um die Vorverlegung der Folgenerkennt- nisse, für die bestimmte institutionelle Formen der (Selbst-)Verantwortung not- wendig sind. Diese Vorverlegung ist jedoch nicht nur der alleinigen Verantwor- tung einzelner Wissenschaftler anzulasten. Gesellschaft und Wissenschaft sind hier wechselseitig in der Übernahme der Verantwortung gefordert. Dazu bedarf es der Brücken des Austausches zwischen Wissenschaft, Technik, Ökonomie und Gesellschaft. Solche Brücken sind im Fachjournalismus und der Publizistik ebenso zu sehen wie in Institutionen und Programmen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. 4 Dietmar Mieth 2 Gentechnik in der Landwirtschaft2 Man wird einzelne Fortschritte im Produktivitätszuwachs weder leugnen noch mißbilligen wollen, doch die Bilanz der “grünen Revolution” in den Entwicklungs- ländern und die Bilanz der Fortschritte der Mechanisierung, Rationalisierung und Chemisierung in unserer Landwirtschaft weisen auch erschreckende Negativa aus: die Vernichtung bäuerlicher Kleinbetriebe und die Landflucht; die Umweltschäden und die mangelnde Verteilungsgerechtigkeit; die Monokulturen und die Überpro- duktion. Wenn zudem sechs Siebtel der Nutzpflanzen, statt direkt der menschlichen Ernährung zuzukommen, auf dem Wege über die Fütterung der Fleischproduktion verlorengehen, wenn Produktivitätszuwachs nicht nur Gemüsehalden und Butter- berge erzeugt, sondern auch schwerwiegende Gefahren für Böden und Grundwasser, wenn falsch angelegte Entwicklungsprojekte zu Erosion und Armut führen, wenn immer weniger Firmen immer mehr Produkte kontrollieren, wenn die Artenvielfalt abnimmt und die Abhängigkeit der Abhängigen immer mehr zunimmt – wer wird da nicht skeptisch auf alle euphorischen Pläne schauen, mittels Produktivitätszuwachs Ernährungsprobleme zu lösen, ohne zu fragen, was wo mit welchen Mitteln für wen und zu wessen Vorteil in der Landwirtschaft produziert werde? Das neue Schlüsselwort nach Mechanisierung, Monokulturen und Chemisierung heißt “Biotechnik”, und ein Teil davon ist die Gentechnik. In der Tierzucht sind große Veränderungen erreicht worden. Durch Embryotransfer läßt sich der Zucht- fortschritt weiter beschleunigen und mittels der Gentransfermethoden lassen sich Tiere mit ganz neuen Eigenschaften erzeugen. Im Vordergrund der Bestrebungen standen Produktionszuwachs (mehr Milch, mehr Fleisch), Qualitätsveränderungen (weniger Fett), die Erzeugung krankheitsresistenter Tiere und die Produktion von Pharmaka im tierischen Euter (Gene Farming), Nutzpflanzen, die weniger unter Unkrautvertilgungsmitteln leiden (Herbizidresistenz), bessere Schädlingsbekämpfung durch gentechnisch veränderte Bakterien – von Makro- bis Mikroorganismen kann und soll vieles in den Dienst der neuen gentechnischen Methoden gestellt werden, deren fortschreitende Anwendung von einer neuen Euphorie angetrieben wird: neue Produkte, neue Qualitäten, neues qualitativ hochstehendes, umweltgerechteres Wachstum, Arbeitsbeschaffung. Zur Differenzierung solcher Erwartungen, die als Absichten verständlich und als Gesinnungen ehrenwert sind, sollten in neuen Institutionen die richtigen bioethischen, umweltethischen, sozial- und wirtschafts- ethischen Fragen gestellt werden. Die Gentechnik ist grundsätzlich nicht “gefährlicher” als z. B. Informationstech- niken. Aber die Frage, ob wir uns immer schnellere Fortschritte in immer kürzerer Zeit leisten können, während die Zeit für die Reflexion der verantwortlichen Anwen- dung dadurch schwindet, drängt sich auf. Das Beispiel der Kerntechnik bildet hier einen Reibungspunkt der Reflexion. Die Isolierung von Zielvorstellungen in techni- 2 Vgl. Stanger 1992, Skorupinski 1996. Ethische Fragen der Biotechnologie 5 schen Fragen muß aufgehoben werden, damit die Wissenschaftler und Techniker über den Rand ihres Reagenzglases und über die Wände ihres Labors hinausschauen. Es handelt sich immerhin um eine neue Dimension, insofern die Möglichkeiten des Menschen als verantwortlicher Schöpfer enorm ausgeweitet werden. Wir müssen uns auch danach fragen, ob wir Menschen nicht auf Dauer zum Opfer eines neuen Sicherheitsbedarfs, gesteigerter Umweltprobleme und Strukturveränderungen werden. Bioethisch ist zu fragen: Sind gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere nicht auch biologisch fragwürdig; frißt der hohe technische Aufwand zu ihrer Erzeugung, zu ihrer Unterhaltung nicht den Einzelvorteil, dessentwegen sie geschaffen werden, mehr als auf? Andererseits gehen die Erkenntnisse der Gentechnik zunehmend dahin, daß die veränderten Organismen nicht beeinträchtigt sind. Hier gibt es sowohl für Tiere wie für Pflanzen beachtliche Erfolge. Dennoch ist zu klären, ob sich die trans- genen Pflanzen und Tiere nicht nur unter sehr speziellen Rahmenbedingungen bewähren. Unter langfristiger Perspektive und sich ändernden Produktionsanforde- rungen könnte sich dann eine vordergründig positive Nutzen-Schaden-Bilanz in ihr Gegenteil verkehren. Im Zusammenhang mit der Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen stellen sich Fragen, deren Beantwortung schwierig und umstritten ist: Sind die transgenen Pflanzen aufgrund der zusätzlichen metabolischen Belastung weniger konkurrenzfähig oder nicht? Lassen sich daraus für ihre biologische Intaktheit Folgerungen ziehen oder nicht? Immerhin werden die Fach- wissenschaftler diesen Fragen nachgehen, oder sie sollten es tun. Umweltethisch ist davon auszugehen, daß ein bestimmter Bestand an Chemiebedarf strukturell (auf niedrigerem Niveau) befestigt wird. Die Fragen lauten hier: 1. Gibt es Alternativen (Ökolandbau), die für eine Grundversorgung ausreichen? 2. Wieviel Chemie ist tatsächlich notwendig? 3. Verstärkt die Gentechnik den Abhängkeitsgrad der Pflanzen von der Chemie oder kann sie zur Reduktion dieser Abhängigkeit beitragen? 4. Welche ökologischen Folgewirkungen können sich aus spezifischen Eingriffen ergeben bzw. welche potentiellen Folgen lassen sich aus den Eingriffen ableiten, insbesondere wenn die neuen Pflanzen mit entsprechenden selektiven Vorteilen ausgestattet werden? Sozialethisch ist zu fragen: Welche Risiken können in Kauf genommen werden, welche Sicherheitsvorkehrungen sind nötig? Könnte nicht der größere technische Sicherheitsbedarf zur Gefahr für soziale Sicherheit und Freiheit werden? Sind Problemlösungen in der Ernährung ohne Bekämpfung der Hauptursachen der Mangellage zu akzeptieren, z. B. in der Fleischproduktion auf Kosten der vegetari- schen Nahrung oder der schlechten Verteilung der Überschüsse? Gentechniker propagieren beides: die bessere Produktion und die Bekämpfung des Mangels. Aber wie ist das Verhältnis zu bestimmen? 6 Dietmar Mieth Wirtschaftsethisch ist zu fragen: Verlängert und vergrößert nicht die Gentechnologie ein Fortschritts-, Wachstums- und Abhängigkeitsproblem, das bisher schon erkenn- bar ist: angesichts der im ganzen nicht widerlegten “Grenzen des Wachstums” immer noch dem Wachstum den Vorrang vor der Verteilung, der Arbeitsintensität und der Bekämpfung der Droge “Konsumismus” zu geben? Ferner: Greifen Alternativen (biologischer Landbau, ökologisch orientierte Projekte zu angepaßter Selbstversor- gung) nicht besser und verursachen weniger Probleme? Diese sind nur wenige von vielen Fragen, die sich aus ethischer Verantwortung stellen. Was bisher schon falsch war, wird durch eine Fortsetzung mit anderen Mitteln nicht richtiger. Was neue Probleme schafft, ist nicht nur am isolierten Erfolg, sondern auch am Gewicht der neuen Probleme zu messen (vgl. dazu die Alternativen: Stanger 1992, S. 328f, S. 333). Darüber hinaus stellt sich das Problem der Beschleunigung, der Ausdifferenzierung und der Vervielfältigung von Einzellösun- gen und Folgeproblemen. Ohne eine angemessene Institutionalisierung der ethischen, politischen und rechtlichen Verantwortung sowie einer vielseitigen statt bloß linearen Folgenabschätzung läßt sich keine Basis für vernünftige Entscheidungen gewinnen. Der sozialethischen Begleitung und Kontrolle der Marktwirtschaft muß eine sozialethische Begleitung und Kontrolle der Technologieentwicklung entsprechen. In der katholischen Soziallehre haben sich zuletzt Tendenzen angemeldet, das technische Know-how und seine Verteilung als neues Problem sozialer Gerechtigkeit anzuvisieren (Centesimus Annus, 1991). Für gentechnisch erzeugte Lebensmittel gelten • die Überprüfung gentechnischer Herstellungsprozesse und Freisetzungsexperi- mente (siehe unten) wie in anderen biotechnischen Verfahren; • die Kennzeichnung für den Verbraucher um der Konsumentensouveränität willen. Zweifel an einer faktisch unzureichenden Konsumentensouveränität dür- fen nicht zur Bevormundung durch Transparenzverweigerung führen. Eine mög- liche Diskriminierung von Produkten ist kein Argument, das zur Diskriminierung der Entscheidungsrechte freier Konsumenten führen darf. Die Bezeichnung gen- technischer Herstellung allein dient persönlichen Vorzugsurteilen. Die Bezeich- nung der Art gentechnischer Veränderung hilft zur Reflexion über das eigene Urteil. Die Kennzeichnung sollte dabei “neutral” erfolgen, d. h. das Verfahren oder das Material benennen. Ethische Fragen der Biotechnologie 7 3 Gentechnisch veränderte Organismen und Mikroorganismen3 Nach der sachlichen Erörterung scheint festzustehen, daß ein genetisch veränderter Organismus eine neue technische Stufe darstellt. Das Neue, von dem hier die Rede ist, zeigt sich in folgenden Punkten: • in der Schnelligkeit der Veränderung (Akzeleration) gegenüber konventionellen Züchtungsmethoden; • in der Variabilität der Veränderung; • in der Zielgenauigkeit der Veränderung; • im Überspringen evolutionär entstandener genetischer Schranken; • in der Überholbarkeit durch immer neue gentechnisch veränderte Mikroorganis- men, die eine wünschenswerte Funktion mehr haben; • in der Multiprogrammierbarkeit, d. h. in der Möglichkeit, mehrere Schaltungs- funktionen einzubauen, die einander korrigieren können, so daß die Wirkung auf das Erwünschte beschränkt bleibt. Ferner lassen sich folgende Risiko-Ressourcen ausmachen: • die Veränderung der Physiologie des Organismus (sie kann z. B. seine Schwä- chung bedeuten); • der vertikale und horizontale Austausch mit anderen Organismen; • die Aufnahme von “freier” DNA, die nicht zellgebunden vorliegt; • die Vermehrung oder Veränderung der gentechnisch veränderten Mikroorganis- men in Reaktion auf Wirkfaktoren in der Umwelt; • die Mehrfachwirkung der freigesetzten gentechnisch veränderten Mikroorganis- men (außerhalb der gezielten Wirkung); • die Tatsache, daß eine etwaige programmierte Abschaltung eine mögliche Einschaltung später nicht ausschließt; es besteht keine Totalkontrolle über das Schaltsystem; ein Beispiel dafür wäre die Resistenzentwicklung gegenüber sogenannten “Killer”-Funktionen oder “Selbstmord”-Genen. Diese Risikofelder ließen sich (nach Backhaus) auch folgendermaßen beschreiben (vgl. Backhaus 1989): • die unkontrollierte Ausbreitung, sei es des Organismus, sei es der genetischen Veränderung; • die nicht vorhersehbaren Effekte der genetischen Veränderung auf die physiolo- gischen Eigenschaften des Organismus; 3 Vgl. Schell, T. von (1992). Wichtige Hinweise verdanke ich, nicht nur in diesem Punkt, sondern auch in dem Vorhergehenden: Skorupinski, Barbara (1996): Gentechnik für die Schädlingsbe- kämpfung: eine ethische Bewertung der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft. Stuttgart: Enke. Die daraus resultierenden Überlegungen habe ich erstmals zusammen- gefaßt: Mieth (1993). 8 Dietmar Mieth • unerwartete bzw. unerwünschte Effekte auf Lebewesen und/oder Naturhaushalt, z. B. Pathogenität, toxische Produkte, Beeinflussung von Organismenbeständen und Stoffkreisläufen. Wie immer man diese Risiken einteilt, die einzelnen Risikofaktoren werden sich gegenseitig ein Stück weit überschneiden. Im allgemeinen gilt es bei diesen Punkten zu beachten: Ungewißheitsmomente sind in Untersuchungen von ökosystemaren Prozessen bzw. einer Bewertung dazu immer enthalten. Das bedeutet: Ein- bzw. Auswirkungen auf der genetischen Ebene mit ihren direkten/indirekten oder zeitlich verschobenen Effekten auf der Ebene des Stoffwechsels (organismische Ebene usw.) können bei Freisetzungen nur im Zusammenhang einer ökosystemischen Wechsel- wirkung betrachtet und begutachtet werden. Das Eintreten eines bestimmten Ereig- nisses aufgrund von Einwirkungen ist abhängig von spezifischen Umständen, die sich in Zeit und Raum sowie in variablen auslösenden Wirkfaktoren nur schwer vorhersagen lassen (“to expect the unexpected”, Holling 1980; vgl. dazu auch von Schell 1992, S. 337 ff.). Man wird dazu zunächst sagen, daß der ethischen Verantwortung nur die überschaubaren Folgen zugeordnet sind. Aber die Frage der Überschaubarkeit bzw. der Unüberschaubarkeit schlechthin ist ihrerseits wieder Gegenstand der ethischen Verantwortung. Dabei ist vor allen Dingen auf das ethische Subjekt Mensch zu achten, denn der Mensch ist ein endliches, begrenztes und fehlerfähiges Wesen, das deswegen nicht von vornherein, wie es im Fort- schrittsmythos der Fall ist, damit rechnen kann, unvorhersehbare Folgen auch immer beherrschen zu können. Gegenüber einer technologischen Mentalität, die nach der futurologischen Durchbrecherthese immer damit rechnet, daß der Mensch die Folgen seiner Handlungen überwinden kann, ist darauf aufmerksam zu machen, daß ihm dies in der Geschichte oft nicht und teilweise nur unter großen Opfern gelungen ist. Mit der Kontingenz des Menschen zu rechnen, gehört zum anthropologischen Standard der ethischen Reflexion. Es besteht ein Konsens über die Kontrolle der Freisetzung von Organismen und Mikroorganismen. Dabei wird ein spezifisches Sicherheitskriterium angelegt. Insbe- sondere geht es um die Sicherheit für Menschen, für Leben überhaupt, für die Umwelt. Beim Sicherheitskriterium geht es nicht um eine totale Sicherheit, sondern darum, daß ein unter strengen Wahrscheinlichkeitskriterien zu vernachlässigendes Restrisiko in Kauf genommen wird. Dabei spielt der Analogieschluß zu anderen in Kauf genommenen Restrisiken eine große Rolle. In den Untersuchungen zum Thema “Bioscience and society” wurde die allgemein bestehende Restrisikoakzeptanz wieder als Argument angeführt. Freilich ist es ein Unterschied, ob man bei einem bereits eingeführten und schlecht zu ersetzenden System wie beispielsweise bei unserem Verkehrssystem ein Restrisiko akzeptiert oder ob man dieses Restrisiko in Vorausschau auf ein noch zu installierendes System akzeptieren will. Hier ist eine entschieden größere präventive Sensibilität eingetreten. Diese Sensibilität drückt sich auch sonst in der Einführung von Technikfolgenabschätzung aus. Ethische Fragen der Biotechnologie 9 Die unter dem Sicherheitskriterium angestrebte Kontrolle soll in Stufen der Freiset- zung wirksam sein. Die Stufen gehen vom geschlossenen, zum Teil offenen bis zum offenen System. Die Versuche, die Freisetzung stufenweise zu experimentieren, wer- den von entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen getragen. Diese gibt es inzwischen auch auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft. Das Problem der Versuche ebenso wie später der wirklichen Anwendung besteht darin, daß einzelne Größen relativ willkürlich festgelegt werden müssen: Dies gilt für die Zeit – wie lange werden bestimmte Versuche durchgeführt? Es gilt ferner für die Populations- größen, mit denen und an denen solche Versuche durchgeführt werden. Es gilt auch für den Raum: Welche Raumgrößen werden vertikal oder horizontal festgelegt, um eine etwaige Wirkung zu überprüfen? Schließlich gilt es auch für die Verträglich- keitsgrößen, wobei wir schon aus Erfahrung wissen, daß diese mit einem Rest von Ungewißheit festgelegt werden müssen, was freilich oft dazu führt, Verträglichkeit möglichst gering anzusetzen. Ein weiteres Problem ist die Gleichbehandlung im Sinne von Homologieschlüssen. Kann man vom Verhalten des einen Organismus auf das Verhalten des anderen schließen? Es scheint sinnvoller, auf Einzelbehandlung (case by case) zu drängen. Dabei ist auch darauf zu achten, daß man nicht wegen der besonderen Signifikanz und der exponierten Diskussionen der Freisetzung von Pflanzen, Tieren und Mikro- organismen die ähnlich strenge Prüfung anderer molekularbiologischer Techniken vernachlässigt. 4 Zielvorstellungen und Verträglichkeitskriterien In der gesamten Entwicklung der neueren Biotechnologie, insbesondere in der Frage der gentechnischen Veränderung von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen, gibt es berechtigte Interessen und plausible Ziele. Diese Interessen und diese Ziele können als Motive nicht in Frage gestellt werden. Aber es wäre ein sogenannter motivatio- naler Fehlschluß, wenn man aus berechtigten und guten Motiven auf die Richtigkeit der angestrebten Sache schließen würde. Das wäre das gleiche, wie wenn man im Namen von Gesinnungen sich Verantwortung ersparen würde. Die meistgenannten Ziele sind: • ökologische Ziele; z. B. geht es um die Entsorgung von Schadstoffen oder um die Nachsorge von Betriebsunfällen (z. B. das bekannte Einwirken auf Ölteppiche auf dem Meer); • ökonomische Ziele; z. B. in der Gentechnik in der Landwirtschaft, bei der es ja vor allem auf Produktivitätszuwachs, Produktivität in nichtproduktiven Regionen und auf eine bessere Kontrolle der chemischen Mittel ankommt; • experimentelle Ziele, d. h. es geht darum, die Grundlagenkenntnis zu erweitern und möglicherweise zu prüfen, ob Berechnungen, die man für bestimmte 10 Dietmar Mieth Nutzanwendungen braucht, in einer einfachen Anwendung, die noch unabhängig von jedem Nutzen ist, als richtig erwiesen werden können. Eine verantwortungsethische Prüfung von Interessen und Zielen entfaltet sich in zwei Fragerichtungen: in der Zielkritik und in der Ziel-Mittel-Relation. Insbesondere sind folgende Fragen zu beachten: • Sind die Ziele erreichbar (Realistik der Ziele)? • Sind die Ziele nur auf diesem Wege erreichbar? • Kann man die zur Lösung anstehenden Probleme präventiv statt konsekutiv lösen? Dabei ist vor allem daran zu denken, wie schon die Entstehung von ökologischen Problemen zu vermeiden ist, und daran, wie etwa in der Ökonomie größere Produktivität durch bessere Verteilung erreicht werden könnte; • Schaffen die gentechnisch veränderten Organismen und Mikroorganismen nicht mögliche Folgeprobleme, die größer sind als die Primärprobleme, die gelöst werden sollen? Ein induktives Vorgehen prüft den Stellenwert normativer Urteile in der Ethik, indem es von der Sachproblematik selber zu ethischen Überlegungen vorstößt und nicht umgekehrt.4 Dem induktiven Vorgehen der ethischen Verantwortung sind applikative Elemente an die Seite zu stellen. Applikativ oder angewandt ist die Ethik dann (applied ethics), wenn sie bestimmte, im Diskurs konsensfähige Kriterien einsetzt und ihre Geltungen im konkreten Fall illustriert. Ich spreche von bestimmten, im Diskurs konsensfähigen Kriterien, weil es sich nicht um alleroberste Prinzipien handelt. Die Begründung von Kriterien in Prinzipien wird im allgemeinen nicht in der angewandten Ethik, sondern in der Fundamentalethik geleistet. Die im Diskurs konsensfähigen Kriterien können daher auch als sogenannte “mittlere Axiome” betrachtet werden. Im Falle der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen wären solche Kriterien: • gesundheitliche Verträglichkeit; • ökologische Verträglichkeit; • ökonomische Verträglichkeit (“Nachhaltigkeit”). Nachhaltigkeit kann auch als langfristig positive Wirkung im Sinne von Produktivitätszuwachs und konstrukti- vem Verteilungseffekt verstanden werden. Bezogen auf Drittweltländer ist es auch ökonomisch signifikant zu fragen, ob eine dermaßen finanziell aufwendige Technologie für deren Belange wirtschaftlich “sinnvoll” und/oder finanzierbar ist. (Zu denken ist dabei an aufwendige Technologien wie z. B. die biologische Stickstoff-Fixierung; vgl. von Schell 1992, S. 198-244) 4 Hierzu gehört die Erhellung der Sachverhalte, die Ermittlung der einschlägigen Sinngebungen oder Sinnpostulate, die Rationalisierung der Alternativen und die Abwägung von Prioritäten. Siehe hierzu: Mieth, Dietmar (1994): Ethische Evaluierung der Biotechnologie. In: Schell, Thomas von/Mohr, Hans (Hg.): Biotechnologie - Gentechnik: eine Chance für neue Industrien. Berlin: Springer. S. 505-530. Hier: S. 507 ff. Ethische Fragen der Biotechnologie 11 • soziale Verträglichkeit (Verteilungsaspekt, Vereinbarkeit von Sicherheit und Freiheit, Schutz von Sozialsystemen, etwa Kleinbauern usw.). Bei der Sozialver- träglichkeit stellt sich auch die Frage nach dem gesellschaftlichen Umgang mit technologisch-ökologischen Risiken: Partizipationsfragen, Fragen der Demokra- tisierung von Entscheidungsprozessen angesichts der Einführung einer neuen Technologie, bei der die Gesellschaft als “Labor” fungiert (vgl. Krohn u. Weyer 1990). • Verträglichkeit mit Sicherheitssystemen gegenüber Krieg, Gewalt, Aggression. Vielleicht muß man in diesem Zusammenhang besonders die Frage der Vereinbarkeit von Sicherheit und Freiheit klären. Je mehr Sicherheitssysteme wir ökologisch und ökonomisch brauchen, die auf den ersten Blick die Freiheit der Betreiber, nicht der Bevölkerung, einschränken, um so mehr werden Mobilität und Selbstverfügungs- rechte von Bürgerinnen und Bürgern tangiert (Beispiel Kerntechnik). Die demokrati- sche Freiheit kann nicht jedes Ausmaß von Sicherheitssystemen verkraften. Um die Freiheitsrechte der Bürger geht es in folgenden Zusammenhängen: • im Zusammenhang mit der Genomanalyse, mit der Gentherapie, mit der Frage nach dem Verständnis der Krankheitsursachen; • im Zusammenhang mit der Partizipation bei der Einführung neuer Techniken bzw. bei der Vermarktung neuer Produkte; • im Zusammenhang mit der Verbrauchersouveränität (“Kennzeichnung der Pro- dukte”). In einer konkreten Verantwortungsethik schließen sich induktives und applikatives Vorgehen nicht gegenseitig aus, sondern sie ergänzen sich. Induktives Vorgehen ist deswegen erforderlich, weil sonst die Applikation von Kriterien rein illustrativ bleiben könnte. Um Kriterien an die richtigen Stellen zu führen, ist es erforderlich, die Probleme von der Sache selbst her zu entfalten. Auf der anderen Seite aber bliebe jede sachliche Problementfaltung blind, wenn sie sich nicht von ethischen Kriterien her erhellen ließe. Kriterien ohne Induktion sind leer, Induktion ohne Kriterien ist blind. Die Kriterien oder mittleren Axiome bedürfen der Begründung. Diese Begrün- dung läßt sich durch Rückführung auf integrative Prinzipien vornehmen. Integrative Prinzipien können im Hinblick auf die genannten Kriterien der ökologischen, ökonomischen, sozialen und sicherheitsbezogenen Verträglichkeit benannt werden. Dazu möchte ich im folgenden normative Grundregeln benennen, deren Diskussion ich freilich hier nicht ausführen kann: 1. Die Kriterien der gesundheitlichen und ökologischen Verträglichkeit beruhen auf einem ökologischen Imperativ, der in verschiedenen Fassungen, je nach Rück- sichten, formuliert werden kann: a) Eine allgemeine Vorzugsregel oder Goldene Regel für das Weltverhältnis des Menschen oder für den Prozeß der Assimilierung von Umwelt und Leiblichkeit könnte folgendermaßen formuliert werden: “Handle so, daß die 12 Dietmar Mieth menschlichen Institutionen der Entfaltung und Erhaltung der eigenen Leiblichkeit des Menschen in einer Weise dienen, daß auf der einen Seite der Eigenwert der vormenschlichen Welt soweit wie möglich erhalten bleibt, rekonstituiert und gefördert wird, und daß auf der anderen Seite das spezifisch menschliche Leben in schöpferischer Autonomie ermöglicht ist”5. b) Geht es darum, insbesondere die Auswirkungen auf die menschliche Leiblichkeit und auf die Lebensfähigkeit der nichtmenschlichen Natur zu beziehen, so ergibt sich die Doppelregel: “Handle so, daß die Kontingenz, Vorläufigkeit und Anfälligkeit des Menschen als menschliche Wirklichkeiten und menschliche Werte bei allen Maßnahmen und Institutionen berücksichtigt bleiben und nicht übersprungen werden”. c) “Handle so, daß die Lebensbedürfnisse der nichtmenschlichen Natur als Erfahrungsort kontingenter Leiblichkeit des Menschen erhalten und entfaltet werden.” Oder: “Handle so, daß die Instrumente einer befriedigenden und schöpferischen Selbstverwirklichung des Menschen (technische und soziale Institutionen) ihre physischen und biologischen Ressourcen nicht gefährden, sondern gemäß deren Eigensinn auf den Menschen zu beziehen versuchen”. Solche allgemeinen ökologischen Imperative können auf verschiedene Weise formuliert werden, weil sie ein größtmögliches Ausmaß der Integrierung von Teilperspektiven zu erreichen versuchen. 2. Die ökonomische, die soziale und die Sicherheits-Verträglichkeit beruhen auch auf dem Prinzip der konstitutiven Konsistenz, wie es Alan Gewirth (Reason and Morality, l978) entfaltet hat und wie es in der jüngsten Untersuchung von Klaus Steigleder (1992) vertieft worden ist: “Handle stets in Übereinstimmung mit den konstitutiven Rechten und Pflichten sowohl deiner selbst als auch der Empfänger deiner Handlungen.” Dieses Prinzip wird dadurch bewiesen, daß zu den Voraussetzungen, daß der Mensch überhaupt handeln kann, stets hinzugehört, daß in irgend einer Weise kommunikative Verpflichtungen eingegangen werden. Das Mitgesetztsein von ursprünglichen Freiheiten und Pflichten in einem gefüllten Handlungsbegriff nachzuweisen, gehört zu den fundamentalen Aufgaben einer rationalen Ethik. An dieser Stelle sei angemerkt, daß auch die theologische Ethik auf eine solche Rationalität verpflichtet ist, das heißt, sie muß als autonome Ethik konzipiert werden. Theologische Kriterien, wie z. B. Geschöpflichkeit oder Gottebenbildlichkeit des Menschen, können nur dann einen Sinn ergeben, wenn ihre rationale Geltung erwiesen ist, bevor sie überhaupt theologisch interpretiert werden. 3. Alle Verträglichkeitskriterien sind formal noch einmal auf die Problemlösungsregel zurückzuführen und in ihr zu begründen: “Handle so, daß die Probleme, die durch eine Problemlösung entstehen, nicht größer sind als die Probleme, die gelöst werden.” 5 Vgl. Mieth 1990; daraus auch die folgenden Formulierungsvarianten. Ethische Fragen der Biotechnologie 13 5 Literatur Backhaus, H. (1989): Ökologische Aspekte und Sicherheitsfragen bei der Freiland- anwendung von genetisch modifizierten Organismen in der Landwirtschaft. In: Berichte über Landwirtschaft, 201. Sonderheft, S 463-475 Centesimus Annus. Apostolische Sozialenzyklika 1991 Gewirth, A. (1978): Reason and Morality. The University of Chicago Press, Chicago Holling, C. S. (Hrsg.) (1980): Adoptive Environmental Assessment and Manage- ment. Chichester, New York Krohn, W., Weyer, J. (1990): Die Gesellschaft als Labor. Risikotransformation und Risikokonstitution durch moderne Forschung. In: Halfmann, J., Japp, K. P. (Hrsg.): Riskante Entscheidungen und Katastrophenpotentiale. Westdeutscher Verlag, Opladen, S. 89-122 Mieth, D. (1990): Die ethische Dimension der Umwelterziehung. Karlsruher pädagogische Beiträge 22, S. 47-72 Mieth, D. (1993): The release of microorganisms – ethical criteria. In: Wöhrmann, K., Tomiuk, J. (Eds.): Transgenic Organisms, Risk Assessment of Deliberate Release. Birkhäuser, Basel, S. 245-256 Mieth, D. (1994): Ethische Evaluierung der Biotechnologie. In: Schell, T. v., Mohr, H. (Hrsg.): Biotechnologie - Gentechnik: eine Chance für neue Industrien. Springer, Berlin, S. 505-530 Schell, T. v. (1994): Die Freisetzung gentechnisch veränderter Mikroorganismen. Ein Versuch interdisziplinärer Urteilsbildung. Attempto, Tübingen Schell, T. v., Mohr, H. (Hrsg.) (1994): Biotechnologie - Gentechnik. Eine Chance für neue Industrien. Springer, Berlin Skorupinski, B. (1996): Gentechnik für die Schädlingsbekämpfung. Eine ethische Bewertung der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in der Landwirt- schaft. Enke, Stuttgart Stanger, A. (1992): Zur ethischen Beurteilung der Möglichkeiten und Auswirkungen der Gentechnologie in der Landwirtschaft am Beispiel der Herbizidresistenz in der Pflanzenproduktion. Biol. Dissertation, Tübingen, S 328 f., S 333 Steigleder, K. (1992): Die Begründung moralischen Sollens. Studien zur Möglichkeit einer normativen Ethik (Ethik in den Wissenschaften, Bd. 3). Attempto, Tübingen 14 Klaus-Dieter Jany Gentechnik und Lebensmittel Klaus-Dieter Jany Einleitung Lebensmittel und Essen dienen mehr als nur der Nahrungszufuhr: sie sind auch Ausdruck von Kultur und Tradition. Heute verkörpern Lebensmittel in zunehmen- dem Umfang Lebensstil und Prestige. Mit dem Umgang und dem Verzehr unserer Nahrungsmittel haben wir uns einen großen Erfahrungsschatz angeeignet. Darüber hinaus besitzen Lebensmittel eine uns bekannte Entstehungstradition, und wir glau- ben, mit den Herstellungsverfahren vertraut zu sein. Vor diesem Hintergrund soll nun die Gentechnik in den Lebensmittelbereich eingeführt werden. Als eine unbekannte, neue Technik erscheint sie vielen als unheimlich. Und darüber hinaus besitzen wir für die neuen “gentechnischen” Produkte keine Erfahrungswerte. Dies erzeugt Unbehagen und Verunsicherung. Dabei wird übersehen, daß Herstellung und Verar- beitung der uns so vertrauten Lebensmittel einem ständigen Wandel unterliegen. Nicht nur ernährungsphysiologische Erkenntnisse, soziologische, ökonomische Ver- änderungen und technische Entwicklungen haben ihren Anteil daran, sondern auch Verbraucherwünsche. Unsere Lebensmittel sollen immer schöner, wertvoller, besser ... kurz: genußvoller und gesünder werden. Gleichzeitig sollen sie aber immer frischer, sicherer, haltbarer und billiger werden. Hier wird die Natur überfordert, und die Lebensmitteltechnik und -verarbeitung muß nachhelfen. Gentechnik und Züchtung Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere werden seit Jahrtausenden zum Wohle und Nutzen des Menschen eingesetzt und optimiert, wobei gerade der weite Bereich der Gewinnung und Veredelung von Lebensmitteln und Genußstoffen im Vordergrund stand und noch steht. Heute werden diese biologischen Systeme sehr bewußt und zielgerichtet in ihren genetischen Eigenschaften verändert. Seit einigen Jahren werden die klassische Züchtung von Pflanzen und die Stammoptimierung von Mikroorganismen durch ein neues Hilfsmittel – die Gentechnik – unterstützt. Die Gentechnik stellt die Methoden zur Auswahl geeigneter Zuchtlinien und Stämme, zur Erforschung und Kartierung von Merkmalen (Genen) sowie zur Isolierung und Über- tragung einzelner Gene bereit. Die Gentechnik bedeutet die Übertragung definierter einzelner Gene in das neue Erbgut und eine in vitro Rekombination von genetischem Material (Nossal et al. 1992). Gentechnik und Lebensmittel 15 Bei der Züchtung, die auf der sexuellen Vermehrung basiert, wird das gesamte Erb- gut, die Genome, der Eltern neu gemischt und in den Nachkommen vereinigt. Gewünschte und unerwünschte Merkmale werden auf sie übertragen. Die uner- wünschten, mitunter auch bedenklichen Eigenschaften müssen in zeitaufwendigen Rückkreuzungen wieder entfernt werden. Für die Kreuzungen können nur artgleiche oder nahe verwandte Organismen verwendet werden, da Kreuzungsbarrieren den freien Genaustausch verhindern. Bei der sexuellen Vermehrung sind grundsätzlich keine molekularen Kenntnisse über genetische Eigenschaften der Organismen vonnöten, und in der Regel ist nichts über die molekularen Vorgänge auf der DNA- Ebene bei der Neukombination der Erbanlagen bekannt. Traditionell werden Verän- derungen im Genom auch durch mutagene Substanzen oder Strahlung erzwungen. Die Ergebnisse dieser genetischen Veränderungen lassen sich weder voraussehen noch lassen sich ihre Auswirkungen abschätzen. Dennoch bestehen kaum Ängste oder Befürchtungen bezüglich möglicher Risiken bei dieser Art der Genmanipulation und den entsprechenden “Freisetzungen”. Die Erfahrung zeigt uns doch, oder wir glauben doch zu wissen, daß die konventionellen Züchtungsverfahren keine Risiken für Mensch und Umwelt bergen (Ebersdobler et al. 1995). Die Gentechnik unterstützt die Züchtung, aber sie ist nicht identisch mit ihr, noch wird sie die Züchtung ersetzen. Für den Einsatz der Gentechnik ist es notwendig, ausgehend von einem sichtbaren (bekannten) Merkmal, zunächst das entsprechende Gen (DNA-Stück) zu identifizieren und es zu isolieren und zu charakterisieren (Genisolierung). Anschließend ist die DNA zu vermehren (Klonierung), das Gen in den gewünschten Organismus einzuschleusen (Gentransfer, Transformation) und dort zur Ausprägung seiner Funktion zu bringen (Genexpression). Um seine Funktions- fähigkeit zu ermöglichen, wird das Gen in seiner Regulationsregion an den Wirts- organismus angepaßt, und für die Erkennung des transformierten Wirtes, des gentechnisch veränderten Organismus (GVO), wird es mit einem Markergen versehen. Das so modifizierte Genkonstrukt wird dann je nach Wirtsorganismus mehr oder minder gezielt übertragen. Die verwendete Transfermethode richtet sich nach dem Organismus, wobei hauptsächlich die Plasmid-induzierte1 und die direkte Genübertragung2 angewandt wird. Mit dem Gentransfer erhält der GVO somit gezielt die neue gewünschte Information. Da die in der DNA verankerte genetische Infor- mation grundsätzlich von allen Lebewesen verstanden wird, ist der Gentransfer nicht auf bestimmte, verwandte Organismen beschränkt, sondern erlaubt die Übertragung von Merkmalen frei von Kreuzungsbarrieren. Somit kann, anders als in der konven- tionellen Züchtung, auch artübergreifend genetische Information weitergegeben werden. Mit der Gentechnik werden keine neuen Organismen, geschweige denn 1 Plasmid: Kleines, ringförmiges, selbstreproduzierendes, extrachromosomales DNA-Molekül 2 Genübertragung; Gentransfer bezeichnet hier die Übertragung von Erbinformationen (Genen) mit Hilfe von Plasmiden (Vektoren) oder durch physikalische Methoden (z. B. Partikelbeschuß). 16 Klaus-Dieter Jany Monster, geschaffen, sondern nur wenige gut charakterisierte Gene dem Empfänger- organismus hinzugefügt. Gegenwärtig steht die Übertragung artfremder Gene noch im Vordergrund, jedoch werden mit zunehmendem Wissen immer mehr artgleiche Gene in die gentechnischen Veränderungen (An- bzw. Abschalten von Genen) einbezogen werden. Die Gentechnik eröffnet der Züchtung neue und zielge- richtetere Wege zur Gewinnung von Nutzorganismen (Jany und Greiner 1998). Die Gentechnik ist per se weder gut noch schlecht. Lebensmittelsicherheit Alle transgenen Pflanzen und die daraus gewonnenen Erzeugnisse werden umfassend und intensiv einer staatlichen Sicherheitsbewertung unterzogen. Erst wenn die Unbedenklichkeit für Mensch und Umwelt auf wissenschaftlicher Basis festgestellt wurde, dürfen Pflanzen frei angebaut und ihre Erzeugnisse frei in den Verkehr gebracht werden. Bislang wurden noch keine neuen Pflanzensorten und keine Lebensmittel so umfassend untersucht wie die gentechnisch modifizierten. Insbeson- dere stellen Lebensmittel aus transgenen Pflanzen hinsichtlich Allergien die bestuntersuchten und sichersten Erzeugnisse dar. Im Gegensatz zu den traditionellen Verfahren ist bei der Gentechnik das neu eingeführte Protein bekannt und sein allergenes Potential überprüft worden. Die gegenwärtig in der EU zugelassenen Erzeugnisse, sei es aus herbizidtoleranten Sojabohnen, Raps oder insektentolerantem Mais, entsprechen den traditionellen Produkten. Sie sind genauso sicher und gesund wie diese; es besteht kein neues oder anderes Gefährdungspotential (Lebensmittel- chemische Gesellschaft 1994, Hammes und Hertel 1997). Anwendungsbereiche Heute werden nahezu alle Nutzorganismen in einer Kombination von Gentechnik und klassischen Methoden bearbeitet. Transgene Tiere jedoch werden voraussichtlich in den nächsten 20 Jahren keine Bedeutung für die Lebensmittelproduktion erlangen. Lebensmittelverarbeitung • Fermentative Gewinnung von Hilfs- und Zusatzstoffen durch gentechnisch ver- änderte Mikroorganismen und Zellkulturen (gentechnisch veränderte Organis- men, GVO). Aus GVO oder den Fermentationsbrühen werden Enzyme, Ge- schmacksverstärker, Süßstoffe, Aromen, Vitamine, Hormone und Dickungsmittel isoliert; Gentechnik und Lebensmittel 17 • Herstellung von GVO (Milchsäurebakterien, Hefen, filamentöse Pilze) als Starter- und Schutzkulturen. Diese GVO werden in der Milch-, Fleisch-, Obst- und Gemüseverarbeitung, im Brau- und Backgewerbe sowie bei Fein- und Frisch- kostprodukten eingesetzt oder sollen dort eingesetzt werden. Landwirtschaftliche Urproduktion • Züchtung von transgenen Pflanzen mit neuen Resistenzen gegenüber Herbiziden, Virus-, Pilz- und Insektenbefall sowie mit Systemen zur Erhöhung der Lager- fähigkeit oder Qualitätsverbesserung landwirtschaftlicher Erzeugnisse; • Züchtung transgener Tiere sowie Diagnostik und Genomanalyse bei Nutztieren. Lebensmittelüberwachung • Kontrolle der Prozeßtechnik, der Hygiene und Qualität von Lebensmitteln sowie Nachweis von gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Entsprechend den Anwendungsbereichen und den gesetzlichen Vorgaben werden drei Kategorien von gentechnisch veränderten Lebensmitteln unterschieden: 1. Das Lebensmittel ist selbst der lebende GVO: Tomate, Kürbis, Melone, Raps, Mais, Sojabohne, Kartoffel. 2. Das Lebensmittel enthält lebende GVO: Joghurt mit Milchsäurebakterien. 3. Das Lebensmittel enthält isolierte oder verarbeitete Produkte aus GVO, aber nicht die lebenden GVO selbst: Enzyme, Aminosäuren, Vitamine, Zucker, Stärken, Öle 4. oder inaktivierte GVO: Tomatenketchup, Kartoffelpüree, Fruchtmarmeladen, pasteurisierter Joghurt, Bier, Brot Verbreitung neuartiger Lebensmittel In Deutschland besitzt die Gentechnik im Agrar- und Lebensmittelsektor noch keine große praktische Relevanz. Aber die Entwicklungen sind sowohl im EU-Raum als auch weltweit bereits so weit fortgeschritten, daß in naher Zukunft verstärkt Erzeug- nisse aus GVO oder mit lebenden GVO auf den Markt gelangen werden. Die Metho- den der Gentechnik sind etabliert, und sie werden weltweit eingesetzt. Aufgrund der engen internationalen Handelsverflechtungen und der Etablierung eines gemeinsamen europäischen Marktes wird sich kein EU-Mitgliedsland gentechnisch gewonnenen Rohstoffen, Hilfsstoffen und Lebensmitteln entziehen können. Es stellt 18 Klaus-Dieter Jany sich somit kaum noch die Frage, ob wir die Gentechnik anwenden oder nicht anwenden wollen. Für die Agrar- und Lebensmittelwirtschaft stellt sich vielmehr die Frage nach dem verantwortungsvollen Umgang mit dieser neuen Technik. In der Europäischen Union sind keine Lebensmittel, die aus GVO bestehen oder solche enthalten, auf dem Markt, wohl aber in den USA und in Kanada. In EU- Mitgliedsstaaten und somit auch in Deutschland sind Lebensmittel, bei deren Verarbeitung Enzyme und Zutaten aus GVO verwendet worden sind, auf dem Markt. Einige aus transgenen Pflanzen isolierte Produkte haben in Großbritannien die Zulassung erhalten. Produkte aus transgenen Sojabohnen, Raps und transgenem Mais dürfen EU-weit vermarktet werden. Pflanzen Gegenwärtig sind in den USA 35 transgene Pflanzen nach eingehender Prüfung zugelassen worden, und ein großer Teil davon steht im gewerbsmäßigen Anbau (Tab. 1). Tab. 1: In den USA zugelassene transgene Pflanzen Pflanze/Frucht Verändertes Merkmal Firma Tomate Reife/Lagerfähigkeit Calgene Verzögerte Reifung DNA Plant Technology Verzögerte Reifung Monsanto Verzögertes Weichwerden Zeneca Modifizierte Fruchtreifung Agritope Mais Herbizidtoleranz (Glufosinat) AgrEvo Herbizidtoleranz (Glyphosat) Monsanto Herbizidtoleranz (Glyphosat) Dekalb Genetics Insektentoleranz (Bt-Toxin) Ciba-Geigy Insektentoleranz (Bt-Toxin) Monsanto, Northrup K. männlich-steril Plant Genetics Raps Herbizidtoleranz (Glufosinat) AgrEvo Herbizidtoleranz (Glyphosat) Monsanto männlich-steril Plant Genetics Raps-Canola Fettsäurespektrum (C12) Calgene Baumwolle Herbizidtoleranz (Bromoxynil) Calgene Herbizidtoleranz (Sulfonylharnstoff) Dupont Kartoffel Insektentoleranz (Bt-Toxin) Monsanto Sojabohne Herbizidtoleranz (Glyphosat) Monsanto Kürbis Virustoleranz Asgrow Seed Gentechnik und Lebensmittel 19 In der Europäischen Union dürfen noch keine transgenen Pflanzen für landwirtschaft- liche Zwecke angebaut werden und noch kann ihr ökologisches und ökonomisches Potential nicht genutzt werden. Allein der Import von Sojabohnen, Mais und Raps ist für Verarbeitungszwecke erlaubt. In Zukunft werden Qualitätsverbesserungen und Veränderungen der Zusammenset- zung von Speichersubstanzen pflanzlicher Produkte sowie Resistenzen gegenüber Streßsituationen an Bedeutung gewinnen. Mit neuen Erkenntnissen über die Gen- regulation und über nutzbare Gene werden zusätzliche Organismen gentechnisch “gezüchtet” werden, bei denen Gene, die von der Pflanze selbst oder ihren nahen Verwandten stammen, benutzt und entsprechend der naturbedingten Situation an- bzw. ausgeschaltet werden. Die Effizienz und der zielgerichtete Einbau von Genen wird in Zukunft noch verbessert werden. Es kann angenommen werden, daß innerhalb der nächsten 20-30 Jahre kaum noch neue Nutzpflanzensorten auf den Markt kommen werden, die nicht in irgendeiner Weise mit der Gentechnik in Berührung gekommen sind (Brandt 1995). Mikroorganismen (vgl. Hammes 1997) Mikroorganismen dienen bereits im Rahmen traditioneller Verfahren der Herstellung und Veredelung von Lebensmitteln. Milchsäurebakterien, Hefen und Schimmelpilze besitzen eine große Bedeutung als Starterkulturen. Für die Lebensmittelproduktion gentechnisch veränderte Pilze, Hefen und Bakterien wurden bereits im Labor erprobt, wurden aber für die Lebensmittelproduktion noch nicht in Verkehr gebracht. In der fermentativen Verarbeitung von Milch zu Joghurt, Kefir, Dickmilch und Käse- produkten haben Milchsäurebakterien großes Interesse für gentechnische Verän- derungen gefunden. Hohe wirtschaftliche Verluste treten immer wieder durch Phageninfektionen bei Fermentationen auf. Es handelt sich hierbei um eine Infektion der Lebensmittelkulturen durch eine besondere Art von Viren. Diese Infektion kann zum Mißlingen des Reifungsprozesses führen. In der Fleischwirtschaft werden Starterkulturen vorwiegend für die Rohwurstreifung eingesetzt. Erste GVO wurden entwickelt. Hier wurden Gene für die Bildung bestimmter Enzyme wie Proteinasen, Lipasen, Katalasen, Nitratreduktasen und Aromastoffe in die Organismen eingeführt, oder es wurden Gene für die Synthese von Mykotoxinen und Antibiotika eliminiert. Der Einsatz gentechnisch veränderter Hefen ist in Großbritannien für das Back- und Braugewerbe zugelassen. Für die Backindustrie wurde eine Hefe entwickelt, die bei der Teigführung kontinuierlich CO2 entwickelt und dadurch die Gehzeit verkürzt. Bei dieser Hefe kommt es nicht mehr zu der sonst üblichen Verzögerung der CO2- Produktion nach Verbrauch der Glucose im Teig. Durch die gentechnische 20 Klaus-Dieter Jany Veränderung wird die Repression von maltoseabbauenden Enzymen in Gegenwart von Glucose aufgehoben. Beispiele für gentechnisch veränderte Hefen sind in Tab. 2 aufgezeigt. Tab. 2: Gentechnisch veränderte Hefen im Back- und Braugewerbe Zielgen Effekt Backhefe: Amylase größeres Brotvolumen Thermo-Amylase verbesserte Lagerfähigkeit des Brotes Glucoamylase besser gehender Teig, Verarbeitungshilfe Hemicelluase Abbau von Zellwand-Kohlehydraten Lipase Geschmacksoptimierung Maltozymase süßer Teig ohne Zuckerzusatz Bierhefe: ∝-Acetolactatdecarboxylase Verkürzung der Lagerzeit Glucoamylase, Amylase Prozessierhilfe, Light-Biere Glucanase Verbesserung der Filtrierbarkeit Proteinase Schaumstabilität Gewinnung von Enzymen mit Hilfe von Mikroorganismen (vgl. Jennylind und Simpson 1996) Gentechnisch modifizierte Mikroorganismen werden in vielfältiger Weise zur umweltschonenden und kostengünstigen Produktion von Enzymen und Zusatzstoffen eingesetzt. Mehr als 35 Enzyme aus GVO finden bereits in den unterschiedlichsten Lebensmittelverarbeitungsbranchen Anwendung. Enzyme stellen als Proteine direkte Genprodukte dar. Daher können alle lebensmit- teltechnologisch relevanten Enzyme recht einfach und kostengünstig aus bzw. mit GVO gewonnen werden. In Tab. 3 sind einige Einsatzbereiche der Enzyme auf- gezeigt. Gentechnik und Lebensmittel 21 Tab. 3: Enzyme in der Lebensmittelverarbeitung Einsatzbereich Enzyme Bier und Wein Amylasen, Glucanasen, Pektinasen, Xylanasen Stärke Amylasen, Glucoamylase, Pullanasen, Glucose-Isomerase Frucht- und Gemüsesäfte Pektinasen, Cellulasen, Arabinasen, Glucose- Oxidase Back- und Teigwaren Amylasen, Glucanasen, Xylanasen, Glucosidasen, Proteinasen Fleisch- und Wurstwaren Proteinasen, Peptidasen, Glucoseoxidase Milchprodukte Proteinase (Chymosin), Lactase, Lipase Die aus GVO gewonnenen Enzyme sind Substitute für die bisher aus konventionellen Produktionsorganismen isolierten Substanzen. Die Enzyme sind hinsichtlich Wirkungsweise und Struktur identisch mit den konventionell gewonnenen Substan- zen. In Zukunft werden jedoch neue, für die jeweilige Lebensmittelmatrix und das jeweilige Verfahren gentechnisch optimierte Enzyme eingesetzt werden. Erste Ansät- ze sind hier für Waschmittelenzyme gemacht worden. Nach Einschätzung von Enzymherstellern sollen noch in diesem Jahrhundert mehr als 80 Prozent der Enzyme mit GVO gewonnen werden. Zusatzstoffe Zusatzstoffe werden in der Lebensmittelverarbeitung als Geschmacksverstärker, Süß- stoffe, Aminosäuren, Vitamine, Aromen, Farbstoffe, Konservierungsmittel, Ver- dickungsmittel und Emulgatoren eingesetzt. Klassische Verfahren sollen durch die Verwendung von GVO effektiver und rentabel gestaltet werden. Da die meisten Zusatzstoffe nicht wie Enzyme direkte Genprodukte, sondern Endprodukte komple- xer Stoffwechselwege darstellen, ist die Optimierung der Organismen schwieriger als bei der Enzymsynthese. Die fermentative Gewinnung von Zusatzstoffen mit GVO hat gegenwärtig nur bei wenigen Produkten eine wirtschaftliche Bedeutung. Mit Hilfe der Gentechnik ist es z. B. gelungen, die Synthese von Vitamin C ausgehend von Glucose mit einem einzigen Mikroorganismus zu bewerkstelligen. Hierdurch konnten vier chemische Prozeßstufen in der konventionellen Vitamin C-Produktion ersetzt werden. Die Synthese von Vanillin und des pflanzlichen proteinogenen Süßstoffs Thaumatin mit GVO sind möglich. Weit fortgeschritten sind gentechnische Modifizierungen von Mikroorganismen zur optimierten Aminosäurensynthese. 22 Klaus-Dieter Jany Chancen der Gentechnik Im Gegensatz zum Medizin- und Pharmabereich findet die Gentechnik im Lebensmittelsektor kaum Akzeptanz; mehr als 80 Prozent der deutschen Verbraucher lehnen sie ab. Ein Nutzen der Gentechnik ist in unserer Überflußgesellschaft für Konsumenten kaum erkennbar oder nachvollziehbar, zumal qualitativ hochwertige und preisgünstige Lebensmittel in mehr als ausreichenden Mengen jederzeit verfügbar sind. Qualitativ hochwertige Lebensmittel, eben gesunde und sichere, werden als selbstverständlich und beinahe als naturgegeben angesehen (Koschatzky und Maßfeller 1994). Die Anstrengungen der Landwirtschaft für die Bereitstellung von hochwertigen Rohstoffen und die Erzeugung von sensorisch ansprechendem, gesundem Obst und Gemüse werden kaum beachtet. Viel zu häufig wird vergessen, daß wissenschaftlicher und technischer Fortschritt die vielfältige Produktion von hochwertigen, sicheren und dabei preisgünstigen Lebensmitteln erst ermöglichte. Unmittelbarer Nutzen wird sich für uns alle aus den Möglichkeiten zur Verbesserung der ernährungsphysiologischen Wertigkeit von Nahrungsmitteln und der Entwicklung neuer, verbesserter diätetischer Lebensmittel sowie der Reduzierung gesund- heitlicher, durch mikrobielle Infektionen verursachter Risiken ergeben. Daneben eröffnet die Verwendung von transgenen Organismen Chancen zur Umweltent- lastung in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, zur ökonomischeren Nutzung unserer natürlichen Ressourcen sowie zum verbesserten Erhalt von wertgebenden Inhaltsstoffen bei der Verarbeitung von Rohstoffen. In der nachfolgenden Tabelle (Tab. 4) sind die Chancen der Gentechnik zusammengefaßt, wobei einige der Aspekte bereits nutzbringend umgesetzt worden sind. Die Gentechnik unterstützt die klassische Pflanzenzüchtung zur Verbesserung der Produktivität und Ertragssicherung, zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit gegen- über viralen oder pilzlichen Erkrankungen und zur Toleranz gegenüber Schad- insekten. Neben den rein agronomischen Merkmalen werden gezielt Inhaltsstoffe verändert, einerseits wegen ihrer ernährungsphysiologischen Bedeutung und des vor- beugenden Gesundheitsschutzes (Reduktion von Herzkreislauferkrankungen, Krebs- prävention und Reduktion von Lebensmittelallergien) und andererseits aufgrund ihrer Bedeutung als nachwachsende Rohstoffe (Fasern, Öl, Stärken) im Hinblick auf die Erschließung neuer Einnahmequellen landwirtschaftlicher Betriebe. Gentechnik und Lebensmittel 23 Tab. 4: Chancen der Gentechnik im Agrar- und Lebensmittelsektor Umsetzung ernährungswissenschaftlicher Erkenntnisse • Optimierte Zusammensetzung von Makro- und Mikronährstoffen • Verbesserter Erhalt von wertgebenden Inhaltsstoffen • Erhöhung des Ballaststoffgehaltes • Änderungen im Fettsäuremuster • Erhöhung des Gehaltes an natürlichen Antioxidantien und Vitaminen • Eliminierung antinutritiver Substanzen Ausschaltung toxischer oder hygienischer Risiken im Produkt oder im Herstellungsverfahren • Reduzierung von natürlich vorkommenden Toxinen • Hemmung des Wachstums von pathogenen Keimen • Reduzierung von mikrobiologischen Risiken Entwicklung hypoallergener und diätetischer Lebensmittel Verbesserung und Erweiterung von sensorischen Eigenschaften Verbesserte Haltbarkeit und Lagerfähigkeit von Lebensmitteln • Unterdrückung der Fettoxidation • Unterdrückung des Zellwandabbaus • Hemmung des mikrobiellen Verderbs • Minderung von Nachernteverlusten Ressourcen- und Ertragssicherung • Ausbildung von Resistenzen gegen Krankheitsbefall • Verbesserte oder veränderte Rohstoff- und Reststoffverwertung Entlastung der Umwelt • Verringerung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln • Verringerung des Energie- und Wasserverbrauchs • Verringerung von “Abfallstoffen” und Lösungsmitteln Verfahrensoptimierung – Kosteneinsparung – Wettbewerbsfähigkeit Produktionssteigerungen sind grundsätzlich nicht nur negativ zu beurteilen. Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß in 50 Jahren die doppelte Anzahl von Menschen (ca. 10 Milliarden) ernährt werden muß. Die Anbaufläche kann nicht beliebig gesteigert werden. Deshalb müssen bereits heute Verfahren zur Produktionssteigerung und -sicherung unter umweltschonenden Bedingungen ent- wickelt werden. Hierzu kann die Gentechnik zumindest teilweise beitragen, indem sie gemeinsam mit der konventionellen Züchtung z. B. transgene Pflanzen liefert, die primär höhere Erträge erbringen oder resistent gegen Schadinsekten, Virus- und Pilzerkrankungen usw. sind und somit auf gleicher Anbaufläche höhere Erträge gewährleisten. Allerdings müssen, wie es auch bereits geschieht, hier besonders die 24 Klaus-Dieter Jany traditionellen Nahrungsmittelpflanzen der Drittweltländer wie Reis, Mais, Hirse, Hülsenfrüchte usw. in die Untersuchungen einbezogen werden. Gelingt es, mit Lebensmitteln aus transgenen Pflanzen z. B. Vitaminmangelerkrankungen in bestimmten Regionen zu reduzieren, so bietet hier die Gentechnik einen direkten Nutzen für die betroffene Bevölkerung. Dieser Weg wird z. B. in Indonesien mit transgenem Reis, der Vitamin-A-Vorstufen im Korn zu synthetisieren vermag, und allergievermindertem Reis in Japan untersucht (Matsuda et al. 1996). Weiteren unmittelbaren Nutzen bietet die Gentechnik durch die Reduzierung von mikrobiologischen Risiken bei der Verarbeitung und der direkten Wachstums- hemmung von pathogenen Keimen in Lebensmitteln. Genauso positiv kann die Minderung von natürlich vorkommenden Toxinen oder unerwünschten Inhaltsstoffen (Proteasen-Inhibitoren, Lektinen, Nitrat, Oxalat) in pflanzlichen Produkten durch gentechnische Eingriffe gesehen werden. Eine verbesserte Haltbarkeit oder Lager- fähigkeit von Obst und Gemüse durch Unterdrückung des Zellwandabbaus, der Fettsäureoxidation oder der Verzögerung des mikrobiellen Verderbs zur Minderung von Nachernteverlusten sind Anwendungsgebiete der Gentechnik. Dies wird gerade bei der oft geschmähten “Anti-Matsch-Tomate”, der Flavr-Savr Tomate, deutlich. Auf dem amerikanischen Markt ist sie, obwohl teurer als konventionelle Tomaten, ein Verkaufserfolg. Diese Tomate kann reif und wohlschmeckend geerntet werden und trotzdem noch in einem ansehnlichen Zustand zum Verbraucher gelangen. Die künstliche Nachreifung der häufig grün geernteten konventionellen Tomate entfällt somit. Der Einsatz von GVO und speziellen, gentechnisch erzeugten Enzymen ermöglicht einerseits in schonenden und milden biotechnischen Verfahren einen verbesserten Erhalt von empfindlichen, wertgebenden Inhaltsstoffen während der Rohstoffverar- beitung, und andererseits erlaubt er die Gewinnung neuer spezieller Mikronährstoffe, z. B. für Säuglingsnahrung. Die Entlastung der Umwelt wird ganz deutlich bei der Gewinnung von Enzymen mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen. Im Vergleich zur konventionellen Produktion sind Einsparungen an Primärenergien und bei der Abfallentsorgung enorm; Reduzierungen um mehr als 90 Prozent sind keine Ausnahmen. Methan ist einer der “Ozonkiller”, und jede Verringerung der Methanfreisetzung ist für den Umweltschutz positiv zu werten. Mit transgenen Pflanzen sowie mit der Verringerung des Milchviehbestandes läßt sich die Methanbildung in der landwirt- schaftlichen Produktion signifikant reduzieren. Gerade bei der Gewinnung von Enzymen aus GVO können Umweltbelastungen durch feste und flüssige Abfallstoffe sowie durch Einspeisung von Primärenergie um bis zu 90 Prozent reduziert werden. Der gewerbsmäßige Anbau von herbizid- oder insektentoleranten gentechnisch veränderten Pflanzen in den USA hat gezeigt, daß Gentechnik und Lebensmittel 25 sich insgesamt die Menge der ausgebrachten Pflanzenschutzmittel verringern ließ. Ob sich diese Ergebnisse so auf Europa übertragen lassen, kann gegenwärtig noch nicht beantwortet werden. Die Gentechnik wird häufig nur in Verbindung mit Verfahrensoptimierungen, Ratio- nalisierungen und Gewinnsteigerung gesehen. Zweifellos sind diese Punkte Trieb- kräfte für den Einsatz gentechnischer Verfahren; aber Produktverbesserung, Kosten- reduzierung und Wettbewerbsfähigkeit sollten in einem immer enger werdenden weltumspannenden Angebotsmarkt die richtige Beachtung finden. Nicht verkannt werden sollte, daß die deutsche Lebensmittelwirtschaft ca. 530.000 Personen beschäftigt und 1996 einen Umsatz von 224 Mrd. DM erzielte. Im Vergleich mit anderen Wirtschaftszweigen steht sie damit an dritter Stelle des verarbeitenden Gewerbes, noch vor der Chemie. Allerdings sind im Vergleich zu anderen Wirts- chaftszweigen in der Agrarwirtschaft und im Lebensmittelgewerbe die Gewinn- margen gering. Die kommerzielle Entwicklung der Gentechnik im Lebensmittelbereich läßt sich gegenwärtig nur schwer prognostizieren. Für die Europäische Union wird der mit transgenen Pflanzen und Pflanzenschutzmitteln erzielte Umsatz auf 210 Mill. US $ geschätzt, während in den USA im Jahr 2000 ein Umsatz von 2 Mrd. US $ erwartet wird. Insgesamt wird weltweit eine Umsatzsteigerung auf 4 bis 6 Mrd. US $ vermu- tet. Im Lebensmittelbereich wird ein Umsatz von 34 Mrd. US $ weltweit angenom- men. Bei den gegenwärtig auf dem Markt befindlichen Produkten der ersten Generation haben die Verbraucher keinen unmittelbaren persönlichen Vorteil oder Nutzen. Der direkte Nutzen liegt vorwiegend bei den Produzenten der GVO und den Anwendern der GVO und der daraus gewonnenen Erzeugnisse. Produzenten von GVO verbes- sern ihre Wettbewerbsfähigkeit und sichern sich Absatzmärkte für ihre Produkte. Mögliche Gefährdungspotentiale Gentechnisch hergestellte Lebensmittel sind a priori nicht unsicherer und bergen keine höheren oder andersartigen Risiken als konventionell gewonnene Lebensmittel. Auch unterscheiden sich die gegenwärtig auf dem Markt befindlichen Erzeugnisse nicht von unseren traditionell hergestellten Lebensmitteln. Gesundheitliche Gefährdungen können sich prinzipiell aus dem gentechnischen Verfahren und/oder dem Verzehr solcher Lebensmittel, ökologische Risiken durch die Freisetzung von GVO ergeben. Die Risikobetrachtungen können nicht einheitlich für jedes Lebens- mittel oder jeden Organismus durchgeführt werden. Die Sicherheitsbewertung muß in einer Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden (Report of a WHO Workshop 1993). Mögliche Gefährdungspotentiale lassen sich gegenwärtig nur aus Analogien 26 Klaus-Dieter Jany zu konventionell gezüchteten Organismen ableiten. Als Quellen für Risikopotentiale können angesehen werden: • Die Organismen, die als Spender oder Empfänger der genetischen Information dienen, insbesondere wenn sie noch keine sichere Tradition im Agrar- oder Lebensmittelsektor aufweisen. Hier wären z. B. Übertragungen von pathogenen Eigenschaften, allergenen Proteinen oder Toxinen möglich. • Die gentechnische Modifizierung, die Markergene, der Integrationsort, die Anzahl der aufgenommenen Genkopien und der Gentransfer. • Die Produkte aus der gentechnischen Modifizierung. Hier könnten selten Gefähr- dungen vom eigentlichen Genprodukt ausgehen. Häufiger könnten sie ausgehen von Begleitsubstanzen, die aus Positionseffekten herrühren, oder von stoffwech- selphysiologischen Veränderungen im transgenen Organismus, die einen Einfluß auf die Verdaulichkeit und die Bioverfügbarkeit von Mikro- oder Makronähr- stoffen ausüben. Im Vergleich zu konventionell gewonnenen Enzymen wird mit dem höheren Rein- heitsgrad der aus GVO gewonnenen Enzyme generell der Eintrag von zusätzlichen Substanzen mit einem möglichen Potential zum Auslösen von Allergien und Intoleranzen erniedrigt. Aus GVO gewonnene Enzyme können wie alle anderen klassisch gewonnenen Proteine grundsätzlich ein allergenes Potential aufweisen, wobei gentechnisch hergestellte Proteine bzw. Enzyme allgemein kein höheres Risiko darstellen. Allerdings können neue Lebensmittelallergien durch den häufigeren und umfangreicheren Einsatz von Enzymen für bestimmte Personenkreise nicht ausgeschlossen werden. Lebensmittelallergien sind aber grundsätzlich kein gentechnikspezifisches Risiko. Die Verdaulichkeit gentechnisch hergestellter Proteine ist nicht anders als die der entsprechenden konventionell gewonnenen. Im Rahmen der Sicherheitsbewertung von Organismen wird berücksichtigt, ob der DNA-Spender und/oder DNA-Empfänger bereits eine lange und sichere Tradition in der Lebensmittelgewinnung besitzt. In den USA wurde der Begriff “GRAS” (Generally Recognized As Safe) geprägt, der sich sowohl auf Einzelsubstanzen, Organismen und ganze Lebensmittel bezieht. Erhält in den USA ein Produkt den GRAS-Status, so kann davon ausgegangen werden, daß von ihm keine Gefährdung ausgeht. Die Begriffe STIFF und STIHN werden fast ausschließlich in Europa benutzt. STIFF bezieht sich auf Fermentationsorganismen und steht für Safe Tradition In Food Fermentation. STIHN wird für pflanzliche und tierische Produkte bzw. Organismen verwendet und bedeutet Safe Tradition In Human Nutrition. Die Bedenken hinsichtlich der Lebensmittelsicherheit eines gentechnisch veränderten Mikroorganismus betreffen vor allem dessen Fähigkeit, in Konkurrenz zur natürlichen Darmflora zu treten und den menschlichen Darm zu besiedeln. Eine intakte Darmflora unterdrückt normalerweise die Ansiedlung von verzehrten Gentechnik und Lebensmittel 27 Mikroorganismen. Eine negative Wirkung auf die Zusammensetzung der Darmflora könnte jedoch der breite Einsatz von gentechnisch veränderten, Bakteriostatika ausscheidenden Schutzkulturen haben. Die Entwicklung eines Toxinbildners oder Pathogens durch den gentechnischen Eingriff bzw. die Inaktivierung oral aufgenommener Antibiotika bei Verwendung von Antibiotikaresistenzgenen als Selektionsmarker können als Risiken diskutiert werden (Tab. 5). Tab. 5: Potentielle Risiken von Markergenen Markergene Antibiotikaresistenz Herbizidtoleranz Metabolische Gene Potentielle Risiken Genaustausch mit Darmflora Inaktivierung von Antibiotika Genprodukt = Allergen Genprodukt = Toxin aber: Antibiotikaresistenz-Gene stammen von Mikroorganismen, und sie sind in der Umwelt weit verbreitet. Mit dem Verzehr von frischem Obst und Gemüse werden antibiotikaresistente Mikroorganismen aufgenommen. Im Ernährungsbereich werden jedoch in der Regel Organismen eingesetzt, die eine lange und sichere Tradition in der Lebensmittelproduktion besitzen und somit als unbedenklich gelten. Werden solche Organismen als Spender- und Empfänger- organismen verwendet, so ist es sehr wahrscheinlich, daß die gentechnische Verän- derung wieder zu einem sicheren Organismus führt. Enthalten Lebensmittel Gen- produkte der Antibiotikaresistenzgene in ihrer enzymatisch aktiven Form, so ist es vorstellbar, daß im Magen-Darmtrakt kurz vor oder nach der Mahlzeit zu therapeu- tischen Zwecken oral aufgenommene Antibiotika inaktiviert werden. Allerdings sind die Bedingungen im Darmtrakt für die enzymatische Inaktivierung sehr ungünstig. Die Enzyme benötigen ATP3 als Energieträger und einen schwach alkalischen pH- Wert zur Entfaltung ihrer Aktivität. Im Magen kommt zwar ATP vor, aber das saure 3 ATP (Adenosintriphosphat) ist ein Molekül, das im Organismus die Funktion eines Energieträgers besitzt. 28 Klaus-Dieter Jany Magenmilieu behindert sehr stark die enzymatische Wirkung. Im Dünn- und Dickdarm liegen optimale pH-Bedingungen vor, aber nicht das notwendige ATP. Zusätzlich sind die Genprodukte der Antibiotika-Resistenzgene empfindlich gegen- über dem proteolytischen Angriff der Verdauungsenzyme, so daß die Inaktivierung von oral aufgenommenen Antibiotika durch gentechnisch veränderte Organismen keinen bedenklichen Umfang erreichen wird. Im Zusammenhang mit dem Verzehr von Lebensmitteln, die mit Hilfe der Gentechnik hergestellt wurden, wird der Gentransfer auf Mikroorganismen der menschlichen Darmflora und auf die Mucosaepithelzellen des menschlichen Darms diskutiert. Der Gentransfer auf die Darmepithelzellen ist nur von geringer Bedeutung, da es sehr unwahrscheinlich ist, daß mit der Nahrung aufgenommene Gene den Darm vollkommen intakt erreichen und die zur Expression benötigten Regulationssequenzen aufweisen. Die Arbeiten von Doerfler und Schubbert (1994) zeigen zwar, daß mit der Nahrung aufgenommene DNA nicht vollständig hydrolysiert wird und teilweise in Zellen eintreten kann, aber auch die Autoren kommen zu dem Schluß, daß hier kein besonderes neues Risiko von rekombinierter DNA gegenüber “klassischer” DNA vorliegt. Außerdem wäre eine Etablierung der Gene, falls sie intakt und mit den entsprechenden Regulationssequenzen übertragen werden, aufgrund der ständigen Abschilferung der Epithelzellen sehr unwahrscheinlich. Von größerer Bedeutung ist der Transfer von DNA auf Mikroorganismen der Darmflora. Bei Verzehr von gentechnisch veränderten, lebenden Mikroorganismen besteht die Möglichkeit eines Gentransfers. Die Wahrscheinlichkeit eines Gentrans- fers ist beim Verzehr von unverarbeiteten (rohen) Lebensmitteln aus transgenen Pflanzen geringer, da bis zum Zeitpunkt der Exposition die verzehrte DNA durch die Aktivität von Verdauungsenzymen weitgehend abgebaut wird. Selbst wenn intakte Gene aus den verzehrten transgenen Pflanzen auf Mikroorganismen der Darmflora übertragen werden sollten, ist die Expression dieser Gene unwahrscheinlich, da die pflanzlichen Regulationssequenzen des übertragenen genetischen Materials in den Mikroorganismen der Darmflora keine Funktion ausüben. Die Wahrscheinlichkeit eines Gentransfers ist gering einzuschätzen, wenn hochver- arbeitete Lebensmittel verzehrt werden, da die DNA der GVO durch den Verarbei- tungsprozeß weitgehend abgebaut oder entfernt wird. Außerdem ist zu berück- sichtigen, daß wir täglich beträchtliche Mengen an DNA (je nach Ernährungs- gewohnheiten 1 bis 3 Gramm) verzehren und sich die Genübertragungsraten bei in vivo und in vitro rekombinierter DNA nicht unterscheiden. Bisher durchgeführte Untersuchungen zum Transfer plasmidcodierter Resistenzfaktoren im Magen- Darmtrakt weisen darauf hin, daß dieser Transfer ein äußerst seltenes Ereignis ist. Dies wird auch dadurch bestätigt, daß beim Verzehr von Frischobst und -gemüse, d. h. gentechnikfreier Produkte, eine Vielzahl lebender antibiotikaresistenter Mikro- Gentechnik und Lebensmittel 29 organismen aufgenommen wird, ohne daß bisher negative Auswirkungen bekannt geworden sind. Bei Pflanzen können Gene über Pollenflug oder Insekten auf nahe verwandte Arten oder Gattungshybride übertragen werden. Auf Feldern und angrenzenden Flächen, auf denen die transgene Pflanze und die traditionelle Kulturpflanze oder eine korre- spondierende Wildpflanze zeitgleich blühen, ist die Übertragung des neueingeführten Gens in die Wildpopulation nicht auszuschließen. Unter Selektionsdruck kann sich das “Fremdgen” etablieren. So ist beim Raps die Übertragung des BASTA- Resistenzgens auf nahe verwandte Kreuzblütler bereits nachgewiesen worden (Gressel und Kleifeld 1994). Ähnliches könnte auch bei Zuckerrüben in der Nähe von Saatzuchtstationen stattfinden. Im kommerziellen Anbau zur Zuckergewinnung ist das Auskreuzen unwahrscheinlich, da hier die Zuckerrüben nicht bis zur Blüte auf dem Feld bleiben. Keine Auskreuzung wird bei Mais, Kartoffeln und Sojabohnen in Europa auftreten, denn hier fehlen nahe verwandte Wildformen. Dennoch bleibt bei unseren Kulturpflanzen das Problem der Auskreuzung fremder Gene in die Kulturen des ökologischen Landbaus bestehen. Der Gentransfer in die nicht modifizierten Pflanzen wird sich auch bei hinreichend großen Mantelsaaten nicht verhindern lassen. DNA ist ein natürlicher Bestandteil unseres Lebensraumes und alle Organismen müssen sich weiterhin mit Fremd-DNA auseinandersetzen. Gefährdungen gehen im allgemeinen nicht von der gewünschten Veränderung, sondern von unerwarteten Nebeneffekten (Positionseffekten4, pleiotropen Effekten5) des gentechnischen Eingriffs aus. Mit den heutigen Kenntnissen über die Organisation und Struktur des Genoms und den Techniken zur gentechnischen Veränderung von Organismen lassen sich weder die Integrationsorte noch die Zahl der eingebauten Genkopien steuern. Insertierte Genkopien können Einfluß auf umgebende Genabschnitte nehmen und somit unvorhersehbare Folgen nach sich ziehen. Unerwartete Folgen des Eingriffs ins Genom sind übrigens nicht auf gentechnische Verfahren beschränkt, sondern können auch bei der klassischen Züchtung auftreten; die potentiellen Risiken sind bei der Anwendung der Gentechnik die gleichen wie bei der klassischen Züchtung (z. B. Anhäufung von Toxinen oder antinutritiven Faktoren, Verminderung wertgebender Inhaltsstoffe, veränderte Bioverfügbarkeit von Mikro-, Makronährstoffen und Toxinen). Da die Ergebnisse bei der klassischen Stammoptimierung meist zufällig und im Vergleich zur gentechnischen Optimierung weitaus weniger kontrollierbar sind, sollte man konsequenterweise zur Verringerung unerwarteter Folgen die Stammoptimierung auf gentechnische Methoden umstellen, weil durch das gezieltere Vorgehen die Veränderungen auf DNA-Ebene bekannt sind, wodurch zusätzliche Sicherheit gewonnen werden kann. 4 Positionseffekt: Die Wirkung eines Gens wird durch den Ort der Integration im Genom beeinflußt. 5 Pleiotroper Effekt: Von einem Gen gehen mehrere Wirkungen aus. 30 Klaus-Dieter Jany Lebensmittelallergien werden häufig in Zusammenhang mit der Gentechnik gebracht. Sie sind jedoch nicht unmittelbare Folge der Anwendung gentechnischer Verfahren im Lebensmittelbereich. Lebensmittelallergien und -intoleranzen traten lange vor Einführung der Gentechnik auf, und der Anteil der Personen, die an solchen Allergien leiden, wird auf 1-5 Prozent geschätzt. Da Allergien in der Bevölkerung offensichtlich zunehmen, gewinnt das Thema Lebensmittelallergien und Gentechnik zunehmende Brisanz. Lebensmittelallergien werden von Kritikern häufig zur Ablehnung der Gentechnik herangezogen, zumal keine Vorhersagen zum allergenen Potential von Proteinen bzw. Enzymen gemacht werden können – oder gar auf einzelne Personengruppen abgestimmt werden können. Zwar gibt es gewisse, gemeinsame strukturelle und physiko-chemische Merkmale für hochimmunogene Proteine; diese sind jedoch nur als Hinweise anzusehen. Nicht jedes Protein, das diese Merkmale aufweist, führt zu einer Lebensmittelallergie. Und umgekehrt können Proteine ohne diese Merkmale Allergien auslösen. Gerade für Untersuchungen zu Allergien im allgemeinen und zu dem allergenen Potential von Proteinen bzw. Enzymen im besonderen besteht noch ein sehr großer Forschungsbedarf. Proteine und andere hochmolekulare Inhaltsstoffe von nahezu allen unseren traditionellen pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln können, meist bei vorgeprägten, sensibilisierten Personen, Allergien hervorrufen (Lehrer et al. 1996, Eisenbrand et al. 1996). Proteinen kommt die Hauptbedeutung bei der Auslösung von Allergien zu. Daher ist bei der Darstellung neuer Proteine in Pflanzen oder neuer Enzyme in Mikroorganis- men durch gentechnische Verfahren zunächst grundsätzlich von einem Risikopoten- tial zur Etablierung von Lebensmittelallergien auszugehen. Jedoch bedingt das gen- technische Verfahren allein keine Änderung des allergenen Potentials eines Proteins. Löst der Verzehr eines Proteins aus einem Lebensmittel bekanntermaßen keine Allergie aus, so wird es auch nach Übertragung seines Gens in einen anderen Organismus nicht zur Auslösung einer Allergie führen. Enzyme, die traditionell in der Lebensmittelverarbeitung eingesetzt werden und nicht zu Allergien führen, bergen auch nach ihrer Gewinnung aus GVO kein neues allergenes Risiko (Fuchs und Astwood 1996). Durch die Gentechnik lassen sich nun jedoch auch Enzyme her- stellen, deren Gewinnung zuvor ökonomisch nicht vertretbar war. Hierdurch kann es zu einem vermehrten Einsatz von neuen Enzymen kommen, wodurch das Auftreten neuer Lebensmittelallergien nicht auszuschließen ist. Hiermit muß sogar gerechnet werden. Auch wenn Enzyme nicht unter die Novel Food-Verordnung und ihre Kennzeichnungsregeln fallen, so wäre eine Kennzeichnung von bestimmten Enzymen für Allergiker sinnvoll. Mit der Übertragung von “fremden” Genen in Nutzpflanzen wird es einem Allergiker erschwert, seine Allergien auf ein bestimmtes Lebensmittel zurückzuführen. Ein Erdnußallergiker z. B. wußte, daß er Erdnüsse und Erdnußprodukte meiden muß. Er Gentechnik und Lebensmittel 31 kann dieses Protein jedoch nicht mehr erkennen, wenn es in einem atypischen, nun gentechnisch gewonnenen Lebensmittel auftritt; fatale Auswirkungen sind für ihn die Folge! Hier ist zu fordern, daß Genprodukte von Organismen, die bekanntermaßen Allergien hervorrufen, umfangreichen immunologischen Untersuchungen zu unter- werfen sind. Selbst wenn die Untersuchungen keine Hinweise auf ein besonderes allergenes Potential erbringen, sollte für überempfindliche Personen aufgrund des geringen Wissens über Allergien ein Hinweis auf die Anwesenheit dieses Proteins im Lebensmittel erfolgen. Die Ablehnung gentechnischer Verfahren im Agrar- und Lebensmittelsektor ist wahrscheinlich weniger auf gentechnikspezifische Gründe zurückzuführen, sondern ist im Kontext von falschen Vorstellungen über gentechnisch hergestellte Lebensmittel zu suchen. Vermutlich beruht sie auf einer Verunsicherung über die Auswirkungen der für den Verbraucher undurchschaubaren Technik und einem Unbehagen angesichts der vermehrten industriellen Verarbeitung von Lebensmitteln. Gesundheitsgefährdende Lebensmittel dürfen nicht in den Verkehr gebracht werden. Nicht nur die Lebensmittelhersteller sollten hier in die Verantwortung genommen werden, sondern auch der Staat, der einem vorbeugenden Gesundheitsschutz seiner Bürger verpflichtet ist. Aussagen zu theoretisch möglichen Gefährdungspotentialen von GVO oder den daraus gewonnenen Produkten gibt es viele, aber bislang konnten auf der Basis wissenschaftlich belegbarer Fakten keine gentechnikspezifischen gesundheitlichen Risiken durch die neuartigen Lebensmittel ausgemacht werden. Da aber kaum Erfahrungen mit gentechnisch erzeugten Lebensmitteln vorliegen, wird in der breiten Öffentlichkeit erwartet, daß diese neuartigen Lebensmittel einer umfassenden Sicherheitsbewertung unterzogen werden. Hierbei sollen jedoch nicht nur die Produkte mit lebenden GVO, sondern auch isolierte Produkte aus GVO in die Risikobewertung einbezogen werden. Die Sicherheitsbewertung kann nicht nach einem einheitlichen Schema durchgeführt werden; Umfang und Kriterien sind für eine isolierte Einzelsubstanz anders als für ein komplexes GVO-Lebensmittel. Die Kriterien für die Sicherheitsbewertung müssen wissenschaftlich fundiert sein und einheitlich definiert werden. Die Durchführung der Sicherheitsbewertung muß in allen EU-Staaten nach strengen und gleichen Maßstäben erfolgen und ihr Ergebnis muß wissenschaftlich nachvollziehbar sein. Die Sicherheitsbewertung soll, wie vorgesehen, von unabhängigen Institutionen durchgeführt werden. Gesetzliche Regelungen In Deutschland ist das Inverkehrbringen von Lebensmitteln grundsätzlich nicht genehmigungspflichtig. Der Inverkehrbringer muß die gesetzlichen Vorgaben des 32 Klaus-Dieter Jany Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) beachten und einhalten. Dies gilt auch für gentechnisch hergestellte Lebensmittel. Die Novel Food-Verordnung regelt das Inverkehrbringen neuartiger Lebensmittel und neuartiger Lebensmittelzutaten einheitlich in der Europäischen Union. Hiermit werden einerseits gleiche Bewertungsmaßstäbe für die gesundheitliche Unbedenk- lichkeit der Produkte angewandt und ein hoher vorbeugender Verbraucherschutz gewährleistet sowie andererseits Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Gemein- schaft vermieden. Die Regularien der Novel Food-Verordnung können in den Anwendungsbereich, das Verfahren zum Inverkehrbringen (Notifizierung, Genehmigung) und die Etikettie- rung untergliedert werden. Der Anwendungsbereich der Novel Food-Verordnung bezieht sich auf Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die in der EU noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und zusätzlich unter definierte Gruppen von Erzeugnissen fallen. Hier werden unter neuartigen Lebensmitteln eine breite Palette unterschiedlichster Produkte zusammengefaßt. In Deutschland werden fast ausschließlich nur gentechnisch hergestellte Lebensmittel als neuartig angesehen. Die Novel Food-Verordnung stellt aber kein Gesetzeswerk speziell für gentechnisch gewonnene Lebensmittel dar. Neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten dürfen nur dann in Verkehr gebracht werden, wenn nachgewiesen ist, daß sie • keine Gefahr für den Verbraucher darstellen, • keine Täuschung des Verbrauchers bewirken und • sich von traditionellen Produkten, die sie ersetzen sollen, nicht so unterscheiden, daß ihr normaler Verzehr Ernährungsmängel für den Verbraucher mit sich brächte. Die ersten beiden Kriterien entsprechen dem allgemeinen Lebensmittelrecht, neu ist die ernährungsphysiologische und -medizinische Bewertung der Lebensmittel. Die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Lebensmittel steht im Vordergrund. Es ist ohne Bedeutung, ob die Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten mit der Gentechnik in Berührung gekommen sind oder nicht. Gesundheitsgefährdende Lebensmittel dürfen nicht in den Verkehr gebracht werden. Zur Abschätzung und Abwehr dieser prinzipiell möglichen Gefährdungen wurden Konzepte zur Prüfung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit von Lebensmitteln, die selbst den GVO darstellen, solche enthalten oder daraus isolierte Produkte aufweisen, von verschiedenen nationalen und internationalen Gremien und Organisationen erarbeitet. Als gemeinsames Schlüsselelement für die Sicherheitsbewertung dient das von der OECD formulierte Prinzip der substantiellen Äquivalenz. Substantielle Äquivalenz bedeutet in diesem Zusammenhang, Gentechnik und Lebensmittel 33 a) daß der vergleichbare traditionelle Organismus oder das vergleichbare traditionelle Erzeugnis als Grundlage zum Vergleich des transgenen Organismus oder des daraus gewonnenen Erzeugnisses herangezogen werden kann, und b) daß der neue Organismus oder die daraus gewonnenen Produkte sich nicht wesentlich hinsichtlich ihrer Zusammensetzung, ihres Nährwertes, ihres Stoff- wechsels, ihres Verwendungszweckes sowie ihres Gehaltes an unerwünschten Stoffen von dem traditionellen Vergleichsprodukt unterscheiden. In der Novel Food-Verordnung sind die Kriterien für die Etikettierung festgelegt; nicht geregelt ist, wie gekennzeichnet werden muß. Der Inverkehrbringer hat hier einen großen Spielraum in seiner Terminologie. Verbraucher müssen durch eine entsprechende Kennzeichnung informiert werden, wenn die neuartigen Erzeugnisse ein verändertes allergenes Potential aufweisen oder wenn gegen sie ethische Bedenken bestehen könnten. Grundsätzlich müssen alle Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die lebende gentechnisch veränderte Organismen darstellen oder solche enthalten, gekenn- zeichnet werden. Hier wurde die Ausnahmeregelung für agronomische Merkmale gestrichen. Somit müssen insektentolerante Kartoffeln oder virusresistente Gurken, wenn sie auf den gemeinsamen europäischen Markt kommen sollten, als GVO gekennzeichnet werden. Ebenso müssen Erzeugnisse gekennzeichnet werden, die sich von einem ver- gleichbaren traditionellen Lebensmittel unterscheiden (Artikel 8, Absatz 1). Hiermit wird eine sowohl verfahrens- als auch produktspezifische Kennzeichnung vorgeschrieben; sie kommt der notwendigen Verbraucherinformation näher als die alleinige verfahrensspezifische Etikettierung. Der Verbraucher erfährt somit nicht nur, mit welchem Verfahren die Veränderung herbeigeführt wurde, sondern auch, welche Auswirkung sie auf das Produkt hat. Diese Kennzeichnung ist informativer. Der Verbraucher erfährt mehr als nur mit der Etikettierung “Mit Gentechnik”. Insbe- sondere erhalten Allergiker eine Information über das eingeführte Protein bzw. darüber, aus welchem Organismus es stammt. Damit können sie das Produkt, genau wie die klassischen Erzeugnisse, meiden. Kennzeichnung hat weder etwas mit einer Auslobung bestimmter Erzeugnisse noch mit der Diffamierung bestimmter Techniken oder bestimmter Lebensmittel gemein, sondern sie soll lediglich dem Verbraucher eine freie Kaufentscheidung ermöglichen. In der Präambel zur Novel Food-Verordnung wird ausdrücklich daraufhin gewiesen, daß auch eine Kennzeichnung derart erfolgen kann, daß das Lebensmittel oder die Zutat kein neuartiges Erzeugnis im Sinne der Verordnung darstellt. Somit ist eine Kennzeichnung “Gentechnikfrei” möglich. Durch die beiden Möglichkeiten der Etikettierung einschließlich der Option, Lebensmittel aus dem ökologischen Landbau 34 Klaus-Dieter Jany zu kennzeichnen, haben Verbraucher eine größtmögliche Entscheidungsfreiheit in der Auswahl ihrer Lebensmittel. Ausblick Gegenwärtig besteht Mißtrauen sowohl hinsichtlich der Unbedenklichkeit gentech- nisch modifizierter Lebensmittel als auch gegenüber der Landwirtschaft und den Lebensmittelverarbeitern. Eine öffentliche, sachgerechte und wissenschaftlich fundierte Diskussion über Chancen und Risiken kann das Mißtrauen gegenüber der Gentechnik abbauen. Alle gesellschaftlichen Gruppen sind hier gefordert. Pauscha- lisierungen und Verniedlichungen sind fehl am Platze; Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sind notwendig, um neues Vertrauen zu schaffen. In dem Dialog darf jedoch nicht das Produkt “Gentechnik” umworben und verkauft werden, sondern die Fakten müssen offen dargelegt und Vor- und Nachteile abgewogen werden. A priori sind gentechnisch modifizierte Lebensmittel nicht unsicher oder bergen grundsätzlich keine höheren Gefährdungspotentiale als konventionell gewonnene Lebensmittel. Durch ein neues Risikobewußtsein werden Lebensmittel einer umfassenden Sicher- heitsbewertung unterzogen, und in Zukunft kann, gerade durch die Gentechnik, mit noch besseren und sichereren Lebensmitteln, als wir sie bereits jetzt haben, gerechnet werden. Für eine gesunde und bedarfsgerechte Ernährung ist aber gerade in unseren Industrieländern das richtige Eß- und Ernährungsverhalten entscheidend. Literatur Brandt, P. (1995): Transgene Pflanzen – Herstellung, Anwendung, Risken und Richtlinien. Birkhäuser Verlag, Basel Doerfler, W., Schubbert, R. (1997): Fremde DNA im Säugersystem. Dt. Ärztebl. 94, A3465-3470 Eisenbrand, G., Aulepp, H., Dayan, A. 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Grunow, W., Ring, J., Schlatter, J. (Eds.): Food allergies and intolerances: Symosium der Deutschen Forschungsgemeinschaft. VCH, Weinheim, New York, 161 -169 Nossal, G. J. V., Coppel, R. L. (1992): Thema Gentechnik – Eine lebensverändernde Wissenschaft. Spektrum Akad. Verlag, Heidelberg Report of a WHO Workshop (1993): Application of the principles of substantial equivalance to the safety evaluation of foods or food components from plants derived by modern biotechnology. Geneva 36 Beatrix Tappeser Risikowahrnehmung und Risikobewertung von Umweltwirkungen gentechnisch veränderter Pflanzen Beatrix Tappeser In China wurde Anfang der 90er Jahre die erste transgene Pflanze auf kommerzieller Basis angebaut. Hierbei handelte es sich um transgenen virusresistenten Tabak. 1996 nahm dieser Tabak den ersten Platz unter den kommerziell angebauten transgenen Pflanzen ein. Eine Million oder 35 % der Gesamtanbaufläche transgener Pflanzen wurde von Tabak eingenommen. Insgesamt wurden 1996 weltweit auf ca. 2,75 Mill. Hektar transgene Pflanzen angebaut. 1997 waren dies bereits 12,7 Mill. Hektar. Die Hauptanbauländer waren die USA (64 % oder 8,1 Mill. ha), China (14 % oder 1,8 Mill. ha), Argentinien (11 % oder 1,4 Mill. ha), Kanada (10 % oder 1,3 Mill. ha) sowie Australien (weniger als 0,5 % oder 50.000 ha) und Mexiko (weniger als 0,25 % oder 30.000 ha). Auf 54 % der weltweiten Fläche wurden herbizidresistente Pflanzen angebaut, auf 31 % insektenresistente und auf 14 % virusresistente Pflanzen. Veränderungen von Pflanzeninhaltsstoffen spielten nur bei weniger als 1 % der transgenen Pflanzen eine Rolle (James 1997). Daraus läßt sich ableiten, daß die erste Kommerzialisierungswelle schon begonnen hat. Das Schwergewicht liegt in den USA und Kanada einerseits und in China sowie Argentinien andererseits. Die wichtigsten Pflanzen sind Soja, Mais, Tabak, Baum- wolle, Raps und Tomate (in dieser Reihenfolge). Vor diesem Hintergrund sollte eigentlich davon ausgegangen werden, daß eine ausreichende ökologische Datenbasis zur Verfügung steht, die das ökologische Risiko einschätzbar macht. Die Realität sieht leider anders aus. 1 Ökologische Begleitforschung Purrington und Bergelson (1995) untersuchten die bei der US APHIS (Animal Plant Health Inspection Service) beantragten und genehmigten Deregulierungsanträge (Kommerzialisierung) für transgene Pflanzen. Sie stellten fest, daß die von den APHIS-Richtlinien selbst geforderten Daten bezüglich des Vergleichs mit der nicht- transformierten Linie (nicht gentechnisch veränderte Ausgangslinie) in bezug auf ökologische Kriterien sehr lückenhaft beantwortet waren. Teilweise unberücksichtigt oder nur unzureichend analysiert blieben die Fitness möglicher Kreuzungsprodukte, Risikowahrnehmung und Risikobewertung gentechnisch veränderter Pflanzen 37 Samenausbreitung, Konkurrenzstärke, geographische Bandbreite und einige weitere Parameter. In den wenigsten Fällen lagen dem geforderten Vergleich eigene, voll- ständige experimente