Universität Stuttgart Institut für Konstruktion und Entwurf Stahl-, Holz- und Verbundbau Fabian Jörg Nr. 2024-4November 2024 Beitrag zur Biegedrillknickbemessung unter Berücksichtigung von torsionsweichen Lagern und realitätsnahen Beanspruchungen im Stahlbau Mitteilungen Beitrag zur Biegedrillknickbemessung unter Berücksichtigung von torsionsweichen Lagern und realitätsnahen Beanspruchungen im Stahlbau Fabian Jörg Institut für Konstruktion und Entwurf Beitrag zur Biegedrillknickbemessung unter Berücksichtigung von torsionsweichen Lagern und realitätsnahen Beanspruchungen im Stahlbau Von der Fakultät Bau- und Umweltingenieurwissenschaften der Universität Stuttgart zur Erlangung der Würde eines Doktor-Ingenieurs (Dr.-Ing.) genehmigte Abhandlung Vorgelegt von Fabian Jörg, M.Sc. aus Böblingen Hauptberichter: Prof. Dr.-Ing. Ulrike Kuhlmann, Stuttgart 1. Mitberichter: Prof. Dr. sc. techn. Markus Knobloch, Bochum 2. Mitberichter: Prof. Dr. techn. Andreas Taras, Zürich Tag der mündlichen Prüfung: 14. Oktober 2024 Institut für Konstruktion und Entwurf der Universität Stuttgart 2024 Mitteilung Nr. 2024-04 des Instituts für Konstruktion und Entwurf der Universität Stuttgart, Pfaffenwaldring 7, 70569 Stuttgart www.uni-stuttgart.de/ke Fabian Jörg Beitrag zur Biegedrillknickbemessung unter Berücksichtigung von torsionsweichen Lagern und realitätsnahen Beanspru- chungen im Stahlbau Contribution to the Lateral Torsional Buckling Design Con- sidering Torsional Soft Supports and Realistic Loadings in Steel Construction Herausgeber: Prof. Dr.-Ing. Ulrike Kuhlmann Pfaffenwaldring 7 70569 Stuttgart Deutschland Telefon: +49(0)711-685 66245 Telefax: +49(0)711-685 66236 Redaktion: Gloria Hofmann, M.Sc. D 93 © Institut für Konstruktion und Entwurf, Stuttgart 2024 Alle Rechte, einschließlich des Rechts auf auszugsweisen Nachdruck, der aus- zugszweisen oder vollständigen Wiedergabe, der Speicherung in Datenverarbei- tungsanlagen und der Übersetzung, vorbehalten. ISSN 1439-3751 “What you get by achieving your goals is not as important as what you become by achieving your goals.” Henry David Thoreau Amerikanischer Schriftsteller und Philosoph Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Konstruktion und Entwurf (KE) der Universität Stuttgart im Zeitraum von Dezember 2016 bis Dezember 2023. Frau Prof. Dr.-Ing. Ulrike Kuhlmann, Leiterin des Instituts, danke ich herzlich für das entgegengebrachte Vertrauen, ihre langjährige Unterstützung und Förderung meiner Person sowie für die Übernahme des Hauptberichts. Herrn Prof. Dr. sc. techn. Markus Knobloch (Ruhr-Universität Bochum) und Herrn Prof. Dr. techn. Andreas Taras (ETH Zürich) danke ich herzlich für das Interesse an meiner Arbeit und für die Übernahme der Mitberichte. Die Arbeit stützt sich auf die experimentellen und theoretischen Untersuchungen, die im Rah- men der drei Forschungsvorhaben „Interaktionsbeziehungen für Normalkraft, Biegemomente und Torsion: Harmonisierung und Ergänzung der Stabilitätsnachweise für Stäbe mit Standard- Walzprofilen“ (DASt), „Biegedrillknicken als Knicken des Druckgurtes - konsistenter Nachweis für geschweißte Träger im Kalt- und Warmzustand“ (DASt) und „Einfluss praxisnaher Lagerungs- bedingungen und baustatischer Systeme auf das Stabilitätsverhalten von Stahlkonstruktionen“ (FOSTA) durchgeführt und über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ (AiF) finanziert wurden. Ich bedanke mich bei der Institution für die finan- zielle Unterstützung sowie bei allen Firmen und Privatpersonen, die die drei Forschungsprojekte mit Sachspenden unterstützt haben. Mein Dank geht auch an alle an den Vorhaben beteiligten Forschungspartner für die angenehme und erfolgreiche Zusammenarbeit. Mein aufrichtiger Dank gehört hierbei Herrn Prof. Dr.-Ing. Lukas Schaper und Frau Anna-Lena Bours vom Lehrstuhl für Stahl-, Leicht- und Verbundbau der Ruhr-Universität Bochum, mit denen ich gemeinsam als wissenschaftlicher Mitarbeiter zwei der drei Forschungsvorhaben durchgeführt habe. Ein herzlicher Dank für die Realisierung der Stabilitätsversuche richtet sich an Herrn Dr.-Ing. Dieter Lotze und Herrn Dr.-Ing. Veit Birtel und für die technische Durchführung der Stabilitäts- versuche an Frau Elisabeth Bokesch (ehemalig KE), Herrn Oliver Schneider (ehemalig KE) sowie Herrn Josef Zeindlmeier, Herrn Bernd Schneider, Herrn Hubert Rigoll, Herrn Deniz Akpinar (alle MPA) und Herrn Alexander Neef (ehemalig MPA). Ein Dank gilt auch meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Konstruktion und Entwurf für die kurzweilige Arbeitszeit, die angenehme Arbeitsatmosphäre und die schöne Zeit am Institut. Viele von euch sind zu sehr guten Freunden geworden, auf die ich in meinem weiteren Leben nicht verzichten möchte. Ein ganz besonderer Dank gebührt meinen Eltern und meiner Familie für deren stetige Unter- stützung, ihre Geduld und Verständnis bei der Anfertigung dieser Arbeit. Mein letzter Dank gilt meinen Freunden. Vielen Dank, dass ich mich in guten wie in schlechten Zeiten auf euch verlassen kann. Ich wäre nicht die Person, die ich bin, wenn es euch alle nicht gäbe. Böblingen, Oktober 2024 Fabian Jörg Kurzfassung Stahlkonstruktionen im Hoch- und Industriebau stehen zunehmend im scharfen Wettbewerb zu anderen Bauweisen wie beispielsweise dem Stahlbeton-Fertigteilbau oder der Holzbauweise. Durch geleimte Holzbinder aus zum Teil hochfestem Laubholz werden im Holzbau Spannweiten und Anwendungen wie dem Industriehallenbau und sogar erste Kranbahnen ermöglicht, die zuvor ausschließlich dem Stahlbau vorbehalten waren. Stahlbeton-Fertigteile lassen sich wie Stahlkonstruktionen einfach und schnell montieren, haben aber nach wie vor den Nachteil des höheren Gewichts, doch Krankapazitäten sind inzwischen auch für solche Einsätze verfügbar. Im Stahlhochbau mit seiner stabförmigen Bauweise unter überwiegendem Einsatz von Stahlprofilen sollte deshalb unbedingt investiert werden, um zum einen eine größere Wirtschaftlichkeit zu erreichen und zum anderen den Einsatz und die Bemessung solcher Tragwerke einfach zugänglich und handhabbar zu machen. Die Verwendung von schlanken Stahlprofilen fördert zwar die Wettbewerbsfähigkeit von Stahlkonstruktionen im Hoch- und Industriebau, erfordert jedoch gleichzeitig eine effiziente Bemessung insbesondere für den in der Baupraxis oft sehr aufwändigen Stabilitätsnachweis des Biegedrillknickens. Bemessungsregeln dafür lassen sich in DIN EN 1993-1-1 finden, wobei in der Ingenieurpraxis meist die händischen Nachweisverfahren mit Abminderungsfaktoren die größte Bedeutung haben. Um eine zugleich sichere und wirtschaftliche Bemessungsgrundlage zu schaffen, ist es daher wichtig, dass die den Verfahren zugrunde liegenden Annahmen den Anwendungsbereich der Baupraxis ausreichend genau wiedergeben. Das Nachweisverfahren mit Abminderungsfaktoren, das sogenannte „Ersatzstabverfahren“, liefert einen vereinfachten Bauteilnachweis und führt einen Stab oder Teil eines Stabsystems durch Verwendung einer Knicklänge und ggf. veränderlichen Einwirkungen auf den Fall des Druck- bzw. beidseitig gabelgelagerten Biegestabs mit konstanten Einwirkungen zurück. Trotz zunehmender Computerunterstützung und Verwendung von numerischen Verfahren wird dieses Nachweisverfah- ren weiterhin häufig für die Bemessung von Stahlbauteilen angewendet. Bauteile des Stahlhoch- und -hallenbaus stehen häufig unter einer Vielzahl von verschiedenen Einwirkungen und daraus resultierenden Schnittgrößenkombinationen inklusive Torsion. Die Interaktionsgleichungen der DIN EN 1993-1-1 gelten zwar für Bauteile mit doppeltsymmetrischen I- und H-Querschnitten sowie Hohlprofilen schließen jedoch den Fall der planmäßigen Torsion bislang aus. Eine Er- weiterung des Nachweisverfahrens sowohl für einfachsymmetrische Querschnitte als auch für planmäßige Torsionsbeanspruchungen wurde im Rahmen der Überarbeitung und Weiterentwick- lung des Eurocodes 3 durch Untersuchungen an der Ruhr-Universität Bochum evaluiert. Die Anwendbarkeit dieses entwickelten Bemessungsansatzes konnte anhand von experimentellen und numerischen Untersuchungen für unterschiedliche Schnittgrößenkombinationen inklusive Torsion gezeigt werden. Ferner weichen Stahlbauteile der Baupraxis in der Regel von der den Verfahren zugrunde liegenden Idealisierung, d.h. dem gabelgelagerten Einfeldträger unter ausschließlicher Biegebeanspruchung, ab. Praxisnahe Anschlusskonstruktionen wie typische Haupt- und Nebenträgeranschlüsse im Hochbau oder auch Querkraftanschlüsse an Stützen stellen keine echten „Gabeln“ dar. Je nach Anschlusstyp variiert die Verdrehsteifigkeit markant und es ist von einem signifikanten Unter- schied im Tragverhalten zwischen idealisierten und realen Tragwerken auszugehen. Des Weiteren werden Träger mit einfachsymmetrischem U-Querschnitt meist auch gleichzeitig auf Torsion beansprucht, da für diese Querschnitte ein Lastangriff in der Achse des Schubmittelpunkts schwierig zu realisieren ist. Eine einfache und zugleich konsistente Biegedrillknickbemessung ist Kurzfassung für derartige Querschnitte bislang normativ nicht geregelt. Das Ersatzstabverfahren ermöglicht zwar hierfür einen einfach anwendbaren Nachweis für stabilitätsgefährdete Bauteile, wurde jedoch auf Grundlage der zuvor beschriebenen idealisierten Annahmen hergeleitet. Dadurch entsteht eine Diskrepanz zwischen dem tatsächlich ausgeführten Tragwerk und dem theoretischen Be- rechnungsmodell. Um zukünftig bei der Bemessung ein konsistentes Nachweisverfahren nutzen zu können, ist eine Erweiterung der Anwendungsgrenzen des vereinfachten Bauteilnachweises zur Berücksichtigung des Einflusses von torsionsweichen Lagern und realitätsnahen Beanspru- chungen von zentraler Bedeutung. Gestützt auf experimentellen Untersuchungen an Systemen mit praxisnaher Ausführung wurden numerische Modelle entwickelt, die das Stabilitätsverhalten abbilden können. Systematische numerische Untersuchungen ermöglichten zusammen mit einer erweiterten Datenbasis aus fremden und eigenen Versuchen die Weiterentwicklung des vereinfach- ten Nachweises für verschiedene baupraktische Anschlüsse sowie die konsistente Berücksichtigung einfachsymmetrischer U-Querschnitte mit und ohne Torsion. Neben diesem Ersatzstabverfahren stellt das Modell „Knicken des Druckgurtes“ ein anschauliches und für die praktische Anwendung sehr einfaches Verfahren für den Biegedrillknicknachweis dar. Dieses vereinfachte Modell überführt das dreidimensionale Biegedrillknickproblem in ein ebenes Biegeknicken des äquivalenten Druckgurtes und ist als bewährte Nachweismethode zur Überprüfung des Biegedrillknickwiderstandes in Deutschland seit langem etabliert. Aufgrund der einfachen Handhabung überzeugt das Verfahren schon seit Einführung der früheren Stahlbau- norm DIN 4114 bei der überschlägigen Bemessung sowohl im Hoch- als auch im Brückenbau. Gegenwärtig weist das vereinfachte Verfahren jedoch weder eine Konsistenz mit dem gängigen Biegedrillknicknachweis unter Verwendung des idealen Biegedrillknickmoments auf, noch eignet es sich für die verschiedenen Anwendungsbereiche des Hoch- und Brückenbaus. Zudem gab es in den letzten Jahren Untersuchungen, die Schwächen und Unsicherheiten dieses Verfahrens aufgezeigt haben, so dass im Rahmen eines Forschungsvorhabens Bauteilversuche in Kombination mit Eigenspannungsmessungen an I-förmigen geschweißten Brückenquerschnitten dazu durchgeführt wurden. Anhand der experimentellen Untersuchungen und darauf aufbauenden numerischen Simulationen konnte die Wirtschaftlichkeit und gleichzeitig auch die Bemessungssicherheit des Verfahrens durch die indirekte Berücksichtigung der Torsionssteifigkeit und des Lastangriffspunkts verbessert werden. ii Abstract Steel structures in structural and industrial construction are increasingly in fierce competition with other construction methods such as prefabricated reinforced concrete or timber construction. Glued timber trusses made of partly high-strength hardwood allow spans and applications such as industrial hall construction and even the first crane runway beams in timber construction, which were previously reserved purely for steel construction. Prefabricated reinforced concrete elements can be assembled easily and quickly like steel structures, however still they have the disadvantage of higher weights, nevertheless crane capacities are now also available for such applications. In structural steel engineering with its member oriented construction method using predominantly steel profiles, it is therefore imperative to invest in order to achieve greater economic effieciency on the one hand and to make the use and design of such load-bearing structures easily accessible and manageable on the other hand. The use of slender steel profiles promotes the competitiveness of steel structures in structural and industrial construction, but at the same time requires efficient design, especially for the stability verification of lateral torsional buckling which is often deterrent in construction practice. Design rules for this can be found in DIN EN 1993-1-1, where in engineering practice the manual verification methods with reduction factors are usually the most important. In order to create a safe-sided and economic design basis at the same time, it is therefore of great importance that the assumptions, on which the procedures are based, reflect the scope of construction practice sufficiently accurately. The verification method with reduction factors, the so-called ‘equivalent member method’, provides a simplified member verification and attributes a member or part of a member system to the case of a compressed or bended member with constant actions and end-fork restraints by using a buckling length and possibly variable actions. Despite increasing computer support and the use of numerical methods, this verification method is still frequently used for the design of steel members. Structural members of steel buildings and halls are often subjected to a large number of different actions and the resulting combinations of internal forces, including torsion. The interaction equations of DIN EN 1993-1-1 are valid for components with doubly symmetric I- and H-sections as well as hollow sections, but so far exclude the case of plane torsion. An extension of the verification method for both mono-symmetric cross-sections and plane torsional loading was evaluated in the context of the revision and further development of Eurocode 3 by investigations at the Ruhr-Universität Bochum. The applicability of this developed design approach could be shown by means of experimental and numerical investigations for different combinations of internal forces including torsion. Furthermore, steel members in building practice usually deviate from the idealisation on which the methods are based, the single span member with end-fork restraints under exclusive major axis bending. Practical joint constructions such as typical main and secondary beam joints in building construction or also shear force connections on columns do not represent real ‘forks’. Depending on the type of joint, the torsional stiffness varies markedly and a significant difference in the load-bearing behaviour between idealised and real structures can be assumed. Additionally, beams with a mono-symmetrical U-section are usually also subjected to torsion at the same time since for these cross-sections a load application in the axis of the shear center is difficult to realize. A simple and at the same time consistent lateral torsional buckling design for such cross-sections has not been regulated by standards yet. The equivalent member method allows an easily applicable verification for members at risk of stability, but was derived on basis of iii Abstract the previously described idealised assumptions. This results in a discrepancy between the real structure and the theoretical calculation model. In order to be able to use a consistent verification procedure for the design in future, an extension of the application limits of the simplified member verification to take into account the influence of torsional soft supports as well as realistic loadings is of central importance. Based on experimental investigations on systems with practical design, numerical models were developed that can represent the stability behaviour. Systematic numerical investigations, together with an expanded database from external and own tests, enabled the further development of the simplified verification for different practical joints as well as the consistent consideration of mono-symmetric U-sections with and without torsion. In addition to the equivalent member method, the model ‘equivalent flexural buckling of com- pression flange’ represents an illustrative and for practical application very simple method for the lateral torsional buckling verification. This simplified model converts the three-dimensional lateral torsional buckling problem into the in-plane flexural buckling of an equivalent compression flange and has long been established as a proven verification method for checking the lateral torsional buckling resistance in Germany. Due to its simple handling, the method has an high acceptance due to the rough design in both structural engineering and bridge construction since the introduction of the former steel standard DIN 4114. At present, however, the simplified procedure has neither consistency with the common lateral torsional buckling verification based on the elastic critical moment for lateral torsional buckling nor is appropriate for the various areas of application in buildings and bridges. In addition, there have been investigations in recent years that have shown weaknesses and uncertainties of this method, so that member tests in combination with residual stress measurements on welded I-shaped bridge cross-sections were carried out on this as part of a research project. On the basis of the experimental investigations and subsequent numerical simulations, it was possible to improve the economic efficiency and at the same time the design reliability of the simplified method by indirectly considering the torsional stiffness and the load application point. iv Inhaltsverzeichnis Formelzeichen ix Begriffserklärung xiii 1 Gegenstand und Gliederung der Arbeit 1 1.1 Motivation und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.3 Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2 Theoretische Grundlagen 9 2.1 Tragwerksberechnung und Querschnittsbemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.1.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.1.2 Biege- und Torsionstheorie I. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.1.3 Querschnittsklassifizierung und -tragfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.2 Stabilitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.2.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.2.2 Gleichgewichtszustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.2.3 Eigenwert- und Verzweigungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2.4 Traglast- und Spannungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3 Stand der Wissenschaft und Technik 29 3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1.2 Normative Regelungen zur Stabstabilität von Stahlbauteilen . . . . . . . . 29 3.2 Nachweisverfahren mit Abminderungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.2.1 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.2.2 Biegeknicktragfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3.2.3 Biegedrillknicktragfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3.2.4 Schnittgrößenkombinationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3.3 Vereinfachtes Nachweisverfahren für Biegedrillknicken „Knicken des Druckgurtes“ 43 3.3.1 Ingenieurmodell für Biegedrillknicken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.3.2 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.3.3 Aktueller Normungsstand des vereinfachten Biegedrillknicknachweises . . 46 3.4 Nachweisverfahren mit geometrischen Ersatzimperfektionen . . . . . . . . . . . . 48 3.4.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.4.2 Lokale Bauteilimperfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Inhaltsverzeichnis 4 Untersuchungen zu Schnittgrößenkombinationen mit Torsion 51 4.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4.1.1 Kenntnisstand zu Schnittgrößenkombinationen mit Torsion . . . . . . . . 51 4.1.2 Zielsetzung der eigenen Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4.2 Experimentelle Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4.2.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4.2.2 Versuchsprogramm, Prüfträger und Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4.2.3 Versuchsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4.3 Numerische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4.3.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4.3.2 Numerische Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4.3.3 Validierung und Verifizierung des numerischen Modells . . . . . . . . . . . 67 4.3.4 Parameteruntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4.4 Analytische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4.4.1 Vergleich der numerischen Lastfaktoren mit dem Stabilitätsnachweis für Schnittgrößenkombinationen mit Torsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4.4.2 Zusätzliche Anpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4.4.3 Validierung des angepassten Stabilitätsnachweises . . . . . . . . . . . . . . 77 4.4.4 Normvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4.5 Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5 Untersuchungen zum vereinfachten Biegedrillknicknachweis „Knicken des Druckgurtes“ 81 5.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 5.1.1 Kenntnisstand zum vereinfachten Nachweisformat für Biegedrillknicken . 81 5.1.2 Zielsetzung der eigenen Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 5.2 Experimentelle Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 5.2.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 5.2.2 Versuchsprogramm, Prüfträger und Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . 82 5.2.3 Versuchsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 5.3 Numerische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5.3.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5.3.2 Numerische Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5.3.3 Validierung des numerischen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5.3.4 Parameteruntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5.4 Analytische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5.4.1 Vergleich der numerischen Abminderungsfaktoren mit dem vereinfachten Biegedrillknicknachweis nach DIN EN 1993-1-1 . . . . . . . . . . . . . . 93 5.4.2 Anpassungen des Modells „Knicken des Druckgurtes“ . . . . . . . . . . . 97 5.4.3 Validierung des angepassten Modells „Knicken des Druckgurtes“ . . . . . 110 5.4.4 Normvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 5.5 Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 vi Inhaltsverzeichnis 6 Untersuchungen zu Trägern mit torsionsweichen Lagerungen 115 6.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 6.1.1 Kenntnisstand zum Einfluss von torsionsweichen Lagerungen auf das Biegedrillknickversagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 6.1.2 Zielsetzung der eigenen Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6.2 Experimentelle Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 6.2.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 6.2.2 Versuchsprogramm, Prüfträger und Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . 118 6.2.3 Versuchsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6.3 Numerische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6.3.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6.3.2 Numerische Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6.3.3 Validierung des numerischen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 6.3.4 Parameteruntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 6.4 Analytische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 6.4.1 Vergleich der numerischen Ergebnisse für torsionsweiche Lagerungen mit analytischen Modellen einer Gabellagerung . . . . . . . . . . . . . . . 132 6.4.2 Bestimmung von Torsionsfedersteifigkeiten für verschiedene baupraktische Trägeranschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 6.4.3 Anpassungen des Biegedrillknicknachweises . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 6.4.4 Validierung des angepassten Biegedrillknicknachweises . . . . . . . . . . . 147 6.4.5 Normvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 6.5 Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 7 Untersuchungen zu gabelgelagerten Trägern mit einfachsymmetrischen U-Querschnitten 153 7.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 7.1.1 Kenntnisstand zur Biegedrillknickbemessung von Trägern mit einfachsymmetrischen U-Querschnitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 7.1.2 Zielsetzung der eigenen Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 7.2 Numerische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 7.2.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 7.2.2 Numerische Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 7.2.3 Validierung des numerischen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 7.2.4 Parameteruntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 7.3 Analytische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 7.3.1 Vergleich der numerisch ermittelten Abminderungsfaktoren mit bestehenden Bemessungsmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 7.3.2 Anpassungen der Biegedrillknicknachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 7.3.3 Validierung der angepassten Biegedrillknicknachweise . . . . . . . . . . . . 165 7.3.4 Normvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 7.4 Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 vii Inhaltsverzeichnis 8 Statistische Auswertung und Überprüfung des Sicherheitskonzepts 169 8.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 8.2 Statistische Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 8.2.1 Statistische Kenngrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 8.2.2 Auswertung für die angepassten Bemessungsmodelle . . . . . . . . . . . . 171 8.3 Überprüfung des Sicherheitskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 8.3.1 Vorgehen nach DIN EN 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 8.3.2 Bestimmung der Teilsicherheitsbeiwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 9 Zusammenfassung und Ausblick 181 9.1 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 9.2 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Anhänge A Versuchsdaten 189 A.1 Zugversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 A.2 Biegedrillknickversuche für Schnittgrößenkombinationen mit Torsion . . . . . . . 196 A.3 Biegedrillknickversuche für den vereinfachten Biegedrillknicknachweis „Knicken des Druckgurtes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 A.4 Biegedrillknickversuche für torsionsweiche Lagerungen . . . . . . . . . . . . . . . 216 B Ideales Biegedrillknickmoment 231 C Bemessungshilfen 233 C.1 Bemessungshilfen für den vereinfachten Biegedrillknicknachweis „Knicken des Druckgurtes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 C.2 Grafische Aufbereitung des Abgrenzungskriteriums für planmäßige Torsionsbeanspruchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 D Bemessungsbeispiele 243 D.1 Bemessungsbeispiel für einen Kranbahnträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 D.2 Bemessungsbeispiel für eine Dachpfette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 D.3 Bemessungsbeispiel für einen Träger mit torsionsweichen Lagerungen . . . . . . . 253 D.4 Bemessungsbeispiel für einen gabelgelagerten Träger mit einfachsymmetrischem U-Querschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Literaturverzeichnis 263 viii Formelzeichen In dieser Arbeit werden in jedem einzelnen Kapitel alle verwendeten Variablen bei ihrem ersten Auftreten im Text beschrieben. Nachfolgend werden daher nur die wichtigsten Formelzeichen aufgelistet. Spezielle Indizes sind möglicherweise nicht enthalten, sondern werden im Text erläutert und können leicht abgeleitet werden. Kurzbezeichnungen DIC . . . . . .Digitale Bildkorrelation (engl. digital image correlation) FB . . . . . . . Biegeknicken (engl. f lexural buckling) LPF . . . . . Linearer Proportionalitätsfaktor (engl. linear proportionality factor) LTB . . . . . Biegedrillknicken infolge Biegung (engl. lateral torsional buckling) TB . . . . . . .Drillknicken (engl. torsional buckling) TFB . . . . . Biegedrillknicken infolge Normalkraft (engl. torsional f lexural buckling) Berechnungsverfahren der Finite-Elemente-Methode LA . . . . . . . Linear-elastische Analyse (engl. linear elastic analysis) LBA . . . . . Elastische Beulanalyse (engl. linear bifurcation (eigenvalue) analysis) MNA . . . . Materielle nichtlineare Analyse (engl. materially non-linear analysis) GNA . . . . .Geometrisch nichtlineare Analyse (engl. geometrically non-linear analysis) GMNA . . .Geometrisch und materiell nichtlineare Analyse (engl. geometrically and materially non-linear analysis) GNIA . . . . Geometrisch nichtlineare elastische Analyse mit Imperfektionen (engl. geometrically non-linear elastic analysis with imperfections) GMNIA . .Geometrisch und materiell nichtlineare Analyse mit Imperfektionen (engl. geometrically and materially non-linear analysis with imperfections) Querschnitts- und Systemabmessungen b . . . . . . . . . Profil- bzw. Querschnittsbreite 2/3 Seitenbreite (12,0 cm) h y y h d dhw hw r r tf tf tw tw b b z z S,M SM d . . . . . . . . .Höhe des geraden Steganteils h . . . . . . . . .Profil- bzw. Querschnittshöhe hw . . . . . . . Steghöhe L . . . . . . . . Trägerlänge r . . . . . . . . . Ausrundungsradius tf . . . . . . . . Flanschdicke tw . . . . . . . . Stegdicke Formelzeichen Querschnittskennwerte A . . . . . . . . gesamte Querschnittsfläche iy, iz . . . . . Trägheitsradien AV . . . . . . .wirksame Schubfläche Iω . . . . . . . .Wölbflächenmoment 2. Grades iM . . . . . . . polarer Trägheitsradius bezogen auf M ry, rz, rω . .Trägheitsmomente höherer Ordnung IP . . . . . . . .polares Flächenträgheitsmoment Sy, Sz, Sω Flächenträgheitsmomente 1. Grades (statische Momente) ip . . . . . . . . polarer Trägheitsradius bezogen auf S Wel,i . . . . . elastische Widerstandsmomente IT . . . . . . . .Torsionsträgheitsmoment Wpl,i . . . . . plastische Widerstandsmomente Iy, Iz . . . . . Flächenträgheitsmomente 2. Grades (Hauptträgheitsmomente) εT . . . . . . . Abklingfaktor Verschiebungsgrößen, Profilachsen und Bezugspunkte M . . . . . . . Schubmittelpunkt Halbe Seitenbreite (8,0 cm) M M S x y z u v w ϕx = ϑ ϕy ∼= −w′ ϕz ∼= v′ S . . . . . . . . Schwerpunkt u . . . . . . . . .Verschiebung in Stab- bzw. Trägerlängsrichtung v . . . . . . . . .Verschiebungen in Richtung der y-Achse w . . . . . . . . Verschiebungen in Richtung der z-Achse x . . . . . . . . .Stab- bzw. Trägerlängsachse y, z . . . . . . .Hauptachsen in der Querschnittsebene ϕx = ϑ . . . Verdrehung um die Stab- bzw. Trägerlängsachse ϕy ∼= −w′ Verdrehung um die y-Achse ϕz ∼= v′ . . .Verdrehung um die z-Achse ψ ∼= ϑ′ . . . Verdrillung der x-Achse ω . . . . . . . . Wölbordinate Werkstoffkennwerte und Teilsicherheitsbeiwerte E . . . . . . . . Elastizitätsmodul, E = 210 000 N/mm2 0 εy εu 0 fy fu E fu . . . . . . . .Zugfestigkeit fy . . . . . . . . Streckgrenze G . . . . . . . . Schubmodul, G = E 2(1 + ν) ≈ 81 000 N/mm2 ε . . . . . . . . . Dehnungen εu . . . . . . . .Bruchdehnung εy . . . . . . . . Fließdehnung γF . . . . . . . Teilsicherheitsbeiwert für die Einwirkungen γM0 . . . . . . Teilsicherheitsbeiwert für die Beanspruchbarkeit von Querschnitten γM1 . . . . . . Teilsicherheitsbeiwert für die Beanspruchbarkeit von Bauteilen bei Stabilitätsversagen ν . . . . . . . . .Querkontraktion (Poissonsche Zahl), ν = 0,3 x Formelzeichen Einwirkungen, Widerstände, Last- und Schnittgrößen B . . . . . . .Wölbbimoment, B = ∫ A σx · ω dA Halbe Seitenbreite (8,0 cm) M S M S N Vz Vy T My Mz yM zM Fx, qx Fy, qy Fz, qz MT,mT My Mz yM zM Fx, Fy, Fz Einzellasten Mb . . . . . Biegedrillknicktragfähigkeit MT . . . . . . einwirkendes Torsionsmoment mT . . . . . . .Gleichstreckentorsionsmoment My,Mz . . .Biegemomente, My = ∫ A σx · z dA, Mz = − ∫ A σx · y dA Mω . . . . . . Lastwölbbimoment N . . . . . . Normalkraft, N = ∫ A σx dA Nb . . . . . .Biegeknicktragfähigkeit T . . . . . . . primäres und sekundäres Torsionsmoment infolge gemischter Torsionsbeanspruchung, T = ∫ A [τxz · (y − yM)− τxy · (z − zM)] dA Tt . . . . . . primäres Torsionsmoment (Saint-Venantsche Torsion) Tω . . . . . . sekundäres Torsionsmoment (Wölbkrafttorsion) qx, qy, qz . .Gleichstreckenlasten Vy, Vz . . .Querkräfte, Vy = ∫ A τxy dA, Vz = ∫ A τxz dA σ . . . . . . . Normalspannungen σv . . . . . . Vergleichsspannung (von Mises) τ . . . . . . . Schubspannungen Index d: Bemessungswert (engl. design) Index el: Grenzschnittgrößen nach der Elastizitätstheorie Index k: charakteristischer Wert Index pl: Grenzschnittgrößen nach der Plastizitätstheorie Schlankheitsgrade und Abminderungsfaktoren λ . . . . . . . . .geometrischer Schlankheitsgrad λ1 . . . . . . . .Bezugsschlankheitsgrad λf , λc,z . . . bezogene Schlankheitsgrade des äquivalenten Druckgurtes λLT, λTF . bezogene Schlankheitsgrade für Biegedrillknicken λLT,0 . . . . .Plateaulänge der Biegedrillknicklinien für gewalzte und geschweißte Querschnitte λT . . . . . . . bezogener Schlankheitsgrad für Drillknicken λy, λz . . . . bezogene Schlankheitsgrade für Biegeknicken χc,z . . . . . . Abminderungsfaktor für Biegeknicken des äquivalenten Druckgurtes χLT, χTF . Abminderungsfaktoren für Biegedrillknicken χT . . . . . . . Abminderungsfaktor für Drillknicken χy, χz . . . . Abminderungsfaktoren für Biegeknicken xi Begriffserklärung Starke und schwache Querschnittsachse bezeichnet die beiden Hauptachsen eines Quer- schnitts hinsichtlich der auftretenden Verformungen bei Biegung um die jeweilige Achse. Für I-förmige Querschnitte ist demzufolge die y-Achse als starke und die z-Achse als schwache Querschnittsachse definiert. Trägerverformungen bezeichnen die Verschiebungen, Verdrehungen und die lokalen Deforma- tionen eines Trägers infolge einer Belastung. Die Verschiebungen sind dabei entweder im Fall von w rechtwinklig zur y-Achse (in der Ebene) oder im Fall von v rechtwinklig zur z-Achse (aus der Ebene), siehe Bild Ia und Bild Ib. Verdrehungen beschreiben die Rotationen ϕx, ϕy und ϕz eines Trägers um die jeweilige Achse. In Bild Ic ist die Verdrehung ϕx infolge Torsion um die Trägerlängsachse dargestellt. Deformationen beschreiben letztendlich die Formänderung (sog. Profilverformung) eines Trägers gegenüber der Ausgangsgeometrie, siehe Bild Id.Ganze Seitenbreite (16,0 cm) y z w (a) Ganze Seitenbreite (16,0 cm) y z v (b) Ganze Seitenbreite (16,0 cm) y z ϕx (c) Ganze Seitenbreite (16,0 cm) y z (d) Bild I: Trägerverformungen: (a) Verschiebung w in der Ebene, (b) Verschiebung v aus der Ebene, (c) Verdrehung ϕx um die Trägerlängsachse, (d) lokale Deformation/Profilverformung Teilschnittgrößenverfahren (TSV) bezeichnet die von Kindmann & Frickel entwickelte Nachweisführung zur Überprüfung der plastischen Querschnittstragfähigkeit von Stäben unter Berücksichtigung aller acht Schnittgrößen (σ-Schnittgrößen: N,My,Mz, B; τ -Schnittgrößen: Vy, Vz, Tt, Tω) der allgemeinen Biegetorsionstheorie. Imperfektionen bezeichnen ungewollte, meist herstellungsbedingte Abweichungen der Bauteile. Dazu zählen sowohl geometrische Unterschiede vom Idealzustand (sog. geometrische Imperfek- tionen), wie beispielsweise Abweichungen von der Geradheit eines Trägers oder Abweichungen von den Sollabmessungen im Querschnitt, als auch Abweichungen gegenüber eines idealen Werk- stoffverhaltens (sog. strukturelle Imperfektionen), die dazu führen, dass sich ein Baustoff infolge einer Belastung weicher verhält und damit größere Verformungen aufweist. Zu den strukturel- len Imperfektionen im Stahlbau zählen neben einer inhomogenen Verteilung der Fließgrenze über den Querschnitt auch Eigenspannungen, die durch den Herstellungsprozess infolge einer ungleichmäßigen Abkühlung im Querschnitt entstehen. Begriffserklärung Gabellagerung bezeichnet eine idealisierte Lagerungsbedingung, bei der sowohl die Verschie- bungen in und aus der Ebene als auch die Verdrehungen ϕx um die Stablängsachse des Trägers verhindert werden. Die Verwölbung des Querschnitts infolge einer Torsionsbeanspruchung wird jedoch nicht behindert und ist somit frei möglich. Ersatzstabverfahren bezeichnet einen vereinfachten Stabilitätsnachweis eines Bauteils. Das Verfahren führt einen Stab oder Teil eines Stabsystems durch die Verwendung einer Knicklänge und gegebenenfalls veränderlichen Einwirkungen auf den Fall des beidseitig gelenkig gelagerten Druckstabs bzw. ideal gabelgelagerten Biegestabs mit konstanten Einwirkungen zurück. Die Knicklänge Lcr wird entsprechend den Randbedingungen des Stabs ermittelt und anschließend über die ideale Verzweigungslast in einen bezogenen Schlankheitsgrad λ umgerechnet. Basierend auf der Schlankheit, der Profilform und der Stahlsorte wird anschließend ein Abminderungsfaktor χ ermittelt, der letztendlich die gesamten Bauteilimperfektionen (geometrische und struktu- relle Imperfektionen) sowie die Einflüsse aus Theorie II. Ordnung auf die Bauteiltragfähigkeit berücksichtigt. Halbe Seitenbreite (8,0 cm) y z hw hc − + Bild II: Definition des äquivalenten Druck- gurtes nach DIN EN 1993-1-1 [26] Äquivalenter Druckgurt bezeichnet den unter Druck stehenden Querschnittsteil, der für das vereinfachte Be- messungsmodell „Knicken des Druckgurtes“ zum Sta- bilitätsnachweis von Biegedrillknicken nach DIN EN 1993-1-1 angesetzt wird. Der äquivalente Druckgurt setzt sich dabei aus dem Druckflansch selbst und aus einem prozentualen Steganteil, siehe Bild II, zusammen. Der zu verwendete prozentuale Steganteil ist dabei ab- hängig davon, ob der Nachweis nach dem Hauptteil der DIN EN 1993-1-1 oder der Kranbahnnorm DIN EN 1993-6 geführt wird und kann sich zudem entweder auf den unter Druck stehenden Steganteil hc, siehe DIN EN 1993-1-1, oder die gesamte Steghöhe hw, siehe FprEN 1993-1-1, beziehen. Bei dem überarbeiteten Modell aus FprEN 1993-1-1, das in dieser Arbeit nochmals detailliert beschrieben wird, ist der zu verwendende Steganteil zudem abhängig vom Lastangriffspunkt der Querlasten: Lastangriff am Druckflansch, im Schubmittelpunkt oder am Zugflansch. Elastische Beulanalyse (LBA) bezeichnet ein Verfahren zur Bestimmung von Eigenwerten und -formen einer Struktur, die infolge eines Stabilitätsversagens, unter Annahme einer perfek- ten Geometrie, einer unveränderten Wirkungsrichtung der Lasten und eines linear-elastischen Materialmodells, eintreten können. Imperfektionen aller Art bleiben bei dieser Berechnung unbe- rücksichtigt. Die Analyse liefert die elastische kritische Knicklast Rcr des gesamten Tragwerks. Geometrische und materielle nichtlineare Analyse mit Imperfektionen (GMNIA) bezeich- net ein Verfahren zur Bestimmung der Tragfähigkeit einer Struktur unter Berücksichtigung von sowohl geometrischen als auch materiellen Nichtlinearitäten. Abweichungen gegenüber dem Idealzustand werden mittels geometrischer Imperfektionen und Eigenspannungen berücksichtigt. Das nichtlienare Werkstoffverhalten wird mit Hilfe von bilinearen oder multi-linearen Material- modellen berücksichtigt. Die Analyse liefert die charakteristische Tragfähigkeit RGMNIA des gesamten Tragwerks. xiv K a p i t e l 1 Gegenstand und Gliederung der Arbeit 1.1 Motivation und Problemstellung Die traditionellen Werkstoffe wie Holz, Mauerwerk oder auch Stahlbeton stoßen produktions- wie auch materialtechnisch irgendwann an eine natürliche Grenze. Spätestens an diesem Punkt kommt der Stahlbau ins Spiel – und das nicht nur in statisch-konstruktiver, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Kurze Planungs-, Fertigungs-, Bau- und Montagezeiten, witterungsun- abhängige Vorfertigungen und große Festigkeiten bei geringem Werkstoffverbrauch sorgen dabei für ein ideales Kosten-Nutzen-Verhältnis. Der moderne Stahlbau prägt weltweit die Architektur der Städte und gestattet Architekten eine „fast“ uneingeschränkte Wahl der Formsprache durch die vielen Gestaltungsmöglichkeiten bei gleichzeitig hoher Tragfähigkeit mit sehr schlanken Abmessungen. Elegante, transparente, leichte und filigrane Stahlkonstruktionen lassen sich an vielen Orten auf der Welt wiederfinden und überzeugen dabei insbesondere durch eine langfris- tige Standfestigkeit. Der Werkstoff Stahl kommt mit verschiedensten Anforderungen zurecht – als leichte Tragkonstruktion in Sonderbauten, als schwere Tragkonstruktionen im Kraftwerks- und Hochhausbau, als weit gespannte Tragkonstruktion im Hallen- und Brückenbau sowie als multifunktionale Tragkonstruktion im Hoch-/Tief- und Wasserbau. Als nachhaltiger Werkstoff überzeugen heutzutage, insbesondere in Hinblick auf den Klimaschutz, die Wiederverwendbar- keit und die vollständige Rezyklierbarkeit des Rohstoffs, wodurch für Stahlkonstruktionen ein geschlossener Werkstoffkreislauf realisiert werden kann. Aufgrund der in den letzten Jahrzehnten wachsenden ästhetischen und nachhaltigen Anforderun- gen an ein Tragwerk sowie durch die Verwendung von hochfesten Stählen können immer größere Spannweiten stützenfrei überspannt und entsprechend die Bauteile immer schlanker ausgeführt werden. Schlanke Bauteile unterscheiden sich von gedrungenen Bauteilen ganz allgemein dadurch, dass sie unter einer gegebenen Beanspruchung infolge Druckspannungen durch überproportional anwachsende Verformungen bei lediglich geringer Laststeigerung versagen können. Aus diesem Grund werden sie in der Ingenieurpraxis auch als stabilitätsgefährdete Bauteile bezeichnet. Das Versagen kündigt sich bei schlanken Bauteilen nicht wie bei gedrungenen Bauteilen durch stetig anwachsende Verformungen an, sondern es folgt eine erhebliche Zunahme der Verformungen, wodurch es zu einem plötzlichen Versagen kommen kann. Aus diesem Grund ist für derart schlanke Stahlbauteile eine gründliche Untersuchung der möglichen Versagensformen unumgänglich. Dabei sind insbesondere die aus der Belastung entstehenden, nichtlinearen Verformungen und die durch die Verformungen gegenseitige Beeinflussung der Schnittgrößen in die Gleichgewichtsbe- trachtungen mit einzubeziehen. Entsprechend muss heutzutage gerade den Stabilitätsnachweisen bei der Bemessung von Stahlkonstruktionen gesonderte Betrachtung geschenkt werden. Damit sich die durch die Verwendung von schlanken Bauteilen erzielten Materialeinsparungen letztend- lich auch bezahlt machen, müssen die Stabilitätsnachweise einerseits eine äußerst wirtschaftliche Dimensionierung ermöglichen und andererseits bequem als Handrechnung durchgeführt werden können, um den zusätzlichen Bemessungsaufwand so gering wie möglich zu halten. K a p i t e l 1 Gegenstand und Gliederung der Arbeit Die Verwendung von schlanken Querschnitten, filigranen Bauteilen mit flexiblen Formen und fertigungsoptimierten Konstruktionen ermöglicht im Stahlhoch- und -hallenbau die Realisierung ästhetischer und gleichzeitig nachhaltiger Bauwerke. Doppeltsymmetrische Stahlwalzprofile sind dabei eine der wichtigsten Bestandteile. Sie werden für Stützen und Binder ebenso verwendet wie für Pfetten und Kranbahnträger, weil sie sich durch hohe Tragfähigkeiten und eine aus einer sehr breit gefächerten Produktpalette folgenden Flexibilität auszeichnen. Aufgrund ihrer Schlankheit sind die Bauteile jedoch meist stabilitätsgefährdet und stehen zudem unter einer Vielzahl von verschiedenen Einwirkungen und daraus resultierenden Schnittgrößenkombinationen. Zur Veranschaulichung der baupraktischen Relevanz von Schnittgrößenkombinationen wird nach- folgend kurz auf die einzelnen Bauteile aus Bild 1.1 eingegangen. Der Kranbahnträger aus Bild 1.1a besteht für die „Standard“-Fälle häufig aus einem doppeltsymmetrischen Walzprofil, auf das eine Schiene aufgeschweißt wird. Durch das exzentrische Angreifen von Horizontallasten (aus seitlichen Kranlasten) oberhalb des Trägerflanschs entstehen die drei Momentenanteile, während Normalkräfte aus Anfahr- und Bremsvorgängen der Kranlast in Hallenlängsrichtung resultieren. Ein weiterer Fall, bei dem in der Baupraxis häufig eine Kombination von doppel- achsiger Biegung, Torsion und eventuellen Normalkräften vorkommt, sind geneigte Dachpfetten, siehe Bild 1.1b. Durch die am oberen Flansch angebrachte Dachhaut greift, wegen der Neigung der Pfette, die resultierende Last infolge Dachaufbau und Schnee nicht im Schubmittelpunkt sondern exzentrisch an. Hierdurch kommt eine Torsionswirkung zustande, die – je nach Profil- form – hauptsächlich durch Wölbkrafttorsion oder Saint-Venantsche1 Torsion abgetragen wird. Sollen die Pfetten zusätzlich die Binder gegen Biegedrillknicken, also seitliches Ausweichen desGanze Seitenbreite (16,0 cm) (a) (b) (c) Bild 1.1: Darstellung der durch Normalkraft, Biegemomente und zusätzlich auf Torsion beanspruchten Bauteile einer Stahlhalle: (a) Kranbahn, (b) Dachpfette mit Lasten aus Dachaufbau und zusätzlichen Stabilisierungslasten, (c) Stütze mit Lasten aus der Fassade, dem Dachaufbau und (exzentrischen) Kranbahnlasten 1 Adhémar Jean Claude Barré de Saint-Venant, * 23. August 1797 in Villiers-en-Bière, † 6. Januar 1886 in Saint-Ouen, französischer Ingenieur, Mathematiker und Physiker 2 1.1 Motivation und Problemstellung Druckflanschs, stabilisieren, müssen sie auch eine Normalkraft aufnehmen. Ähnliche Einwir- kungskombinationen ergeben sich unter Umständen an Stützen, siehe Bild 1.1c. Die Normalkraft resultiert aus den Dachlasten und dem Eigengewicht, durch Windlasten wirkt in mindestens einer Richtung ein Biegemoment. Ist der Aussteifungsverband exzentrisch angebracht, kommt eine Torsionseinwirkung hinzu. Neben Anwendungsfällen doppeltsymmetrischer Walzprofile spielen in der Baupraxis allerdings auch einfachsymmetrische U-Querschnitte eine bedeutende Rolle. Diese werden im Stahlhochbau beispielsweise als Wandriegel, Pfetten von Hallenbauten sowie in Regalkonstruktionen eingesetzt und meist sowohl auf Druck, Biegung und Torsion beansprucht. Alle aufgeführten Bauteile werden grundsätzlich nach DIN EN 1993-1-1 [26, Abs. 6.2 & Abs. 6.3] bemessen. Hier gibt es einerseits Regelungen zu Einzelschnittgrößen und andererseits zu Schnittgrößenkombinationen. Sowohl bei einem Nachweis der Querschnittstragfähigkeit als auch bei der Bauteilstabilität ist jedoch bislang eine Kombination aus Normalkraft, Biegemomenten und gleichzeitiger Torsion nicht vorgesehen. Die Regelungen und Nachweiskonzepte in DIN EN 1993-1-1 zum Biegedrillknicken von Trä- gern beruhen weitestgehend auf der heutzutage üblichen Bemessungsmethode auf Grundlage des Ersatzstabverfahrens. Allerdings weichen Stahlbauteile in der Baupraxis in der Regel von der dem Verfahren zugrunde liegenden Idealisierung, d.h. dem gabelgelagerten Einfeldträger unter ausschließlicher Biegebeanspruchung, ab. Baupraktische Anschlusskonstruktionen wie zum Beispiel typische Haupt- und Nebenträgeranschlüsse im Hochbau, siehe Bild 1.2, oder auch Quer- kraftanschlüsse an Stützen stellen keine echten „Gabeln“ dar. Der Druckflansch der Bauteile wird nicht verschiebungsfrei gehalten, und der Querschnitt im Auflagerbereich ist torsionsweich. Je nach Anschlusstyp variiert die Torsionsfedersteifigkeit markant, und es ist von einem signifikanten Unterschied im Tragverhalten zwischen idealisierten und realen Tragwerken auszugehen. Eine ausschließliche Biegebeanspruchung ist in der Baupraxis meist auch nur für Träger mit I- und H-Querschnitten problemlos zu realisieren. Aufgrund der Lage des Schubmittelpunkts bei einfach- symmetrischen U-Querschnitten werden Querlasten meist exzentrisch eingeleitet und dadurch der Träger gleichzeitig zur Biegebeanspruchung auch durch planmäßige Torsion belastet. Eine Biegedrillknickbemessung für Träger mit U-Querschnitten ist trotz mangelnder Untersuchungen nach dem „allgemeinen Fall“ in DIN EN 1993-1-1 [26, Abs. 6.3.2.2] durch eine konservative Verwendung von Knicklinie d möglich, allerdings ist bislang eine Anwendung nur für rein auf Biegung beanspruchte Träger erlaubt. Einfache Modelle für Träger mit U-Querschnitten und planmäßiger Torsion existieren zwar durch Untersuchungen von Kindmann & Frickel [59] oder Snijder et al. [114], jedoch wurde bislang von einer normativen Regelung abgesehen. Das Verfahren mit Abminderungsfaktoren ermöglicht einen einfach anwendbaren Nachweis für stabilitätsgefährdete Bauteile und wurde im Falle des Biegedrillknickens für rein auf Biegung beanspruchte Einfeldträger mit Gabellagerung hergeleitet. Es wird trotz zunehmender Computer- unterstützung und Verwendung numerischer Verfahren in der Ingenieurpraxis häufig angewendet und ist auch Planern aus stahlbaufernen Bereichen bekannt und zugänglich. Im Zuge der Über- arbeitung der Eurocodes sind die Abminderungsfaktoren für das Biegedrillknicken infolge von Forschungsergebnissen von Taras [116] für doppeltsymmetrische I- und H-Querschnitte in FprEN 1993-1-1 [42, Abs. 8.3.2.3(3)] angepasst worden, um neuen Erkenntnissen Rechnung zu tragen. Nach wie vor stellt aber der gabelgelagerte Einfeldträger das grundlegende Modell des vereinfachten Nachweisverfahrens dar. Dadurch entsteht eine Diskrepanz zwischen dem tatsächlich ausgeführten Tragwerk und dem idealisierten Berechnungsmodell. In der Baupraxis existieren ver- schiedene Möglichkeiten, dieser Diskrepanz zwischen idealisierten Annahmen und baupraktischer 3 K a p i t e l 1 Gegenstand und Gliederung der Arbeit (a) (b) (c) Bild 1.2: Typische Haupt- und Nebenträgeranschlüsse im Stahlbau: (a) aufgelegter Trägeranschluss, (b) ausgeklinkter Doppelwinkelanschluss, (c) kurzer Kopfplattenanschluss Ausführung zu begegnen. Für den Einfluss der Anschlusskonstruktion erfolgt dies in erster Linie über die Berücksichtigung eines modifizierten, idealen Biegedrillknickmoments. Wie weit damit auch die tatsächliche Tragwirkung erfasst wird, ist eine offene und in der Ingenieurpraxis und For- schung häufig diskutierte Fragestellung. Für Träger mit einfachsymmetrischen U-Querschnitten sowie Beanspruchungen aus gleichzeitiger Biegung und Torsion wird aktuell entweder auf eine aufwändige Berechnung mit Imperfektionen, auf Grundlage der Biegetorsionstheorie II. Ordnung, oder aber auf eine numerische Berechnung, unter Verwendung der Finite-Elemente-Methode, zurückgegriffen. Um zukünftig ein einfach nutzbares und konsistentes Nachweisverfahren auf der Basis von Abminderungsfaktoren für stabilitätsgefährdete doppelt- und einfachsymmetrische Bauteile anwenden zu können, ist eine ergänzende Erweiterung der Anwendungsgrenzen der vereinfachten Bauteilnachweise zur Berücksichtigung des Einflusses von torsionsweichen Lagern und realitätsnahen Beanspruchungen von zentraler Bedeutung. Neben dem klassischen Ersatzstabverfahren auf Grundlage der idealen Verzweigungslast für Biegedrillknicken Mcr stellt das vereinfachte Modell „Knicken des Druckgurtes“ ein weiteres, aber gleichzeitig anschauliches und für die praktische Anwendung sehr einfaches Verfahren für den Biegedrillknicknachweis dar, siehe Bild 1.3. DIN EN 1993-1-1 [26, Abs. 6.3.2.4] greift dieses ver- einfachte Modell für die Bemessung von Trägern des Hochbaus auf. Für den Brückenbau adaptiert DIN EN 1993-2 [29] den Nachweis mit einer konservativen Annahme für die Plateaulänge λc0 sowie unter Berücksichtigung von Knicklinie d für geschweißte I-Querschnitte. Eine vereinfachte Brandbemessung biegedrillknickgefährdeter Träger erscheint unter adäquater Berücksichtigung temperaturabhängiger Werkstoffkennwerte grundsätzlich möglich. DIN EN 1993-1-2 [28] sieht einen solchen vereinfachten Nachweis jedoch gegenwärtig nicht explizit vor. Die Notwendigkeit eines weiteren vereinfachten Nachweises erscheint aufgrund der engagierten Weiterentwicklung und Straffung des Biegedrillknicknachweises in den letzten Jahren (z.B. durch Taras [116]) zunächst zweifelhaft. Tatsächlich gibt es aber einige entscheidende Argumente für diesen Nachweis und seine Weiterentwicklung. Zum einen lässt sich mit Hilfe des maxima- len Stützungsabstands des Druckflanschs sinnvoll konstruieren und dadurch Biegedrillknicken gezielt vermeiden. Zum anderen gibt es eine Reihe von Anwendungsfällen, für die die Lösung des „richtigen Biegedrillknickproblems“ sehr kompliziert und aufwändig ist. Vielfach sind dies die Fälle schlanker, einfachsymmetrischer, geschweißter I-Querschnitte, die von den vor allem auf Walzträger ausgelegten Neuentwicklungen der detaillierten Biegedrillknicknachweise nicht 4 1.1 Motivation und Problemstellung zutreffend erfasst werden. Aufgrund der simplen Handhabung wurde das Grundkonzept des vereinfachten Verfahrens bereits seit den frühen 1950er Jahren mit Einführung der ehemaligen Stahlbaunorm DIN 4114 [18, Abs. 15.3] bei der überschlägigen Bemessung sowohl im Hoch- als auch im Brückenbau verwendet. Gegenwärtig weist das vereinfachte Verfahren jedoch weder eine Konsistenz mit den ausführlichen Biegedrillknicknachweisen nach DIN EN 1993-1-1 [26, Abs. 6.3.2.2 & 6.3.2.3] auf, noch eignet es sich für die verschiedenen Anwendungsbereiche des Hoch- und Brückenbaus. Zudem gibt es verschiedene Untersuchungen von Bureau & Beyer, Davaine und Thiébaud & Lebet [10, 15, 117], die Schwächen und Unsicherheiten des Verfahrens aufzeigen. Auf der einen Seite haben Bureau & Beyer darauf hingewiesen, dass zusätzliche Anwendungsgrenzen für einfachsymmetrische I-Querschnitte und Beanspruchungen mit destabili- sierendem Lastangriffspunkt erforderlich sind. Auf der anderen Seite hat Davaine auf Grundlage von Untersuchungen durch Thiébaud & Lebet vorgeschlagen, Knicklinie c anstelle von d für geschweißte I-förmige Brückenbauquerschnitte zu verwenden, da die bestehenden Regelungen für den Nachweis von Brückenquerschnitten anscheinend sehr stark auf der sicheren Seite liegen. Aufgrund der dargelegten Punkte kann zusammenfassend festgestellt werden, dass die aktuelle Fassung der DIN EN 1993-1-1 nicht zu einer umfassenden, praxisgerechten Spezifikation der Bemessungsregeln für den Biegedrillknicknachweis von doppelt- und einfachsymmetrischen Stahlprofilen unter Berücksichtigung von kombinierten Beanspruchungen (insbesondere inklusive Torsion) sowie praxisnahen torsionsweichen Lagerungsbedingungen geführt hat. Darüber hinaus weist der vereinfachte Biegedrillknicknachweis, d.h. das Modell „Knicken des Druckgurtes“, einerseits eine mangelnde Konsistenz mit den längst überarbeiteten Biegedrillknicklinien der DIN 18800-2 auf und andererseits wurden durch Untersuchungen aus den verganenen Jahren verschiedene Mängel des Verfahrens aufgedeckt. Zuletzt schränkt das aktuelle h/tf -Kriterium der DIN EN 1993-1-1 [26, Abs. 6.3.2.4(3)B] den praktischen Anwendungsbereich des vereinfachten Bemessungsverfahrens für geschweißte I-Querschnitte, insbesondere im Bereich des Brückenbaus, stark ein. Ganze Seitenbreite (16,0 cm) My qz N N Lc + Lc − Vereinfachung y z v wϑ ag y z v max. My N = max.My/ag x x z z (a) (b) Bild 1.3: „Knicken des Druckgurtes“ als vereinfachtes Nachweisverfahren für den Biegedrillknicknachweis von Trägern mit I-Querschnitten: (a) Biegedrillknickproblem, (b) Knicken des äquivalenten Druckgurtes 5 K a p i t e l 1 Gegenstand und Gliederung der Arbeit 1.2 Gliederung der Arbeit In der vorliegenden Arbeit werden unterschiedliche baupraktische Anwendungsfälle aus dem Bereich der Stabilität von stabförmigen Stahlquerschnitten behandelt. Dabei wird insbesondere beabsichtigt, einen Beitrag zur Biegedrillknickbemessung von doppelt- und einfachsymmetrischen Stahlträgern zu leisten. Ziel ist sowohl die konsistente Weiterentwicklung als auch Validierung der analytischen Modelle auf Grundlage von Abminderungsfaktoren. Ausgangspunkt für die Modell- entwicklung sind experimentelle und numerische Untersuchungen, mit Hilfe derer unterschiedliche Fragestellungen hinsichtlich des Biegedrillknickverhaltens aufgegriffen und bewertet werden. Diese umfassen unter anderem den Einfluss einer zusätzlichen Torsion, der vernachlässigten Torsionssteifigkeit beim Modell „Knicken des Druckgurtes“, von torsionsweichen Lagern oder aber von realitätsnahen Beanspruchungen bei Trägern mit einfachsymmetrischen U-Querschnitten. In Kapitel 2 werden zunächst die für die Stabilitätsnachweise notwendigen materialunabhängigen theoretischen Grundlagen der allgemeinen Biege- und Torsionstheorie sowie der generellen Stabi- litätstheorie erläutert. Im Anschluss wird auf die baupraktisch unvermeidbaren Imperfektionen von Stahlbauteilen sowie das daraus resultierende Traglast- und Spannungsproblem eingegangen. Darauf aufbauend wird in Kapitel 3 der derzeitige Stand der Wissenschaft und Technik im Bereich des Biegedrillknickens von biegebeanspruchten Stahlbauteilen zusammenfassend dargestellt. Es werden dabei ausführlich die Hintergründe sowie Weiterentwicklungen für die Stabilitätsnachweise der aktuellen Stahlbaunorm DIN EN 1993-1-1 [26, Abs. 6.3] sowie der zukünftigen Normen- generation FprEN 1993-1-1 [42, Abs. 8.3] beschrieben. Auf die weiteren Untersuchungen aus Wissenschaft und Forschung, die mit den in dieser Arbeit behandelten Problemstellungen aus der Baupraxis in Verbindung stehen, wird an der entsprechenden Stelle im Dokument eingegangen. Die experimentellen, numerischen und theoretischen Untersuchungen zu den offenen Fragestellun- gen aus der Baupraxis werden in den weiteren Kapiteln behandelt. In Kapitel 4 werden zunächst die Untersuchungen im Rahmen des Forschungsvorhabens von Kuhlmann & Jörg (2019) [66] zu Schnittgrößenkombinationen inklusive Torsion dargestellt. Neben den experimentellen Unter- suchungen werden die Grundlagen zur Modellentwicklung, die Validierung sowie die zusätzlichen Parameteruntersuchungen des numerischen Modells beschrieben. Im Rahmen der numerischen Untersuchungen wird dabei der Einfluss verschiedener Parameter auf das Stabilitätsverhalten gezielt ausgewertet und erläutert. Im Rahmen der theoretischen Untersuchungen werden die analytisch ermittelten Traglasten des Stabilitätsnachweises von Winkler et al. (2018) [125] den numerischen Lastfaktoren gegenübergestellt und dadurch gezielt die Anwendbarkeit geprüft. Eine Validation des Stabilitätsnachweises erfolgt abschließend anhand der Versuchstraglasten. In Kapitel 5 werden die Untersuchungen zum vereinfachten Biegedrillknicknachweis „Knicken des Druckgurtes“ nach Knobloch et al. (2020) [61] beschrieben. Ziel dieses Forschungsvorha- bens war die Weiterentwicklung und Anpassung des aktuellen Nachweisformats auf die neuen Biegedrillknicklinien der zukünftigen Normengeneration [42, Abs. 8.3.2.3]. Es werden die wesent- lichen Ergebnisse aus den Versuchen an der Universität Stuttgart dargestellt, die Grundlage für die Validierung des numerischen Modells und die Entwicklung des analytischen Modells sind. Unter Verwendung des numerischen Modells werden die Einflüsse des Lastangriffspunkts, der Einfachsymmetrie sowie weiterer Parameter auf die Biegedrillknicktragfähigkeit untersucht und den Traglasten des aktuellen Verfahrens nach DIN EN 1993-1-1 [26, Abs. 6.3.2.4] gegenüber- gestellt. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wird ein angepasstes Modell vorgestellt, dessen Verwendbarkeit durch die experimentelle und numerische Datenbasis bestätigt wird. 6 1.2 Gliederung der Arbeit Beim Forschungsvorhaben von Knobloch et al. (2023) [60] wurden an der Universität Stutt- gart umfassende experimentelle, numerische und analytische Untersuchungen zum Einfluss verschiedener Haupt- und Nebenträgeranschlüsse durchgeführt, deren wesentliche Ergebnisse im Kapitel 6 zusammengefasst sind. Ziel dieses Forschungsvorhabens war die Erweiterung des Anwendungsgebiets der Biegedrillknicknachweise für abweichende Randbedingungen gegenüber einem gabelgelagerten Einfeldträger. Im Rahmen der Untersuchungen wird dabei insbesondere das Biegedrillknickverhalten unter Berücksichtigung eines aufgelegten Trägeranschlusses, eines ausgeklinkten Doppelwinkelanschlusses sowie eines kurzen Kopfplattenanschlusses näher betrach- tet. Die vorgeschlagene Anpassung des Biegedrillknicknachweises nach FprEN 1993-1-1 [42, Abs. 8.3.2.3(3)] überführt das reale Tragwerk in ein fiktives, ideal gabelgelagertes System, indem die Torsionsweichheit des Anschlusses bei der Bestimmung des idealen Biegedrillknickmoments berücksichtigt wird. Die Torsionsfedesteifigkeiten verschiedener baupraktischer Trägeranschlüsse können dabei entweder mit einfachen mechanischen Modellen bestimmt oder alternativ aus entsprechenden Katalogen abgelesen werden. Ergänzende numerische und theoretische Untersuchungen zu gabelgelagerten Trägern mit ein- fachsymmetrischen U-Querschnitten werden in Kapitel 7 vorgestellt. Ziel dieser zusätzlichen Untersuchungen war die konsistente Weiterentwicklung und Anpassung der zukünftigen Stabili- tätsnachweise nach FprEN 1993-1-1 [42] von doppeltsymmetrischen I- und H-Querschnitten für einfachsymmetrische U-Querschnitte. Das in den numerischen Parameterstudien verwendete FE-Modell wird dabei mittels experimenteller Untersuchungen an der Ruhr-Universität Bochum und der TU Berlin validiert, die im Rahmen des Forschungsvorhabens P 554 [109] erfolgten. Auf Grundlage des idealen Referenzfalls einer reinen Biegebeanspruchung werden anschließend auch weitere Untersuchungen für den in der Baupraxis relevanten Fall einer gleichzeitigen Torsionsbe- anspruchung, die bei U-Profilen bedingt durch die Lage des Schubmittelpunkts nur sehr schwer zu vermeiden ist, vorgestellt. Die numerisch bestimmten Traglasten werden anschließend mit dem „allgemeinen Fall“ nach DIN EN 1993-1-1 und dem analytischen Modell von Snijder et al. [114] verglichen. Basierend auf den Ergebnissen wird abschließend eine konsistente Anpassung des Biegedrillknicknachweises nach FprEN 1993-1-1 [42, Abs. 8.3.2.3(3)] zur Bestimmung der Biegedrillknicktragfähigkeiten gabelgelagerter Träger mit einfachsymmetrischen U-Querschnitten vorgestellt. Im Anschluss an die Validation der entwickelten, überarbeiteten und erweiterten analytischen Modelle aus Kapitel 4 bis 7 erfolgt anschließend für diese zukünftigen Stabilitätsnachweise in Kapitel 8 die Bewertung des Sicherheitsniveaus für die Baupraxis. Die Bewertung wird zum einen qualitativ anhand von verschiedenen statistischen Kenngrößen und zum anderen normativ durch die Bestimmung der entsprechenden Teilsicherheitsfaktoren gemäß dem schrittweisen Vorgehen nach DIN EN 1990 [25, Anhang D] vorgenommen. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und einem Ausblick auf noch offene Fragestellungen sowie Anregungen für weiterführende zukünftige Forschungsarbeiten in Kapitel 9. Eine Auflistung der verwendeten Veröffentlichungen ist im Literaturverzeichnis angegeben. Die Versuchsergebnisse der experimentellen Untersuchungen aus Kapitel 4 bis 6 werden in Anhang A dokumentiert. Anhang B beinhaltet die Koeffizienten für die 3-Faktoren-Gleichung zur Bestimmung der idealen Biegedrillknickmomente. Für die weiterentwickelten und angepass- ten Bemessungsmodelle werden in Anhang C zusätzliche Bemessungshilfen und in Anhang D ergänzende Bemessungsbeispiele für unterschiedliche baupraktische Anwendungsfälle angegeben. 7 K a p i t e l 1 Gegenstand und Gliederung der Arbeit 1.3 Abgrenzung Diese Arbeit analysiert das Biegedrillknickverhalten von hauptsächlich doppelt- und einfachsym- metrischen I-Stahlträgern, wobei ergänzende Untersuchungen an U-Walzprofilen durchgeführt wurden. Der Werkstoff Stahl besitzt ein ausreichendes Plastifizierungsvermögen, was bei den im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Stahlsorten als gegeben angesehen werden kann. Die Untersuchungen und die Verifikationen erfolgen dabei überwiegend für die Baustahlsorten S 235 und S 355. Die grundlegenden Erkenntnisse und die entwickelten Berechnungsmodelle lassen sich allerdings ebenso auf höherfeste Baustahlsorten über S 460 und andere metallische Werkstoffe mit elastischem, nicht-linear plastischem Materialverhalten wie beispielsweise Aluminium oder nichtrostender Stahl übertragen. Lokale Stabilitätseinflüsse wie das örtliche Ausbeulen begrenzen den Tragwiderstand eines Stahlquerschnitts und sind nicht Gegenstand dieser Arbeit. Die Arbeit konzentriert sich in erster Linie auf Querschnitte der Klassen 1, 2 und 3, deren c/t -Grenzwerte der DIN EN 1993-1-1 [26, Abs. 5.6, Tabelle 5.2] eingehalten werden. Die Querschnittsabmessungen sind gegenüber der Stablänge sehr klein, sodass die Grundgleichung der Biegetorsionstheorie für Stäbe gültig ist. Des Weiteren werden dünnwandige Querschnitte vorausgesetzt, bei denen die Verwölbung durch die linearisierte Verwölbung der Profilmittellinie des Einzelblechs beschrieben wird. Schubeinflüsse werden vernachlässigt, da davon ausgegangen wird, dass diese gegenüber den Normalspannungseinflüssen gering sind. Etwaige Abweichungen von diesen oben genannten Einschränkungen sind an den entsprechenden Stellen gekennzeichnet. Diese Arbeit verifiziert die zur Analyse der Biegedrillknickverhaltens entwickelten theoretischen Berechnungsmodelle aufgrund fehlender vollständiger Versuchsergebnisse meist nicht anhand ex- perimenteller Untersuchungen, sondern vergleicht die analytischen Ergebnisse mit den Resultaten numerischer Berechnungen mit der Methode der finiten Elemente (FEM), die auf Grundlage der normativen Vorgaben nach prEN 1993-1-14 [100] durchgeführt wurden. Die auf analytischen Formeln basierenden Berechnungsmodelle werden im Rahmen dieser Arbeit vereinfachend als analytisches Modell bezeichnet, auch wenn diesen Modellen streng genommen nicht immer eine bestimmte physikalische Bedeutung zu Grunde liegt. Diese Dissertation beinhaltet Forschungsergebnisse, die zeitgleich in die Forschungsvorhaben [60, 61, 66] eingeflossen sind, an denen der Autor dieser Arbeit maßgeblich beteiligt war. Deshalb ähneln oder entsprechen sich textliche Passagen der vorliegenden Dissertation und die korrespondierenden Abschnitte in [60, 61, 66]. 8 K a p i t e l 2 Theoretische Grundlagen 2.1 Tragwerksberechnung und Querschnittsbemessung 2.1.1 Allgemeines Unter äußeren Einwirkungen erfahren Bauteile eines Tragwerks Verformungen wie beispielsweise Stauchungen u in Stablängsrichtung, Durchbiegungen v bzw. w in Richtung der beiden Haupt- achsen des Querschnitts sowie Verdrehungen ϑ um die Stablängsachse, wodurch Normal- und Schubspannungen hervorgerufen werden. Bei den im Stahlbau vorherrschenden stabförmigen Bauteilen dominieren dabei die Spannungen in Stablängsrichtung σx. Die Normalspannungen quer zur Stablängsrichtung σy und σz sind vergleichsweise gering und werden im Allgemeinen nicht gesondert nachgewiesen. Die Resultierenden der σx Spannungen werden durch Integration über die Querschnittsfläche A, grundsätzlich zu den vier Schnittgrößen Normalkraft N , Biegemoment My, Biegemoment Mz und Wölbbimoment B zusammengefasst. Die lineare Tragwerksberechnung von Schnittgrößen am unverformten System nennt man Theorie I. Ordnung. Das bedeutet, dass eine Änderung der Geometrie des Tragwerks infolge der äußeren Belastung selbst vernachlässigt wird. Diese Vorgehensweise ist allerdings nur dann zulässig, wenn die Verformungen so klein sind, dass sie die Schnittgrößen nur unwesentlich beeinflussen. Weitere Voraussetzungen sind homogene, isotrope sowie elastische Werkstoffeigenschaften und der Querschnitt bleibt nach der Verformung eben (Bernoulli2-Hypothese). Unter der Annahme von kleinen Deformationen können die Schnittgrößen eines durch die äußeren Einwirkungen qy, qz und mT beanspruchten Stabelements der Länge dx, siehe Bild 2.1, durch lineare Differentialgleichungen der Biege- und Torsionstheorie, siehe Kapitel 2.1.2, bestimmt werden. Diese Schnittgrößen oder die aus den Schnittgrößen resultierenden Spannungen werden anschließend im Rahmen eines Querschnittsnachweises den elastischen, plastischen oder unter Umständen auch wirksamen Beanspruchbarkeiten aus Kapitel 2.1.3 gegenübergestellt. Ganze Seitenbreite (16,0 cm) x z dx L w(x) q(x) EI Ganze Seitenbreite (16,0 cm) x z dx L ϑ(x) mT(x) EIω, GIT Bild 2.1: Ein durch die äußeren Einwirkungen q(x) und mT(x) beanspruchtes Stabelement der Länge dx 2 Jakob Bernoulli, * 27. Dezember 1654 in Basel, † 16. August 1705 in Basel, Schweizer Mathematiker und Physiker K a p i t e l 2 Theoretische Grundlagen 2.1.2 Biege- und Torsionstheorie I. Ordnung Biegetheorie. Die Biegetheorie ist ein Teilgebiet der Balkentheorie aus der technischen Me- chanik und beschreibt das mechanische Verhalten von Trägern unter ausschließlicher Biegebean- spruchung. Mit Hilfe der Festigkeitslehre und der Elastizitätslehre können dabei die elastischen Biegelinien v, w eines Stabes durch die linearen Differentialgleichungen (2.1) & (2.2) dargestellt werden. Diese beschreiben die Kurven der Verformung eines geraden Balkens infolge mechanischer Gleichstreckenbelastung qy bzw. qz. EIz · v′′′′ = qy (2.1) EIy · w′′′′ = qz (2.2) mit EIy . . . . . . Biegesteifigkeit um die y-Achse, EIz . . . . . . Biegesteifigkeit um die z-Achse. Die Lösung der beiden Differentialgleichungen kann durch viermaliges Integrieren bestimmt werden. Die daraus resultierenden Integrationskonstanten C1 bis C4 ergeben sich dabei mit Hilfe der Rand- und Übergangsbedingungen. Nachfolgend wird der Zusammenhang zwischen den Schnittgrößen der Biegetheorie und der Durchbiegung w am Beispiel der Differentialgleichung (2.2) veranschaulicht. EIy · w′′′ = qz · x + C1 = −Vz EIy · w′′ = qz 2 · x 2 + C1 · x + C2 = −My EIy · w′ = qz 6 · x 3 + C1 2 · x 2+ C2 · x + C3 EIy · w = qz 24 · x 4+ C1 6 · x 3+ C2 2 · x 2+ C3 · x+ C4 (2.3) mit Vz . . . . . . . . Querkraft in Richtung der z-Achse, My . . . . . . . einwirkendes Biegemoment um die y-Achse, w′′ . . . . . . . Krümmung des Stabs, w′′ = κ, w′ . . . . . . . . Verdrehung des Stabs, w′ = ϕy. Alternativ ergeben sich die Biegemomente My, Mz sowie Querkräfte Vy, Vz durch Integration der Längsspannung über die Querschnittsfläche und mit Hilfe des Hookschen3 Gesetzes wie folgt: Mz = − ∫ A σx · y dA = E · v′′ · ∫ A y2 dA ︸ ︷︷ ︸ Iz = EIz · v′′ =̂ ∫ dx Vy (2.4) My = ∫ A σx · z dA = −E · w′′ · ∫ A z2 dA ︸ ︷︷ ︸ Iy = EIy · w′′ =̂ ∫ dx Vz (2.5) mit A . . . . . . . . gesamte Querschnittsfläche, σx . . . . . . . . Spannung in Stablängsrichtung, σx = E · ε = E · (u′ − y · v′′ − z · w′′ − ωM · ϑ′′), y . . . . . . . . . Abstand der betrachteten Faser von der Nulllinie in y-Richtung, z . . . . . . . . . Abstand der betrachteten Faser von der Nulllinie in z-Richtung, E . . . . . . . . Elastizitätsmodul, E = 210 000 N/mm2. 3 Robert Hooke, * 28. Juli 1635 in Freshwater, † 14. März 1703 in London, englischer Naturforscher 10 2.1 Tragwerksberechnung und Querschnittsbemessung Torsionstheorie. Stabförmige Bauteile können zusätzlich zu den Schnittgrößen Normalkraft, Querkraft und Biegemoment auch durch ein Torsionsmoment beansprucht werden. Die für die Biegetheorie als sehr brauchbare Näherung verwendete Bernoulli-Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte gilt jedoch bei Torsionsbeanspruchungen nicht mehr. Von zentraler Bedeutung ist vielmehr die Verwölbung des Querschnitts, die von der Querschnittsgeometrie abhängig ist. Genormte Walzprofile stellen im konstruktiven Stahlbau häufig dünnwandige offene Querschnitte dar, die im Gegensatz zu dünnwandigen geschlossenen Profilen torsionsweich und daher weniger geeignet sind, große Torsionsmomente aufzunehmen. Werden an offenen Profilen die Verwölbungen infolge der Torsion behindert, tritt neben dem primären Torsionsmoment aus Saint-Venantscher Torsion Tt zusätzlich ein sekundäres Torsionsmoment Tω und ein Wölbbimoment B infolge der Wölbkrafttorsion auf. Daher spricht man bei offenen Profilen von gemischter Torsion. Die lineare Differentialgleichung der gemischten Torsion ergibt sich für ein durch das Streckentor- sionsmoment mT beanspruchtes Stabelement der Länge dx nach Gleichung (2.6) zu: EIω · ϑ′′′′ −GIT · ϑ′′ = mT (2.6) mit EIω . . . . . . Wölbsteifigkeit, GIT . . . . . . St.Venantsche Torsionssteifigkeit, ϑ . . . . . . . . . Verdrehung um die Stablängsachse. Unter Berücksichtigung des profilabhängigen Abklingfaktors εT ergibt sich für den homogenen Teil der Differentialgleichung: ϑ′′′′ − ε2 T · ϑ′′ = 0 (2.7) mit εT . . . . . . . . Abklingfaktor, εT = √ GIT EIω . Der Abklingfaktor εT dient dabei nicht nur zur vereinfachten Schreibweise der Differentialgleichung für die gemischte Torsion von dünnwandigen offenen Profilen, sondern liefert in Verbindung mit der Stablänge L außerdem ein Maß dafür, welche Art der Torsion bei einem Bauteil überwiegt. εT · L → ∞ εT · L → 0 Es liegt reine Saint-Venantsche Torsion vor (EIω ≈ 0) Es liegt reine Wölbkrafttorsion vor (GIT ≈ 0) Da sich in der Realität selten ein Stab exakt einem dieser beiden Grenzfälle zuordnen lässt, findet man in der Literatur (z. B. Kohlbrunner & Basler [62]) häufig die folgenden Grenzwerte: εT · L < 0,5 0,5 ≤ εT · L ≤ 10 εT · L > 10 reine Wölbkrafttorsion gemischte Torsion reine Saint-Venantsche Torsion Auch die Belastungsart hat einen Einfluss darauf, ob die Torsionseinwirkung eher über St. Venant- sche oder Wölbkrafttorsion abgetragen wird. Um dies zu veranschaulichen, ist in Bild 2.2 die Größe des tatsächlichen Wölbbimoments im Verhältnis zum Wölbbimoment bei reiner Wölbkrafttorsion, also reiner Flanschbiegung, für unterschiedliche Werte εT · L in Abhängigkeit der Belastungsart dargestellt. Die allgemeine Lösung ϑ (Verdrehung um die Stablängsachse) für die Differentialgleichung der gemischten Torsion, vgl. Gleichung (2.6), kann in einen homogenen ϑhom. und in einen partikulären Anteil ϑpart. aufgespalten werden. 11 K a p i t e l 2 Theoretische Grundlagen Halbe Seitenbreite (8,0 cm) Halbe Seitenbreite (8,0 cm) Halbe Seitenbreite (8,0 cm) reine Wölbkrafttorsion gemischte Torsion reine St. Venantsche Torsion MT mT Mω B B B 0,1 1 10 100 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 0,5 εT · L B(εT · L) B(εT · L = 0) Bild 2.2: Abgrenzung zwischen St. Venantscher Torsion und Wölbkrafttorsion für drei verschiedene Belastungsfälle nach Kohlbrunner & Basler [62] ϑ = ϑhom. + ϑpart. Der homogene Anteil ϑhom. setzt sich dabei aus vier linear unabhängigen Teillösungen nach Gleichung (2.8) zusammen, wohingegen die partikuläre Lösung ϑpart. vom Lastbild der äußeren Belastung abhängig ist. Für die partikuläre Lösung kann allgemein ein Polynomansatz 3. Grades nach Gleichung (2.9) gewählt und die Integrationskonstanten C5 bis C8 durch Ableiten, Einsetzen in Gleichung (2.6) und anschließendem Koeffizientenvergleich bestimmt werden. Die Koeffizienten C1 bis C4 werden im Anschluss daran mit Hilfe der Rand- und Übergangsbedingungen bestimmt. ϑhom. = C1 · 1 ε2 T · sinh(εT · x) + C2 · 1 ε2 T · cosh(εT · x) + C3 · x+ C4 (2.8) ϑpart. = C5 · x3 + C6 · x2 + C7 · x+ C8 (2.9) Aus der Lösung der Differentialgleichung können anschließend die Schnittgrößen der Torsions- theorie, d.h. das primäre Tt sowie das sekundäre Torsionsmoment Tω und das Wölbbimoment B folgendermaßen bestimmt werden. T = Tt + Tω = G · ϑ′ · n∑ i=1 bit 3 i 3︸ ︷︷ ︸ IT −E · ϑ′′′ · ∫ A ω2 M dA ︸ ︷︷ ︸ Iω = GIT · ϑ′ − EIω · ϑ′′′ (2.10) B = ∫ A σx · ωM dA = −E · ϑ′′ · ∫ A ω2 M dA ︸ ︷︷ ︸ Iω = −EIω · ϑ′′ (2.11) mit G . . . . . . . . Schubmodul, G = E 2(1 + ν) ≈ 81 000 N/mm2, ωM . . . . . . . auf den Schubmittelpunkt bezogene Wölbordinate, σx . . . . . . . . Spannung in Stablängsrichtung, σx = E · ε = E · (u′ − y · v′′ − z · w′′ − ωM · ϑ′′). 12 2.1 Tragwerksberechnung und Querschnittsbemessung 2.1.3 Querschnittsklassifizierung und -tragfähigkeit Vorbemerkungen. Bei der Querschnittsbemessung wird die Tragfähigkeit eines Bauteils auf der Grundlage seines am stärksten beanspruchten Querschnitts beurteilt. Hierbei werden die Schnittgrößen aus der Biege- und Torsionstheorie I. Ordnung, siehe Abschnitt 2.1.2, zugrunde gelegt und der Querschnittstragfähigkeit gegenübergestellt. Bei der Querschnittstragfähigkeit handelt es sich um die maximal rechnerische Beanspruchbarkeit eines Querschnitts unter Be- rücksichtigung der Werkstofffestigkeit. In vielen Fällen ist diese Herangehensweise vollkommen ausreichend. Bei stabilitätsgefährdeten Bauteilen wird jedoch die Tragfähigkeit durch ein solches Vorgehen unter Umständen überschätzt, siehe Abschnitt 2.2.4. Hier ist die zusätzliche Berück- sichtigung von Knick-, Biegedrillknick- und Beulerscheinungen in Form von Schnittgrößen am verformten System nach Theorie II. Ordnung oder abgeminderten Querschnittstragfähigkeiten (χ · fy), vgl. Kapitel 3, und die Verwendung des Teilsicherheitsfaktors γM1 notwendig. Bei den im Rahmen dieses Abschnitts vorgestellten Querschnittsnachweisen wird davon ausgegangen, dass keine Stabilitätsgefahr besteht. Die Eignung eines Querschnitts zur elastischen oder plastischen Querschnittsbemessung wird im Stahlbau durch seine Querschnittsklasse (QKL) ausgedrückt, wobei die Abgrenzung der Quer- schnittsklassen über Grenzschlankheiten, sogenannte c/t-Werte, der einzelnen druckbeanspruchten Querschnittsteile erfolgt. Das c/t-Verhältnis ist dabei nicht nur von der Spannungsverteilung, sondern auch von der Streckgrenze und somit von der gewählten Stahlsorte abhängig. Die hohen Festigkeitswerte von Stahl ermöglichen es, Bauteile mit dünnwandigen Querschnitten auszufüh- ren. Dem Vorteil der Materialersparnis steht jedoch die größere Gefahr eines lokalen Beulens dieser Bauteile gegenüber. Aus diesem Grund können bei dünnwandigen Bauteilen nicht immer die hohen Festigkeitswerte oder gar das große Plastizierungsvermögen des Stahls ausgenutzt werden. Gemäß DIN EN 1993-1-1 wird zwischen den nachfolgenden vier Querschnittsklassen unterschieden. • Querschnittsklasse 1 : Die Ausbildung plastischer Gelenke oder Fließzonen mit ausrei- chender plastischer Momententragfähigkeit und Rotationskapazität für eine plastische Tragwerksberechnung ist möglich. • Querschnittsklasse 2 : Die plastischen Querschnittsreserven können durch Ansatz der plas- tischen Momententragfähigkeit genutzt werden. Allerdings ist das Rotationsvermögen aufgrund örtlichen Beulens einzelner Querschnittsteile begrenzt. Es kann eine elastische Tragwerksberechnung mit anschließender begrenzten Schnittgrößenumlagerung unter Be- achtung der Gleichgewichtsbedingungen durchgeführt werden. • Querschnittsklasse 3 : Die plastischen Querschnittsreserven können nicht genutzt werden, da Teile des Querschnitts vor Erreichen der Vollplastizierung örtlich beulen. Somit ist der Ansatz der plastischen Momententragfähigkeit unzulässig. Die Querschnitte können jedoch so ausgenutzt werden, dass in der ungünstigsten Querschnittsfaser die elastische Grenzspannung (Fließgrenze) erreicht wird. Das bedeutet, dass der Werkstoff zumindest in dem am höchsten beanspruchten Querschnitt fast vollständig bis zur Fließgrenze ausgenutzt werden kann. • Querschnittsklasse 4 : Örtliches Beulen tritt bereits vor Erreichen der elastischen Grenz- spannung (Fließgrenze) auf. Die notwendige Reduktion der Querschnittswiderstände infolge örtlichen Ausbeulens dürfen durch das Ansetzen wirksamer Breiten berücksichtigt werden. 13 K a p i t e l 2 Theoretische Grundlagen Querschnittsklasse 1 & 2. Die plastische Querschnittsbemessung nutzt die plastische Verfor- mungsfähigkeit des Baustahls. Dadurch können die Materialreserven planmäßig genutzt werden, was im Vergleich zu einer elastischen Querschnittsbemessung zu kleineren erforderlichen Quer- schnittsabmessungen führt. Im Rahmen der plastischen Querschnittsbemessung geht man infolge der Fließerscheinungen des Baustahls von bleibenden plastischen Verformungen im Grenzzu- stand der Tragfähigkeit unter der Einwirkung der Bemessungslasten aus. Die plastische Quer- schnittsbemessung wird im Gegensatz zur elastischen Querschnittsbemessung nicht mehr auf Spannungsebene geführt, sondern auf Schnittgrößenebene unter Verwendung der Streckgrenze fy. Die resultierende Spannungsverteilungen der vollplastischen Schnittgrößen sind beispielhaft in Bild 2.3 für einen doppeltsymmetrischen I-Querschnitt dargestellt. Je nach Beanspruchung des Querschnitts gibt es in DIN EN 1993-1-1 [26, Abs. 6.2] einerseits Nachweise für die einzel- nen Schnittgrößen Normalkraft N , Biegemomente M , Wölbbimomente B, Querkräfte V sowie Torsion T , vgl. Gleichung (2.12), und andererseits sogenannte Interaktionsbeziehungen, die die Tragfähigkeit unter Berücksichtigung von mehreren gleichzeitig wirkenden Schnittgrößen erfassen. Die Interaktionsbeziehungen für die verschiedensten Kombinationen der Schnittgrößen sind üblicherweise von der Querschnittsform abhängig und lassen sich in zahlreicher Literatur, unter anderem in Kindmann & Frickel (2002) [58], wiederfinden. NEd ≤ Npl,Rd = A · fy γM0 MEd ≤Mpl,Rd = Wpl · fy γM0 BEd ≤ Bpl,Rd = Wpl,B · fy γM0 VEd ≤ Vpl,Rd = Av · fy√ 3 · γM0 TEd = Tt,Ed + Tω,Ed ≤ Tpl,Rd (2.12) mit Av . . . . . . . Schubfläche des Querschnitts, Wpl . . . . . . plastisches Widerstandsmoment für Biegung, Wpl,B . . . . plastisches Widerstandsmoment für das Wölbbimoment, γM0 . . . . . . Teilsicherheitsbeiwert für die Tragfähigkeit von Querschnitten.Ganze Seitenbreite (16,0 cm) xy z N My Mz B Vy Vz Tt Tω Bild 2.3: Spannungsverteilungen vollplastischer Schnittgrößen eines doppeltsymmetrischen I-Querschnitts 14 2.1 Tragwerksberechnung und Querschnittsbemessung Querschnittsklasse 3. Die Nachweisform der elastischen Querschnittsbemessung ist der Span- nungsnachweis. Für die maximale elastische Querschnittstragfähigkeit darf gemäß der DIN EN 1993-1-1 [26, Abs. 6.2.1(5)] das folgende Fließkriterium, das der von-Mises4-Vergleichsspannung entspricht, verwendet werden.( σx,Ed fy/γM0 )2 + ( σz,Ed fy/γM0 )2 − ( σx,Ed fy/γM0 )( σz,Ed fy/γM0 ) + 3 ( τEd fy/γM0 )2 ≤ 1 (2.13) mit σx,Ed . . . . . Bemessungswert der Normalspannung in Längsrichtung, σz,Ed . . . . . Bemessungswert der Normalspannung in Querrichtung, τEd . . . . . . . Bemessungswert der Schubspannung. Da im üblichen Stahlhochbau Normalspannungen σz,Ed in Querrichtung nur in Sonderfällen, wie beispielsweise bei Kranbahnträgern infolge örtlicher Lasteinleitung, auftreten, kann Gleichung (2.13) in die nachfolgend verkürzte Form gebracht werden, wobei die einzelnen Spannungsanteile σx,Ed und τEd dabei zusätzlich auf die Streckgrenze des verwendeten Stahls zu begrenzen sind. σv = √ σ2 x,Ed + 3 · τ2 Ed ≤ fyd (2.14) Auf Grundlage der Biege- und Torsionstheorie, vgl. Abschnitt 2.1.2, ergeben sich bei offenen Querschnitten die folgenden Schnittgrößenanteile, die zu der entsprechenden Normalspannung σx,Ed und Schubspannung τEd führen. σx,Ed = σNx,Ed + σ My x,Ed + σMz x,Ed + σBx,Ed ≤ σRd = fyd (2.15) τEd = τ Vy Ed + τVz Ed + τTt Ed + τTω Ed ≤ τRd = fyd√ 3 (2.16) mit σNx,Ed . . . . . Bemessungswert der Normalspannungen aus Normalkraft, σ My/z x,Ed . . . . Bemessungswerte der Normalspannungen aus Biegemomenten um die y- bzw. z-Achse, σBx,Ed . . . . . Bemessungswert der Normalspannungen aus Wölbkrafttorsion, τ Vy/z Ed . . . . . Bemessungswerte der Schubspannungen aus Querkraft in Richtung der y- bzw. z-Achse, τTt Ed . . . . . . . Bemessungswert der Schubspannungen aus Saint-Venantscher Torsion, τTω Ed . . . . . . Bemessungswert der Schubspannungen aus Wölbkrafttorsion. Querschnittsklasse 4. Bei dünnwandigen Querschnitten der Klasse 4 können einzelne Quer- schnittsteile unter Druckbeanspruchung einen Steifigkeitsverlust durch Ausbeulen erfahren, siehe Bild 2.4. Dabei weichen die betroffenen Querschnittsteile der Beanspruchung aus und können nur einen Teil der auf sie entfallenden Lasten abtragen. Man spricht dann von einem teilweisen Ausfall der Druckzone. Um eine Beulanfälligkeit druckbeanspruchter Querschnittsteile auszuschließen, dürfen diese nicht zu schlank ausgeführt werden. In der Regel sind Grenzwerte für die Schlankheit in Form der baustoffabhängigen c/t-Verhältnisse einzuhalten, wobei c der Breite bzw. Höhe des druckbeanspruchten Querschnittsteils (freie Beullänge) und t dessen Dicke entspricht. Kann ein Ausbeulen einzelner Querschnittsteile nicht ausgeschlossen werden, ist der geometrisch vorhandene Querschnitt für Bemessungszwecke um die ausbeulenden Querschnittsbereiche auf den sogenannten wirksamen Querschnitt mit verminderten Querschnittswerten Aeff ,Wy,eff und Wz,eff zu reduzieren. 4 Richard von Mises, * 19. April 1883 in Lemberg, † 14. Juli 1953 in Boston, österreichisch-US-amerikanischer Mathematiker 15 K a p i t e l 2 Theoretische Grundlagen Ganze Seitenbreite (16,0 cm) x y z σx σx Bild 2.4: Teilweises Versagen der Druckzone durch Ausbeulen von Querschnittsteilen der Klasse 4 infolge einer Biegemomentenbeanspruchung um die y-Achse 2.2 Stabilitätstheorie 2.2.1 Allgemeines Aufgrund der hohen Werkstofffestigkeit ist ein besonderes Qualitäts- und Leistungsmerkmal des Stahlbaus die Verwendung von äußerst filigranen Bauteilen und Tragkonstruktionen, die zur architektonischen Attraktivität von Stahlbauwerken beitragen. Werden jedoch die Querschnitte derart leichter und schlanker Stahlkonstruktionen teilweise oder vollständig durch Druckspan- nungen beansprucht, besteht die Gefahr des Stabilitätsversagens, das zu einem unplanmäßigen Ausweichen der Bauteile und überproportional anwachsenden Verformungen infolge geringer Laststeigerungen führt. Dabei kann einerseits bei dünnwandigen Bauteilen der Querschnitts- nachweis unter Berücksichtigung lokaler Plattenbeuleinflüsse und andererseits bei stabförmigen Bauteilen ein globales Stabilitätsversagen maßgebend werden. Abhängig von den auftretenden, unplanmäßigen Verformungen und Zusatzbeanspruchungen unterscheidet man bei Stäben und Stabwerken die drei in Bild 2.5 aufgeführten Stabilitätsphänomene: Biegeknicken, Drillknicken und Biegedrillknicken (ehemals Kippen). Zusätzlich tritt bei dünnen Flächenelementen und Querschnittsteilen der Klasse 4 das Stabilitätsproblem des lokalen Plattenbeulens auf, das im Rahmen dieser Arbeit nur am Rande betrachtet wird. Unter dem Begriff der Stabilitätstheorie werden alle baustatischen Nachweismethoden zusam- mengefasst, bei denen der Verformungseinfluss unter Druckbeanspruchung beim Tragsicherheits- nachweis berücksichtigt wird. Dieser Stabilitätstheorie kommt im Stahlbau eine große Bedeutung zu, da sich das Versagen bei schlanken Bauteilen nicht wie bei gedrungenen Bauteilen durch stetig anwachsende Verformungen ankündigt, sondern plötzlich unterhalb der eigentlichen Quer- schnittstragfähigkeit durch eine erhebliche Zunahme der Verformungen erfolgt. Eine gründliche Untersuchung der möglichen Versagensformen ist daher für eine sichere Bemessung unumgänglich. 16 2.2 Stabilitätstheorie Halbe Seitenbreite (8,0 cm) Halbe Seitenbreite (8,0 cm) (a) (b) Halbe Seitenbreite (8,0 cm) Halbe Seitenbreite (8,0 cm) (c) (d) Bild 2.5: Eigenformen für doppeltsymmetrische stabförmige Stahlbauteile: (a) Biegeknicken um die y-Achse, (b) Biegeknicken um die z-Achse, (c) Biegedrillknicken, (d) Drillknicken 2.2.2 Gleichgewichtszustände Um die Stabilität einer Struktur zu beschreiben wird in der Stabilitätstheorie zwischen drei Gleichgewichtszuständen – stabil, indifferent und labil – unterschieden. Zur Bestimmung der Art des Gleichgewichts einer beliebigen Struktur wird zunächst eine infinitesimal kleine Störung aufgebracht, die anschließend wieder entfernt wird. Um die drei verschiedenen Gleichgewichtszu- stände zu veranschaulichen, wird im nachfolgenden Bild 2.6 die Position einer Kugel, in der sie in Ruhe verharrt, als Gleichgewichtszustand bezeichnet. Zu Beginn der Betrachtung befinden sich alle drei Kugeln in einer Gleichgewichtslage. Wird die erste Kugel aus der Gleichgewichtslage 1 ausgelenkt und daraufhin losgelassen, rollt sie stets wieder in den ursprünglichen Zustand zurück. Mit anderen Worten: Die Kugel strebt förmlich dem stabilen Ruhezustand in der ursprünglichen Gleichgewichtslage zu. Dies wird daher als stabiler Gleichgewichtszustand bezeichnet. Im Gegensatz dazu genügt eine kleine Auslenkung der dritten Kugel, um diese aus dem ursprünglichen Gleichgewichtszustand 3 zu entfernen. Sie reagiert auf kleine Imperfektionen empfindlich. Die Position stellt daher einen leicht zu störenden Gleichgewichtszustand dar, der als labil zu bezeichnen ist. Wird die zweite Kugel aus der Gleichgewichtslage 2 ausgelenkt, bleibt sie in einer benachbarten Lage ruhig liegen. Neben der ursprünglichen Gleichgewichtslage existieren somit weitere Gleichgewichtszustände, und man spricht von einem indifferenten Gleichgewichtszustand. Ganze Seitenbreite (16,0 cm) 1 2 3 Bild 2.6: Drei Arten von Gleichgewichtszuständen am Beispiel einer Kugel 17 K a p i t e l 2 Theoretische Grundlagen 2.2.3 Eigenwert- und Verzweigungsproblem Vorbemerkungen. Nachfolgend werden die wichtigsten theoretischen Arbeiten zur Stabilität druck- und biegebeanspruchter Stäbe behandelt, deren Gültigkeit sich nicht auf einen bestimmten Werkstoff beschränken. In einem ersten Schritt wird ein idealisiertes Problem betrachtet. Es wird von einem ideal geraden, schlanken, zentrisch gedrückten bzw. biegebeanspruchten Stab ausgegangen, der ein linear-elastisches Materialverhalten und unendlich große Festigkeit aufweist. Abweichungen von diesen idealisierten Bedingungen und Arbeiten, die sich konkret mit dem Stabilitätsverhalten von Stahlbauteilen beschäftigen, werden anschließend in Abschnitt 2.2.4 und Kapitel 3 behandelt. Dort werden auch Stäbe aus einem Werkstoff mit endlicher Festigkeit und nichtlinearem Werkstoffverhalten betrachtet. Verzweigungsproblem. Bei einem idealisierten Druckstab, siehe Bild 2.7, mit ideal-elastischem Werkstoffverhalten, einer zentrischen Lasteinleitung und einer ideal-geraden Stabachse können die Gleichgewichtszustände, die bereits im vorherigen Abschnitt 2.2.2 am Beispiel einer Kugel erklärt wurden, für das Biegeknicken folgendermaßen erläutert werden. Die Normalkraft N des Druckstabs wird gesteigert, bis sie den Wert Ncr erreicht. Der Stab weist bis zu dieser Last unter den getroffenen Annahmen keine seitliche Ausbiegung w, sondern lediglich eine Stauchung in Kraftrichtung auf. Er befindet sich in einem stabilen Gleichgewicht, siehe Pfad 1 . Wird die Normalkraft N über Ncr hinaus gesteigert, Pfad 3 , dann wird das Gleichgewicht des Druckstabs labil. Die Kraft kann zumindest theoretisch weiter gesteigert werden und zu größer werdenden Stauchungen in Kraftrichtung führen. Allerdings reicht dann bereits die kleinste Störung aus, um das Gleichgewicht des Stabs zu zerstören, und der Stab knickt entlang Pfad 2 aus. Da kleine Störungen in der Realität unvermeidbar sind, hat die Normalkraft Ncr für die Baupraxis die größte Bedeutung. Mit Erreichen von Ncr wird das Gleichgewicht des Druckstabs indifferent. Das heißt, dass der Normalkraft Ncr nicht mehr widerspruchsfrei eine bestimmte seitliche Auslenkung w – egal ob nach links oder rechts – zugeordnet werden kann. Vielmehr gibt es unendlich viele Auslenkungen w, für die die Gleichgewichtsbedingungen erfüllt sind. Die Normalkraft Ncr, die den Beginn des labilen Gleichgewichtszustands des Druckstabs bildet, stellt daher eine sogenannte Verzweigungslast dar und wird als ideale Knicklast bezeichnet. Halbe Seitenbreite (8,0 cm) 1 & 3 : 2 : N N x x z z w (a) 1 3 Verzweigungspunkt Ncr stabil labil 2indifferent w N (b) Bild 2.7: Erläuterung des Verzweigungsproblems anhand eines beidseitig gelenkig gelagerten Druckstabs: (a) mögliche Alternativen, (b) Last-Verformungskurve 18 2.2 Stabilitätstheorie Elastische Biegetorsionstheorie II. Ordnung. Nachfolgend wird der sich im Gleichgewicht befindende gerade, dünnwandige Stabquerschnitt, wie in Bild 2.8 dargestellt, betrachtet. Das Differentialgleichungssystem (2.17) des elastischen Biegetorsionsproblems II. Ordnung kann dabei mit Hilfe der drei Gleichgewichtsbeziehungen ∑ Fy, ∑ Fz und ∑ Mx am verformten Stabelement der Länge dx aufgestellt werden. Dabei sind neben den äußeren Lasten qy, qz und mT sowohl die Summe der Abtriebskräfte, die durch die Normalkräfte σ · dA sowie den Krümmungen v′′ und w′′ des Stabquerschnitts hervorgerufen werden, als auch die Komponentenkräfte infolge von Stabverdrehungen ϑ um den Schubmittelpunkt nach Theorie II. Ordnung zu berücksichtigen. Die genaue Herleitung ist unter anderem in Roik [103, S. 219 ff.] aufgeführt.  EIz 0 0 0 EIy 0 0 0 EIω   v′′′′M w′′′′M ϑ′′′′  =  qy + [N · (v′M + zM · ϑ′)]′ −My · ϑ′′ qz + [N · (w′M − yM · ϑ′)]′ −Mz · ϑ′′ mT +GIT · ϑ′′ +(N·zM·v′M)′−(N·yM·w′M)′−My·v′′M−Mz·w′′M −[qy·yM p +qz ·zM p ]·ϑ+[ϑ′·(N·i2M+My·rz−Mz·ry+Mω·rω)]′  (2.17) mit vM, wM . . . Verschiebungen des Schubmittelpunkts, yM, zM . . . Abstände des Schubmittelpunkts zum Schwerpunkt, yM p , z M p . . . Abstände des Schubmittelpunkts zu den äußeren Lasten qy bzw. qz, iM . . . . . . . polarer Trägheitsradius, bezogen auf den Schubmittelpunkt, iM = √ i2p + y2 M + z2 M, ry, rr, rω . . Trägheitsmomente höherer Ordnung. Unter bestimmten Annahmen hinsichtlich der Querschnittsgeometrie, Lagerungsbedingungen und Beanspruchungsart lassen sich aus dem Differentialgleichungssystem einige für die Ingenieurpraxis wichtige Verzweigungslasten von stabförmigen Bauteilen analytisch herleiten. Auf die Herleitung dieser Verzweigungslasten wird in den nachfolgenden Abschnitten kurz eingegangen.Ganze Seitenbreite (16,0 cm) dx qy qz mT M S x y zM ′ S (σ + dσ) · dA w′ + dw′ (σ + dσ) · dA · (w′ + dw′) v′+ dv′ ∗ ∗(σ + dσ) · dA · (v′ + dv′) D M S M ′ −zM zwM wMw v(z − zM) · ϑ vM ϑ ϑ yM y vM (y − yM) · ϑ Bild 2.8: Biegetorsionsproblem II. Ordnung am verformten Stabelement dx nach Roik [103] 19 K a p i t e l 2 Theoretische Grundlagen Stabilitätsverhalten gedrückter Stäbe mit doppeltsymmetrischem I-Querschnitt. Unter der Annahme eines ideal geraden Stabs der Länge L mit doppeltsymmetrischem I-Querschnitt (yM = zM = 0) und einer zentrisch im Schwerpunkt S angreifenden Druckkraftbeanspruchung −N (My = Mz = qy = qz = mT = 0) geht das allgemeine Differentialgleichungssystem (2.17) in die folgenden Gleichungen (2.18) bis (2.20) über. Für diesen Sonderfall sind alle drei Gleichungen voneinander entkoppelt, und es ergeben sich drei homogene Probleme, deren Lösungen die bekannten idealen Verzweigungslasten für Biegeknicken Ncr,z, Ncr,y und Drillknicken Ncr,T darstellen. Entkoppelt sind die Gleichungen deshalb, da sowohl die Verformungen v, w als auch die Verdrehungen ϑ um die Stablängsachse nicht von einer anderen Größe abhängig sind. EIz · v′′′′M +N · v′′M = 0 (2.18) EIy · w′′′′M +N · w′′M = 0 (2.19) EIω · ϑ′′′′ − [ GIT −N · i2p ] · ϑ′′ = 0 (2.20) mit ip . . . . . . . . polarer Trägheitsradius, bezogen auf den Schwerpunkt, ip = √ i2y + i2z , iy, iz . . . . . Trägheitsradius in y-Richtung, iy = √ Iy A bzw. z-Richtung, iz = √ Iz A . Die ersten Untersuchungen zum Knickverhalten schlanker Stäbe gehen auf Euler5 (1759) [39] zurück, nach dem die vier Fälle für das Knicken eines elastischen Stabs mit zentrischer Druckkraft und speziellen Randbedingungen, siehe Bild 2.9, benannt wurden. Die ideale Biegeknicklast Ncr,y/z wird daher häufig in der Literatur auch als Eulersche Verzweigungslast bezeichnet und ist diejenige Last, bei der sich ein idealer Stab im indifferenten Gleichgewicht befindet, siehe Bild 2.7, und somit keinen Widerstand gegen Ausknicken liefern kann. Ein sehr schlanker Druckstab, der auf dem Lastniveau der Knicklast beansprucht wird, kann in Abhängigkeit vom Werkstoff versagen, auch wenn seine Spannungen weit unterhalb der Werkstofffestigkeit liegen. Die sich unter der Knicklast einstellenden, in der Regal übermäßigen Verformungen (Auslenkungen) lassen den Druckstab als lastabtragendes Bauteil im Tragwerk unbrauchbar werden (Funktionsverlust). Zur mathematischen Lösung der Differentialgleichungen (2.18) bis (2.20) ist es allgemein erforder- lich, mehrparametrige Ansätze für die Verformungen vM, wM bzw. die Verdrehung ϑ zu wählen. Ganze Seitenbreite (16,0 cm) 2 3 4 1 Ncr Ncr Ncr Ncr L L cr = L L cr = 0, 7 ·L L cr = 0, 5 ·L L cr = 2, 0 ·L Bild 2.9: Randbedingungen und Knicklängen für die vier verschiedenen Eulerfälle 5 Leonhard Euler, * 15. April 1707 in Basel, † 7. September 1783 in Sankt Petersburg, Schweizer Mathematiker und Physiker 20 2.2 Stabilitätstheorie Die Ansätze müssen dabei gewisse Grundvoraussetzungen erfüllen, damit sie im Sinne der Variati- onsrechnung zulässig sind. Sie müssen eine mögliche Variation der anzunähernden Funktion sein, also die geforderten Randbedingungen erfüllen und gleichzeitig im gewählten Bereich stetig und differenzierbar sein. Unter Beachtung dieser Bedingungen können viele verschiedene Funktionen gewählt werden. Die Wahl der Ansatzfunktion hat dabei einen großen Einfluss auf die Qualität der Ergebnisse und den Berechnungsaufwand. Für eine beidseitig biege- und wölbfreie Lagerung (Eulerstab 2 ) erfüllt der trigonometrische Lösungsansatz mittels einer gewählten sin-Funktion aus Gleichung (2.21) die Randbedingungen (2.22) an den Stabenden. vM(x) = wM(x) = ϑ(x) = Ci · sin ( π · x L ) (2.2