STUTTGARTER BEITRÄGE ZUR PRODUKTIONSFORSCHUNG Ralph Schneider »Konzeptuelles Referenzdatenmodell für das Compliance-Management des stoff- und produktbezogenen Umweltschutzes in Unternehmen der Elektrobranche« STUTTGARTER BEITRÄGE ZUR PRODUKTIONSFORSCHUNG BAND 170 Ralph Schneider » Konzeptuelles Referenzdatenmodell für das Compliance-Management des stoff- und produktbezogenen Umweltschutzes in Unternehmen der Elektrobranche « Herausgeber Univ.-Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl1,2 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Alexander Sauer1,3 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Kai Peter Birke4 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Marco Huber1,2 1 Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart 2 Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart 3 Institut für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart 4 Institut für Photovoltaik (ipv) der Universität Stuttgart Kontaktadresse: Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA Nobelstr. 12 70569 Stuttgart Telefon 0711 970-1100 info@ipa.fraunhofer.de www.ipa.fraunhofer.de Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. Zugl.: Stuttgart, Univ., Diss., 2024 D 93 2024 Druck und Weiterverarbeitung: Fraunhofer-Druckerei, Stuttgart Für den Druck des Buches wurde chlor- und säurefreies Papier verwendet. Dieses Werk steht, soweit nicht gesondert gekennzeichnet, unter folgender Creative-Commons-Lizenz: Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen International 4.0 (CC BY-NC-ND 4.0). https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ Konzeptuelles Referenzdatenmodell für das Compliance-Management des stoff- und produktbezogenen Umweltschutzes in Unternehmen der Elektrobranche Conceptual reference data model for the compliance management of substance- and product- related environmental protection in companies of the electrical industry Von der Fakultät Konstruktions-, Produktions- und Fahrzeugtechnik der Universität Stuttgart zur Erlangung der Würde eines Doktor-Ingenieurs (Dr.-Ing.) genehmigte Abhandlung Vorgelegt von Ralph Schneider aus Lovrin Hauptberichter: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl Mitberichter: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Alexander Sauer apl. Prof. Dr.-Ing. Thomas Prefi Tag der mündlichen Prüfung: 09.01.2024 Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart 2024 Danksagung Die vorliegende Dissertation entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitar- beiter am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). An dieser Stelle möchte ich nun allen Personen meinen großen Dank aussprechen, die mich bei der Anfertigung meiner Dissertation unterstützt haben. Mein besonderer Dank gilt Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl, Leiter des Fraun- hofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA und des Instituts für Industri- elle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart, für seine sehr konstruktive und fördernde Unterstützung meiner Arbeit. Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Alexander Sauer, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA und Leiter des Instituts für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität, danke ich für die immer zeitnahen und wertvollen Hinweise und die Übernahme des Mitberichts. Für die Übernahme des zweiten Mitberichts möchte ich mich zudem bei Herrn Prof. Dr.-Ing. Thomas Prefi, apl. Professor am WZL der RWTH Aachen bedanken. Weiterhin danke ich Herrn Univ.- Prof. Dr.-Ing. Robert Schulz, Leiter des Instituts für Fördertechnik und Logistik (IFT) der Uni- versität Stuttgart für die Übernahme des Vorsitzes der Prüfungskommission. Allen meinen aktuellen und ehemaligen Kolleg*innen am Fraunhofer IPA möchte ich meinen Dank aussprechen für die Unterstützung und die Motivation, bei der Promotion durchzuhalten. Vor allem danke ich Dr. Sebastian Müller und Dr. Stefan Dully, die mir mit produktiven fach- lichen Gesprächen und guten Worten jederzeit eine Stütze waren. Herrn Dr. Schloske und Frau Dr. Birgit Spaeth gilt ein großer Dank für die mühevolle und wertvolle Arbeit des präzisen Korrekturlesens. Herrn Dr. Jörg Mandel sowie Herrn Dr. Markus Kröll danke ich dafür, dass sie mir auf der Zielgeraden den Rücken freigehalten haben. Einen großen Dank möchte ich auch den Kolleg*innen der IPA-Bibliothek für ihre kompetente Unterstützung bei der Literaturarbeit aussprechen. Herzlich bedanken möchte ich mich bei meiner Frau Doro und meinen Eltern. Ohne ihre Ge- duld, ihr Verständnis und ihre liebevolle Unterstützung wäre diese Arbeit nicht zustande ge- kommen. Ihnen widme ich diese Arbeit. Stuttgart, im Mai 2023 Ralph Schneider Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................. 13 Tabellenverzeichnis .................................................................................................................. 15 Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................................ 19 Kurzfassung .............................................................................................................................. 21 Abstract ..................................................................................................................................... 23 1 Einleitung ................................................................................................................... 24 1.1 Ausgangssituation ...................................................................................................... 25 1.2 Problemstellung .......................................................................................................... 27 1.3 Zielsetzung und Forschungsfragen ............................................................................. 30 1.4 Wissenschaftstheoretische Positionierung und Aufbau der Arbeit ............................ 33 2 Diskursbereich und begriffliche Grundlagen ............................................................. 39 2.1 Unternehmen der Elektrobranche ............................................................................... 39 2.2 Produktbezogener Umweltschutz und Restriktion von Stoffen ................................. 43 2.2.1 Der Begriff „Umwelt“ ........................................................................................ 43 2.2.2 Umweltschutz und Produktbezug ....................................................................... 45 2.2.3 Umweltpolitik ..................................................................................................... 48 2.2.4 Restriktionen von Stoffen als produktbezogenes Instrument der stoff- und produktbezogenen Umweltpolitik ...................................................................... 55 2.3 Compliance-Management .......................................................................................... 65 2.3.1 Compliance-Risiko und Rechtsrisiko ................................................................. 68 2.3.2 Compliance-Risikomanagement in Bezug auf produktbezogene Stoffrestriktionen ................................................................................................ 71 2.4 Informationssysteme .................................................................................................. 75 2.5 Zusammenfassung – Bezugsrahmen und Anwendungsbereich ................................. 77 6 Inhaltsverzeichnis 3 Konzeption der Vorgehensweise zum Entwurf des Datenmodells ............................. 81 3.1 Modellbegriff .............................................................................................................. 81 3.2 Daten, Informationen und Datenmodelle .................................................................... 83 3.3 Konzeptuelle Modelle sowie Referenzmodelle .......................................................... 85 3.4 Konzeptuelle Modellierung sowie Referenzmodellierung ......................................... 87 3.5 Modellierungsansätze und Darstellungstechniken ...................................................... 90 3.6 Modellierungsziele und Einschränkungen .................................................................. 93 3.7 Zusammenfassung – Vorgehensweise zur Modellierung ........................................... 95 4 Ermittlung der Anforderungen an das Referenzdatenmodell ..................................... 99 4.1 Ermittlung der regulatorischen Anforderungsbereiche ............................................. 100 4.1.1 Vorgehensweise für die Anforderungsermittlung ............................................. 100 4.1.2 Ergebnisse der Untersuchung – Regulatorische Anforderungsbereiche ........... 103 4.1.3 Auswahl der weiter zu betrachtenden Einzelregulierungen .............................. 116 4.2 Ermittlung der Anforderungen auf Basis von Standards und Werkzeugen im Kontext der Wertschöpfungskette (Stand der Technik) ...................................... 130 4.2.1 Standards zur grundsätzlichen Vorgehensweise bei der Beschaffung von Stoffinformationen ............................................................................................ 130 4.2.1.1 IEC/TR 62476 ............................................................................................... 130 4.2.1.2 EN IEC 63000 ............................................................................................... 134 4.2.1.3 Zusammenfassung der Anforderungen auf Basis der Standards zur grundlegenden Vorgehensweise bei der Beschaffung von Stoffinformationen ........................................................................................ 139 4.2.2 Stofflisten .......................................................................................................... 143 4.2.2.1 Arten und Ausprägungen von Stofflisten ...................................................... 144 4.2.2.2 Zusammenfassung zu den Anforderungen auf Basis von Stofflisten ............ 148 Inhaltsverzeichnis 7 4.2.3 Standardisierte Datenaustauschformate und -systeme zur Vereinfachung der Lieferkettenkommunikation ....................................................................... 149 4.2.3.1 IEC/TR 62474 ............................................................................................... 150 4.2.3.2 Europäische SCIP-Datenbank zur Unterstützung von EU REACH Artikel 33 ................................................................................. 155 4.2.3.3 Standardreihe IPC-175x ................................................................................ 159 4.2.3.4 Weitere Datenaustauschformate/-systeme .................................................... 163 4.2.3.5 Zusammenfassung der Anforderungen auf Basis standardisierter Datenaustauschformate und -systeme ........................................................... 165 4.2.4 Zusammenfassung zum Stand der Technik – Beiträge und Defizite im Hinblick auf die Entwicklung des internen Datenmodells ............................... 168 4.3 Verdichtung und Ergänzung der Anforderungen aus Sicht des Compliance- Managementprozesses .............................................................................................. 171 5 Referenzdatenmodell ................................................................................................ 181 5.1 Datenmodell in Bezug auf Status und Art der Betroffenheit ................................... 181 5.1.1 Herkunft stoff- und produktbezogener Regulierungen und Anforderungen .... 182 5.1.2 Relevanzprüfung ............................................................................................... 186 5.1.2.1 Prüfung der direkten Betroffenheit durch stoff-/produktbezogene Regulierungen ................................................................................................. 187 5.1.2.1.1 Räumlicher Geltungsbereich .................................................................... 187 5.1.2.1.2 Sachlicher Geltungsbereich ...................................................................... 190 5.1.2.1.3 Personeller Geltungsbereich ..................................................................... 205 5.1.2.1.4 Zeitlicher Geltungsbereich ....................................................................... 226 5.1.2.2 Prüfung der Relevanz von Kundenanforderungen ........................................ 232 5.1.3 Zwischenfazit – Datenmodell für die Relevanzprüfung ................................... 239 8 Inhaltsverzeichnis 5.2 Datenmodell in Bezug auf die Detailanforderungen (Soll-Werte) ........................... 240 5.2.1 Stoffidentifikation ............................................................................................. 241 5.2.2 Nutzungsbedingungen ....................................................................................... 246 5.2.3 Nachweisanforderungen .................................................................................... 257 5.2.3.1 Nachweise auf Produktebene ........................................................................ 260 5.2.3.1.1 Beschreibung/Charakterisierung des Produkts ......................................... 261 5.2.3.1.2 Nachweise zu Materialien, Bauteilen und/oder Baugruppen .................... 262 5.2.3.1.3 Zusammenhang zwischen Nachweisen und betroffenem Produkt ........... 274 5.2.3.1.4 Auflistung genutzter Normen und technischer Spezifikationen ............... 274 5.2.3.2 Nachweise auf Prozessebene ......................................................................... 276 5.2.4 Informationsanforderungen ............................................................................... 280 5.3 Datenmodell in Bezug auf die Feststellung des Status quo (Gap-Analyse) ............. 291 5.3.1 Festlegung der Objekte der stofflichen Aufklärung – Produktstruktur............. 292 5.3.2 Einflussnahme auf und Verantwortung für die stoffliche Zusammensetzung (Analyse der Lieferbeziehungen) ...................................................................... 298 5.3.3 Bewertung und Zuweisung der Informationen aus der Stoffaufklärung .......... 306 5.3.3.1 Ziele der Informationsbeschaffung und zu berücksichtigende Informationseigenschaften ............................................................................ 307 5.3.3.2 Erfassung der Informationsstände ................................................................. 309 5.3.3.3 Erfassung der Informationsqualität ............................................................... 315 5.3.3.4 Erfassung der Informationsgegenstände ....................................................... 326 5.3.3.5 Bestimmung und Erfassung der Verwertbarkeit der Informationen ............. 336 5.3.4 Zusammenfassung ............................................................................................. 338 6 Modellevaluation ...................................................................................................... 341 6.1 Vorgehensweise zur Evaluation des Datenmodells .................................................. 341 6.2 Expertenbefragungen ................................................................................................ 347 Inhaltsverzeichnis 9 6.3 Anwendungsbeispiel 1 ............................................................................................. 359 6.4 Anwendungsbeispiel 2 ............................................................................................. 368 6.5 Zusammenfassung zur Evaluation ............................................................................ 375 7 Reflexion und Ausblick ............................................................................................ 377 7.1 Reflexion zur Beantwortung der Forschungsfragen ................................................. 377 7.2 Ausblick .................................................................................................................... 381 8 Zusammenfassung .................................................................................................... 383 9 Literaturverzeichnis .................................................................................................. 395 10 Anhang ..................................................................................................................... 435 10.1 Anhang I – Detailliertes Vorgehen zur Ermittlung der regulatorischen Anforderungsbereiche und Auswahl von Einzelregulierungen ................................ 435 10.2 Anhang II – Gesprächsleitfaden für die Evaluation ................................................. 438 10.3 Anhang III – Übersicht zu Quellen, die für die Anforderungsableitung betrachtet wurden ...................................................................................................................... 440 10.4 Anhang IV – Übersicht zu den regulatorischen Anforderungsbereichen (RA) ....... 441 10.5 Anhang V – Übersicht zu den normativen Anforderungsbereichen (NA) ............... 443 10.6 Anhang VI – Übersicht zu Konkretisierungen auf Basis von Stofflisten (KS) ........ 445 10.7 Anhang VII – Übersicht zu Konkretisierungen auf Basis der Standards für den Datenaustausch (SD) ................................................................................................ 446 10.8 Anhang VIII – Übersicht zu Konkretisierungen auf Basis der SCIP-Datenbank .... 448 10.9 Anhang IX – Übersicht zu den Anforderungen auf Basis des Compliance Risiko Managements (CRM) ............................................................................................... 449 10.10 Anhang X – Übersicht zu den abgeleiteten Informationsbedarfen .......................... 452 10.11 Anhang XI – Übersicht zu den Datenbereichen, -entitäten und Attributen des Referenzdatenmodells als „flache Tabelle“ ............................................................. 453 10 Inhaltsverzeichnis 10.12 Anhang XII - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Gesamtmodell) ........................................................................................................ 497 10.13 Anhang XIII - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Herkunft der Anforderungen) .................................................................................. 498 10.14 Anhang XIV - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Geographischer Anwendungsbereich) ..................................................................... 499 10.15 Anhang XV - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Sachlicher Anwendungsbereich) ............................................................................. 500 10.16 Anhang XVI - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Personeller Anwendungsbereich) ............................................................................ 501 10.17 Anhang XVII - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Zeitlicher Anwendungsbereich) .............................................................................. 502 10.18 Anhang XVIII - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Qualifizierung der Anforderung/Restriktion) .......................................................... 503 10.19 Anhang XIX - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Stoffidentifikation inkl. Chemisches Element) ....................................................... 504 10.20 Anhang XX - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Nachweisanforderungen – SOLL) ........................................................................... 505 10.21 Anhang XXI - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Informationsanforderungen – SOLL) ...................................................................... 506 10.22 Anhang XXII - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Informationsdokumente – IST) .............................................................................. 507 10.23 Anhang XXIII - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Informationsstand – IST) ............................................................................... 508 10.24 Anhang XXIV - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Zuordnung zur Produktstruktur – Teil I) ................................................................. 509 10.25 Anhang XXV - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Zuordnung zur Produktstruktur – Teil II) ................................................................ 510 Inhaltsverzeichnis 11 10.26 Anhang XXVI - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Informationen Folgeverwendung) ........................................................................... 511 10.27 Anhang XXVII - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Einflussnahme / Verantwortlichkeit stoffliche Zusammensetzung) ....................... 512 10.28 Anhang XXVIII - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Identifikation Zulieferer/Hersteller) ........................................................................ 513 10.29 Anhang XXIX - Visualisierung des Referenzdatenmodells als ERD (Bewertung Zulieferer) ............................................................................................. 514 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1-1: Einordnung der vorliegenden Arbeit in die Wissenschaftssystematik (eigene Darstellung in Anlehnung an (Ulrich & Hill 1976, S.305)) .............. 34 Abbildung 1-2: Forschungsprozess (eigene Darstellung in Anlehnung an (Peffers et al. 2006; Peffers et al. 2007)) ........................................................ 35 Abbildung 2-1: Umwelt, Umfeld und Umsystem des Unternehmens als rechtliche Einheit (eigene Darstellung in Anlehnung an (Hopfenbeck 1995, S.971; Friedemann 1998, S.11)) ................................................................................ 45 Abbildung 2-2: Ausprägungen von Umweltschutzmaßnahmen (eigene Darstellung in Anlehnung an Junker 2013, S. 245) ............................................................... 47 Abbildung 2-3: Formen der Stoffrestriktionen, mögliche Regulierungsgegenstände und Wirkungsrichtungen (eigene Darstellung) ..................................................... 64 Abbildung 2-4: Compliance-relevante Regelwerke (eigene Darstellung in Anlehnung an Klotz 2009, S. 21) ........................................................................................... 66 Abbildung 2-5: Überblick zur Abgrenzung und den begrifflichen Zusammenhängen von Rechts- und Compliance-Risiken (eigene Darstellung) ................................. 70 Abbildung 2-6: Allgemeiner Ablauf zum Umgang mit Regulierungen/Kundenanforderungen bzgl. produktbezogener Stoffrestriktionen (eigene Darstellung) ................... 74 Abbildung 2-7: Bezugsrahmen und Anwendungsbereich für das zu entwickelnde Datenmodell (eigene Darstellung) .................................................................. 77 Abbildung 4-1: Vorgehensweise zur Ermittlung und Auswahl der Regulierungen (eigene Darstellung) ..................................................................................... 102 Abbildung 4-2: Anzahl der Regulierungen pro Region und definierter Kategorie – Auswertung nach Bereinigung der verwendeten Datensätze (eigene Darstellung) .................................................................................................. 105 Abbildungsverzeichnis 14 Abbildung 4-3: Übersicht ausgewählter Regulierungen als Grundlage für die Modell- entwicklung – Zusammenfassung der wesentlichen Argumente für die Auswahl pro Regulierung und Anforderungskategorie (eigene Darstellung) ...................................................................................... 129 Abbildung 4-4: Grundlegende Konzepte und Inhalte der Datenbereitstellung in Materialdeklarationen (eigene Darstellung in Anlehnung an (IEC 62474, S.10)) ........................................................................................ 152 Abbildung 4-5: Übersicht zur Bewertung der bisherigen Standards und Werkzeuge im Hinblick auf die Abdeckung regulatorischer Anforderungsbereiche sowie der Operationalisierung auf Informations- und Datenebene (eigene Darstellung) ................................................................................................... 169 Abbildung 4-6: Überblick zu den grundsätzlichen Informationsanforderungen, die durch das interne Datenmodell abgedeckt werden sollten (eigene Darstellung) .... 180 Abbildung 5-1: ER-Diagramm - Herkunft der SPA (eigene Darstellung) .............................. 186 Abbildung 5-2: Beispiele begrifflicher und definitorischer Zugänge zu relevanten Handlungen von SPR (eigene Darstellung) .................................................. 207 Abbildung 6-1: Mögliche Evaluationsbereiche der Referenzmodellierung (eigene Darstellung in Anlehnung an (Fettke & Loos 2004, S.12)) ............. 342 Abbildung 6-2: Evaluationsdesign im Rahmen der Forschungsarbeit (eigene Darstellung) ...................................................................................... 347 Abbildung 6-3: Übersicht zu den Prozessschritten beim Umgang mit SPA und zuge- ordnete Datenbereiche des Referenzdatenmodells (eigene Darstellung) ...... 361 Abbildung 6-4: Übersicht zu den Ergebnissen der Evaluation - qualitative Zusammen- fassung der Aussagen .................................................................................... 376 Tabellenverzeichnis Tabelle 1-1: Überblick zur Zielsetzung der Arbeit ............................................................... 31 Tabelle 3-1: Kernelemente des Entity-Relationship-Modells ............................................... 92 Tabelle 3-2: Kardinalitäten im Entity-Relationship-Modell gemäß Krähenfußnotation (Gadatsch 2017, S.11ff.) .................................................... 93 Tabelle 3-3: Erweiterungen des Entity-Relationship-Modells (Gadatsch 2017, S.18ff.) ..... 93 Tabelle 4-1: Regulatorischer Anforderungsbereich "geographischer Anwendungsbereich" ...................................................................................... 106 Tabelle 4-2: Regulatorischer Anforderungsbereich "sachlicher Anwendungsbereich" ...... 108 Tabelle 4-3: Regulatorischer Anforderungsbereich "Feststellung der Rolle" ..................... 109 Tabelle 4-4: Regulatorischer Anforderungsbereich "Stoffidentifikation" .......................... 112 Tabelle 4-5: Regulatorischer Anforderungsbereich "stoffliche Nutzungsbedingungen" .... 113 Tabelle 4-6: Regulatorischer Anforderungsbereich "Nachweisanforderungen" ................. 114 Tabelle 4-7: Regulatorischer Anforderungsbereich "Informationspflichten" ..................... 115 Tabelle 4-8: Normative Anforderungsbereiche "Regulatorische und Kundenanforderungen" ................................................................................... 139 Tabelle 4-9: Normative Anforderungsbereiche "Zielmärkte" ............................................. 140 Tabelle 4-10: Normative Anforderungsbereiche "Einfluss auf die stoffliche Zusammensetzung" ......................................................................................... 140 Tabelle 4-11: Normative Anforderungsbereiche "Kenntnis der Produktstruktur" ................ 141 Tabelle 4-12: Normative Anforderungsbereiche "Kenntnis der Stoffrestriktionen" ............. 141 Tabelle 4-13: Normative Anforderungsbereiche "Einschätzung der Wahrscheinlichkeit des Vorkommens restringierter Stoffe" .......................................................... 142 Tabelle 4-14: Normative Anforderungsbereiche "Nachweisanforderungen" ....................... 142 Tabelle 4-15: Normative Anforderungsbereiche "Bewertung der erhaltenen Informationen / Nachweise" ........................................................................... 143 Tabellenverzeichnis 16 Tabelle 4-16: Beispiele zu bekannten branchenspezifischen Stofflisten (Teil I) ................. 145 Tabelle 4-17: Übersicht zu bekannten branchenspezifischen Stofflisten (Teil II) ............... 146 Tabelle 4-18: Übersicht zu bekannten branchenspezifischen Stofflisten (Teil III) .............. 147 Tabelle 4-19: Stofflisten – Konkretisierung notwendiger Daten und zugehörige Anforderungsbereiche ................................................................. 149 Tabelle 4-20: Materialdeklarationsklassifizierung gemäß IPC-1752B (IPC 1752B, S.1) .... 160 Tabelle 4-21: Standards zum Datenaustausch – Konkretisierung notwendiger Daten und zugehörige Anforderungsbereiche (Teil I) ................................... 166 Tabelle 4-22: Standards zum Datenaustausch – Konkretisierung notwendiger Daten und zugehörige Anforderungsbereiche (Teil II) .................................. 167 Tabelle 4-23: SCIP-Datenbank – Konkretisierung notwendiger Daten und zugehörige Anforderungsbereiche (Teil I) ........................................................................ 167 Tabelle 4-24: SCIP-Datenbank – Konkretisierung notwendiger Daten und zugehörige Anforderungsbereiche (Teil II) ...................................................................... 168 Tabelle 4-25: Informationsanforderungen bzgl. der Herkunft von SPA (CRM-Prozessschritt 1) .................................................................................. 173 Tabelle 4-26: Informationsanforderungen bzgl. der Relevanzprüfung von SPA (CRM-Prozessschritt 2) .................................................................................. 175 Tabelle 4-27: Informationsanforderungen bzgl. der Zielzustände von SPA (CRM-Prozessschritt 3) (Teil I) ..................................................................... 176 Tabelle 4-28: Informationsanforderungen bzgl. der Zielzustände von SPA (CRM-Prozessschritt 3) (Teil II) .................................................................... 177 Tabelle 4-29: Informationsanforderungen bzgl. des Status quo der Erfüllung von SPA (CRM-Prozessschritt 4) .................................................................................. 179 Tabelle 6-1: Kriterien für die Evaluation im Rahmen dieser Forschungsarbeit (I) ............ 344 Tabelle 6-2: Kriterien für die Evaluation im Rahmen dieser Forschungsarbeit (II) ........... 345 Tabelle 6-3: Anwendungsbeispiel 1 - Zusammenfassung der Ergebnisse aus der Anwendung des Referenzdatenmodells (I) .................................................... 362 Tabellenverzeichnis 17 Tabelle 6-4: Anwendungsbeispiel 1 - Zusammenfassung der Ergebnisse aus der Anwendung des Referenzdatenmodells (II) .................................................... 363 Tabelle 6-5: Anwendungsbeispiel 1 - Bewertung des Referenzdatenmodells (I) ............... 365 Tabelle 6-6: Anwendungsbeispiel 1 - Bewertung des Referenzdatenmodells (II) .............. 366 Tabelle 6-7: Anwendungsbeispiel 1 - Bewertung des Referenzdatenmodells (III) ............ 367 Tabelle 6-8: Anwendungsbeispiel 2 - Zusammenfassung der Ergebnisse aus der Anwendung des Referenzdatenmodells (I) ..................................................... 370 Tabelle 6-9: Anwendungsbeispiel 2 - Zusammenfassung der Ergebnisse aus der Anwendung des Referenzdatenmodells (II) .................................................... 371 Tabelle 6-10: Anwendungsbeispiel 2 - Bewertung des Referenzdatenmodells (I) ............... 372 Tabelle 6-11: Anwendungsbeispiel 2 - Bewertung des Referenzdatenmodells (II) .............. 373 Tabelle 6-12: Anwendungsbeispiel 2 - Bewertung des Referenzdatenmodells (III) ............ 374 Tabelle 6-13: Anwendungsbeispiel 2 - Bewertung des Referenzdatenmodells (IV) ............ 375 Abkürzungsverzeichnis bspw. beispielsweise bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise CRM Compliance Risk Management DM Datenmodell ECHA Europäische Chemikalienagentur ER Entity Relationship ERD Entity-Relationship-Diagramm ERM Entity-Relationship-Modell evtl. eventuell ggf. gegebenenfalls i.d.R. in der Regel i.e.S. im engeren Sinne i.S. im Sinne insb. insbesondere inkl. inklusive IPP Integrierte Produktpolitik IS Informationssysteme m.E. mit Einschränkung SPA stoff- und produktbezogene Anforderung SPR stoff- und produktbezogene Regulierungen SPU stoff- und produktbezogener Umweltschutz u.a. unter anderem u.U. unter Umständen UIS Umweltinformationssystem UML Unified Modelling Language vs. versus z.B. zum Beispiel Kurzfassung Unternehmen der Elektrobranche sehen sich auf internationalen Märkten und in ihren Wert- schöpfungsketten einer steigenden Zahl von Anforderungen gegenüber, die die Zusammenset- zung ihrer Produkte durch stoffliche Restriktionen beeinflussen. Diese Anforderungen stam- men vorwiegend aus regulatorischen Vorgaben, die dem Umweltschutz im Rahmen der Um- welt- und Stoffpolitik zuzuordnen sind. Die regulatorischen Anforderungen werden zudem durch Kundenanforderungen aufgegriffen und teilweise über das regulatorische Maß hinaus ergänzt. Die stoff-/produktbezogenen Anforderungen müssen erfüllt werden, um den Markt- und Kundenzugang zu erhalten. Um dies bewerkstelligen zu können, müssen die jeweils adressierten Unternehmen über ein solides Datenmanagement verfügen, das es ermöglicht, Auskunft über die Art und den Status der Betroffenheit zu geben, zu erreichende Zielwerte und den zugehörigen Ist-Status auf Pro- duktebene zu erfassen und Verantwortlichkeiten für die stoffliche Zusammensetzung der Pro- dukte und deren Bestandteile auszuwerten. Hierzu existieren zwar punktuelle Lösungen, aber die gesamtheitliche Sicht auf die zur Erfüllung der Anforderungen notwendigen Daten fehlt. Entsprechend dieser Problemstellung war es Ziel der vorliegenden Arbeit, die erforderliche Da- tenbasis zu identifizieren, die von Unternehmen der Elektrobranche idealtypisch benötigt wird, um den Anforderungen nachkommen zu können. Dies wurde erreicht, indem aus einem Satz fundiert ausgewählter Regulierungen, relevanter Standards und Werkzeuge sowie unter Be- rücksichtigung unternehmensinterner prozessualer Abläufe die einzelnen Informationsanforde- rungen systematisch abgeleitet und anschließend bis auf Datenebene operationalisiert wurden. Die notwendigen Daten wurden in einem konzeptuellen Referenzdatenmodell konsolidiert und in einem Entity-Relationship-Diagramm visualisiert. Das Referenzdatenmodell umfasst insge- samt 16 verschiedene Datenbereiche, die auf dem Grundgerüst eines unternehmensinternen Compliance -Prozesses beruhen und als Teilmodelle aufgefasst werden können. In den Daten- bereichen wurden 79 Datenentitäten definiert, die in Summe 375 Attribute beinhalten. Die Erreichung der Zielsetzungen der Arbeit sowie der Nutzen des Referenzdatenmodells konn- ten schließlich in Expertenbefragungen und einzelnen Anwendungsbeispielen bewertet und be- stätigt werden. Abstract Companies in the electrical industry are facing an increasing number of requirements in inter- national markets and in their value chains, which influence the composition of their products through substance restrictions. These requirements primarily originate from regulatory require- ments in the field of environmental protection within the framework of environmental and ma- terials policy. These regulatory requirements are also transferred into customer requirements, sometimes adding to them requirements which exceed the regulatory scope. The fullfillment of these substance and product related requirements is essential to maintain market and customer access. In order to meet the requirements, affected companies need a solid data management system. Such a system needs to make it possible to provide information about the type and status of the requirements, to record the target values to be achieved and the associated actual status at prod- uct level, and to determine the responsibilities for the material composition of the products and their components. Although some selective solutions exist for this purpose, they do not consider the required data holistically to meet the requirements. To adress this problem, the aim of this work was to identify the required data basis, which is typically needed by companies in the electrical industry, in order to be able to fulfill these re- quirements. This was achieved by systematically deriving the individual information require- ments from a set of well-selected regulations, relevant standards and tools, and taking into ac- count internal company processes, which were then operationalised down to the data level. The data that was defined to be necessary was consolidated in a conceptual reference data model and visualized in an entity relationship diagram. The reference data model comprises a total of 16 different data areas, which are based on the basic framework of an internal corporate com- pliance process and can be regarded as submodels. In these data areas, 79 data entities were defined, which contain a total of 375 attributes. Finally, expert surveys and several application examples were used to evaluate and confirm the level of achievement of the initially defined objectives and the benefits of the reference data model. 1 Einleitung 1.1 Ausgangssituation Die Geschichte des Umweltschutzes ist geprägt von Turbulenzen und einer sprunghaften Ent- wicklung. Dennoch hat es das Thema Umweltschutz spätestens seit dem Ende des letzten Jahr- hunderts zu einer weltweiten Beachtung gebracht. (Strübel 1992, S.9; Schmid & Pröll 2020, S.81f.) Zu drängend waren Fragen und Probleme, die durch Zerstörung und Belastung der Um- welt hervorgerufen wurden. Das gesteigerte gesellschaftliche Bewusstsein für die Erhaltung der Lebensgrundlagen mündete auch darin, dass sich die Umweltpolitik als eigenständiger Politik- bereich in vielen Ländern der Welt etablieren konnte. In Folge war der Umweltschutz auch immer stärker gesetzlicher Regulierung unterworfen. Die Erfahrungen, die dabei mit verschie- denen Aspekten des Umweltschutzes und den Instrumenten gemacht wurden, veränderten über die Jahre immer wieder die Herangehensweisen. Neue geregelte Handlungs- und Entwicklungs- felder sind hinzugetreten, Ansatzpunkte und Maßnahmen sowie Kontrollmechanismen wurden weiterentwickelt. (Böcher & Töller 2012, S.19) Während in der Vergangenheit bspw. der Schwerpunkt auf der Betrachtung von Produktions- prozessen und deren Auswirkungen lag, rückten neuere Ansätze des Umweltschutzes die Pro- dukte selbst und ihren Lebenszyklus in den Fokus. (EU Kommission 2001) Neben Aspekten wie der Ressourceneffizienz bei Herstellung und Nutzung (bspw. Energie, Material) von Pro- dukten, werden zunehmend auch Hebel wie Lebensdauerverlängerung (etwa Reparierbarkeit) und Recyclingfähigkeit (bspw. Demontierbarkeit), aber auch die stoffliche Zusammensetzung, also die chemische Komposition bestimmter Produkte geregelt und gefordert. (Phyper & MacLean 2009) In Bezug auf als gefährlich erachtete Stoffe wurden in den letzten Jahren zahlreiche regulatori- sche Vorschriften erlassen (Merenyi 2011, S.165f; Miehe et al. 2015), die den Einsatz bestimm- ter Stoffe in Produkten gänzlich verbieten, einschränken, finanziell durch bspw. gesonderte Steuern belasten oder zumindest an Informationspflichten gegenüber Verwendern und staatli- chen Behörden knüpfen. Die Steuerung der chemischen Zusammensetzung und möglicher Gefahren hat sich dabei in mehrerlei Hinsicht als kritisch für eine präventive Umweltpolitik erwiesen. (UNEP 2013, S.7ff.) Das grundlegende Credo ist dabei eher einfach: Sind bestimmte chemische Stoffe in 26 1 Einleitung Produkten erst gar nicht enthalten, können diese während der Produktnutzung und der Entsor- gung auch nicht in die Umwelt gelangen. Oder: Sofern sich die Nutzung nicht vermeiden lässt, soll zumindest offengelegt und transparent gemacht werden, welche Stoffe in welchen Mengen über bestimmte Produkte im Güterstrom enthalten sind. Dieses Vorsorge- und Transparenz- prinzip findet weltweit in stoff- und produktbezogenen Regulierungen seinen Niederschlag. (UBA 2015c) Bestimmte Produkte werden dabei von den Gesetzgebern mit besonders hoher Priorität betrach- tet und zwar u.a. jene, die Massegüter sind, ein hohes Abfallaufkommen verursachen oder auf- grund ihres Einsatzzwecks und ihrer chemischen Zusammensetzung sowohl die Umwelt als auch die menschliche Gesundheit gefährden können. (BMUV 2022) Aber nicht nur die Gesetz- geber fordern ökologisch verträglichere Produkte. Auch die Kunden, seien es nun private End- verbraucher oder Unternehmen, entwickeln ein stärkeres Interesse daran, dass Produkte „stoff- lich“ möglichst unbedenklich sind – sei es nun aus gesundheitlichen Gründen, um die Umwelt zu schonen oder im Falle von Unternehmen, um selbst gesetzliche Anforderungen zu erfüllen sowie dem Nachhaltigkeitsgedanken in Selbstverantwortung Rechnung zu tragen. (Emmett & Sood 2010) Unternehmen mit in diesem Sinne priorisierten Produkten, sehen sich daher einer stetig wach- senden Anzahl an gesetzlichen und kundeninduzierten Anforderungen aus dem Umweltschutz gegenüber. Produkte der Elektrobranche erfüllen häufig die Kriterien priorisierter Produkte (Deutsche Umwelthilfe 2022) und werden daher weltweit u.a. durch regulatorische, stoffliche Anforderungen adressiert. Die Unternehmen der Elektrobranche sind daher gehalten, den mittlerweile umfassenden An- forderungen nachzukommen. Werden die stofflichen Anforderungen nicht eingehalten und/oder kann den Informationspflichten nicht nachgekommen werden, kann dies, je nach An- forderung, weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Die Regulierungen selbst sehen Ord- nungswidrigkeiten und auch Straftatbestände vor, die mit teilweise höheren Bußgeldern oder auch Freiheitsstrafen belegt werden können. Zudem kann der Marktzugang durch sogenannte Inverkehrbringungsverbote verwehrt werden sowie die Rücknahme von bereits auf dem Markt befindlichen Produkten angeordnet werden. Darüber hinaus können Verstöße aber auch das Wettbewerbs- und Gewährleistungsrecht berühren, wonach bspw. Schadensersatzklagen folgen 1 Einleitung 27 können. Unabhängig von den rein rechtlichen Folgen können Wertschöpfungsketten empfind- lich gestört werden, wenn Zulieferer etwa den Anforderungen nicht nachkommen können und „gesperrt“ werden müssen. Schließlich ist bei einer Nicht-Einhaltung der Anforderungen auch mit Image- und Reputationsverlusten zu rechnen. Die möglichen Konsequenzen werden von einer Intensivierung der Kontrolle begleitet. Einer- seits sehen gesetzlich geregelte Konformitätsbewertungsverfahren teilweise vor, dass Drittpar- teien die jeweiligen Produkte auf die Erfüllung bestimmter stofflicher Anforderungen bei Markteintritt überprüfen. Aber auch dort, wo es in der Eigenverantwortung der Unternehmen verbleibt, die Erfüllung der Anforderungen im ersten Schritt zu kontrollieren, organisiert sich mittlerweile eine zunehmend starke staatliche Marktüberwachung, um die Einhaltung der stoff- lichen Anforderungen zu gewährleisten. Neben den staatlichen Überwachungsmöglichkeiten bauen aber auch Unternehmen in den Wertschöpfungsketten selbst entsprechende Kontrollme- chanismen (bspw. Analysen in eigenen oder Dienstleister-Laboren) aus, um die Erfüllung der Anforderungen sicherzustellen. Insgesamt ergibt sich aus den Konsequenzen und der zunehmenden Entdeckungswahrschein- lichkeit ein hohes Risiko für Unternehmen mit Produkten, die von stofflichen Anforderungen betroffen sind. Um empfindliche Sanktionen zu vermeiden, den Marktzugang zu gewährleisten und die Wettbewerbsfähigkeit zu wahren, müssen sie den Anforderungen systematisch nach- kommen. 1.2 Problemstellung In der Ausgangssituation wird bereits deutlich, dass Unternehmen der Elektrobranche immer mehr stoff- und produktbezogenen Anforderungen unterliegen (Denecken 2004, S.391; Kirsch- ner 2022a, S.4) und die Umsetzung der an die Produkte gestellten Anforderungen immer wich- tiger wird (CLI et al. 2020, S.18ff.). Dabei ist zunächst unerheblich, ob nun die Anforderungen bzgl. der stofflichen Zusammenset- zung der Produkte auf Basis gesetzlicher Verpflichtungen oder aber per Kundenanforderung an die Unternehmen herangetragen werden. Im Grunde ziehen diese Anforderungen vergleichbare Ansprüche nach sich und müssen eingehalten werden. (Kleinfeld & Martens 2018, S.6f; Kreipl 2020, S.130f.) 28 1 Einleitung Die Unternehmen müssen zum einen Sorge dafür tragen, dass die jeweiligen stofflichen Anfor- derungen auf technischer Ebene bekannt sind und erfüllt werden, zum anderen müssen sie aber auch in der Lage sein, entsprechende Informationen zur stofflichen Zusammensetzung zu kom- munizieren sowie eine fundierte Aussage zu machen, ob und inwiefern die stofflichen Anfor- derungen erfüllt sind. (Miehe et al. 2015, S.291f; ZVEI 2022, 4; 7) Mit der Erfüllung der stofflichen Anforderungen sind daher verschiedenste Aufgaben ver- knüpft. Die jeweiligen Gesetze und Anforderungen müssen erfasst und aktualisiert, die Betrof- fenheit der Produkte muss geprüft, etwaige Informations- sowie Dokumentationslücken müssen geschlossen, technische Änderungen umgesetzt und schließlich müssen, je nach Regulierung, die entsprechenden Bewertungsregime durchlaufen werden, um ein Produkt nebst erforderli- cher Kennzeichnung, Dokumentation und begleitenden Informationen bereitstellen zu können. (Müller 2021, S.151ff.) Dies bedarf bisweilen umfangreichen Know-hows bzgl. der technischen Umsetzung von Ver- fahren und Konstruktionen (technisch-werkstoffliche Ebene), der Etablierung von geregelten Abläufen (Ablauforganisation) und der Definition von Verantwortlichkeiten (Aufbauorganisa- tion), aber auch einer soliden Datengrundlage. (Lienig & Bruemmer 2017, S.193ff; CLI et al. 2020, S.126; Müller 2021, S.238; Sauer 2022, S.8) Die vorliegende Arbeit widmet sich dem letzten Punkt: der Etablierung einer geeigneten Da- tengrundlage. Die Datengrundlage und das Management dieser Daten nimmt eine zentrale Rolle ein, um die stofflichen Anforderungen an die Produkte in geeigneter Weise zu erfassen, entsprechende Prozesse oder technische Änderungen anzustoßen sowie Informationen zur stofflichen Zusammensetzung zu beschaffen und zu kommunizieren. Dabei nimmt die Bedeutung des Datenmanagements zu. (Freundlieb & Teuteberg 2009, S.129; Thimm 2022, S.188f.) Bereits in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die steigende Zahl der stoff- und produktbezogenen Regulierungen nicht einfach nur bedeutet, dass weitere Ge- setze die immer gleichen Daten und Informationen abfordern. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Regulierungen, vor allem auch im internationalen Kontext, setzen bspw. an unterschied- lichen Produktdefinitionen, Stoffen oder Referenzwerten an, lassen unterschiedliche Ausnah- men zu oder setzen u.a. unterschiedliche Ansprüche an Dokumentation und Nachweisführung. (Miehe et al. 2015, S.291; Buckreus et al. 2021, S.1f; Kirschner 2022b) Um die komplexen 1 Einleitung 29 Anforderungen zu überblicken und zu erfüllen, wird es für Unternehmen mit betroffenen Pro- dukten immer wichtiger, ein geeignetes Datenmanagement in Bezug auf die Anforderungen aufzubauen und weiterzuentwickeln. (Thimm 2016, S.1f.) Bisher richteten sich in diesem Kontext die Anstrengungen der Industrie zunächst darauf, die regulatorische Landschaft grundsätzlich zu erfassen. Hier haben sich mehrere Dienstleistungen herauskristallisiert, die im Kern versuchen, die internationale Gesetzgebung zum produktbezo- genen Umweltschutz zu inventarisieren, zu kategorisieren und inhaltlich zusammenzufassen. Auf diese Weise werden grundlegende Daten über die Gesetze und ihre Anforderungen bereit- gestellt. (siehe bspw. Butler 2011, S.6ff.) Darüber hinaus gibt es Initiativen, die sich mit der informationstechnisch gestützten Kommu- nikation von Daten und Informationen in der Lieferkette beschäftigen. In der Automobilindust- rie wurde bspw. das Internationale Materialdatensystem (IMDS) ins Leben gerufen. Darin wer- den genutzte Werkstoffe sowie Lieferantenerklärungen erfasst und u.a. gegenüber bestehenden stofflichen Anforderungen geprüft. Ähnliche Systeme existieren auch von anderen Anbietern und in weiteren Branchen (bspw. BOMCheck, Assent, iPoint, Tec4u). Im Mittelpunkt dieser Lösungen steht der Datentausch zwischen den Unternehmen. Primär adressiertes Problem ist es bei diesen Lösungen, über die komplexen und arbeitsteiligen Lie- ferketten möglichst effizient stoffliche Informationen von einer Vielzahl von Lieferanten zu beschaffen. In diesen Bereich zielen auch viele Normungsinitiativen, die versuchen, die Daten- strukturen und Inhalte zu standardisieren, die in der Lieferkette weitergegeben werden sollen (bspw. IEC 62474, IPC1751A/1752A). (Schiffleitner et al. 2012, 2ff; Umweltbundesamt 2015, S.20ff.) Um diesen Datenaustausch herum haben sich weitere Lösungen etabliert, die eine Ana- lyse und Bewertung der Daten und Informationen (bspw. Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit der Daten oder Prüfung gegen vordefinierte Kriterien) bewerkstelligen sowie ein Reporting er- möglichen sollen. Gemeinsam ist diesen Aktivitäten und Lösungen, dass sie das interne Datenmanagement in Be- zug auf restringierte Stoffe in den Unternehmen selbst nur wenig beleuchten. Um bspw. die externe Kommunikation überhaupt in geeigneter Weise bedienen zu können, müssen bestimmte Informationen etwa über die richtige Produkteinstufung, die verschiedenen Rollen unter den Gesetzen sowie über erforderliche Nachweise bereits vorab im Unternehmen generiert werden. Welche Daten hierfür typischerweise intern benötigt werden, ist in den Lösungen aber nicht 30 1 Einleitung bzw. nicht vollständig abgebildet. (siehe bspw. Thimm 2015; Takhara & Liyange 2017) Zudem sind die Lösungen oftmals an den Mindesterfordernissen und einzelnen Gesetzen ausgerichtet und nicht daran, wie das Datenmanagement nachhaltig an den Entwicklungen im Kontext des stoff- und produktbezogenen Umweltschutzes ausgerichtet werden kann. Dennoch haben die genannten Lösungen ihre Existenzberechtigung und besitzen ihrerseits einen Einfluss auf das interne Datenmanagement eines Unternehmens. Insgesamt haben Unternehmen, die ein geeignetes Datenmanagement auf- oder ausbauen wol- len, daher nur wenig Orientierung, welche Daten für die Bewältigung der Aufgaben im Rahmen der stoffbezogenen Anforderungen benötigt werden. Trotz einiger Aktivitäten privatwirtschaft- licher Akteure, sind bisher keine Ansätze bekannt, die diese Defizite bzgl. des internen Daten- managements in den Mittelpunkt stellen und Erfordernisse systematisch ableiten. An dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an. 1.3 Zielsetzung und Forschungsfragen Vor dem Hintergrund dieser Problemstellung lautet die Zielsetzung dieser Arbeit wie folgt: Es soll ein geeignetes Hilfsmittel bereitgestellt werden, das Unternehmen der Elektrobranche dabei unterstützt, jene Daten zu identifizieren und zu strukturieren, die in Bezug auf restringierte Stoffe im Rahmen des produktbezogenen Umweltschutzes typischerweise erfasst und verarbei- tet werden müssen. Damit sollen die Unternehmen in die Lage versetzt werden, Informationen zu generieren, die benötigt werden, um die Betroffenheit und Einhaltung stoff- und produktbe- zogener Anforderungen an ein Produkt bestimmen zu können und Maßnahmen zur Steuerung der Compliance einzuleiten. Damit das Hilfsmittel künftig bei der Gestaltung von Informationssystemen eingesetzt werden kann, ergibt sich die Aufgabenstellung, es als Datenmodell auszugestalten. Dabei soll das Datenmodell sowohl in der Neuentwicklung eines entsprechenden Informations- systems als auch bei der Weiterentwicklung bestehender Systeme eine Orientierung bieten. Da die Unternehmen der Elektrobranche über ihre Produkte im Kontext weltweiter Beschaf- fungs- und Absatzmärkte sehr unterschiedlichen stoff- und produktbezogenen Anforderungen unterliegen, müssen für ein umfassendes Datenmodell zudem bestehende sowie absehbare An- forderungen berücksichtigt und auch internationale Forderungen des stoff- und produktbezoge- nen Umweltschutzes (im Folgenden kurz: SPU) miteinbezogen werden. 1 Einleitung 31 Letztlich soll das Datenmodell sowohl für den praktischen Einsatz in Unternehmen als auch für weiterführende Forschung wiederverwendet werden können. In diesem Sinne soll ein „Refe- renzdatenmodell“ geschaffen werden. Um möglichst implementierungsunabhängig zu bleiben, soll die Modellierung auf einer konzeptuellen Ebene verbleiben. Auf eine konkrete Implemen- tierung und die Überführung in ein physisches Datenmodell wird daher bewusst verzichtet. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Zielsetzung der Arbeit. Tabelle 1-1: Überblick zur Zielsetzung der Arbeit Anwendungs- dimension - Unternehmen der Elektrobranche - Informationssysteme im Kontext des SPU (Ex-ante- / Ex-post- Betrachtungen) - Planung und Steuerung im Rahmen der Compliance-Funktion Gestaltungs- dimension - Erweiterter Betrachtungsrahmen (weltweite/internationale Anforderungen, Wert- schöpfungszusammenhang sowie interner Compliance-Prozess) - Inhalte und Struktur der Informationsanforderungen - Beschreibung, Strukturierung und Darstellung der Beziehungen notwendiger Daten Ergebnisdi- mension - Systematische Abbildung der benötigten Datenstrukturen des Anwendungsbereiches - Konzeptuelles Datenmodell als interdisziplinäres Abstimmungskonstrukt (Vorweg- nahme / Standardisierung des Fachentwurfs) - Ermöglichung der Identifikation von fehlenden/überflüssigen Daten - Ermöglichung der Identifikation von Entwicklungspotenzialen der (datenbasierten) Informationssysteme im SPU Die beschriebene Zielsetzung der Arbeit soll durch die Beantwortung der folgenden zentralen Forschungsfrage (ZF) erreicht werden: ZF: „Welche Datenbasis benötigen Unternehmen der Elektrobranche idealerweise, um internationalen Anforderungen des SPU in der Elektrobranche nachkommen zu kön- nen?“ Die Beantwortung dieser zentralen Forschungsfrage erfolgt anhand der sukzessiven Bearbei- tung von Teilforschungsfragen (TF). Zunächst ist zu betrachten, aus welchen Quellen die stoff- /produktbezogenen Anforderungen stammen können. Dies ist Gegenstand der ersten Teilfor- schungsfrage. 32 1 Einleitung TF 1: „Welches sind die relevanten, zu berücksichtigenden Bezugssysteme, aus denen Anforderungen im Bereich des SPU erwachsen können? Sind die Bezugssysteme und Quellen der Anforderungen grundsätzlich bekannt, stellt sich in Folge die Frage, worin die stoff-/produktbezogenen Anforderungen bestehen können. TF 2: „Worin bestehen diese stoff-/produktbezogenen Anforderungen im internationa- len Kontext in der Elektrobranche?“ Um letztlich ein Referenzmodell für die interne Datenbasis entwerfen zu können, muss zudem geklärt werden, inwiefern sich diese Anforderungen strukturieren, kategorisieren und zusam- menfassen lassen und so ein grundlegendes Datengerüst ermöglichen. Herauszuarbeiten sind also sowohl gemeinsame Aspekte, als auch entsprechende Unterschiede in den Anforderungen. TF 3: „Inwiefern lassen sich diese stoff-/produktbezogenen Anforderungen im interna- tionalen Kontext in der Elektrobranche kategorisieren und standardisieren?“ In Zusammenhang mit TF 3 soll auch untersucht werden, inwieweit diese mögliche, grundle- gende Struktur auf künftige Anforderungen übertragbar ist. Mit der Beantwortung der TF 1-3 sollen die grundsätzlichen stoff-/produktbezogenen Anforde- rungen im internationalen Kontext der Elektrobranche identifiziert und strukturiert sein. Die Anforderungen sollten sich als grundsätzliche Informationsbedarfe im Rahmen des SPU formulieren lassen, aus denen anschließend die entsprechenden benötigten Daten abgeleitet werden können. Der Fokus der folgenden Teilforschungsfragen richtet sich daher auf die Erar- beitung des eigentlichen Datenmodells. Zunächst soll festgehalten werden, welche Lösungen bereits in Theorie und Praxis bestehen, die – ausgehend von den Informationsbedarfen – Aus- sagen zu notwendigen Daten machen. Diese Punkte werden in TF 4 adressiert. TF 4: „Existieren Teillösungen, die bereits die notwendigen Daten im Hinblick auf die stoff-/produktbezogenen Anforderungen bzw. auf die definierten Informationsbedarfe betrachten und beschreiben?“ Existieren solche Teillösungen, dann sollen diese für die Entwicklung des internen Datenmo- dells herangezogen werden. Auf Basis der Teilergebnisse zu den vorangegangenen TF soll schließlich das interne Datenmodell entwickelt werden. Leitend ist dabei die letzte Teilfor- schungsfrage TF 5. TF 5: „Wie lassen sich aus den Anforderungen bzw. Informationsbedarfen die idealty- pisch notwendigen Daten ableiten und strukturieren?“ 1 Einleitung 33 1.4 Wissenschaftstheoretische Positionierung und Aufbau der Arbeit Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten die Problemstellung und das Forschungsziel präzisiert wurden, soll nun die grundlegende wissenschaftstheoretische Positionierung und die Forschungsmethodik expliziert und ergänzt werden. Die Wissenschaftstheorie – als philosophische Disziplin – befasst sich mit dem wissenschaftli- chen Arbeiten an sich. Sie erarbeitet Grundlagen dafür, wie Wissenschaft betrieben werden soll und wie wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse gewonnen, überprüft und angewendet werden können. Ein einheitliches und feststehendes System gibt es jedoch nicht. Vielmehr existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Erkenntniswege. (Brühl 2017, S.3f.) Die verschiedenen Wissenschaften haben jedoch ein Selbstverständnis darüber entwickelt, wel- cher Gegenstandsbereich mit welchen Zielsetzungen und welcher Methodik behandelt, erfasst und erklärt werden soll. Nach dem Gegenstandsbereich können zunächst zwei verschiedene Wissenschaftsformen un- terschieden werden: Formalwissenschaften und Realwissenschaften (Helfrich 2016, S.4f.) Die Formalwissenschaften sind darauf gerichtet, formale Systeme losgelöst von der Realität zu ana- lysieren. Sie identifizieren Zeichensysteme und entwickeln Regeln zur formal richtigen Ver- wendung dieser Zeichensysteme (wie bspw. in den Wissenschaftsdisziplinen Mathematik, Phi- losophie oder Logik). Inhalt der Realwissenschaften ist die Beschreibung, Erklärung und Ge- staltung empirisch wahrnehm- und nachweisbarer Wirklichkeiten. (Corsten & Reiß 2008, S.3f.) Gemäß dem formulierten Forschungsgegenstand ist die vorliegende Arbeit damit den Realwis- senschaften zuzuordnen. Da hier Datenmodelle bzw. im weiteren Sinne Informationssysteme betrachtet werden sollen, lässt sich der Gegenstandsbereich weiter in den Kulturwissenschaften und der Disziplin der Wirtschaftsinformatik verorten. In Bezug auf die Zielsetzung lässt sich zwischen Grundlagenwissenschaften und Anwendungs- wissenschaften differenzieren. Erstere richtet ihr Interesse auf experimentelle oder theoretische Arbeit und auf die Gewinnung neuer Erkenntnisse über die Grundlagen von Phänomenen und beobachtbaren Tatsachen. Dabei steht keine bestimmte Anwendung oder Nutzung im Vorder- grund. Die Anwendungswissenschaften streben zwar ebenfalls nach der Gewinnung neuer Er- kenntnisse auf Basis von originären Untersuchungen, diese sollen jedoch schwerpunktmäßig einem bestimmten praktischen Ziel oder Zweck dienen. (OECD 2002, S.30) Ulrich grenzt die 34 1 Einleitung angewandte Forschung ebenfalls über den direkten Bezug zur praktischen Problemstellung und der Erforschung anwendbarer Lösungen ab. Das Praxisproblem ist Ausgangspunkt der For- schung und soll durch wissenschaftliche Theorien aus der anwendungsorientierten oder theore- tischen Grundlagenforschung gelöst werden. (Ulrich & Schwaninger 2001, S.71) Insofern ist diese Arbeit zunächst der angewandten Forschung zuzuschreiben. Das zuvor be- schriebene Problem entspringt der Praxis und das Forschungsziel ist darauf gerichtet, einen Lösungsbeitrag zu diesem Problem zu leisten. Eine zusammenfassende Positionierung der vor- liegenden Arbeit findet sich in Abbildung 1-1. Abbildung 1-1: Einordnung der vorliegenden Arbeit in die Wissenschaftssystematik (eigene Darstellung in Anlehnung an (Ulrich & Hill 1976, S.305)) Darüber hinaus werden in der Wirtschaftsinformatik bzgl. der Forschungsziele vier grundle- gende Richtungen diskutiert. Zum einen wird zwischen Erkenntnis- und Gestaltungsziel unter- schieden. Bei Erkenntniszielen geht es um das Verstehen gegebener Sachverhalte, während Gestaltungsziele mit dem Streben nach der Gestaltung bzw. Veränderung bestehender Sachver- halte einhergehen. Zum anderen wird zwischen methodischem und inhaltlich-funktionalem Auftrag unterschieden. Der methodische Auftrag besteht im Verstehen und Entwickeln von Wissenschaft Formalwissenschaften Realwissenschaften Konstruktion von Zeichensystemen Erklärung empirischer Wirklichkeitsausschnitte Analyse menschlicher Handlungsalternativen Grundlagenwissenschaften Anwendungswissenschaften Philosophie, Logik & Mathematik Naturwissenschaften Sozial- & Betriebswissenschaften (Kulturwissenschaften) Wesentliche Positionierung der vorliegenden Arbeit in der Wirtschaftsinformatik als Kulturwissenschaft und als Schnittstellendisziplin zwischen Betriebswissenschaften, Technik & Informatik 1 Einleitung 35 Methoden und Techniken zur Beschreibung, Entwicklung, Einführung und Nutzung von Infor- mationssystemen. Der inhaltlich-funktionale Auftrag beschäftigt sich mit dem Verständnis und der Gestaltung von Informationssystemen. Mit dem zu entwickelnden Referenzdatenmodell wird vorrangig ein Gestaltungsziel verfolgt. Dabei soll das Modell einen Empfehlungscharakter besitzen. Die vorliegende Arbeit ist also stark gestaltungsorientiert und will zu Handlungen anleiten. In diesem Sinne ist sie dem Design- Science-Paradigma der Wirtschaftsinformatik verbunden. (Hevner et al. 2004, S.76) Daran anknüpfend folgt die Arbeit dem Design Science Research Process (DSRP), der den Rahmen für den vorliegenden Forschungsprozess liefert. (Peffers et al. 2006, S.93) Zudem wird dieser Ansatz gewählt, da er sich mit dem Ablauf der Referenzmodellierung verbinden lässt. Nachfolgende Abbildung 1-2 zeigt den grundsätzlichen Ablauf des Forschungsprozesses. Abbildung 1-2: Forschungsprozess (eigene Darstellung in Anlehnung an (Peffers et al. 2006; Peffers et al. 2007)) Grundsätzlich sieht der DSRP vor, dass ein Einstieg in den Forschungsprozess an verschiede- nen Stellen erfolgen kann (so auch bspw. direkt bei „Zielen“ oder der „Konstruktion“) je nach- dem unter welchen Rand- und Vorbedingungen der Forschende in den Prozess eintritt. Problemzentrierter Ansatz Iteration Problemidentifikation und Motivation Abschnitt 1.1 Ausgangssituation; 1.2 Problemstellung Ziele Abschnitt 1.3 Zielsetzung und Forschungsfragen; Kapitel 4: Ermittlung der Anforderungen an ein Referenzdatenmodell (inkl. Stand der Technik) Konstruktion und Entwicklung Kapitel 3: Konzeption der Vorgehensweise zum Entwurf des Datenmodells; Kapitel 5: Entwurf des Referenzdatenmodells Demonstration & Evaluation Kapitel 6: Modellevaluation; Kapitel 7: Reflexion und Ausblick Kommunikation Publikation 36 1 Einleitung Problemidentifikation und Motivation Hier wird der Forschungsprozess durch eine Problemstellung (siehe Abschnitt 1.1 und 1.2) an- geregt. Fehlende Beschreibungen der notwendigen Datenbasis erschweren es Unternehmen der Elektrobranche, ein geeignetes Datengerüst und darauf aufbauend ein Informationssystem zu entwickeln bzw. weiterzuentwickeln, um den Anforderungen des SPU nachkommen zu können. In Kapitel 1 soll der hier relevante Diskursbereich näher spezifiziert werden. Der Diskursbe- reich ist der Wirklichkeitsausschnitt bzw. der Anwendungsbereich, der betrachtet werden soll, und für den ein Modell später Gültigkeit besitzen soll. Dabei sollen alle Aspekte beschrieben werden, die einen wesentlichen Einfluss auf das Zielsystem haben. Der Anwendungsbereich muss erklärt und strukturiert werden. In den ersten beiden Abschnitten des Kapitels 2 werden „Unternehmen der Elektrobranche“ (Abschnitt 2.1) als allgemeiner Anwendungsbereich sowie der „stoff- und produktbezogene Umweltschutz“ (Abschnitt 2.2) abgegrenzt. Weiterhin wird das „Compliance-Management“ als jener spezifische Anwendungsbereich eingeführt, der sich mit seinen Strukturen und Prozessen, der Herstellung der Regelkonformität und damit u.a. der Erfüllung der stoff- und produktbezo- genen Anforderungen widmet (Abschnitt 2.3). Zuletzt soll der Anwendungsbereich in der Ent- wicklung von „Informationssystemen“ selbst verortet werden (Abschnitt 2.4). Mit der Erarbeitung und Abgrenzung des Anwendungsbereichs sollte es abschließend möglich sein, die TF 1 nach den zu berücksichtigenden Bezugssystemen zu beantworten. Ziele Mit den Abgrenzungen und den relevanten Bezugsystemen sollte der Anwendungsbereich nach außen festgesetzt sein (Abschnitt 2.4). In der Folge richtet sich der Forschungsprozess auf die Gegenstände innerhalb dieses Anwendungsbereichs. Um geeignete inhaltliche Modellierungs- ziele formulieren zu können, sollen in Kapitel 1 jene Gegenstände identifiziert und strukturiert werden, die in das Modell einfließen sollen. Hierzu sollen ausgehend vom Bezugsrahmen suk- zessive die einzelnen, relevanten Anforderungsbereiche ermittelt und strukturiert werden (Ab- schnitt 4.1 bis 4.3). Im Sinne des Compliance-Management sollen die identifizierten Anforde- rungsbereiche schließlich in Informationsbedarfe umgedeutet werden. Diese bilden das inhalt- liche Zielsystem für die Datenmodellierung ab. 1 Einleitung 37 In Kapitel 4 sollen also die Teilforschungsfragen TF 2-4 bearbeitet und beantwortet werden. Die stoff-/produktbezogenen Anforderungen im internationalen Kontext der Elektrobranche sollen identifiziert (TF 2) sowie strukturiert und zusammengefasst (TF 3) werden. Da der Be- zugsrahmen die Betrachtung existierender „Datenmodelle“ bzw. Teillösungen notwendig macht, soll auch der Stand der Technik analysiert und zusammengefasst werden (TF 4). Konstruktion Die für den Modellierungsprozess benötigten Werkzeuge sollen in Kapitel 3 eingeführt werden. Hier soll die konstruktive Grundidee dargestellt werden. In Kapitel 5 wird schließlich das Datenmodell konstruiert. Dabei soll die die Konstruktion des Datenmodells thematisch, fachlich entlang der identifizierten Anforderungsbereiche bzw. In- formationsbedarfe sowie gemäß der festgelegten konstruktiven Grundidee in verschiedenen Einzelschritten erfolgen bis die Ebene eines konzeptuellen Datenmodells erreicht ist. Kapitel 5 widmet sich daher geschlossen der Beantwortung der letzten Teilforschungsfrage TF 5. Demonstration und Evaluation Um den Nutzen des im Rahmen des Design-Science-Prozesses entwickelten Artefakts (das kon- zeptuelle Datenmodell) zur Problemlösung zu demonstrieren und zu bewerten, soll in Kapitel 6 zunächst ein geeignetes Konzept vorgestellt werden. Demonstration und Evaluation fallen in dieser Arbeit aufgrund des zu erwartenden Artefakts zusammen. Die Ergebnisse der durchge- führten (Demonstration und) Evaluation sollen anschließend ebenfalls in Kapitel 6 dargestellt werden. Kapitel 7 soll die Erkenntnisse der Arbeit zusammenfassen und Anknüpfungspunkte für weitere Forschungsaktivitäten aufzeigen. Kommunikation Diese Arbeit wird publiziert und hierdurch kommuniziert. Da das Datenmodell in Kapitel 5 aufgrund der zu verwendenden Werkzeuge nachvollziehbar abgeleitet und entworfen wird, sollte es sowohl für die anvisierte Zielgruppe der Fachexperten des SPU als auch für die Um- setzer der Informationssysteme sowie wissenschaftliche „Leser“ eingängig sein. 2 Diskursbereich und begriffliche Grundlagen Das folgende Kapitel erläutert die begrifflichen Grundlagen und grenzt den Fokus der Arbeit ab. Der Diskursbereich (Anwendungsbereich) für das anvisierte Datenmodell soll dargestellt und geschärft werden. Ausgehend von der Elektrobranche soll der SPU als inhaltlicher Bezugs- rahmen ausgearbeitet werden. Hierauf aufbauend soll dargestellt werden, welchem Teilbereich in den Unternehmen sich die Erfüllung der Anforderungen aus dem SPU grundlegend zuordnen lässt. Letztlich soll mit den Informationssystemen der Gestaltungsbereich der Arbeit vorgestellt werden. Das Kapitel soll mit einer Zusammenfassung des Diskursbereichs schließen, die die Anwendungsdimension und den Gestaltungsbereich (aus Unternehmenssicht) konkretisiert. 2.1 Unternehmen der Elektrobranche In der Problemstellung wurde bereits angeführt, dass die vorliegende Arbeit das unternehmens- interne Datenmanagement von Unternehmen in der Elektrobranche zur Erfüllung der Anforde- rungen aus dem produktbezogenen Umweltschutz fokussiert. Daher ist darzulegen, was hier unter einem Unternehmen und unter „unternehmensintern“ verstanden werden soll. In Bezug auf das Verständnis eines „Unternehmens“ soll hier auf die Begriffswelt der Betriebs- wirtschaftslehre zurückgegriffen werden.1 Allerdings hält diese keine einheitliche Auffassung eines „Unternehmens“ bereit. Nach Macharzina et al. sind „Unternehmen“ ein komplexes Phä- nomen, das sich nur über bestimmte Merkmale bzw. Aspekte beschreiben, jedoch nicht in sei- ner Ganzheit erfassen lässt (Macharzina & Wolf 2015, S.15). So werden Unternehmen je nach Sichtweise bspw. als Bündel von Ressourcen, als rechtliches Konstrukt oder als System aufge- fasst (Dillerup & Stoi 2013, S.3). Mit Blick auf die Problemstellung dieser Arbeit soll im Folgenden der systemorientierten Auf- fassung eines „Unternehmens“ gefolgt werden. Dafür spricht, dass die systemorientierte Be- trachtungsweise zum einen eine Abgrenzung zwischen „unternehmensintern“ und „unterneh- mensextern“ zulässt, zum anderen aber externe Einflussgrößen bzw. die vielfältigen Umwelt- beziehungen eines Unternehmens – über die Input-Output-Beziehungen hinaus – explizit in 1 „Unternehmen“ stellen das Erfahrungsobjekt der Betriebswirtschaftslehre dar (Wöhe & Döring 2013, S.27f.). 40 2 Diskursbereich und begriffliche Grundlagen Untersuchungen zur Unternehmensführung miteinbezogen werden können. (Macharzina & Wolf 2015, S.18f.) Als System wird zunächst ein aus mehreren Systemelementen bestehendes Ganzes verstanden, dessen Elemente zueinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig beeinflussen.2 (Patzak 1982, S.18) Ulrich definiert ein System als geordnete Gesamtheit von Elementen, zwischen denen Beziehungen bestehen oder hergestellt werden können. (Ulrich 1970, S.105) Was jedoch als System bezeichnet wird, hängt letztlich wiederum vom Standpunkt des Betrachters ab. So können bestimmte Elemente und deren Zusammenhänge, die von Interesse sind, als Systeme bezeichnet werden, die von einem anderen Standpunkt, einem umfassenderen System aus, nur als Teilsystem erscheinen würden. (Ulrich 1970, S.106) Alle Elemente, die in dieser Betrach- tungsweise nicht zum System gezählt werden, werden als „Umwelt“ des Systems bezeichnet. Weisen Systeme auch Beziehungen zur Umwelt auf, wird von einem offenen System gespro- chen. Bestehen keine Beziehungen zur Umwelt, handelt es sich um ein geschlossenes System. (Ulrich 1970, S.112f.) Unternehmen lassen sich in dieser Sichtweise als offenes System auffas- sen, das eine Vielzahl von Beziehungen zur Umwelt pflegt und umgekehrt von der Umwelt beeinflusst wird.3 So bestehen bspw. zu Lieferanten, Kunden oder Wettbewerbern und öffent- lichen Einrichtungen vielfältige Beziehungen. (Bea & Haas 2017, S.99) Insgesamt fasst der systemorientierte Ansatz „Unternehmen“ auch als Regelsysteme auf, in de- nen Abweichungen zwischen Ist- und Sollwerten zu Korrekturentscheidungen führen (müssen). Da Unternehmen als System aus einer Vielzahl von Menschen als „Elemente“ bestehen und in Industrieunternehmen Transformationsprozesse unter Nutzung von technischen Systemen ab- laufen, werden Unternehmen als soziale oder als sozio-technische Systeme bezeichnet. (Karaf- yllis 2019, S.300ff.) In dieser systemorientierten Sichtweise ist es jedoch nach wie vor notwen- dig, festzuhalten, was nun unter dem konkreten System „Unternehmen“ verstanden wird und 2 Der Systembegriff wird innerhalb der systemtheoretischen Betrachtungen nicht einheitlich verwendet. Luhmann bspw. betrachtet ein System zwar immer in Relation zu seiner Umwelt, jedoch haben für ihn die Unterschiede zwischen bspw. „Umwelt“ und „System“ eine bedeutende Rolle und zeigen sich in der Unterscheidung „zum System gehörend“ und „nicht zum System gehörend“ (Reese-Schäfer 2011, S.46ff.). 3 Die „Offenheit“ ist nur eine Eigenschaft, die Systeme aufweisen. Ulrich hat eine Reihe von formalen Eigen- schaften definiert, über die sich Systeme typologisieren lassen. Hierzu zählen Offenheit, Dynamik, Zweck- und Zielorientierung, Komplexität sowie Voraussagbarkeit von Systemen. Auf diese Eigenschaften soll an dieser Stelle aber nicht vertiefend eingegangen werden. (siehe hierzu (Ulrich 1970)) 2 Diskursbereich und begriffliche Grundlagen 41 was nicht zu diesem System gehört. Für die Grenzziehung zwischen „Unternehmen“ und „Um- welt“ gibt es verschiedene Entwürfe. So zeigen bspw. Bea et al., dass aufgrund der zahlreichen Verflechtungen in einer weiten Sicht Kunden und Lieferanten Teil des Systems „Unternehmen“ sein können. In einer engen Sicht hingegen, gehört nur die Unternehmensführung zum „Unter- nehmen“ während weitere Bereiche der Umwelt angehören. (Bea & Haas 2017, S.99f.) Zur Abgrenzung soll hier auf die Rechtsträgerschaft von Unternehmen abgestellt werden. Dies ist insofern zielführend, als diese Arbeit die rechtlichen Pflichten und, daraus abgeleitet, die relevanten Daten sowie Informationen für Unternehmen infolge produktbezogener Regularien behandelt. Durch die Rechtsträgerschaft (wie bspw. AG, GmbH, OHG) kommt die wirtschaft- lich-finanzielle Einheit des Unternehmens überhaupt erst in ihrer spezifischen Struktur der Ei- gentümerverhältnisse zustande (Haric & Berwanger o. J.). Das Unternehmen soll hier entspre- chend als Rechtssubjekt bzw. als „rechtliche Einheit“ aufgefasst werden, das für die erzeugten bzw. gelieferten Produkte jeweils rechtlich verantwortlich zeichnet. Rechtlich selbstständige Einheiten bspw. innerhalb eines Konzernverbunds werden folglich ebenfalls als eigene Unternehmen betrachtet. Rechtlich nichtselbständige Einheiten, die den jeweiligen Unternehmen untergeordnet sind, werden hier hingegen als Betriebe4 aufgefasst (Statistisches Bundesamt 2018). Sie sind entsprechend Teil des betrachteten Systems „Unter- nehmen“ und werden nicht gesondert berücksichtigt. Diese Abgrenzung ist für die Arbeit ele- mentar, da häufig die jeweilige rechtliche Einheit als Rechtssubjekt bestimmte rechtlich rele- vante Aktivitäten bzw. Handlungen mit Gütern bzw. Produkten durchführt und entsprechend im Sinne der Regulierungen für die Pflichtenerfüllung verantwortlich ist. Auf diese Sachver- halte wird später noch einmal eingegangen. Über die Rechtsträgerschaft soll daher an dieser Stelle auch das Verhältnis von „zum System gehörend“ (= unternehmensintern) und „nicht zum System gehörend“ (= unternehmensextern) abgegrenzt werden. Von unternehmensintern soll 4 Es ist anzumerken, dass der Begriff „Betrieb“ in unterschiedlicher Weise in der Literatur genutzt wird. Teilweise werden unterschiedliche Begriffe wie Betrieb, Unternehmen oder Unternehmung synonym verwendet (Dillerup & Stoi 2013, S.7) oder die Begriffe werden unterschiedlich belegt und zur Abgrenzung/Systematisierung einge- setzt. So wird bspw. „Betrieb“ als Oberbegriff verwendet, dem das „Unternehmen“ als Betriebsart untergeordnet wird (Schweitzer 1994, S.11; Bea & Schweitzer 2009, S.29). An anderer Stelle werden Betriebe als Unterein- heiten von Unternehmen aufgefasst, wie der Begriff hier vertreten wird. Zudem wird der Begriff „Unternehmen“ bzw. „Unternehmung“ auch dazu genutzt, um speziell Betriebe in marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem zu bezeichnen (Wöhe et al. 2013, S.30). 42 2 Diskursbereich und begriffliche Grundlagen dann gesprochen werden, wenn es sich um Prozesse oder Daten handelt, die innerhalb dieser rechtlichen Einheit ablaufen oder erfasst bzw. verarbeitet werden. Um eine weitere Eingrenzung des Betrachtungsbereichs dieser Arbeit vorzunehmen, soll zudem auf die Kategorisierungen von Unternehmen zurückgegriffen werden. Üblicherweise werden Unternehmen anhand verschiedener Kriterien wie Größe, Branche, Formalziele oder Art der Leistungserstellung tiefergehend klassifiziert (Domschke & Scholl 2008, S.7ff; Bea & Schweitzer 2009, S.33ff; Dillerup & Stoi 2013, S.5ff.). Hier sind zwei Merkmale von Unter- nehmen zur Abgrenzung des Betrachtungsbereichs von besonderer Bedeutung. Nach Art der Leistungserstellung werden Unternehmen in Sachleistungs- und Dienstleistungs- unternehmen unterschieden. Sachleistungsunternehmen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie materielle Realgüter bzw. körperliche, bewegliche und unbewegliche Produkte produzieren. (Bea & Schweitzer 2009, S.34) Aufgrund der Problemstellung dieser Arbeit in Bezug auf den SPU stehen primär Sachleistungsunternehmen im Fokus, die materielle Produkte herstellen. Hierzu zählen Industrie- und Handwerksunternehmen. Je nach Erzeugungsstufe werden diese in Gewinnungs- (Erzeugung von Rohstoffen), Veredelungs- und Verarbeitungsunternehmen (Herstellung von Endprodukten) unterteilt (Dillerup & Stoi 2013, S.6). Nach Art der materiellen Produkte lassen sich Unternehmen schließlich weiter nach ihrer Bran- chenzugehörigkeit klassifizieren. Als Branche oder Wirtschaftszweig wird dabei eine Gruppe von Unternehmen bezeichnet, die weitgehend substituierbare bzw. ähnliche Produkte herstel- len. (Engelhard 2018; Statistisches Bundesamt 2020) Im gegebenen Fall richtet sich der Fokus der Arbeit auf Unternehmen, die elektrische Geräte und Anlagen herstellen und vermarkten. Unternehmen mit diesem Produktportfolio werden typischerweise unter der Elektro- und Elekt- ronikbranche (im Folgenden kurz: Elektrobranche) zusammengefasst, die über die amtliche Statistik häufig über die Wirtschaftszweige WZ C26 („Herstellung von Datenverarbeitungsge- räten, elektronischen und optischen Erzeugnissen“) und WZ C27 („Herstellung von elektri- schen Ausrüstungen“) erfasst werden. Im Sinne des zuvor angeführten Kriteriums der „Erzeu- gungsstufe“ handelt es sich dabei weitgehend um Veredelungs- und Verarbeitungsunterneh- men. Die Einschränkung auf solche Unternehmen, die elektrische Geräte und Anlagen in ihrem Port- folio führen, ist für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung. Üblicherweise sind ne- ben Produkten auch die Rahmenbedingungen wie die rechtlichen Ausgangsbedingungen und 2 Diskursbereich und begriffliche Grundlagen 43 Anforderungen innerhalb einer Branche oder zumindest in den Subbranchen gleichgelagert. Regulierungen im Rahmen des SPU setzen – wie es die Bezeichnung „produktbezogen“ bereits in sich trägt – unter anderem an ganz bestimmten Produkten bzw. Produktgruppen an. Die Ein- schränkung auf Unternehmen, die elektrische Geräte und Anlagen herstellen und/oder vermark- ten, hat also zur Folge und auch zum Grund, dass dadurch nur ein Teil aller Regulierungen aus dem SPU betrachtet werden soll und zwar jener, der sich auf elektrische Geräte und Anlagen bezieht. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in dieser Arbeit dem systemorientierten Ansatz eines Unternehmens als Untersuchungsrahmen gefolgt werden soll. Hiernach handelt es sich bei einem Unternehmen um ein offenes, mit seiner Umwelt interagierendes, komplexes, sozio- technisches System. Zudem beschränkt sich der Betrachtungsbereich auf Unternehmen, die zum einen eine rechtlich selbstständige Einheit bilden und zum anderen der Elektrobranche zuzuordnen sind, da sie Sachgüter in Form von elektrischen Geräten und Anlagen herstellen und vermarkten. 2.2 Produktbezogener Umweltschutz und Restriktion von Stoffen 2.2.1 Der Begriff „Umwelt“ Wie zuvor erläutert, wird der Begriff „Umwelt“ in der systemorientierten Sichtweise eines Un- ternehmens in einem weiten Sinne genutzt. Da „Umwelt“ im weiteren Verlauf der Arbeit in einem eher spezifischen Sinne verstanden werden soll, muss der Begriff an dieser Stelle einge- hender betrachtet werden. „Umwelt“ ist heute ein in vielerlei Hinsicht und daher oft in sehr unscharfer Weise verwendeter Begriff. Ursprünglich stammt der Begriff der Umwelt aus der Biologie. (Bliefert 2012, S.3) Dort war die Umwelt zu Beginn als individueller Erlebnisraum eines Lebewesens definiert, der durch die Art der Sinnesorgane und der möglichen Reaktionsmuster des tierlichen Lebewesens bestimmt ist (Herrmann & Sieglerschmidt 2016, S.5). Später wurde in der Biologie allgemeiner auf alle direkten und indirekten, biotischen und abiotischen Faktoren abgestellt, die auf ein Le- bewesen einwirken und die Lebensumstände beeinflussen (Bahadir & Angerhöfer 2000, S.1216; Herrmann 2016, S.28). Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff Umwelt heute häufig mit Bezug zum „Men- schen“ verwendet. In diesem Kontext werden dann die Rückwirkungen menschlichen Handelns 44 2 Diskursbereich und begriffliche Grundlagen auf diese Umwelt betrachtet und als Maßstab ebenfalls anthropogene Kategorien (wie etwa der Gesundheitszustand des Menschen) herangezogen. (Haber 1993, S.3; Bahadir & Angerhöfer 2000, S.1216) Wobei aber auch in dieser anthropozentrischen Sichtweise unterschiedliche Be- griffsbelegungen genutzt werden. Im engsten Sinne wird unter „Umwelt“ nur die natürliche Umwelt also Luft, Boden, Wasser, Pflanzen- und Tierwelt verstanden. (Wicke 1993, S.6; Beier 2002, S.294) Die weiteste Definition umfasst die Summe aller existenzbestimmenden Faktoren und damit die physische bzw. natürliche Umwelt, die technische oder technologische Umwelt sowie die soziale Umwelt im Sinne der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des menschlichen Lebens. (Hulpke et al. 1993, S.738; Wicke 1993, S.5; Leser & Haas 1994, S.581). Mitunter werden – beeinflusst von der Systemtheorie – in diesem weiten Begriffsverständnis nicht nur Lebewesen, sondern auch ganze Systeme in den Mittel- punkt der Betrachtung gestellt. Von der Umwelt wird dann als Umgebung eines Systems oder einer Lebenseinheit gesprochen, die mit dem System bzw. der Lebenseinheit in wechselseitiger Beziehung steht. (Feess & Günther 2018) Entsprechend hängt das Verständnis vom Begriff „Umwelt“ wiederum vom Betrachtungsobjekt und der einbezogenen Aspekte ab. (Staehle 1999) Diese unterschiedlichen Belegungen des Begriffs ist an dieser Stelle insofern problematisch, da in dieser Arbeit sowohl auf den Begriff der Umwelt im Sinne der Ökologie zurückgegriffen werden soll, während er gleichzeitig auch für die Abgrenzung des Systems „Unternehmen der Elektrobranche“ bzgl. der Unternehmensumwelt verwendet wird (siehe Kapitel 2.1). Um also Verwechslungen vorzubeugen, soll von „Umwelt“ im Folgenden nur gesprochen werden, wenn im engeren Sinne der Kontext der natürlichen Umwelt (Luft, Boden, Wasser, Pflanzen- und Tierwelt) berührt wird. Wenn hingegen Bereiche der Unternehmensumwelt (Branchen- und Makroumwelt) angesprochen werden, dann wird der Begriff „Umfeld“ genutzt. Da im Zentrum der Arbeit „Unternehmen“ stehen, die im Sinne eines offenen Systems in Wechselbeziehungen zum Unternehmensumfeld als auch zur natürlichen Umwelt stehen, sollen die beiden Begriffe ausgehend vom Unternehmen weiter systematisiert werden. In Anlehnung an Wöhe et al. wer- den Unternehmensumfeld und natürliche Umwelt unter dem Begriff „Umsystem“ des Unter- nehmens (Wöhe & Döring 2013, S.28) zusammengefasst. Nachfolgende Abbildung 2-1 zeigt den genutzten Zusammenhang der Begriffe. 2 Diskursbereich und begriffliche Grundlagen 45 Abbildung 2-1: Umwelt, Umfeld und Umsystem des Unternehmens als rechtliche Einheit (eigene Dar- stellung in Anlehnung an (Hopfenbeck 1995, S.971; Friedemann 1998, S.11)) 2.2.2 Umweltschutz und Produktbezug Die Umwelt ist ein äußerst komplexes System, dessen Elemente in enger Verbindung zueinan- derstehen und das vom Menschen seit jeher zur Lebenserhaltung genutzt wird. (Ringel 2021, S.1ff.) Der Mensch nutzt die Umwelt u.a., indem er Ressourcen für die Produktion entnimmt und energetische sowie stoffliche Rückstände oder Abfälle in die Umwelt einbringt. Durch die- ses Handeln wirkt er auf die Umwelt ein, wobei diese Einwirkungen in der Umwelt als Reaktion zu verschiedenen Auswirkungen bzw. Veränderungen führen können. Diese Veränderungen und Beeinträchtigungen der Umwelt wurden vom Menschen und den Gesellschaften in der Ge- schichte unterschiedlich wahrgenommen. (Herrmann 2016, S.256f.) Schließlich entstanden durch die Sorge um die Umwelt verschiedene Ansätze zu ihrem Schutz. Um einen Zugang zum Thema „Umweltschutz“ zu erhalten, soll nachfolgend auf die unter- schiedlichen Ausprägungen eingegangen werden und das Verständnis des produktbezogenen Umweltschutzes erläutert werden. Allgemein werden mit „Umweltschutz“ alle Maßnahmen im privaten und industriellen Bereich bezeichnet, die dem Schutz der Umwelt dienen und die natürlichen Lebensgrundlagen aller Lebewesen erhalten und vor negativen Auswirkungen bewahren sollen. Dabei werden sowohl Unternehmen = Sozio-technisches System als rechtliche Einheit innerhalb der Elektrobranche Branchenumfeld - Kunden - Lieferanten - Wettbewerber Natürliche Umwelt - Luft - Boden - Wasser - Tier- und Pflanzenwelt - Ressourcen Makroumfeld - Politisch-rechtliches Umfeld - Ökonomisches Umfeld - Technologisches Umfeld - Gesellschaftliches Umfeld Umsystem Umwelt Umfeld 46 2 Diskursbereich und begriffliche Grundlagen einzelne Teilbereiche der Umwelt (wie Boden, Wasser, Luft) als auch Wechselwirkungen zwi- schen den Teilbereichen betrachtet. (Becker 2020) Ziel der Umweltschutzmaßnahmen ist es, die Belastung der Umwelt und damit auch von Men- schen, der Tier- und Pflanzenwelt aber auch von Sachgütern vorsorgend zu reduzieren, beste- hende Belastungen zu mindern und geschädigte Bereiche wiederherzustellen. (Bahadir & Angerhöfer 2000, S.1222; Hulpke & Adinolfi 2000, S.840; Bliefert 2012, S.61) Häufig wird der Umweltschutz auch weiter nach den Schutzzielen in bspw. Gewässerschutz, Luftreinhaltung und Immissionsschutz, Strahlenschutz sowie Abfallentsorgung gegliedert. (Leser & Haas 1994, S.595; Hulpke & Adinolfi 2000, S.840) Im industriellen Kontext wird zudem häufig von technischem Umweltschutz gesprochen. Hierbei lassen sich Maßnahmen des Umweltschutzes in additive und integrierte Maßnahmen unterscheiden. (Hulpke & Adinolfi 2000, S.840) Additiver Umweltschutz5 umfasst Technologien, die einem umweltschädlichen Produktions- prozess nachgeschaltet sind. Dabei werden Umweltauswirkungen reduziert, indem Stoffströme aus einem Medium in ein anderes verlagert werden (z.B. werden Schadstoffe aus der Luft in Feststoffe überführt). Bereits eingetretene Umweltbelastungen wie Bodenkontaminationen werden dabei beseitigt oder Rückstände aus industrieller Produktion werden recycelt. Die Ur- sachen der Umweltwirkungen werden jedoch nicht berührt. (Hemmelskamp 1996, S.1; Bliefert 2012, S.65; Engelfried 2017, S.71) Integrierte Maßnahmen hingegen setzen unmittelbar bei den Verursachern potenziell negativer Umweltwirkungen an. Unterschieden wird in produktionsintegrierte und produktintegrierte bzw. produktbezogene Maßnahmen. Produktionsintegrierte Maßnahmen greifen direkt in den Produktionsprozessen und versuchen, Umweltauswirkungen bereits bei der Entstehung zu vermindern oder zu vermeiden. Dies wird erreicht, indem Prozesse geändert oder neugestaltet werden. Typische Maßnahmen des produk- tionsintegrierten Umweltschutzes sind bspw. die Rückgewinnung und Kreislaufführung von Stoffen im Produktionsprozess, aber auch Verfahrensänderungen, um umweltfreundlichere 5 Auch End-of-Pipe- sowie nachsorgender Umweltschutz genannt 2 Diskursbereich und begriffliche Grundlagen 47 Roh- und Hilfsstoffe verwenden zu können. (Bliefert 2012, S.64f.) Beziehen sich die Aktivitä- ten lediglich auf einzelne Prozesse, wird auch vom prozessintegrierten Umweltschutz gespro- chen. Bei produktbezogenen Maßnahmen stehen die zu erzeugenden physischen Produkte und ihr gesamter Lebenszyklus – idealerweise von der „Wiege bis zur Bahre“ bzw. „Wiege bis zur Wiege“ – im Mittelpunkt. Betrachtet werden alle Lebensphasen von der Rohstoffgewinnung über die Produktion und Nutzung bis zur endgültigen Entsorgung oder Kreislaufführung des Produkts und seiner Bestandteile. (Junker 2013, S.245f.) Maßnahmen in diesem Bereich sind daher sehr vielfältig, umfassen jedoch häufig eine Änderung oder Neugestaltung der Produkte bzw. der eingesetzten Materialien und verwendeten Technologien.6 Nachfolgende Abbildung 2-2 zeigt den Zusammenhang der angeführten Ausprägungen ver- schiedener Umweltschutzmaßnahmen. Abbildung 2-2: Ausprägungen von Umweltschutzmaßnahmen (eigene Darstellung in Anlehnung an Jun- ker 2013, S. 245) 6 Dabei können die konkreten Maßnahmen unter generischen Strategien zusammengefasst werden, wie Auswahl und Nutzung von umweltfreundlichen Materialien, Reduktion des Ressourcenverbrauchs und der Abfallströme über den ganzen Lebenszyklus sowie Ressourcenerhalt durch Lebensdauerverlängerung während der ersten Lebensphase (bspw. Reparaturfähigkeit von Produkten) als auch nach der ersten Lebensphase (bspw. hinsicht- lich Wiederverwendung, Wiederaufbereitung und Recycling). (Roche 2004, S.5f.). Produktintegrierter / produktbezogener Umweltschutz Produktionsintegrierter Umweltschutz Prozessintegrierter Umweltschutz Additiver Umweltschutz Maßnahmen des Umweltschutzes berücksichtigen den gesamten Lebenszyklus des Produkts (bspw. Einsatz umweltfreundlicher Materialien) Maßnahmen des Umweltschutzes fokussieren das Produktionssystem (bspw. interne Kreislaufführung) Maßnahmen des Umweltschutzes adressieren einzelne Prozesse (bspw. Anpassung von Parametern) Maßnahmen des Umweltschutzes sind „nachsorgend“ (bspw. Einsatz von Filtern) 48 2 Diskursbereich und begriffliche Grundlagen Darin kommt zum Ausdruck, dass sich die verschiedenen Ausprägungen der Umweltschutz- maßnahmen gegenseitig nicht ausschließen. Vielmehr weitet sich der Betrachtungsfokus vom nachsorgenden hin zu einem präventiven Umweltschutz. Der produktbezogene Umweltschutz stellt in dieser Sicht ein umfassendes Konzept dar, das die Produkte in den Fokus der Maßnahmen stellt und die gesamte Wirkungskette berücksichtigen will. Damit steigt auch die Komplexität der Maßnahmenumsetzung, wobei die Maßnahmen aber auch eine höhere Reduktion von negativen Umweltauswirkungen versprechen. (Junker 2013, S.246) Die in dieser Arbeit adressierte Restriktion von Stoffen ist dem produktbezogenen Umwelt- schutz zuzurechnen. Sie stellt einen Teilaspekt des produktbezogenen Umweltschutzes dar. Be- vor nun konkretisiert werden kann, was hier unter der Restriktion von Stoffen im Rahmen des produktbezogenen Umweltschutzes verstanden wird, muss noch dargelegt werden, von wem der Anstoß zu den Umweltschutzaktivitäten ausgeht, die in dieser Arbeit betrachtet werden sol- len. 2.2.3 Umweltpolitik Häufig besteht im Bereich des Umweltschutzes das Problem, dass Umweltgüter ein öffentliches Gut darstellen, nicht marktlich bereitgestellt werden und über keinen oder einen zu geringen Preis verfügen (Böcher & Töller 2012, S.90; Sturm & Vogt 2018, 23, 51f.). In einem von Ra- tionalität geleiteten System führt dies dazu, dass Umweltgüter zu stark genutzt werden und es bedarf einer vermittelnden Rolle des Staates, um die Umweltgüter zu schützen. Dem Staat wird daher eine wichtige Rolle hinsichtlich der Gestaltung, der Verbreitung sowie Durchsetzung von Umweltschutzmaßnahmen zugewiesen. (Linscheidt 2000, S.169) Wie zuvor bereits angeführt, können Umweltschutzmaßnahmen grundsätzlich von verschiede- nen Akteuren (z.B. Privatpersonen, Industrie) durchgeführt und getragen werden. Jene Hand- lungen zur Ermittlung und Lösung von Umweltproblemen, an denen staatliche Akteure teil- weise oder ausschließlich sowie national oder international beteiligt sind, werden im Rahmen des Umweltschutzes als Umweltpolitik bezeichnet. (BpB 2017) Die Umweltpolitik ist ein sehr umfang- und facettenreiches Themengebiet. Die in Kapitel 2.2.2 beschriebenen grundsätzlichen Ansätze und Möglichkeiten des Umweltschutzes können als 2 Diskursbereich und begriffliche Grundlagen 49 Entwicklungsstrang über mehrere Jahrzehnte verstanden werden. Zu unterschiedlichen Zeit- punkten wurden im Umweltschutz daher auch verschiedene Schwerpunkte gesetzt. Da der Fokus dieser Arbeit auf dem produktbezogenen Umweltschutz sowie auf stoffbezogenen Restriktionen liegt, sollen nachfolgend zwei Aspekte der Umweltpolitik näher beleuchtet wer- den. Zunächst soll die Entwicklung der Umweltpolitik in Deutschland und Europa kurz skizziert werden. Die Arbeit hat den Anspruch über Deutschland und Europa hinaus auch internationale stoff- und produktbezogene Regulierungen (im Folgenden kurz: SPR) zu betrachten, um jedoch die Grundströmungen und Grundgedanken zu skizzieren, die einer modernen Umweltpolitik zugrunde liegen, soll an dieser Stelle exemplarisch die Beschränkung auf Deutschland und Eu- ropa ausreichen. Ziel soll es sein, den Begriff der und den Wandel hin zu einer „Integrierten Produktpolitik“ (IPP) darzustellen. Die IPP ist einer der Eckpfeiler der heutigen Umweltpolitik und ist ausschlaggebend für staatliches Handeln im Bereich des produktbezogenen Umwelt- schutzes und letztlich auch bei der Regulierung chemischer Stoffe in Produkten. Weiterhin sollen auch die produktbezogenen Politikinstrumente im Rahmen der IPP erläutert werden. Sie bilden zusammen den Bezugsrahmen für SPR wie sie hier betrachtet werden sollen. Integrierte Produktpolitik Die wachsende Weltbevölkerung, das Streben nach einem höheren Lebensstandard, die zuneh- mende globale Vernetzung sowie technischer und wissenschaftlicher Fortschritt haben es er- möglicht, dass die globale Wirtschaftsleistung stetig anstieg. Folglich nahm auch der mensch- liche Einfluss auf die Umwelt zu und ließ den Umweltschutz wichtiger werden. In Deutschland hatte sich – wie in vielen Industrieländern – anfangs der 1960er Jahre die Um- weltsituation stark verschlimmert (bspw. Waldsterben, Versauerung der Meere, Verschmut- zung der Flüsse) (Fritzler 1997, S.40; UBA 2011). Zu Beginn der 1970er Jahre hatte sich – ausgehend von den ersten Umweltschutzaktivitäten der Vereinigten Staaten – schließlich das Bewusstsein für die Zustände der Umwelt in der Politik und in der Gesellschaft so gefestigt, dass erstmals vermehrt Umweltschutzmaßnahmen in Form von Rechtsvorschriften durchge- setzt wurden. Damit sollte die Umweltsituation schnell verbessert und akute Probleme im Be- reich der Umwelt abgewehrt und etwaige Umweltschäden beseitigt werden. Dabei lag der 50 2 Diskursbereich und begriffliche Grundlagen Schwerpunkt zunächst auf Maßnahmen des additiven Umweltschutzes (Jänicke et al. 2003, S.34; Simonis & Altner 2003, S.221). In dieser Zeit entwickelten sich aber auch erste Ansätze einer gemeinsamen länderübergreifen- den Umweltpolitik auf europäischer und internationaler Ebene (Fritzler 1997, S.8; BMUB 2017). So erklärten bspw. die damaligen Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft im An- schluss an die erste Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Stockholm 1972 den Umwelt- schutz zu einer gemeinsamen Aufgabe. (Gundelach 1996, S.420) In den Folgejahren stagnierte die Umweltpolitik zunächst7. Auf internationaler Ebene erhielt der Umweltschutz einen we- sentlichen weiteren Impuls durch den 1987 veröffentlichten Brundlandt-Bericht. Er zeigte – vor dem Hintergrund zunehmender Umweltbelastungen durch starkes Bevölkerungswachstum und Produktionssteigerungen – die Grenzen bisheriger Ansätze auf (United Nations 1987b). Damit verbunden war die ausdrückliche Forderung nach einer „nachhaltigen Entwicklung“ für die Gesellschaft, die in Folge auch in der Umweltpolitik den Status eines Leitbilds erhielt (Detzer et al. 1999, S.89).8 Neben Umweltschutzzielen wurden damit auch ökonomische und soziale Ziele für die Entwicklung der Gesellschaft formuliert. Da Umweltprobleme infolge des Postu- lats auch vernetzter diskutiert wurden, verlagerte sich der Schwerpunkt weg von additiven Maß- nahmen (Bardt 2012, S.118) hin zu vermehrt integrierten Umweltschutztechnologien des pro- zess-/produktionsintegrierten Umweltschutzes. In den 1990er Jahren trat die Umweltpolitik in Deutschland infolge der Wiedervereinigung und der weltweiten Konjunkturkrise in den Hintergrund. 1992 erhielt die Nachhaltigkeit als inter- nationales Leitbild der gesellschaftlichen Entwicklung auf der UN-Konferenz zu „Umwelt und Entwicklung“ (UNCED) in Rio de Janeiro wiederum Rückenwind.9 Auch auf europäischer und internationaler Ebene wurden die Impulse in die Umweltpolitik aufgenommen. Im Jahr 2001 wurde bspw. auf europäischer Ebene das Leitbild der Nachhaltigkeit erneut bestätigt und der 7 Insbesondere in Folge der Drosselung der Ölfördermengen durch die OPEC („Ölschock“). Erst Ende der 1970er kam es wieder zu einem stärkeren Engagement in der deutschen Umweltpolitik u.a. unter dem Eindruck verschiedener Umweltkatastrophen (wie Wald- und Robbensterben, Tschernobyl, Sandoz). 8 Verstanden wurde die „nachhaltige Entwicklung“ als eine dauerhafte Entwicklung, „die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ (United Nations 1987b, S. 15) 9 1994 wurde das Nachhaltigkeitsprinzip im Grundgesetz Deutschlands verankert. In Artikel 20a heiß