50 Martin Dressel Christine Kuntscher Kleine Bausteine für große Aufgaben 51 Mit der Einladung There’s plenty of room at the bottom gab der Physik-Nobel- preisträger Richard Feynman (1918 – 1988) auf dem Jahrestreffen der Ameri- kanischen Physikalischen Gesellschaft in Pasadena, Kalifornien, zum Jahreswech- sel 1959/60 den Startschuss für ein Ge- biet, das seitdem als Nanotechnologie (von dem griechischen νανοζ = Zwerg) bekannt geworden ist. Haben wir nach 50 Jahren den Boden erreicht? Seit Jahren versucht die Nanotechno- logie, immer kleinere Strukturen durch gezieltes Ätzen und raffiniertes Bearbei- ten von Halbleitern herzustellen und so dichte Packungen einer Vielzahl von me- chanischen und elektronischen Baustei- nen für komplexe Aufgaben zu erhalten. Typischerweise wird dafür die Photolitho- graphie verwendet, die mit dem klassi- schen Steindruck allerdings nur noch den Namen (griechisch λιϑοσ = Stein) ge- mein hat. Ein photographischer Film wird auf eine Siliziumscheibe aufgebracht und mit dem Bild der gewünschten Struktur belichtet. Die so gezeichneten Flächen werden durch eine geeignete Säure weg- geätzt. Diese Technik wird sein Jahrzehn- ten immer mehr verfeinert und hat heute eine kaum vermutete Präzision in der in- dustriellen Produktion erreicht. Im umge- kehrten Verfahren kann man in diese Grä- ben weiteres Halbleitermaterial oder iso- lierende Oxidschichten aufwachsen. Mit atomarer Genauigkeit werden äußerst komplizierte viellagige Schichtstrukturen hergestellt. Diese für die Chipfabrikation so wichtigen photolithographischen Pro- zesse sind physikalisch durch die Wellen- länge des verwendeten Lichts begrenzt auf ca. 100 Nanometer (1 Nanometer = 10-9 m = 0,000.000.001 m = 1 Milli- onstel Millimeter). Immer wieder gelingt es zwar, durch technische Tricks die phy- sikalischen Grenzen ein wenig hinauszu- schieben. So können etwa Strukturen von wenigen zehn Nanometern erzielt wer- den, wenn man zur „Belichtung“ einen Elektronenstrahl anstelle eines Licht- strahls verwendet. Doch das Ende dieses erfolgreichen Wegs ist abzusehen. Die Errungenschaften der Nanotechnologie sind aus vielen Bereichen des täglichen Lebens nicht mehr wegzudenken. Die fortschreitende Miniaturisierung der Bauele- mente dringt in atomare Größen vor, wobei Wissenschaft und Forschung vor neue Herausforderungen gestellt werden. Kann man einen Draht so dünn fabrizieren, dass er nur noch eine „Perlenkette“ aus Atomen ist? Leitet eine Kette aus Kupferatomen den Strom ähnlich wie ein normaler Draht oder gibt es Phänomene, die nur mit Hilfe der Quantenmechanik zu verstehen sind? So dünne Strukturen sind effektiv nur ein- oder zweidimensional. In diesem Artikel werden wesentliche Eigenschaften der Mate- rie in niedriger Dimension erklärt und ein Einblick in diese faszinierende Welt gegeben. Mart in Dressel / Chr ist ine Kuntscher y Kleine Bausteine für große Aufgaben y WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y 52 Damit dies aber nicht das Ende der Na- notechnologie bedeutet, muss die Rich- tung gewechselt werden. Anstatt große Blöcke immer feiner zu strukturieren, das heißt von oben nach unten zu bauen (so genannter top-down-Ansatz), kann man versuchen, die gewünschten Strukturen aus einzelnen molekularen Bausteinen zu- sammenzufügen. Dieser so genannte bot- tom-up-Ansatz, der seit einigen Jahren in- tensiv verfolgt wird, entspricht dem Kon- struktionsprinzip der Natur, bei dem kom- plexe Moleküle als Funktionsträger von Lebensprozessen aus Untereinheiten zu- sammengesetzt werden. In dieser kon- struktiven Materialwissenschaft werden die Atome und Moleküle, als Bausteine der Materie, so in die gewünschte Anord- nung gebracht, dass Strukturen mit maß- geschneiderten Eigenschaften entstehen. Der Weg dorthin gliedert sich in zwei Etappen: Zunächst müssen wir die geeig- neten Bausteine, also die Atome oder Moleküle, finden beziehungsweise präpa- rieren und sodann diese Bausteine in op- timaler Weise anordnen. Dies kann bei- spielsweise mit der sehr feinen Spitze ei- nes Tunnelmikroskops bewerkstelligt werden. Hiermit können einzelne Atome wie Murmeln im Sand bewegt werden, man kann sie in Ketten und Ringen anordnen oder mit ihnen Buchstaben formen. Dies ist jedoch äußerst mühsam und langwie- rig, da immer nur jeweils ein Atom in ei- ner bestimmten Weise bewegt werden kann. Bedenkt man, dass ein Wasserstoff- atom nur ein Zehntel eines Nanometers groß ist, so erkennt man gleich, dass die- ses Verfahren zur Herstellung einer großen Anzahl dicht gepackter elektroni- scher Schaltkreise sicherlich ungeeignet ist. Für nur einen Millimeter benötigt man so viele Atome, wie Fußbälle nebeneinan- dergelegt einmal um die Erde passen. Die Natur selbst zeigt uns einen Aus- weg aus diesem Dilemma: Überall entste- hen mehr oder weniger komplizierte Strukturen, symmetrische und unsymme- trische, sozusagen von selbst. Atome ge- hen Bindungen ein zu linearen, ebenen, tetragonalen, schraubenförmigen oder sonst wie geformten Molekülen. Diese können aus nur wenigen, aber auch vie- len Hunderten von Atomen bestehen und stellen faszinierende Objekte der Chemie dar. Sie sind die Grundlage aller biologi- schen Organismen, und die DNS (De- soxyribonukleinsäure), worin das mensch- liche Erbgut kodiert ist, ist das komplexes- te aller Makromoleküle. Nicht nur einzel- ne Atome, sondern auch sehr komplexe Moleküle haben die Tendenz, sich in re- gelmäßiger Form aneinander zu lagern. Auf der Ebene der Partikel kennt man die relativ regelmäßige Tröpfchenanordnung auf dem Kochtopfdeckel oder die wellige Struktur von Sanddünen oder Wolken. Auf der Spitze der GaN Pyramiden sitzen Quanten- punkte aus InGaN, die einen Durchmesser von nur 30 Nanometern haben und als winzige Laser arbei- ten. Das Rasterelektronenmikroskop-Bild zeigt die in einer vorgefertigten Struktur von selbst gewachsenen Halbleiterpyramiden; die Quantenpunktlaser sind nicht zu erkennen [1]. Rastertunnelmikroskop-Bild der Buchstaben IBM, ge- formt durch Xenon-Atome auf einer Nickel-Ober- fläche [2]. Mit Hilfe der Spitze des Rastertunnelmikro- skops können die Atome an die gewünschte Position gebracht werden. Ein Beispiel für Selbstorganisation in der Natur: Keple- rat-Riesenkugel Fe30Mo72 ([Mo72Fe30O252(CH3COO)12{H2Mo2O8(H2O)} (H2O)91] · ca. 150 H2O), in der die magnetisch gekop- pelten Metallatome durch Liganden in einer Ikosa- edersymmetrie gehalten werden [3]. Monoatomarer Film des organischen Moleküls PTCDA (Perylen-tetracarbonsäuredianhydrid, C24H8O6) auf einer Graphit-Oberfläche. Das linke Bild ist mit Hilfe eines Rastertunnelmikroskops aufgenommen; deutlich ist die fischgrätenartige Anordnung der Moleküle gezeigt. Rechts ein Modell für die molekulare Ordnung des PTCDA- Films. Die planaren Moleküle ordnen sich beim Aufdampfen von selbst in dieser Struktur an [4]. WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y 53 Dies wurde gegen Ende des 19., An- fang des 20. Jahrhunderts von Ernst Haeckel (1834 – 1919) und vor allem von D’Arcy W. Thompson (1860 – 1948) in dem berühmten Werk Über Wachstum und Form aus dem Jahre 1917 sowohl in der belebten wie in der unbelebten Na- tur ausführlich dokumentiert. Heute be- zeichnet man diese eigenständige Struk- turbildung als Selbstorganisation. Die Ba- lance unterschiedlicher Kräfte und Wech- selwirkungen führt dazu, dass die Atome oder Moleküle sich in einer mehr oder weniger regelmäßigen Weise anordnen; vielleicht nicht ganz perfekt, doch relativ gut. Der große Vorteil ist, dass zwischen allen Molekülen die gleiche Wechselwir- kung herrscht und man so im Prinzip un- begrenzt viele Einheiten gleichzeitig und in gleicher Weise anordnen kann. Kristalle (und nicht nur die Edelsteine unter ihnen) haben durch ihre perfekten Oberflächen, scharfen Kanten und faszi- nierenden Formen seit Jahrhunderten die Menschen begeistert; sie entstehen durch Selbstorganisation, und ihre Perfek- tion ist unnachahmlich. Heute wachsen in den Laboratorien in aller Welt eine Vielzahl von Kristallen, die so in der Natur nicht vorkommen. Durch geschickte Wahl der Randbedingungen können auf diese Weise Materialien mit besonderen Eigenschaften hergestellt werden. Hat man das Zusammenspiel der verschiede- nen Einflüsse verstanden, kann man es sich zunutze machen, um maßge- schneiderte Materialien herzustellen: tailored materials. schaften haben. Die Moleküle werden dann gezielt in einer regelmäßigen Weise aneinandergereiht und formen einen Festkörper mit dem gewünschten Verhal- ten: elektrisch, optisch oder magnetisch. Die Visionen reichen von stromleitenden Atomketten, über Schalter auf molekula- rer Basis bis hin zu molekularen Magne- ten, die als Datenspeicher von übermor- gen ein Bit pro Molekül speichern. Das größte Problem ist die Verbindung zur makroskopischen Welt: wie beschreibe ich genau ein Atom oder lese die gespei- cherte Information aus? eignete Modellsysteme zu finden, denn es handelt sich ja um tatsächlich existie- rende Materialien. Oft sind die Verbindun- gen nicht stabil oder reaktiv, die Moleküle ziehen eine andere als die angestrebte Konfiguration vor. Selbstorganisierte Strukturen stellen oft exzellente Modelle für eine Reihe von grundlegenden Problemen dar. Unsere Ausgangsfrage nach einem atomar dün- nen Draht können wir an Goldatomen studieren, die wie eine Perlenkette aufge- reiht sind. Oder an stark anisotropen Kris- tallen, deren Moleküle in einer Richtung Die atomare Perfektion der Kristalle entsteht von selbst. Das Bild zeigt durchsichtige Einkristalle aus dem organischen Molekül Pyren (C16H10), die eine Größe von mehreren Millimetern erreichen [5]. Vor uns tut sich eine Spielwiese auf, welche der Phantasie fast keine Grenzen mehr setzt. Molecular engineering nutzt das enorme Potenzial der modernen Che- mie, um die Atome in Molekülen so anzu- ordnen, dass sie die erforderlichen Eigen- Ketten von Goldatomen auf einer Silizium(111)-Ober- fläche, beobachtet mit ei- nem Rastertunnelmikroskop (rechts). Diese Anordnung ist der Struktur einer CD oder DVD (links, Kraftmikroskop- Aufnahme) ähnlich, wobei al- lerdings die Bit-Dichte eine Millionen mal höher ist (zu beachten ist die Nanometer- Skala im Vergleich zur Mikro- meter-Skala) [6]. Man kann diese selbsterzeugten Syste- me jedoch auch als Modell nutzen, um an ihnen physikalische Phänomene zu stu- dieren, die ansonsten nicht so gut zu- gänglich sind. Physiker wollen nämlich zunächst die Natur verstehen und erst in zweiter Linie die Welt verbessern. Seit Galileo Galilei (1564 – 1642) beschrän- ken sie sich allerdings nicht mehr darauf, die Welt nur zu beobachten, sondern sie führen gezielte Experimente aus, um die Natur zu verstehen. Hierbei haben sie es zu einer bewundernswerten Kunst ge- bracht. Nicht nur experimentell, auch theoretisch basteln sie sich Modelle, die oft verblüffend einfach sind, aber die rele- vanten Fragen in unverfälschter Klarheit zeigen. An diesen Modellen kann unter- sucht werden, welchen Einfluss bestimm- te Veränderungen haben. Man kann den einen oder anderen Baustein austau- schen, und dann betrachtet man, wie sich die Eigenschaften des Modells im Vergleich zu dem ursprünglichen ändern. Bei theoretischen Simulationen ist dies in der Regel sehr einfach, in der Praxis je- doch nicht immer möglich. Festkörper- physiker beispielsweise untersuchen die Eigenschaften der Materie, der festen Stoffe. Hier ist es schon schwieriger, ge- so nahe sind, dass ihre Elektronenhüllen überlappen und die dadurch den Strom entlang des Stapels transportieren, in den anderen Richtungen aber nicht. Bevor diese Beispiele näher erläutert werden, wollen wir der Frage nachgehen, warum reduzierte Dimensionen so sinnvoll und spannend sind. WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y 54 Physik in reduzierter Dimension Die Welt hat drei räumliche Dimensio- nen: Länge, Breite und Höhe. Warum müssen wir uns eigentlich mit anderen Dimensionen beschäftigen? Zunächst einmal, weil es oft einfacher ist: viele phy- sikalische Probleme lassen sich beispiels- weise mathematisch exakt in einer Di- mension lösen, jedoch nicht in zwei oder drei Dimensionen. Dort müssen teilweise drastische Näherungen eingeführt oder komplizierte und zeitraubende numeri- sche Verfahren verwendet werden. Oft ist die wesentliche Physik schon in dem ein- dimensionalen Modell erkennbar und in der Regel einfacher zu verstehen. Häufig lässt sich das Problem auf ein eindimen- sionales oder zweidimensionales ohne wesentlichen Verlust reduzieren. Ein Zug auf einer Schiene kann nun mal nicht nach oben/unten oder links/ rechts aus- weichen; die Bewegung ist durch Zwangskräfte auf eine Richtung be- schränkt. Der Apfel fällt vom Baum senk- recht nach unten; wollen wir seine Ge- schwindigkeit studieren, so brauchen wir uns um die beiden anderen Richtungen nicht zu kümmern; eine dreidimensionale Beschreibung ist gar nicht nötig, um die Situation vollständig zu erfassen. Interes- sieren wir uns für die Stöße von Billardkugeln, so spielt sich in der Regel alles auf der Tischebene ab: das Problem ist ein zweidimensionales. Außerdem gibt es eine Reihe interes- santer und technologisch relevanter Phä- nomene, die überhaupt nur in einer oder in zwei Dimensionen beobachtet werden. Von besonderer Bedeutung ist sicherlich der Quanten-Hall-Effekt in einem zweidi- mensionalen Elektronensystem, für des- sen Entdeckung der Direktor am Stuttgar- ter Max-Planck-Institut Klaus von Klitzing 1985 mit dem Physik-Nobelpreis ausge- zeichnet wurde. Heute spielen elektro- nisch zweidimensionale Strukturen in den modernen Computerchips eine große Rolle, da sich die Elektronen darin fast rei- bungslos bewegen können. Allgemein wird die Beweglichkeit der Ladungsträger einerseits durch das zugrundeliegende Gitter begrenzt, da die Atome aufgrund von thermischen Schwingungen nicht an ihren Plätzen ruhen und die Kristalle auch ansonsten nicht ganz perfekt sind; die Streuung der Ladungsträger an solchen Störstellen führt zu Energieverlus- ten. An- dererseits darf die Wechselwirkung der Elektronen untereinander nicht vernach- lässigt werden. In einem typischen Metall wie Kupfer ist die Dichte der beweglichen Ladungs- träger, das heißt der Leitungselektronen, so gering, dass sie sich gegenseitig nicht spüren. Bei sehr niedrigen Temperaturen, nahe dem absoluten Nullpunkt von 0 K = -273°C (K=Kelvin), vor allem aber in Strukturen mit nur einer oder zwei Di- mensionen werden hingegen die elektro- nischen Wechselwirkungen sehr wichtig: Die Elektronen können nicht mehr weiträumig ausweichen, sie spüren sich also gegenseitig und stoßen sich ab. In der Festkörperphysik wird die Elektron- Elektron-Wechselwirkung typischerweise durch eine Renormierung derjenigen Teil- cheneigenschaften beschrieben, die für den Transport relevant sind, also der Mas- se des Teilchens und der Zeit zwischen zwei Stößen, auch Relaxationszeit ge- nannt. Die Elektronen bewegen sich so, als seien sie aufgrund der elektronischen Wechselwirkung deutlich schwerer. In der Renormierung wird die tatsächliche Masse der Elektronen durch eine sehr viel größere ersetzt, womit man der Wechsel- wirkung vollständig Rechnung trägt. Die- sen Trick schlug Mitte der fünfziger Jahre der russische Physiker Lev Landau (1908–1968) vor, und diese so genann- te Fermi-Flüssigkeitstheorie (benannt nach dem italienischen Nobelpreisträger Enrico Fermi (1901–1954)) gilt seither als ein Paradigma der Festkörperphysik. Man kennt dieses Phänomen auch von dem Einkaufsbummel durch die Fußgän- gerzone. Am Samstagvormittag (noch schlimmer beim Weihnachtsmarkt) kommt man kaum voran, da man sich ständig zwischen anderen Menschen durchzwängen muss; man läuft letztend- lich so langsam, als würde man ein Viel- faches seines Körpergewichts bewegen. In einer besonderen Klasse von Metall- verbindungen, die deshalb anschaulich als Schwere Fermionen bezeichnet wer- den, beobachtet man durch diesen Effekt eine Elektronenmasse, die tausendmal größer ist, als vom freien Elektron ge- wohnt. Während bei diesen dreidimensio- nalen Systemen die Elektron-Elektron- Wechselwirkung aufgrund sehr schmaler elektronischer Bänder und hoher Zu- standsdichten wichtig wird, ist es in zwei Dimensionen und noch mehr in einer Di- mension die fehlende Möglichkeit auszu- weichen. Wer ärgerte sich nicht schon auf einer einspurigen Straße, dass er am Vordermann, oft ein langsamer Lkw oder gar ein Traktor, nicht vorbeikommt. In der Fläche, wie bei Schiffen auf einem See, Das Billardspiel lässt sich als Stoßexperiment in zwei Dimensionen verstehen. Die Kunst ist der richtige Umgang mit Energie und Impuls. Der gute Spieler nutzt allerdings den Effet (Drehimpuls), und so be- kommt das Problem eine zusätzliche Dimension, ähn- lich dem Spin der Elektronen. Beispiel für ein zweidimensionales System: Schicht- struktur eines SrNbO3.45 Einkristalls, aufgenommen mit einem Transmissions-Elektronenmikroskop: Ent- lang der c-Richtung ordnen sich die Atome in einer regelmäßigen Abfolge von vier und fünf NbO6-Okta- eder breiten Schichten an [7]. Gezeigt ist auch das zugehörige Beugungsbild. WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y 55 ist der Kontakt zu anderen Fahrzeugen schon weniger kritisch und gar in drei Dimensionen fast kein Problem mehr: Vö- gel und Flugzeuge kollidieren sehr selten, denn es gibt fast immer die Möglichkeit, nach oben/unten oder links/rechts aus- zuweichen. Doch in einer Dimension geht dies eben nicht. Schon 1964 wurde von Shin’ichirô To- monaga (1906 – 1979) und Joaquin Luttinger (1924 – 1997) erkannt, dass Landaus Modell der Fermi-Flüssigkeit in einer Dimension nicht angewandt wer- den kann: Man kann die elektronische Wechselwirkung nicht einfach durch den Renormierungstrick mit einer effektiven Masse und Streurate ausdrücken und an- sonsten die für freie Elektronen ausgear- beiteten Theorien übernehmen. Diese theoretischen Überlegungen wurden in den siebziger Jahren von mehreren Physi- kern weiter ausgebaut und verfeinert. Ein wesentlicher Punkt dieser knapp Luttin- ger-Flüssigkeit genannten Theorie ist die Tatsache, dass die Teilchen sich nicht mehr einzeln bewegen können. Stattdes- sen gibt es kollektive Anregungen, ähn- lich der Zuschauer-Welle in einem Fuß- ballstadion: die Welle bewegt sich durch das Stadion, ohne dass sich ein einziger Zuschauer von seinem Platz entfernt. Die Auswirkungen von Luttingers Theorie zei- gen sich in fast allen physikalischen Phä- nomenen. Man erwartet beispielsweise Potenzgesetze im thermodynamischen und magnetischen Verhalten, in der Tem- peraturabhängigkeit des elektrischen Widerstands, in den optischen Eigen- schaften usw. Und während ansonsten die magnetischen Eigenschaften (der Spin) und die elektrischen Eigenschaften (die Ladung) im Elektron immer vereint sind, ist dies in einer Dimension nicht der Fall: Spin- und Ladungsanregungen be- wegen sich mit unterschiedlichen Ge- schwindigkeiten, sie trennen sich also. Diese Theorie hatte zunächst keine große Bedeutung, denn es gibt in unserer dreidimensionalen Welt keine wirklich eindimensionalen Metalle. Man kann die Richtigkeit der Vorhersagen nicht anhand von Experimenten an realen Materialen, die im mathematischen Sinne eindimen- sional sind, verifizieren. Wir können aber versuchen, Modelle zu bauen, die eindi- mensionalen Metallen so ähnlich wie möglich sind. Beispielsweise, indem Gold- atome auf einer stufenförmigen Ober- fläche so angeordnet werden, dass sie sich wie Perlen an einer Kette aufreihen. Auf diese Weise erhält man einen mehr oder weniger langen Golddraht, der nur ein Atom dick ist. Dies ist ein gutes Mo- dell eines fast perfekten, eindimensiona- len Metalls. Ein anderes Modell besteht aus Stapeln von Molekülen, die sich nur entlang der Stapelrichtung berühren und entlang den Stapeln den Strom leiten. Die einzelnen Stapel sind mehr oder we- niger weit voneinander getrennt, sodass sie sich nicht spüren. Eine eindimensiona- le Struktur kann man auch aus einer Gra- phitschicht bauen, die zu einem langen Röhrchen aufgewickelt ist, ein so genann- tes Kohlenstoff-Nanoröhrchen. In all diesen Beispielen ist wichtig, dass die Kette der Atome oder Moleküle nicht viel breiter ist als der Bereich, in dem sich das Elektron üblicherweise auf- hält, die so genannte Wellenlänge des Elektrons. Dies ist die Voraussetzung, im Sinne der Quantenmechanik von einer Dimension reden zu können. Realisierung Anhand von vier Beispielen wollen wir im Folgenden darstellen, wie man durch die gezielte Anordnung von atomaren Bau- steinen schließlich interessante Struktu- ren erreichen kann. Einzelne Atome kön- nen Drähte auf einer Unterlage formen, doch ist diese Methode sehr aufwendig und nur unter extrem sauberen Bedin- gungen erfolgreich. Besser geeignet sind deshalb reale Materialien, bevorzugt Ein- kristalle. Organische Moleküle lassen sich in Stapeln schichten, um eindimensionale Metalle zu realisieren. Mit Kohlenstoff werden winzig dünne Röhrchen herge- stellt, die ein unglaubliches Anwendungs- potenzial haben. Die magnetischen Ei- genschaften von großen Molekülen kön- nen genutzt werden, um Quantenphä- nomene zu erforschen und Daten zu spei- chern. Künstliche Drähte In Kristallen können selbst komplexe Mo- leküle Stapel bilden, die sehr anisotrope Eigenschaften besitzen. Möchten wir je- doch einen atomar dünnen Draht aus Goldatomen erhalten, so müssen wir et- was nachhelfen, damit die Atome sich nicht in einem Klumpen, einem so ge- nannten Cluster, vereinen. Dies erreicht man beispielsweise, indem die Atome auf ein strukturiertes Substrat aufgebracht werden. Wie wird eine periodische An- ordnung von atomaren Drähten auf einer Oberfläche hergestellt? Ausgangspunkt ist ein möglichst perfekter Silizium-Wafer, das heißt eine sehr dünne Silizium-Schei- be, die im Idealfall wirklich atomar glatt ist. Dies gehört heute in der Halbleiterin- dustrie zum Standard. Im ultrahohen Va- kuum von 10-11 Millibar wird das Silizi- um auf sehr hohe Temperaturen (ca. 1000°C) erwärmt, um verbliebene Schä- den auszuheilen und damit die Atome der Oberfläche in die energetisch güns- tigste Lage relaxieren. Dies ist eine 7x7 Überstruktur, auf der sich Furchen im Ab- stand von sieben atomaren Reihen befin- den, was 2,3 Nanometern entspricht. Hat man zuvor den Silizium-Wafer leicht schräg angeschnitten, so erhält man Stu- fen von einem Atom Höhe. Nun wird we- niger als eine Monolage Gold aufge- dampft, das sich bei geeignet hoher Tem- peratur in Form von eindimensionalen Drähten auf den einzelnen Stufen abla- gert. Der Abstand dieser monoatomaren Golddrähte ist ein Vielfaches von 2,3 Na- nometern und kann durch den Schnitt- winkel (1° bis 10°) variiert werden. Ähnlich wie das Fortbewegen der Autos in einem Stau kann man sich die Bewegung von Elektronen in einem eindimensionalen Metall vorstellen: Sie müs- sen hintereinander herfahren und können nicht seit- lich ausweichen [8]. WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y 56 In Wirklichkeit sind die im Experiment entstandenen künstlichen Drähte nicht perfekt: hin und wieder (nach vielleicht hundert oder tausend Atomen) sind sie unterbrochen, haben Stufen oder De- fekte. Der Vorteil der selbstorganisierten Herstellung der Drähte ist, dass auf ei- nem Schlag eine große Fläche mit Millio- nen von Drähten gleichmäßig bedeckt werden kann; dies ist durch das sukzes- sive Bewegen einzelner Atome niemals zu erreichen. Für die Untersuchung der physikalischen Eigenschaften verwendet man entweder lokale Methoden, wie Ras- tertunnel-Spektroskopie, womit man die elektronische Zustandsdichte vermisst, oder man setzt integrierende Methoden ein, die kleine Defekte nur summarisch registrieren, wie Elektronenbeugung (low-energy electron diffraction, LEED) und optische Spektroskopie. Die erzeugten Goldketten liefern uns ein Modell, das für Untersuchungen der physikalischen Eigenschaften von eindi- mensionalen Metallen geeignet ist. Zu- dem kann durch Variation des Schnitt- winkels der Abstand der Ketten und so- mit der Einfluss der Zwischenketten- Wechselwirkung und folglich der Dimen- sionalität kontinuierlich variiert werden. Erste Photoemissionsspektren liefern Hin- weise auf die Trennung von Spin und La- dung, doch sind weiterführende Untersu- chungen nötig, um die seitdem bestehen- de Kontroverse zu beenden. Eine sehr aussagekräftige Methode ist die optische Spektroskopie im fernen infraroten Spek- tralbereich, wie sie derzeit am 1. Physika- lischen Institut der Universität Stuttgart angewandt wird. Es wird erwartet, dass die optische Leitfähigkeit einem Potenz- gesetz folgt, wobei der Exponent von der Wechselwirkung und der Bandfüllung ab- hängt. Diese Potenz muss mit der Tempe- raturabhängigkeit des Widerstands korre- lieren. In der atomaren Welt muss man sehr sauber arbeiten: nicht nur Staubkörner, auch Sauerstoff zerstören die Strukturen. Für die Herstellung atomarer Drähte auf ei- ner Silizium-Oberfläche muss der Druck sehr gering, um 10-11 Millibar, sein. Dies wird mit Ultrahochvaku- um-Kammern erreicht, wie der am 1. Physikalischen Institut. b) Silizium (111)-Oberfläche mit der typischen sechs- zähligen Symmetrie und einer (7x7)-Überstruktur: (a) in dem Rastertunnelmi- kroskop-Bild sind eine (1x1)-Einheitszelle und ei- ne (7x7)-Zelle eingezeich- net. (b) Entsprechendes Bild der Si(111)-Ober- fläche im reziproken Raum, das aufgrund der Beugung niederenergeti- scher Elektronen (LEED) an den Silizium-Ober- flächenatomen entsteht. Im LEED befinden sich je- weils sechs Reflexe zwi- schen den starken, mit (0,1), (0,0) und (0,1) be- zeichneten Reflexen ganz- zahliger Ordnung [9]. – a) Erzeugung von atomarer dünnen Metalldrähten: (a) eine Silizium-Oberfläche wird schräg in einem Win- kel angeschnitten, wo- durch sich Stufen bilden, die genau ein Atom hoch sind und deren Breite vom Winkel abhängt. (b) Aufge- dampftes Gold ordnet sich selbständig so an, dass sich atomare Drähte auf den Stufen bilden. Es ist dabei energetisch günsti- ger, wenn sich die Gold- drähte nicht direkt an der Stufe, sondern in einem definierten Abstand zwi- schen zwei Stufen bilden. a) b) Organische Materialien Organische Substanzen basieren auf Ver- bindungen von Kohlenstoff mit Wasser- stoff, Stickstoff, Sauerstoff, Schwefel und einigen anderen Elementen. Obwohl man sie erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts im Laboratorium synthetisieren kann, ma- chen organische Substanzen weit über 90 Prozent aller heute bekannten Verbin- dungen aus. Die enormen Möglichkeiten der organischen Chemie, Moleküle und Materialien mit gewünschten Eigenschaf- ten herzustellen, wurden bisher nur in sehr geringem Maße genutzt. Hier ver- WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y 57 weglichkeit der positiven Ladungsträger erzielt, zeigen die Kristalle in dieser Rich- tung eine sehr gute metallische Leitfähig- keit, ja werden sogar supraleitend, wie Denis Jérome im Jahre 1979 entdeckte. In den beiden anderen Richtungen sind die elektrischen Eigenschaften sehr viel schlechter, teilweise isolierend. Diese nach ihrem Entdecker benannten Bech- gaard-Salze haben sich als das beste Mo- dell etabliert, um die Physik in einer Di- mension zu studieren. Sie zeigen je nach Temperatur und Druck eine große Vielfalt verschiedener Phasen. Am 1. Physikali- schen Institut der Universität Stuttgart werden hiervon große Einkristalle in vie- len Variationen hergestellt, um gezielt Supraleitung, magnetische Ordnung, La- dungsordnung und niedrigdimensionale Eigenschaften mittels einer Reihe von Methoden (Elektron-Spin-Resonanz ESR, elektrische Transportmessungen, Mikro- welleneigenschaften, niederenergetische optische Spektroskopie, Photoemissions- spektroskopie, thermische Leitfähigkeit) zu studieren. Die Kristalle aus dem organischen Molekül TMTSF (Tetramethyltetraselenafulvalen) stellen die am besten stu- dierte Realisierung eines eindimensionalen Metalls dar: (a) Blick entlang der Molekülstapel; (b) in der Seitenan- sicht erkennt man die Trennung der Stapel durch die Anionen. a) b) Temperatur-Druck Phasendiagramm der quasi-eindimensionalen Bechgaard-Salze. Je nach Parameterkom- bination zeigen die Kristalle unterschiedliche elektrische und magnetische Eigenschaften: ladungslokalisierter Isolator (lok), Ladungsordnung (LO), Spin-Peierls-Zustand (SP), antiferromagnetischer Zustand (AFM), Spindich- tewelle (SDW), Supraleitung (SL) oder aber ein metallischer Zustand, der eher ein-, zwei- oder dreidimensional ist. Legt man an (TMTTF)2AsF6 einen entsprechenden äußeren Druck an, so erhält man die verschiedenen Grundzustände. Allerdings kann man auch durch chemische Substitution den Ausgangspunkt des Phasendia- gramms entsprechend der oberen Achse verschieben. (TMTSF)2ClO4 wird beispielsweise schon ohne äußeren Druck bei 1,2 K supraleitend. birgt sich noch ein enormes Potenzial für die Materialwissenschaften der Zukunft, das zu erschließen man erst in den letz- ten Jahren begonnen hat. Neben den le- benden Organismen und ihren Produkten haben wir im täglichen Leben mit organi- schen Festkörpern vor allem in Form von Kunststoffen zu tun. Diese Polymere sind in der Regel mechanisch weiche und elektrisch isolierende Materialien. Mit Be- ginn der 1960er Jahre wurden weltweit systematische Anstrengungen unternom- men, organische Materialien auch elek- trisch leitfähig zu machen. Alan Heeger, Alan MacDiarmid und Hideki Shirakawa gelang schließlich die Herstellung von leitfähigem Plastik durch die Joddotie- rung von Polyacetylen, wofür sie im Jahre 2000 den Chemie-Nobelpreis erhielten. In jüngster Zeit wird besonders intensiv an Leuchtdioden aus organischen Mate- rialen gearbeitet, die schon ihren Einsatz in verschiedenen Produkten finden. Hier liegt ein großer Markt der Zukunft. Für die Grundlagenforschung des Phy- sikers sehr viel interessanter und vielver- sprechender ist es, anstelle von ungeord- neten Polymeren organische Kristalle her- zustellen; diesen Weg geht die Univer- sität Stuttgart seit Jahrzehnten mit sehr großem Erfolg. Um elektrischen Strom gut zu leiten, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: die Anzahl der Ladungsträger, Elektronen oder Löcher, muss hoch ge- nug sein und sie müssen eine gute Be- weglichkeit erzielen. Einen deutlichen Fortschritt machte man in den 1970er Jahren mit der Synthese von Ladungs- transfersalzen: Hierbei werden zwei Sor- ten von Molekülen zusammengebracht, von denen die eine gerne ein Elektron ab- gibt, die andere ein zusätzliches Elektron aufnimmt. Man erhält einen Ionenkristall ähnlich dem Kochsalz, das ja aus positi- ven Natrium-Ionen und negativ gelade- nen Chlor-Ionen besteht. Der Durchbruch zu einem organischen Metall war er- reicht, als es gelang, die Ladungsträger mehr oder weniger frei beweglich zu ma- chen. Von besonderem Interesse für unsere Fragestellungen sind die von Klaus Bech- gaard synthetisierten organischen Mo- leküle wie Tetramethyltetraselenafulvalen (TMTSF). Dies sind relativ große, aber fla- che Moleküle mit einem ausgedehnten π-Elektronensystem, die so in Stapeln an- geordnet sind, dass sich die Molekülorbi- tale entlang der Stapelachse überlappen. Da man hierdurch die erforderliche Be- WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y 58 Durch eine Kooperation von mehreren Gruppen konnte überzeugend nachge- wiesen werden, dass diese eindimensio- nalen Metalle das Verhalten einer Luttin- ger-Flüssigkeit zeigen; beispielsweise durch Potenzgesetze im temperaturab- hängigen Widerstand und in der dynami- schen Leitfähigkeit sowie durch den Nachweis der Trennung von Spin- und Ladungsfreiheitsgraden. Es wurde gefun- den, dass sich die Wärmeleitfähigkeit dieser Systeme im wesentlichen gleich verhält, egal ob die Kristalle gute oder schlechte elektrische Leiter sind; Grund dafür ist der Wärmetransport durch mag- netische Anregungen. Die Schlussfolge- rung ist, dass sich der Spin unabhängig von der Ladung der Elektronen bewegt. Deutliche Hinwiese darauf fanden sich schon bei winkelabhängigen Photoemis- sionsmessungen; dabei beobachtet man getrennte Dispersionszweige (das heißt impulsabhängige Energie) für Spin- und Ladungsanregungen. Temperatur- und frequenzabhängige Leitfähigkeitsmessun- gen entlang eindimensionaler Molekül- ketten zeigen das für eine Luttinger-Flüs- sigkeit vorhergesagte Potenzverhalten mit guter Übereinstimmung der Expo- nenten. Die Eigenschaften, welche wir senkrecht zu den Ketten beobachten, las- sen sich noch nicht konsistent in dieses Bild einfügen. Unsere jüngsten Fortschrit- te bei den Experimenten machen deut- lich, dass die theoretische Beschreibung hier noch unvollständig ist [10]. Natürlich sind die wirklichen Kristalle dreidimensional; und die Molekülstapel können noch so weit voneinander ent- fernt sein, einen gewissen Einfluss üben sie doch aufeinander aus – das System ist also nur quasi-eindimensional. Es ist nun möglich, den Abstand Schritt für Schritt zu verkleinern, beispielsweise durch äußeren Druck oder durch chemi- sche Tricks. Die Wechselwirkung wird stärker, und wir können so allmählich von einer zu zwei oder drei Dimensionen schreiten. Vor allem die Anwendung von äußerem Druck ermöglicht die kontinuier- liche Änderung des Abstands zwischen den Molekülstapeln. Wir haben sozusa- gen einen Knopf, mit dem die Dimension variiert werden kann. Erhöhen wir die Di- mension graduell, so zeigen unsere Mes- sungen, dass die Metalle ihre Eigenschaf- ten allmählich ändern. Dies ist eine Her- ausforderung für die Theorie, denn ihre Modelle ergaben ja völlig unterschiedli- che Ergebnisse in einer und in zwei oder drei Dimensionen. Kohlenstoff-Nanoröhrchen Kohlenstoff ist wohl das vielfältigste che- mische Element der Natur. Es kann nicht nur eine ungeheure Vielzahl von Verbin- dungen mit anderen Elementen einge- hen, sondern bildet auch untereinander große Ringe, Netzwerke oder Ketten. Si- cherlich die bekannteste und attraktivste Form, in welcher reiner Kohlenstoff als Kristall vorkommt, ist der Diamant. Auch wenn seine Eigenschaften in Bezug auf Härte, elektrische Isolation und thermi- sche Leitfähigkeit unübertroffen sind, so ist der Diamant chemisch und physika- lisch relativ uninteressant. Eine andere Konfiguration des Kohlenstoffs ist Gra- phit, der uns als Ruß bekannt ist und in jeder schwarzen Farbe enthalten ist. Obwohl aus den optischen Spektren der Astronomen schon lange bekannt, über- raschte 1985 Harold Kroto und Richard Smalley (Chemie-Nobelpreis 1996) die Welt mit einer dritten stabilen Form des Kohlenstoffs, dem fußballförmigen Mo- lekül C60, das auch als Bucky-Ball oder Fulleren bekannt wurde, da es an die Die organischen Bechgaard-Salze werden am 1. Phy- sikalischen Institut elektrochemisch hergestellt: In eine (leicht rötliche) Lösung werden zwei Platin-Elektroden gebracht, zwischen denen eine definierte Spannung anliegt. Mit dem Stromfluss setzt das Wachstum der nadelförmigen, schwarzen Einkristalle an einer Flächenelektrode ein. US-Pavillon des Architekten Buckminster Fuller bei der Weltausstellung 1967 in Montreal, Kanada [11]. Durch das Betreten der Kuppel sollte der Gesellschaft der Zugang zur geheimnisvoll-verschlossenen Welt der Wissenschaft ermöglicht werden. Bezugnehmend auf die Werke von Buckmister Fuller wurde das 1985 gefundene C60-Molekül „Bucky-Ball” bezie- hungsweise „Fulleren” genannt. Verschiedene Formen von Kohlenstoff: Diamant mit sei- ner typischen wabenförmi- gen dreidimensionalen Struktur, Graphit mit seinen nur über relativ schwache van-der-Waals-Kräfte verbun- denen Ebenen, das Fulleren C60 in Form eines Fußballs und die sehr dünnen und langen Nanoröhrchen. WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y 59 werden, also Zylinder mit mehreren kon- zentrisch ineinander liegenden Röhren. Um einwandige Nanoröhrchen (single- wall carbon nanotubes) zu erhalten, muss ein Katalysator-Metall wie beispiels- weise Nickel, Kobalt oder Yttrium beige- mischt werden. Die Kohlenstoff-Nano- röhrchen liegen in der Regel in Bündeln vor, wobei die einzelnen Nanoröhrchen durch starke van-der-Waals-Wechselwir- kungen gebunden sind, das heißt zusam- menkleben. Teilweise sind die Nanoröhr- chen so ineinander verschlungen, dass es sehr schwierig ist, sie zu separieren und zu einer Struktur anzuordnen; hier sind spezielle Verfahren und Tricks gefragt, die in den letzten Jahren perfektioniert wur- den. In den letzten Jahren hat die Materi- Herstellung von Kohlenstoff-Nanoröhrchen durch Aufrollen eines Ausschnitts einer zweidimensionalen Graphitschicht. Der Aufrollvektor Ch=na1+ma2=(n,m) beziehungs- weise der chirale Vektor θ definiert die Struktur des Nanoröhrchens und seine physikalischen Eigenschaften. Rechts sind drei typische Kohlenstoff-Nanoröhrchen darge- stellt: (a) (n,0) zigzag-, (b) (n,m) chirales und (c) (n,n) armchair-Nanoröhrchen. Aufnahmen von Kohlenstoff- Nanoröhrchen mit einem Transmissions-Elektronen- mikroskop: (a) Bündel von Nanoröhrchen; (b) Aus- schnitt mit einem einzelnen Nanoröhrchen [12]. Konstruktionen des Architekten Richard Buckminster Fuller (1895 – 1983) erin- nert, der durch seine geodätischen Kup- peln berühmt wurde. Die Fullerene besit- zen hochinteressante chemische und physikalische Eigenschaften, erwähnt sei nur die Supraleitung bei ca. 40 Kelvin, die bei Dotierung mit Alkalimetall-Ato- men beobachtet wird. Die Kohlenstoffku- geln kann man chemisch aneinander hängen, man kann andere Atome oder Moleküle außen anbinden oder ins Innere der Kugel befördern und so die Eigen- schaften variieren. Seit einigen Jahren können lange Röhren aus Kohlenstoff-ato- men, so genannte Kohlenstoff-Nano- röhrchen, kontrolliert hergestellt werden. Solch ein Nanoröhrchen kann man sich als einen Zylinder vorstellen, der durch Aufwickeln eines Ausschnitts aus einer Graphitschicht entsteht. Der Durch- messer dieser Nanoröhrchen beträgt nur einige Nanometer; sie können aber viele Mikrometer lang sein. Dies sind gute Bei- spiele von eindimensionalen Systemen. Die elektronischen Eigenschaften hängen davon ab, in welchem Winkel die Röhren gewickelt sind: Die Struktur eines Kohlen- stoff-Nanoröhrchens wird eindeutig cha- rakterisiert durch den Aufrollvektor Ch=na1 + ma2 = (n,m) (so genannter Ha- mada-Vektor), wobei a1 und a2 die Gitter- vektoren von Graphit sind. Mit (n,m) sind weitere strukturelle Parameter festgelegt, nämlich der Durchmesser und der chirale Winkel θ. Unter den vielen möglichen Vektoren Ch gibt es Richtungen hoher Symmetrie; diese werden – angelehnt an die Anordnung der Atome – als „zigzag“ (θ = 0°) und „armchair“ (im Deutschen: Lehnstuhl, θ = 30°) bezeichnet, und sind charakterisiert durch die Parameter (n,0) und (n,n). Der Aufrollvektor (n,m) be- stimmt neben der Struktur auch die elek- trischen Eigenschaften eines Nanoröhr- chens: Es wurde sowohl experimentell als auch theoretisch gezeigt, dass Nano- röhrchen mit n=m metallisch sind; solche mit n-m = 3i, wobei i eine ganze Zahl ist, besitzen eine kleine elektronische Band- lücke von etwa zehn Millielektronenvolt (meV), die durch die Krümmung des Röhrchens hervorgerufen wird, und sol- che mit n-m = 3i sind halbleitend mit ei- ner Bandlücke von einigen hundert meV. Schließlich hängen die elektrischen Ei- genschaften auch davon ab, ob die Nano- röhrchen einzeln oder in Bündeln vorlie- gen. Kohlenstoff-Nanoröhrchen werden bei- spielsweise durch Laserabtragung (La- serablation) oder Bogenentladung herge- stellt, wobei der Kohlenstoff zunächst bei sehr hohe Temperaturen von mehreren 1000°C in die Gasphase gebracht wird. Auf diese Weise können vielwandige Kohlenstoff-Nanoröhrchen hergestellt WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y 60 alabscheidung aus der Gasphase (chemi- cal vapor deposition, CVD) immer mehr an Bedeutung gewonnen, da auf diese Weise defektfreie Kohlenstoff-Nano- röhrchen erhalten werden und außerdem ein kontrolliertes Wachstum auf Ober- flächen ermöglicht wird. Durch Selbstor- ganisation konnten geordnete Strukturen aus Nanoröhrchen auf einem Substrat hergestellt werden, auf das zuvor in dem entsprechenden Muster ein Katalysator aufgebracht wurde. Zu den bemerkenswerten Eigenschaf- ten von Kohlenstoff-Nanoröhrchen zählt ihre extrem hohe mechanische, thermi- sche und chemische Stabilität. Diese be- ruht auf der Tatsache, dass alle chemi- schen Bindungen abgesättigt und außer- dem sehr stark sind. Aufgrund ihrer Stabi- lität und ihrer interessanten elektroni- schen Eigenschaften haben die Kohlen- stoff-Nanoröhrchen bereits zahlreiche An- wendungen im Labor gefunden; bei- spielsweise wurde gezeigt, dass sie in Feldeffekt-Transistoren eingesetzt werden können. Außerdem können sie als Elek- tronenemitter, zum Beispiel im Elektro- nenmikroskop oder Flachbildschirm, oder als Lichtemitter, beispielsweise im opti- schen Nahfeldmikroskop, verwendet wer- den. Es gibt zahlreiche weitere Einsatz- möglichkeiten von Kohlenstoff-Nano- röhrchen, wie etwa in der Datenspeiche- rung, als Wärmeaustauscher, als Strah- lungsschild, im Kraftmikroskop (atomic force microscope, AFM) und Rastertun- nelmikroskop (scanning tunneling microscope, STM), als Sensor für Kraft oder Druck, als Biosensor, als Speicher von Wasserstoff und viele mehr. Was die Grundlagenforschung betrifft, so stellen einwandige Kohlenstoff-Nanoröhrchen aufgrund ihres kleinen Durchmessers und ihrer großen Länge ideale Systeme dar, um die Physik in einer Dimension zu stu- dieren. Durch Tunnelexperimente wurde gezeigt, dass sich einzelne metallische Nanoröhrchen wie Luttinger-Flüssigkeiten verhalten. Eine interessante Frage ist nun, wie sich die elektronischen Eigenschaf- ten einer geordneten Struktur von Koh- lenstoff-Nanoröhrchen ändern, wenn der Abstand zwischen den Nanoröhrchen ge- zielt verändert wird. Besitzen die einzel- nen Nanoröhrchen einen relativ weiten Abstand voneinander, ist die Wechselwir- kung zwischen ihnen also gering bezie- hungsweise vernachlässigbar, dann sollte sich das Material wie ein ideales eindi- mensionales System verhalten. Wir kön- nen nun in einem Gedankenexperiment den Abstand zwischen den Nanoröhr- chen kontinuierlich verringern – dies könnte in der Praxis durch das Anlegen von äußerem Druck realisiert werden. Än- dern sich die elektronischen Eigenschaf- ten dabei kontinuierlich oder wird es zu einer abrupten Änderung kommen? Molekulare Magnete Die Programme der Computer werden immer umfangreicher, auf die Festplatten müssen ständig mehr Daten passen, auch die Bilder der digitalen Kameras ha- ben Millionen Farben und Jahr für Jahr ei- ne bessere Auflösung. Digitale Filme dür- fen der traditionellen Analogtechnik nicht nachstehen. Folglich muss der Speicher- platz ständig vergrößert werden, und trotzdem sollen die Geräte immer kom- pakter werden. Überraschenderweise ar- beiten die Speichermedien eines Kasset- ten- oder Videorecorders, einer Diskette oder einer Festplatte, egal ob analog oder digital, seit hundert Jahren nach dem gleichen Prinzip. Körner aus Eisenoxid Fe2O3 oder Chromdioxid CrO2 auf einer dünnen Plastikfolie werden mit Hilfe einer kleinen Spule in die eine oder ande- re Richtung magnetisiert. Die Speicher- dichte hat sich dabei alle fünf Jahre ver- zehnfacht und wird in den nächsten Jah- ren 100 Gbit/in2 (100 Mrd. digitale Infor- mationseinheiten pro Quadratzoll) errei- chen, das heißt pro Quadratmillimeter kann man 150 Mio. Bit speichern, was ei- ner Textmenge von 3 000 Schreibma- schinenseiten entspricht. Doch damit ist eine physikalische Grenze erreicht. Die Qualität alter Tonbänder und Musikkas- setten leidet mit jedem Jahr. Eine weitere Verdichtung würde dazu führen, dass die gespeicherte Information noch schneller verloren geht. Wird das superparamagne- tische Limit überschritten, so hält die ein- geschriebene Magnetisierung nur Bruch- teile von Sekunden. Sicherlich kann man mit ein paar tech- nischen Tricks noch die ein oder andere Optimierung erreichen; dennoch nähert man sich dem Ende eines sehr erfolgrei- chen Weges. Doch vielleicht gibt es ganz andere Wege, um die diskutierten Limita- tionen zu umgehen? Wie wenig Platz braucht man, um ein Bit zu speichern? Momentan erreichen die magnetischen Körner eine Größe von ca. 100 Nanome- tern; der Wunsch ist, ein Bit pro Molekül zu speichern – auf einer Fläche also, die tausendmal kleiner ist als die heutigen magnetischen Domänen. Da traditionelle magnetische Materialien keinen Ausweg Selbstorganisierte Bündel von mehrwandigen Kohlen- stoff-Nanoröhrchen, die mit der CVD-Methode (Material- abscheidung aus der Gas- phase) auf einem Silizium- Substrat gewachsen sind, auf das zuvor ein entspre- chendes Muster des Metall- Katalysators aufgebracht wurde [13]. Zunahme der Speicherdichte magnetischer und opti- scher Medien in den letzten zwanzig Jahren. Zur Ori- entierung sind die derzeit üblichen Musik- und Daten- CDs beziehungsweise Video DVD-Formate angege- ben. Oberhalb der paramagnetischen Grenze ändern thermische Fluktuationen die Magnetisierung der Körner, sodass die Information in Bruchteilen von Se- kunden verloren geht. WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y 61 aus diesem Dilemma bieten, begann vor einigen Jahren die Suche nach Alternati- ven. Die Idee ist wiederum, nicht Pulver immer feiner zu malen (top-down), son- dern Atome so zu arrangieren (bottom- up), dass die resultierenden Moleküle die gewünschten Eigenschaften haben. In Eisen oder den gebräuchlichen ferromag- netischen Legierungen ist es die lang- reichweitige Ordnung aufgrund der Wechselwirkung zwischen den Molekü- len, die Weiß’sche Bezirke und Domänen- wände ausbildet und die makroskopi- sche Materialbeschaffenheit, das heißt die magnetischen Eigenschaften, erklärt. Anstelle der langreichweitigen Ordnung eines Ferromagneten versucht man, sich die magnetischen Eigenschaften von Mo- lekülen selbst nutzbar zu machen. In der Chemie wurden in den letzten Jahrzehn- ten enorme Fortschritte bei der Synthese von Riesenmolekülen gemacht, die auf- grund ihrer Symmetrie und Struktur die gewünschten Eigenschaften aufweisen. Dies sind hochsymmetrische Gebilde aus mehreren Dutzend Atomen, die eine Vor- zugsrichtung der Magnetisierung haben. Der Elektronenspin des gesamten Mo- leküls, der die Magnetisierung bestimmt, kann entweder nach oben oder nach un- ten gerichtet sein, womit man Informa- tion (0 oder 1) speichern könnte. Als Modell hierzu dient [Mn12O12(CH3COO)16 (H2O)4] ·2CH3COOH·4H2O, ein Molekül, das im Kern aus zwölf Mangan-Atomen besteht, die in zwei Schalen mit unterschiedlicher Magnetisierung angeordnet sind und kurz als Mn12ac bezeichnet wird. Eine größere Zahl von Sauerstoff-, Wasser- stoff- und Kohlenstoff-Atomen stabilisie- ren die Struktur mit einer ausgeprägten Vorzugsrichtung. Das Molekül besitzt ei- nen Gesamtspin von S = 10. Gemäß den Prinzipien der Quantentheorie gibt es hierfür exakt 21 diskrete Einstellungen: zehn in die eine (-10, -9, -8, ... -1) und zehn in die andere Richtung (+10, +9, +8, ... +1) nebst einer neutralen (0). Mit- tels spektroskopischer Methoden kann man die Übergänge zwischen diesen Stu- fen anregen und vermessen. Zirkular po- larisiertes Licht erlaubt gezielt nur die rechten oder die linken Stufen hochzu- klettern. In enger Zusammenarbeit zwi- schen Chemie und Physik, zwischen Theorie und Experiment wird diese Klas- se von molekularen Magneten, die etwas exakter auch Einzelmolekülmagnete ge- nannt werden, erforscht und erweitert. Ei- nige Probleme sind dabei allerdings bis- her noch nicht befriedigend gelöst: So sind extrem tiefe Temperaturen erforder- lich, um die Magnetisierung in ihrer Vor- zugsrichtung längere Zeit zu erhalten. Auch ist nicht klar, wie einzelne Moleküle beschrieben und gelesen werden kön- nen. Doch durch die enormen Fortschrit- te der Nanotechnologie wird die Adres- sierbarkeit einzelner Moleküle bald in Reichweite kommen. Vor gut fünf Jahren sorgten molekulare Nanomagnete für Schlagzeilen, als Phä- nomene beobachtet wurden, die nur mit Hilfe der Quantentheorie erklärt werden können. Seit dieser Zeit haben sich mole- kulare Magnete zu einem bevorzugten Modellsystem der Festkörperphysik ent- wickelt, um makroskopische Quanten- phänomene zu untersuchen, die zum Teil schon vor Jahrzehnten vorhergesagt wur- den, sich aber bisher der Beobachtung entzogen hatten. Die Wissenschaftler ge- hen davon aus, dass diese Eigenschaften mittelfristig den Bau eines Quantencom- puters möglich machen können. Das Quantentunneln des Elektronen- spins ist in Form von charakteristischen Stufen der Magnetisierung zu beobach- ten: Bei bestimmten Magnetfeldstärken müssen die Spins nicht mehr über eine Energiebarriere klettern, um ihre Rich- tung zu wechseln, sondern können durch den Berg hindurchtunneln, da auf der an- deren Seite ein Zustand gleicher Energie liegt. Auch die Tatsache, dass Elektronen strenggenommen Wellen sind, kann man durch Interferenzphänomene in der Mag- netisierung direkt sehen. Weitreichende Möglichkeiten eröffnet eine neue Art der magnetischen Spektroskopie, die in Stutt- gart in den letzten Jahren entwickelt und angewandt wurde, um die Relaxations- Das Molekül Mn12ac, eine Abkürzung für [Mn12O12(CH3COO)16(H2O] · 2CH3COOH · 4H2O, ist das bekannteste und best untersuchte Beispiel eines mo- lekularen Magneten. Polymolybdat-Cluster mit 368 Molybdän-Atomen: Na48[HxMo368O1032(H2O]240(SO4)48] · ca. 1000 H2O[14]. Dieses hochsymmetrische Riesenmolekül bildes sich von selbst aufgrund der Selbstorganisation der einzel- nen Atome. Hochfrequenz-ESR-Spektrometer am 1. Physikali- schen Institut der Universität Stuttgart zur Beob- achtung der Übergänge zwischen den magnetischen Niveaus von molekularen Magneten. Dieses weltweit einmalige Instrument ermöglicht einen direkten Blick auf die einzelnen Spinzustände und ihr zeitliches Ver- halten: man kann die Molekülspins beim Quanten- tunneln beobachten. WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y 62 phänomene der molekularen Nano- magneten zu untersuchen. Hierbei wer- den die Übergänge zwischen magneti- schen Niveaus direkt beobachtet. Verein- facht gesprochen, kann man den Spins beim Durchtunneln der Barriere zusehen. Viele Aspekte sind inzwischen verstan- den und entsprechen auch quantitativ den theoretischen Modellen, doch eine ganze Reihe von Tatsachen wartet noch auf ihre Erklärung. Ausblick Jeder endliche Körper wir durch Flächen begrenzt; diese Oberfläche wird umso wichtiger, je kleiner man den Körper macht. In der Nanotechnologie hat man es folglich fast ausschließlich mit Rändern und Kanten zu tun. Schichten sind nur wenige Atome dick, Drähte werden nur wenige Atome stark. Aus diesem Grund wurde die Oberflächenphysik in den letz- ten Jahrzehnten zu einem wichtigen Teil- gebiet der Physik und Technologie. Von theoretischen Modellen abgesehen, ent- wickelt sich die Physik der reduzierten Di- mensionen erst allmählich. Experimentell befasst man sich überwiegend mit der Herstellung und Charakterisierung der ein- oder zweidimensionalen Eigenschaf- ten, was sich oft als äußerst schwierig entpuppte. Es stellte sich heraus, dass niedrigdimensionale Strukturen sehr empfindlich für kleine Störungen sind, die aber in der Realität nicht zu vermeiden sind. Auch Fluktuationsphäno-mene wer- den mit abnehmender Dimension immer wichtiger, schon allein aufgrund der end- lichen Temperaturen. Als Leitmotiv unserer Bemühungen können wir die folgende Frage formulie- ren: Was sind die Eigenschaften von Sys- temen mit einer reduzierten Dimension? Da technologisch relevante Bausteine im- mer kleiner werden, sich bald die Infor- mationsverarbeitung und –speicherung auf der Nanometerskala oder darunter abspielt, ja sogar auf atomarer Ebene, ist es wichtig, die Physik in reduzierter Di- mension zu verstehen. Erst mit einem grundlegenden Verständnis ihrer Eigen- schaften können niedrigdimensionale Strukturen gezielt für Anwendungen ge- nutzt werden. Die Arbeiten am 1. Physi- kalischen Institut der Universität Stuttgart mögen noch ausschließlich Grundlagen- fragen betreffen, ihre baldige Relevanz für die Technologie von übermorgen ist je- doch sicher. Das tiefe Verständnis solcher quasieindimensionaler Strukturen ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Weiter- entwicklung der Nanotechnologie zu ei- ner molekularen Elektronik. Das Forschungsgebiet lebt in einem spannenden Wechselspiel zwischen Theorie und Experiment; es braucht eine enge Zusammenarbeit zwischen Chemi- kern und Physikern. Es wurden deutliche Fortschritte beim Verständnis gemacht, doch bei weitem sind noch nicht alle Fra- gen beantwortet, noch sind viele rätsel- hafte Eigenschaften nicht erklärt. Auf dem Gebiet der eindimensionalen Metal- le ist es zur Zeit noch fraglich, ob die theoretischen Ansätze einer Luttinger- Flüssigkeit auf reale Strukturen, wie Quantendrähte, Nanoröhren, Molekülket- ten oder stark anisotrope Kristalle, ange- wendet werden können. Die theoretische Beschreibung muss die Wechselwirkung mit der Umgebung berücksichtigen, um von idealisierten Modellen zu realen Sys- temen zu gelangen. Experimentell ist es Energieschema eines molekula- ren Magneten: Die linke Seite entspricht der Ausrichtung des Elektronenspins nach oben, die rechte Seite der entgegenge- setzten Orientierung. Zum Um- klappen des Spins muss die En- ergiebarriere des Doppel- muldenpotenzials überwunden werden. Dies ist thermisch oder durch die Einstrahlung von elek- tromagnetischer Energie der geeigneten Wellenlänge mög- lich. Zirkular polarisiertes Licht erlaubt geziehlt nur die rechten oder linken Stufen hochzuklet- tern. Durch Anlegen eines Mag- netfeldes werden die rechten und linken Energiestufen ge- geneinander verschoben; er- reicht das Magnetfeld einen Wert, für den eine linke und ei- ne rechte Energiestufe überein- stimmen, kann Quantentunneln stattfinden. Schematische Magnetisie- rungskurve des molekula- ren Magneten Mn12ac: Aufgrund des Quantentun- nelns werden charakteristi- sche Stufen der Magneti- sierung beobachtet, denn auf einen Schlag können viele Moleküle die Magne- tisierungsrichtung invertie- ren. WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y 63 möglich, an Modellsystemen die Wech- selwirkung und damit die Dimensionalität kontinuierlich und kontrolliert zu vari- ieren, um so in enger Zusammenarbeit mit der Theorie die Anwendbarkeit und gegebenenfalls Weiterentwicklung der fundamentalen Konzepte zu studieren. Diese Thematik wird gegenwärtig sehr kontrovers diskutiert und ist weltweit Ge- genstand von intensiver Forschung. Vor fast zwanzig Jahren wurde in Stuttgart ein enorm innovativer und vor- ausblickender Sonderforschungsbereich aus der Taufe gehoben, der als Moleku- lare Elektronik bekannt wurde und für eine große Zahl von Forschungsaktivi- täten, die man heute in Deutschland be- obachtet, Vorreiterfunktion hatte. Neben der Herstellung von organischen Schich- ten und Kristallen ging es darum, wie Strom durch Moleküle geleitet werden kann und wie diese beispielsweise durch Licht geschalten werden können. Die grundsätzlichen Fragen haben nichts von ihrer Aktualität verloren, sind vielmehr durch weitere Ansätze zu ergänzen. Eine inzwischen in der Industrie angesiedelte Aktivität gilt der schon angesprochenen Herstellung von organischen Leucht- dioden. Derzeit verfolgt man mit großem Engagement Bemühungen, mit Hilfe des Feldeffekts die elektronischen Eigen- schaften von organischen Kristallen oder Filmen zu variieren. Von besonderem Interesse ist die Wechselwirkung von elektronischen und magnetischen Eigenschaften. Können wir die magnetischen Eigenschaften elek- trisch verändern oder schalten? Können wir umgekehrt die elektrischen Eigen- schaften durch magnetische verändern? Man möchte durch die Einstrahlung von Licht die elektronischen Eigenschaften von Molekülen ändern. Doch auch die magnetischen Eigenschaften von Mo- lekülen können schon heute mit Licht re- versibel so variiert werden, dass sie als Schalter dienen. Sicherlich werden in den kommenden Jahren ganz neue Klassen von molekularen Systemen entwickelt, die uns eines Tages in Geräten des tägli- chen Lebens begegnen werden. Literatur und Danksagung [1] Zur Verfügung gestellt von Heinz Schweizer, Mi- krostrukturlabor des Physikalischen Instituts, Univer- sität Stuttgart [2] D. M. Eigler und E. K. Schweizer, „Positioning single atoms with a scanning tunneling microscope”, Nature 344, 524-526 (1990) [3] Zur Verfügung gestellt von Achim Müller, Anorgani- sche Chemie, Universität Bielefeld [4] C. Ludwig, B. Gompf, J. Petersen, R. Strohmaier und W. Eisenmenger, „STM investigations of PTCDA and PTCDI on graphite and MoS2. A systematic study of epitaxy and STM image contrast”, Zeitschrift für Physik B 93, 365 (1994) [5] Zur Verfügung gestellt von Norbert Karl, Kristallla- bor des Physikalischen Instituts, Universität Stuttgart [6] F. J. Himpsel, A. Kirakosian, J. N. Crain, J.–L. Lin und D. Y. Petrovykh, „Selfassembly of onedimensional nanostructures at silicon surfaces“, Solid State Com- munications 117, 149 (2001) [7] Zur Verfügung gestellt von Frank Lichtenberg, Ex- perimentalphysik VI, Universität Augsburg [8] Zur Verfügung gestellt von Wolfram Ressel, In- stitut für Straßen- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart [9] http://www.desy.de/~hasunihh/poster [10] M. Dressel, „Spin-Charge Separation in Quasi One-Dimensional Organic Conductors“, Naturwissen- schaften 90, 337 (2003) [11] Buckminster Fuller, herausgegeben von R. Sny- der, St. Martin’s Press, New York 1980) [12] B.W. Reed und M. Sarikaya, „Electronic pro- perties of carbon nanotubes by transmission electron energyloss spectroscopy”, Physical Review B 64, 195404 (2001) [13] M. Dresselhaus und P. Dresselhaus, Carbon Na- notubes, Springer-Verlag, Berlin (2001) [14] A. Müller, E. Beckmann, H. Bögge, M. Schmidt- mann und A. Dress, „Inorganic Chemistry Goes Pro- tein Size: A Mo368 Nano-Hedgehog Initiating Nano- chemistry by Symmetry Breaking”, Angewandte Che- mie 114, 1210 (2002) 64 Dr. Christine Kuntscher Geboren am 8. Juli 1973 in Marktheidenfeld, studierte von Oktober 1992 bis Juli 1995 Phy- sik an der Universität Würzburg. Es folgte ein Auslandsstudium der Physik an der State Universi- ty of New York in Stony Brook in den USA mit einem Master-Ab- schluss über das Thema „Alkali Occupancies and Fullerene Orien- tation in K4C60 and Rb4C60“ im De- zember 1996. Im Anschluss be- gann Christine Kuntscher ihre Promotionsarbeit über „Photo- emissions- und Röntgenabsorp- tionsspektroskopie am quasi- eindimensionalen System Sr1-yLayNbO3.5-x“ am Institut für Festkörperphysik des Forschungs- zentrums Karlsruhe. Ihre Promo- tion schloss einen mehrmonati- gen Forschungsaufenthalt an der Ecole Polytechnique Federale de Lausanne im Rahmen eines DAAD-Stipendiums ein. Nach der Promotion im Juni 2000 an der Universität Karlsruhe wechselte sie zur Universität Stuttgart und war von Juli 2000 bis Mai 2001 als wissenschaftliche Mitarbeite- rin am 1. Physikalischen Institut auf dem Gebiet der optischen Spektroskopie tätig. Seit Juni 2001 ist Christine Kuntscher Stipendiatin des Emmy Noether- Programms der Deutschen For- schungsgemeinschaft. Im Rah- men dieses Stipendiums hielt sie sich zuächst ein Jahr als Gast- wissenschaftlerin am Laboratory of Optical Solid State Physics der Reiksuniversiteit Groningen, Niederlande, auf, wo sie an den optischen Eigenschaften niedrig- dimensionaler Systeme forschte. Ein weiteres Jahr verbrachte sie am Clarendon Laboratory an der Oxford University, Großbritanni- en, und beschäftigte sich mit op- tischer Spektroskopie unter ho- hem Druck. Seit Juni 2003 leitet Dr. Christine Kuntscher eine Em- my Noether-Nachwuchsgruppe am 1. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart. Ihr For- schungsgebiet ist die Untersu- chung der elektronischen Eigen- schaften niedrigdimensionaler Systeme, insbesondere die opti- sche Spektroskopie unter hohem Druck. Prof. Dr. rer. nat. Martin Dressel wurde 1960 in Bayreuth gebo- ren. Er studierte Physik, Philoso- phie und Rechtswissenschaften an der Friedrich-Alexander-Uni- versität Erlangen und der Georg- August-Universität Göttingen. Nach der Diplomarbeit in einem Gebiet der Halbleiterphysik ar- beitete er am Dritten Physikali- schen Institut an seiner Disserta- tion zu Mikrowellen-Hall-Effekt in Supraleitern. 1989 wurde er zum Dr. rer. nat. promoviert. Bis 1991 leitete er die Aktivitäten des Laser-Laboratoriums Göttin- gen im Bereich der medizini- schen Laseranwendungen. Da- ran schloss sich ein Postdoc-Auf- enthalt an der University of Bri- tish Columbia in Vancouver, Canada, an. Von 1992 bis 1995 arbeitete Martin Dressel an der University of California in Los An- geles, USA, als Stipendiat der Alexander von Humboldt Stif- tung. Nach Deutschland zurück- gekehrt, habilitierte er 1996 an der Technischen Hochschule Darmstadt, ehe er an das Zen- trum für elektronische Korrela- tionen und Magnetismus der Universität Augsburg wechselte. Seit 1998 leitet Prof. Martin Dressel das 1. Physikalische In- stitut der Universität Stuttgart. Er wurde kürzlich mit dem Lan- WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y desforschungspreis 2003 ausge- zeichnet. Seine Forschung befasst sich mit optischen, elektroni- schen und magnetischen Eigen- schaften von niedrigdimensiona- len und korrelierten Elektronen- systemen mit dem besonderen Schwergewicht auf organische Leiter und Supraleiter. WechselWirkungen y Jahrbuch 2004 y 65