BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT DER WERKSTÄTTEN FÜR BEHINDERTE e.V. BESCHÄFTIGUNG SICHERN DURCH GROSSAUF- TRÄGE (?) von Ull i Arno 1 d 1. Problem der Auslastung von Wfß-Kapa- zitäten 1. 1. Steigender Be~rf an WfB-Arbeits- plätzen Die Werkstätten für Behinderte (WfB) erfüllen ihren Auftrag nur dann, wenn sie insgesamt über ein ausrei- ehendes Arbeitsangebot für alle ihre Mitarbeiter verfügen können. Dabei sind die sehr verschiedenen Leistungsmöglichkeiten dieser Mit- arbeiter zu berücksichtigen; d.h. Arbeitsaufgaben mit unterschiedli- chem Schwierigkeitsgrad werden be- nötigt. Es ist bekannt, daß der Be- darf an Arbeitsplätzen in Wfß zu- künftig noch deutlich zunehmen wird. Die Anzahl der behinderten Menschen, denen die Arbeitswelt ausserhalb von WfB wegen ihrer Behinderung ver- schlossen bleibt, nimmt zu. Damit stellt sich das Problem, wie die tendenziell steigende Produkti- onskapazität von WfB (z.Zt. sind 70.000 behinderte Menschen beschäf- tigt; vgl. BIM 07/1985, S. 15) sinn- vo 11 genutzt werden kann. Nach dem Selbstverständnis der WfB werden Arbeit und Arbeitsergebnisse nicht als Selbstzweck aufgefaßt. "Werk- stätten" produzieren und leisten Dienste für ein Publikum, für "den Markt" (Kalteier; BIM 07/1985, S. 15). Sie sollen ihre Dienstlei- stungen und Sachgüter am Markt ver- kaufen können (vgl. "Beiträge zur Konzeption der WfB", 1984, S. 47). 1.2. Tendenzen der Kapazitätsauslastung Das Leistungsspektrum der WfB wird durch drei Komponenten charakteri- siert: a) Lohnaufträge aus der industriel- len Serienfertigung ("verlängerte Werkbank" von Industriebetrieben, gelegentlich auch von Groß- handelsbetrieben); b) handwerkliche Kleinserienferti- gung ("Eigenproduktion"; "Fertig- produkte"), c) Dienstleistungsproduktion. Fallweise treten reine Handelsumsät- ze (soweit die WfBs auch Hande 1 mit Waren anderer Werkstätten betreiben) noch hinzu. BIM 04/86 extra Die techno 1 ogi sehen Änderungen, die sich gegenwärtig und zukünftig ver- stärkt in Industrie-, Handwerks- und auch Hande 1 sbetri eben bemerkbar ma- chen, wirken $~<:h insbesondere auf den Bereich der Lohnauftragsfer- tigung der WfB aus. Von wesentlicher Bedeutung ist der zunehmende Grad an Fertigungsautomatisierung in der Sachgüterprodukti on. Das Preis-Lei- stungsverhältni s von Handhabungs- automaten hat sich mittlerweile derart verbessert, daß ihr Einsatz zunehmend auch bei Arbeitsabläufen geringeren Komplexitäts.grades und bei geringeren Stückzah 1 en wi rt- schaftlich ist. Diese Maschinen las- sen sich immer flexibler einsetzen. Die Umrüstungskosten bei differen- zierter Massenfertigung reduzieren sich drastisch, so daß die fixen Kosten eines bestimmten Ferti- gungs 1 oses ("Auflage") weniger ins ökonomische Kalkül fallen. - Das weitere Ausschöpfen von Mechanisie- rungs- und Automatisierungsreserven in den Be tri eben der trad it i one 11 en Auftraggeber von WfB führt dazu, daß 14 es zukünftig schwerer werden wird, Lohnaufträge alter Art zu ak- quirieren. Zu Recht stellt ein Werkstättenlei- ter fest: ~ourch Rationalisieren und Techni- sieren bei unseren Wirtschaftspart- nern kommen die WfB immer mehr in Druck, bekommen schlechtere Arbeiten für noch weniger Geld" Volk, BIM 06/1985, s. 23). Fazit: Das traditionelle Standbein der Ka- pazitätsauslastung von WfB scheint in der Zukunft nicht mehr so belast- bar zu sein wie bisher. Neue Wege zur Problemlösung müssen gefunden und beschritten werden. 2. Großaufträge - "groß" für wen? Größe an sich ist kein erstrebens- wertes ökonomisches Ziel. Deshalb ist es geboten, über die Instrumen- tal ität von Größen- bzw. Wachstums- merkmal nachzudenken: Welche be- trieblichen Vorteile sind mit zu- nehmenden Produktions- bzw. Auf- tragsgrößen verbunden? Welche ökono- mischen Voraussetzungen müssen gege- ben sein, um größenbedingte Vorteile realisieren zu können? Schließlich: Was ist der "Preis", was sind die Folgen von größeren Produktionsquan- ten? Ökonomen sehen im Zusammenhang mit der Steigerung der Losgröße (in der Produktion, in der Beschaffung oder im Absatzbereich) hauptsächlich fol- gende Vorteile: a) Die größerzahlige Wiederholung von Prozeßabläufen hat zur Folge, daß die vom einzelnen Ferti- gungstakt unabhängigen Kosten (sog. Fixkosten) auf zunehmend mehr Ab 1 äufe umgelegt werden können; d.h., der Fixkostenanteil eines einzelnen Prozeßablaufs (bezogen auf das Prozeßergebn i s; das hergestellte Stück) sinkt, verliert zunehmend an Bedeutung gegenüber den gleichbleibenden Kosten der Prozeßdurchführung (sog. "economies of the scale"). b) Großzahlige Produktionen erlaubt eine Verstetigung der der eigent- lichen Produktion vorgeschalteten und nachgelagerten Prozeßschritte (z.B. Beschaffung, Verwaltung usw.). BIM 04/86 extra c) Großzahlige und stetige Produkti- on eröffnet die Möglichkeit, spe- zialisierte Fertigungsmittel ein- zusetzen und im Falle mehrstufi- ger Fertigungsprozesse die ver- schiedenen Anlagen (-komplexe) optimal zu dimensionieren. d) Größeneffekte in einem Funktions- bereich haben häufig auch größen- bedingte Kostensenkungen in ande- ren Bereichen zur Folge (z.B.: Mengenrabatte bei der Materialbe- schaffung; Kapazitätsauslastung in der Verwaltung, im Vertrieb usw.). e) Die Wiederholung von Prozeß- schritten führt zu Lerneffekten (Konzept der Lernkurven). Dagegen stehen allerdings die negativen Effekte monotoner Arbeitsabläufe. Fazit: Das Motto "small ist beautiful" mag seine Berechtigung bei der Anferti- gung von Individualgütern und per- sönlichen, exklusiven Dienstleistun- gen haben. Wenn es aber um die Aus- lastung von Fertigungskapazitäten und um die Arbe.itsplätze von 70.000 Menschen geht, dann kommt man an dem Problem der Losgrößenoptimie- rung nicht vorbei. Dabei sind steti- ge Prozeßabläufe gerade im Hinblick auf die Leistungsmöglichkeiten der behinderten Mitarbeiter ein wichtiges Ziel für WfB. 15 BUNDESARBEITSGEMEINSCHAfT DER WERKSTÄTTEN FÜR BEHINDERTE e.V. 3. Abstimmungsprobleme 3.1. Losgröße aus der Sicht der WfB Die einzelne WfB wird von einem Großauftrag schon dann reden, wenn dadur~h die Kapazität zu einem spürbaren, erheblichen Teil ausge- 1 astet wird. Das Merkma 1 der Größe ist also relativ zu sehen, in Abhän- gigkeit von der jeweiligen Kapazi- tät der WfB. - Oie Nachfrageseite wird in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt. Hier spiegelt sich die überkommende Sichtweise der Lohnauftragsfertigung wider: In wie- viel Einzellose und Losgrößen ein Auftraggeber seinen Bedarf zerlegt, ist für die WfB an sich nicht be- deutsam. Die Fertigung größerer Stückzahlen - a 1 s Gegenbegriff zur reinen I nd i- vidualfertigung gesehen - kommt den besonderen Produktionsbedingungen in WfB entgegen. Der häufige Wech- sel von Arbeitsaufgaben und Arbeits- abläufen (damit verbunden sind Wech- se 1 von Werkzeugen und Materi a 1 i en) setzt ein hohes Maß an technischer und dispositiver Flexibilität vor- aus; hier werden Wfß mit erwerbs- wirtschaftlichen Unternehmen selten konkurrieren können. 3.2. Oie Losgröße aus Kundensicht Nur im Falle der individuellen Ein- zelfertigung entsprechen sich die Größenvorstellungen von Auftragge- ber und Auftragnehmer unmittelbar. Bei allen Arten der Massenfertigung wird ein wechselseitiger Ausgleich der Größenverhältnisse von Nachfra- ge und Produktion erforderlich: a) die Menge kann für den ei nze 1 nen Nachfrager groß sein und voll- ständig seinen Bedarf abdecken; für die vJfB kann es sich dennoch um einen "kleinen" Auftrag han- deln; b) die nachgefragte Menge kann ggf. die Kapazität einer WfB erheblich übersteigen. Die Entscheidungs- alternativen des Kunden richten sich dann auf a) Eigenproduktion der restlichen Menge b) Vergabe an andere WfB c) Vergabe an andere Produk- tionsbetriebe (also Verlust eines Auftrages für den WfB- Sektor. HIM 04/86 extra Die Gefahr besteht allerdings, daß ein großes Produktionsvolumen von vornherein an Nicht·Wfß ver- geben wird, weil die Kapazität der einzelnen Werkstätten als zu gering eingeschätzt wird. Die Möglichkeit der Verbundproduktion ( Fertigungsgemeinschaften) wird von den Auftraggebern nicht gese- hen, von der einzelnen Wfß ver- mutlich auch nicht angeboten. Die Folge: Verlust eines an sich interessanten Auftrages an den Nicht-WfB-Bereich. 4. Auf gabenste 11 ung für das WfB-Marke- ting Die Lösung der Kapazitätsprobleme von Wfß über die quantitative Aus- dehnung des Bereichs der Eigenpro- duktion hat zwangsläufig Konsequen- zen für das Marketing. Drei Aspekte sollen dies verdeutlichen: - Größerzahlige Produktion erfordert eine größerzahlige Distribution. - Der lokale bzw. regionale Zu- schnitt der herkömmlichen Akquisi- tions- und Vertriebsbemühungen wird nicht mehr ausreichen, um das größere Produktionsvolumen ab- setzen zu können. Die WfB-Märkte werden zwangsläufig überregional. Damit stellt sich dringlich die Frage nach den Möglichkeiten einer Absatzkooperation von WfB (also Fertigungs- und Absatzgemein- schaften!). - Die Produktion für den "anonymen Markt", a 1 so auf Verdacht, zwingt zur systematischen Analyse und Be- arbeitung einzelner Marktfelder. Sorgfältige Marktforschung und zielstrebige Markterschließung können die grundsätzlich vorhande- nen Absatzrisiken einer reinen Marktproduktion überschaubar, kal- kulierbar machen. Die ständige Ko- ordinationsau(gabe erstreckt sich darauf, Marktchancen und Pro- duktionskapazitäten aufeinander abzustimmen, d.h. geeignete ("marktfähige") Produkte herzu- stellen (vgl. Abb.). 16 Abb. 1: Koordinationsaufgabe (1) Aufträge/Märkte/Bedarfe Auftragsproduktion Absatzpotential für "anonymen Harkt" (2) Produktideen; Innovationen (J) fertigungs-Kapazität Abb. 2: Marketingcharakteristika D1e nachfolgende tabellarische Über- sicht soll die unterschiedlichen Marketingcharakteristika in den ein- zelnen Leistungsfeldern von Wfß ver- deutlichen. ;A k öl