Browsing by Author "Rivera, Manuel"
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Item Open Access Theater als politische Öffentlichkeit : Begriff, Aspekte und eine Fallstudie(2015) Rivera, Manuel; Renn, Ortwin (Prof. Dr. Dr. h. c.)An die historische Erfahrung der Gleichursprünglichkeit von Theater und Politik in der attischen Polis schließt die Grundintuition der Arbeit an: Auch das Stadttheater in der Bundesrepublik Deutschland sei nicht nur eine Kulturkonsumnische oder ein Bildungsbürgerritual, sondern es bilde einen öffentlichen Raum, in dem politisch kommuniziert wird. Der empirischen Validierung dieser Intuition widmet sich eine Fallstudie, der Begriffsklärungen bezüglich politischer Öffentlichkeit vorausgehen. Diese orientieren sich am Stand der Forschung und Theorie an Hannah Arendts Begriff des Politischen, mit entsprechenden Gegenbegriffen des Konsumismus und Ritualismus. Das grundsätzliche Maß, welches die Realität des Theaters als politische Öffentlichkeit angeben kann, ist dabei die Struktur und Reichweite seiner Kommunikationen. Bezüglich des Begriffes „Öffentlichkeit“ schließt die Arbeit an Jürgen Habermas und andere den Bereich normativ konzipierende Autoren an. Öffentlichkeit ist ein diskursives (reflexives) und darstellendes (präsentierendes) Netzwerk verschiedener „Arenen“ und „Galerien“ (Jürgen Gerhards) mit individuellen „Backstages“ (Produktionsstrukturen; Bernhard Peters). Ein Bereich ist „öffentlich“ insofern Sprecher ihre Beiträge auf ein Publikum ausrichten (Arena) und dieses Publikum diese Ausrichtung auch versteht (Galerie). Die politische Öffentlichkeit rahmt ihre Themen als Probleme des Gemeinwesens. „Kulturelle Öffentlichkeiten“, in denen Form der Darstellung und „Kathexis“ (Parsons), also affektive Besetzung der Handlungen zum Thema gemacht werden, dienen potenziell als Produktionsstruktur einer solchen politischen Öffentlichkeit, indem sie lebensweltliche Erfahrungen mit Strategien zugänglich und ‚diskursfähig‘ machen, die der politischen Öffentlichkeit im engeren Sinne fremd sind. Die Rekonstruktion eines Begriffs des Politischen hält aus der aristotelischen Tradition einerseits fest, dass es um eine kollektive Selbstbestimmung, um einen „Raum gemeinsamer Angelegenheiten“ geht. Insofern hängt der Begriff mit dem der Öffentlichkeit zusammen. Zweitens stellt politische Kommunikation den unhintergehbaren (wenngleich manipulierbaren) Bezug auf ein ethisch Richtiges her. Die Einsicht in die Pluralität der Perspektiven und Meinungen steht als drittes Definiens in einer Spannung zu dem vierten eines „agonistischen“, in Entscheidungsalternativen polarisierten Raums (C. Schmitt u. a.). Im Gegensatz zu diesen Merkmalen stellt der „Konsumismus“ Bezüge ausschließlich zu individuellen Präferenzen her und formuliert diese normativ neutral sowie (tendenziell) nicht-argumentativ und nicht-exklusiv. Im Gegenbegriff des „Ritualistischen“ hingegen verschwindet die reflexive und pluralistische Dimension; das Gesellschaftliche wird hier auf das Gemeinschaftliche zurückgeführt. Bevor dieseBegriffe in der Fallstudie empirisch angewandt werden, verdeutlichen exemplarische historische Exkurse ins Theater Athens, des Elisabethanischen England und das Deutschland des 19. Jahrhunderts die Relevanz der Fragen nach der Kommunikationsstruktur der theatralen ‚Sprecher‘ und ihrer Publika, wobei über die letzteren systematisch weniger bekannt ist. Am griechischen Theater wird der Bezug auf gemeinsame Angelegenheiten, am elisabethanischen die Pluralität der Sichtweisen, am deutschen die Ambivalenz zwischen aufs Private zielendem Bildungsauftrag und ritueller Gemeinschaftsbildung hervorgehoben. Das Theater der Bundesrepublik wird als Erbe des bürgerlichen Theaters, dessen Normativität in der mediatisierten Erlebnisgesellschaft unter Druck gerät, vorgestellt. Das „Stadttheater“ wird als Typus von anderen Öffentlichkeiten abgegrenzt (wie der Freien Szene oder den Metropolentheatern), um klar zu machen, womit die Fallstudie sich beschäftigt. Die Fallstudie im westdeutschen „Mittelstadt“ untersucht Kommunikationen des Theaterbetriebs (Interviews mit Produzenten; teilnehmende Beobachtungen), der Rezipienten (Zuschauerinterviews) und der Arena selbst (Inhaltsanalyse von Texten der Öffentlichkeitsarbeit). Von Interesse sind dabei sowohl Wissen wie Einstellungen der Befragten, also Informationen über Realia wie Desiderate. Die Analyse mit MAXQDA ist dabei qualitativ mit quantitativen Elementen, deren Gesamtbild eine Gewichtung der verschiedenen Kommunikationstypen möglich macht. Politische Attributionen finden sich, außer in Teilen der PR, deutlich stärker ausgeprägt als konsumistische. Ritualistische Vorstellungen und Vorgänge sind randständig. Diskurse haben einen wichtigen Stellenwert sowohl für Macher wie Publikum; reflexive Anschlussfähigkeit des von ihnen Vorgeführten und Wahrgenommenen wird von ihnen geschätzt, aber wegen verschiedener Hemmnisse in der Produktionsstruktur nicht durchweg genutzt. Am Ende der Arbeit werden die überwiegend positiven Befunde bezüglich politischer Kommunikation am Stadttheater der Bundesrepublik noch einmal kritisch auf ihre Reichweite hin befragt. Dabei wird der offenkundige Verlust ritueller Gemeinschaftsbildung im theatralen Feld als möglicherweise doch bedenklich für die Erneuerung politischer Öffentlichkeit gewertet. Eine neue Zentralität der in der Fallstudie oft randständigen Aufführungen und ihres kathektisch-repräsentativen Potenzials wird ins Visier genommen. Die Schwierigkeiten kultureller und politischer Öffentlichkeit, sowohl in die Breite der Gesellschaft wie in die Tiefe des individuellen Verständnisses hinein „bildend“ zu wirken, werden angesprochen.