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http://dx.doi.org/10.18419/opus-10062
Autor(en): | Himmelsbach, Andreas |
Titel: | Kriminalität, Kriegsgerichtsbarkeit und Polizeistrafgewalt unter deutscher militärischer Besatzung in Frankreich und der Sowjetunion |
Erscheinungsdatum: | 2018 |
Dokumentart: | Dissertation |
Seiten: | 379 |
URI: | http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:93-opus-ds-100795 http://elib.uni-stuttgart.de/handle/11682/10079 http://dx.doi.org/10.18419/opus-10062 |
Zusammenfassung: | Die bisherige Forschung zur Gerichtsbarkeit der Wehrmacht konzentriert sich auf Deserteure und politische Delikte. Trotz der überwältigenden Fülle an Literatur ist ihre Rolle in den deutschen Besatzungsstrukturen - die Ahndung von Straftaten von und gegen Zivilisten - wenig erforscht. Die vorliegende Arbeit soll zur Schließung dieser Lücke beitragen. Es wurde deshalb ein anderer Zugang zum Thema gewählt, nämlich eine Betrachtung der Wehrmachtjustiz • im Hinblick auf all jene Fälle, die sich im Verhältnis zwischen Besatzungsmacht und Zivilbevölkerung abspielten, • einschließlich des gesamten Spektrums der Alltagskriminalität, • anhand der untersten, zahlenmäßig bedeutendsten Ebene des Rechtswesens, also der Divisions- und Kommandanturgerichte, • auf empirischer Grundlage statt anhand vorwiegend normativer Quellen sowie • unter Berücksichtigung des Übergangs der Judikative an Truppe, Militärverwaltung und Militärpolizei. Die Untersuchung ist in einen West-Ost-Vergleich eingebettet: Handelten Wehrmachtgerichte und Militärpolizei nach unwandelbaren Grundsätzen? Oder zeigt sich ein Bruch zwischen den beiden Hauptkriegsschauplätzen Frankreich und der Sowjetunion? Stellvertretend für die gesamte Wehrmachtjustiz werden die Gerichte der 227., 329., 336. und 716. Infanteriedivision, der Wehrmachtortskommandanturen Riga und Dnjepropetrowsk und der Feldkommandanturen 560, 581 und 813 untersucht, dazu als polizeiliche Organe zahlreiche Kommandanturen und Gruppen der Geheimen Feldpolizei. Die Arbeit gliedert sich in neun Kapitel. Auf eine methodische Einleitung folgt eine überblicksartige Darstellung von Wehrmachtjustiz, militärpolizeilicher Exekutive und deren Funktion innerhalb der Besatzungsregime. Im dritten Kapitel werden die untersuchten Gerichte, die Struktur des von ihnen bearbeiteten Fallaufkommens sowie die Faktoren, die die Überlieferung verzerren, dargestellt. Jeweils ein Kapitel ist, nach Tatbeständen geordnet, der Delinquenz von Soldaten, französischen und sowjetischen Zivilisten gewidmet. Ein zusammenfassender Teil befasst sich mit der Rolle des Individuums bei der Tatbegehung und vor Gericht. Ein weiterer beleuchtet den Einfluss, den Recht, Ideologie und militärische Zweckmäßigkeitserwägungen auf das Handeln der Gerichte auf dem westlichen und östlichen Kriegsschauplatz hatten, und versucht, Maßstäbe für eine Bewertung zu entwickeln. Ein kurzes Fazit schließt die Arbeit. Eine deutsche Militärgerichtsbarkeit wurde mit Gesetz vom 12. Mai 1933 wieder eingeführt. Unter Kontrolle der militärischen Oberkommandos agierte sie unabhängig vom zivilen Justizressort. Gerichtsstand für die meisten Soldaten waren die Divisionsgerichte, bei der Militärverwaltung fiel den Feldkommandanturgerichten zusätzlich die Jurisdiktion über Zivilisten der besetzten Länder zu. Für die Strafverbüßung verfügte die Wehrmacht über eigene Vollzugseinrichtungen, Bewährungs- und Erziehungseinheiten und Straflager. Enge Zusammenarbeit bestand mit den militärpolizeilichen Formationen - namentlich Feldgendarmerie und Geheime Feldpolizei - sowie den Kommandanturen. Diese Exekutivorgane wachten über die Disziplin der Truppe, die Ordnung unter der Zivilbevölkerung und etwaige Bedrohungen für die Sicherheit der Besatzungsmacht. Nichtsdestotrotz zeigen sich bereits in den institutionellen Arrangements beträchtliche Unterschiede: Während in Frankreich parallel die landeseigene Justiz und Polizei weiter arbeiteten, wurde der staatliche Apparat auf dem besetzten Territorium der Sowjetunion ersatzlos zerschlagen. Ein Rechtsschutz für die einheimische Bevölkerung war nicht vorgesehen, im Gegenteil beseitigte Hitler mit seinem Kriegsgerichtsbarkeitserlass vom 13. Mai 1942 sowohl den Verfolgungszwang bei Übergriffen der Truppe als auch die Kriegsgerichtsbarkeit über sowjetische Zivilisten. Die Ahndung beider wurde in das freie Ermessen von Truppenkommandeuren und Militärverwaltung gestellt. Die Masse der Arbeit entfiel auch bei den Kriegsgerichten nicht auf schwere Verbrechen, sondern auf Straftaten wie Eigentumsdelikte, unerlaubte Entfernung von der Truppe und Ungehorsam. Die meisten verhandelten Delikte richteten sich gegen die Wehrmacht selbst. Illustriert mit einschlägigen Fallbeispielen werden in der Arbeit jedoch diejenigen Tatbestände behandelt, die sich aus dem Verhältnis zwischen Soldaten und Zivilisten ergaben: Diebstahl und Plünderung, Amts- und Wirtschaftsdelikte, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Sexual- und Tötungsdelikte einerseits, Diebstahl von Wehrmachtseigentum, Grenzverletzungen, Arbeitsverweigerung, Propaganda, Unterstützung von Kriegsgefangenen, Waffenbesitz, Spionage, Sabotage und Freischärlerei andererseits. Unter anderem zeigt sich, dass die viel beschworene „deutsche Manneszucht“ mit der Realität zahlreicher Übergriffe und oft milder Strafen nicht allzu viel gemein hatte, aber auch die immer wieder behauptete Freigabe oder gar Förderung von Willkürakten gänzlich unbelegbar ist. Angesichts einer als sehr hoch zu veranschlagenden Dunkelziffer wird über das tatsächliche Ausmaß der Delinquenz wohl auch weiterhin nur zu spekulieren sein. In Frankreich arbeiteten Kommandanturen, Militärpolizei und Kriegsgerichte 1940-41 noch weitgehend nach der gewohnten Gesetzes- und Vorschriftenlage. Zunehmend wurde ihre reguläre Tätigkeit jedoch durch summarische militärische und polizeiliche Maßnahmen ergänzt und ersetzt. Neben den Geiseltötungen und Deportationen im Zuge der Widerstandsbekämpfung waren der „Nacht-und-Nebel-Erlass“ vom 7. Dezember 1941 und die Installation eines Höheren SS- und Polizeiführers im Sommer 1942 wesentliche Wegmarken dieser Entwicklung. In der Sowjetunion war gemäß dem Kriegsgerichtsbarkeitserlass von vornherein keine gerichtliche Ahndung von Widerstandsakten und kleineren Vergehen vorgesehen. Die Zahl der zur Strafe getöteten und den Einsatzgruppen überstellten Zivilisten geht in die Hunderttausende. Darunter waren zahlreiche Juden, deren Volkszugehörigkeit sie in den Augen der Besatzungsorgane per se verdächtig machte. Auch wenn institutionelle und gruppenspezifische Faktoren naturgemäß von erheblichem Einfluss waren, so konnten sowohl Soldaten als auch Zivilisten zu Tätern oder Opfern werden. Doch Soldaten konnten bedrängten Zivilisten auch Schutz gewähren. Interessant ist ferner die Rolle von Zivilisten als Zeugen oder Denunzianten. Die Kriegsgerichte konnten auf diese Phänomene mit einem an Willkür grenzenden Spielraum reagieren. Bei allen Nuancen zeichnen sich in ihrem Handeln drei große Tendenzen ab: ein extrem zweckbezogener Charakter, eine immer stärkere Tendenz weg von Rechtsgarantien hin zu summarischer Bestrafung und ein Gewöhnungseffekt an den neuartigen, totalen Weltanschauungskrieg. Je nach taktischer und strategischer Lage konnte die gleiche Tat unterschiedlich bestraft werden. Zunehmend trat das Bedürfnis in den Vordergrund, nicht nur Soldaten, sondern auch zivile Arbeitskräfte der Kriegführung zu erhalten. Der Einfluss der NS-Ideologie zeigt sich dagegen vor allem in der unterschiedlichen Behandlung von West- und Osteuropäern. Von besonderem Interesse sind Taten gegen Juden. Das Bemühen, Rechtsbrüche zu bestrafen, gleichzeitig jedoch die intendierte Rechtlosigkeit der jüdischen Bevölkerung umzusetzen, führte zu widersprüchlichen Urteilsbegründungen. Neben solchen Auswüchsen war aber auch das Handeln der Wehrmachtjustiz maßgeblich von Momenten geprägt, die sie mit den Rechtssystemen anderer Streitkräfte teilte. Zusammenfassend war die deutsche militärische Strafrechtspflege weniger von Vernichtungswillen als von kalter Aufgabenerfüllung geprägt. Sogar das zeittypische Täterstrafrecht wurde einseitig militärischen Interessen untergeordnet. An erster Stelle stand die Bedeutung der Tat für das Funktionieren der Wehrmacht, dahinter der Wert des Täters für die Kriegführung, und erst an dritter Stelle das Delikt selbst mit seinen gesetzlichen Folgen. Mit Fortdauer des Krieges und der immer schlechteren Lage Deutschlands verschärfte sich diese Tendenz. Zugleich wurde die Stellung der Beschuldigten gegenüber dem Gericht immer weiter geschwächt. Spätestens mit dem Angriff auf die Sowjetunion waren althergebrachte Kategorien von soldatischer „Zucht und Ordnung“ mit dem weltanschaulichen Charakter der Auseinandersetzung auch in Bezug auf die Wehrmachtjustiz nicht mehr vereinbar - mit weitreichenden Folgen für den Rechtsschutz der Zivilbevölkerung. Ein einfaches Fazit jedoch verbieten die zahlreichen Widersprüche, mit denen der Untersuchungsgegenstand behaftet ist: gerichtliche Nachsicht und Härte, patriotischer Widerstand und kriminelle Freischärlerei, positives Recht und nationalsozialistische Auffassung, Ritterlichkeit und gnadenloses Vorgehen gegen feindliche Zivilisten, Gesetzesparagrafen und Zweckmäßigkeitserwägungen waren weder seinerzeit, noch in der Rückschau in Einklang zu bringen. |
Enthalten in den Sammlungen: | 09 Philosophisch-historische Fakultät |
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