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Autor(en): Rivera, Manuel
Titel: Theater als politische Öffentlichkeit : Begriff, Aspekte und eine Fallstudie
Sonstige Titel: Theatre as a political public sphere : definitions, aspects, and a case study
Erscheinungsdatum: 2015
Dokumentart: Dissertation
URI: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:93-opus-103569
http://elib.uni-stuttgart.de/handle/11682/5696
http://dx.doi.org/10.18419/opus-5679
ISBN: 978-3-943550-02-3
Zusammenfassung: An die historische Erfahrung der Gleichursprünglichkeit von Theater und Politik in der attischen Polis schließt die Grundintuition der Arbeit an: Auch das Stadttheater in der Bundesrepublik Deutschland sei nicht nur eine Kulturkonsumnische oder ein Bildungsbürgerritual, sondern es bilde einen öffentlichen Raum, in dem politisch kommuniziert wird. Der empirischen Validierung dieser Intuition widmet sich eine Fallstudie, der Begriffsklärungen bezüglich politischer Öffentlichkeit vorausgehen. Diese orientieren sich am Stand der Forschung und Theorie an Hannah Arendts Begriff des Politischen, mit entsprechenden Gegenbegriffen des Konsumismus und Ritualismus. Das grundsätzliche Maß, welches die Realität des Theaters als politische Öffentlichkeit angeben kann, ist dabei die Struktur und Reichweite seiner Kommunikationen. Bezüglich des Begriffes „Öffentlichkeit“ schließt die Arbeit an Jürgen Habermas und andere den Bereich normativ konzipierende Autoren an. Öffentlichkeit ist ein diskursives (reflexives) und darstellendes (präsentierendes) Netzwerk verschiedener „Arenen“ und „Galerien“ (Jürgen Gerhards) mit individuellen „Backstages“ (Produktionsstrukturen; Bernhard Peters). Ein Bereich ist „öffentlich“ insofern Sprecher ihre Beiträge auf ein Publikum ausrichten (Arena) und dieses Publikum diese Ausrichtung auch versteht (Galerie). Die politische Öffentlichkeit rahmt ihre Themen als Probleme des Gemeinwesens. „Kulturelle Öffentlichkeiten“, in denen Form der Darstellung und „Kathexis“ (Parsons), also affektive Besetzung der Handlungen zum Thema gemacht werden, dienen potenziell als Produktionsstruktur einer solchen politischen Öffentlichkeit, indem sie lebensweltliche Erfahrungen mit Strategien zugänglich und ‚diskursfähig‘ machen, die der politischen Öffentlichkeit im engeren Sinne fremd sind. Die Rekonstruktion eines Begriffs des Politischen hält aus der aristotelischen Tradition einerseits fest, dass es um eine kollektive Selbstbestimmung, um einen „Raum gemeinsamer Angelegenheiten“ geht. Insofern hängt der Begriff mit dem der Öffentlichkeit zusammen. Zweitens stellt politische Kommunikation den unhintergehbaren (wenngleich manipulierbaren) Bezug auf ein ethisch Richtiges her. Die Einsicht in die Pluralität der Perspektiven und Meinungen steht als drittes Definiens in einer Spannung zu dem vierten eines „agonistischen“, in Entscheidungsalternativen polarisierten Raums (C. Schmitt u. a.). Im Gegensatz zu diesen Merkmalen stellt der „Konsumismus“ Bezüge ausschließlich zu individuellen Präferenzen her und formuliert diese normativ neutral sowie (tendenziell) nicht-argumentativ und nicht-exklusiv. Im Gegenbegriff des „Ritualistischen“ hingegen verschwindet die reflexive und pluralistische Dimension; das Gesellschaftliche wird hier auf das Gemeinschaftliche zurückgeführt. Bevor dieseBegriffe in der Fallstudie empirisch angewandt werden, verdeutlichen exemplarische historische Exkurse ins Theater Athens, des Elisabethanischen England und das Deutschland des 19. Jahrhunderts die Relevanz der Fragen nach der Kommunikationsstruktur der theatralen ‚Sprecher‘ und ihrer Publika, wobei über die letzteren systematisch weniger bekannt ist. Am griechischen Theater wird der Bezug auf gemeinsame Angelegenheiten, am elisabethanischen die Pluralität der Sichtweisen, am deutschen die Ambivalenz zwischen aufs Private zielendem Bildungsauftrag und ritueller Gemeinschaftsbildung hervorgehoben. Das Theater der Bundesrepublik wird als Erbe des bürgerlichen Theaters, dessen Normativität in der mediatisierten Erlebnisgesellschaft unter Druck gerät, vorgestellt. Das „Stadttheater“ wird als Typus von anderen Öffentlichkeiten abgegrenzt (wie der Freien Szene oder den Metropolentheatern), um klar zu machen, womit die Fallstudie sich beschäftigt. Die Fallstudie im westdeutschen „Mittelstadt“ untersucht Kommunikationen des Theaterbetriebs (Interviews mit Produzenten; teilnehmende Beobachtungen), der Rezipienten (Zuschauerinterviews) und der Arena selbst (Inhaltsanalyse von Texten der Öffentlichkeitsarbeit). Von Interesse sind dabei sowohl Wissen wie Einstellungen der Befragten, also Informationen über Realia wie Desiderate. Die Analyse mit MAXQDA ist dabei qualitativ mit quantitativen Elementen, deren Gesamtbild eine Gewichtung der verschiedenen Kommunikationstypen möglich macht. Politische Attributionen finden sich, außer in Teilen der PR, deutlich stärker ausgeprägt als konsumistische. Ritualistische Vorstellungen und Vorgänge sind randständig. Diskurse haben einen wichtigen Stellenwert sowohl für Macher wie Publikum; reflexive Anschlussfähigkeit des von ihnen Vorgeführten und Wahrgenommenen wird von ihnen geschätzt, aber wegen verschiedener Hemmnisse in der Produktionsstruktur nicht durchweg genutzt. Am Ende der Arbeit werden die überwiegend positiven Befunde bezüglich politischer Kommunikation am Stadttheater der Bundesrepublik noch einmal kritisch auf ihre Reichweite hin befragt. Dabei wird der offenkundige Verlust ritueller Gemeinschaftsbildung im theatralen Feld als möglicherweise doch bedenklich für die Erneuerung politischer Öffentlichkeit gewertet. Eine neue Zentralität der in der Fallstudie oft randständigen Aufführungen und ihres kathektisch-repräsentativen Potenzials wird ins Visier genommen. Die Schwierigkeiten kultureller und politischer Öffentlichkeit, sowohl in die Breite der Gesellschaft wie in die Tiefe des individuellen Verständnisses hinein „bildend“ zu wirken, werden angesprochen.
In this dissertation, I explore how the link between politics and theatre - which share a common origin in the Attic democracy - is preserved in contemporary Germany, i.e., whether theatre still serves as a “political public sphere” (the overall title of the thesis). In order to do so, the notions of “public sphere” and “the political” are thoroughly defined by revising useful elements provided by sociological and political theory. Following Habermas and other German authors, I understand “public sphere” as a network consisting of “arenas” (speakers) and “galleries” (audiences) who produce discourses and presentations and react to them, with part of the production occuring non-publicly “backstage”. While political publics frame their dis-courses as related to contentious issues of the polity, cultural publics concentrate on the for-mal aspects of presentation and on the emotive interface between the individual and society (“cathexis” in Parsonian terms). Political communication, more specifically, is understood here as discourse which relates (1) to the polity and (2) to what is good or bad for it, presenting arguments in a (3) pluralistic way, and with (4) potential polarization regarding the different alternatives. Hannah Arendt’s view on the political sphere is a central inspiration for criterion [3], noting that there is a tension between this plural exchange of perspectives and the polarization criterion, which leads to diffcult trade-offs. As an antonym, “consumerist” communication is only related to indi-vidual preferences and indifferent to arguments and normative alternatives. “Ritualism”, on the other hand, is akin to the political, but lacks the decisive feature of pluralism. The terrain for the empirical study is then paved by looking at exemplary stations of occi-dental theatre, namely the Athenian, the Elizabethan, and finally the German national theatre of the 19th century. The increasing ritualism of the latter is seen as the normative ancestor of contemporary state-subsidized staging in the Federal Republic of Germany. Among the different types of theatres to be found here, the typical “Municipal Theatre” is singled out as a public of local reach and importance (distinguished, e.g., from the “Metropolitan Theatre” with nation-wide frames and impacts). The discussions in that section make clear that the case study carried out in “Mittelstadt” is a typical one in many respects. The case study, operationalizing “the public” and “political communication” through a semi-quantitative content analysis of interviews (with producers and audience members) as well as of PR-related texts, finds clear evidence for both actual pluralistic discourse and reference to society, and - even stronger - for normative striving toward such kind of discourse. The “productive structure” of the Municipal Theatre imposes certain constraints on the reali-zation of said normativity, though, which result in shortcomings of dialogue and lacking of necessary knowledge about the communication partner (mostly about the audience in the case of producers). A missing centrality of the actual theatrical piece, the presentation, within the audience’s discourse is a particularly critical finding. In the very last section, however, I put the overall positive findings of the case study into perspective. Firstly, I question whether the virtual ‘withdrawal’ of ritualistic elements can be assessed as entirely beneficial for the effectiveness of theatre as a cultural and political sphere (which re-opens the debate on the possibility and conditions for a “linguification of the Sacred” found in Durkheim and Habermas). Secondly, I make the point that the act of demonstration, of “showing” something - located at the heart of theatrical representation - harbours a specific political potential, but only if it is understood and received as a speech act in need of public interpretation. Thirdly, I reconsider the often noted tension between an in-depth elaboration of issues, on the one hand, and the inclusion of ever more topics and voices, on the other. While this tension is inherent to every public and not really dissolvable, in contemporary German theatre it might be advisable to emphasize the “Bildungsauftrag”, the mandate for aesthetic in-depth education, instead of striving for an overproduction of discursive offer-ings and activities.
Enthalten in den Sammlungen:10 Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

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