Was wollen unzufriedene Bürgerinnen und Bürger von der Politik? : Forderungen und Wünsche von "Enttäuschten" und "Aktiven" an das politische System in Deutschland - ein Vergleich
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Foa et al. kommen im Jahr 2020 zu dem Ergebnis, dass die Unzufriedenheit mit der Demokratie weltweit wächst. Die Diskussion um die Demokratie mit entsprechenden Krisen sowie der Frage nach Responsivität prägt die Geschichte dieser Regierungsform. Eine grundlegende Krise des demokratischen Systems der Bundesrepublik Deutschland besteht - trotz Diskussionen und Debatten im weltweiten Kontext (vgl. Foa et al. 2020) - noch immer nicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass im bestehenden politischen System nicht für einzelne Personen oder Gruppen kritische Bedingungen vorherrschen. Mit dem Konzept der „embedded democracy“ hat Wolfgang Merkel (vgl. Merkel 2004) ein Instrument geschaffen um problematische Entwicklungen in einem demokratischen System identifizieren und analysieren zu können. Bei der Analyse zeigt sich, dass die grundlegenden Funktionen im bundesrepublikanischen System auf einem (sehr) guten Niveau erfüllt sind. Das Demokratiebarometer zeigt das in seinen Auswertungen und stuft Deutschland als etablierte und stabile Demokratie ein (vgl. Engler et al. 2020). Das größte Potenzial besteht in der Dimension der „Equality“, was ein Argument für die Betrachtung einzelner gesellschaftlicher Gruppen darstellt. Im Hinblick auf den political support, genauer gesagt bei der Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland, der Regierung oder der wirtschaftlichen Lage, zeigt sich diese Stabilität nicht in allen drei Dimensionen. Gerade die letzten beiden Kriterien weisen eine gewisse Volatilität auf, wohingegen die Zufriedenheit mit der Demokratie im Betrachtungszeitraum eine stabile Mehrheit an (sehr) zufriedenen Bürgerinnen und Bürgern zeigt. Daher untersucht die vorliegende Arbeit die Partizipationswünsche unzufriedener Bürgerinnen und Bürger. Besonders ausgeprägt sind diese Probleme bei Menschen mit geringen ökonomischen Mitteln (vgl. Elsässer et al. 2016). Eine weitere Gruppe ist aus einem anderen Grund unzufrieden. Sie hat ein grundsätzlich anderes Politikverständnis. Diese
Gruppe betrachtet direktdemokratische Elemente als notwendiges Instrument auf allen politischen Ebenen und sie setzen sich, organisiert in einem Verein, genau dafür ein. Die beiden untersuchten Gruppen verbindet ein signifikant geringeres Niveau an Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland. Die „Aktiven“ bilden Mitgliederinnen und Mitglieder, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Vereins „Mehr Demokratie e.V.“ sowie Interessierte an den Themen des Vereins. Der Verein wurde mit der Forderung nach mehr direktdemokratischen Partizipationsmöglichkeiten auf allen politischen Ebenen gegründet. Passend dazu weisen diese Personen ein signifikant höheres Niveau beim Partizipationsindex auf, verorten sich weiter „links“ auf der Links-Rechts-Skala und haben eine signifikant höheres subjektives politisches Kompetenzgefühl sowie besseres subjektives Einkommen. Die „Enttäuschten“ sind Menschen mit Erfahrung mit (Langzeit-)Arbeitslosigkeit. Diese Gruppe befindet sich, durch die ökonomischen Bedingungen, entsprechend den genannten Ergebnissen von Elsässer et al. (2016), in einer schwierigen Situation hinsichtlich der Responsivität bei politischen Entscheidungen. Abgesehen davon, dass es für diese Personengruppe kaum bzw. keine empirischen Erkenntnisse auf der Mikro-Ebene gibt, zeigen sich bei den Einstellungen interessante Abweichungen von repräsentativen Befragungen. Zusätzlich zur signifikant geringeren Zufriedenheit haben sie auch ein geringeres politisches Responsivitätsgefühl. Außerdem haben sie signifikant weniger soziale Kontakte und ziehen sich damit eher zurück. Gleichzeitig weisen nicht nur die „Aktiven“, sondern auch die „Enttäuschten“ ein signifikant höheres politisches Interesse in den vorliegenden Erhebungen auf. Die eine Gruppe ist politisch sehr aktiv und erhält daher den Namen „die Aktiven“. Die zweite Gruppe ist ebenfalls interessiert, findet aber sowohl subjektiv als auch tatsächlich wenig Gehör. Sie werden daher, auch wegen des stärkeren politischen Interesses und politischen Kompetenzgefühls, im Rahmen dieser Arbeit als „Enttäuschte“ bezeichnet. Eine Frage, die bei dem niedrigen Responsivitätsgefühl und der signifikant geringeren Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland, auf der Hand liegt, ist die, nach dem System und den Partizipationsmöglichkeiten. Im Rahmen dieser Arbeit werden daher, abweichend vom bestehenden System, auch Modelle mit mehr und weniger Partizipationsmöglichkeiten diskutiert und getestet. Das „Repräsentative Modell“, als bestehendes und am weitesten verbreitete demokratische Modell ist in dieser Betrachtung zentral. Zusätzlich spielen die direkte und deliberative Demokratie in der Forschung und auf unterschiedlichen politischen Ebenen eine wachsende Rolle. Außerdem bilden diese Modelle den Kern der Forderung des politischen Vereins ab. Auf der anderen Seite des Spektrums, der Seite mit weniger Partizipationsmöglichkeiten, ist die Stealth Democracy oder die Expertokratie - besonders bei fehlendem Vertrauen in
Politikerinnen und Politiker - ein relevantes demokratisches Modell. Die Forderung nach einem „starken Führer“, welcher bestehende politische Probleme lösen soll, tritt besonders in populistischen Kontexten immer wieder auf. Daher wird auch das Modell der „Führerdemokratie“ nach Max Weber diskutiert. Als prägende Determinanten bezüglich der Partizipationspräferenz fokussiert sich die vorliegende Arbeit auf vier Faktoren. Zuerst die Wünsche der Gruppen auf Basis der jeweiligen Charakteristiken. Danach der Wunsch nach (direkter) Beteiligung bei einer Entscheidung zu einem subjektiv wichtigen Thema, also die Salienz. Populistische Einstellungen und deren Auswirkung auf Partizipationswünsche werden ebenfalls untersucht. Zusätzlich wird die subjektive Kompetenz und die wahrgenommene Responsivität des politischen Systems im Rahmen der political Efficacy in die Untersuchung einbezogen. Mit vorgeschalteten Pre-Tests, besonders zu mehr oder wenigen salient Themen und der Dauer sowie Verständlichkeit des Fragebogens wird im Rahmen von zwei quantitativen Erhebungen sowohl die Bewertung als auch die Wahl der Demokratiemodelle in den einzelnen Szenarien untersucht. Insgesamt vergeben sowohl die „Aktiven“ als auch die „Enttäuschten“ die beste Bewertung für das „Direktdemokratische Modell“. Die zweitbeste Bewertung vergeben beide Gruppen an das „Dialogmodell“. Nicht nur bei der Bewertung, sondern auch bei der Wahl der Modelle in den einzelnen Szenarien, vereinen diese partizipatorischen Demokratiemodelle die Mehrheit auf sich, wobei unter den „Enttäuschten“ auch die Expertokratie und das repräsentative System ein Drittel bei der Wahl der Modelle abdecken. Auf die Bewertung des repräsentativen Modells wirken sich pluralistische Einstellungen, die external Efficacy und das Vertrauen in Medien signifikant positiv aus. Negativ wirken sich populistische Einstellungen und normative Überzeugungen bezüglich direkter Beteiligung aus. Bei der Wahl des repräsentativen Modells zeigt sich ein ähnliches Bild. Interessant ist, dass ein Thema mit hoher Salienz die Wahrscheinlichkeit der Wahl dieses delegativen Modells reduziert. Auf die Bewertung des „direktdemokratischen Modells“ wirken sich populistische Einstellungen sowie normative und instrumentelle Überzeugungen bezüglich direkter Beteiligung und die Gruppe der „Aktiven“ signifikant positiv aus. Bei der Wahl dieses Modells erhöht sowohl das weniger saliente als auch das saliente Thema die Wahrscheinlichkeit. Sobald es um ein konkretes Thema geht, so könnte man schließen, möchten diese Gruppen sich direkt beteiligen. Zusätzlich erhöhen die internal Efficacy und die normativen Überzeugungen die Wahrscheinlichkeit der Wahl dieses Modells signifikant.
Um eine konstruktive Lösung für die Unzufriedenheit zu ermöglichen, erscheint die politische Inklusion aller gesellschaftlichen Gruppen, gerade von Unzufriedenen, zentral. Dies kann sowohl durch substanzielle Repräsentation (vgl. Pitkin 1967) erfolgen, sollte sich aber mindestens in einer gesteigerten (subjektiven) Responsivität des politischen Systems niederschlagen. Die Betonung und Vorteile von Kompromissen und Abwägungsprozessen ist hierbei zentral. Möchte man unterrepräsentierte Gruppen stärker einbinden empfiehlt sich beispielsweise eine Überrepräsentation in deliberativen Formaten (vgl. Bächtiger/ Beste 2017) oder ein anderes Anreizsystem für politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger wie es Julia Cagé in „The Price of Democracy“ diskutiert (vgl. Cagé 2020).