Beitrag zur Biegedrillknickbemessung unter Berücksichtigung von torsionsweichen Lagern und realitätsnahen Beanspruchungen im Stahlbau
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Stahlkonstruktionen im Hoch- und Industriebau stehen zunehmend im scharfen Wettbewerb zu anderen Bauweisen wie beispielsweise dem Stahlbeton-Fertigteilbau oder der Holzbauweise. Durch geleimte Holzbinder aus zum Teil hochfestem Laubholz werden im Holzbau Spannweiten und Anwendungen wie dem Industriehallenbau und sogar erste Kranbahnen ermöglicht, die zuvor ausschließlich dem Stahlbau vorbehalten waren. Stahlbeton-Fertigteile lassen sich wie Stahlkonstruktionen einfach und schnell montieren, haben aber nach wie vor den Nachteil des höheren Gewichts, doch Krankapazitäten sind inzwischen auch für solche Einsätze verfügbar. Im Stahlhochbau mit seiner stabförmigen Bauweise unter überwiegendem Einsatz von Stahlprofilen sollte deshalb unbedingt investiert werden, um zum einen eine größere Wirtschaftlichkeit zu erreichen und zum anderen den Einsatz und die Bemessung solcher Tragwerke einfach zugänglich und handhabbar zu machen. Die Verwendung von schlanken Stahlprofilen fördert zwar die Wettbewerbsfähigkeit von Stahlkonstruktionen im Hoch- und Industriebau, erfordert jedoch gleichzeitig eine effiziente Bemessung insbesondere für den in der Baupraxis oft sehr aufwändigen Stabilitätsnachweis des Biegedrillknickens. Bemessungsregeln dafür lassen sich in DIN EN 1993-1-1 finden, wobei in der Ingenieurpraxis meist die händischen Nachweisverfahren mit Abminderungsfaktoren die größte Bedeutung haben. Um eine zugleich sichere und wirtschaftliche Bemessungsgrundlage zu schaffen, ist es daher wichtig, dass die den Verfahren zugrunde liegenden Annahmen den Anwendungsbereich der Baupraxis ausreichend genau wiedergeben. Das Nachweisverfahren mit Abminderungsfaktoren, das sogenannte „Ersatzstabverfahren“, liefert einen vereinfachten Bauteilnachweis und führt einen Stab oder Teil eines Stabsystems durch Verwendung einer Knicklänge und ggf. veränderlichen Einwirkungen auf den Fall des Druck- bzw. beidseitig gabelgelagerten Biegestabs mit konstanten Einwirkungen zurück. Trotz zunehmender Computerunterstützung und Verwendung von numerischen Verfahren wird dieses Nachweisverfahren weiterhin häufig für die Bemessung von Stahlbauteilen angewendet. Bauteile des Stahlhoch- und -hallenbaus stehen häufig unter einer Vielzahl von verschiedenen Einwirkungen und daraus resultierenden Schnittgrößenkombinationen inklusive Torsion. Die Interaktionsgleichungen der DIN EN 1993-1-1 gelten zwar für Bauteile mit doppeltsymmetrischen I- und H-Querschnitten sowie Hohlprofilen schließen jedoch den Fall der planmäßigen Torsion bislang aus. Eine Erweiterung des Nachweisverfahrens sowohl für einfachsymmetrische Querschnitte als auch für planmäßige Torsionsbeanspruchungen wurde im Rahmen der Überarbeitung und Weiterentwicklung des Eurocodes 3 durch Untersuchungen an der Ruhr-Universität Bochum evaluiert. Die Anwendbarkeit dieses entwickelten Bemessungsansatzes konnte anhand von experimentellen und numerischen Untersuchungen für unterschiedliche Schnittgrößenkombinationen inklusive Torsion gezeigt werden. Ferner weichen Stahlbauteile der Baupraxis in der Regel von der den Verfahren zugrunde liegenden Idealisierung, d.h. dem gabelgelagerten Einfeldträger unter ausschließlicher Biegebeanspruchung, ab. Praxisnahe Anschlusskonstruktionen wie typische Haupt- und Nebenträgeranschlüsse im Hochbau oder auch Querkraftanschlüsse an Stützen stellen keine echten „Gabeln“ dar. Je nach Anschlusstyp variiert die Verdrehsteifigkeit markant und es ist von einem signifikanten Unterschied im Tragverhalten zwischen idealisierten und realen Tragwerken auszugehen. Des Weiteren werden Träger mit einfachsymmetrischem U-Querschnitt meist auch gleichzeitig auf Torsion beansprucht, da für diese Querschnitte ein Lastangriff in der Achse des Schubmittelpunkts schwierig zu realisieren ist. Eine einfache und zugleich konsistente Biegedrillknickbemessung ist für derartige Querschnitte bislang normativ nicht geregelt. Das Ersatzstabverfahren ermöglicht zwar hierfür einen einfach anwendbaren Nachweis für stabilitätsgefährdete Bauteile, wurde jedoch auf Grundlage der zuvor beschriebenen idealisierten Annahmen hergeleitet. Dadurch entsteht eine Diskrepanz zwischen dem tatsächlich ausgeführten Tragwerk und dem theoretischen Berechnungsmodell. Um zukünftig bei der Bemessung ein konsistentes Nachweisverfahren nutzen zu können, ist eine Erweiterung der Anwendungsgrenzen des vereinfachten Bauteilnachweises zur Berücksichtigung des Einflusses von torsionsweichen Lagern und realitätsnahen Beanspruchungen von zentraler Bedeutung. Gestützt auf experimentellen Untersuchungen an Systemen mit praxisnaher Ausführung wurden numerische Modelle entwickelt, die das Stabilitätsverhalten abbilden können. Systematische numerische Untersuchungen ermöglichten zusammen mit einer erweiterten Datenbasis aus fremden und eigenen Versuchen die Weiterentwicklung des vereinfachten Nachweises für verschiedene baupraktische Anschlüsse sowie die konsistente Berücksichtigung einfachsymmetrischer U-Querschnitte mit und ohne Torsion. Neben diesem Ersatzstabverfahren stellt das Modell „Knicken des Druckgurtes“ ein anschauliches und für die praktische Anwendung sehr einfaches Verfahren für den Biegedrillknicknachweis dar. Dieses vereinfachte Modell überführt das dreidimensionale Biegedrillknickproblem in ein ebenes Biegeknicken des äquivalenten Druckgurtes und ist als bewährte Nachweismethode zur Überprüfung des Biegedrillknickwiderstandes in Deutschland seit langem etabliert. Aufgrund der einfachen Handhabung überzeugt das Verfahren schon seit Einführung der früheren Stahlbaunorm DIN 4114 bei der überschlägigen Bemessung sowohl im Hoch- als auch im Brückenbau. Gegenwärtig weist das vereinfachte Verfahren jedoch weder eine Konsistenz mit dem gängigen Biegedrillknicknachweis unter Verwendung des idealen Biegedrillknickmoments auf, noch eignet es sich für die verschiedenen Anwendungsbereiche des Hoch- und Brückenbaus. Zudem gab es in den letzten Jahren Untersuchungen, die Schwächen und Unsicherheiten dieses Verfahrens aufgezeigt haben, so dass im Rahmen eines Forschungsvorhabens Bauteilversuche in Kombination mit Eigenspannungsmessungen an I-förmigen geschweißten Brückenquerschnitten dazu durchgeführt wurden. Anhand der experimentellen Untersuchungen und darauf aufbauenden numerischen Simulationen konnte die Wirtschaftlichkeit und gleichzeitig auch die Bemessungssicherheit des Verfahrens durch die indirekte Berücksichtigung der Torsionssteifigkeit und des Lastangriffspunkts verbessert werden.