10 Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
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Item Open Access Kognitive Kompetenz zur Risikobewertung als Vorbedingung der Risikomündigkeit und ihre Bedeutung für die Risikokommunikation(2009) Ruddat, Michael; Renn, Ortwin (Prof. Dr.)Die Dissertation beschäftigt sich mit der Frage nach der Rolle des Bürgers im Prozess der Risikobewertung. In der sozialwissenschaftlichen Risikokommunikationsforschung wird diese Rolle unter dem Begriff der Risikomündigkeit diskutiert. Das Leitbild der Risikomündigkeit zielt auf ein reflektiertes Urteil unter Einbezug von Fakten, Unsicherheiten und Werten der Bürgerinnen und Bürger ab. Im Fokus steht die Frage, welche empirische Relevanz Risikomündigkeit (spezieller: kognitive Kompetenz als Vorbedingung von Risikomündigkeit, kurz: KKR) im Hinblick auf die Risikokommunikation zwischen den Gruppen von Laien und Experten bei unterschiedlichen, technischen Risiken (Atomkraft und Mobilfunk) hat: Wie weit trägt das Konzept der Risikomündigkeit bei verschiedenen Risiken? Diese Forschungsfrage wird sowohl mit quantitativen als auch mit qualitativen Methoden untersucht. Es werden folgende Hypothesen getestet. Die Kognitionshypothese besagt, dass mit steigendem Grad der kognitiven Faktoren der Risikobewertung als Vorbedingung von Risikomündigkeit bei Laien sich die Risikobewertungen von Laien und Experten tendenziell annähern. Aus der Kognitionshypothese lassen sich zwei weitere Hypothesen ableiten: Laien mit hoher kognitiver Kompetenz (hoher Wissensstand, großes Interesse am Thema etc.) kommen zu ähnlichen Risikobewertungen wie Experten (Konsenshypothese) bzw. Laien mit niedriger kognitiver Kompetenz (niedriger Wissensstand, geringes Interesse am Thema etc.) kommen zu unterschiedlichen Risikobewertungen wie Experten (Dissenshypothese). Dies impliziert wiederum eine weitere Hypothese: Laien mit hoher kognitiver Kompetenz kommen zu unterschiedlichen Risikobewertungen wie Laien mit niedriger kognitiver Kompetenz (Laienkompetenzhypothese). Die Hypothesen werden anhand eines repräsentativen Datensatzes getestet. Der Risikomündigkeitssurvey 2006 ist eine quantitative, deutschlandweite Repräsentativbefragung mit einer Fallzahl von n = 868 (gewichteter Datensatz). Die Befragten werden anhand ihrer Antworten zu mehreren Items auf einem Index der KKR verortet. Theoretische Grundlage für die Messung von KKR ist das Elaboration Likelihood Modell (ELM) von John Petty und Richard Cacioppo. Der Hypothesentest bestätigt für die Atomkraft die Kognitionshypothese, Konsenshypothese und Dissenshypothese. Im Falle des Mobilfunks (Sender und Handys) müssen die Hypothesen jedoch zurück gewiesen werden. Die Laienkompetenzhypothese kann für beide Technologien als bestätigt angesehen werden. Des Weiteren wurde die Güte der Operationalisierung der KKR anhand von knapp 60 qualitativen Leitfadeninterviews zu Mobilfunk und Atomkraft überprüft. Eine Einordnung der Befragten nach zentralen Kategorien des ELM müsste ungefähr dasselbe Muster produzieren wie es sich in der quantitativen Studie gezeigt hat. Das qualitativ gewonnene Muster gleicht in der Tat der quantitativen Verteilung im Risikomündigkeitssurvey 2006. Der KKR-Index scheint damit tauglich zu sein, um eine Teilkomponente der Risikomündigkeit zu erfassen. Wie sind diese Ergebnisse zu interpretieren? Zunächst einmal scheint KKR nur bei Atomkraft die vermutete Wirkung zu haben, da beim Mobilfunk die Kognitionshypothese, Konsenshypothese und Dissenshypothese nicht bestätigt werden konnten. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte die Tatsache sein, dass im Fall der Kernenergie bedingt durch einen längeren Erfahrungszeitraum mehr belastbares Wissen vorhanden ist, welches Eingang in die Köpfte der Menschen finden konnte. Erst wenn sich der Grad an KKR beim Mobilfunk erhöht, können Wissen und Motivation ihre vermutete Wirkung (Konsens zwischen Experten und Laien oder zumindest Konsens über Dissens) entfalten. Jedoch besteht zur Absicherung dieser Interpretation noch weiterer Forschungsbedarf. Die geschilderten Ergebnisse haben eventuell weit reichende politische Implikationen: Wenn bei Atomkraft Risikomündigkeit „funktioniert“, können Bürger in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden, ohne das es gleich zu Missverständnissen mit Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft kommen muss. Konflikte auf Grund von Wertedifferenzen kann es natürlich nach wie vor geben. Laien und Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft können entweder zu einem klaren Konsens oder zumindest einem rational begründeten Konsens über bestehende Differenzen (Konsens über Dissens) gelangen. Beim Mobilfunk ist dies (noch) nicht der Fall. Für die Risikowahrnehmungsforschung bedeutet die Risikomündigkeit eine Erweiterung der bekannten Perspektiven (Psychometrie, normative Kulturtheorie, Vertrauensforschung). In Bezug auf die Rolle der KKR für die Risikokommunikation hat sich gezeigt, dass eine Differenzierung nach Technologien auch eine entsprechende Differenzierung in den Kommunikationsstrategien sinnvoll erscheinen lässt.